A Book Of German Lyrics
by
Various

Part 2 out of 6



Und traeumen seligen Traum. 20

* * * * *

51.

Die Lotosblume aengstigt
Sich vor der Sonne Pracht,
Und mit gesenktem Haupte
Erwartet sie traeumend die Nacht.

Der Mond, der ist ihr Buhle, 5
Er weckt sie mit seinem Licht,
Und ihm entschleiert sie freundlich
Ihr frommes Blumengesicht.

Sie blueht und glueht und leuchtet,
Und starret stumm in die Hoeh'; 10
Sie duftet und weinet und zittert
Vor Liebe und Liebesweh.

* * * * *

52.

Ein Fichtenbaum steht einsam
Im Norden auf kahler Hoeh'.
Ihn schlaefert; mit weisser Decke
Umhuellen ihn Eis und Schnee.

Er traeumt von einer Palme, 5
Die fern im Morgenland
Einsam und schweigend trauert
Auf brennender Felsenwand.

* * * * *

53.

Mein Liebchen, wir sassen beisammen,
Traulich im leichten Kahn.
Die Nacht war still, und wir schwammen
Auf weiter Wasserbahn.

Die Geisterinsel, die schoene, 5
Lag daemmrig im Mondenglanz;
Dort klangen liebe Toene,
Und wogte der Nebeltanz.

Dort klang es lieb und lieber,
Und wogt' es hin und her; 10
Wir aber schwammen vorueber
Trostlos auf weitem Meer.

* * * * *

54.

Ein Juengling liebt ein Maedchen,
Die hat einen aendern erwaehlt;
Der andre liebt eine andre,
Und hat sich mit dieser vermaehlt.

Das Maedchen heiratet aus Aerger 5
Den ersten besten Mann,
Der ihr in den Weg gelaufen;
Der Juengling ist uebel dran.

Es ist eine alte Geschichte,
Doch bleibt sie immer neu; 10
Und wem sie just passieret,
Dem bricht das Herz entzwei.

* * * * *

[Illustration: Das Schweigen im Walde, by Arnold Boecklin]

* * * * *

55.

Daemmernd liegt der Sommerabend
Ueber Wald und gruenen Wiesen;
Goldner Mond im blauen Himmel
Strahlt herunter, duftig labend.

An dem Bache zirpt die Grille, 5
Und es regt sich in dem Wasser,
Und der Wandrer hoert ein Plaetschern
Und ein Atmen in der Stille.

Dorten, an dem Bach alleine
Badet sich die schoene Elfe; 10
Arm und Nacken, weiss und lieblich,
Schimmern in dem Mondenscheine.

* * * * *

56.

Es faellt ein Stern herunter
Aus seiner funkelnden Hoeh'!
Das ist der Stern der Liebe,
Den ich dort fallen seh'.

Es fallen vom Apfelbaume 5
Der Blueten und Blaetter viel
Es kommen die neckenden Luefte
Und treiben damit ihr Spiel.

Es singt der Schwan im Weiher
Und rudert auf und ab, 10
Und immer leiser singend
Taucht er ins Flutengrab.

Es ist so still und dunkel!
Verweht ist Blatt und Bluet',
Der Stern ist knisternd zerstoben, 15
Verklungen das Schwanenlied.

* * * * *

57.

Der Tod, das ist die kuehle Nacht,
Das Leben ist der schwuele Tag.
Es dunkelt schon, mich schlaefert,
Der Tag hat mich mued' gemacht.

Ueber mein Bett erhebt sich ein Baum 5
Drin singt die junge Nachtigall;
Sie singt von lauter Liebe,
Ich hoer' es sogar im Traum.

* * * * *

58.

"Sag, wo ist dein schoenes Liebchen,
Das du einst so schoen besungen,
Als die zaubermaecht'gen Flammen
Wunderbar dein Herz durchdrungen?"

Jene Flammen sind erloschen 5
Und mein Herz ist kalt und truebe,
Und dies Buechlein ist die Urne
Mit der Asche meiner Liebe.

* * * * *

59. FRIEDEN

Hoch am Himmel stand die Sonne
Von weissen Wolken umwogt,
Das Meer war still,
Und sinnend lag ich am Steuer des Schiffes,
Traeumerisch sinnend--und, halb im Wachen 5
Und halb im Schlummer, schaute ich Christus,
Den Heiland der Welt.
Im wallend weissen Gewande
Wandelt' er riesengross
Ueber Land und Meer; 10
Es ragte sein Haupt in den Himmel,
Die Haende streckte er segnend
Ueber Land und Meer;
Und als ein Herz in der Brust
Trug er die Sonne, 15
Die rote, flammende Sonne;
Und das rote, flammende Sonnenherz
Goss seine Gnadenstrahlen
Und sein holdes, liebseliges Licht,
Erleuchtend und waermend 20
Ueber Land und Meer.

Glockenklaenge zogen feierlich
Hin und her, zogen wie Schwaene,
An Rosenbaendern, das gleitende Schiff,
Und zogen es spielend ans gruene Ufer, 25
Wo Menschen wohnen, in hochgetuermter
Ragender Stadt.

O Friedenswunder! Wie still die Stadt!
Es ruhte das dumpfe Geraeusch
Der schwatzenden, schwuelen Gewerbe, 30
Und durch die reinen, hallenden Strassen
Wandelten Menschen, weissgekleidete,
Palmzweig-tragende,
Und wo sich zwei begegneten,
Sah'n sie sich an, verstaendnisinnig, 35
Und schauernd in Liebe und suesser Entsagung
Kuessten sie sich auf die Stirne.
Und schauten hinauf
Nach des Heilands Sonnenherzen,
Das freudig versoehnend sein rotes Blut 40
Hinunterstrahlte.
Und dreimalselig sprachen sie:
"Gelobt sei Jesus Christ!"

* * * * *

60.

Leise zieht durch mein Gemuet
Liebliches Gelaeute.
Klinge, kleines Fruehlingslied,
Kling hinaus ins Weite.

Kling hinaus, bis an das Haus, 5
Wo die Blumen spriessen.
Wenn du eine Rose schaust,
Sag, ich lass' sie gruessen.

* * * * *

61.

Es war ein alter Koenig,
Sein Herz war schwer, sein Haupt war grau;
Der arme alte Koenig,
Er nahm eine junge Frau.

Es war ein schoener Page, 5
Blond war sein Haupt, leicht war sein Sinn;
Er trug die seidne Schleppe
Der jungen Koenigin.

Kennst du das alte Liedchen?
Es klingt so suess, es klingt so trueb'! 10
Sie mussten beide sterben,
Sie hatten sich viel zu lieb.

* * * * *

62.

Es ziehen die brausenden Wellen
Wohl nach dem Strand;
Sie schwellen und zerschellen
Wohl auf dem Sand.

Sie kommen gross und kraeftig 5
Ohn' Unterlass;
Sie werden endlich heftig--
Was hilft uns das?

* * * * *

63.

Es ragt ins Meer der Runenstein,
Da sitz' ich mit meinen Traeumen.
Es pfeift der Wind, die Moewen schrein,
Die Wellen, die wandern und schaeumen.

Ich habe geliebt manch schoenes Kind 5
Und manchen guten Gesellen--
Wo sind sie hin? Es pfeift der Wind,
Es schaeumen und wandern die Wellen.

* * * * *

64. IN DER FREMDE

Ich hatte einst ein schoenes Vaterland.
Der Eichenbaum
Wuchs dort so hoch, die Veilchen nickten sanft.
Es war ein Traum.

Das kuesste mich auf deutsch und sprach auf deutsch 5
(Man glaubt es kaum,
Wie gut es klang) das Wort: "Ich liebe dich!"
Es war ein Traum.

* * * * *

65. WO?

Wo wird einst des Wandermueden
Letzte Ruhestaette sein?
Unter Palmen in dem Sueden?
Unter Linden an dem Rhein?

Werd' ich wo in einer Wueste 5
Eingescharrt von fremder Hand?
Oder ruh' ich an der Kueste
Eines Meeres in dem Sand?

Immerhin! Mich wird umgeben
Gotteshimmel, dort wie hier, 10
Und als Totenlampen schweben
Nachts die Sterne ueber mir.




AUGUST, GRAF VON PLATEN




66. DAS GRAB IM BUSENTO

Naechtlich am Busento lispeln bei Cosenza dumpfe Lieder;
Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt
es wieder!

Und den Fluss hinauf, hinunter ziehn die Schatten tapfrer
Goten,
Die den Alarich beweinen, ihres Volkes besten Toten.

Allzufrueh und fern der Heimat mussten hier sie ihn begraben, 5
Waehrend noch die Jugendlocken seine Schulter blond umgaben.

Und am Ufer des Busento reihten sie sich um die Wette,
Um die Stroemung abzuleiten, gruben sie ein frisches Bette.

In der wogenleeren Hoehlung wuehlten sie empor die Erde,
Senkten tief hinein den Leichnam, mit der Ruestung, auf 10
dem Pferde.

Deckten dann mit Erde wieder ihn und seine stolze Habe,
Dass die hohen Stromgewaechse wuechsen ans dem Heldengrabe.

Abgelenkt zum zweiten Male, ward der Fluss herbeigezogen:
Maechtig in ihr altes Bette schaeumten die Busentowogen.

Und es sang ein Chor von Maennern: "Schlaf in deinen 15
Heldenehren!
Keines Roemers schnoede Habsucht soll dir je dein Grab
versehren!"

Sangen's, und die Lobgesaenge toenten fort im Gotenheere;
Waelze sie, Busentowelle, waelze sie von Meer zu Meere!

* * * * *

67.

Im Wasser wogt die Lilie, die blanke, hin und her,
Doch irrst du, Freund, sobald du sagst, sie schwanke hin und her:
Es wurzelt ja so fest ihr Fuss im tiefen Meeresgrund,
Ihr Haupt nur wiegt ein lieblicher Gedanke hin und her!

* * * * *

68.

Wie rafft' ich mich auf in der Nacht, in der Nacht,
Und fuehlte mich fuerder gezogen,
Die Gassen verliess ich, vom Waechter bewacht,
Durchwandelte sacht
In der Nacht, in der Nacht, 5
Das Tor mit dem gotischen Bogen.

Der Muehlbach rauschte durch felsigen Schacht,
Ich lehnte mich ueber die Bruecke,
Tief unter mir nahm ich der Wogen in acht,
Die wallten so sacht 10
In der Nacht, in der Nacht,
Doch wallte nicht eine zuruecke.

Es drehte sich oben, unzaehlig entfacht,
Melodischer Wandel der Sterne,
Mit ihnen der Mond in beruhigter Pracht, 15
Sie funkelten sacht
In der Nacht, in der Nacht,
Durch taeuschend entlegene Ferne.

Ich blickte hinauf in der Nacht, in der Nacht,
Ich blickte hinunter aufs neue: 20
O wehe, wie hast du die Tage verbracht,
Nun stille du sacht
In der Nacht, in der Nacht,
Im pochenden Herzen die Reue!

* * * * *

69.

Ich moechte, wann ich sterbe, wie die lichten
Gestirne schnell und unbewusst erbleichen,
Erliegen moecht' ich einst des Todes Streichen,
Wie Sagen uns vom Pindaros berichten.

Ich will ja nicht im Leben oder Dichten 5
Den grossen Unerreichlichen erreichen,
Ich moecht', o Freund, ihm nur im Tode gleichen;
Doch hoere nun die schoenste der Geschichten!

Er sass im Schauspiel, vom Gesang beweget,
Und hatte, der ermuedet war, die Wangen 10
Auf seines Lieblings schoenes Knie geleget:

Als nun der Choere Melodien verklangen,
Will wecken ihn, der ihn so sanft geheget,
Doch zu den Goettern war er heimgegangen.




NIKOLAUS LENAU




70. BITTE

Weil' auf mir, du dunkles Auge,
Uebe deine ganze Macht,
Ernste, milde, traeumerische,
Unergruendlich suesse Nacht!

Nimm mit deinem Zauberdunkel 5
Diese Welt von hinnen mir,
Dass du ueber meinem Leben
Einsam schwebest fuer und fuer.

* * * * *

71. SCHILFLIED

Auf dem Teich, dem regungslosen,
Weilt des Mondes holder Glanz,
Flechtend seine bleichen Rosen
In des Schilfes gruenen Kranz.

Hirsche wandeln dort am Huegel, 5
Blicken in die Nacht empor;
Manchmal regt sich das Gefluegel
Traeumerisch im tiefen Rohr.

Weinend muss mein Blick sich senken;
Durch die tiefste Seele geht 10
Mir ein suesses Deingedenken
Wie ein stilles Nachtgebet!

* * * * *

72. DER EICHWALD

Ich trat in einen heilig duestern
Eichwald, da hoert' ich leis' und lind
Ein Baechlein unter Blumen fluestern,
Wie das Gebet von einem Kind;

Und mich ergriff ein suesses Grauen, 5
Es rauscht' der Wald geheimnisvoll,
Als moecht' er mir was anvertrauen,
Das noch mein Herz nicht wissen soll;

Als moecht' er heimlich mir entdecken,
Was Gottes Liebe sinnt und will: 10
Doch schien er ploetzlich zu erschrecken
Vor Gottes Naeh'--und wurde still.

* * * * *

73. DER POSTILLION

Lieblich war die Maiennacht,
Silberwoelklein flogen,
Ob der holden Fruehlingspracht
Freudig hingezogen.

Schlummernd lagen Wies' und Hain, 5
Jeder Pfad verlassen;
Niemand als der Mondenschein
Wachte auf der Strassen.

Leise nur das Lueftchen sprach,
Und es zog gelinder 10
Durch das stille Schlafgemach
All der Fruehlingskinder.

Heimlich nur das Baechlein schlich,
Denn der Blueten Traeume
Dufteten gar wonniglich 15
Durch die stillen Raeume.

Rauher war mein Postillion,
Liess die Geissel knallen,
Uber Berg und Tal davon
Frisch sein Horn erschallen. 20

Und von flinken Rossen vier
Scholl der Hufe Schlagen,
Die durchs bluehende Revier
Trabten mit Behagen.

Wald und Flur im schnellen Zug 25
Kaum gegruesst--gemieden;
Und vorbei, wie Traumesflug,
Schwand der Doerfer Frieden.

Mitten in dem Maienglueck
Lag ein Kirchhof innen, 30
Der den raschen Wanderblick
Hielt zu ernstem Sinnen.

Hingelehnt an Bergesrand
War die bleiche Mauer,
Und das Kreuzbild Gottes stand 35
Hoch, in stummer Trauer.

Schwager ritt aus seiner Bahn
Stiller jetzt und trueber;
Und die Rosse hielt er an,
Sah zum Kreuz hinueber: 40

"Halten muss hier Ross und Rad,
Mag's Euch nicht gefaehrden;
Drueben liegt mein Kamerad
In der kuehlen Erden!

"Ein gar herzlieber Gesell! 45
Herr, 's ist ewig schade!
Keiner blies das Horn so hell,
Wie mein Kamerade!

"Hier ich immer halten muss,
Dem dort unterm Rasen 50
Zum getreuen Brudergruss
Sein Leiblied zu blasen!"

Und dem Kirchhof sandt' er zu
Frohe Wandersaenge,
Dass es in die Grabesruh' 55
Seinem Bruder draenge.

Und des Hornes heller Ton
Klang vom Berge wieder,
Ob der tote Postillion
Stimmt' in seine Lieder.-- 60

Weiter ging's durch Feld und Hag
Mit verhaengtem Zuegel;
Lang mir noch im Ohre lag
Jener Klang vom Huegel.

* * * * *

74. DIE DREI

Drei Reiter nach verlorner Schlacht,
Wie reiten sie so sacht, so sacht!

Aus tiefen Wunden quillt das Blut,
Es spuert das Ross die warme Flut.

Vom Sattel tropft das Blut, vom Zaum, 5
Und spuelt hinunter Staub und Schaum.

Die Rosse schreiten sanft und weich,
Sonst floess' das Blut zu rasch, zu reich.

Die Reiter reiten dicht gesellt,
Und einer sich am andern haelt. 10

Sie sehn sich traurig ins Gesicht,
Und einer um den andern spricht:

"Mir blueht daheim die schoenste Maid,
Drum tut mein frueher Tod mir leid."

"Hab' Haus und Hof und gruenen Wald, 15
Und sterben muss ich hier so bald!"

"Den Blick hab' ich in Gottes Welt,
Sonst nichts, doch schwer mir's Sterben faellt."

Und lauernd auf den Todesritt
Ziehn durch die Luft drei Geier mit. 20

Sie teilen kreischend unter sich:
"Den speisest du, den du, den ich".

* * * * *

75. DER OFFENE SCHRANK

Mein liebes Muetterlein war verreist,
Und kehrte nicht heim, und lag in der Grube;
Da war ich allein und recht verwaist.
Und traurig trat ich in ihre Stube.

Ihr Schrank stand offen, ich fand ihn noch heut', 5
Wie sie, abreisend, ihn eilig gelassen.
Wie alles man durcheinander streut
Wenn vor der Tuer die Pferde schon passen.

Ein aufgeschlagnes Gebetbuch lag
Bei mancher Rechnung, von ihr geschrieben; 10
Von ihrem Fruehstueck am Scheidetag
War noch ein Stuecklein Kuchen geblieben.

Ich las das aufgeschlagne Gebet,
Es war: wie eine Mutter um Segen
Fuer ihre Kinder zum Himmel fleht; 15
Mir pochte das Herz in bangen Schlaegen.

Ich las ihre Schrift, und ich verbiss
Nicht laenger meine gerechten Schmerzen,
Ich las die Zahlen, und ich zerriss
Die Freudenrechnung in meinem Herzen. 20

Zusammen sucht' ich den Speiserest,
Das kleinste Kruemlein, den letzten Splitter,
Und haett' es mir auch den Hals gepresst,
Ich ass vom Kuchen und weinte bitter.

* * * * *

76. AUF EINE HOLLAENDISCHE LANDSCHAFT

Muede schleichen hier die Baeche,
Nicht ein Lueftchen hoerst du wallen,
Die entfaerbten Blaetter fallen
Still zu Grund', vor Altersschwaeche.

Kraehen, kaum die Schwingen regend, 5
Streichen langsam; dort am Huegel
Laesst die Windmuehl' ruhn die Fluegel;
Ach, wie schlaefrig ist die Gegend!

Lenz und Sommer sind verflogen;
Dort das Huettlein, ob es trutze, 10
Blickt nicht aus, die Strohkapuze
Tief ins Aug' herabgezogen.

Schlummernd, oder traege sinnend,
Ruht der Hirt bei seinen Schafen,
Die Natur, Herbstnebel spinnend, 15
Scheint am Rocken eingeschlafen.

* * * * *

77. STIMME DES REGENS

Die Luefte rasten auf der weiten Heide,
Die Disteln sind so regungslos zu schauen,
So starr, als waeren sie aus Stein gehauen,
Bis sie der Wandrer streift mit seinem Kleide.

Und Erd' und Himmel haben keine Scheide, 5
In eins gefallen sind die nebelgrauen,
Zwei Freunden gleich, die sich ihr Leid vertrauen,
Und mein und dein vergessen traurig beide.

Nun ploetzlich wankt die Distel hin und wieder,
Und heftig rauschend bricht der Regen nieder, 10
Wie laute Antwort auf ein stummes Fragen.

Der Wandrer hoert den Regen niederbrausen,
Er hoert die windgepeitschte Distel sausen,
Und eine Wehmut fuehlt er, nicht zu sagen.

* * * * *

78. HERBST

Rings ein Verstummen, ein Entfaerben:
Wie sanft den Wald die Luefte streicheln,
Sein welkes Laub ihm abzuschmeicheln;
Ich liebe dieses milde Sterben.

Von hinnen geht die stille Reise, 5
Die Zeit der Liebe ist verklungen,
Die Voegel haben ausgesungen,
Und duerre Blaetter sinken leise.

Die Voegel zogen nach dem Sueden,
Aus dem Verfall des Laubes tauchen 10
Die Nester, die nicht Schutz mehr brauchen,
Die Blaetter fallen stets, die mueden.

In dieses Waldes leisem Rauschen
Ist mir, als hoer' ich Kunde wehen,
Dass alles Sterben und Vergehen 15
Nur heimlich still vergnuegtes Tauschen.




EDUARD MOERIKE




79. UM MITTERNACHT

Gelassen stieg die Nacht ans Land,
Lehnt traeumend an der Berge Wand;
Ihr Auge sieht die goldne Wage nun
Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn.
Und kecker rauschen die Quellen hervor, 5
Sie singen der Mutter, der Nacht, ins Ohr
Vom Tage,
Vom heute gewesenen Tage.

Das uralt alte Schlummerlied--
Sie achtet's nicht, sie ist es mued'; 10
Ihr klingt des Himmels Blaeue suesser noch,
Der fluecht'gen Stunden gleichgeschwung'nes Joch.
Doch immer behalten die Quellen das Wort,
Es singen die Wasser im Schlafe noch fort
Vom Tage, 15
Vom heute gewesenen Tage.

* * * * *

80. SEPTEMBERMORGEN

Im Nebel ruhet noch die Welt,
Noch traeumen Wald und Wiesen:
Bald siehst du, wenn der Schleier faellt,
Den blauen Himmel unverstellt,
Herbstkraeftig die gedaempfte Welt 5
In warmem Golde fliessen.

* * * * *

[Illustration: Flora, die Blumen weckend, by Arnold Boecklin]

* * * * *

81. ER IST'S

Fruehling laesst sein blaues Band
Wieder flattern durch die Luefte;
Suesse, wohlbekannte Duefte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen traeumen schon, 5
Wollen balde kommen.--
Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Fruehling, ja du bist's!
Dich hab' ich vernommen!

* * * * *

82. IN DER FRUEHE

Kein Schlaf noch kuehlt das Auge mir,
Dort gehet schon der Tag herfuer
An meinem Kammerfenster.
Es wuehlet mein verstoerter Sinn
Noch zwischen Zweifeln her und hin 5
Und schaffet Nachtgespenster.--
Aengste, quaele
Dich nicht laenger, meine Seele!
Freu dich! schon sind da und dorten
Morgenglocken wach geworden. 10

* * * * *

83. DER FEUERREITER

Sehet ihr am Fensterlein
Dort die rote Muetze wieder?
Nicht geheuer muss es sein,
Denn er geht schon auf und nieder.
Und auf einmal welch Gewuehle 5
Bei der Bruecke, nach dem Feld!
Horch! das Feuergloecklein gellt:
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Brennt es in der Muehle. 10

Schaut! da sprengt er wuetend schier
Durch das Tor, der Feuerreiter,
Auf dem rippenduerren Tier,
Als auf einer Feuerleiter.
Querfeldein! Durch Qualm und Schwuele 15
Rennt er schon und ist am Ort!
Drueben schallt es fort und fort:
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Brennt es in der Muehle. 20

Der so oft den roten Hahn
Meilenweit von fern gerochen
Mit des heil'gen Kreuzes Span
Freventlich die Glut besprochen--
Weh! dir grinst vom Dachgestuehle 25
Dort der Feind im Hoellenschein.
Gnade Gott der Seele dein!
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Rast er in der Muehle. 30

Keine Stunde hielt es an,
Bis die Muehle borst in Truemmer;
Doch den kecken Reitersmann
Sah man von der Stunde nimmer.
Volk und Wagen im Gewuehle 35
Kehren heim von all dem Graus
Auch das Gloecklein klinget aus:
Hinterm Berg,
Hinterm Berg
Brennt's-- 40

Nach der Zeit ein Mueller fand
Ein Gerippe samt der Muetzen
Aufrecht an der Kellerwand
Auf der beinern Maehre sitzen.
Feuerreiter, wie so kuehle 45
Reitest du in deinem Grab!
Husch! da faellt's in Asche ab.
Ruhe wohl,
Ruhe wohl
Drunten in der Muehle! 50

* * * * *

84. DAS VERLASSENE MAEGDLEIN

Frueh, wann die Haehne kraehn,
Eh' die Sternlein verschwinden,
Muss ich am Herde stehn,
Muss Feuer zuenden.

Schoen ist der Flammen Schein, 5
Es springen die Funken;
Ich schaue so drein,
In Leid versunken.

Ploetzlich da kommt es mir,
Treuloser Knabe, 10
Dass ich die Nacht von dir
Getraeumet habe.

Traene auf Traene dann
Stuerzet hernieder:
So kommt der Tag heran-- 15
O ging' er wieder!

* * * * *

85. LEBEWOHL

"Lebe wohl!"--Du fuehlest nicht,
Was es heisst, dies Wort der Schmerzen;
Mit getrostem Angesicht
Sagtest du's und leichtem Herzen.

Lebe wohl!--Ach, tausendmal 5
Hab' ich mir es vorgesprochen,
Und in nimmersatter Qual
Mir das Herz damit gebrochen!

* * * * *

86. SCHOEN-ROHTRAUT

Wie heisst Koenig Ringangs Toechterlein?
Rohtraut, Schoen-Rohtraut.
Was tut sie denn den ganzen Tag,
Da sie wohl nicht spinnen und naehen mag?
Tut fischen und jagen. 5
O dass ich doch ihr Jaeger waer'!
Fischen und Jagen freute mich sehr.--
Schweig stille, mein Herze!

Und ueber eine kleine Weil',
Rohtraut, Schoen-Rohtraut, 10
So dient der Knab' auf Ringangs Schloss
In Jaegertracht und hat ein Ross,
Mit Rohtraut zu jagen.
O dass ich doch ein Koenigssohn waer'!
Rohtraut, Schoen-Rohtraut lieb' ich so sehr.-- 15
Schweig stille, mein Herze!

Einstmals sie ruhten am Eichenbaum,
Da lacht Schoen-Rohtraut:
"Was siehst mich an so wunniglich?
Wenn du das Herz hast, kuesse mich!" 20
Ach, erschrak der Knabe!
Doch denket er: Mir ist's vergunnt,
Und kuesset Schoen-Rohtraut auf den Mund.--
Schweig stille, mein Herze!

Darauf sie ritten schweigend heim, 25
Rohtraut, Schoen-Rohtraut;
Es jauchzt der Knab' in seinem Sinn:
Und wuerdst du heute Kaiserin,
Mich sollt's nicht kraenken!
Ihr tausend Blaetter im Walde, wisst! 30
Ich hab' Schoen-Rohtrauts Mund gekuesst--
Schweig stille, mein Herze!

* * * * *

87. AUF EINE LAMPE

Noch unverrueckt, o schoene Lampe, schmueckest du,
An leichten Ketten zierlich aufgehangen hier,
Die Decke des nun fast vergessnen Lustgemachs.
Auf deiner weissen Marmorschale, deren Rand
Der Efeukranz von goldengruenem Erz umflicht, 5
Schlingt froehlich eine Kinderschar den Ringelreihn.
Wie reizend alles! lachend und ein sanfter Geist
Des Ernstes doch ergossen um die ganze Form:
Ein Kunstgebild der echten Art. Wer achtet sein?
Was aber schoen ist, selig scheint es in ihm selbst. 10

* * * * *

88. GEBET

Herr, schicke, was du willt,
Ein Liebes oder Leides!
Ich bin vergnuegt, dass beides
Aus deinen Haenden quillt.

Wollest mit Freuden 5
Und wollest mit Leiden
Mich nicht ueberschuetten!
Doch in der Mitten
Liegt holdes Bescheiden.

* * * * *

89. DENK' ES, O SEELE

Ein Taennlein gruenet wo,
Wer weiss? im Walde,
Ein Rosenstrauch, wer sagt,
In welchem Garten?
Sie sind erlesen schon-- 5
Denk' es, o Seele!--
Auf deinem Grab zu wurzeln
Und zu wachsen.

Zwei schwarze Roesslein weiden
Auf der Wiese, 10
Sie kehren heim zur Stadt
In muntern Spruengen.
Sie werden schrittweis gehn
Mit deiner Leiche,
Vielleicht, vielleicht noch eh' 15
An ihren Hufen
Das Eisen los wird,
Das ich blitzen sehe.




FRIEDRICH HEBBEL




90. NACHTLIED

Quellende, schwellende Nacht,
Voll von Lichtern und Sternen
In den ewigen Fernen,
Sage, was ist da erwacht?

Herz in der Brust wird beengt, 5
Steigendes, neigendes Leben,
Riesenhaft fuehle ich's weben,
Welches das meine verdraengt.

Schlaf, da nahst du dich leis,
Wie dem Kinde die Amme, 10
Und um die duerftige Flamme
Ziehst du den schuetzenden Kreis.

* * * * *

91. DAS KIND

Die Mutter lag im Totenschrein,
Zum letztenmal geschmueckt;
Da spielt das kleine Kind herein,
Das staunend sie erblickt.

Die Blumenkron' im blonden Haar 5
Gefaellt ihm gar zu sehr,
Die Busenblumen, bunt und klar,
Zum Strauss gereiht, noch mehr.

Und sanft und schmeichelnd ruft es aus:
"Du liebe Mutter, gib 10
Mir eine Blum' aus deinem Strauss,
Ich hab' dich auch so lieb."

Und als die Mntter es nicht tut,
Da denkt das Kind fuer sich:
"Sie schlaeft, doch wenn sie ausgeruht, 15
So tut sie's sicherlich."

Schleicht fort, so leis' es immer kann,
Und schliesst die Tuere sacht
Und lauscht von Zeit zu Zeit daran,
Ob Mutter noch nicht wacht. 20

* * * * *

92. NACHTGEFUEHL

Wenn ich mich abends entkleide,
Gemachsam, Stueck fuer Stueck,
So tragen die mueden Gedanken
Mich vorwaerts oder zurueck.

Ich denke der alten Tage, 5
Da zog die Mutter mich aus;
Sie legte mich still in die Wiege,
Die Winde brausten ums Haus.

Ich denke der letzten Stunde,
Da werden's die Nachbarn tun; 10
Sie senken mich still in die Erde,
Da werd' ich lange ruhn.

Schliesst nun der Schlaf mein Auge,
Wie traeum' ich oftmals das:
Es waere eins von beidem, 15
Nur wuesst' ich selber nicht, was.

* * * * *

93. GEBET

Die du, ueber die Sterne weg,
Mit der geleerten Schale
Ausschwebst, um sie am ew'gen Born
Eilig wieder zu fuellen:
Einmal schwenke sie noch, o Glueck, 5
Einmal, laechelnde Goettin!
Sieh, ein einziger Tropfen haengt
Noch verloren am Rande,
Und der einzige Tropfen genuegt,
Eine himmlische Seele, 10
Die hier unten in Schmerz erstarrt,
Wieder in Wonne zu loesen.
Ach! sie weint dir suesseren Dank,
Als die anderen alle,
Die du gluecklich und reich gemacht; 15
Lass ihn fallen, den Tropfen!

* * * * *

94. ABENDGEFUEHL

Friedlich bekaempfen
Nacht sich und Tag.
Wie das zu daempfen,
Wie das zu loesen vermag!

Der mich bedrueckte, 5
Schlaefst du schon, Schmerz?
Was mich beglueckte,
Sage, was war's doch, mein Herz?

Freude wie Kummer,
Fuehl' ich, zerrann, 10
Aber den Schlummer
Fuehrten sie leise heran.

Und im Entschweben,
Immer empor,
Kommt mir das Leben 15
Ganz wie ein Schlummerlied vor.

* * * * *

95. ICH UND DU

Wir traeumten von einander
Und sind davon erwacht,
Wir leben, um uns zu lieben,
Und sinken zurueck in Nacht.

Du tratst aus meinem Traume, 5
Aus deinem trat ich hervor,
Wir sterben, wenn sich eines
Im andern ganz verlor.

Auf einer Lilie zittern
Zwei Tropfen, rein und rund, 10
Zerfliessen in eins und rollen
Hinab in des Kelches Grund.

* * * * *

96. SOMMERBILD

Ich sah des Sommers letzte Rose stehn,
Sie war, als ob sie bluten koenne, rot;
Da sprach ich schauernd im Voruebergehn:
"So weit im Leben ist zu nah' am Tod."

Es regte sich kein Hauch am heissen Tag, 5
Nur leise strich ein weisser Schmetterling;
Doch ob auch kaum die Luft sein Fluegelschlag
Bewegte, sie empfand es und verging.

* * * * *

97. HERBSTBILD

Dies ist ein Herbsttag, wie ich keinen sah!
Die Luft ist still, als atmete man kaum.
Und dennoch fallen, raschelnd, fern und nah,
Die schoensten Fruechte ab von jedem Banm.

O stoert sie nicht, die Feier der Natur! 5
Dies ist die Lese, die sie selber haelt,
Denn heute loest sich von den Zweigen nur,
Was vor dem milden Strahl der Sonne faellt.

* * * * *

[Illustration: VITA SOMNIUM BREVE, by Arnold Boecklin]

* * * * *

98. DER LETZTE BAUM

So wie die Sonne untergeht,
Gibt's einen letzten Baum,
Der wie in Morgenflammen steht
Am fernsten Himmelsraum.

Es ist ein Baum und weiter nichts,^ 5
Doch denkt man in der Nacht
Des letzten wunderbaren Lichts,
So wird auch sein gedacht.

Auf gleiche Weise denk' ich dein,
Nun mich die Jugend laesst, 10
Du haeltst mir ihren letzten Schein
Fuer alle Zeiten fest.




GOTTFRIED KELLER




99. AN DAS VATERLAND

O mein Heimatland! O mein Vaterland!
Wie so innig, feurig lieb' ich dich!
Schoenste Ros', ob jede mir verblich,
Duftest noch an meinem oeden Strand!

Als ich arm, doch froh, fremdes Land durchstrich, 5
Koenigsglanz mit deinen Bergen mass,
Thronenflitter bald ob dir vergass,
Wie war da der Bettler stolz auf dich!

Als ich fern dir war, o Helvetia!
Fasste manchmal mich ein tiefes Leid; 10
Doch wie kehrte schnell es sich in Freud',
Wenn ich einen deiner Soehne sah!

O mein Schweizerland, all mein Gut und Hab'
Wann dereinst die letzte Stunde kommt,
Ob ich Schwacher dir auch nichts gefrommt, 15
Nicht versage mir ein stilles Grab!

Werf' ich von mir einst dies mein Staubgewand,
Beten will ich dann zu Gott dem Herrn:
"Lasse strahlen deinen schoensten Stern
Nieder auf mein irdisch Vaterland!" 20

* * * * *

100. WINTERNACHT

Nicht ein Fluegelschlag ging durch die Welt,
Still und blendend lag der weisse Schnee.
Nicht ein Woelklein hing am Sternenzelt,
Keine Welle schlug im starren See.

Aus der Tiefe stieg der Seebaum auf, 5
Bis sein Wipfel in dem Eis gefror;
An den Aesten klomm die Nix' herauf,
Schaute durch das gruene Eis empor.

Auf dem duennen Glase stand ich da,
Das die schwarze Tiefe von mir schied; 10
Dicht ich unter meinen Fuessen sah
Ihre weisse Schoenheit, Glied um Glied.

Mit ersticktem Jammer tastet sie
An der harten Decke her und hin,
Ich vergess' das dunkle Antlitz nie, 15
Immer, immer liegt es mir im Sinn.

* * * * *

101. ABENDLIED

Augen, meine lieben Fensterlein,
Gebt mir schon so lange holden Schein,
Lasset freundlich Bild um Bild herein:
Einmal werdet ihr verdunkelt sein!

Fallen einst die mueden Lider zu, 5
Loescht ihr aus, dann hat die Seele Ruh';
Tastend streift sie ab die Wanderschuh',
Legt sich auch in ihre finstre Truh'.

Noch zwei Fuenklein sieht sie glimmend stehn
Wie zwei Sternlein, innerlich zu sehn, 10
Bis sie schwanken und dann auch vergehn,
Wie von eines Falters Fluegelwehn.

Doch noch wandl' ich auf dem Abendfeld,
Nur dem finkenden Gestirn gesellt;
Trinkt, o Augen, was die Wimper haelt, 15
Von dem goldnen Ueberfluss der Welt!




THEODOR STORM




102. OKTOBERLIED

Der Nebel steigt, es faellt das Laub;
Schenk ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag
Vergolden, ja vergolden!

Und geht es draussen noch so toll, 5
Unchristlich oder christlich,
Ist doch die Welt, die schoene Welt,
So gaenzlich unverwuestlich!

Und wimmert auch einmal das Herz,--
Stoss an und lass es klingen! 10
Wir wissen's doch, ein rechtes Herz
Ist gar nicht umzubringen.

Der Nebel steigt, es faellt das Laub;
Schenk ein den Wein, den holden!
Wir wollen uns den grauen Tag 15
Vergolden, ja vergolden!

Wohl ist es Herbst; doch warte nur,
Doch warte nur ein Weilchen!
Der Fruehling kommt, der Himmel lacht,
Es steht die Welt in Veilchen. 20

Die blauen Tage brechen an,
Und ehe sie verfliessen,
Wir wollen sie, mein wackrer Freund,
Geniessen, ja geniessen!

* * * * *

103. WEIHNACHTSLIED

Vom Himmel in die tiefsten Kluefte
Ein milder Stern herniederlacht;
Vom Tannenwalde steigen Duefte
Und hauchen durch die Winterluefte,
Und kerzenhelle wird die Nacht. 5

Mir ist das Herz so froh erschrocken,
Das ist die liebe Weihnachtszeit!
Ich hoere fernher Kirchenglocken
Mich lieblich heimatlich verlocken
In maerchenstille Heimlichkeit. 10

Ein frommer Zauber haelt mich wieder,
Anbetend, staunend muss ich stehn;
Es sinkt auf meine Augenlider
Ein goldner Kindertraum hernieder,
Ich fuehl's: ein Wunder ist geschehn. 15

* * * * *

104. SOMMERMITTAG

Nun ist es still um Hof und Scheuer
Und in der Muehle ruht der Stein;
Der Birnenbaum mit blanken Blaettern
Steht regungslos im Sonnenschein.

Die Bienen summen so verschlafen; 5
Und in der offnen Bodenluk',
Benebelt von dem Duft des Heues,
Im grauen Roecklein nickt der Puk.

Der Mueller schnarcht und das Gesinde,
Und nur die Tochter wacht im Haus; 10
Die lachet still und zieht sich heimlich
Fuersichtig die Pantoffeln aus.

Sie geht und weckt den Muellerburschen,
Der kaum den schweren Augen traut:
"Nun kuesse mich, verliebter Junge; 15
Doch sauber, sauber, nicht zu laut."

* * * * *

105. DIE STADT

Am grauen Strand, am grauen Meer
Und seitab liegt die Stadt;
Der Nebel drueckt die Daecher schwer,
Und durch die Stille braust das Meer
Eintoenig um die Stadt. 5

Es rauscht kein Wald, es schlaegt im Mai
Kein Vogel ohn' Unterlass;
Die Wandergans mit hartem Schrei
Nur fliegt in Herbstesnacht vorbei,
Am Strande weht das Gras. 10

Doch haengt mein ganzes Herz an dir,
Du graue Stadt am Meer;
Der Jugend Zauber fuer und fuer
Ruht laechelnd doch auf dir, auf dir,
Du graue Stadt am Meer. 15

* * * * *

106. UEBER DIE HEIDE

Ueber die Heide hallet mein Schritt;
Dumpf aus der Erde wandert es mit.

Herbst ist gekommen, Fruehling ist weit---
Gab es denn einmal selige Zeit?

Brauende Nebel geisten umher; 5
Schwarz ist das Kraut und der Himmel so leer.

Waer' ich hier nur nicht gegangen im Mai!
Leben und Liebe,--wie flog es vorbei!

* * * * *

107. LUCIE

Ich seh sie noch, ihr Buechlein in der Hand,
Nach jener Bank dort an der Gartenwand
Vom Spiel der andern Kinder sich entfernen;
Sie wusste wohl, es muehte sie das Lernen.

Nicht war sie klug, nicht schoen; mir aber war 5
Ihr blass Gesichtchen und ihr blondes Haar,
Mir war es lieb; aus der Erinnrung Duester
Schaut es mich an; wir waren recht Geschwister.

Ihr schmales Bettchen teilte sie mit mir,
Und naechtens Wang' an Wange schliefen wir; 10
Das war so schoen! Noch weht ein Kinderfrieden
Mich an aus jenen Zeiten, die geschieden.

Ein Ende kam;--ein Tag, sie wurde krank
Und lag im Fieber viele Wochen lang;
Ein Morgen dann, wo sanft die Winde gingen, 15
Da ging sie heim; es bluehten die Springen.

Die Sonne schien; ich lief ins Feld hinaus
Und weinte laut; dann kam ich still nach Haus.
Wohl zwanzig Jahr und drueber sind vergangen--
An wie viel andrem hat mein Herz gehangen! 20

Was hab' ich heute denn nach dir gebangt?
Bist du mir nah und hast nach mir verlangt?
Willst du, wie einst nach unsern Kinderspielen,
Mein Knabenhaupt an deinem Herzen fuehlen?

* * * * *

108. EINE FRUEHLINGSNACHT

Im Zimmer drinnen ist's so schwuel;
Der Kranke liegt auf dem heissen Pfuehl.

Im Fieber hat er die Nacht verbracht;
Sein Herz ist muede, sein Auge verwacht.

Er lauscht auf der Stunden rinnenden Sand; 5
Er haelt die Uhr in der weissen Hand.

Er zaehlt die Schlaege, die sie pickt,
Er forschet, wie der Weiser rueckt;

Es fragt ihn, ob er noch leb' vielleicht,
Wenn der Weiser die schwarze Drei erreicht. 10

Die Wartfrau sitzet geduldig dabei,
Harrend, bis alles vorueber sei.--

Schon auf dem Herzen drueckt ihn der Tod;
Und draussen daemmert das Morgenrot.

An die Fenster klettert der Fruehlingstag, 15
Maedchen und Voegel werden wach.

Die Erde lacht in Liebesschein,
Pfingstglocken laeuten das Brautfest ein;

Singende Burschen ziehn uebers Feld
Hinein in die bluehende, klingende Welt.-- 20

Und immer stiller wird es drin;
Die Alte tritt zum Kranken hin.

Der hat die Haende gefaltet dicht;
Sie zieht ihm das Laken uebers Gesicht.

Dann geht sie fort. Stumm wird's und leer, 25
Und drinnen wacht kein Auge mehr.

* * * * *

109. APRIL

Das ist die Drossel, die da schlaegt,
Der Fruehling, der mein Herz bewegt.
Ich fuehle, die sich hold bezeigen,
Die Geister aus der Erde steigen.
Das Leben fliesset wie ein Traum-- 5
Mir ist wie Blume, Blatt und Baum.

* * * * *

110. MAI

Die Kinder schreien Vivat hoch!
In die blaue Luft hinein;
Den Fruehling setzen sie ans den Thron.
Der soll ihr Koenig sein.
* * * * *
Die Kinder haben die Veilchen gepflueckt, 5
All, all, die da bluehten am Muehlengraben.
Der Lenz ist da; sie wollen ihn fest
In ihren kleinen Faeusten haben.

* * * * *

111. ELISABETH

Meine Mutter hat's gewollt,
Den andern ich nehmen sollt';
Was ich zuvor besessen,
Mein Herz sollt es vergessen;
Das hat es nicht gewollt. 5

Meine Mutter klag' ich an,
Sie hat nicht wohl getan;
Was sonst in Ehren stuende,
Nun ist es worden Suende.
Was fang' ich an? 10

Fuer all mein Stolz und Freud'
Gewonnen hab' ich Leid.
Ach, waer' das nicht geschehen,
Ach, koennt' ich betteln gehen
Ueber die braune Heid'! 15

* * * * *

112. FRAUENHAND

Ich weiss es wohl, kein klagend Wort
Wird ueber deine Lippen gehen;
Doch was so sanft dein Mund verschweigt,
Muss deine blasse Hand gestehen.

Die Hand, an der mein Auge haengt, 5
Zeigt jenen feinen Zug der Schmerzen,
Und dass in schlummerloser Nacht
Sie lag auf einem kranken Herzen.

* * * * *

113. SCHLIESSE MIR DIE AUGEN BEIDE

Schliesse mir die Augen beide
Mit den lieben Haenden zu!
Geht doch alles, was ich leide,
Unter deiner Hand zur Ruh'.
Und wie leise sich der Schmerz 5
Well' um Welle schlafen leget,
Wie der letzte Schlag sich reget,
Fuellest du mein ganzes Herz.

* * * * *

[Illustration: Elfenreigen, by Moritz von Schwind]

* * * * *




CONRAD FERDINAND MEYER




114. LIEDERSEELEN

In der Nacht, die die Baeume mit Blueten deckt,
Ward ich von suessen Gespenstern erschreckt,
Ein Reigen schwang im Garten sich,
Den ich mit leisem Fuss beschlich;
Wie zarter Elfen Chor im Ring 5
Ein weisser lebendiger Schimmer ging.
Die Schemen hab' ich keck befragt:
Wer seid ihr, luftige Wesen? Sagt!

"Ich bin ein Woelkchen, gespiegelt im See."
"Ich bin eine Reihe von Stapfen im Schnee." 10
"Ich bin ein Seufzer gen Himmel empor!"
"Ich bin ein Geheimnis, gefluestert ins Ohr."
"Ich bin ein frommes, gestorbnes Kind."
"Ich bin ein ueppiges Blumengewind--"
"Und die du waehlst, und der's beschied 15
Die Gunst der Stunde, die wird ein Lied."

* * * * *

115. NACHTGERAEUSCHE

Melde mir die Nachtgeraeusche, Muse,
Die ans Ohr des Schlummerlosen fluten!--
Erst das traute Wachtgebell der Hunde,
Dann der abgezaehlte Schlag der Stunde,
Dann ein Fischer-Zwiegespraech am Ufer, 5
Dann? Nichts weiter als der ungewisse
Geisterlaut der ungebrochnen Stille,
Wie das Atmen eines jungen Busens,
Wie das Murmeln eines tiefen Brunnens,
Wie das Schlagen eines dumpfen Ruders, 10
Dann der ungehoerte Tritt des Schlummers.

* * * * *

116. DAS TOTE KIND

Es hat den Garten sich zum Freund gemacht,
Dann welkten er und es im Herbste sacht,
Die Sonne ging, und es und er entschlief,
Gehuellt in eine Decke weiss und tief.

Jetzt ist der Garten unversehns erwacht,
Die Kleine schlummert fest in ihrer Nacht.
"Wo steckst du?" summt es dort und summt es hier.
Der ganze Garten fraegt nach ihr, nach ihr.

Die blaue Winde klettert schlank empor
Und blickt ins Haus: "Komm hinterm Schrank hervor!
Wo birgst du dich? Du tust dir's selbst zu leid!
Was hast du fuer ein neues Sommerkleid?"

* * * * *

117. IM SPAETBOOT


Aus der Schiffsbank mach' ich meinen Pfuehl,
Endlich wird die heisse Stirne kuehl!
O wie suess erkaltet mir das Herz!
O wie weich verstummen Lust und Schmerz!
Ueber mir des Rohres schwarzer Rauch 5
Wiegt und biegt sich in des Windes Hauch.
Hueben hier und drueben wieder dort
Haelt das Boot an manchem kleinen Port:
Bei der Schiffslaterne kargem Schein
Steigt ein Schatten aus und niemand ein. 10
Nur der Steurer noch, der wacht und steht!
Nur der Wind, der mir im Haare weht!
Schmerz und Lust erleiden sanften Tod.
Einen Schlumm'rer traegt das dunkle Boot.

* * * * *

118. VOR DER ERNTE

Am wolkenreinen Himmel geht
Die blanke Sichel schoen,
Im Korne drunten wogt und weht
Und wuehlt und rauscht der Foehn.

Sie wandert voller Melodie 5
Hochueber durch das Land.
Frueh morgen schwingt die Schnitt'rin sie
Mit sonnenbrauner Hand.

* * * * *

119. DER ROEMISCHE BRUNNEN

Aufsteigt der Strahl und fallend giesst
Er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd, ueberfliesst
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich. 5
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jede nimmt und gibt zugleich
Und stroemt und ruht.

* * * * *

120. NEUJAHRSGLOCKEN

In den Lueften schwellendes Gedroehne,
Leicht wie Halme biegt der Wind die Toene

Leis' verhallen, die zum ersten riefen,
Neu Gelaeute hebt sich aus den Tiefen.

Grosse Heere, nicht ein einzler Rufer! 5
Wohllaut flutet ohne Strand und Ufer.

* * * * *

121. SAEERSPRUCH

Bemesst den Schritt! Bemesst den Schwung!
Die Erde bleibt noch lange jung!
Dort faellt ein Korn, das stirbt und ruht.
Die Ruh' ist suess. Es hat es gut.
Hier eins das durch die Scholle bricht. 5
Es hat es gut. Suess ist das Licht.
Und keines faellt aus dieser Welt
Und jedes faellt, wie 's Gott gefaellt.

* * * * *

122. SCHNITTERLIED

Wir schnitten die Saaten, wir Buben und Dirnen,
Mit nackenden Armen und triefenden Stirnen,
Von donnernden dunklen Gewittern bedroht--
Gerettet das Korn und nicht einer, der darbe!
Von Garbe zu Garbe 5
Ist Raum fuer den Tod---
Wie schwellen die Lippen des Lebens so rot!

Hoch thronet ihr Schoenen auf gueldenen Sitzen,
In strotzenden Garben umflimmert von Blitzen--
Nicht eine, die darbe! Wir bringen das Brot! 10
Zum Reigen! Zum Tanze! Zur tosenden Runde!
Von Munde zu Munde
Ist Raum fuer den Tod---
Wie schwellen die Lippen des Lebens so rot!

* * * * *

123. NACH EINEM NIEDERLAENDER

Der Meister malt ein kleines zartes Bild,
Zurueckgelehnt, beschaut er's liebevoll.
Es pocht. "Herein." Ein flaemischer Junker ist's.
Mit einer drallen, aufgedonnerten Dirn',
Der vor Gesundheit fast die Wange birst. 5
Sie rauscht von Seide, flimmert von Geschmeid.
"Wir haben's eilig, lieber Meister. Wisst,
Ein wackrer Schelm stiehlt mir das Toechterlein.
Morgen ist Hochzeit. Malet mir mein Kind!"
"Zur Stunde, Herr! Nur noch den Pinselstrich!" 10
Sie treten lustig vor die Staffelei:
Auf einem blanken Kissen schlummernd liegt
Ein feiner Maedchenkopf. Der Meister fetzt
Des Blumenkranzes tiefste Knospe noch
Auf die verblichne Stirn mit leichter Hand. 15
--"Nach der Natur?" --"Nach der Natur. Mein Kind.
Gestern beerdigt. Herr, ich bin zu Dienst."

* * * * *

124. EINGELEGTE RUDER

Meine eingelegten Ruder triefen,
Tropfen fallen langsam in die Tiefen.

Nichts, das mich verdross! Nichts, das mich freute!
Niederrinnt ein schmerzenloses Heute!

Unter mir--ach, aus dem Licht verschwunden-- 5
Traeumen schon die schoenern meiner Stunden.

Aus der blauen Tiefe ruft das Gestern:
Sind im Licht noch manche meiner Schwestern?

* * * * *

125. EWIG JUNG IST NUR DIE SONNE

Heute fanden meine Schritte mein vergessnes Jugendtal,
Seine Sohle lag veroedet, seine Berge standen kahl.
Meine Baeume, meine Traeume, meine buchendunkeln Hoeh'n--
Ewig jung ist nur die Sonne, sie allein ist ewig schoen.
Drueben dort in schilf'gem Grunde, wo die muede Lache liegt, 5
Hat zu meiner Jugendstunde sich lebend'ge Flut gewiegt,
Durch die Heiden, durch die Weiden ging ein wandernd
Herdgetoen---
Ewig jung ist nur die Sonne, sie allein ist ewig schoen.

* * * * *

126. REQUIEM

Bei der Abendsonne Wandern
Wann ein Dorf den Strahl verlor,
Klagt sein Dunkel es den andern
Mit vertrauten Toenen vor.

Noch ein Gloecklein hat geschwiegen 5
Auf der Hoehe his zuletzt.
Nun beginnt es sich zu wiegen,
Horch, mein Kilchberg laeutet jetzt!

* * * * *

127. ABENDWOLKE

So stille ruht im Hafen
Das tiefe Wasser dort,
Die Ruder sind entschlafen,
Die Schifflein sind im Port.

Nur oben in dem Aether 5
Der lauen Maiennacht,
Dort segelt noch ein spaeter
Friedfert'ger Ferge sacht.

Die Barke still und dunkel
Faehrt hin im Daemmerschein 10
Und leisem Sterngefunkel
Am Himmel und hinein.

* * * * *

128. DAS GLOECKLEIN

Er steht an ihrem Pfuehl in herber Qual,
Den jungen Busen muss er keuchen sehn--
Er ist ein Arzt. Er weiss, sein traut Gemahl
Erblasst, sobald die Morgenschauer wehn.

Sie hat geschlummert: "Lieber, du bei mir? 5
Mir traeumte, dass ich auf der Alpe war,
Wie schoen mir traeumte, das erzaehl' ich dir--
Du schickst mich wieder hin das naechste Jahr!

"Dort vor dem Dorf--du weisst den moos'gen Stein--
Sass ich umhallt von lauter Herdgetoen, 10
An mir vorueber zogen mit Schalmei'n
Die Herden nieder von den Sommerhoeh'n.

"Die Herden kehren alle heut nach Haus--
Das ist die letzte wohl? Nein, eine noch:
Noch ein Gelaeut klingt an und eins klingt aus! 15
Das endet nicht! Da kam das letzte doch!

"Mich ueberflutete das Abendrot,
Die Matten dunkelten so gruen und rein,
Die Firnen brannten aus und waren tot,
Darueber glomm ein leiser Sternenschein-- 20

"Du horch! ein Gloecklein laeutet in der Schlucht,
Verirrt, verspaetet, wandert's ohne Ruh,
Ein armes Gloecklein, das die Herde sucht--
Aufwacht' ich dann, und bei mir warest du!

"O bring mich wieder auf die lieben Hoeh'n-- 25
Sie haben, sagst du, mich gesund gemacht ...
Dort war es schoen! Dort war es wunderschoen!
Das Gloecklein! Wieder! Hoerst du's? Gute Nacht...."

* * * * *

129. DIE BANK DES ALTEN

Ich bin einmal in einem Tal gegangen,
Das fern der Welt, dem Himmel nahe war.
Durch das Gelaende seiner Wiesen klangen
Die Sensen rings der zweiten Mahd im Jahr.

Ich schritt durch eines Doerfchens stille Gassen. 5
Kein Laut. Vor einer Huette sass allein
Ein alter Mann, von seiner Kraft verlassen,
Und schaute feiernd auf den Firneschein.

Zuweilen, in die Hand gelegt die Stirne,
Seh' ich den Himmel jenes Tales blaun, 10
Den Mueden seh ich wieder auf die Firne,
Die nahen, selig klaren Firnen schaun.

's ist nur ein Traum. Wohl ist der Greis geschieden
Aus dieser Sonne Licht von Jahren schwer;
Er schlummert wohl in seines Grabes Frieden, 15
Und seine Bank steht vor der Huette leer.

Noch pulst mein Leben feurig. Wie den andern
Kommt mir ein Tag, da mich die Kraft verraet;
Dann will ich langsam in die Berge wandern
Und suchen, wo die Bank des Alten steht. 20




DETLEV VON LILIENCRON




130. DIE MUSIK KOMMT

Klingling, bumbum und tschingdada,
Zieht im Triumph der Perserschah?
Und um die Ecke brausend bricht's
Wie Tubaton des Weltgerichts,
Voran der Schellentraeger. 5

Brumbrum, das grosse Bombardon,
Der Beckenschlag, das Helikon,
Die Piccolo, der Zinkenist,
Die Tuerkentrommel, der Floetist,
Und dann der Herre Hauptmann. 10

Der Hauptmann naht mit stolzem Sinn,
Die Schuppenkette unterm Kinn,
Die Schaerpe schnuert den schlanken Leib,
Beim Zeus! das ist kein Zeitvertreib,
Und dann die Herren Leutnants. 15

Zwei Leutnants, rosenrot und braun,
Die Fahne schuetzen sie als Zaun,
Die Fahne kommt, den Hut nimm ab,
Der bleiben treu wir bis ans Grab!
Und dann die Grenadiere. 20

Der Grenadier im strammen Tritt,
In Schritt und Tritt und Tritt und Schritt,
Das stampft und droehnt und klappt und flirrt,
Laternenglas und Fenster klirrt,
Und dann die kleinen Maedchen. 25

Die Maedchen alle, Kopf an Kopf,
Das Auge blau und blond der Zopf,
Aus Tuer und Tor und Hof und Haus
Schaut Mine, Trine, Stine aus,
Vorbei ist die Musike. 30

Klingling, tschingtsching und Paukenkrach,
Noch aus der Ferne toent es schwach,
Ganz leise bumbumbumbum tsching;
Zog da ein bunter Schmetterling,
Tschingtsching, bum, um die Ecke? 35

* * * * *

131. TOD IN AEHREN

Im Weizenfeld, in Korn und Mohn,
Liegt ein Soldat, unaufgefunden,
Zwei Tage schon, zwei Naechte schon,
Mit schweren Wunden, unverbunden.

Durstueberquaelt und fieberwild, 5
Im Todeskampf den Kopf erhoben.
Ein letzter Traum, ein letztes Bild,
Sein brechend Auge schlaegt nach oben.

Die Sense sirrt im Aehrenfeld,
Er sieht sein Dorf im Arbeitsfrieden, 10
Ade, ade du Heimatwelt--
Und beugt das Haupt, und ist verschieden.

* * * * *

132. IN ERINNERUNG

Wilde Rosen ueberschlugen
Tiefer Wunden rotes Blut.
Windverwehte Klaenge trugen
Siegesmarsch und Siegesflut.

Nacht. Entsetzen ueberspuelte 5
Dorf und Dach in Laerm und Glut.
"Wasser!" Und die Hand zerwuehlte
Gras und Staub in Dursteswut.

Morgen. Graebergraber. Gruefte.
Manch ein letzter Atemzug. 10
Weither, witternd, durch die Luefte
Braust und graust ein Geierflug.

* * * * *

133. WER WEISS WO

(Schlacht bei Kolin, 18. Juni 1757.)

Auf Blut und Leichen, Schutt und Qualm,
Auf rosszerstampften Sommerhalm
Die Sonne schien.
Es sank die Nacht. Die Schlacht ist aus,
Und mancher kehrte nicht nach Haus 5
Einst von Kolin.

Ein Junker auch, ein Knabe noch,
Der heut das erste Pulver roch,
Er musste dahin.
Wie hoch er auch die Fahne schwang, 10
Der Tod in seinen Arm ihn zwang,
Er musste dahin.

Ihm nahe lag ein frommes Buch,
Das stets der Junker bei sich trug
Am Degenknauf. 15
Ein Grenadier von Bevern fand
Den kleinen erdbeschmutzten Band
Und hob ihn auf.

Und brachte heim mit schnellem Fuss
Dem Vater diesen letzten Gruss, 20
Der klang nicht froh.
Dann schrieb hinein die Zitterhand:
"Kolin. Mein Sohn verscharrt im Sand.
Wer weiss wo."

Und der gesungen dieses Lied, 25
Und der es liest, im Leben zieht
Noch frisch und froh.
Doch einst bin ich, und bist auch du,
Verscharrt im Sand, zur ewigen Ruh',
Wer weiss wo. 30

* * * * *

134. SOMMERNACHT

An ferne Berge schlug die Donnerkeulen
Ein rasch verrauschtes Nachmittaggewitter.
Die Bauern zogen heim auf mueden Gaeulen,
Und singend kehrten Winzervolk und Schnitter.
Auf allen Daechern qualmten blaue Saeulen 5
Genuegsam himmelan, ein luftig Gitter.
Nun ist es Nacht, es geistern schon die Eulen,
Einsam aus einer Laube klingt die Zither.

* * * * *

135. MEINER MUTTER

Wie oft sah ich die blassen Haende naehen,
Ein Stueck fuer mich--wie liebevoll du sorgtest!
Ich sah zum Himmel deine Augen flehen,
Ein Wunsch fuer mich--wie liebevoll du sorgtest!
Und an mein Bett kamst du mit leisen Zehen, 5
Ein Schutz fuer mich--wie sorgenvoll du horchtest!
Laengst schon dein Grab die Winde ueberwehen.
Ein Gruss fuer mich--wie liebevoll du sorgtest!

* * * * *

136. WIEGENLIED

Vor der Tuere schlaeft der Baum,
Durch den Garten zieht ein Traum.
Langsam schwimmt der Mondeskahn,
Und im Schlafe kraeht der Hahn.
Schlaf, mein Woelfchen, schlaf. 5

Schlaf, mein Wulff. In spaeter Stund
Kuess' ich deinen roten Mund.
Streck dein kleines dickes Bein,
Steht noch nicht auf Weg und Stein.
Schlaf, mein Woelfchen, schlaf. 10

Schlaf, mein Wulff. Es kommt die Zeit,
Regen rinnt, es stuermt und schneit.
Lebst in atemloser Hast,
Haettest gerne Schlaf und Rast.
Schlaf, mein Woelfchen, schlaf. 15

Vor der Tuere steht der Baum,
Durch den Garten zieht ein Traum.
Langsam schwimmt der Mondeskahn,
Und im Schlafe kraeht der Hahn.
Schlaf, mein Woelfchen, schlaf. 20

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137. VIERERZUG

Vorne vier nickende Pferdekoepfe,
Neben mir zwei blonde Maedchenzoepfe,


 


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