Die Versuchung des Pescara
by
Conrad Ferdinand Meyer

Part 1 out of 3



software or any other related product without express permission.]



This etext was prepared by Michelle Mokowska, micaela@poczta.wp.pl
and Mike Pullen, globaltraveler5565@yahoo.com, and proofread by Dr.
Mary Cicora, mcicora@yahoo.com.





This etext is provided in German.





Die Versuchung des Pescara

Conrad Ferdinand Meyer

Novelle




Erstes Kapitel



In einem Saale des mailändischen Kastelles saß der junge Herzog
Sforza über den Staatsrechnungen. Neben ihn hatte sich sein Kanzler
gestellt und erklärte die Zahlen mit gleitendem Finger.

"Eine furchtbare Ziffer!" seufzte der Herzog und entsetzte sich vor
der Summe, welche die mit Eile betriebenen Festungsarbeiten
verschlungen hatten. "Wie viele Schweißtropfen meiner armen
hungernden Lombarden!" Und um dem Anblick der verhängnisvollen Zahl
zu entrinnen, ließ er die melancholischen Augen über die Wände laufen,
die mit hellfarbigen Fresken bedeckt waren.

Links von der Tür hielt Bacchus ein Gelag mit seinem mythologischen
Gesinde, und rechts war als Gegenstück die Speisung in der Wüste
behandelt von einer flotten, aber gedankenlosen, den heiligen
Gegenstand bis an die Grenzen der Ausgelassenheit verweltlichenden
Hand. Oben auf der Höhe, klein und kaum sichtbar, saß der göttliche
Wirt, während sich im Vordergrunde eine lustige Gesellschaft
ausbreitete, die an Tracht und Miene nicht übel einer Mittag
haltenden lombardischen Schnitterbande glich und zum Lachen alle
Gebärden eines gesunden Appetites versinnlichte.

Der Blick des Herzogs und der demselben aufmerksam folgende seines
Kanzlers fielen auf ein schäkerndes Mädchen, das, einen großen Korb
am Arme, wohl um die überbleibenden Brocken zu sammeln, sich von dem
neben ihr gelagerten Jüngling umfangen und einen gerösteten Fisch
zwischen das blendend blanke Gebiß schieben ließ. "Die da wenigstens
verhungert noch nicht", scherzte der Kanzler mit mutwilligen Augen.

Ein trübes Lächeln bildete und verflüchtigte sich auf dem feinen
Munde des Herzogs. "Warum Festungen bauen?" kam er auf den
Gegenstand seiner Sorge zurück. "Das ist ein schlechtes Geschäft!
Pescara, der große Belagerer, wird sie schnell wegnehmen und mir dann
noch die Kriegskosten aufhalsen. Höre, Girolamo", und er richtete
seinen binsenschlanken Körper in die Höhe, "laß mich weg aus deinen
geheimen Bündnissen und Artikeln, du unermüdlicher Zettler! Ich will
nichts davon wissen. Du richtest mich und meine Lombarden zugrunde,
du Strafe Gottes! Ich will mich nicht an dem Kaiser versündigen: er
ist mein Lehensherr. Und lieber will ich mich von seinen höllischen
Spaniern schinden lassen, als daß mich meine neuen Bundesgenossen
voranschieben und verraten." Wie ein sich Aufgebender ließ er sich,
die spitzen Knie vorgestreckt, in seinen Sessel niedergleiten und
rief voller Verzweiflung: "Ich will eine Muhme oder eine Schwester
des Kaisers heiraten! Das sollst du veranstalten, wenn du der große
Staatsmann bist, der zu sein du dir einbildest."

Der Kanzler brach in ein zügelloses Gelächter aus.

"Du hast gut lachen, Girolamo. Von den steilsten Dächern
herabrollend, kommst du wie eine Katze immer wieder auf die Füße zu
stehen! Ich aber gehe in Stücke! Ich und mein Herzogtum
verflüchtigen uns in dem Hexenkessel, der in deinem Kopfe brodelt.
Miserere: eine Liga mit dem heiligen Vater, mit San Marco, mit den
Lilien! O die böse Klimax! O die unheilige Dreieinigkeit! Dem
Papste traut man nicht über den Weg, weder ich noch irgendeiner. Er
ist ein Medici! Marcus aber, mein natürlicher Feind und Nachbar, ist
der ruchloseste aller Heiligen. Und nun gar Frankreich, das mir den
Vater in einem Kerkerloche verwesen ließ und den armen Bruder Max,
den du verkauft hast, du Schlimmer, in Paris versorgt!" Die
beweglichen Züge des fürstlichen Knaben entstellten sich, als sehe er
den Genius seines Hauses die Fackel langsam senken und auslöschen.
Eine Träne rann über seine magere Wange.

Der Kanzler streichelte sie ihm väterlich. "Sei nicht unklug,
Fränzchen", tröstete er. "Ich hätte den Max verraten? Keineswegs.
Es war die Logik der Dinge, daß er sich gab nach der Zermalmung der
Schweizer. Ich habe seine Rente mit König Franz vereinbart und noch
um ein Gutes hinaufgemarktet. Er selbst sah ein, daß ich es redlich
mit ihm meine, und dankte mir. Er ist ein Philosoph, sage ich dir,
der die Welt von oben herunter betrachtet, und da er zu Rosse stieg,
um von hinnen zu ziehen, hat er, schon im Bügel, noch Weisheit
geredet. 'Ich segne den Himmel', sprach er, 'daß ich in Zukunft
nichts mehr zu schaffen habe mit den groben Fäusten der Schweizer,
den langen Fingern des Kaisers'--er meinte die hochselige Majestät,
Fränzchen--'und den spanischen Meuchlerhänden.' Auch hatte der Max
gar nicht das Zeug, einen italienischen Fürsten darzustellen, plump
und unreinlich wie er ist. Da bist du denn doch eine andere
Erscheinung, Fränzchen. Du hast etwas Fürstliches, wenn du dich
aufrecht hältst, und dazu die Kunst der Rede, die du von deinem
unvergleichlichen Vater, dem Mohren, geerbt. Ich sage dir, du wirst
mit den Jahren noch der klügste und glücklichste Fürst in Italien
werden."

Der Herzog betrachtete seinen Kanzler zweifelnd. "Wenn du mich nicht
vorher verkaufst und mein Leibgeding' in die Höhe marktest", lächelte
er.

Morone, der jetzt in seinem langen schwarzen Juristenrocke vor ihm
stand, entgegnete zärtlich: "Mein holdseliges Fränzchen! Dir tue ich
nichts zuleide. Du weißt ja, daß du mir ins Herz gewachsen bist. Du
bleibst der Herzog von Mailand, so wahr ich der Morone bin. Aber du
mußt dich hübsch belehren und überzeugen lassen, was zu deinem Besten
dient."

"Nicht einen einzigen guten Grund hast du mir gegeben für deine
neugebackene Liga! Und ich will mich einmal nicht empören gegen
meinen Lehnsherrn! Das ist sündhaft und gefährlich."

Schnellen Geistes wählte der Kanzler unter den Truggestalten und
Blendwerken, über welche seine Einbildungskraft gebot, eine
hinreichend wahrscheinliche und wirksame Larve, um sie seinem
beweglichen Gebieter entgegenzuhalten und ihn damit heilsam zu
erschrecken.

"Fränzchen", sagte er, "der Kaiser ist für dich eine verschlossene
Pforte. Hast du ihm nicht die rührendsten Briefe geschrieben, und er
hat niemals geantwortet! Es ist ein in der Ferne verschwindender
Jüngling und, wie man behauptet, die geduldige Wachspuppe in den
formenden Händen seiner burgundischen Höflinge. Da bist du ihm
überlegen, du beurteilst die Dinge selbständig. Das Wetter aber in
Madrid macht der Borbone, der verschwenderische Konnétabel, der das
Gold mit vollen Händen auswirft und dessen Treue außer allem
Verdachte steht, da er seinen König Franz verrathen hat und jetzt in
Ewigkeit zum Dienste des Kaisers verdammt ist. Der Borbone aber will
Mailand. Dein Lehen ist ihm zugesagt. Er ist ein Gonzaga von der
Mutter her und strebt nach einem italienischen Throne. Warum kann
sich der Kaiser nicht entschließen, dich zu belehnen, nachdem du ihm
Hunderttausende bezahlt hast? Weil er dein Mailand dem Borbone
zudenkt, darauf nehme ich Gift. Dieser ist seiner Sache gewiß.
Unlängst, da du mich in das kaiserliche Lager sendetest, hat er mich
mit Liebkosungen fast erdrückt und mir sogar einen Beutel zugesteckt,
um mich auf die günstige Stunde vorzubereiten. Denn freilich sind
wir alte Bekannte von der französischen Herrschaft her."

Das war Lüge und Wahrheit: der Konnétabel hatte in einer tollen
Weinlaune einen witzigen Einfall seines Gastes fürstlich belohnt.

"Und du nahmst, Ungeheuer?" entsetzte sich der Herzog.

"Mit dem besten Gewissen von der Welt", erwiderte Morone leichtfertig.
"Weißt du nicht, Fränzchen, was die Kasuisten lehren, daß ein Weib
soviel nehmen darf, als man ihr giebt, wenn sie nur ihre Tugend
behauptet? Das gilt auch für Minister und erlaubt mir, in dieser
kargen Zeit unter Umständen auf mein Gehalt zu verzichten. Dafür
kannst du dir zuweilen ein gutes Bild kaufen, Fränzchen. Du mußt
auch deine ehrbare Ergötzung haben."

Sforza war erbleicht. Das Schreckbild des Borbone in seiner Burg und
in seinem Reiche, welche beide dieser schon einmal--vor seinem
berühmten Verrat--jahre lang als französischer Statthalter besessen
hatte, brachte ihn um alle Besinnung. "Ich habe immer geglaubt, und
es verfolgt mich auf Schritt und Tritt", jammerte der Ärmste, "daß
der Borbone mein Mailand haben will. Rette mich, Girolamo! Schließe
die Liga! ohne Verzug! Sonst bin ich verloren." Er sprang auf und
ergriff den Kanzler am Arm.

Dieser erwiderte gelassen: "Ja, das geht nicht so geschwind,
Fränzchen. Doch wird sich vielleicht heute noch etwas dafür thun
lassen. Es trifft sich. Gestern ist die Exzellenz Nasi--nicht der
Horatius, sondern der schöne Lälius--bei unserm Wechsler Lolli
abgestiegen, und durch einen glücklichen Zufall auch Guicciardin hier
angekommen, der trotz seiner Borsten im Vatikan eine angenehme Person
ist. Mit diesen zwei gescheiten Leuten ließe sich reden, und ich
habe den Venezianer und den Florentiner an deine Abendtafel geladen,
da ich weiß, daß du ein harmloses Geplauder und eine unterhaltende
Gesellschaft liebst."

"O verfluchte, nichtswürdige Verschwörung!" klagte der Herzog
wankelmütig.

"Und auch noch ein anderer ist eingeritten, im Morgengrauen. Dieser
hat sich auf die dritte Stunde nachmittags angesagt, er wolle erst
ausschlafen."

"Ein anderer? Welcher andere?" Der Herzog zitterte.

"Der Borbone."

"Gott verpeste den bleichen Verräter!" schrie Sforza. "Was will der
hier?"

"Das wird er selbst dir sagen. Horch! es läutet Vesper im Dome."

"Empfange du ihn, Kanzler!" flehte der Herzog und wollte durch eine
Tür entwischen. Morone aber ergriff ihn am Arm und führte ihn zu
seinem Sessel zurück. "Ich bitte, Hoheit! Es geht vorüber. Wenn
der Konnétabel eintritt, erhebe sich die Hoheit und empfange ihn
stehend. Das kürzt ab." Er umkleidete seinen Herrn mit dem am
Stuhle hängengebliebenen Mantel, und dieser nahm allmählich, seine
Angst bekämpfend, eine fürstlichere Haltung an, indem er seinen
hübschen Wuchs geltend machte und den natürlichen Anstand, den er
besaß.

Inzwischen blickte der Kanzler durch das Fenster, das den Schloßplatz
und hinter demselben den Umriß eines der neuangelegten Bollwerke des
Kastelles zeigte. "Köstlich!" sagte er. "Da steht dieser
treuherzige Konnétabel, zehn Schritte vor seinem Gefolge, und
zeichnet unbefangen unsere neue Schanze in sein Taschenbuch. Ich
will nur gehen und ihn einführen."

Da er mit Morone eintrat, der berühmte Verräter, eine schlanke und
hohe Gestalt und ein stolzes, farbloses Haupt mit feinen Zügen und
auffallend dunkeln Augen, eine unheimliche, aber große Erscheinung,
verbeugte er sich höflich vor Franz Sforza, der ihn scheu betrachtete.

"Hoheit", sprach Karl Bourbon, "ich bezeuge meine schuldige
Ehrerbietung und bitte um Gehör für eine Botschaft der Kaiserlichen
Majestät."

Herzog Franz antwortete mit Würde, daß er bereit sei, den Willen
seines erhabenen Lehensherrn ehrfürchtig zu vernehmen, wankte dann
aber und glitt in seinen Sessel zurück.

Als der Konnétabel den Herzog sich setzen sah, blickte auch er sich
nach einem Stuhl oder wenigstens nach einem Schemel um. Nichts
dergleichen war vorhanden und auch kein Page gegenwärtig. Da warf er
seinen kostbaren Mantel dem Herzog gegenüber an den Marmorboden und
lagerte sich geschmeidig, den linken Arm aufgestützt, den rechten in
die Hüfte setzend. "Hoheit erlaube", sagte er.

Karl Bourbon lebte seit seinem Verrate in einer sengenden und
verzehrenden Atmosphäre des Selbsthasses. Niemand, sogar der
Vornehmste nicht, hätte es gewagt, den stolzen Mann auch nur mit
einer Miene an seine Tat zu erinnern und ihn das Urteil erraten zu
lassen, welches die öffentliche Meinung seines Jahrhunderts
einstimmig und mit ungewöhnlicher Härte über ihn gefällt hatte, aber
er kannte dieses strenge Urteil, und sein Gewissen bestätigte es.
Die gründlichste Menschenverachtung brachte er, bei sich selbst
anfangend, der ganzen Welt entgegen, doch beherrschte er sich
vollkommen, und niemand benahm sich tadelfreier und redete farbloser,
jeden Hohn, jede Ironie, selbst die leiseste Anspielung sich und
damit auch den andern untersagend. Nur selten verriet, wie eine
plötzlich aus dem Boden zuckende Flamme, ein höllischer Witz oder ein
zynischer Spaß den Zustand seiner Seele.

Nachdem der Konnétabel eine Weile gesonnen, begann er mit angenehmer
Stimme und einer leichten Wendung des Kopfes: "Ich bitte Hoheit, mich
nicht entgelten zu lassen, was meine Sendung Unwillkommenes für Sie
haben könnte. Meine Person völlig zurückstellend, übermittle ich der
Hoheit einen Beschluß der Kaiserlichen Majestät, welchen dieselbe in
ihrem Ministerrate gefaßt hat, allerdings nach Vernehmung ihrer drei
italienischen Feldherrn, Pescara, Leyva und meiner Untertänigkeit."

"Wie befindet sich Pescara?" fragte der Kanzler, der in gleicher
Entfernung von den zwei Hoheiten stand, frech dazwischen. "Ist er
geheilt von seiner Speerwunde bei Pavia?"

"Freundchen", versetzte der Konnétabel geringschätzig, "ich bitte
Euch, nicht zu reden, wo Ihr nicht gefragt werdet."

Da nahm der Herzog die Frage auf. "Herr Konnétabel", sagte er, "wie
befindet sich der Sieger von Pavia?"

Bourbon verneigte sich verbindlich. "Ich danke der Hoheit für die
huldvolle Nachfrage. Mein erlauchter und geliebter Kollege Ferdinand
Avalos Marchese von Pescara ist völlig hergestellt. Er reitet ohne
Beschwerde seine zehn Stunden." Dann fuhr er fort: "Lasset mich
jetzt zur Sache kommen, Hoheit. Bittere Arznei will schnell gereicht
sein. Die Kaiserliche Majestät wünscht sehr, daß die Hoheit
zurücktrete aus der neuen Liga, die Sie mit der Heiligkeit, den
Kronen von Frankreich und England und der Republik Venedig
abgeschlossen hat oder abzuschließen im Begriffe ist."

Jetzt fand der Herr von Mailand den Fluß der Rede und beteuerte mit
gut gespieltem Erstaunen und herzlicher Entrüstung, daß ihm von einer
solchen Liga nichts bekannt sei und er selbst sicherlich der erste
wäre, nach seiner Lehenspflicht den Kaiser ungesäumt zu unterrichten,
wenn seines Wissens in Oberitalien derlei gegen die Majestät
gesponnen würde. Und er legte die Hand auf das feige Herz.

Mit vorgebogenem Haupte höflich lauschend, ließ der Konnétabel den
jungen Heuchler seine Lüge in immer neuen Wendungen wiederholen.
Dann erwiderte er in kühlem Tone, mit einer unmerklichen Färbung
verächtlichen Mitleids: "Die Worte der Hoheit unangetastet, muß ich
glauben, daß dieselbe von der Sachlage nicht genau unterrichtet ist.
Wir denken es besser zu sein. Der Friede zwischen Frankreich und
England mit einer bösen Absicht gegen den Kaiser ist eine Tatsache,
die uns mit Sicherheit aus den Niederlanden gemeldet wurde. Ebenso
gewiß sind wir, daß in Oberitalien gegen uns gerüstet wird. Und
soweit sich der Heilige Vater beurteilen läßt, scheint auch er, den
wir verwöhnt haben, sich verdeckt gegen uns zu wenden. Zu
unterscheiden, was gethan und was im Werden ist, kann nicht unsere
Aufgabe sein: wir bauen vor. Ehe die Liga", fügte er mit leiserer
Stimme bedeutsam hinzu, "einen Feldherrn gefunden hat."

Dann stellte er seine Forderung: "Hoheit giebt uns Sicherheit, in
Monatsfrist, daß Sie Neutralität hält. Das ist die inständige Bitte
Kaiserlicher Majestät. Unter Sicherheit aber versteht sie:
Verabschiedung der Schweizer, Beurlaubung der lombardischen Waffen
auf die Hälfte, Einstellung aller und jeder Festungsbauten und
Überlassung dieses erfindungsreichen Mannes"--er wies mit dem Haupte
seitwärts--"an Kaiserliche Majestät. Wo nicht"--und er erhob sich
ungestüm, als wollte er zu Pferde springen--"wo nicht, blasen wir zum
Aufbruch, den letzten September, um Mitternacht, keine Stunde früher,
keine später, und besetzen in wenigen Märschen das Herzogthum. Hoheit
überlege." Er verbeugte sich und schied.

Da ihm Morone das Geleite geben wollte, verfiel Bourbon in eine
seiner tollen Launen und wies den Kanzler mit einer possenhaften
Gebärde ab. "Adieu, Pantalon mon ami!" rief er über die Schulter
zurück.

Morone gerieth in Wuth über diese Benennung, welche seiner Person allen
Ernst und Wert abzusprechen schien, und entrüstet auf und nieder
schreitend, verwickelte er sich mit den Füßen in den
liegengebliebenen Mantel des Konnétable; der junge Herzog aber hielt
den Kanzler fest, hing sich ihm an den Arm und weinte: "Girolamo, ich
habe ihn beobachtet! Er glaubt sich hier schon in dem Seinigen.
Schließe ab! Heute noch! Sonst entthront mich dieser Teufel!"

Noch lag der hilflose Knabe in den Armen seines Kanzlers, als ein
greiser Kämmerer den Rücken vor ihm bog und feierlich das Wort sprach:
"Die Tafel der Hoheit ist gedeckt." Die beiden folgten ihm, der mit
wichtiger Miene durch eine Reihe von Zimmern voranschritt. Eines
derselben, ein Kabinett, das keinen eigenen Ausgang hatte, schien mit
seiner Tapete von moosgrünem Sammet und seinen vier gleichfarbigen
Schemeln ein für trauliche Mitteilungen bestimmter Schlupfwinkel zu
sein. In seiner Mitte blieb der Herzog verwundert stehen, denn die
Hinterwand des sonst leeren Raumes füllte jetzt ein Bild, das er
nicht als sein Eigenthum kannte. Es war heimlich in den Palast
gekommen, eine ihm bereitete Überraschung, das Geschenk des
Markgrafen von Mantua, wie auf dem Rahmen zu lesen stand. Der Herzog
ergriff seinen Kanzler an der Hand, und beide Italiener näherten sich
mit leisen Tritten und einer stillen, andächtigen Freude dem
machtvollen Gemälde: auf einem weißen Marmortischchen spielten Schach
ein Mann und ein Weib in Lebensgröße. Dieses, ein helles und warmes
Geschöpf in fürstlichen Gewändern, berührte mit zögerndem Finger die
Königin und forschte zugleich verstohlenen Blickes in der Miene des
Mitspielers, der, ein Krieger von ernsten und durchgearbeiteten Zügen,
in dem streng gesenkten Mundwinkel ein Lächeln, versteckte.

Beide, Herzog und Kanzler, erkannten ihn sogleich. Es war Pescara.
Die Frau erriethen sie mit Leichtigkeit. Wer war es, wenn nicht
Victoria Colonna, das Weib des Pescara und die Perle Italiens? Sie
konnten sich nicht von dem Bilde trennen. Sie fühlten, daß sein
größter Reiz die hohe und zärtliche Liebe sei, welche die weichen
Züge der Dichterin und die harten des Feldherrn in ein warmes Leben
verschmolz, und nicht minder die Jugend der Beiden, denn auch der
benarbte und gebräunte Pescara erschien als ein heldenhafter Jüngling.

In der That, achtzehnjährig Beide, waren sie miteinander an den Altar
getreten, und sie hatten sich mit Leib und Seele Treue gehalten, oft
und lang getrennt, sie bei der keuschen Ampel in Italiens große
Dichter vertieft, er vor einem glimmenden Lagerfeuer über der Karte
brütend, dann endlich wieder auf Ischia, dem Besitzthum des Marchese,
wie auf einer seligen Insel sich vereinigend. Solches wußte das
sittenlose Italien und zweifelte nicht, sondern bewunderte mit einem
Lächeln.

Auch die zwei vor dem Bilde Stehenden empfanden die Schönheit dieses
Bundes der weiblichen Begeisterung mit der männlichen
Selbstbeherrschung. Sie empfanden sie nicht mit der Seele, aber mit
den feinen Fingerspitzen des Kunstgefühls. So wären sie noch lange
gestanden, wenn nicht der Kammerherr unterthänig gemahnt hätte, daß
zwei Geladene im Vorzimmer des Eßsaales warteten. Durch ein paar
Thüren wurde jenes erreicht und, nach einer kurzen Vorstellung der
Gäste, dieser betreten.

Jetzt saßen die Viere an der nicht überladenen, aber ausgesuchten
Tafel. Während des ersten leichten Gespräches besah sich der Herzog
insgeheim seine Gäste. Keine Gesichter konnten unähnlicher sein als
diese dreie. Den häßlichen Kopf und die grotesken Züge seines
Kanzlers freilich wußte er auswendig, aber es fiel ihm auf, wie
ruhelos dieser heute die feurigen Augen rollte und wie über der
dreisten Stirn das pechschwarze Kraushaar sich zu sträuben schien.
Daneben hob sich das Haupt Guicciardins durch männlichen Bau und
einen republikanisch stolzen Ausdruck sehr edel ab. Der Venezianer
endlich war eines schönen Mannes Bild mit einem vollen weichen Haar,
leise spottenden Augen und einem liebenswürdigen verrätherischen
Lächeln. Auch in der Farbe unterschieden sich die drei Angesichter.
Die des Kanzlers war olivenbraun, der Venezianer besaß die
durchsichtige Blässe der Lagunenbewohner, und Guicciardin sah so gelb
und gallig aus, daß der Herzog sich bewogen fühlte ihn nach seiner
Gesundheit zu fragen.

"Hoheit, ich litt an der Gelbsucht", versetzte der Florentiner kurz.
"Die Galle ist mir ausgetreten, und das ist nicht zum Verwundern,
wenn man weiß, daß mich die Heiligkeit in ihre Legationen versendet
hat, um dieselben zu einem ordentlichen Staate einzurichten. Da
schaffe einer Ordnung, wo die Pfaffen Meister sind! Nichts mehr
davon, sonst packt mich das Fieber, trotz der gesunden Luft von
Mailand und den guten deutschen Nachrichten." Er wies eine süße
Schüssel zurück und bereitete sich mit mehr Essig als Öl einen
Gurkensalat.

"Nachrichten aus Deutschland?" fragte der Kanzler.

"Nun ja, Morone. Ich habe Briefe von kundiger Hand. Die Mordbauern
sind zu Paaren getrieben und--das Schönste--Fra Martino selbst ist
mit Schrift und Wort gewaltig gegen sie aufgetreten. Das freut mich
und läßt mich an seine Sendung glauben. Denn, Herrschaften, ein
weltbewegender Mensch hat zwei Ämter: er vollzieht, was die Zeit
fordert, dann aber--und das ist sein schwereres Amt--steht er wie ein
Gigant gegen den aufspritzenden Gischt des Jahrhunderts und
schleudert hinter sich die aufgeregten Narren und bösen Buben, die
mitthun wollen, das gerechte Werk übertreibend und schändend."

Der Herzog war ein wenig enttäuscht, denn er liebte Krieg und Aufruhr,
wenn sie jenseits der Berge wütheten und seine Einbildungskraft
beschäftigten, während er selbst außer Gefahr stand. Der Kanzler
aber that einen Seufzer und sagte mit einem wahren menschlichen
Gefühle: "In Germanien mag nun viel Grausames geschehen."

"Thut mir leid", versetzte der Florentiner, "doch ich behalte das
Ganze im Auge. Jetzt, nach Bändigung der trotzigen Ritter und der
rebellischen Bauern, führen die Fürsten. Die Reformation, oder wie
ihr es nennen wollet, ist gerettet."

"Und Ihr seid ein Republikaner?" stichelte der Kanzler.

"Nicht in Deutschland."

Auch der schöne Lälius gönnte sich einen Scherz. "Und Ihr dienet dem
heiligen Vater, Guicciardin?" lispelte er.

Dieser, dem das süßliche Lächeln widerstand und den seine Gelbsucht
reizbar machte, antwortete freimüthig: "Jawohl, Herrlichkeit, zur
Strafe meiner Sünden! Der Papst ist ein Medici, und diesem Hause ist
Florenz verfallen. Ich aber will nicht aus meiner Vaterstadt
vertrieben werden, denn flüchtig sein ist das schlimmste Los und
gegen seine Heimat zu Felde liegen das größte Verbrechen. Der
Heilige Vater weiß, wer ich bin, und nimmt mich nicht anders, als ich
bin. Ich diene ihm, und er hat nicht über mich zu klagen. Aber ich
lasse mir nicht das Maul verbinden, und so sei es mit Wonne
ausgesprochen unter uns Wissenden: Fra Martino hat eine gerechte
Sache, und sie wird sich behaupten."

Dem Herzog machte es Spaß, und er empfand eine Schadenfreude, es zu
erleben, wie der große germanische Ketzer von einem Sachwalter des
heiligen Vaters verherrlicht wurde. Freilich überlief ihn eine
Gänsehaut, daß solches in seiner Gegenwart und in seinem Palaste
geschehe. Er winkte die Diener weg, welche eben die Früchte
aufgesetzt hatten und der spannenden Unterhaltung ihre stille
Aufmerksamkeit widmeten.

Jetzt forderte Morone, der sich auf seinem Stuhle hin und her
geworfen, mit flammenden Augen den Florentiner auf: "Ihr seid ein
Staatsmann, Guicciardin, und auch ich pfusche ins Handwerk. Wohlan,
begründet eure merkwürdigen Sätze: Bruder Martinus thut ein gerechtes
Werk, und dieses Werk wird gelingen und dauern."

Guicciardin leerte ruhig seinen Becher, während der schöne Lälius ein
Zuckerbrot zerbröckelte, der Herzog nach seiner Art sich im Sessel
gleiten ließ und Morone begeistert von dem seinigen aufsprang.

"Nicht wahr, Herrschaften", begann der Florentiner, "kein Kind, kein
Thor würde es ertragen, wenn ein Ding vorgeben wollte, dasselbe Ding
geblieben zu sein, nachdem es sich in sein Gegentheil verwandelt hätte,
zum Beispiel das Lamm in den Wolf, oder ein Engel in einen Teufel.
Wie wir nun in unserm gebildeten Italien von der heiligen Gestalt
denken mögen, die sich in den Päpsten fortsetzt, eines ist nicht zu
leugnen: daß sie nur Gutes und Schönes gewollt hat. Und ihre
Nachfolger, die das Werk und Amt des Nazareners übernommen
haben--sehet nur die viere der Wende des Jahrhunderts! Da ist der
Verschwörer, der unsern gütigen Julian gemeuchelt hat! Dann kommt
der schamlose Verkäufer der göttlichen Vergebung! Nach ihm der
Mörder, jener unheimliche zärtliche Familienvater! Keine
Fabelgestalten, sondern Ungeheuer von Fleisch und Blut, in kolossalen
Verhältnissen vor dem Auge der Gegenwart stehend! Und der vierte,
den ich von Jenen trenne: unser großer Julius, ein Heros, der Gott
Mars, aber ein Gegensatz, noch schreiender als jene Dreie zu dem
sanftmüthigen Friedestifter! Viermal nacheinander dieser Widerspruch,
das ist ein Hohn gegen die menschliche Vernunft. Es nimmt ein Ende:
entweder verschwindet jene erste himmlische Gestalt in dieser
dampfenden Hölle und flammenden Waffenschmiede, oder Bruder Martinus
löst sie mit einem scharfen Schnitt von solchen Nachfolgern und
Amtsbrüdern."

"Das ist lustig", meinte der Herzog, während der Kanzler wie besessen
in die Hände klatschte.

"Eine Predigt Savonarolas", ließ sich der schöne Lelio vernehmen, ein
Gähnen verwindend. "Wenn wir Fra Martino in Venedig hätten, so
könnten wir ihn zügeln und sachdienlich verwenden. Aber seinem
germanischen Trotzkopf überlassen, wird er, fürcht' ich, über kurz
oder lang dem Andern auf den Scheiterhaufen folgen."

"Nein", versetzte Guicciardin heiter, "seine braven deutschen Fürsten
werden ihr Schwert vor ihn halten und ihn schützen."

"Doch wer schützt seine Fürsten?" spottete der Venezianer.

Guicciardin schlug eine fröhliche Lache auf. "Der heilige Vater",
sagte er. "Sehet, Herrschaften, das ist eine jener verdammt feinen
Zwickmühlen, wie sie der Zufall oder ein Besserer in der
Weltgeschichte anlegt. Seit unsere Päpste sich verweltlicht haben
und einen Staat in Italien besitzen, ist ihnen das kleine Zepter
theurer als der lange Hirtenstab. Ist nicht, diesem Scepter zuliebe,
unser Clemens im Begriff, dem frommgläubigen Kaiser förmlich den
Krieg zu erklären? Einem heiligen Vater aber, der mit Kanonen auf
ihn schießt, wird Karl kaum den Gefallen thun, seine tapfern
germanischen Landsknechte in die Kirche zurückzuzwingen. Und
umgekehrt: wenn die ketzerischen deutschen Fürsten gegen die
Kaiserliche Majestät sich empören und Panier aufwerfen, wird der
heilige Vater nicht ihre Seele vorläufig in Ruhe lassen und sich
heimlich ihrer Waffen bedienen? Unterdessen aber wächst der Baum und
streckt seine Wurzeln."

Jetzt wurde der Herzog unruhig. Es kam die angenehme Stunde seines
Tagewerkes, in welcher er seine Hunde und Falken mit eigenen Händen
fütterte. "Herrschaften", sagte er, "mich würde dieser germanische
Mönch nicht verführen. Man hat mir sein Bildnis gezeigt: ein plumper
Bauernkopf, ohne Hals, tief in den Schultern. Und seine Gönner, die
saxonischen Fürsten--Bierfässer!"

Guicciardin zerdrückte den feinen Kelch in der Hand und einen Fluch
zwischen den Zähnen. "Es ist schwül hier im Saale", entschuldigte er
sich, und gleich hob der Herzog die Tafel auf. "Wir wollen frische
Luft schöpfen", meinte er. "Auf Wiedersehen, Herrschaften, nach
Sonnenuntergang, im grünen Kabinette."

Er verließ das Zimmer, um dem Venezianer, an welchem er ein
Wohlgefallen fand, seine Gebäude, Terrassen und Gärten zu zeigen. Es
waren noch jene unvergleichlichen Anlagen, welche der letzte Visconte
gebaut und mit seinem gespenstischen Treiben erfüllt hatte, die
Überbleibsel jener "Burg des Glückes", wo er, wie ein scheuer Dämon
in seinem Zauberschlosse, Italien mit vollendeter Kunst regierte, und
aus welcher er seine Günstlinge, sobald sie erkrankten, wegtragen
ließ, damit niemals der Tod an diese Marmorpforten klopfe.

Ein guter Theil der alten Pracht war verfallen, oder zertreten und
verschüttet durch den Krieg und die neu aufgeworfenen Bollwerke.
Immerhin blieb noch genug übrig für die schmeichelnde Bewunderung des
schönen Lälius, und Franz Sforza verlebte ein paar hübsche Stunden.
Nur da sie eine Reitbahn betraten, welche der Bourbon während seiner
mailändischen Statthalterschaft errichtet, verschatteten sich die
fürstlichen Züge, um sich dann aber gleich wieder zu erheitern. Er
hatte das schallende Gelächter Guicciardins vernommen und darauf
diesen selbst erblickt, der sich in eine ländliche Veranda hemdärmlig
mitten unter lombardische Stallknechte gesetzt hatte, mit ihnen
Karten spielte und einem herben Landweine zusprach. "Die
Vergnügungen eines Republikaners", spottete Franz Sforza. "Er erholt
sich von seinem fürstlichen Umgange." Der schöne Lelio lächelte
zweideutig, und sie setzten ihren Lustwandel fort.

Der Erste, welcher sich in dem moosgrünen Kabinette einfand, wenn er
es nicht etwa gleich nach aufgehobener Tafel betreten und nicht
wieder verlassen hatte, war Girolamo Morone. Er stand vertieft in
das Bild. Eine Weile mochte er die entzückten Augen an dem
holdseligen Weibe geweidet haben, jetzt aber durchforschte er mit
angestrengtem Blicke das Antlitz des Pescara, und was er aus den
starken Zügen heraus oder in dieselben hinein las, gestaltete sich in
dem erregten Manne zu heftigen Gebärden und abgebrochenen Lauten.
"Wie wirst du spielen, Pescara?" stammelte er, die schalkhafte Frage,
die in Victorias unschuldigem Auge lag, ingrimmig wiederholend und
die pechschwarze Braue zusammenziehend.

Da erhielt er einen kräftigen Schlag auf die Schulter. "Verliebst du
dich in die göttliche Victoria, du Sumpf?" fragte ihn Guicciardin mit
einem derben Gelächter.

"Spaß beiseite, Guicciardin, was denkst du von Dem hier mit dem rothen
Wamse?", und der Kanzler wies auf den Feldherrn.

"Er sieht wie ein Henker."

"Nicht, Guicciardin. Ich meine: was sagst du zu diesen Zügen? Sind
es die eines Italieners oder die eines Spaniers?"

"Eine schöne Mischung, Morone. Die Laster von beiden: falsch,
grausam und geizig! So habe ich ihn erfahren, und du selbst, Kanzler,
hast mir ihn so gezeichnet. Erinnere dich! in Rom, vor zwei Jahren,
da der witzige Jakob uns zusammen über den Tiber setzte."

"Hab ich? Dann war es der Irrthum eines momentanen Eindrucks.
Menschen und Dinge wechseln."

"Die Dinge, ja; die Menschen, nein: sie verkleiden und spreizen sich,
doch sie bleiben, wer sie sind. Nicht wahr, Hoheit?" Guicciardin
wendete sich gegen den Herzog, welcher eben eintrat und dem der
Venezianer auf dem Fuße folgte.

Die vier grünen Schemel besetzten sich und die Türen wurden verboten.
Das offene Fenster füllte ein glühender Abendhimmel.

"Herrschaften", begann der Herzog mit würdiger Miene, "wie weit die
Vollmachten?"

"Meine Bescheidenheit", sagte der schöne Lälius, "ist beauftragt
abzuschließen."

"Die Weisheit des heiligen Vaters", folgte Guicciardin, "wünscht
ebenfalls ein Ende. Die Liga war langeher der Liebling ihrer
Gedanken: sie stellt sich, wie ihr gebührt, an die Spitze, mit
Vorbehalt der schonenden Formen des höchsten Hirtenamtes."

"Die Liga ist geschlossen!" rief der Herzog muthig. "Kanzler, statte
Bericht ab!"

"Herrschaften", begann dieser, "in ihren Briefen verspricht die
französische Regentschaft, im Einverständnis mit dem zu Madrid
gefangen sitzenden Könige, ein ansehnliches Heer und entsagt zugleich
endgültig, in die Hände des heiligen Vaters, den Ansprüchen auf
Neapel und Mailand."

"Optime!" jubelte der Herzog. "Und Schweizer bekämen wir soviel wir
wollen, in lichten Haufen, wenn wir nur Ducaten hätten, ihnen damit
zu klingeln. Nicht wahr, Kanzler?"

"Da ist Rat zu schaffen", versicherten die zwei Andern.

"Aber, Herren", drängte Morone, "es eilt! Der Borbone war hier. Man
blickt uns in die Karten. Die drei Feldherrn drohen in Monatsfrist
Mailand zu nehmen, wenn wir nicht abrüsten. Wir müssen losschlagen,
und um loszuschlagen, müssen wir unsern Capitano wählen, jetzt,
sogleich!"

"Dazu sind wir gekommen", sprachen die Zweie wiederum einstimmig.

"Der Liga den Feldherrn geben!" wiederholte der Kanzler. "Das ist
nicht weniger als über das Los Italiens entscheiden! Wen stellen wir
dem Pescara entgegen, dem größten Feldherrn der Gegenwart? Nennet
mir den ebenbürtigen Geist! Unsern großen Kriegsleuten, dem Alviano,
dem Trivulzio, ist längst die Grabschrift gemacht, und die übrigen
hat Pavia getödtet. Nennet mir ihn! Zeiget mir die mächtige Gestalt!
Wo ist die gepanzerte rettende Hand, daß ich sie ergreife?"

Eine trübe Stimmung kam über die Gesellschaft, und der Kanzler
weidete sich an der Niedergeschlagenheit der Verbündeten.

"Wir haben den Urbinaten oder den Ferraresen", meinte Nasi, doch
Guicciardin erklärte bündig, den Herzog von Ferrara schließe die
Heiligkeit aus als ihren abtrünnigen Lehensmann. "Wählen wir den
Herzog von Urbino. Er ist kleinlich und selbstsüchtig, ohne weiten
Blick, ein ewiger Verschlepper und Zauderer, aber ein versuchter
Kriegsmann, und es bleibt uns kein Anderer", sprach der Florentiner
mit gerunzelter Stirn.

"Da wäre noch Euer Hans Medici, Guicciardin, und Ihr hättet den
jungen Waghals, nach dem euer Herz zu begehren scheint", neckte ihn
der Venezianer.

"Höhnt Ihr mich, Nasi?" zürnte Guicciardin. "Daß ein junger Frevler
unsere patriotische Sache entweihe und ein tollkühner Bube unsern
letzten Krieg mit den Würfeln einer leichtsinnigen Schlacht
verspiele? Der Urbinate wird uns wenigstens nicht verderben, wenn er
den Krieg verewigt, die Hilfe eines würgenden Fiebers oder eines
Auflaufes der Landsknechte im kaiserlichen Lager abwartend. Wählen
wir ihn." Er seufzte, und in demselben Augenblicke fuhr er wüthend
gegen den Kanzler los, den er das Ende seiner Rede mit einem
verzweifelnden Gebärdenspiele begleiten sah. "Laß die Grimassen,
Narr!" schrie er ihn an, "... ich bitte um Vergebung, Hoheit, wenn ich
ungeduldig werde, und Hoheit ist auf meiner Seite, wie ich glaube..."
Der Herzog blickte auf seinen Kanzler.

"Sei es", sagte Morone, "wir stimmen bei, aber es ist ein unfreudiges
Ja, das die Hoheit zu dem seelenlosen Anfange unsers Bündnisses giebt."
Der Herzog nickte trübselig. "Nein", rief der Kanzler, "sie giebt
es nicht, die Hoheit tritt zurück, sie kann es nicht verantworten,
die letzten Kräfte dieses Herzogtums zu erschöpfen! Sie zieht nicht
zu Felde, im voraus entmuthigt und geschlagen! Die Liga ist
aufgehoben! Oder wir suchen ihr einen siegenden Feldherrn."

Die zwei Andern schwiegen mißmuthig.

"Und ich weiß einen!" sagte Morone.

"Du weißt ihn?" schrie Guicciardin. "Bei allen Teufeln, heraus damit!
Rede! Wen werfen wir in die Wagschale gegen Pescara?"

"Redet, Kanzler!" trieb auch der Venezianer.

Morone, der von seinem Schemel aufgesprungen war, trat einen Schritt
vorwärts und sprach mit starker Stimme: "Wen wir gegen Pescara in die
Wagschale werfen? Welchen Ebenbürtigen? Pescara, ihn selber!"

Ein Schrecken versteinerte die Gesellschaft. Der Herzog starrte
seinen außerordentlichen Kanzler mit aufgerissenen Augen an, während
Guicciardin und der Venezianer langsam die Hand an die Stirn legten
und zu sinnen begannen. Beide erriethen sie als kluge Leute ohne
Schwierigkeit, wie Morone es meinte. Sie waren die Söhne eines
Jahrhunderts, wo jede Art von Verrath und Wortbruch zu den
alltäglichen Dingen gehörte. Hätte es sich um einen gewöhnlichen
Kondottiere gehandelt, einen jener fürstlichen oder plebejischen
Abenteurer, welche ihre Banden dem Meistbietenden verkauften, sie
hätten wohl dem Kanzler sein frevles Wort von den Lippen
vorweggenommen. Aber den ersten Kaiserlichen Heerführer? aber
Pescara? Unmöglich! Doch warum nicht Pescara? Und da Morone
leidenschaftlich zu sprechen begann, verschlangen sie seine Worte.

"Herrschaften", sagte dieser, "Pescara ist unter uns geboren. Er hat
Spanien niemals betreten. Die herrlichste Italienerin ist sein Weib.
Er muß Italien lieben. Er gehört zu uns, und in dieser
Schicksalsstunde, da wir mit dem noch ledigen Arm unsern andern schon
gefesselten befreien wollen, nehmen wir den größten Sohn der Heimat
und ihren einzigen Feldherrn in Anspruch. Wir wollen zu ihm gehen,
ihn umschlingen und ihn anrufen: Rette Italien, Pescara! Ziehe es
empor! Oder es reißt dich mit in den Abgrund!"

"Genug declamiert!" rief Guicciardin. "Ein Phantast wie du, Kanzler,
mit den unbändigen Sprüngen deiner Einbildungskraft ist dazu da, das
Unmögliche zu erdenken und auszusprechen, das vielleicht, näher
betrachtet, nicht völlig unmöglich ist. Jetzt aber sei stille und
laß die Vernünftigen es beschauen und sich zurechtlegen, was du im
Fieber geweissagt hast. Gebärde dich nicht wie ein Rasender, sondern
setze dich und laß mich reden!

Herrschaften, oft, und in verzweifelten Lagen immer, ist Kühnheit der
beste und einzige Rath. Der Krieg unter dem Urbinaten starrt uns an
wie eine Maske mit leeren Augen. Wir alle fühlen, er würde uns
langsam lähmen und methodisch zu Grunde richten. Lieber ein
halsbrechendes Wagnis. Also ja! Wenn es nach mir geht, versuchen
wir den Pescara! Verräth er uns an den Kaiser, so kann er uns alle
verderben. Aber wer weiß, ob er nicht seinem Dämon unterliegt?
Zuerst müssen wir uns fragen: Wer ist Pescara? Ich will es euch
sagen: ein genialer Rechner, der die Möglichkeiten scharfsinnig
scheidet und abwägt, der die Dinge unter ihrem trügerischen Antlitz
auf ihren wahren Werth und ihre reale Macht zu untersuchen die
Gewohnheit hat. Wäre er sonst, der er ist, der Sieger von Bicocca
und Pavia? Wenn wir ihn antreten, wird er zuerst eine große
Entrüstung heucheln über eine Sache, die er sicherlich selbst schon
in gewissen Stunden sich besehen und betrachtet hat, wenn auch
vielleicht nur als Übung seines immerfort arbeitenden Verstandes.
Dann wird er langsam und sorgfältig abwägen: den Stoff, den wir ihm
geben, das heißt unser Italien, ob sich daraus ein Heer und später
ein Reich bilden ließe, und--seinen Lohn. Und da der Stoff zwar edel,
aber spröde ist und einer gewaltig bildenden Hand bedarf, müssen wir
ihm die größte Belohnung bieten: eine Krone."

"Welche Krone?" stammelte der Herzog angstvoll.

"Eine Krone, Hoheit, sagte ich, keinen Herzogshut, und meinte die
schöne von Neapel. Sie ist in Feindeshand, also erledigt, und ein
Lehen der Heiligkeit."

"Wenn wir Kronen austheilen", spottete der Venezianer, "warum bieten
wir dem Pescara nicht gleich die Fabel- und Traumkrone von Italien?"

"Die Traumkrone!" Das Antlitz des Florentiners zuckte schmerzlich.
Dann sprach er trotzig, sich und die Umsitzenden vergessend: "Die
Krone von Italien! Wenn Pescara an der Spitze unserer Heere reitet,
wird sie ungenannt vor ihm herschweben. Möchte er sie, als der
Größte unserer Geschichte, fassen und ergreifen, diese ideale Krone,
nach welcher schon so manche Hände und die frevelhaftesten sich
gestreckt haben! Möge sie auf seinem Haupte zur Wahrheit werden!
Und", sagte er kühn, "weil wir heute jedes gewöhnliche Maß verlassen
und unsern Endgedanken und innersten Wünschen Gestalt geben, so
wisset, Herrschaften: ist Pescara der Vorausbestimmte, wie es möglich
wäre, in der Zeit liegen große Begünstigungen und in den Sternen
glückliche Verheißungen. Baut er Italien, so wird er es auch
beherrschen. Aber, Kanzler, ich habe dich einen Phantasten genannt
und phantasiere größer als du. Kehren wir zurück aus dem Reiche des
Ungebornen in die Wirklichkeit und stellen wir die Frage: wer
übernimmt die Rolle des Versuchers?"

"Ich stürze mich wie Curtius in den Abgrund!" rief der Kanzler aus.

"Recht", billigte Guicciardin. "Du bist die Person dazu. Einem
Andern würde die Stimme versagen, und er würde vor Scham versinken,
wenn er vor Pescara träte, um mit ihm von seinem Verrathe zu reden.
Du Schamloser aber bist zu allem fähig, und deine Schellenkappe
bringt dich aus Lagen und Verwicklungen, wo jeder Andere hängen
bliebe. Will Pescara nicht, so nimmt er dich von deiner närrischen
Seite und behandelt dich als Possenreißer; will er, so wird er unter
deinen tragischen Gebärden und deinen komischen Runzeln den Ernst und
die Größe der Sache schon zu entdecken wissen. Gehe du hin, mein
Sohn, und versuche den Pescara!"

Der Herzog, der sich grübelnd auf seinem Schemel zusammengekauert
hatte, wollte eben nach Licht rufen, denn die Dämmerung wuchs, und er
fürchtete das Dunkel. Da sah er die Dinge unvermuthet auf ihre Spitze
kommen und wurde ängstlich. "Kanzler, du darfst nicht!" verbot er.
"Ich will mit diesem großmächtigen Pescara nichts zu schaffen haben.
Bekommen wir ihn, so wird er zuerst meine Ebenen nehmen, welche den
Krieg anlocken, und meine Festungen, welche sie behaupten. Und hat
er sie, so wird er sie behalten. Verspielt er aber, so büße ich
zuerst und verfalle ohne Gnade dem Spruche des Kaisers, meines
Lehensherrn. Oh, ich durchschaue euch! Ihr Alle, selbst Dieser
da"--er blickte wehmüthig nach seinem Kanzler--"habet immer nur euer
Italien im Sinne, und ich gelte euch"--er blies über die flache
Hand--"soviel! Ich aber bin ein Fürst und will mein Erbe, mein
Mailand, und nichts als mein Mailand! Und du, Girolamo, gehst nicht
zu Pescara. Die Geschäfte würden darunter leiden. Ich kann dich
keine Stunde entbehren!"

Jetzt nahm der schöne Lälius das Wort und lispelte: "Wenn Hoheit
darauf bestünde, so würde durch ihren Einspruch unser Plan hinfällig,
und ich hätte einen andern. Da wir uns einmal, sonderbarerweise,
nach unserm Capitano unter den kaiserlichen Feldherrn umsehen, wäre
nicht etwa der Versuch zu machen, ob sich der Borbone, gegen ein
großes Anerbieten, zu einem zweiten Verrath entschlösse?"

Der Herzog schrak zusammen. "Wann verreisest du, mein Girolamo?"
fragte er.

"Zuerst, Kanzler", fiel Guicciardin ein, "habe ich Auftrag, dich nach
Rom mitzunehmen. Der heilige Vater wünscht dich näher kennen zu lernen.
Denn er hat eine große Meinung von dir. Er nennt dich den Kanzler
Proteus und behauptet, du seiest, trotz deiner tollen Augen, einer
der klügsten Männer Italiens."

"Das ist gut", bemerkte der Venezianer, "schon weil es die
entscheidende Stunde verschiebt, in welcher Girolamo Morone als
Versucher zu Pescara tritt. Ich wünsche dieser Stunde zuvor einen
Grund und eine Wurzel in der öffentlichen Meinung zu geben. Darf ich
mich darüber verbreiten, Herrschaften?"

Das fade Gesicht des Venezianers nahm, soweit sich in der Dämmerung
noch unterscheiden ließ, einen energischen Ausdruck an und er redete
mit markiger Stimme: "Der Kanzler, da er sein bedeutendes Wort
aussprach, hat uns ohne Zweifel erschreckt, aber nicht eigentlich in
Verwunderung gesetzt. Nachdem der vernichtende Schlag von Pavia dem
Kaiser unser ganzes Italien wehrlos zu Füßen geworfen hatte, suchte
die öffentliche Meinung von selbst eine Schranke gegen die drohende
Allmacht und ließ aus der Natur der Dinge unsere Liga emporwachsen.
Zugleich beschäftigte sich die öffentliche Meinung mit dem Lohne, der
Pescara für seinen vollkommenen Sieg und die Erbeutung eines Königes
gebühre. Und da die Kargheit und der Undank des Kaisers weltbekannt
sind, zog sie den Schluß, daß er seinen Feldherrn nicht
zufriedenstellen und dieser anderwärts einen Ersatz suchen werde.
Jetzt verbindet die öffentliche Meinung diese beiden Dinge: unsern
schon durchschimmernden patriotischen Bund und einen möglichen
größern Gewinn des Pescara. So wird sein Übertritt glaubwürdig,
bevor er sich vollzieht. Nur ist es dienlich, daß dieser begründeten
allgemeinen Ansicht durch eine geschickte Hand eine überzeugende
Gestalt und durch eine geläufige Zunge eine für ganz Italien
verständliche Sprache gegeben werde. Nun ist seit kurzem ein
wanderndes Talent unter uns aufgetaucht, ein vielversprechender
junger Mann, der sich hoffentlich noch an Venedig fesseln läßt--"

"Einen Fußtritt dem Aretiner! Er hat mich schändlich verleumdet..."
"Ein göttlicher Mann! Er hat mich den ersten Fürsten Italiens
genannt!" riefen Guicciardin und der Herzog miteinander aus.

"Ich sehe", lächelte Nasi, "daß der Mann auch hier nach seinem Werthe
gekannt ist. Seine Briefe, an wahre oder erfundene Personen, in
tausend und tausend Blättern ausgestreut, sind eine Macht und
beherrschen die Welt. Ich will ihm eine sehr starke Summe senden,
und ihr werdet euch über die Saat von schönfarbigen Giftpilzen
verwundern, die über Nacht aus dem ganzen Boden Italiens emporschießt:
Verse, Abhandlungen, Briefwechsel, ein bacchantisch aufspringender,
taumelnder Reigen verhüllter und nackter, drohender und verlockender
Figuren und Wendungen, alle um Pescara sich drehend und um die
Wahrscheinlichkeit und Schönheit seines Verrathes. So bildet sich
eine unüberwindliche allgemeine Überzeugung, welche den Pescara zu
uns herüberreißt und ihn zugleich--da liegt es--am kaiserlichen Hofe
so gründlich und endgültig untergräbt, daß er zum Verräther werden muß,
er wolle oder nicht."

"Nichts da, Exzellenz!" rief der Kanzler aus dem Dunkel. "Ihr
verderbt mir das Spiel! Der Befreier Italiens soll sich in voller
Freiheit entscheiden, nicht als das Opfer einer teuflischen Umgarnung..."

"Du bist prächtig, Kanzler, mit deinen moralischen Skrupeln!"
unterbrach ihn Guicciardin. "Wisse, auch mein Herz empört sich und
nimmt Theil für den unrettbar Überlisteten! Aber ich heiße den
Menschen schweigen und handle als Staatsmann. Das Mittel der
Exzellenz ist ohne Vergleichung unter alle dem, was heute Abend
gefunden wurde, das Ruchloseste, aber auch das Klügste und Wirksamste.
Erst jetzt wird die Sache wahrhaft gefährlich für Pescara, und sein
Verrath wahrscheinlich. Ans Werk."

"Er ist unter uns und lauscht!" schrie der Herzog mit gellender
Stimme, daß Alle zusammenfuhren. Ihre Blicke folgten seinem
geängstigten. Der Mond, der als blendende Silberscheibe über den
Horizont getreten war und seine schrägen Strahlen in das kleine
Gemach zu werfen begann, spielte wunderlich auf der Schachpartie.
Victorias hervorquellendes Auge blickte erzürnt, als spräche es: Hast
du gehört, Pescara? Welche Verruchtheit! und jetzt fragte es
angstvoll: Was wirst du thun, Pescara? Dieser war bleich wie der Tod,
mit einem Lächeln in den Mundwinkeln.





Zweites Kapitel



In der weiten hellen Fensternische jener edeln vatikanischen Kammer,
an deren Dielen und Wänden Raphael die Triumphe des Menschengeistes
verherrlicht, saß ein Greis mit großen Zügen und von ehrwürdiger
Erscheinung. Er sprach bedächtig zu dem emporgewendeten, mit
dunkelblonden Flechten umwundenen Haupte eines Weibes, das zu seinen
Füßen saß und mit einem warmen menschlichen Blut in den Adern ebenso
schön war als die Begriffe des Rechtes und der Theologie, wie sie der
Urbinate in herrlichen weiblichen Gestalten verkörpert. Der betagte
Papst mit seinem langen gebückten Rücken und in seinem fließenden
weißen Gewande ähnelte einer klugen Matrone, welche lehrhaft mit
einem jungen Weibe plaudert.

Noch nicht gar lange mochte Victoria auf ihrem Schemel gesessen haben,
denn der heilige Vater erkundigte sich eben erst nach dem Befinden
ihres Gatten, des Marchese von Pescara. "Die Seitenwunde von Pavia
macht sich nicht mehr fühlbar?" sagte er.

"Der Marchese ist völlig geheilt", erwiderte Victoria unschuldig.
"Die Seitenwunde ist vernarbt, sowie auch die schlimmere Stirnwunde.
Er wird Eure Heiligkeit begrüßen, wenn er den Urlaub antritt, den ihm
die Gnade des Kaisers zugesagt hat und der uns Glückselige"--sie
sprach es mit jubelnden Augen--"auf unserer Meeresinsel vereinigen
wird. Aber er selbst verweigert sich denselben für einmal noch,
weniger des politischen Horizontes wegen, der nicht heller noch
trüber sei als sonst--so schreibt er--, sondern weil er gerade jetzt
das Heer ungern verlasse. Der Mörder", sagte sie lächelnd,
"beschäftigt sich nämlich mit einer vervollkommneten Feuerwaffe und
einem neuen Manöver. Das brächte er nun gerne erst zu einem Ergebnis.
So hat er mich, die er anfänglich hier in Rom überraschen wollte,
in sein Feldlager nach Novara beschieden und ich reise morgen, nicht
im Schneckenhaus meiner Sänfte, sondern im Sattel meines hitzigen
türkischen Pferdchens. Hätte ich Flügel! mich verlangt nach den
Narben meines Herrn, dessen Antlitz ich nicht gesehen seit jener
berühmten Schlacht, die ihn unsterblich gemacht hat. Und so bin ich
zu der Heiligkeit geeilt in der Freude meines Herzens, um mich bei
Ihr zu beurlauben: denn das ist der Zweck meines Besuches." So
redete Victoria aufwallend und überquellend wie ein römischer Brunnen.

Ihre aufrichtigen Worte belehrten den Heiligen Vater, daß Pescara
sein Thun und Lassen in dasselbe Zwielicht stelle, welches auch er
liebte. Nur mit dem Unterschiede, daß der junge Pescara im
entscheidenden Augenblicke wie ein Blitz aus seiner Wolke
hervorsprang, während Clemens unentschlossen, über sich selbst zornig,
in der seinigen verborgen blieb, weil er aus greisenhafter
Überklugheit den Moment zu ergreifen versäumte. Er schärfte, in
einem andern Bilde gesprochen, den Stift so lange, bis zu seinem
Ärger die allzufeine Spitze abbrach. Jetzt trat er leise und
tastete.

"Einen Urlaub hat der Marchese verlangt?" verwunderte er sich. "Ich
dächte, seinen Abschied? Achilles zürnt im Zelte, so hörte ich."

"Davon weiß ich nichts, und das glaube ich nicht, Heiliger Vater",
entgegnete Victoria und warf mit einer stolzen Gebärde das Haupt
zurück. "Warum seinen Abschied?"

"Nicht wegen einer rosigen Briseis, Madonna", antwortete Clemens
ärgerlich mit einem frostigen Scherze, "sondern geprellt um einen
erbeuteten König und um die Thürme von Sora und Carpi."

Damit spielte der Papst auf zwei bekannte Thatsachen an. Der
Vicekönig von Neapel hatte bei Pavia, Pescara zuvorkommend, den Degen
des französischen Königs in Empfang und damit die Ehre vorweggenommen,
die erlauchte Beute nach Spanien führen zu dürfen. Und dann hatte
der Kaiser Sora und Carpi den begehrlichen Colonnen, den eigenen
Verwandten der Victoria geschenkt, nicht seinem großen Feldherrn,
welcher ebenfalls einen Blick danach geworfen.

Victoria erröthete unwillig. "Heiliger Vater, Ihr denkt gering von
meinem Gemahl. Ihr stellet Euch einen kleinlichen Pescara vor: gebet
mir Urlaub, damit ich reise und mich überzeuge, daß euer Pescara
nicht mein Pescara ist. Ich habe Eile, vor den wahren zu treten."

Sie erhob sich und stand groß vor dem Papste, aber schon verbeugte
sie sich wieder tief mit demüthiger Gebärde, um seinen Segen flehend.
Da bat er sie, sich wiederum zu setzen, und sie gehorchte. Clemens
durfte sich die Gelegenheit nicht entrinnen lassen, Pescara durch den
geliebten Mund seines Weibes zum Abfalle zu bereden. Daß aber mit
Anspielungen und Vorbereitungen bei der Colonna, wie er sie vor sich
sah, nichts gethan wäre, begriff er leicht: entweder würde sie sich
gegen das Zweideutige aufbäumen oder es als etwas Unverständliches
und Nichtiges unbesehen in den Winkel werfen. Er mußte dieser wahren
und auf Wahrheit dringenden Natur die Sache in klaren Umrissen
vorzeichnen und in ein volles Licht stellen, damit sie dieselbe ihres
Blickes würdige. Das ging ihm gegen seine Art, und er that einen
schweren Seufzer.

Da fand er eine Auskunft, die nicht ohne Geist und List war. Er
fragte Victoria mit einer harmlosen Miene, während er die Hand mit
dem Fischerring auf ein in blauen Sammet gebundenes Buch mit
vergoldeten Schlössern legte: "Spinnst du wieder etwas Poetisches,
geliebte Tochter? Wahrlich, ich bin ein Verehrer deiner Muse, weil
sie sich mit dem Guten und Heiligen beschäftigt. Und ich liebe sie
insbesondere, wo sie moralische Fragen stellt und beantwortet. Aber
das schwerste sittliche Problem hast du noch in keinem deiner Sonette
behandelt. Weißt du, welches ich meine, Victoria Colonna?"

Diese wunderte sich nicht über den plötzlichen Einfall des Heiligen
Vaters, weil sie hier auf dem eigenen Boden stand und, bei ihrem
schon gefeierten Namen, Gelehrte und Laien wohl nicht selten ähnliche
Fragen an sie richten mochten. Sie fühlte sich und erhob den
schlanken Leib kampflustig, während sich ihre Augen mit Licht füllten.
"Der größte sittliche Streit", sagte sie ohne Besinnen, "ist der
zwischen zwei höchsten Pflichten."

Jetzt hatte der Heilige Vater Fahrwasser gewonnen. "So ist es",
bekräftigte er mit theologischem Ernste. "Das heißt: scheinbar
höchsten, denn eine der beiden ist immer die höhere, sonst gäbe es
keine sittliche Weltordnung. Ich flehe zu Gott und seinen Heiligen,
daß sie dir beistehen und dich die höhere Pflicht erkennen lassen,
damit du sie der geringem vorziehest, du und dein Gatte, denn siehe,
dieser große und schwere Kampf wird an euch Beide herantreten."

Victoria erblaßte, da ihr die akademische Frage plötzlich in das
lebendige Fleisch schnitt, der Heilige Vater aber redete feierlich:
"Höre mich, meine Tochter! Alles, was ich dir jetzt zu sagen habe,
ist auch dem Marchese gesagt, den meine Worte durch dich erreichen.
Vernimm es: der Heilige Stuhl trennt sich zu dieser Stunde von der
kaiserlichen Majestät und bietet ihr die Spitze. Ich handle so als
Fürst und als Hirte. Als Fürst: weil heute die Schicksalsstunde
Italiens ist. Lassen wir sie verrinnen, so verfallen wir
italienischen Fürsten alle auf Jahrhunderte hinaus dem spanischen
Joche. Frage, wen du willst: so urtheilen alle Einsichtigen. Aber
auch als höchster Hirte. Ersteht in jenem räthselhaften Jüngling, der
Völker in seinem Blut und auf seinem Haupte Kronen vereinigt, der
alte Kaisergedanke, so ist die ganze leidenvolle Arbeit meiner
heiligen Vorgänger umsonst gewesen, und die Kirche wird durch die
neue Staatskunst enger gefesselt und tiefer gedemüthigt als von den
eisernen Fäusten jener fabelhaften germanischen Ungetüme, der Salier
und der Staufen. So steht es. Blieb dir fremd, was Italien mit
Furcht und Hoffnung erfüllt?"

"Der Marchese will es nicht glauben", sagte Victoria mit einem
schnellen Erröthen. Der Heilige Vater lächelte. "Heiligkeit vergesse
nicht", lächelte sie ebenfalls, "ich bin eine Colonna, das ist eine
Ghibellinin."

"Du bist eine Römerin, meine Tochter, und eine Christin", wies sie
Clemens zurecht.

Es entstand eine Pause. Dann fragte sie: "Und Pescara?"

"Pescara", antwortete der Papst und dämpfte die Stimme, "ist eher
mein Unterthan als derjenige des Kaisers. Denn er ist ein
Neapolitaner, und ich bin der Lehensherr von Neapel. Glaube nicht,
Victoria, daß ich leichthin rede. Wie dürfte ich es, da ich das
Gewissen der Welt bin? Wahrlich, ich sage dir: in schlaflosen
Nächten und bekümmerten Frühstunden habe ich mein Recht auf Pescara
geprüft. Meiner politischen Vernunft mißtrauend, habe ich die zwei
größten Rechtsgelehrten Italiens zu Rate gezogen, Accolti und... hm...
den zweiten."

Der Papst zerdrückte den Namen klüglich auf der Zunge, da ihm noch
zur rechten Zeit einfiel, dieser zweite Rechtsgelehrte, der Bischof
von Cervia, genieße des Rufes der schamlosesten Käuflichkeit.
"Beide"--Clemens klopfte mit dem Fischerring auf das blaue
Buch--"stimmen zusammen, daß Pescara, nach strengem Rechte betrachtet,
viel mehr mein Mann sei als der des Kaisers, und beide erinnern mich
daran, daß ich überdies, kraft meines Schlüsselamtes, jetzt, da der
Kaiser mein Feind wird, die Macht besitze, den Marchese eines Eides
zu entbinden, den er einem Feinde des Heiliges Stuhles geschworen hat."

Der Papst hatte sich langsam erhoben. "Und so tue ich!" sagte er
priesterlich. "Ich löse Ferdinand Avalos vom Kaiser und zerbreche
seine Treue. Ich ernenne den Marchese von Pescara zum Gonfaloniere
der Kirche und zum Feldherrn der Liga, welche die Heilige heißt, weil
Christus in der Person seines Nachfolgers an ihrer Spitze steht."
Der Papst hielt inne.

Jetzt hob er die rechte und die linke Hand in gleicher Höhe, als
hielten sie eine Krone über dem Haupte der Colonna, die, von Staunen
überwältigt, auf die Knie sank, und sprach mit lauter Stimme: "Die
Verdienste meines Gonfaloniere um mich und die Heilige Kirche voraus
belohnend, kröne ich Ferdinand Avalos Marchese von Pescara zum Könige
von Neapel!" Die junge Königin erbebte vor Freude. Sie glaubte eine
Krone zu verdienen. Sprachlos, mit brennenden Wangen empfing sie den
Segen. Dann stand sie auf und ging, in gemessenen, aber eiligen
Schritten, als könne sie es nicht erwarten, dem erhöhten Gemahl seine
Krone zu bringen.

Der Heilige Vater, selbst aufgeregt, folgte ihr so hastig, daß er
beinahe einen Pantoffel verloren hätte. An der Schwelle erreichte er
sie und wollte ihr den Band von blauem Sammet bieten. "Für den
Marchese", sagte er.

Da erblickte er hinter ihr Guicciardin mit Morone, die vielleicht ein
bißchen an der Türe gehorcht hatten. Victoria mit strahlenden Augen
voll glühender Wonne erschien dem Kanzler als ein solches Wunder, daß
er fast von Besinnung kam. Rasch gesammelt aber flehte er den Papst
an: "Die Heiligkeit mache mich Unheiligen bekannt mit der himmlischen
Victoria!", worauf Clemens ihm einen kleinen Klaps auf die Schulter
gab und ihn mit den Worten vorstellte: "Der Kanzler von Mailand, ein
Weltkind, auf das sich der Heilige Geist herabzulassen beginnt!"
Dann wisperte er Viktorien ins Ohr: "Morone, Buffone."

Diese verschwand in der Verwirrung ihres Glückes, während der Papst
in der seinigen das wichtige blaue Buch zurückbehielt, denn er war
noch ganz berauscht von der kühnen symbolischen That, zu welcher ihn
der Anblick der schönen Frau hingerissen hatte. Nun fühlte er doch,
daß er das Gleichgewicht verloren; er wies mit einer Handbewegung den
Besuch des Florentiners und des Lombarden ab und trat in die
Raffaelische Kammer zurück.

Die beiden nicht Empfangenen sahen sich einen Augenblick an, dann
ergriff Guicciardin lachend den Arm des Kanzlers und zog ihn
sanftgestufte Treppen hinunter in die Vatikanischen Gärten, deren
Schattengänge sie nicht aufzusuchen brauchten, denn der Himmel hatte
sich mit schwarzen Wolken bedeckt.

"Eigentlich", plauderte Guicciardin, "mag ich den Alten leiden. So
fein er spinnt und so bedacht er redet, ist er doch innerlich ein
leidenschaftlicher, ein zorniger Mensch wie ich, und jetzt höchst
aufgeregt, weil er der Colonna unsere gefährliche Heimlichkeit
geoffenbart hat. Du in deiner Verzückung hast es freilich nicht
gesehen, wie er ihr die Gutachten des Accolti und des Angelo de Cesis
in die Hand drücken wollte. Zwei käufliche Schurken, die den Meineid
mit Bibelstellen belegen! Übrigens ist es ein starkes Ding, daß
Clemens in seinen alten Tagen so Kühnes und Folgenschweres unternimmt,
und noch mehr, er unternimmt es mit tiefem Mißtrauen gegen sich
selbst, ohne Glauben an seinen Stern, denn er hält sich heimlich für
einen Pechvogel. Das ist schlimm. Da war denn doch der Leo ein
anderer, immer strahlend und triumphierend, und darum immer glücklich,
während die gegenwärtige Heiligkeit, wie sie mir neulich im Tone des
Jeremias prophezeite, die Ewige Stadt schon geplündert und aus diesen
Dächern"--er wies auf den Vatikan--"Rauch und Flamme steigen sieht.
Dennoch beginnt er den Kampf gegen den Kaiser, und das rechne ich ihm
hoch an, ob es ihm auch zuerst um sein Florenz zu thun ist. Er hat
noch Blut in den Adern und knirscht die Zähne, soviel ihm geblieben
sind, wenn er den hochmütigen spanischen Adel auf dem Kapitole
stolzieren sieht wie in Neapel oder Brüssel. Aber wohin träumst du,
Kanzler? Von dem Weibe? Natürlich."

"Ich will zu der Römerin reden wie ein alter Römer!" rief der Kanzler.

"Schön! Nur hüte dich, daß du in der Begeisterung nicht deinen
klassischen Bocksfuß unter der Toga hervorstreckest. Sei züchtig,
mache große Worte und packe sie fest an ihrer Eitelkeit!"

"An ihrem Herzen will ich sie packen!"

"Das heißt, an ihrer Tintenflasche, denn die Herzen schreibender
Weiber sind mit Tinte gefüllt", lästerte der schmähsüchtige
Florentiner. "Aber weißt du, Kanzler"--und Guicciardin kniff ihn
kräftig in den Arm--"daß es nicht der Heilige Vater allein ist, den
unsere Unternehmung schlaflos macht. Auch ich habe in dieser Woche
noch kein Auge geschlossen. Immer muß ich mir diesen Pescara
zurechtdenken. Auf seinen Groll gegen den Kaiser gebe ich nichts:
sie können sich über Nacht versöhnen. Ebensowenig auf den Einfluß
des Weibes. Sie wird ihm die Botschaft des Papstes ausrichten dürfen:
weiter wird er nicht auf sie hören. Aber ich glaube auch nicht an
seine feudale Treue. Pescara ist kein Cid Campeador, oder wie die
Spanier ihren loyalen Helden nennen, dafür ist er zu sehr ein Sohn
Italiens und des Jahrhunderts. Er glaubt nur an die Macht und an die
einzige Pflicht der großen Menschen, ihren vollen Wuchs zu erreichen
mit den Mitteln und an den Aufgaben der Zeit. So ist er und so paßt
er uns. Unfehlbar, er wird unsere Beute und wir die seinige.
Dennoch... lache mich aus, Morone... etwas umhaucht mich: ich wittere
Verborgenes oder Geheimgehaltenes, etwas Wesentliches oder auch etwas
Zufälliges, etwas Körperliches oder einen Zug seiner Seele, kurz, ein
unbekanntes Hindernis, das uns den Weg vertritt und unsere genaue
Rechnung fälscht und vereitelt."

"Aber", sagte Morone nachdenklich werdend, "wenn er so ist, wie du
ihn nimmst, und wenn die Thatsachen liegen, wie wir sie kennen, aus
welcher Geisterquelle sollte denn jenes Feindselige aufsteigen?"

"Ich weiß es nicht! Nur--von diesem Pescara geht der Ruf, er
verstehe es, einen stürmenden Feind alle Höhen erklimmen zu lassen,
um ihm dann plötzlich einen letzten mit Feuerschlünden besetzten und
ihn zerschmetternden Wall entgegenzustellen. Wenn in seinem Innern
ein solcher Wall gegen uns emporstiege, gerade im Augenblicke, da wir
glauben, seine Seele bewältigt zu haben? Doch weg mit dem Spuk, der
nichts ist als die Schwüle vor dem Gewitter, die natürliche Angst und
Ungewißheit, die jedem großen und gefährlichen Unternehmen vorangeht."

Ein Blitz flammte über den Vatikan. Er stand in weißem Feuer und
zeigte die schönen Verhältnisse der neuen Baukunst. Unter dem Rollen
des Donners verloren sich die zweie zwischen den Säulen eines
Portikus, Guicciardin betroffen und sich fragend, was das Omen
bedeute, der Kanzler unbekümmert um den Himmel und seine Zeichen,
denn er sah sich schon zu den Füßen der Colonna.

Diese hatte im Taumel ihrer Begeisterung den Vatikan über die nächste
seiner zahlreichen Treppen und durch eines seiner Nebentore verlassen.
Sänfte und Gefolge, welche sie an der Hauptpforte vergeblich
erwarteten, hatte sie vergessen und wandelte, mehr von ihrem
ehrgeizigen Traume getragen als von dem aufziehenden Gewitter gejagt,
mit bewegten Gewanden nach ihrem Palast am Apostelplatze zurück. Sie
schritt mit einer geraubten Krone wie die erste Tullia, nicht über
den Leichnam des Vaters, sondern über die gemeuchelte Staatstreue:
denn die Tochter des Fabricius Colonna und die Gattin Pescaras war
eine Neapolitanerin und die Unterthanin Karls des Fünften, des Königs
von Neapel.

Die krönende Gebärde des Papstes hatte sie überwältigt. Gewöhnung
und Umgebung, der Glaube der Jahrhunderte und die überlieferten
Formen der Frömmigkeit ließen sie in dem Haupte der Kirche, so
entartet diese sein mochte, immer noch eine Werkstätte des göttlichen
Willens und ein Gefäß der höchsten Ratschlüsse erblicken--und wie
hätte das eigene Selbstgefühl und mehr noch der Stolz auf den Wert
ihres Gatten sie zweifeln lassen an dem päpstlichen Rechte, auf das
würdigste Haupt eine Krone zu setzen? So konnte ihr die anmaßende
Handlung des Mediceers trotz der veränderten Zeiten als ein Ausspruch
der Gottheit erscheinen.

Die neue Königin ohne Gefolge hatte den Borgo durcheilt, die
Engelsbrücke überschritten und ging nun schon durch die "gerade
Gasse", wie sie hieß, im Gelärme der Menge. Diese gab der Colonna
ehrerbietig Raum, ohne zu erstaunen über den unbegleiteten Gang und
die eilenden Füße der erlauchten Frau, welche jetzt der dem Gewitter
vorangehende Sturm beflügelte. Nach und nach aber verlangsamten sich
ihre Schritte in dem dichter werdenden Gewühle der nicht breiten
Straße, obwohl der schmale Himmel darüber immer dunkler und drohender
wurde.

Da erblickte sie über die Menge hinweg eine Kavalkade. Herren der
spanischen Gesandtschaft begleiteten, wohl zu einer Audienz im
Vatikan, den dritten kaiserlichen Feldherrn in der Lombardei, Leyva.
Dieser vormalige Stallmeister, der Sohn eines Schenkwirts und einer
Dirne, den ein knechtischer Ehrgeiz und ein eiserner Wille
emporgebracht, hatte einen plumpen Körper und das Gesicht eines
Bullenbeißers, denn Stirn, Nase und Lippe waren ihm von demselben
Schwerthiebe gespaltet. Neben ihm auf einem herrlichen andalusischen
Vollblute ritt, in einen weißen Mantel gehüllt, ein vornehmer Mann
mit braunem Kopf und energischen Zügen, welcher jetzt mit einer
devoten Verbeugung Viktorien zu grüßen schien; aber er hatte sich nur
vor den steinernen Heiligen einer nahen Kirche verneigt.

War es die grelle Gewitterbeleuchtung oder die gemessen feindselige
Haltung der Herren in einer Stadt, von deren dreigekröntem Gebieter
sie ihren König insgeheim verraten wußten, oder war es Victorias
erregte Einbildungskraft, sie sah und fühlte in der Grandezza der
Reiter und Rosse, den in die Hüfte gesetzten Armen, den verächtlich
halb über die Schulter auf die Romulussöhne niedergleitenden Blicken
und bis in die steifen Bartspitzen den Hohn und die Beleidigung der
beginnenden spanischen Weltherrschaft, sie empfand Grauen und Ekel,
und ein tödlicher Haß regte sich in ihrem römischen Busen gegen diese
fremden Räuber und hochfahrenden Abenteurer, welche die neue und die
alte Erde zusammen erbeuteten. Warum war der junge Kaiser zugleich
der König dieser ruchlosen Nation, in deren Adern maurisches Blut
floß und die Italien mit ihren Borjas vergiftet hatte?

Sonst hätte sie wohl der uralte Familiengeist ihres gibellinischen
Geschlechtes, das jahrhundertelang seinen Vorteil darin gefunden
hatte, der kaiserlichen Sache ohne Gehorsam zu dienen, an Karl
gefesselt, aber nein, nicht an diesen Kaiser, auch wenn er kein
Spanier gewesen wäre. Sie konnte sich nichts machen aus dem
undeutlichen Knaben, den sie nie von Angesicht gesehen, weder sie
noch irgendwer in Italien, das jener zu betreten zögerte.

Einen Brief freilich hatte er an sie geschrieben nach dem Siege von
Pavia, um sie zu beglückwünschen, daß sie die Gattin Pescaras sei.
Aber gerade in diesen kargen Zeilen schien sich ein kümmerliches
Gemüt zu spiegeln, und was der großgesinnten Frau am meisten mißfiel,
war die in ihren Augen ängstliche und frömmelnde Demut, mit welcher
der junge Kaiser Gott und seinen Heiligen die ganze Ehre des Sieges
gab. Obwohl selbst dem Himmel dankbar, schätzte Victoria solche
Demut gering an einem Manne und an einem Herrscher. War hier nicht
das Geständnis, daß der begeisternde Sieg den Fernstehenden kühl
gelassen hatte, ja, war hier nicht die kleinliche Absicht, den
Lorbeer Pescaras zu schmälern? Darum mußte der Himmel alles gethan
haben. Victoria aber war brennend eifersüchtig auf den Ruhm ihres
Gatten. Und wie ungroßmütig hatte sich Karl erwiesen! Er hatte es
über sich gebracht, dem Feldherrn, welchem er Italien verdankte, zwei
armselige italienische Städtchen zu verweigern! Nein, einen so
kleinen Menschen konnte man gar nicht verraten, man konnte höchstens
von ihm abfallen und ihn fahrenlassen.

Jetzt blendete sie ein gewaltiger Blitz, derselbe, der den Kanzler
und Guicciardin unter die Dächer des Vatikans zurückgetrieben, und
eben da der Regen zu stürzen begann, erreichte sie, rechts durch ein
Seitengäßchen biegend, die dunkeln Stufen des Pantheon und seine
erhabene Vorhalle. Ohne das Innere des machtvollen Tempels zu
betreten, lehnte sie, die entstehende Kühle einatmend, an eine der
enge zusammengerückten gewaltigen Säulen, und unter dem Vordache des
alten Bauwerkes kehrte ihr Geist in ein noch früheres Altertum zurück,
dessen Tugenden die flüssige Bildkraft des Jahrhunderts
verherrlichte, ohne sie zu besitzen oder auch nur begreifen zu können
in ihrer eintönigen Starrheit und strengen Wirklichkeit.

Jene tugendhaften Lucretien und Cornelien traten ihr wie Schwestern
vor das altertumstrunkene Auge, trug sie doch zwei Namen, die beide
so römisch als möglich klangen, und war ihr doch wie jenen hohen
Frauen das weiblich Böse unbekannt. Jene schlichten und stolzen
Geschöpfe hatten die Eroberer der Welt geboren, Virgils großartiges
"Tu regere imperio", das sie sich wie oft schon vorgesagt hatte,
überwältigte sie jetzt bis zu den Tränen. Sie betrat den Tempel und
warf sich nieder in der Mitte desselben unter der wetterleuchtenden
Wölbung und rang die Hände und flehte, daß Rom und Italien nicht
versinke in das Grab der Knechtschaft. Sie flehte in den
christlichen Himmel hinauf und nicht minder zu dem Olympier, der über
ihr donnerte, zu alle dem, was da rettet und Macht hat, mit der
wunderlichen und doch so natürlichen Göttermischung der
Übergangszeiten.

Da sie das Pantheon verließ--wie lange sie auf den Knien gelegen,
wußte sie nicht--heiterte sich der italienische Himmel eben wieder
auf, und in ihrem gewöhnlichen Wandel, leicht und gemessen, beendigte
sie den Weg nach ihrem Palaste.

Jetzt kehrten ihre Gedanken zu Pescara zurück. Nicht diese ihre
Frauenhände konnten den Spanier verjagen, sondern nur er vermochte es,
welcher in jeder der seinigen einen Sieg hielt, wenn sie und die
Umstände ihn dazu überredeten. Durfte sie es hoffen? Hatte sie
solche Gewalt über ihn? Und Victoria mußte sich sagen, daß sie trotz
ihrer langen und trauten Ehe den innersten Pescara nicht kenne. Sie
wußte sein Angesicht, seine Gebärde, die kleinste seiner Gewohnheiten
auswendig. Daß der Enthaltsame ihr treu sei, glaubte sie und
täuschte sich nicht. Daß er sie anbetete und als sein höchstes Gut
mit der äußersten Liebe und Sorgfalt hegte, zärtlich und
verehrungsvoll zugleich, darauf war sie stolz. In den seligen
Stunden ihres kurzen, stets wieder von Feldzug und Lager aufgehobenen
Zusammenseins warf er Pläne und Karten und seinen Livius weg, um sein
Weib und gemeinsam mit ihr Meerbläue und wandernde Segel zu
betrachten. Er spielte mit ihr Schach, und sie gewann. Er bat sie,
die Laute zu schlagen, schloß die Augen und lauschte. Er gab ihr für
ihre Sonette spitzfindige Themata auf und verschärfte zuweilen den
Umriß ihrer allgemeinen Gedanken und weiten Wendungen, denn er selbst
hatte früher, in der unfreiwilligen Muße einer Gefangenschaft--und
wahrhaftig gar nicht übel für einen Geharnischten--zur Verherrlichung
Victorias einen "Triumph der Liebe" gedichtet.

Seine Siege aber erzählte er, jung wie er war und größerer gewärtig,
seinem Weibe niemals, da er sie, wie er sagte, weder langweilen noch
mit Blut bespritzen wolle, denn ein Feldzug sei eine lange
Geduldsprobe, die zu der roten Lache einer Schlachtbank führe. Von
Politik sprach er ihr nur gar nicht, weder von Vergangenem noch von
Schwebendem, obwohl ihm einmal das Wort entschlüpfte, Menschen und
Dinge mit unsichtbaren Händen zu lenken, sei das Feinste des Lebens,
und wer das einmal kenne, möge von nichts anderem mehr kosten. Doch
gewöhnlich meinte er, Politik sei ein schmutziger Markt und sein Weib
dürfe nicht einmal die helle Spitze ihres Fußes in den ekeln Sumpf
tauchen.

So gestand sich Victoria, daß ihr der alles untäuschbar
durchblickende Pescara undurchdringlich und sein Denken und Glauben
verschlossen sei.

War das recht? Durfte es für sie verbotene Türen und verschlossene
Kammern geben in der Seele ihres Mannes? Nach den Plänen des
Feldherrn und den Ränken des Staatsmannes war sie nicht begierig,
aber sie verlangte eingeweiht zu werden in seinen Ehrgeiz und in sein
Gewissen. Und jetzt, da Pescara vor einer ungeheuren Entscheidung
stand, nein, jetzt ließ sie sich nicht abschütteln von seinem
kämpfenden Herzen, nicht abspeisen mit einer Liebkosung oder einem
Scherze, jetzt wollte sie mitraten und mithandeln. Hatte sie ihm
nicht eine frische Seele und eine reine Jugend gebracht? War sie
nicht eine Colonna? Brachte sie nicht heute eine Krone? Ob er diese
zurückweise, ob er sie aus ihren Händen nehme und sie sich aufs Haupt
setze, hier wollte sie seine Mitschuldige oder seine Mitentsagende
sein, ein bewußter Teil seiner verschwiegenen Seele. Wäre sie schon
bei Pescara! Herz und Sohlen brannten ihr vor Ungeduld, und schon
durchschritt sie den Apostelplatz, wo ihr ein geharnischter Jüngling
entgegentrat, der unter dem Tor ihres Palastes auf sie gewartet hatte.

"Ich war um Euch in Sorge, erlauchte Frau", begrüßte er sie, "da Eure
Sänfte und Eure Leute ohne Euch aus dem Vatikan zurückgekehrt sind.
Nun, da seid Ihr ja, Patin, wenn ich Euch so nennen darf, wie ich von
jung an gewohnt war und es auch mein gutes Recht ist." Ohne Antwort
zu geben, stieg sie mit ihm die Treppen hinan, kaum auf seinen
dargebotenen Arm sich lehnend.

Diesen gewöhnlichen Dienst von ihm anzunehmen, durfte sie sich nicht
weigern, was sie auch gegen ihn haben mochte. Denn Del Guasto--so
hieß der Jüngling--war der Neffe Pescaras und wie er ein Avalos. Der
fünfzehnjährige Pescara und die gleichaltrige Victoria hatten den
Knaben gemeinsam aus der Taufe gehoben. So hatte es der Vater
Victorias, der Feldherr Fabricius Colonna, veranstaltet, um seine
zwei Lieblinge, den jungen Krieger und sein aufgeblühtes Kind,
zusammen vor einen Taufstein zu stellen und die beiden Gesichter und
Gestalten sich einander erblicken zu lassen.

Später nahm Victoria den wohlgebildeten und feurigen Knaben, der in
seinem kostbaren Taufhäubchen ihre Ehe mit Pescara gestiftet und dem
die Eltern früh wegstarben, an Kindes Statt. Wäre er nur ein Knabe
geblieben! Mit der Weichheit seiner Züge aber verlor er auch die
Liebenswürdigkeit seiner Seele. Das schöne Profil bekam einen
Geierblick und den immer schärfer sich biegenden Umriß eines
Raubvogels, und die sich offenbarende Unbarmherzigkeit begann
Victoria zu befremden und abzustoßen. Pescara hatte ihn dann in den
Krieg entführt, und in der einzigen Schule des von ihm vergötterten
Feldherrn war er zu dem verwegenen Soldaten erwachsen, der in der
Schlacht von Pavia durch Niederlegung der Parkmauer den Sieg begann,
aber auch zu dem harten, grausamen Menschen, der auf dem vorjährigen
schnellen Rückzug aus der Provence ein Haus, in dessen Keller ein
Dutzend seiner Leute sich verspätet hatten, ohne mit der Wimper zu
zucken, anzünden und in Flammen aufgehen ließ.

Doch Victoria hatte ihm Schlimmeres vorzuwerfen, einen Frevel, der
die Frau in ihr empörte, und davon sollte er nun hören, jetzt, da er
zum ersten Male seit diesem jüngsten Verbrechen vor ihr stand. Sie
erkundigte sich, ob er von Pescara komme und was er bringe. Er
antwortete, daß er da sei, um die Herrin nach Novara zu geleiten. Er
glaube zu wissen, daß sein Anblick der Herrin mißfalle, habe aber den
Auftrag des Feldherrn nicht ablehnen dürfen, der die Marchesa nur dem
sichersten Schwerte anvertrauen wolle. Denn die Straße werde ebenso
unsicher wie die Weltlage, und er müsse die Marchesa ersuchen, sich
morgen in der Frühe bereitzuhalten, er brenne, ins Lager
zurückzukehren, wo jeder nächste Moment den Krieg bringen könne, und
da dürfe er nicht fehlen. Der Mailänder, Venedig, die Heiligkeit
beteuern in die Wette ihre friedlichen Gesinnungen: also stehe der
Kampf bevor. "Das wissen wir lange schon, es ist nur eine Frage des
günstigen Augenblickes. Aber"--er trat einen Schritt zurück--"etwas
anderes, etwas Neues, etwas Ungeheures habe ich auf meiner Reise
durch Mittelitalien gehört, und ich brauchte nicht einmal zu lauschen.
In Städten und Herbergen rauschte es öffentlich wie die Brunnen auf
den Plätzen. Freilich reiste ich unter fremdem Namen und mit nur
einem Diener." Er hielt inne und blickte mit brennenden Augen, als
verfolge er die spannende Wendung einer Jagd oder einen in
Monddämmerung kriechenden Hinterhalt.

"Redet, Don Juan", flüsterte Victoria.

"Für Euch, Madonna, die aus dem Vatikan zurückkehrt, gibt es kein
Geheimnis, und es ist nicht einmal eines, sondern, wie ich sagte, ein
öffentliches Geflüster, ein schadenfrohes, rachsüchtiges Gekicher,
ein kaum unterdrückter, italienischer Jubel, eine allgemeine
patriotische Rede und Ermunterung, von der ich die größte Eile habe,
den Feldherrn zu unterrichten. Denn noch weiß er nichts davon. Wie
ich meine", fügte er argwöhnisch bei.

Victoria erbleichte. "Was wird geflüstert", fragte sie beklommen,
"und über wen? doch nicht über Pescara?"

"Von ihm. Er ist überall. Sie sagen"--er dämpfte die Stimme--"der
Feldherr löse sich vom Kaiser und unterhandle mit der Heiligkeit und
den italienischen Mächten."

Victoria erschrak über den glühend sinnlichen Ausdruck seines
Gesichtes. "Und Pescara..." sagte sie undeutlich.

"Wie ich den Feldherrn beneide!" träumte Don Juan. "Welche
Aufregungen, welche Genüsse! Italia wirft sich ihm in die Arme... er
wird sie liebkosen, unterjochen und wegwerfen... oh, er wird mit ihr
spielen wie die Katze mit der Maus!", und er machte mit der Rechten
eine haschende Gebärde.

Ein flammender Zorn übermochte die Colonna. "Verworfener", rief sie,
"habe ich dich gefragt, wie Pescara thun würde? Bist du der Mensch,
es zu wissen? Habe ich dir erlaubt, an ihm herumzudeuten?... Wie
die Katze mit der Maus... abscheulich! So hast du mit Julien
gespielt, Ehrloser!"

Diese Julia stammte aus einem edeln novaresischen Geschlechte und war
die Enkelin des gelehrten Arztes Messer Numa Dati, welcher die
Speerwunde Pescaras geheilt hatte. Del Guasto, der im Hause des
Arztes Quartier genommen, hatte das Mädchen mißleitet und die Wohnung
gewechselt. Die Preisgegebene war dann, von Scham vernichtet, vor
dem arglosen Antlitz ihres Großvaters von Novara weit weg in ein
römisches Kloster geflohen und hatte die mächtige Colonna auf den
Knien angefleht, sich ihrer zu erbarmen und ihre Ehre herzustellen.

Da ihn Victoria einen Ehrlosen hieß, biß sich Don Juan die Lippe.
"Sachte, Herrin", sagte er, "wäget Eure Worte. Ich bin kein Ehrloser,
sondern ich wäre es, wenn ich Julien nicht verlassen hätte. Ich
rede nicht von dem Unterschiede des Blutes eines Avalos und einer
Dati, sondern einfach davon, daß mir wie jedem Manne keine Gefallene,
sondern eine Unschuldige zur Braut geziemt."

Victorias menschliches Herz empörte sich. "Du bist es, der die
Ärmste mit deinen Liebkosungen und Beteuerungen, ja vielleicht gar
mit falschen Gelübden und Eiden zu Falle gebracht! Bist du es nicht?
Kannst du es leugnen?"

Er erwiderte: "Ich leugne es nicht, aber es war mein Kriegsrecht,
denn Krieg ist zwischen dem männlichen Willen und der weiblichen
Unschuld. Ich versuchte sie, ja. Warum widerstand sie nicht? Warum
gab sie sich? Warum beschuldigt Ihr mich, daß sie schwach war und
daß ich sie jetzt verachte und verschmähe?"

Victoria erstarrte vor Entsetzen. "Ruchloser!" stöhnte sie.

"Madonna", kürzte der Jüngling das Gespräch, "das ist eine peinliche
Unterhaltung, und Ihr tut mir leid dabei. Ich schlage Euch ein
Tribunal vor. In Novara angelangt, treten wir vor den Feldherrn, und
Ihr verklaget mich. Ich werde mich rechtfertigen, und der Feldherr,
der die Welt und ihre Ordnungen kennt, wird mich freisprechen, wie
ich denke. Jetzt verlasse ich Euch. Ich habe noch Leute zu werben,
denn ohne eine starke Bedeckung wage ich in diesen unruhigen Zeiten
nicht für Euch zu haften." Er verbeugte sich und verließ sie hohen
Hauptes.

Victoria wendete sich unwillig und wählte den entgegengesetzten
Ausgang. Sie bedurfte Kühlung und stieg in den Garten hinab. Mit
dem letzten Tageslichte betrat sie den hinter dem Palaste liegenden
Raum, welcher, von hohen Mauern eingehüllt, voller Lorbeer und Myrte
war und den der nachtröpfelnde Regen erfrischte. Ihre Schritte
suchten das den Garten abschließende Kasino.

Die Helle genügte noch, wenn auch mit Mühe die Lettern zu
unterscheiden in dem Evangelienbuche, welches sie im Vorbeigehen aus
der Bibliothek genommen und vor das sie sich gesetzt hatte, die heiße
Stirne in den gefalteten Händen. Ganz erfüllt von dem Schicksale
Juliens und dem größern Pescaras, durchlief sie mit den Augen
gedankenlos die aufgeschlagene Seite und atmete in vollen Zügen die
erfrischte Luft. Nach einer Weile wurde sie sich dessen bewußt, was
sie las: es war die dreimalige Versuchung des Herrn durch den Dämon
in der Wüste. Sie las weniger mit dem leiblichen als dem geistigen
Auge, was sie von Kind an auswendig wußte.

Sie sah den Dämon vor den Heiland treten, welcher das einfache Wort
der Treue und des Gehorsams den Sophismen des Versuchers
entgegenhielt. Als der Versucher heftiger drängte, deutete des
Menschen Sohn auf die Stelle seiner künftigen Speerwunde... Da
wandelte sich das weiße Kleid in einen hellen Harnisch, und die
friedfertige Rechte bepanzerte sich. Nun war es Pescara, der die
Hand über seine durchschimmernde Wunde legte, während der Dämon jetzt
einen langen schwarzen Juristenrock trug und sich wie ein Gaukler
gebärdete. So sah es die Colonna auf dem vor ihr liegenden
Bibelblatte. Ärgerlich über das Spiel ihrer Sinne, that sie sich
Gewalt an und blickte auf.

"Wer bist du, und was willst du?" rief sie erstaunt, und eine vor ihr
stehende dunkle Gestalt antwortete: "Ich bin Girolamo Morone und
komme zu reden mit Victoria Colonna." Victoria erinnerte sich, wen
ihr heute der Papst gezeigt hatte, und gewahrte jetzt auch den
einführenden Diener. Dieser entflammte die über der Herrin
schwebende Ampel, rückte dem Kanzler einen Schemel und entfernte sich,
während die Marchesa in der entstehenden Helle das häßliche, aber
mächtige Gesicht ihres nächtlichen Gastes betrachtete, das ihr keinen
Widerwillen einflößte.

"Zu später Stunde", sagte sie, "suchet Ihr mich; doch Ihr bringt mir
wohl einen Auftrag an meinen Herrn, zu welchem ich morgen in der
Frühe verreise."

"Vor Pescara denke ich bald selbst zu stehen", erwiderte Morone, "und
nicht von ihm werde ich Euch reden, sondern allein von Victoria
Colonna, welche ich mit ganz Italien verehre und anbete wie eine
Gottheit, der ich aber zürne und gegen die ich Klage erhebe."

Wer seid Ihr, um so mit mir zu sprechen? lag es auf den Lippen der
Marchesa, doch sie fragte rasch und warmblütig: "Wessen klaget Ihr
mich an? Was ist meine Schuld, Morone?"

"Daß Ihr Euer helles und begeisterndes Antlitz in Rollen und Bücher
vergrabet und unter Schatten und Fabeln lebet! Daß Ihr den ersten
Cäsar verabscheut und dem neuesten huldigt, daß Ihr Troja beweinet
und Euer Volk vergesset, daß Euch Prometheus' Bande drücken und die
Fesseln Italiens nicht schmerzen! Drei Frauen haben sie geschmiedet!"

"Welche dreie?" fragte sie.

"Die erste war Beatrix Este. Wann ihr alternder Gemahl, der Mohr,
sie auf den schwellenden Mund küßte, flüsterte sie, daß ihren blonden
Flechten ein Diadem anstünde, der kluge Mohr verstrickte sich in die
blonden Flechten und vergiftete seinen Neffen, den Erben von Mailand."

"Die Schändliche!"

"Der welkende Knabe hatte ein stolzes und feuriges Weib, die
Aragonesin Isabelle, die Beatrix tödlich haßte, und mit ihren jungen,
kräftigen Armen den siechen Knaben, ihren Gemahl, auf den
vorenthaltenen Thron heben wollte, sie beschwor und bestürmte ihren
Vater, den König von Neapel, bis dieser den Mohren bedrohte."

"Ärmste!"

"Der Mohr war sicher, solange der Gebieter von Florenz, der junge
Medici, dazwischen stand. Dieser war das Spielzeug seines schönen
Weibes, der hochmütigen Alfonsine Orsini, und das Weib übermochte ihn,
daß der Tor dem Mohren Freundschaft und Bündnis kündigte. Da rief
der Mohr den Fremden."

"Unselige!"

"Dreie haben Italien gefesselt. Die vierte, die Ihr seid, muß es
erlösen."

"Kanzler, ich bin nicht das Weib eines Greises, noch eines Knaben,
noch eines Toren, noch eines andern von denen, die sich vom Weibe
berücken lassen, und... ich begehre keine Krone." Sie errötete und
wurde wie Purpur.

"Herrin", sagte der Kanzler, "die Krone begehrt Euch. Erbarmt Euch
Eures Volkes, und vertretet es bei Pescara! Ich sage nicht:
liebkoset, umgarnet, verleitet ihn! Ich verschwöre mich nicht mit
Euch, ich verabrede keine Rollenteilung, ich lasse Euch reisen, ich
laufe mit Euch in die Wette, wer ihn zuerst erreiche. Und seid Ihr
die erste, so umfanget seine Knie und redet aus der Fülle Eures
Herzens und flehet: Pescara! Ich bin Italien und liege zu deinen
Füßen: erhebe mich und nimm mich an deine Brust!"

Victoria war gerührt, und auch der Kanzler vergoß Tränen.

"Erlauchte Frau", sagte er, "wer bin ich, der so zu Euch reden darf!
Ich bin nicht wert, daß ich den Saum Eures Gewandes küsse. Ludwig
der Mohr, mein allergütigster Herr, hat mich in Mailand von der Gasse
aufgelesen und wie einen drolligen kleinen Pudel zu seinen Füßen
spielen lassen. Da habe ich meine Erziehung genossen und an seinem
Hofe und später in seinem Dienste das Gesicht und die Gebärde meiner
Zeit, den ganzen ausgelassenen Triumphzug des Jahrhunderts betrachtet.

Der arme Mohr! Sein Unstern und die Franzosen entführten ihn nach
Loches, wo er zehn lange Jahre im Kerker schmachtete. In seinem
letzten habe ich ihn dort wiedergesehen; denn damals, durch die Macht
der Umstände, befand ich mich in französischem Dienste, und mich
verlangte nach dem Antlitz meines Wohltäters. Da ich ihn erblickte,
erschrak ich und hatte Mühe, ihn zu kennen. Er sah wie ein Geist:
Kerker und Elend hatten seine Miene seltsam veredelt. Erst da er den
Mund öffnete, fand ich mich wieder in ihm zurecht. Er lächelte und
sagte in seiner unvergleichlich feinen Weise: 'Bist du es, Girolamo?
Es ist hübsch von dir, daß du mich besuchest. Ich verarge dir nicht,
wenn du in den Dienst meines Feindes getreten bist. Die Umstände
zwingen, und wie ich dich kenne, wirst du meinen Söhnen noch ein
treuer Freund und Berater sein, wenn das Rad der Fortuna sich
wiederum gedreht haben wird. Du bist nun ein gereifter Diplomat
geworden und verrätst keine schlechte Schule. Weißt du noch, wie ich
dir untersagte, dein komisches Gesicht wegzulegen und dein
Gebärdenspiel zu mäßigen, mit welchen du dir jetzt deine neuen
Freunde gewonnen hast?'

So scherzte er eine Weile großmütig, dann aber redete er ernst und
sagte: 'Weißt du, Girolamo, was mich hier in meiner Muße beschäftigt?
Nicht mein Los, sondern Italien und immer wieder Italien. Ich
betraure als die Qual meiner Seele, daß ich, vom Weibe verlockt, den
Fremden gerufen habe, mit dem ihr jetzt rechnen müßt und der ein
zerstörender Teil eures Körpers zu werden droht. Ich aber sinne, wie
ihr wieder euer werdet. Da war der Valentino, jener Cäsar Borgia,
der versuchte es mit dem reinen Bösen. Aber, Girolamo, mein Söhnchen,
das Böse darf nur in kleinen Portionen und mit Vorsicht gebraucht
werden, sonst bringt es um. Da ist jetzt der Rovere, dieser Papst
Julius, der auf einer Donnerwolke gegen den Fremden fährt, welchen er
selbst gerufen hat, nicht minder als ich. Aber der Greis verzehrt
sich, seine gewalttätige Seele wird bald in den Hades schweben, und
nach ihm bleibt der gewöhnliche Hohepriester, der zu schwach ist,
Italien zu gründen, doch gerade stark genug, um jeden andern an dem
Heilswerke zu hindern.

Girolamo, mein Liebling: ich glaube nicht, daß mein Italien untergeht,
denn es trägt Unsterblichkeit in sich; aber ich möchte ihm das
Fegefeuer der Knechtschaft ersparen. Gib acht, Söhnchen: ich lese
zwischen deinen Augen, daß du noch eine Rolle spielen wirst in dem
rasenden Reigen von Ereignissen, der über meinen lombardischen Boden
hinwegfegt. Tritt eines Tages aus diesen wechselnden Bildungen eine
Macht und aus diesen flüchtigen Gestalten eine Person, aber weder ein
Frevler noch ein Priester, sondern ein Feldherr, der den Sieg an
seine eiserne Sohle fesselt, wer und wessen Stammes er sei, nur kein
Fremder, dem gib du dich, mit Leib und Seele! Was an List und Lüge
notwendig ist--denn anders gründet sich kein Reich--, das übernimm du,
mein Söhnchen, er aber bleibe makellos!'"

Der Kanzler war aufgesprungen. Seine begeisterte Rede riß ihn, ohne
daß er es merkte--und auch die ergriffene Victoria merkte es nicht--,
weit über die Grenze der Wahrheit. "Diesem Erkorenen", rief er aus,
"stehe das schönste und reinste Weib zur Seite! Italien will die
Tugend leiblich einherschreiten sehen, um ihr nachzuleben. Unser
Verderben ist die Entfesselung aus der Sitte, der zerrissene Gürtel
der Zucht. Hier ist ein Sieg davonzutragen, größer als der auf dem
Schlachtfelde, und ein Zauberstab zu schwingen, mächtiger als der
Feldherrnstab. Ich sehe sie vor mir, diese Königin der Tugend, die
Priesterin, die das heilige Feuer hütet, die Erhalterin der
Herrschaft, und, Hosianna! ganz Italien wandelt hinter ihren
Schritten, lobpreisend und frohlockend!" Der Kanzler machte Miene,
Viktorien huldigend zu Füßen zu stürzen, doch er trat zurück und
flüsterte verschämt: "So sprach Ludwig der Mohr in seinem Kerker."

Victoria senkte die Augen, denn sie fühlte, daß sie voller Wonne
waren und brannten wie zwei Sonnen.

Da sagte der Kanzler: "Ich habe Euch ermüdet, edle Frau, die Augen
fallen Euch zu. Ihr müsset morgen frühe auf und seid schwer von
Schlummer." Und der Listige trat in die Nacht zurück, die sich
inzwischen auf die Ewige Stadt gesenkt hatte.




Drittes Kapitel


An einem Fenster, dessen Blick über die Thürme von Novara und eine
schwül dampfende Ebene hinweg die noch morgenklaren Schneespitzen des
Monte Rosa erreichte, saß Pescara und arbeitete an dem Entwurfe des
Feldplanes, der das Heer des Kaisers nach Mailand führen sollte. So
unablässig ging er seinem Gedanken nach, daß er die leisen Tritte des
Kammerdieners nicht vernahm und ihn erst gewahr wurde, als jener die
Limonade bot. Während er das leichte Getränk mit dem Löffel umrührte,
bemerkte er: "Ich schelte dich nicht, Battista, daß du heute nacht
gegen meinen ausdrücklichen Befehl bei mir eingetreten bist. Du
magst, nebenan schlafend, mich wohl schwerer als gewöhnlich atmen
gehört haben--ein Alp, eine Beklemmung... nicht der Rede wert." Er
nahm einen Schluck aus dem Glase.

Battista, ein schlauer Neapolitaner, verbarg seinen Schrecken unter
einer devoten Miene. Er log und beteuerte bei der heiligen Jungfrau,
er habe geglaubt sich bei Namen rufen zu hören, nimmer hätte er sich
erdreistet, ohne Befehl das Schlafzimmer der Erlaucht zu betreten,
während er doch in That und Wahrheit ungerufen und gegen ein strenges
Verbot seines Herrn aus einer schönen menschlichen Regung diesem
beigesprungen war. Er hatte ihn schrecklich stöhnen hören und dann
in seinen Armen auf dem Lager emporgehalten, bis der Feldherr den
Atem wiederfand.

"Es war nichts", wiederholte dieser, "ich bedurfte keinen Beistand.
Doch will ich dich, wie gesagt, nicht schelten, jetzt, da wir uns
trennen müssen. Ich verliere dich ungern, aber Sohnespflicht geht
vor. Und da deine greisen und siechen Eltern in Tricarico darben,
darf ich dich nicht halten. Gehe und bereite ihnen ein sorgenloses
Alter. Als perfekter Barbier und zungenfertiger Schelm, wie ich dich
kenne, wirst du dir überall zu helfen wissen. Gehe mit Gott, mein
Sohn, du sollst mit mir zufrieden sein." Und er ergriff die Feder.

Battista fiel aus den Wolken. Er verschwor sich mit einer
verzweifelten Gebärde, dieses Mal der Wahrheit gemäß, sein Vater sei
längst im Himmel und seine Mutter, die Carambaccia, gewerbsam und
kerngesund und fett wie ein Aal. Der schreibende Feldherr erwiderte:
"Du hast recht, Battista, in Potenza wohnen deine armen Eltern, nicht
in Tricarico, doch das liegt nahe beisammen." Er reichte dem
verabschiedeten Diener eine Kassenanweisung.

So niedergeschmettert Battista sein mochte--er wußte, ein Wort
Pescaras sei unwiderruflich--, ließ er doch blitzeschnell einen
schrägen Blick über die Ziffer der Summe gleiten, welche nur eine
bescheidene war. Der Feldherr verschwendete weder im großen noch im
kleinen, weder das Gut des Kaisers noch das seinige. Auch hütete er
sich wohl, den Barbier durch eine allzu reiche Spende auf die
Wichtigkeit des Vorfalles aufmerksam zu machen und in den Schein zu
kommen, als wolle er sein Schweigen erhandeln, denn er war völlig
überzeugt, daß Battista bei erster Gelegenheit sein Wissen noch
teurer verkaufen würde, dort, wo man ein Interesse hatte, von dem
leiblichen Befinden des Feldherrn genau unterrichtet zu sein.

Schmerzlich enttäuscht und seine Geburtsstunde verwünschend, fiel
Battista dem gnädigen Herrn zu Füßen, umfing ihm das Knie und küßte
ihm die Hand. "Lebe wohl", sagte dieser, "und räume das noch ab."
Er wies auf das Geschirr und winkte den Übertreter seines Befehles
freundlich weg aus seinem Dienste.

Bevor er sich wieder in seinen Plan vertieft hatte, klirrte draußen
ein fallender Löffel und ein in Scherben springendes Glas, und der
Herzog von Bourbon, der den vernichteten Battista unsanft beiseite
geworfen, zeigte unangemeldet seine hohe schlanke Gestalt, denn er
hatte zu jeder Stunde freien Eintritt bei dem Feldherrn.

"Hoheit?" wendete sich Pescara gegen ihn und erhob sich vom Sitze.

"Um Vergebung. Ich war im Begriffe, zu meinen Truppen zu verreiten",
erklärte der Herzog, "da kam mir in der Vorstadt ein reisender
Kaufmann unter die Augen, welcher eben vor der Pforte des Arztes Euer
Erlaucht, des Messer Numa Dati, von seinem Maultier absaß. Hätte die
Gestalt nicht ein würdiges Antlitz getragen, ich hätte darauf
geschworen, meinen unvergeßlichen Freund, den Kanzler von Mailand, zu
erblicken. Ich ließ einen meiner Leute sich nach dem Fremdling
erkundigen und erfuhr, der Reisende sei ein Gastfreund des Arztes,
ein Juwelier aus Mailand namens Scipione Osnago. Vielleicht, oder
auch nicht, sondern eine der zahlreichen Larven des vielgestaltigen
Kanzlers. Er schiebt den Leib auf eine gewisse Weise, die sich
schwer verleugnen läßt, und da ich noch nicht durch das Tor war, ritt
ich leicht wieder zurück, um Euch den wahrscheinlichen Besuch dieses
kostbaren Mannes zu melden."

"Ich erwartete ihn längst mit den Ausflüchten und Beteuerungen des
Mailänders", erwiderte der Feldherr. "Da er aber nicht erschien und
wir aus guten Quellen wußten, sein Herzog fahre fort zu befestigen
und zu rüsten, begann ich auf den Kanzler zu verzichten. Nun kommt
er zu spät. Morgen, um Mitternacht, verläuft die dem Herzog gegebene
Frist. Schlag zwölf marschieren wir; es wäre denn, Morone brächte
große Neuigkeiten."

"Ja, dieser Morone!" plauderte der Bourbon. "Der wird schon etwas
gebraut haben. Da ich unser Ultimatum nach Mailand brachte, sah ich
es hinter seiner Stirne wimmeln wie in einem Ameisenhaufen. Ihr
macht Euch keinen Begriff, Marchese, was das für ein frecher Kopf ist.
Während ich in Mailand regierte und er mein Rat und Schreiber war,
hat er mich über Tisch--denn ich liebte es, mit ihm zu speisen und
mich an seinen Fabeln und Einfällen zu ergötzen--auf alle Throne
gesetzt und mit allen Fürstinnen gekuppelt. Und das Tollste: es war
Verstand in dem Unsinn. Ich bin doch neugierig, was er wieder
ausgeheckt haben wird, um sich und seinem Herzog aus der Klemme zu
helfen. Sicherlich etwas ungeheuer Geniales, einen Gipfel, einen
Abgrund. Wenn er zum Beispiel"--der Herzog lachte herzlich--"uns
beiden kaiserlichen Feldherrn die Führung der Liga böte und als
Handgeld zwei verlockende italienische Kronen aus den Falten seiner
Toga zum Vorschein brächte?"

"Hoheit scherzt!"

"Wie anders, Marchese!" erwiderte der Herzog und wollte sich
beurlauben. Da ergriff er noch die Hand des Feldherrn und sagte in
einem weichen Tone, der eine vor der Welt verheimlichte Freundschaft
enthüllte: "Pescara, ich danke dir, daß du mir Leyva vom Halse hältst,
indem du mir den rechten Heerflügel gibst und ihm den linken. Ich
mag mit dem Unleidlichen nicht zusammenreiten. Es entstände Unglück
und größeres als jüngst auf dem Markte von Novara. Er könnte sich
wiederum gegen mich vergessen, und ich müßte ihn niederstoßen wie
einen tollen Hund." Er sagte es leise mit gesenktem Blick.

Pescara behielt die Rechte des Herzogs und warnte und bat. "Welch
ein Auftritt!" sagte er. "Hier auf offenem Markte, wegen der
Armseligkeit eines bestrittenen Quartieres! Ich versendete Leyva
gleich nach Neapel, um vom Vizekönig Truppen für unsern Feldzug zu
verlangen, obwohl ich weiß, daß er keine abgeben kann, nur um Euch
die Verlegenheit und den Anblick eines verhaßten Gesichtes zu
ersparen. Wie konntet Ihr das gegen einen Mitfeldherrn! Das war
nicht gut. Das ist beklagenswert. Das darf sich nicht wiederholen,
ich bitte Euch darum."

"Der Anlaß war nicht der Rede wert, Pescara, aber--"

"Das schlimme Wort, das Leyva gebraucht hat, war, nach Zeugen, er
lasse sich nichts bieten von einem Vornehmen, und Ihr zoget und Eure
Leute mußten Euch halten."

"Oh", flüsterte der Herzog, "von einem Vornehmen? Ich habe feine
Ohren. Es war ein anderes Wort... das ich dem Kaiser und dem Papst
in die Kehle zurückstieße!"

"Ein anderes Wort?" sagte Pescara, um seine Frage sogleich zu bereuen,
da er den Herzog erbleichen und völlig fahl werden sah. Er erriet,
daß der alte Leyva gemurrt, er lasse sich nichts bieten von einem
Verräter, oder daß das wunde Gewissen des Bourbon so verstanden hatte.

Die unausgesprochene Freundschaft, die den einfachen Adeligen und den
Mann von königlichem Geblüte verband und die das Wunder that, zwischen
zwei jugendlichen und schon berühmten Feldherrn mit nicht völlig klar
geschiedenen Gewalten und Befugnissen die natürliche Eifersucht zu
ersticken, beruhte einfach auf dem Bewußtsein des Herzogs, daß seine
Verbündung mit dem Feinde Frankreichs der Achtung Pescaras keinen
Eintrag tue. War es Klugheit, war es Gleichgültigkeit gegen die
sittlichen Dinge, war es Freiheit von jedem, auch dem begründetsten
Vorurteil, oder war es die höchste Gerechtigkeit einer vollkommenen
Menschenkenntnis, was immer--Pescara hatte den in kaiserlichen Dienst
tretenden fürstlichen Hochverräter mit offenen Armen empfangen und
mit der feinsten Mischung von Kollegialität und Ehrerbietung
behandelt. Vielleicht auch hatte er in diesem Zerrütteten, der sich
selbst verfluchend sein Vaterland mit fremden Waffen verwüstete, den
ursprünglichen und unzerstörbaren Adel erkannt. Dafür war der Herzog
Pescara dankbar. Der Feldherr, die Hand des Unseligen in der
seinigen, redete ihm mit sanfter Stimme zu: "Gespenster, Hoheit! Ihr
habet gehört, was nicht gesprochen wurde. Werft hinter Euch!
Verschüttet den Abgrund mit Lorbeer! Seid Ihr nicht der Liebling des
Kriegsgottes? und ein Meister der Staatskunst? Sind nicht wir beide
noch Jünglinge mit unzähligen Tagen, diesseits der Lebenshöhe, kaum
in der Hälfte der Dreißig, und im ersten Drittel eines Jahrhunderts,
das überquillt von großen Möglichkeiten und weiten Aussichten! Unser
die Fülle des Daseins! Karl, laß uns leben!"

Der Bourbon vernahm nicht den verstohlenen Seufzer, welcher sich der
Brust des Feldherrn entwand. Er drückte heftig die Hand Pescaras,
und seine dunkeln Augen blitzten eroberungslustig. Dann, um seine
innere Bewegung zu verbergen, sprang er nach seiner Weise mit beiden
Füßen ins Zynische über. Der feurige Ton Pescaras hatte seine
frechste Jugendlichkeit erweckt. "Und schöne Männer sind wir!"
jubelte er. "Du begreifst, Gatte der prächtigen Victoria, daß sich
mir Herz und Magen umkehrte, da mich diese Porcaccia, die
Königinmutter, um jeden Preis zum Manne haben wollte! Siehst du mich
als den Vater König Franzens? O das liebe Stiefsöhnchen! 'Madame',
sagte ich und machte ihr eine tiefe Verbeugung, 'es geht nicht. Ihr
würdet mich mit Eurer Nase vom Bette stoßen!'--und ganze Wendung und
über die Grenze!" Während er eine ausgelassene Lache aufschlug, trat
der vom Staub der Reise bedeckte Del Guasto ein, begrüßte den Ohm und
Feldherrn und verneigte sich vor der lustigen Hoheit.

Dann wendete er sich wieder gegen Pescara, welchen er mit erstaunten
und bewundernden Augen betrachtete, als hätte die von der
italienischen Verschwörung dem Feldherrn angesonnene Rolle dessen
Gestalt vergrößert, und erzählte: "Wir verritten von Rom, nicht zur
Freude der Herrin in zahlreicher Gesellschaft, mit Leyva, der aus
Neapel zurück ist, und mit einem Vornehmen, von königlichem Geblüte,
wie sie sagen, der sich Moncada nennt und den Ihr kennen werdet. Er
bringt Euch eine Botschaft des Vizekönigs. Ich gewann einen
Vorsprung, um Donna Victoria anzumelden. Sie strahlt vor Freude,
Euch wiederzusehen, und schließt zugleich fest die Lippen, denn sie
bringt ein politisches Geheimnis, wie ich vermute, und ein
päpstliches Mysterium, wie ich ahne, und dieselbe Donna Victoria legt
die Stirn in zornige Falten gegen Euren bei ihr in Ungnade gefallenen
Neffen, den sie vor Euch in aller Form Rechtens verklagen wird.
Wegen etwas Menschlichem", lächelte er.

"Oder etwas Unmenschlichem", spottete Pescara. "Meldet Ihr sonst
etwas, Don Juan?"

"Wenn mich meine Augen nicht getäuscht haben, die Ankunft des
Kanzlers von Mailand."

"Ah!" lachte Bourbon.

"Ich bin mit ihm schon in Rom zusammengestoßen, unfern des Palastes
Colonna, da ich nächtlicherweile dahin zurückkehrte. Längs der Mauer
sah ich etwas Diebisches in langer Gewandung schleichen, und da ich
das Verdächtige mit der Fackel meines Dieners beleuchtete, war es die
unverschämte Stumpfnase und unter einem Juristenbarett das freche
Kraushaar, das ich von Pavia her kenne, wohin der tolle Kanzler, wie
sie ihn nennen, nach der Schlacht Euch zu beglückwünschen kam. Er
mag Donna Victoria eine letzte Heimlichkeit des Papstes gebracht
haben, bei welchem sie sich an jenem Nachmittage verabschiedet hatte."
Er sagte das mit einer versteckten Bosheit.

Der Feldherr blickte streng. "Don Juan", sagte er, "Ihr habet Euch
um den Wandel Donna Victorias nicht zu kümmern und noch weniger ihn
zu beaufsichtigen. Jeden ihrer Schritte, ihre leiseste Miene und
Gebärde billige und lobe ich zum voraus."

Don Juan verneigte sich. "Unterwegs nach Novara", fuhr er fort, "bin
ich ihm dann noch mehrere Male begegnet, das heißt einem gewissen
Fruchthändler Paciaudi aus den Marken mit einer gräulichen Warze auf
der Nase, welcher mir, da ich ihn anredete, nicht vorenthielt, er sei
ein zugrunde gerichteter Mann: eine unvermutete päpstliche Maßregel
verbiete die Ausfuhr, und er habe einen strengen Lieferungsvertrag
mit Euer Erlaucht. Dabei schob und gebärdete er sich nicht viel
anders als der Kanzler. Dieser hat gegenwärtig allerhand Geschäfte
und nimmt die possierlichsten Figuren an. Man findet ihn überall auf
der Halbinsel wie--ohne die fernste Vergleichung--Eure große Gestalt."

"Was wollt Ihr sagen, Don Juan?"

Del Guasto, der vor nichts erschrak, zögerte doch mit der Antwort vor
der kalten Miene Pescaras, und dann hielt ihn die Anwesenheit des
Herzogs zurück.

"Ich habe kein Geheimnis vor der Hoheit", sagte der Feldherr. "Redet,
Don Juan."

Trotz diesem Befehle kam dem verwegenen Jüngling die allgemeine Rede
an diesem Orte und zu dieser Stunde, mitten im kaiserlichen Lager und
während er durch das Fenster den taktfesten Schritt eines
vorbeimarschierenden spanischen Heerhaufens vernahm, so ungeheuerlich
vor, daß er der schamlosen Öffentlichkeit der italienischen
Verschwörung ein leichtes Gewand umwarf.

"Ohm", berichtete er geringschätzig, "wovon mir noch immer die Ohren
gellen, das ist ein wütender Streit, welcher unter allen Ständen, in
Schenken und Barbierstuben, auf den Ballspielplätzen und, wie ich
glaube, bis in die Plauderecke der Sakristeien ausgebrochen ist--über
das wahre und gültige Vaterland der Avalos: ob wir Neapolitaner sind
oder Spanier. Und nicht genug an Geschrei und Gebärde, auch Blätter
und Schriften voll von unserm Ursprung flattern durch die Luft."

Der Feldherr zuckte die Achseln. "Das Geschreibsel", sagte er, "fand
sich auch über meine Tische verstreut, ich habe es weggeworfen.
Müßiges Gezänke."

Don Juan wurde hartnäckig. "Zugleich erzählte man mir, daß an den
Universitäten unter Juristen und Theologen wieder heftig über Umfang
und Grenzen des päpstlichen Lehensrechtes auf Neapel gestritten wird."

"Das überlassen wir diesen Gelehrten. Nicht wahr, Hoheit?" scherzte
Pescara. "Und was das Vaterland der Avalos angeht, Neffe, so rate
ich dir, Ehre zu halten, spanische oder neapolitanische."

Jetzt meldete der diensttuende Page, ein zarter Knabe mit großen
unschuldigen Augen, ein Enkel des Arztes Numa Dati und der Bruder der
von Del Guasto zerstörten Julia, den Besuch eines Apothekers namens
Baldassare Bosi aus Orvieto, welcher mit einem Paket im Vorzimmer
stehe und sich durchaus nicht abweisen lasse. Er sei bei dem
Großvater abgestiegen, der dem Gaste diesen Zettel für die Erlaucht
gegeben habe. Der Knabe überreichte das Papier, auf welchem mit
verzitterten Zügen "Morone" geschrieben stand.

Pescara besann sich einen Augenblick. "Weiß der Fremde die Gegenwart
der Herrschaften?" fragte er den Pagen.

"Ich denke nicht, Erlaucht", antwortete dieser.

"So führe ihn ein, aber erst, wann ich rufen werde.

Jetzt wendete er sich rasch gegen den Herzog. "Hoheit muß mir einen
Gefallen thun. Da Sie für möglich hält, daß der Kanzler von Mailand
mit mir konspirieren will, würde ich gegen die gewöhnlichste Vorsicht
fehlen, wenn ich den Menschen, der draußen steht, ohne Zeugen mit mir
reden ließe. Ich muß solche haben, zwei höchst glaubwürdige Zeugen,
wo nicht unserer Gesichter, doch eines jeden unserer Worte, damit
nicht der Argwohn von Madrid, noch die Eifersucht unsers Leyva,
noch"--er dämpfte die Stimme--"jener Verderbliche, mit welchem Ihr
geritten seid, Don Juan, und der unter dem Vorwand einer Botschaft
des Vizekönigs mich hier umlauern soll, Grund finde, mich, ich sage
nicht des Verrates, sondern nur eines falschen Schrittes zu
bezichtigen. Hören aber will ich den Kanzler, der mir in seiner
Torheit und Leidenschaft die Pläne und Mittel des Feindes enthüllen
wird. Er kann es wie kein anderer. Unter dem Zwang dieser Umstände
lasse sich Hoheit herab, den Lauscher zu machen. Und Ihr, Del Guasto,
leistet der Hoheit Gesellschaft." Er schritt auf einen schweren
roten Vorhang mit goldenen Quasten zu, dessen breite Falten den
Eingang in ein Nebenzimmer bis auf die Schwelle nieder verbargen und
den er jetzt auseinanderschlug. "Hier ist Hoheit aufgehoben", sagte
er.

So sehr den Herzog das würzige Abenteuer lockte, stand er doch einen
Augenblick unschlüssig. "Aber wenn Morone die Decke hebt?" fragte er,
und der Marchese erwiderte: "Das wird er nicht. Keine Besorgnis.
Ich stehe dafür." Del Guasto blähte die Nüstern vor Wollust. Er
rückte einen Schemel für den Herzog, hinter dessen Schultern er
Stellung nahm als der zweite Lauscher. Der rote Vorhang zog sich
zusammen. Pescara aber fühlte sich von dem Pagen Ippolito
umschlungen, der an ihm emporflüsterte, mit Tränen in den Augen: "Es
ist kein Apotheker mehr, sondern ein Zauberer in langen schwarzen
Gewändern mit einem Talisman auf der Brust und einem schrecklichen
Gesichte!"

"Furchtsamer Junge! Bring ihn!"

"Da ist er schon!" schrie Ippolito und flüchtete sich.

"Ihr, Morone? Und im Staatsgewand? Doch von der Reise erhitzt, wie
ich sehe. Eure drei Masken haben Euch wohl den Atem benommen."

Morone atmete schwer und hörbar. Schweißtropfen quollen ihm auf der
Stirn. Er stand wortlos.

"Was bringt Eure Weisheit?" fragte der Feldherr mit ernsthaften Augen
und empfing von dem Stammelnden keine deutliche Antwort. Nach einer
Pause ergriff Pescara mit spielender Hand die Münze, welche der
Kanzler an einer schweren goldenen Kette auf der Brust trug. "Ein
Lionardo, Kanzler? Und wen stellt es dar? Den Mohren? Ein
geistvoller Kopf!"

Aber selbst an seinen geliebten Herrn vermochte der Kanzler nicht
anzuknüpfen, so völlig war er außer Fassung.



 


Back to Full Books