A Book Of German Lyrics
by
Various

Part 1 out of 6







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Proofreading Team



A BOOK OF GERMAN LYRICS

Selected And Edited With Notes And Vocabulary

By

FRIEDRICH BRUNS
Assistant Professor Of German, University Of Wisconsin







[Illustration: Ricordo di Tivoli, by Anselm Feuerbach]



PREFACE

In compiling this Anthology my aim has been not so much to acquaint the
student with individual great poems as with the poets themselves. With
this end in view I have made the selections as full and as varied as
possible and included in the Notes short introductory sketches of the
poets. Since the book is intended for the work of fourth and fifth
semester German in College (or third and fourth year High School),
pedagogic considerations imposed certain limitations not only as to
individual poems but also as to poets. Thus I felt that I must exclude
Novalis, Hoelderlin, Brentano, Annette von Droste, Nietzsche and Dehmel.
My standard of difficulty--aside from matters purely linguistic--was:
Could a similar poem in English be read and appreciated by the same class
of students? Moreover I tried out in a class of fourth semester German
all poems that seemed to offer special difficulties and have made use of
the experience thus acquired.

Some of my readers will undoubtedly be surprised at finding only two
poems of Schiller included in the collection. May I point to the length
of these two poems, 270 lines? Even to Goethe I have given only 362
lines. Why did I choose these two poems? The lighter lyric verse of
Schiller is not representative of the poet nor would it have enriched the
Anthology with a new note. _Das Lied von der Glocke_ is too long for this
small volume and is readily accessible in three different school
editions. Schiller is at his best in his philosophical lyrics: as Goethe
has said, in this field he is absolutely supreme. Poems like _Das Ideal
und das Leben_ or _Der Spaziergang_ are far too difficult for our younger
students. _Das verschleierte Bild zu Sais_, however, offers a
philosophical problem which the younger mind can grasp without special
training in philosophy. A few introductory remarks, such as I have given
in the notes, will prepare the way. Both poems, furthermore, exemplify
Schiller's ethical idealism. Certainly no other poems available at this
stage could do more.

I have often been asked by teachers: How do you teach lyric poetry? An
answer is found in my Notes to a number of the poems. The chief
prerequisite is a warm love for the poets: nowhere is enthusiasm more
contagious. A few introductory remarks will open the world of the poem to
the student. The teacher must, of course, develop in the students their
latent rhythmical sense both by example and precept. Aside from this
lyric poetry teaches itself.

As to the use of the book I should suggest spending two or three weeks on
one or two poets--I should begin with Goethe--and after that spend one
hour a week for a semester or even a year. Some poems could be assigned
for outside reading and then a group of poems be discussed in class.

On the whole I have limited myself to those poets that to-day stand out
as preeminent. A possible exception is the once famous Rueckert. I could
not resist the temptation of including his _Aus der Jugendzeit_, a poem
of consummate beauty, Rueckert's one perfect lyric. Time has been
relentless in its winnowing process. But if Geibel, Wilhelm Mueller and
Bodenstedt have given way to Moerike, Keller and Hebbel, we assuredly have
no reason for lament. If this little book help to win in our schools for
these three and for Storm, C. F. Meyer, and Liliencron the recognition
they deserve, I shall feel richly repaid for this labor of love.

_Spring of_ 1921,

Madison, Wisconsin.

FRIEDRICH BRUNS.





CONTENTS


Goethe

1. Willkommen und Abschied
2. Mailied
3. Auf dem See
4. Heidenroeslein
5. Wanderers Nachtlied
6. Ein gleiches
7. Hoffnung
8. Erinnerung
9. Gefunden
10. Mignon
11. Harfenspieler
12. Der Koenig in Thule
13. Der Fischer
14. Erlkoenig
15. Gesang der Geister ueber den Wassern
16. Grenzen der Menschheit
17. Lied des Tuermers

Schiller

18. Die Kraniche des Ibykus
19. Das verschleierte Bild zu Sais

Uhland

20. Die Lerchen
21. Des Knaben Berglied
22. Schaefers Sonntagslied
23. Die Kapelle
24. Morgenlied
25. Fruehlingsglaube
26. Lob des Fruehlings
27. Das Schwert
28. Die Rache
29. Der Wirtin Toechterlein
30. Der gute Kamerad
31. Taillefer
32. Des Saengers Fluch

Eichendorff

33. Der frohe Wandersmann
34. Der Jaeger Abschied
35. Nachts
36. Fruehlingsdaemmerung
37. Elfe
38. Abendlandschaft
39. Die Nacht
40. Sehnsucht
41. Das zerbrochene Ringlein
42. Fruehe
43. Nachts
44. Mondnacht

Rueckert

45. Aus der Jugendzeit

Heine

46. Die Grenadiere
47. In mein gar zu dunkles Leben
48. Ich weiss nicht, was soll es bedeuten
49. Du bist wie eine Blume
50. Auf Fluegeln des Gesanges
51. Die Lotosblume aengstigt
52. Ein Fichtenbaum
53. Mein Liebchen, wir sassen beisammen
54. Ein Juengling liebt sein Maedchen
55. Daemmernd liegt der Sommerabend
56. Es faellt ein Stern herunter
57. Der Tod, das ist die kuehle Nacht
58. Sag, wo ist dein schoenes Liebchen
59. Frieden
60. Leise zieht durch mein Gemuet
61. Es war ein alter Koenig
62. Es ziehen die brausenden Wellen
63. Es ragt ins Meer der Runenstein
64. In der Fremde
65. Wo?

Platen

66. Das Grab im Busento
67. Im Wasser wogt die Lilie
68. Wie rafft' ich mich auf in der Nacht
69. Ich moechte, wann ich sterbe

Lenau

70. Bitte
71. Schilflied
72. Der Eichwald
73. Der Postillion
74. Die Drei
75. Der offene Schrank
76. Auf eine hollaendische Landschaft
77. Stimme des Regens
78. Herbst

Moerike

79. Um Mitternacht
80. Septembermorgen
81. Er ist's
82. In der Fruehe
83. Der Feuerreiter
84. Das verlassene Maegdlein
85. Lebewohl
86. Schoen-Rohtraut
87. Auf eine Lampe
88. Gebet
89. Denk' es, o Seele

Hebbel

90. Nachtlied
91. Das Kind
92. Nachtgefuehl
93. Gebet
94. Abendgefuehl
95. Ich und du
96. Sommerbild
97. Herbstbild
98. Der letzte Baum

Keller

99. An das Vaterland
100. Winternacht
101. Abendlied

Storm

102. Oktoberlied
103. Weihnachtslied
104. Sommermittag
105. Die Stadt
106. Ueber die Heide
107. Lucie
108. Eine Fruehlingsnacht
109. April
110. Mai
111. Elisabeth
112. Frauenhand
113. Schliesse mir die Augen beide

Meyer

114. Liederseelen
115. Nachtgeraeusche
116. Das tote Kind
117. Im Spaetboot
118. Vor der Ernte
119. Der roemische Brunnen
120. Neujahrsglocken
121. Saeerspruch
122. Schnitterlied
123. Nach einem Niederlaender
124. Eingelegte Ruder
125. Ewig jung ist nur die Sonne
126. Requiem
127. Abendwolke
128. Das Gloecklein
129. Die Bank des Alten

Liliencron

130. Die Musik kommt
131. Tod in Aehren
132. In Erinnerung
133. Wer weiss wo
134. Sommernacht
135. Meiner Mutter
136. Wiegenlied
137. Viererzug
138. Schoene Junitage

Notes

Vocabulary

Index of Titles and First Lines




Ein kleines Lied

Ein kleines Lied, wie geht's nur an,
Dass man so lieb es haben kann,
Was liegt darin? Erzaehle!

Es liegt darin ein wenig Klang,
Ein wenig Wohllaut und Gesang,
Und eine ganze Seele.

Marie von Ebner-Eschenbach




JOHANN WOLFGANG VON GOETHE




1. WILLKOMMEN UND ABSCHIED

Es schlug mein Herz, geschwind zu Pferde!
Es war getan, fast eh' gedacht;
Der Abend wiegte schon die Erde,
Und an den Bergen hing die Nacht;
Schon stand im Nebelkleid die Eiche, 5
Ein aufgetuermter Riese, da,
Wo Finsternis aus dem Gestraeuche
Mit hundert schwarzen Augen sah.

Der Mond von einem Wolkenhuegel
Sah klaeglich aus dem Duft hervor; 10
Die Winde schwangen leise Fluegel,
Umsausten schauerlich mein Ohr;
Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,
Doch frisch und froehlich war mein Mut:
In meinen Adern, welches Feuer! 15
In meinem Herzen, welche Glut!

Dich sah ich, und die milde Freude
Floss von dem suessen Blick auf mich;
Ganz war mein Herz an deiner Seite,
Und jeder Atemzug fuer dich. 20
Ein rosenfarbnes Fruehlingswetter
Umgab das liebliche Gesicht,
Und Zaertlichkeit fuer mich--ihr Goetter!
Ich hofft' es, ich verdient' es nicht!

Doch ach, schon mit der Morgensonne 25
Verengt der Abschied mir das Herz:
In deinen Kuessen, welche Wonne!
In deinem Auge, welcher Schmerz!
Ich ging, du standst und sahst zur Erden,
Und sahst mir nach mit nassem Blick: 30
Und doch, welch Glueck, geliebt zu werden!
Und lieben, Goetter, welch ein Glueck!

* * * * *

2. MAILIED

Wie herrlich leuchtet
Mir die Natur!
Wie glaenzt die Sonne!
Wie lacht die Flur!

Es dringen Blueten 5
Aus jedem Zweig,
Und tausend Stimmen
Aus dem Gestraeuch,

Und Freud' und Wonne
Aus jeder Brust. 10
O Erd', o Sonne!
O Glueck, o Lust!

O Lieb', o Liebe!
So golden schoen,
Wie Morgenwolken 15
Auf jenen Hoehn!

Du segnest herrlich
Das frische Feld,
Im Bluetendampfe
Die volle Welt. 20

O Maedchen, Maedchen,
Wie lieb' ich dich!
Wie blinkt dein Auge!
Wie liebst du mich!

So liebt die Lerche 25
Gesang und Luft,
Und Morgenblumen
Den Himmelsduft,

Wie ich dich liebe
Mit warmem Blut, 30
Die du mir Jugend
Und Freud' und Mut

Zu neuen Liedern
Und Taenzen giebst.
Sei ewig gluecklich, 35
Wie du mich liebst!

* * * * *

3. AUF DEM SEE

Und frische Nahrung, neues Blut
Saug' ich aus freier Welt;
Wie ist Natur so hold und gut,
Die mich am Busen haelt!
Die Welle wieget unsern Kahn 5
Im Rudertakt hinauf,
Und Berge, wolkig himmelan,
Begegnen unserm Lauf.

Aug', mein Aug', was sinkst du nieder?
Goldne Traeume, kommt ihr wieder? 10
Weg, du Traum! so gold du bist;
Hier auch Lieb' und Leben ist.

Auf der Welle blinken
Tausend schwebende Sterne;
Weiche Nebel trinken 15
Rings die tuermende Ferne;
Morgenwind umfluegelt
Die beschattete Bucht,
Und im See bespiegelt
Sich die reifende Frucht. 20

* * * * *

4. HEIDENROESLEIN

Sah' ein Knab' ein Roeslein stehn,
Roeslein auf der Heiden,
War so jung und morgenschoen,
Lief er schnell, es nah zu sehn,
Sah's mit vielen Freuden. 5
Roeslein, Roeslein, Roeslein rot,
Roeslein auf der Heiden.

Knabe sprach: Ich breche dich,
Roeslein aus der Heiden!
Roeslein sprach: Ich steche dich, 10
Dass du ewig denkst an mich,
Und ich will's nicht leiden.
Roeslein, Roeslein, Roeslein rot,
Roeslein auf der Heiden.

Und der wilde Knabe brach 15
's Roeslein auf der Heiden;
Roeslein wehrte sich und stach,
Half ihm doch kein Weh und Ach,
Musst' es eben leiden.
Roeslein, Roeslein, Roeslein rot, 20
Roeslein auf der Heiden.

* * * * *

5. WANDRERS NACHTLIED

Der du von dem Himmel bist,
Alles Leid und Schmerzen stillest,
Den, der doppelt elend ist,
Doppelt mit Erquickung fuellest,
Ach, ich bin des Treibens muede! 5
Was soll all der Schmerz und Lust?
Suesser Friede,
Komm, ach, komm in meine Brust!

* * * * *

6. EIN GLEICHES

Ueber allen Gipfeln
Ist Ruh;
In allen Wipfeln
Spuerest du
Kaum einen Hauch; 5
Die Voegelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.

* * * * *

7. HOFFNUNG

Schaff', das Tagwerk meiner Haende,
Hohes Glueck, dass ich's vollende!
Lass, o lass mich nicht ermatten!
Nein, es sind nicht leere Traeume:
Jetzt nur Stangen, diese Baeume 5
Geben einst noch Frucht und Schatten.

* * * * *

8. ERINNERUNG

Willst du immer weiter schweifen?
Sieh, das Gute liegt so nah.
Lerne nur das Glueck ergreifen,
Denn das Glueck ist immer da.

* * * * *

9. GEFUNDEN

Ich ging im Walde
So fuer mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.

Im Schatten sah ich 5
Ein Bluemchen stehn,
Wie Sterne leuchtend,
Wie Aeuglein schoen.

Ich wollt' es brechen,
Da sagt' es fein: 10
Soll ich zum Welken
Gebrochen sein?

Ich grub's mit allen
Den Wuerzlein aus,
Zum Garten trug ich's 15
Am huebschen Haus.

Und pflanzt' es wieder
Am stillen Ort;
Nun zweigt es immer
Und blueht so fort. 20

* * * * *

10. MIGNON

Kennst du das Land, wo die Zitronen bluehn,
Im dunkeln Laub die Goldorangen gluehn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?
Kennst du es wohl? 5
Dahin! Dahin
Moecht' ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn.

Kennst du das Haus? Auf Saeulen ruht sein Dach,
Es glaenzt der Saal, es schimmert das Gemach,
Und Marmorbilder stehn und sehn mich an:
Was hat man dir, du armes Kind, getan? 10
Kennst du es wohl?
Dahin! Dahin
Moecht' ich mit dir, o mein Beschuetzer, ziehn.

Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?
Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg;
In Hoehlen wohnt der Drachen alte Brut; 15
Es stuerzt der Fels und ueber ihn die Flut.
Kennst du ihn wohl?
Dahin! Dahin
Geht unser Weg! o Vater, lass uns ziehn!

* * * * *

11. HARFENSPIELER

Wer nie sein Brot mit Traenen ass,
Wer nie die kummervollen Naechte
Auf seinem Bette weinend sass,
Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Maechte.

Ihr fuehrt ins Leben uns hinein, 5
Ihr lasst den Armen schuldig werden,
Dann ueberlasst ihr ihn der Pein:
Denn alle Schuld raecht sich auf Erden.

* * * * *

12. DER KOENIG IN THULE

Es war ein Koenig in Thule,
Gar treu bis an das Grab,
Dem sterbend seine Buhle
Einen goldnen Becher gab.

Es ging ihm nichts darueber, 5
Er leert' ihn jeden Schmaus;
Die Augen gingen ihm ueber,
So oft er trank daraus.

Und als er kam zu sterben,
Zaehlt' er seine Staedt' im Reich, 10
Goennt' alles seinem Erben,
Den Becher nicht zugleich.

Er sass beim Koenigsmahle,
Die Ritter um ihn her,
Auf hohem Vaetersaale 15
Dort auf dem Schloss am Meer.

Dort stand der alte Zecher,
Trank letzte Lebensglut
Und warf den heil'gen Becher
Hinunter in die Flut. 20

Er sah ihn stuerzen, trinken
Und sinken tief ins Meer.
Die Augen taeten ihm sinken,
Trank nie einen Tropfen mehr.

* * * * *

13. DER FISCHER

Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,
Ein Fischer sass daran,
Sah nach dem Angel ruhevoll,
Kuehl bis ans Herz hinan.
Und wie er sitzt und wie er lauscht, 5
Teilt sich die Flut empor:
Aus dem bewegten Wasser rauscht
Ein feuchtes Weib hervor.

Sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm:
Was lockst du meine Brut 10
Mit Menschenwitz und Menschenlist
Hinaus in Todesglut?
Ach, wuesstest du, wie 's Fischlein ist
So wohlig auf dem Grund,
Du stiegst herunter, wie du bist, 15
Und wuerdest erst gesund.

Labt sich die liebe Sonne nicht,
Der Mond sich nicht im Meer?
Kehrt wellenatmend ihr Gesicht
Nicht doppelt schoener her? 20
Lockt dich der tiefe Himmel nicht,
Das feuchtverklaerte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht
Nicht her in ew'gen Tau?

Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll, 25
Netzt' ihm den nackten Fuss;
Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll,
Wie bei der Liebsten Gruss.

Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
Da war's um ihn geschehn: 30
Halb zog sie ihn, halb sank er hin
Und ward nicht mehr gesehn.

* * * * *

14. ERLKOENIG

Wer reitet so spaet durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er fasst ihn sicher, er haelt ihn warm.

"Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?"-- 5
"Siehst, Vater, du den Erlkoenig nicht?
Den Erlenkoenig mit Kron' und Schweif?"--
"Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif."

"Du liebes Kind, komm, geh mit mir!
"Gar schoene Spiele spiel' ich mit dir; 10
Manch bunte Blumen sind an dem Strand,
"Meine Mutter hat manch guelden Gewand."--

"Mein Vater, mein Vater, und hoerest du nicht,
Was Erlenkoenig mir leise verspricht?"--
"Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind; 15
In duerren Blaettern saeuselt der Wind."--

"Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?"
"Meine Toechter sollen dich warten schoen;
Meine Toechter fuehren den naechtlichen Reihn
Und wiegen und tanzen und singen dich ein."-- 20

"Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkoenigs Toechter am duestern Ort?"--
"Mein Sohn, mein Sohn, ich seh' es genau:
Es scheinen die alten Weiden so grau."--

"Ich liebe dich, mich reizt deine schoene Gestalt; 25
Und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt."--
"Mein Vater, mein Vater, jetzt fasst er mich an!
Erlkoenig hat mir ein Leids getan!"--

Dem Vater grauset's, er reitet geschwind,
Er haelt in Armen das aechzende Kind, 30
Erreicht den Hof mit Muehe und Not;
In seinen Armen das Kind war tot.

* * * * *

[Illustration: Erlkoenig, by Moritz von Schwind]

* * * * *

15. GESANG DER GEISTER UEBER DEN WASSERN

Des Menschen Seele
Gleicht dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder 5
Zur Erde muss es,
Ewig wechselnd.

Stroemt von der hohen,
Steilen Felswand
Der reine Strahl, 10
Dann staeubt er lieblich
In Wolkenwellen
Zum glatten Fels,
Und leicht empfangen,
Wallt er verschleiernd, 15
Leis rauschend
Zur Tiefe nieder.

Ragen Klippen
Dem Sturz entgegen,
Schaeumt er unmutig 20
Stufenweise
Zum Abgrund.

Im flachen Bette
Schleicht er das Wiesental hin,
Und in dem glatten See 25
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.

Wind ist der Welle
Lieblicher Buhler;
Wind mischt vom Grund aus 30
Schaeumende Wogen.

Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind! 35

* * * * *

16. GRENZEN DER MENSCHHEIT

Wenn der uralte
Heilige Vater
Mit gelassener Hand
Aus rollenden Wolken
Segnende Blitze 5
Ueber die Erde saet,
Kuess' ich den letzten
Saum seines Kleides,
Kindliche Schauer
Treu in der Brust. 10

Denn mit Goettern
Soll sich nicht messen
Irgend ein Mensch.
Hebt er sich aufwaerts
Und beruehrt 15
Mit dem Scheitel die Sterne,
Nirgends haften dann
Die unsichern Sohlen,
Und mit ihm spielen
Wolken und Winde. 20

Steht er mit festen,
Markigen Knochen
Auf der wohlgegruendeten
Dauernden Erde:
Reicht er nicht auf, 25
Nur mit der Eiche
Oder der Rebe
Sich zu vergleichen.

Was unterscheidet
Goetter von Menschen? 30
Dass viele Wellen
Vor jenen wandeln,
Ein ewiger Strom:
Uns hebt die Welle,
Verschlingt die Welle, 35
Und wir versinken.

Ein kleiner Ring
Begrenzt unser Leben,
Und viele Geschlechter
Reihen sich dauernd 40
An ihres Daseins
Unendliche Kette.

* * * * *

17. LIED DES TUERMERS

Zum Sehen geboren,
Zum Schauen bestellt,
Dem Turme geschworen,
Gefaellt mir die Welt.

Ich blick' in die Ferne, 5
Ich seh' in der Naeh'
Den Mond und die Sterne,
Den Wald und das Reh.

So seh' ich in allen
Die ewige Zier, 10
Und wie mir's gefallen,
Gefall' ich auch mir.

Ihr gluecklichen Augen,
Was je ihr gesehn,
Es sei, wie es wolle, 15
Es war doch so schoen!




FRIEDRICH SCHILLER




18. DIE KRANICHE DES IBYKUS

Zum Kampf der Wagen und Gesaenge,
Der auf Korinthus' Landesenge
Der Griechen Staemme froh vereint,
Zog Ibykus, der Goetterfreund.
Ihm schenkte des Gesanges Gabe, 5
Der Lieder suessen Mund Apoll;
So wandert' er an leichtem Stabe
Aus Rhegium, des Gottes voll.

Schon winkt aus hohem Bergesruecken
Akrokorinth des Wandrers Blicken, 10
Und in Poseidons Fichtenhain
Tritt er mit frommem Schauder ein.
Nichts regt sich um ihn her; nur Schwaerme
Von Kranichen begleiten ihn,
Die fernhin nach des Suedens Waerme 15
In graulichtem Geschwader ziehn.

"Seid mir gegruesst, befreundte Scharen,
Die mir zur See Begleiter waren;
Zum guten Zeichen nehm' ich euch,
Mein Los, es ist dem euren gleich: 20
Von fern her kommen wir gezogen
Und flehen um ein wirtlich Dach.
Sei uns der Gastliche gewogen.
Der von dem Fremdling wehrt die Schmach!"

Und munter foerdert er die Schritte, 25
Und sieht sich in des Waldes Mitte;
Da sperren auf gedrangem Steg,
Zwei Moerder ploetzlich seinen Weg.
Zum Kampfe muss er sich bereiten,
Doch bald ermattet sinkt die Hand, 30
Sie hat der Leier zarte Saiten,
Doch nie des Bogens Kraft gespannt.

Er ruft die Menschen an, die Goetter,
Sein Flehen dringt zu keinem Retter;
Wie weit er auch die Stimme schickt, 35
Nichts Lebendes wird hier erblickt.
"So muss ich hier verlassen sterben,
Auf fremdem Boden, unbeweint,
Durch boeser Buben Hand verderben,
Wo auch kein Raecher mir erscheint!" 40

Und schwer getroffen sinkt er nieder,
Da rauscht der Kraniche Gefieder;
Er hoert, schon kann er nicht mehr sehn,
Die nahen Stimmen furchtbar kraehn.
"Von euch, ihr Kraniche dort oben, 45
Wenn keine andre Stimme spricht,
Sei meines Mordes Klag' erhoben!"
Er ruft es, und sein Auge bricht.

Der nackte Leichnam wird gefunden,
Und bald, obgleich entstellt von Wunden, 50
Erkennt der Gastfreund in Korinth
Die Zuege, die ihm teuer sind.
"Und muss ich so dich wiederfinden,
Und hoffte mit der Fichte Kranz
Des Saengers Schlaefe zu umwinden, 55
Bestrahlt von seines Ruhmes Glanz!"

Und jammernd hoeren's alle Gaeste,
Versammelt bei Poseidons Feste,
Ganz Griechenland ergreift der Schmerz,
Verloren hat ihn jedes Herz. 60
Und stuermend draengt sich zum Prytanen
Das Volk, es fodert seine Wut,
Zu raechen des Erschlagnen Manen,
Zu suehnen mit des Moerders Blut.

Doch wo die Spur, die aus der Menge, 65
Der Voelker flutendem Gedraenge,
Gelocket von der Spiele Pracht,
Den schwarzen Taeter kenntlich macht?
Sind's Raeuber, die ihn feig erschlagen?
Tat's neidisch ein verborgner Feind? 70
Nur Helios vermag's zu sagen,
Der alles Irdische bescheint.

Er geht vielleicht mit frechem Schritte
Jetzt eben durch der Griechen Mitte.
Und waehrend ihn die Rache sucht, 75
Geniesst er seines Frevels Frucht.
Auf ihres eignen Tempels Schwelle
Trotzt er vielleicht den Goettern, mengt
Sich dreist in jene Menschenwelle,
Die dort sich zum Theater draengt. 80

Denn Bank an Bank gedraenget sitzen,
Es brechen fast der Buehne Stuetzen,
Herbeigestroemt von fern und nah',
Der Griechen Voelker wartend da.
Dumpfbrausend wie des Meeres Wogen, 85
Von Menschen wimmelnd waechst der Bau
In weiter stets geschweiftem Bogen
Hinauf bis in des Himmels Blau.

Wer zaehlt die Voelker, nennt die Namen,
Die gastlich hier zusammenkamen? 90
Von Kekrops' Stadt, von Aulis' Strand,
Von Phokis, vom Spartanerland,
Von Asiens entlegner Kueste,
Von allen Inseln kamen sie,
Und horchen von dem Schaugerueste 95
Des Chores grauser Melodie,

Der, streng und ernst, nach alter Sitte
Mit langsam abgemessnem Schritte
Hervortritt aus dem Hintergrund,
Umwandelnd des Theaters Rund. 100
So schreiten keine ird'schen Weiber!
Die zeugete kein sterblich Haus!
Es steigt das Riesenmass der Leiber
Hoch ueber Menschliches hinaus.

Ein schwarzer Mantel schlaegt die Lenden, 105
Sie schwingen in entfleischten Haenden
Der Fackel duesterrote Glut,
In ihren Wangen fliesst kein Blut.
Und wo die Haare lieblich flattern,
Um Menschenstirnen freundlich wehn, 110
Da sieht man Schlangen hier und Nattern
Die giftgeschwollnen Baeuche blaehn.

Und schauerlich gedreht im Kreise,
Beginnen sie des Hymnus Weise,
Der durch das Herz zerreissend dringt, 115
Die Bande um den Suender schlingt.
Besinnungraubend, herzbetoerend
Schallt der Erinnyen Gesang.
Er schallt, des Hoerers Mark verzehrend,
Und duldet nicht der Leier Klang: 120

"Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle
Bewahrt die kindlich reine Seele!
Ihm duerfen wir nicht raechend nahn,
Er wandelt frei des Lebens Bahn.
Doch wehe, wehe, wer verstohlen 125
Des Mordes schwere Tat vollbracht!
Wir heften uns an seine Sohlen,
Das furchtbare Geschlecht der Nacht.

"Und glaubt er fliehend zn entspringen,
Gefluegelt sind wir da, die Schlingen 130
Ihm werfend um den fluecht'gen Fuss,
Dass er zu Boden fallen muss.
So jagen wir ihn ohn' Ermatten,
Versoehnen kann uns keine Reu',
Ihn fort und fort bis zu den Schatten, 135
Und geben ihn auch dort nicht frei."

So singend, tanzen sie den Reigen,
Und Stille, wie des Todes Schweigen,
Liegt ueberm ganzen Hause schwer,
Als ob die Gottheit nahe waer'. 140
Und feierlich nach alter Sitte
Umwandelnd des Theaters Rund
Mit langsam abgemessnem Schritte,
Verschwinden sie im Hintergrnnd.

Und zwischen Trug und Wahrheit schwebet 145
Noch zweifelnd jede Brust und bebet,
Und huldiget der furchtbarn Macht,
Die richtend im Verborgnen wacht,
Die, unerforschlich, unergruendet,
Des Schicksals dunkeln Knaeuel flicht, 150
Dem tiefen Herzen sich verkuendet,
Doch fliehet vor dem Sonnenlicht.

Da hoert man auf den hoechsten Stufen
Auf einmal eine Stimme rufen:
"Sieh da, sieh da, Timotheus, 155
Die Kraniche des Ibykus!"--
Und finster ploetzlich wird der Himmel,
Und ueber dem Theater hin
Sieht man in schwaerzlichtem Gewimmel
Ein Kranichheer vorueberziehn. 160

"Des Ibykus!" -- Der teure Name
Ruehrt jede Brust mit neuem Grame,
Und wie im Meere Well' auf Well',
So laeuft's von Mund zu Munde schnell:
"Des Ibykus? den wir beweinen? 165
Den eine Moerderhand erschlug?
Was ist's mit dem? Was kann er meinen?
Was ist's mit diesem Kranichzug?"

Und lauter immer wird die Frage,
Und ahnend fliegt's mit Blitzesschlage 170
Durch alle Herzen: "Gebet acht,
Das ist der Eumeniden Macht!
Der fromme Dichter wird gerochen,
Der Moerder bietet selbst sich dar--
Ergreift ihn, der das Wort gesprochen, 175
Und ihn, an den's gerichtet war!"

Doch dem war kaum das Wort entfahren,
Moecht' er's im Busen gern bewahren;
Umsonst! der schreckenbleiche Mund
Macht schnell die Schuldbewussten kund. 180
Man reisst und schleppt sie vor den Richter,
Die Szene wird zum Tribunal,
Und es gestehn die Boesewichter,
Getroffen von der Rache Strahl.

* * * * *

19. DAS VERSCHLEIERTE BILD ZU SAIS

Ein Juengling, den des Wissens heisser Durst
Nach Sais in Aegypten trieb, der Priester
Geheime Weisheit zu erlernen, hatte
Schon manchen Grad mit schnellem Geist durcheilt;
Stets riss ihn seine Forschbegierde weiter, 5
Und kaum besaenftigte der Hierophant
Den ungeduldig Strebenden. "Was hab ich,
Wenn ich nicht alles habe?" sprach der Juengling.
"Gibt's etwa hier ein Weniger und Mehr?
Ist deine Wahrheit wie der Sinne Glueck 10
Nur eine Summe, die man groesser, kleiner
Besitzen kann und immer doch besitzt?
Ist sie nicht eine einz'ge, ungeteilte?
Nimm Einen Ton aus einer Harmonie,
Nimm Eine Farbe aus dem Regenbogen, 15
Und alles, was dir bleibt, ist nichts, solang'
Das schoene All der Toene fehlt und Farben."

Indem sie einst so sprachen, standen sie
In einer einsamen Rotonde still,
Wo ein verschleiert Bild von Riesengroesse 20
Dem Juengling in die Augen fiel. Verwundert
Blickt er den Fuehrer an und spricht: "Was ist's,
Das hinter diesem Schleier sich verbirgt?"--
"Die Wahrheit", ist die Antwort.--"Wie?" ruft jener,
"Nach Wahrheit streb ich ja allein, und diese 25
Gerade ist es, die man mir verhuellt?"

"Das mache mit der Gottheit aus", versetzt
Der Hierophant. "Kein Sterblicher, sagt sie,
Rueckt diesen Schleier, bis ich selbst ihn hebe.
Und wer mit ungeweihter, schuld'ger Hand 30
Den heiligen, verbotnen frueher hebt,
Der, spricht die Gottheit"--"Nun?"--"Der _sieht_ die Wahrheit."
"Ein seltsamer Orakelspruch! Du selbst,
Du haettest also niemals ihn gehoben?"

"Ich?--Wahrlich nicht! Und war auch nie dazu 35
Versucht."--"Das fass' ich nicht. Wenn von der Wahrheit
Nur diese duenne Scheidewand mich trennte"--
"Und ein Gesetz", faellt ihm sein Fuehrer ein,
"Gewichtiger, mein Sohn, als du es meinst,
Ist dieser duenne Flor--fuer deine Hand 40
Zwar leicht, doch zentnerschwer fuer dein Gewissen."

Der Juengling ging gedankenvoll nach Hause;
Ihm raubt des Wissens brennende Begier
Den Schlaf, er waelzt sich gluehend auf dem Lager
Und rafft sich auf um Mitternacht. Zum Tempel 45
Fuehrt unfreiwillig ihn der scheue Tritt.
Leicht ward es ihm, die Mauer zu ersteigen,
Und mitten in das Innre der Rotonde
Traegt ein beherzter Sprung den Wagenden.

Hier steht er nun, und grauenvoll umfaengt 50
Den Einsamen die lebenlose Stille,
Die nur der Tritte hohler Widerhall
In den geheimen Grueften unterbricht.
Von oben durch der Kuppel Oeffnung wirft
Der Mond den bleichen, silberblauen Schein, 55
Und furchtbar wie ein gegenwaert'ger Gott
Erglaenzt durch des Gewoelbes Finsternisse
In ihrem langen Schleier die Gestalt.

Er tritt hinan mit ungewissem Schritt;
Schon will die freche Hand das Heilige beruehren, 60
Da zuckt es heiss und kuehl durch sein Gebein
Und stoesst ihn weg mit unsichtbarem Arme.
Ungluecklicher, was willst du tun? So ruft
In seinem Innern eine treue Stimme.
Versuchen den Allheiligen willst du? 65
Kein Sterblicher, sprach des Orakels Mund,
Rueckt diesen Schleier, bis ich selbst ihn hebe.
Doch, setzte nicht derselbe Mund hinzu:
Wer diesen Schleier hebt, soll Wahrheit schauen?
"Sei hinter ihm, was will! Ich heb ihn auf." 70
Er rufts mit lauter Stimm'. "Ich will sie schauen."
Schauen!
Gellt ihm ein langes Echo spottend nach.

Er spricht's und hat den Schleier aufgedeckt.
"Nun", fragt ihr, "und was zeigte sich ihm hier?" 75
Ich weiss es nicht. Besinnungslos und bleich,
So fanden ihn am andern Tag die Priester
Am Fussgestell der Isis ausgestreckt.
Was er allda gesehen und erfahren,
Hat seine Zunge nie bekannt. Auf ewig 80
War seines Lebens Heiterkeit dahin,
Ihn riss ein tiefer Gram zum fruehen Grabe.
"Weh dem", dies war sein warnungsvolles Wort,
Wenn ungestueme Frager in ihn drangen,
"Weh dem, der zu der Wahrheit geht durch Schuld, 85
Sie wird ihm nimmermehr erfreulich sein!"




LUDWIG UHLAND




20. DIE LERCHEN

Welch ein Schwirren, welch ein Flug?
Sei willkommen, Lerchenzug!
Jene streift der Wiese Saum,
Diese rauschet durch den Baum.

Manche schwingt sich himmelan, 5
Jauchzend auf der lichten Bahn;
Eine, voll von Liedeslust,
Flattert hier in meiner Brust.

* * * * *

21. DES KNABEN BERGLIED

Ich bin vom Berg der Hirtenknab',
Seh' auf die Schloesser all herab;
Die Sonne strahlt am ersten hier,
Am laengsten weilet sie bei mir;
Ich bin der Knab' vom Berge! 5

Hier ist des Stromes Mutterhaus,
Ich trink' ihn frisch vom Stein heraus;
Er braust vom Fels in wildem Lauf,
Ich fang' ihn mit den Armen auf;
Ich bin der Knab' vom Berge! 10

Der Berg, der ist mein Eigentum,
Da ziehn die Stuerme rings herum;
Und heulen sie von Nord und Sued,
So ueberschallt sie doch mein Lied:
Ich bin der Knab' vom Berge! 15

Sind Blitz und Donner unter mir,
So steh' ich hoch im Blauen hier;
Ich kenne sie und rufe zu:
Lasst meines Vaters Haus in Ruh'!
Ich bin der Knab' vom Berge! 20

Und wann die Sturmglock' einst erschallt,
Manch Feuer auf den Bergen wallt,
Dann steig' ich nieder, tret' ins Glied
Und schwing' mein Schwert und sing' mein Lied:
Ich bin der Knab' vom Berge! 25

* * * * *

22. SCHAEFERS SONNTAGSLIED

Das ist der Tag des Herrn!
Ich bin allein auf weiter Flur;
Noch _eine_ Morgenglocke nur,
Nun Stille nah und fern.

Anbetend knie' ich hier. 5
O suesses Graun, geheimes Wehn,
Als knieten viele ungesehn
Und beteten mit mir!

Der Himmel nah und fern,
Er ist so klar und feierlich, 10
So ganz, als wollt' er oeffnen sich.
Das ist der Tag des Herrn!

* * * * *

23. DIE KAPELLE

Droben stehet die Kapelle,
Schauet still ins Tal hinab,
Drunten singt bei Wies' und Quelle
Froh und hell der Hirtenknab'.

Traurig toent das Gloecklein nieder, 5
Schauerlich der Leichenchor;
Stille sind die frohen Lieder,
Und der Knabe lauscht empor.

Droben bringt man sie zu Grabe,
Die sich freuten in dem Tal; 10
Hirtenknabe, Hirtenknabe!
Dir auch singt man dort einmal.

* * * * *

24. MORGENLIED

Noch ahnt man kaum der Sonne Licht,
Noch sind die Morgenglocken nicht
Im finstern Tal erklungen.

Wie still des Waldes weiter Raum!
Die Voeglein zwitschern nur im Traum, 5
Kein Sang hat sich erschwungen.

Ich hab' mich laengst ins Feld gemacht
Und habe schon dies Lied erdacht
Und hab' es laut gesungen.

* * * * *

25. FRUEHLINGSGLAUBE

Die linden Luefte sind erwacht,
Sie saeuseln und weben Tag und Nacht,
Sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang! 5
Nun muss sich alles, alles wenden.

Die Welt wird schoener mit jedem Tag,
Man weiss nicht, was noch werden mag,
Das Bluehen will nicht enden.
Es blueht das fernste, tiefste Tal; 10
Nun, armes Herz, vergiss der Qual!
Nun muss sich alles, alles wenden.

* * * * *

26. LOB DES FRUEHLINGS

Saatengruen, Veilchenduft,
Lerchenwirbel, Amselschlag,
Sonnenregen, linde Luft!

Wenn ich solche Worte singe,
Braucht es dann noch grosser Dinge, 5
Dich zu preisen, Fruehlingstag?

* * * * *

27. DAS SCHWERT

Zur Schmiede ging ein junger Held,
Er hatt' ein gutes Schwert bestellt;
Doch als er's wog in freier Hand,
Das Schwert er viel zu schwer erfand.

Der alte Schmied den Bart sich streicht: 5
"Das Schwert ist nicht zu schwer noch leicht,
Zu schwach ist Euer Arm, ich mein';
Doch morgen soll geholfen sein."

"Nein, heut, bei aller Ritterschaft!
Durch meine, nicht durch Feuers Kraft." 10
Der Juengling spricht's, ihn Kraft durchdringt,
Das Schwert er hoch in Lueften schwingt.

* * * * *

28. DIE RACHE

Der Knecht hat erstochen den edeln Herrn,
Der Knecht waer' selber ein Ritter gern.

Er hat ihn erstochen im dunkeln Hain
Und den Leib versenket im tiefen Rhein.

Hat angeleget die Ruestung blank, 5
Auf des Herren Ross sich geschwungen frank.

Und als er sprengen will ueber die Brueck',
Da stutzet das Ross und baeumt sich zurueck.

Und als er die gueldnen Sporen ihm gab,
Da schleudert's ihn wild in den Strom hinab. 10

Mit Arm, mit Fuss er rudert und ringt,
Der schwere Panzer ihn niederzwingt.

* * * * *

29. DER WIRTIN TOECHTERLEIN

Es zogen drei Bursche wohl ueher den Rhein,
Bei einer Frau Wirtin, da kehrten sie ein:

"Frau Wirtin, hat Sie gut Bier und Wein?
Wo hat Sie Ihr schoenes Toechterlein?"

"Mein Bier und Wein ist frisch und klar. 5
Mein Toechterlein liegt auf der Totenbahr'."

Und als sie traten zur Kammer hinein,
Da lag sie in einem schwarzen Schrein.

Der erste, der schlug den Schleier zurueck
Und schaute sie an mit traurigem Blick: 10

"Ach, lebtest du noch, du schoene Maid!
Ich wuerde dich lieben von dieser Zeit."

Der zweite deckte den Schleier zu,
Und kehrte sich ab und weinte dazu:

"Ach, dass du liegst auf der Totenbahr'! 15
Ich hab' dich geliebet so manches Jahr."

Der dritte hub ihn wieder sogleich
Und kuesste sie an den Mund so bleich:

"Dich liebt' ich immer, dich lieb' ich noch heut
Und werde dich lieben in Ewigkeit." 20

* * * * *

30. DER GUTE KAMERAD

Ich hatt' einen Kameraden,
Einen bessern findst du nit
Die Trommel schlug zum Streite,
Er ging an meiner Seite
In gleichem Schritt und Tritt. 5

Eine Kugel kam geflogen;
Gilt's mir oder gilt es dir?
Ihn hat es weggerissen,
Er liegt mir vor den Fuessen,
Als waer's ein Stueck von mir. 10

Will mir die Hand noch reichen,
Derweil ich eben lad':
"Kann dir die Hand nicht geben;
Bleib du im ew'gen Leben
Mein guter Kamerad!" 15

* * * * *

31. TAILLEFER

Normannenherzog Wilhelm sprach einmal:
"Wer singet in meinem Hof und in meinem Saal?
Wer singet vom Morgen bis in die spaete Nacht
So lieblich, dass mir das Herz im Leibe lacht?"

"Das ist der Taillefer, der so gerne singt 5
Im Hofe, wenn er das Rad am Brunnen schwingt,
Im Saale, wann er das Feuer schueret und facht,
Wann er abends sich legt und wann er morgens erwacht."

Der Herzog sprach: "Ich hab' einen guten Knecht,
Den Taillefer; der dienet mir fromm und recht, 10
Er treibt mein Rad und schueret mein Feuer gut
Und singet so hell; das hoehet mir den Mut."

Da sprach der Taillefer: "Und waer' ich frei,
Viel besser wollt' ich dienen und singen dabei.
Wie wollt' ich dienen dem Herzog hoch zu Pferd! 15
Wie wollt' ich singen und klingen mit Schild und mit Schwert!"

Nicht lange, so ritt der Taillefer ins Gefild
Auf einem hohen Pferde mit Schwert und mit Schild.
Des Herzogs Schwester schaute vom Turm ins Feld;
Sie sprach: "Dort reitet, bei Gott, ein stattlicher Held." 20

Und als er ritt vorueber an Fraeuleins Turm,
Da sang er bald wie ein Luestlein, bald wie ein Sturm.
Sie sprach: "Der singet, das ist eine herrliche Lust;
Es zittert der Turm, und es zittert mein Herz in der Brust."

Der Herzog Wilhelm fuhr wohl ueber das Meer, 25
Er fuhr nach Engelland mit gewaltigem Heer.
Er sprang vom Schiffe, da fiel er auf die Hand;
"Hei," rief er, "ich fass' und ergreife dich, Engelland!"

Als nun das Normannenheer zum Sturme schritt,
Der edle Taillefer vor den Herzog ritt: 30
"Manch Jaehrlein hab' ich gesungen und Feuer geschuert,
Manch Jaehrlein gesungen und Schwert und Lanze geruehrt.

"Und hab' ich Euch gedient und gesungen zu Dank,
Zuerst als ein Knecht und dann als ein Ritter frank,
So lasst mich das entgelten am heutigen Tag, 35
Vergoennet mir auf die Feinde den ersten Schlag!"

Der Taillefer ritt vor allem Normannenheer
Aus einem hohen Pferde mit Schwert und mit Speer;
Er sang so herrlich, das klang ueber Hastingsfeld;
Von Roland sang er und manchem frommen Held. 40

Und als das Rolandslied wie ein Sturm erscholl,
Da wallete manch Panier, manch Herze schwoll,
Da brannten Ritter und Mannen von hohem Mut;
Der Taillefer sang und schuerte das Feuer gut.

Dann sprengt' er hinein und fuehrte den ersten Stoss, 45
Davon ein englischer Ritter zur Erde schoss;
Dann schwang er das Schwert und fuehrte den ersten Schlag,
Davon ein englischer Ritter am Boden lag.

Normannen sahen's, die harrten nicht allzulang,
Sie brachen herein mit Geschrei und mit Schilderklang. 50
Hei, sausende Pfeile, klirrender Schwerterschlag!
Bis Harald fiel und sein trotziges Heer erlag.

Herzog Wilhelm steckte sein Banner aufs blutige Feld,
Inmitten der Toten spannt' er sein Gezelt;
Da sass er am Mahle, den goldnen Pokal in der Hand, 55
Auf dem Haupte die Koenigskrone von Engelland:

"Mein tapfrer Taillefer, komm! trink mir Bescheid!
Du hast mir viel gesungen in Lieb' und in Leid;
Doch heut im Hastingsfelde dein Sang und dein Klang,
Der toenet mir in den Ohren mein Leben lang." 60

* * * * *

32. DES SAENGERS FLUCH

Es stand in alten Zeiten ein Schloss, so hoch und hehr,
Weit glaenzt es ueher die Lande his an das blaue Meer,
Und rings von duft'gen Gaerten ein bluetenreicher Kranz,
Drin sprangen frische Brunnen in Regenbogenglanz.

Dort sass ein stolzer Koenig, an Land und Siegen reich, 5
Er sass auf seinem Throne so finster und so bleich;
Denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wut,
Und was er spricht, ist Geissel, und was er schreibt, ist Blut.

Einst zog nach diesem Schlosse ein edles Saengerpaar,
Der ein' in goldnen Locken, der andre grau von Haar; 10
Der Alte mit der Harfe, der sass auf schmuckem Ross,
Es schritt ihm frisch zur Seite der bluehende Genoss.

Der Alte sprach zum Jungen: "Nun sei bereit, mein Sohn!
Denk unsrer tiefsten Lieder, stimm an den vollsten Ton!
Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz! 15
Es gilt uns heut, zu ruehren des Koenigs steinern Herz."

Schon stehn die beiden Saenger im hohen Saeulensaal,
Und auf dem Throne sitzen der Koenig und sein Gemahl,
Der Koenig furchtbar praechtig wie blut'ger Nordlichtschein,
Die Koenigin suess und milde, als blickte Vollmond drein. 20

Da schlug der Greis die Saiten, er schlug sie wundervoll,
Dass reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll;
Dann stroemte himmlisch helle des Juenglings Stimme vor,
Des Alten Sang dazwischen wie dumpfer Geisterchor.

Sie singen von Lenz und Liebe, von sel'ger goldner Zeit, 25
Von Freiheit, Maennerwuerde, von Treu' und Heiligkeit,
Sie singen von allem Suessen, was Menschenbrust durchbebt,
Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt.

Die Hoeflingsschar im Kreise verlernet jeden Spott,
Des Koenigs trotz'ge Krieger, sie beugen sich vor Gott; 30
Die Koenigin, zerflossen in Wehmut und in Lust,
Sie wirft den Saengern nieder die Rose von ihrer Brust.

"Ihr habt mein Volk verfuehret; verlockt ihr nun mein Weib?"
Der Koenig schreit es wuetend, er bebt am ganzen Leib;
Er wirft sein Schwert, das blitzend des Juenglings Brust 35
durchdringt,
Draus statt der goldnen Lieder ein Blutstrahl hoch aufspringt.

Und wie vom Sturm zerstoben ist all der Hoerer Schwarm.
Der Juengling hat verroechelt in seines Meisters Arm;
Der schlaegt um ihn den Mantel und setzt ihn auf das Ross,
Er bind't ihn aufrecht feste, verlaesst mit ihm das Schloss. 40

Doch vor dem hohen Tore, da haelt der Saengergreis
Da fasst er seine Harfe, sie, aller Harfen Preis,
An einer Marmorsaeule, da hat er sie zerschellt;
Dann ruft er, dass es schaurig durch Schloss und Gaerten gellt:

"Weh euch, ihr stolzen Hallen! Nie toene suesser Klang 45
Durch eure Raeume wieder, nie Saite noch Gesang,
Nein, Seufzer nur und Stoehnen und scheuer Sklavenschritt,
Bis euch zu Schutt und Moder der Rachegeist zertritt!

"Weh euch, ihr duft'gen Gaerten im holden Maienlicht!
Euch zeig' ich dieses Toten entstelltes Angesicht, 50
Dass ihr darob verdorret, dass jeder Quell versiegt,
Dass ihr in kuenft'gen Tagen versteint, veroedet liegt.

"Weh dir, verruchter Moerder! du Fluch des Saengertums!
Umsonst sei all dein Ringen nach Kraenzen blut'gen Ruhms!
Dein Name sei vergessen, in ew'ge Nacht getaucht, 55
Sei wie ein letztes Roecheln in leere Luft verhaucht!"

Der Alte hat's gerufen, der Himmel hat's gehoert,
Die Mauern liegen nieder, die Hallen sind zerstoert;
Noch _eine_ hohe Saeule zeugt von verschwundner Pracht;
Auch diese, schon geborsten, kann stuerzen ueber Nacht. 60

Und rings statt duft'ger Gaerten ein oedes Heideland,
Kein Baum verstreuet Schatten, kein Quell durchdringt den Sand,
Des Koenigs Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch;
Versunken und vergessen! das ist des Saengers Fluch.




Joseph von Eichendorff




33. DER FROHE WANDERSMANN

Wem Gott will rechte Gunst erweisen,
Den schickt er in die weite Welt;
Dem will er seine Wunder weisen
In Berg und Wald und Strom und Feld.

Die Traegen, die zu Hause liegen, 5
Erquicket nicht das Morgenrot;
Sie wissen nur von Kinderwiegen,
Von Sorgen, Last und Not um Brot.

Die Baechlein von den Bergen springen,
Die Lerchen schwirren hoch vor Lust, 10
Was sollt' ich nicht mit ihnen singen
Aus voller Kehl' und frischer Brust?

Den lieben Gott lass' ich nur walten;
Der Baechlein, Lerchen, Wald und Feld
Und Erd' und Himmel will erhalten 15
Hat auch mein' Sach' aufs best' bestellt!

* * * * *

34. DER JAEGER ABSCHIED

Wer hat dich, du schoener Wald
Aufgebaut so hoch da droben?
Wohl den Meister will ich loben,
So lang' noch mein' Stimm' erschallt.
Lebe wohl, 5
Lebe wohl, du schoener Wald!

Tief die Welt verworren schallt,
Oben einsam Rehe grasen,
Und wir ziehen fort und blasen,
Dass es tausendfach verhallt: 10
Lebe wohl,
Lebe wohl, du schoener Wald!

Banner, der so kuehle wallt!
Unter deinen gruenen Wogen
Hast du treu uns auferzogen, 15
Frommer Sagen Aufenthalt!
Lebe wohl,
Lebe wohl, du schoener Wald!

Was wir still gelobt im Wald,
Wollen's draussen ehrlich halten, 20
Ewig bleiben treu die Alten:
Deutsch Panier, das rauschend wallt,
Lebe wohl!
Schirm dich Gott, du schoener Wald!

* * * * *

35. NACHTS

Ich stehe in Waldesschatten
Wie an des Lebens Rand,
Die Laender wie daemmernde Matten,
Der Strom wie ein silbern Band.

Von fern nur schlagen die Glocken 5
Ueber die Waelder herein,
Ein Reh hebt den Kopf erschrocken
Und schlummert gleich wieder ein.

Der Wald aber ruehret die Wipfel
Im Traum von der Felsenwand. 10
Denn der Herr geht ueber die Gipfel
Und segnet das stille Land.

* * * * *

36. FRUEHLINGSDAEMMERUNG

In der stillen Pracht,
In allen frischen Bueschen und Baeumen
Fluestert's wie Traeumen
Die ganze Nacht.
Denn ueber den mondbeglaenzten Laendern 5
Mit langen weissen Gewaendern
Ziehen die schlanken
Wolkenfrau'n wie geheime Gedanken,
Senden von den Felsenwaenden
Hinab die behenden 10
Fruehlingsgesellen, die hellen Waldquellen,
Die's unten bestellen
An die duft'gen Tiefen,
Die gerne noch schliefen.
Nun wiegen und neigen in ahnendem Schweigen 15
Sich alle so eigen
Mit Aehren und Zweigen,
Erzaehlen's den Winden,
Die durch die bluehenden Linden
Vorueber den grasenden Rehen 20
Saeuselnd ueber die Seen gehen,
Dass die Niren verschlafen auftauchen
Und fragen,
Was sie so lieblich hauchen--
Wer mag es wohl sagen? 25

* * * * *

37. ELFE

Bleib bei uns! Wir haben den Tanzplan im Tal
Bedeckt mit Mondesglanze,
Johanneswuermchen erleuchten den Saal,
Die Heimchen spielen zum Tanze.

Die Freude, das schoene leichtglaeubige Kind, 5
Es wiegt sich in Abendwinden:
Wo Silber auf Zweigen und Bueschen rinnt,
Da wirst du die schoenste finden!

* * * * *

38. ABENDLANDSCHAFT

Der Hirt blaest seine Weise,
Von fern ein Schuss noch faellt,
Die Waelder rauschen leise
Und Stroeme tief im Feld.

Nur hinter jenem Huegel 5
Noch spielt der Abendschein--
O haett' ich, haett' ich Fluegel,
Zu fliegen da hinein!

* * * * *

39. DIE NACHT

Nacht ist wie ein stilles Meer,
Lust und Leid und Liebesklagen
Kommen so verworren her
In dem linden Wellenschlagen.

Wuensche wie die Wolken sind, 5
Schiffen durch die stillen Raeume,
Wer erkennt im lauen Wind,
Ob's Gedanken oder Traeume?--

Schliess' ich nun auch Herz und Mund
Die so gern den Sternen klagen: 10
Leise doch im Herzensgrund
Bleibt das linde Wellenschlagen.

* * * * *

40. SEHNSUCHT

Es schienen so golden die Sterne,
Am Fenster ich einsam stand
Und hoerte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land.
Das Herz mir im Leib entbrennte, 5
Da hab' ich mir heimlich gedacht:
Ach, wer da mitreisen koennte
In der praechtigen Sommernacht!

Zwei junge Gesellen gingen
Vorueber am Bergeshang. 10
Ich hoerte im Wandern sie singen
Die stille Gegend entlang:
Von schwindelnden Felsenschlueften,
Wo die Waelder rauschen so sacht,
Von Quellen, die von den Klueften 15
Sich stuerzen in die Waldesnacht.

Sie sangen von Marmorbildern,
Von Gaerten, die ueberm Gestein
In daemmernden Lauben verwildern,
Palaesten im Mondenschein, 20
Wo die Maedchen am Fenster lauschen,
Wann der Lauten Klang erwacht,
Und die Brunnen verschlafen rauschen
In der praechtigen Sommernacht.

* * * * *

41. DAS ZERBROCHENE RINGLEIN

In einem kuehlen Grunde
Da geht ein Muehlenrad,
Mein' Liebste ist verschwunden.
Die dort gewohnet hat.

Sie hat mir Treu' versprochen, 5
Gab mir ein'n Ring dabei,
Sie hat die Treu' gebrochen,
Mein Ringlein sprang entzwei.

Ich moecht' als Spielmann reisen
Weit in die Welt hinaus, 10
Und singen meine Weisen,
Und gehn von Haus zu Haus.

Ich moecht' als Reiter fliegen
Wohl in die blut'ge Schlacht,
Um stille Feuer liegen 15
Im Feld bei dunkler Nacht.

Hoer ich das Muehlrad gehen:
Ich weiss nicht, was ich will--
Ich moecht' am liebsten sterben,
Da waer's auf einmal still. 20

* * * * *

42. FRUEHE

Im Osten graut's, der Nebel faellt,
Wer weiss, wie bald sich's ruehret!
Doch schwer im Schlaf noch ruht die Welt,
Von allem nichts verspueret.

Nur eine fruehe Lerche steigt, 5
Es hat ihr was getraeumet
Vom Lichte, wenn noch alles schweigt,
Das kaum die Hoehen saeumet.

* * * * *

[Illustration: Endymion, by Moritz von Schwind]

* * * * *

43. NACHTS

Ich wandre durch die stille Nacht,
Da schleicht der Mond so heimlich sacht
Oft aus der dunklen Wolkenhuelle,
Und hin und her im Tal
Erwacht die Nachtigall, 5
Dann wieder alles grau und stille.

O wunderbarer Nachtgesang:
Von fern im Land der Stroeme Gang,
Leis Schauern in den dunklen Baeumen--
Wirrst die Gedanken mir, 10
Mein irres Singen hier
Ist wie ein Rufen nur aus Traeumen.

* * * * *

44. MONDNACHT

Es war, als haett' der Himmel
Die Erde still gekuesst,
Dass sie im Bluetenschimmer
Von ihm nun traeumen muesst'.

Die Lust ging durch die Felder, 5
Die Uhren wogten sacht,
Es rauschten leis die Waelder,
So sternklar war die Nacht.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Fluegel aus, 10
Flog durch die stillen Lande,
Als floege sie nach Haus.




FRIEDRICH RUECKERT




45. AUS DER JUGENDZEIT

Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit
Klingt ein Lied mir immerdar;
O wie liegt so weit, o wie liegt so weit,
Was mein einst war!

Was die Schwalbe sang, was die Schwalbe sang, 5
Die den Herbst und Fruehling bringt;
Ob das Dorf entlang, ob das Dorf entlang
Das jetzt noch klingt?

"Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
Waren Kisten und Kasten schwer; 10
Als ich wieder kam, als ich wieder kam,
War alles leer."

O du Kindermund, o du Kindermund,
Unbewusster Weisheit froh,
Vogelsprachekund, vogelsprachekund 15
Wie Salomo!

O du Heimatflur, o du Heimatflur,
Lass zu deinem heil'gen Raum
Mich noch einmal nur, mich noch einmal nur
Entfliehn im Traum! 20

Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
War die Welt mir voll so sehr;
Als ich wieder kam, als ich wieder kam,
War alles leer.

Wohl die Schwalbe kehrt, wohl die Schwalbe kehrt, 25
Und der leere Kasten schwoll,
Ist das Herz geleert, ist das Herz geleert,
Wird's nie mehr voll.

Keine Schwalbe bringt, keine Schwalbe bringt,
Dir zurueck, wonach du weinst; 30
Doch die Schwalbe singt, doch die Schwalbe singt
Im Dorf wie einst:

"Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
Waren Kisten und Kasten schwer;
Als ich wieder kam, als ich wieder kam, 35
War alles leer."




HEINRICH HEINE




46. DIE GRENADIERE

Nach Frankreich zogen zwei Grenadier',
Die waren in Russland gefangen.
Und als sie kamen ins deutsche Quartier,
Sie liessen die Koepfe hangen.

Da hoerten sie beide die traurige Maer': 5
Dass Frankreich verloren gegangen,
Besiegt und zerschlagen das grosse Heer,--
Und der Kaiser, der Kaiser gefangen.

Da weinten zusammen die Grenadier'
Wohl ob der klaeglichen Kunde. 10
Der eine sprach: Wie weh wird mir,
Wie brennt meine alte Wunde!

Der andre sprach: Das Lied ist aus,
Auch ich moecht' mit dir sterben,
Doch hab' ich Weib und Kind zu Haus, 15
Die ohne mich verderben.

Was schert mich Weib, was schert mich Kind!
Ich trage weit bessres Verlangen;
Lass sie betteln gehn, wenn sie hungrig sind,--
Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen! 20

Gewaehr mir, Bruder, eine Bitt':
Wenn ich jetzt sterben werde,
So nimm meine Leiche nach Frankreich mit,
Begrab mich in Frankreichs Erde.

Das Ehrenkreuz am roten Band 25
Sollst du aufs Herz mir legen;
Die Flinte gib mir in die Hand,
Und guert mir um den Degen.

So will ich liegen und horchen still,
Wie eine Schildwach', im Grabe, 30
Bis einst ich hoere Kanonengebruell
Und wiehernder Rosse Getrabe.

Dann reitet mein Kaiser wohl ueber mein Grab,
Viel Schwerter klirren und blitzen;
Dann steig' ich gewaffnet hervor aus dem Grab,-- 35
Den Kaiser, den Kaiser zu schuetzen!

* * * * *

47.

In mein gar zu dunkles Leben
Strahlte einst ein suesses Bild;
Nun das suesse Bild erblichen,
Bin ich gaenzlich nachtumhuellt.

Wenn die Kinder sind im Dunkeln, 5
Wird beklommen ihr Gemuet,
Und um ihre Angst zu bannen,
Singen sie ein lautes Lied.

Ich, ein tolles Kind, ich singe
Jetzo in der Dunkelheit; 10
Klingt das Lied auch nicht ergoetzlich,
Hat's mich doch von Angst befreit.

* * * * *

48.

Ich weiss nicht, was soll es bedeuten,
Dass ich so traurig bin;
Ein Maerchen ans alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Die Luft ist kuehl und es dunkelt, 5
Und ruhig fliesst der Rhein;
Der Gipfel des Berges funkelt
Im Abendsonnenschein.

Die schoenste Jungfrau sitzet
Dort oben wunderbar, 10
Ihr goldnes Geschmeide blitzet,
Sie kaemmt ihr goldenes Haar.

Sie kaemmt es mit goldenem Kamme,
Und singt ein Lied dabei;
Das hat eine wundersame, 15
Gewaltige Melodei.

Den Schiffer im kleinen Schiffe
Ergreift es mit wildem Weh;
Er schaut nicht die Felsenriffe,
Er schaut nur hinauf in die Hoeh'. 20

Ich glaube, die Wellen verschlingen
Am Ende Schiffer und Kahn;
Und das hat mit ihrem Singen
Die Lorelei getan.

* * * * *

49.

Du bist wie eine Blume
So hold und schoen und rein:
Ich schau' dich an, und Wehmut
Schleicht mir ins Herz hinein.

Mir ist, als ob ich die Haende 5
Aufs Haupt dir legen sollt',
Betend, dass Gott dich erhalte
So rein und schoen und hold.

* * * * *

50.

Auf Fluegeln des Gesanges,
Herzliebchen, trag' ich dich fort,
Fort nach den Fluren des Ganges,
Dort weiss ich den schoensten Ort.

Dort liegt ein rotbluehender Garten 5
Im stillen Mondenschein;
Die Lotosblumen erwarten
Ihr trautes Schwesterlein.

Die Veilchen kichern und kosen,
Und schaun nach den Sternen empor; 10
Heimlich erzaehlen die Rosen
Sich duftende Maerchen ins Ohr.

Es huepfen herbei und lauschen
Die frommen, klugen Gazell'n;
Und in der Ferne rauschen 15
Des heiligen Stromes Well'n.

Dort wollen wir niedersinken
Unter dem Palmenbaum,
Und Liebe und Ruhe trinken


 


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