Die Versuchung des Pescara
by
Conrad Ferdinand Meyer

Part 2 out of 3



Da begann der Feldherr ohne weitere Einleitung: "Euer Herzog, Morone,
wünscht günstigere Bedingungen? Es könnte Rat werden, sobald mich
die Hoheit von ihren guten Absichten überzeugt haben wird. Nehmen
wir einmal mein Ultimatum Punkt um Punkt miteinander durch." Er trat
an den Tisch und suchte ein Papier.

Nun empfand er einen heißen Atem an der Wange, und ein Geflüster
füllte sein Ohr. "Pescara", keuchte es, "nicht darum handelt es sich,
sondern Italien gibt dir sein Heer!"

"So ist es gut", erwiderte der Feldherr, ohne den Kopf zu drehen.
"Es unterwirft sich dem Kaiser?"

Da schrie es hinter ihm: "Nicht dem Kaiser, sondern dir, wenn du von
ihm abfällst!"

Jetzt wendete sich Pescara gegen den Tollkühnen und drohte mit
feindseliger Gebärde: "Du rasest! Ich weiß nicht, was mich abhält,
dich zu ergreifen und aus dem Fenster zu werfen!"

Der Kanzler blieb furchtlos und schrie zum andern Male mit flammenden
Augen: "Diese Stunde bietet dir deine Größe, Pescara! Laß sie nicht
vorüber! Du würdest es bereuen! Du würdest daran sterben!

"St! Wie du schreist! Wenn man lauschte! hinter diesem Vorhang...
wenn ich selbst... hältst du mich dessen für unfähig? Überzeuge dich
doch und hebe die Decke!"

Morone war wieder völlig im Besitze seiner selbst, nachdem er die
Scham und den Schreck der ersten Worte überwunden hatte. "Pescara",
sagte er, "ich habe stets gefunden, daß der Schlaueste und am meisten
Argwöhnische endlich doch an eine Stelle tritt und an einem Abgrunde
steht, wo er trauen und glauben muß. So der Valentino mit dem Rovere,
so mein geliebtester Herzog der Mohr mit seinen Hauptleuten und
Schweizern."

"Beide wurden verraten, Morone!"

"Ja, Pescara, aber der feine Mohr und der ruchlose Borgia, beide
gingen sie vertrauend unter, und das war ein heller Schimmer von
Menschlichkeit über dem Dunkel ihres verdienten Sturzes. Wenn ich
das Größte wage und von dir das Größte fordere, werde ich in diesem
heiligen Augenblicke so lächerlich sein, einen Vorhang zu heben, wie
ein betrogener Ehemann, der den versteckten Buhlen seines Weibes
sucht? Nein, ich gebe mich preis! Höre mich an, und dann
überliefere mich dem Blocke, wenn du darfst!"

"Das ist nicht klein", sagte Pescara ohne Spott und fügte dann
zweifelnd hinzu: "Ob ich dich höre? Meine Neugierde ist rege, das
bekenne ich, und einem so heroischen Menschen darf ich doch nicht
einfach die Türe weisen. Zuerst aber saget mir, Kanzler: Habe ich
Euch oder Eurem Fürsten Grund oder auch nur den geringsten Anlaß
gegeben, meine Feldherrntreue zu beargwöhnen?"

Der Kanzler verneinte.

"Viel Unwahres wird geredet: die Majestät habe mich schlecht belohnt,
und ich soll dieses schwer empfunden haben. Fußet Ihr auf diesem
Undanke des Kaisers und auf diesem Grolle Pescaras, so tut keinen
Schritt weiter: Ihr würdet in den trügerischen Boden versinken."

"Da fuße ich nicht."

"Oder ermutigt Euch jene öffentliche Rede Italiens, die mir
schmeichelt und mir droht, mich verherrlicht und verdächtigt? Diese
italienische Meinung ist eine heimtückische Sache. Sie soll mich in
Madrid entwurzeln und in Italien vergewaltigen. Ich habe vorgebeugt
und die arglistigen Schriften wie in einen Käfig eingesperrte
Schlangen dem Kaiser überliefert. Habet Ihr Eure Finger auch in
dieses Gift getaucht, Morone?"

Der Kanzler erbleichte. "Bei den Göttern der Unterwelt, daran trage
ich keine Schuld!" rief er aus.

"Du willst mich nicht überlisten, Kanzler, so willst du mich
überreden?"

"Nein."

"Was denn?"

"Überzeugen."

"Das Beste. Aber es wird Zeit kosten. Setzet Euch, Kanzler!" Er
rückte mit rascher Bewegung zwei Stühle, und jetzt saßen sie sich
gegenüber, Morone mit vorgebogenem Leib und Knie, während der
Feldherr nachlässig zurücklehnte.

"Pescara, welches ist die schönste deiner Schlachten, das Wunder der
Kriegskunst?"

Der Feldherr gab keine Antwort, da sich diese von selbst verstand,
aber er that einen leichten Seufzer.

"Und was hat der Kaiser aus deinem Siege von Pavia gemacht?"

Ein Blitz fuhr aus dem grauen Auge Pescaras. "Er hat ihn
verstümpert", murmelte er.

"Du gabst ihm einen erbeuteten König, und Karl weiß nichts mit ihm
anzufangen! Er preßt ihn wie ein Wucherer. Er verlangt Vielfältiges
und Unmögliches statt des Möglichen und Einfachen. Verzichte auf
Italien, Bruder, so hätte ein großer Sieger zu König Franz geredet,
das ist dein natürliches Lösegeld, und das kannst du, ohne deinem
Frankreich wehe zu thun. Verzichte und ziehe!"

Pescara lächelte. "Du bist ein gefährlicher Mensch, Morone, wenn du
Gedanken errätst. Aber nicht ich, du hast ihnen Worte gegeben. Ich
habe nichts gesprochen."

"Ich danke dem Kaiser!" fuhr der Kanzler sich begeisternd fort. "Er
hat die Siegesgöttin von Pavia beleidigt, und sie kehrt zu dir, mein
Pescara, zurück! Nicht nur für, auch gegen den Kaiser hat sie
gekämpft. Sie hat Italien gegen die Fremdherrschaft vereinigt. Sie
hat ihm seinen Feldherrn gezeigt.

Mein Pescara, welche Sternstellung über dir und für dich! Die Sache
reif und reif du selbst! Eine entscheidende Zeit, ein verzweifeltes
Ringen, Götter und Titanen, Freiheit sich aufbäumend gegen
Zwingherrschaft, die Welt heute noch Bewegung und Fluß, morgen
vielleicht zur Lava erstarrend! Und eine That, die für dich
bereitliegt und zu welcher du geboren wurdest! Zuckt dir die
formende Hand nicht danach? Ein vernünftiges Werk, eine ewige
Gründung! Blick auf die Karte und überschaue die Halbinsel zwischen
zwei Meerfarben und dem Schnee der Gebirge! Befrage die Geschichte:
ein lebendiges Geflecht, oft gewaltsam zerrissen und immer wieder
zusammenwachsend, von Republiken und Fürsten, mit zwei alten Feinden,
zwei falschen Ideen, zwei grausamen Chimären, Papst und Kaiser!
Siehe den ausgestreckten Finger Gottes, daran sich eine neue
Menschheit emporrichtet: eine sich selbst regierende und vereitelnde
Menschheit ohne höchstes Amt, weder weltliches noch geistliches, ein
Reigen frei entwickelten Genien, ein Konzert gleichberechtigter
Staaten--"

Pescara ergriff den beschwingten Redner am Arm, als wollte er ihn
festhalten. "Fliege mir nicht davon, Girolamo!" scherzte er.

Dieser riß sich los und: "Laß dich nicht hindern an diesem göttlichen
Werke", rief er, "durch abergläubische Vorurteile und veraltete
Begriffe, die weder in deinem Kopfe noch in deinem Herzen, noch in
der Natur der Dinge sind. Ich kenne dich, Pescara: du bist ein Sohn
Italiens und wie dieses erhaben über Treue und Gewissen!"

"Ihr seid doch ein lasterhaftes Geschlecht, ihr Italiener", lächelte
Pescara. "Aber du machst dich größer im Bösen, als du bist: denn
diese Weisheit kommt nicht von dir, sondern euer Dämon, der
Florentiner, hat sie dir eingeblasen. Lebt er noch?"

Der Kanzler wußte, wen Pescara meinte. "Er darbt, vergessen und
verachtet", erwiderte er mit Beschämung, "unser größter Geist."

"Verdientermaßen. Es gibt politische Sätze, die ihre Bedeutung haben
für kühle Köpfe und besonnene Hände, die aber verderblich und
verwerflich werden, sobald sie ein frecher Mund ausspricht oder eine
strafbare Feder niederschreibt. Doch das sind Allgemeinheiten, und
alles käme auf die Anwendung an. Wie denkst du dir zum Beispiel,
Kanzler, das Thatsächliche meines Verrates?" Dieser öffnete den Mund,
als hätte er unerschöpflich zu reden. Da berührte ihn Pescara leise
mit dem Finger. "Sachte, vorsichtig!" warnte er. "Jetzt betrittst
du ein schmales und schwankes Brett: es könnte kommen, daß ich dich
nach deiner Rede als Verschwörer müßte in Fesseln legen lassen.
Sprich nicht in deinem eigenen Namen, rate ich dir, sondern laß dir
eine Maske bieten, wie du sie liebst, und warum nicht die des
verschollenen florentinischen Sekretärs, ob er nun noch unter uns
wandle oder schon im Geisterreiche? Rede, Niccolò Machiavelli! Ich
werde dich schweigend und bewundernd anhören und dir dann doch
vielleicht beweisen, daß du für einen Staatsmann immer noch viel zu
viel Einbildungskraft besitzest. Oh, ich will dich kritisieren, mein
Niccolò! Aber beginne."

Dieser fortgesetzt scherzende Ton des Feldherrn beleidigte den
Kanzler, und er empörte sich dagegen: "Jetzt sei des Spieles ein Ende.
Erniedrige den nicht zum Schauspieler, welcher sein Leben wagt für
die Rettung seines Vaterlandes! Pescara, ich bitte dich um Ernst!"

"Um Ernst? Es sei!" erwiderte der Feldherr und schloß die Augen, wie
um besser zu lauschen. Jetzt erschrak der Kanzler einen Augenblick
vor der Blässe und Strenge des magern Angesichtes. Doch er war
entschlossen.

"Es ist kein Übel, Erlaucht", begann er, "was Ihr dem Kaiser
berichtet habt; es ist gut, daß Ihr Euch so lange als möglich sein
Vertrauen erhaltet und Euch selbst dann noch nicht erkläret, wann der
Papst und die Liga ihr Manifest werden erlassen haben. Inzwischen
befestigt Ihr Eure Stellungen und sichtet Euer Heer." Pescara
runzelte die Stirn.

"Leyva muß weg", forderte der Kanzler.

Pescara zählte an den Fingern.

"Was rechnet Ihr, Pescara?" fragte der Kanzler verwundert.

Dieser erwiderte ruhig: "Muß Leyva draufgehen, so dürfen meine
deutschen Hauptleute auch nicht leben bleiben, denn sie hangen an
Kaiser und Reich. Ihre Häupter müssen fallen. Oder vergifte ich sie
in einem gastlichen Trunke? Was rätst du, Kanzler?"

Morone erbleichte.

"Und was fange ich mit meinen spanischen Edelleuten an? Lasse ich
sie auch ermorden?"

"Die Kastilianer", antwortete Morone mit klopfendem Herzen, "fallen
wohl zum Kaiser zurück. Die andern verlocket Ihr mit unendlicher
Beute. Sie widerstehen nicht, am wenigsten die neapolitanischen
Aragonesen. Ich kenne diese Rasse: sie gleicht den räuberischen
Helden der Neuen Welt. Denket nur an Euren Del Guasto, welch ein
Ungeheuer!"

Pescara widersprach nicht.

"Eure Gemeinen aber, die aus allen Ländern der Erde zusammengeflossen
sind, beherrschet Ihr durch Eure unerschütterliche Seele und durch
Eure eiserne Kriegszucht, nicht zu vergessen einen regelmäßigen Sold,
wie ihn der Kaiser nie zu geben vermochte, Euch aber gehören jetzt
alle Schätze Italiens. Und erlittet Ihr eine Einbuße an Leuten, so
füllet Ihr das Heer aus den Schweizern, die sich nun überallhin
vermieten, seit sie aus Mangel an Führung und an einem Staatsgedanken
ihre schon gewonnene Weltstellung und ihre auswärtige Politik
verscherzt haben."

"Schade", redete Pescara mit sich selber. Er hatte eine Art
Zärtlichkeit für die Schweizer, die er zweimal überwunden und von
welchen er bei Bicocca, mit einer insbesondere gegen deren rasende
Sturmläufe erfundenen Stellung des Geschützes, in wenig Minuten ein
volles tollkühnes Tausend vernichtet hatte. Er liebte dieses tapfere
Volk, obwohl er seine Speerwunde von Pavia dem Stoß einer
Schweizerlanze verdankte. "Ihre Freiheit wird ihnen bleiben, aber
schade", wiederholte er.

"Eures Heeres sicher", fuhr der Kanzler fort--"Nehme ich Mailand",
ergänzte Pescara. "Mein Plan ist entworfen."

"Ihr braucht es nicht zu nehmen, da der Herzog ein Mitglied der Liga
ist, deren Feldherr Ihr seid."

"Richtig, das hatte ich vergessen. Auf alle Fälle, Mailand ist der
Zentralpunkt. Und dann?"

"Gebietet Ihr über die Truppen der Heiligkeit, Venedigs und Neapels,
die Kleinern nicht zu nennen."

"Halt, Morone! Neapel ist spanisch."

"Nach Neapel habet Ihr dann Euren Neffen gesendet als Euren Vizekönig,
der es durch seine Grausamkeit in wenigen Wochen unterworfen haben
wird."

"Als meinen Vizekönig? Ich König von Neapel? Seit wann trage ich
die Krone?" fragte Pescara gelassen.

"Siehe, die geflügelten Füße, die sie Euch bringen, sind vor Eurer
Schwelle", sprach der Kanzler errötend.

Die kalte Miene des Feldherrn erwärmte sich, wie von einem Strahle
berührt, nicht aus einer Krone, sondern aus dem Lichtkreise seines
nahenden Weibes. "Weiter geträumt, Morone", sagte er.

"Einmal an der Spitze der vereinigten italienischen Waffen und in
unnehmbaren Stellungen", fuhr der Kanzler mit erstaunlicher
Sicherheit fort, "hindert nichts, daß Ihr Euch mit dem Kaiser
auseinandersetzet, vielleicht sogar ohne Schlacht, denn ich weiß, daß
Ihr, obschon, nein, weil der erste Feldherr der Zeit, das
scharfsinnige Schachspiel und die umfassenden Berechnungen der
Strategie jenen plötzlichen und immerhin blinden Entscheidungen der
Wahlstatt vorziehet. Ich sage, vielleicht sogar ohne Blutvergießen,
denn der Kaiser wird nicht so leicht einen neuen Feldherrn finden und
ein zweites Heer in Italien zusammenbringen, nachdem er Euch und das
Eurige verloren hat, wenigstens wenn ihm Frankreich und England zu
thun geben, laut des von ihnen mit unserer Liga getroffenen Abkommens."

"Ich kenne Euer Bündnis mit König Franz, sogar seinen Wortlaut", warf
Pescara hin, "kann aber keinen Wert darauf legen. Der König verquält
sich in seinem spanischen Kerker. Um eine Stunde früher auf ein
gesatteltes Pferd zu springen, verrät er Eure Liga hundertmal, wie
ich ihn zu kennen glaube."

"Noch vor wenigen Tagen", beteuerte der Kanzler mit einem komischen
Gesichte, "hat mir die Regentin Louise von Paris geschrieben, sie
halte das Bündnis fest wie ihre Tugend--"

Ein Pfiff durchschnitt das Gemach... der Kanzler horchte verwundert.
Es mochte ein Vogel am Fenster vorbeigeschwirrt sein.

"Es sind noch andere da, die den Kaiser beschäftigen", fuhr er fort,
"der Halbmond und die deutschen Fürsten."

"Der Halbmond, ja", urteilte der Feldherr. "Mit den deutschen
Fürsten aber und selbst mit ihrer neuen Lehre könnte sich der Kaiser
allenfalls vertragen. Meinst du nicht, Morone?"

Dieser antwortete denkend: "Es scheint so, aber ist doch nicht, wenn
ich richtig sehe. Jedenfalls nicht mit der neuen Lehre. Der Kaiser
bedarf der Kirche für sein schweres und dunkles Gemüt, das er von der
Mutter geerbt hat. Der neue Glaube verlangt kräftigere Seelen."

"Verstehst du etwas von diesen Dingen, Kanzler?" fragte der Feldherr
neugierig.

"Wie sollte ich, Pescara? Ich bin wie du und wir alle ein Bewohner
der Wirklichkeit, ein Kind der Helle, das mit der antiken Weisheit
über das Ende hinaus nichts sieht als Larven und Scheinen und auf
wogendem Nebel die riesigen Spiegelungen wieder dieses unsers eigenen
und irdischen Daseins. Unter denen aber, welche mit dem Volke Gut
und Böse glauben und Leib und Seele und die Fabel eines letzten
Gerichtes, wird jetzt, wie du weißt, unversöhnlich gestritten über
die beste Rüstung an jenem Tage der blasenden Posaune. Unsere kluge
Kirche öffnet ihre Buden und legt verständig ihren Vorrat an guten
Werken zum Verkauf aus. Der deutsche Mönch aber zankt und schreit:
Das ist Plunder! Werft euer Geld nicht weg! Ihr habt es umsonst.
Eure Schulden sind bezahlt. Glaubet es nur, und sie sind nicht mehr!
Solches aber zu glauben, braucht es eine große Tapferkeit, denn es
ist unter dem Unglaublichen das Unglaublichste. Doch bringen es
diese deutschen Köpfe fertig, so brauchen sie gar keine Pfaffheit
mehr und sind in ihrer trotzigen Sicherheit uns Italienern gewaltig
überlegen, die wir ungläubig sind oder abergläubisch.

Ich rede im groben, Pescara. Aber diese Vorstellungen, nichtig an
sich, werden im Leben zu den realsten Mächten, die kein Staatsmann
vernachlässigen darf. Und du mit deiner großen Aufgabe am wenigsten,
Pescara, wenn du auch selbst ein Gottloser bist, wie ich dich kenne."
Sein Lächeln blieb unerwidert.

"Hier irrst du dich, Kanzler", sagte Pescara ernst. "Ich glaube an
eine Gottheit, und wahrlich keine eingebildete. Doch in dem andern
hast du recht. Ich habe es mit Augen gesehen. Am Abende meiner
Schlacht"--er meinte die von Pavia--"sah ich im Lazarett zwei höchst
frevelhafte Menschen sterben, einen Deutschen und einen Spanier,
diesen unter seinen Reliquien und in den Armen zweier Priester
zitternd und bebend, jenen allein, doch voller Zuversicht und Freude.
Ich sprach ihn an, denn ich weiß ein paar deutsche Wörter, und
erfuhr, daß er traue und trotze auf den reuigen Schächer. Doch
lassen wir diese Farben der Seele. Zurück zu deiner Sache, denn ich
meine, daß du noch nicht damit zu Ende bist." "Gewiß nicht, Pescara.
Dann erst, wann du durch das Schwert oder durch ein listiges
Abkommen den Kaiser außer Spiel gesetzt haben wirst, dann erst baust
du deine Größe und Italiens Freiheit. Die zwölf Arbeiten des
Herkules! Doch du rufst alle Seiten und Eigenschaften deines Wesens
unter die Waffen: Geduld und Entschluß, Begeisterung und Berechnung,
Arglist und große Gesinnung. Kein Teilchen von dir wird müßig gehen.
Du kennst dich noch gar nicht, Pescara! Dann erst wirst du dich
zeigen als der, welcher du bist, in deinem ganzen Wuchse: für das
Volk ein furchtbarer und wohltätiger Dämon, für das Heer ein
unfehlbarer Sieger, für den Patrioten der Vollender Italiens, für den
Gelehrten der wiederaufgelebte römische Ehrgeiz, für die Fürsten,
soviel du ihrer bestehen lässest, der herrschende Bundesgenosse. Du
beutest alle Möglichkeiten und Begünstigungen des Jahrhunderts aus.
Du wirst der Verteidiger des Papstes und eroberst ihm seine Städte
und Provinzen zurück, die du für dich behältst; du reitest als
Schiedsrichter zwischen der verröchelnden Republik und den Mediceern
in Florenz ein, und sie gehorchen dir beide. Ja sogar die stolze
Fürstin der Hadria zwingst du in deinen Machtkreis! Ich sehe dich",
jubelte Morone, "wie du ihr Doge wirst und dich dem Meere vermählst.

So wächsest du, bis dich und dein herrliches Weib auf dem römischen
Kapitol tausend frohlockende Arme vergötternd in die Lüfte heben und
dich ganz Italien als seinen König zeigen, welches du dann, wie dir
jetzt, ich fürchte, noch nicht möglich ist, als deinen Besitz und
deinen Ruhm ein wenig lieben wirst, damit endend, womit ich
angefangen habe, denn allein meine Liebe zu Italien, das Beste, das
einzig Gute an mir, wirft mich dir zu Füßen, du Kaltherziger!" Und
er umfing das Knie des Feldherrn mit einer so inbrünstigen Gebärde,
daß dieser aufspringend einer solchen Anbetung sich entzog, aber doch
innerlich ergriffen schien, sei es, daß ihn diese Wahrheit des
Gefühls in einem lügnerischen Geiste fesselte, sei es, daß sein
mächtiger Verstand die angedeuteten Züge seiner und Italiens
möglicher Größe unwillkürlich zu einem lebensfähigen Ganzen
zusammenschloß.

Er ließ den Kanzler und schritt mit über der Brust gekreuzten Armen
mehrere Male langsam durch das Zimmer, zuletzt wie zufällig wieder
vor ihm stehenbleibend. "Wie viele meiner Jahre verlangst du von mir,
Morone?" warf er hin.

"Viele, ohne Zweifel", versetzte der Kanzler. "Je mehrere, desto
besser! Nur mit jenen langen und fruchtbaren Pausen, welche die
Dinge still und unaufhaltsam wachsen lassen, unzerstörlich scheinende
Hindernisse zernagen, die Gewissen abstumpfen und beruhigen und
selbst das ursprünglich Frevle entsühnen und heiligen, nur auf
solchen breiten und notwendigen Stufen ist Bleibendes im Staate
erreichbar. Dein bester Verbündeter, Pescara, ist das Leben. Zehn,
zwanzig, warum nicht dreißig Jahre, Pescara? Du stehst ja in der
Fülle der Kraft und schöpfst nur so mit der Hand aus der
überströmenden Quelle. Du hast deinen Schatz kaum noch angegriffen,
und nicht zum wenigsten darum haben dich die unsterblichen Götter
Italiens zu diesem deinem herrlichen Werke berufen, weil du, römisch
gesprochen, ein Jüngling bist und dich noch lange kein Todesschatten
berühren darf!"

Ein plötzlich hervortretender harter und finsterer Zug hatte das
Antlitz des Feldherrn verwandelt. Er traf den Kanzler mit einem so
feindseligen Blicke, daß dieser um einen Schritt zurückwich. "Weißt
du", drohte er, "daß, wenn mich mein Ehrgeiz überwältigen sollte, das
erste Opfer dein Gebieter, der Sforza, wäre? Denn ich finge damit an,
euer Mailand dem Bourbon zu geben, der mein Alterego, meine rechte
Hand und ein Gonzaga ist. Ich würde es ihm gönnen! Überlieferst du
mir den Sforza?"

"Bei allen Göttern, nein!" schrie der entsetzte Kanzler. "Ich meinen
Herzog verraten! Niemals! Nimmermehr! Und", rief er empört, "wie
darfst du daran denken, Pescara, unsere reine und heilige Sache mit
dem Borbone zu beflecken!"

"Sehet diesen Menschen!" verhöhnte ihn Pescara. "Gibt es etwas
Frecheres? Dem armseligsten Fürsten will er Treue halten, und mutet
mir zu, sie meinem erhabenen Kaiser zu brechen! Sehet diesen
unzusammenhängenden Geist! Er verlockt mich zum Verrat und will rein
bleiben von Verrat!"

"Das ist etwas völlig anderes", wehklagte der Kanzler. "Der
Konnetabel hat sein Vaterland verraten, und du rettest es, indem du
von einem Fürsten abfällst, welcher nicht der deinige ist. Meinen
Herzog preisgeben, meinen holdseligen Herrn! Der Mohr wird mir im
Traume erscheinen!"... er that einen erbärmlichen Seufzer... "Doch,
dennoch, es sei! Aber jetzt, Pescara, widerstehe auch du nicht
länger! Erbarmst du dich Italiens? Gib Antwort, Grausamer!", und
die Tränen brachen ihm aus den Augen.

"Heute nicht, Morone!" tröstete ihn Pescara. "Wir sind beide ermüdet
und bedürfen der Ruhe. Es ist die Stunde der Siesta." Er klingelte.
"Ippolito", unterwies er den Knaben, "führe den Herrn, der ein
großer Staatsmann ist, in den Turmflügel. Der Haushofmeister soll
ihm die ganze Zimmerreihe des Oberstockes öffnen und ihn sorgfältig
bedienen und reichlich bewirten lassen. Ihr findet eine gewählte
Bibliothek, Kanzler, und wollet Ihr Luft schöpfen, so steiget in den
Garten hinab, er ist schattig und reicht bis an die Wälle. Ich lade
Euch nicht zu Tafel, da ich Donna Victoria erwarte, der mein Abend
gehört. Lasset Euch die Zeit nicht lange werden. Morgen sehen wir
uns wieder."

"Wie wird mir der Tag vergehen?" jammerte der Kanzler.

"Alles geht vorüber. Noch eins: nähert Euch, ich bitte, den
Wachtposten nicht, Ihr verstündet denn das Deutsche." Er sah den
Kanzler erbleichen. "Fürchtet nichts", schloß er freundlich und
entließ ihn.

Wie er sich wieder umwendete, näherten sich ihm der Herzog und Del
Guasto, die ihr Versteck verlassen hatten, beide in der höchsten
Aufregung, der bleiche Bourbon mit fieberhaft geröteten Wangen, Del
Guasto mit lodernden Augen. Pescara erriet, daß das belauschte
Gespräch und der gezeigte Ruhm sie beide verführt und bezaubert hatte.
Del Guasto lechzte nach Beute und der Herzog nach dem reinigenden
Lorbeer. Noch schwiegen sie, aber ihre dringende und flehende
Gebärde wollte sich in Worte verwandeln. Da schloß ihnen Pescara den
Mund.

"Herrschaften", sagte er, "hier wurde Theater gespielt. Das Stück
dauerte lange. Habt Ihr nicht gegähnt in Eurer Loge?"

Da schlug der Bourbon in plötzlich umspringender Stimmung eine gelle
Lache auf. "Trauerspiel oder Posse?" fragte er.

"Tragödie, Hoheit."

"Und betitelt sich?"

"Tod und Narr", antwortete Pescara.





Viertes Kapitel



Durch seine lange Zimmerreihe schritt der Kanzler von Mailand ruhelos
auf und nieder. Die Fensterläden waren gegen die brennende
Nachmittagssonne geschlossen, und nur durch eine Spalte schoß hin und
wieder ein neckischer Strahl in die Dämmerung, einen grellen Streifen
über die Fliesen ziehend, während die Tiefe der Gemächer im Geheimnis
blieb. Doch nicht der schmalste Lichtblitz erhellte dem Kanzler die
Seele Pescaras. Er hatte seinen ganzen Menschen preisgegeben,
Pescara auch nicht ein Teilchen seiner selbst, und nicht nur ein
Schuldiger und Geständiger war jetzt der Kanzler, sondern auch ein
Gefangener oder nicht viel anders. Doch weit entfernt, daß seine
Bloßstellung ihn gereut oder sein Halbgefängnis ihn geängstigt hätte:
im Gegenteil, er schwelgte in der Großmut seiner völligen Hingabe.
Nicht einmal sein schmählich verratener Herzog beunruhigte jetzt sein
Gewissen, so gänzlich erfüllte ihn die Leidenschaft, sich Pescaras zu
bemächtigen, und der Reiz seines Anschlages auf diesen einzigen
Menschen, dessen große Haltung und ernstes Spiel in der eben
beendeten Szene er aufrichtig bewunderte. Er setzte diese Szene fort:
jedes Wort des Zwiegespräches wiederholte sich in seinem Ohr, und
selbst jede Miene und Gebärde desselben bildete sich ab in seinen
Zügen und schwang in seinen Muskeln fort--doch über Sinn und
Tragweite des Gesprochenen verstrickte er sich in unlösbare, in
tödliche Zweifel. Eine Auslegung nach der andern verwarf er, um
zuletzt zu dem wahrscheinlichen Schlusse zu kommen, noch sei Pescara
ungewiß, noch liege er im Kampfe mit sich selber.

Da gedachte er sehnsüchtig der Bundesgenossin, die jede Stunde, jede
Minute ihm bringen konnte, und der Wert Victoria Colonnas deuchte ihm
unermeßlich. Nur eine solche konnte einen solchen besiegen. Nicht
ein aufstachelndes, herrschsüchtiges Weib, wie damals deren manches
in Italien sein Wesen trieb, sondern die edelste Frau der Zeit führte
seine Sache, und in dieser jede Schönheit und Tugend Italiens
verkörpernden und von seinen Freveln und Sünden freien Gestalt
erschien ihm sein Vaterland so unvergleichlich und der Ruhm, es sich
selbst wiederzugeben, so einzig, daß hier sogar ein Pescara und
gerade ein Pescara unmöglich widerstehen konnte. Ein mit
unsittlichen Mitteln wirkendes Bündnis verklärte sich in diesen
himmlischen Augen zu einer Reinheit, die den Namen einer "heiligen
Liga" in einem freien und weltlichen Sinne rechtfertigte. Die
Bewunderung des göttlichen Weibes, welches, wie er glaubte, Italien
zu retten berufen sei, wurde dem Kanzler zur Anbetung und seligen
Inbrunst, denn er war der erhabensten und der gemeinsten Gefühle in
gleicher Weise und Stärke fähig.

Jetzt, da die gewonnene Zuversicht sein Inneres erhellte, verlangte
es ihn nach dem Tageslichte, er stieß einen Laden auf und stand, sich
umblickend, in dem sogenannten Schlangensaale, von welchem sein
Herzog ihm oft erzählt, den er selbst aber noch nie gesehen hatte.
Über dem Getäfel lief die vier Wände entlang ein gemaltes Geflechte
von Schlangen, je zweie sich umwindend, die eine der feuerspeiende
Drache der Sforza, die andere das entsetzliche Wappenbild der
Visconti, die Schlange mit dem Kind im Rachen. Legende oder Wahrheit,
der süße Lionardo da Vinci galt als der Schöpfer des scheuseligen
Kranzes: während seines langen Dienstes bei dem Mohren habe er einmal
im herzoglichen Hause zu Novara sich aufgehalten und in wenigen
Stunden dieses Spiel einer grausamen Laune begonnen und beendigt
unter dem Vorwande einer Verherrlichung seines Fürstenhauses. Keine
Unmöglichkeit, denn der Bildner des zärtlichsten Lächelns liebte
zugleich die Fratze und das Grauen. Zuerst mit ergötzten, bald mit
beängstigten Augen betrachtete der Kanzler den wilden Ring, das Werk
einer unerschrockenen Einbildungskraft, die sich daran geübt hatte,
den Ungetümen und dem nackten Kinde in dem verschlingenden Rachen
eine Folge von natürlichen Bewegungen zu geben. Dann plötzlich
erschien es ihm, als lebe und drehe sich das Gewinde. Der Kanzler
wendete sich schaudernd und trat wieder an das Fenster.

Er erblickte den einsamen Schloßgarten, der sich unter einem weiten
Gewölbe von Bäumen in tiefdunkle Schatten verlor. Darüber das
blendende Lichtmeer, und hin und wieder ein Bruchstück der gezackten
Stadtmauer. Nur in einiger Entfernung stieg aus dem üppigsten Grün
auf drei Terrassen eine kleine Villa, im Winkel und von zwei Seiten
sichtbar, deren jede ein Bild bot, jene mit einem Turmbau endigend,
diese in einen weinumwundenen Säulengang verlaufend. Es wollte
Morone scheinen, das anmutige Landhaus, dessen Teile leicht
auseinander herauswuchsen, müsse für Victoria bestimmt und der
Gedanke Pescaras sein, der ihr nicht in einem schweren und von dem
Schritte der Wachen dröhnenden Schlosse, sondern an einer gefälligen
und friedlichen Stätte liebenden Empfang bereite. Auch deutete
mancherlei drüben hin und her eilende Dienerschaft auf das Kommen
eines Gastes, und jetzt glaubte er aus der entgegengesetzten Richtung
den Lärm einer Ankunft zu vernehmen. Da litt es ihn nicht länger in
den unbehaglichen Räumen, er suchte Treppe und Pforte und wandelte
bald in einem grünen Schattenreiche.

Seine Schritte führten ihn in ein weites Rondell, wo das lieblichste
Halbdunkel herrschte und in dessen Mitte ein Brunnen seine
schimmernde Schale mit einer langsam strömenden Flut durchsichtig und
einschläfernd verschleierte. Vier breite Marmorsitze standen im
Umkreise. Auf einem derselben, dessen Lehnen zwei Sphinxe bildeten,
schlummerte der Feldherr, das Haupt über die Brust gesenkt.

Nach einem leichten Erstaunen näherte sich Morone auf vorsichtigen
Füßen, um das schlafende Antlitz zu belauschen, ob nicht die jetzt
willenlose Miene den verschwiegenen Gedanken abbilde und ausdrücke.
Lange stand er davor. Nein, es träumte nicht ehrgeizig, dieses Haupt,
noch sann es Verrat, sondern seine unbeherrschten Züge trugen, ohne
die Spur von Triumph und List, einen Ausdruck, der kein anderer sein
konnte als der des Leidens und der Entsagung. Wie Morone es
betrachtete, erstarrte seine eigene aufgeregte Miene, denn die des
stillen Hauptes war so überredend, daß auch ihn eine fatalistische
Stimmung unwiderstehlich erfaßte, eine Gewißheit von dem Nichts der
menschlichen Pläne und der Allgewalt des Schicksals. Nichts anderes
sagte das mächtige Antlitz als Frömmigkeit und Gehorsam.

Da legte sich unversehens eine Hand auf die Schulter des Kanzlers.
Nach einem kleinen gespenstischen Schrecken, als ob ihn der Geist des
vor ihm Schlummernden von hinten berühre, wandte er sich und
erblickte einen gelben Schädel und eine von Alter gebrochene Gestalt.
Zwei braune kluge, aber unendlich wehmütige Augen waren ihr einziges
Leben.

"Numa! Wahrhaftig, du hast mich erschreckt."

"Ich glaube es. Aber komm, Kanzler. Lassen wir ihn schlummern und
setzen uns dort gegenüber, daß ich ihn von ferne beobachte." Sie
thaten es, und der Arzt, der wohl achtzig zählen mochte, doch sein
feines Gehör bewahrt hatte, ließ sich mit dem Kanzler in ein
lispelndes Gespräch ein. "Du glaubst gewonnen zu haben?" fragte er.

"Ich weiß nicht", sagte der Kanzler. "Est in votis."

"Enttäusche dich, Girolamo! Ich sage dir, auch wenn er wollte, so
kann er nicht."

"Er könnte nicht? Warum? Das tönt geheimnisvoll. Welcher Gott oder
welche Göttin verbietet es ihm? Kreuzige mich nicht! Rede!"

"Dürfte ich reden, ich hätte dir von der Schwelle meines Hauses und
aus Novara weggewinkt, aber meine Lippen sind gebannt. Doch ich darf
dich, du Ärmster, auch nicht in dein Verderben stürzen lassen. Du
verlierst hier deine Worte und vielleicht dein Leben. Er kann nicht,
beteure ich dir! Es ist ihm versagt. Es ist ihm nicht beschieden.
Fliehe! Es ist alles umsonst."

"Fliehen? Vor Pescara? Ich denke nicht daran und halte ihn fest
umschlungen! Bei allen Dämonen, warum ist es ihm nicht beschieden?"

Da hauchte der Arzt, daß ihn Morone kaum verstehen konnte: "Ist nicht
aller sterbliche Wandel in Zeit und Raum? Beide aber versagen diesem."

Er legte den Finger auf die Lippen, ihnen Schweigen gebietend, und
dann gleich zum andern Male, um den Kanzler auf nahende Schritte
aufmerksam zu machen. "Still! Siehe!" flüsterte er. Auf leisen
Sohlen kam Victoria Colonna in den weiten grünen Saal, den Gatten an
seinem Lieblingsplatze suchend. Noch trug ihr Kleid den Staub der
Straße; sie mochte kaum vom Pferde geglitten sein. Da sie ihn
schlummern sah, blieb sie stehen und verlor sich in seinem Anblick.
Dann zerfloß sie plötzlich in Tränen, aus einem Übermaß der Freude,
oder es erschreckte sie der heilige Ernst der geliebten, nun von
Mühen und Wunden tiefer gegrabenen Züge. Wenige Augenblicke aber,
und sie trat zu ihm. Mit unendlicher Liebe legte sie die Hand unter
das strenge Haupt, und es sachte hebend, weckte sie es mit
inbrünstigen Küssen. Pescara öffnete die Augen. Sanft drückte er
sein Weib an die rechte Brust und gab ihr einen Kuß auf die Stirne.

Da sich der Feldherr erhob, hatte sich Morone in einer seltenen
Regung von Keuschheit weggeschlichen, und Pescara sah nur den Arzt
vor sich. Die Linke um Victoria schlingend, ergriff er mit der
Rechten die Hand Numas und sprach zu seinem Weibe: "Das ist mein
Arzt", und diese, in ihrer feurigen Art, bog das Knie und bedeckte
die schlaffe Hand mit Küssen. "Sie hat die Wunde meines Helden
geschlossen!" jubelte sie voller Dankbarkeit. Dann aber richtete sie
sich auf und fragte in tiefer Erregung: "Messer Numa Dati?"

Der Alte verneigte sich.

Und Victoria, von ihrem warmen Herzen hingerissen, wendete sich an
den Gemahl, Mund gegen Mund, und klagte: "Ehe wir uns freuen, mußt du
mir und diesem Recht schaffen! Unser Neffe hat ihm die Enkelin
verleitet und weigert sich, der Frevler, seine Schuld durch die Ehe
zu sühnen!"

"Ist es so, Numa?" sagte der Feldherr, und da der Greis traurig
bejahte: "Warum hast du mir das verheimlicht?"

"Anfangs, Herrlichkeit, war es eine bloße Vermutung, da sie mein Haus
und Novara heimlich verließ. Und wie durfte ich Euch, der sein
eigenes großes Schicksal trägt, mit dem kleinen eines Mädchens
beschäftigen? Erst heute erhielt ich Gewißheit, durch ein Schreiben
aus Rom, von der Äbtissin, in deren Kloster das arme Kind sich
geflüchtet hatte."

Jetzt drängte sich Victoria flehend an die linke Seite ihres Helden,
der unter dem Drucke des Frauenleibes einen körperlichen Schmerz zu
empfinden schien. Um ihn zu verbergen und zu verwinden, that er ein
paar Schritte vorwärts.

Die dreie standen vor den spielenden Lichtern des Brunnens.
"Schönste Frau, mich hat herzlich verlangt, Euch wiederzusehen",
sagte der Feldherr, "und da bist du ja, meine Seele!" Er blickte ihr
in die strahlenden Augen. "Aber deine edeln Lider sind ja noch ganz
bestäubt von der Reise. Dein Tuch!" Sie gab es ihm, der es netzte,
und schloß die Augen, während er ihr Stirn und Lid und Wange wusch
und badete.

"Ich erinnere mich deiner Enkelin ganz wohl, Numa, obwohl ich sie
kaum gesehen habe. Tiefblaue Augen und kastanienbraune Haare, wie
diese da, nicht wahr, und Julia heißt sie? Was ihre Sache betrifft,
die dünkt mich schwer und tragisch. Nicht daß ich anstünde, den
Bösen, den du kennst, Victoria--auch ich kann ihn nicht anders
nennen--zur Ehe mit ihr zu zwingen, er würde sich fügen, ohne Zweifel,
denn er ist mein Geschöpf und ich habe Macht über ihn. Aber ich
frage mich, ob es gut sei, die Verschmähte an einen Herzlosen und
Grausamen zu fesseln, der freilich durch seine Vermessenheit und
Begabung in der Welt die höchsten Stufen erreichen wird. Und sie
selbst? Wird sie es verlangen? Glaubst du, Victoria? Hat sie es
verlangt, die sich dir in Rom zu Füßen geworfen hat, wie ich vermute,
da du sie kennst?"

"So that sie", sagte Victoria mit flehender Stimme.

"Ertrug sie deinen reinen Anblick? Und im Ernst, du willst sie dem
Manne geben, der sie verschmäht? Wenn sie mein Kind wäre, ich
vergrübe sie ins Kloster. Ihr aber seid menschlich und barmherzig,
Madonna. Und wer weiß, vielleicht liebt sie ihn noch, oder liebt und
haßt ihn zugleich--ich verstehe das nicht. Doch ich will mich ihrer
annehmen, sie habe die Wahl."

Jetzt öffnete der Arzt den welken Mund. "Arme Julia! Welche Wahl!
Selig, daß sie ihrer überhoben ist!"

"Wodurch?" fragte Pescara.

"Durch eine dunkle, aber weise Gottheit."

"Ich verstehe", sagte der Feldherr rasch, "sie lebt nicht mehr."

"Du sagst es, Herrlichkeit."

"Sie hat sich ein Leides gethan?" wehklagte Victoria.

"Da sei ihr Schutzengel davor!"

"Wer weiß es? Als sie in ihr Kloster zurückkam, nachdem sie sich
Euch geoffenbart, ist sie gestorben. Ihr Geständnis muß sie getötet
haben, und der Anblick Eurer Reinheit, Madonna, wie die Herrlichkeit
es gewollt hat. Vielleicht ein Herzschlag, vielleicht--das willige
Mädchen ist mir in meiner Apotheke oft mit Verständnis und Geschick
beigestanden."

Jetzt urteilte der Feldherr: "Das bleibe unberedet. Sie ist
eingegangen in den Frieden und steht jetzt in Dienst und Pflicht
einer heiligen Macht, die unserer erbärmlichen Gerechtigkeit spottet."

Victoria weinte, und der Greis flehte: "Ich kann nicht mehr! Es sei
gut!"

"Ja, es ist gut", schloß der Feldherr.

Dann bot er Victoria die Hand und sagte leichthin: "Edle Frau, ich
habe Euch und mir, solange wir zusammen sein dürfen, ein helleres
Haus gerüstet als dieses alte Schloß mit seinen plumpen Deckenbalken,
diese Wohnung des Verrates, denn auf seiner Zugbrücke wurde der Mohr
ausgeliefert. Sehet Ihr dort bei den Pinien die anmutige Baute,
Madonna? Die habe ich Euch bestimmt: sie ziemt Eurem klaren Wandel."

Sie durchschritten den Park und langten am Fuße der drei Treppen an,
wo der greise Arzt stehenblieb, Atem schöpfend und den Feldherrn
zurückerwartend. Da Victoria die dritte Treppe erstieg, erblickte
sie zwei Bildwerke, welche rechts und links die höchste Stufe
schmückten. "Das hat der junge Franz Sforza ersonnen, an welchem
sein guter Geschmack immer noch das Beste ist", plauderte Pescara.
"Diese Gruppen sind hübsche Gedanken aus seinem flüchtigen Kopfe.
Die rechts zum Beispiel. Erst konnte ich nicht aus ihr klug werden,
so sehr sie mir gefiel. Da sagte mir der Gärtner die Inschrift, die
sie anfangs trug, die aber der feine Herzog verschwinden ließ, damit
der Beschauer fühle und rate. Sie lautete... doch das bringst du
heraus, Geliebte?"

Victoria, nachdem sie einen flüchtigen Blick auf die linke Gruppe,
ein ungebunden kosendes Paar geworfen hatte, betrachtete lange Zeit
die rechte. Es waren zwei weibliche Gestalten, eine liegend und
etwas wie eine Blume oder einen Schmetterling leichtsinnig
zerpflückend; die andere stand, innig vertieft in sich selbst, oder
in die Ferne verloren. Alle drei Mädchen aber, das kosende, das
vergessende, das sich sehnende, hatten unter verschiedenem Ausdrucke
das gleiche Gesicht. Victoria sann. Da blies ihr der Feldherr
mutwillig ins Ohr, wie in der Schule ein Knabe einem Mädchen: "Tu die
Augen auf, ein paar Buchstaben sind noch lesbar." Victoria entdeckte
links, schwach ausgeprägt: Pres..., rechts aber unterschied sie etwas
deutlicher: Ass... "Presenza und Assenza", ergänzte sie beschämt,
und der Feldherr sagte: "Die Gegenwart ist frech. Die Abwesenheit
aber, die vergißt, ist gedankenlos. Ich preise die gegenwärtige
Abwesenheit: die Sehnsucht."

"Wir werden uns nicht mehr trennen, Ferdinand, wenn du mich lieb hast."

"Nur noch einmal. Für einige Tage, höchstens eine Woche, Madonna,
bis ich Mailand werde genommen haben. Ihr folget mir, und forthin,
wenn Ihr wollt, trennen wir uns nicht mehr. Es liegt an dir,
Victoria", sagte er zärtlich.

"Ob ich will!"

"Erinnerst du dich, Geliebte", scherzte er wiederum, "daß du mir
einmal in Ischia am plätschernden Strande gesagt hast, du begreifest
nicht, wie ein Weib, das geliebt habe, jemals einem Zweiten gehören
könne? Es widerspricht der Liebe, sagtest du. Freilich, aber es hat
Erfahrung und menschliche Natur für sich. Assenza, Assenza!"

Jetzt erhob sich Victoria zu ihrem ganzen stolzen Wuchs und streckte
den herrlichen Arm, von welchem der Ärmel zurückfiel, gegen den
leuchtenden Himmel und schwur: "Nie gehöre ich einem andern, bei den
reinen Strahlen dieser Sonne!"

Der Feldherr beschwichtigte: "Dort stehen deine Kammerfrauen, Kind,
und bestaunen dein Gelübde, das sie dir wahrlich nicht nachtun werden."
Er winkte den in ehrerbietiger Entfernung harrenden Zofen und
beurlaubte sich bei der Marchesa. "Ihr werdet Euch umkleiden, Herrin,
und ich selbst habe noch bis zur Abendstunde zu thun. Auf
Wiedersehen hier, nach Sonnenuntergang, zum Spätmahle." Er wendete
sich und ging, ohne nach ihr sich umzublicken. Unten an der Treppe
nahm er den Arm des greisen Arztes, langsam mit ihm durch einen
Zypressengang nach dem Schlosse zurückwandelnd. "Wie war die Nacht
Eurer Herrlichkeit?" fragte der Alte.

"Wie gewöhnlich", antwortete Pescara. "Du hast gegen deinen
Gastfreund reinen Mund gehalten, Numa?"

"Ich erinnerte mich Eures Befehles... Aber wie möget Ihr mit dem
Kanzler und meinem armen Italien dieses grausame Spiel treiben! Wie
dürfet Ihr es?"

"Ich spiele mit Italien, sagst du? Im Gegenteil, deine Landsleute,
Numa, spielen mit mir: sie heucheln Leben und sind tot in ihren
Übertretungen und Sünden."

Sie gingen eine Weile schweigend. "Weißt du, Numa", spottete jetzt
der Feldherr, "daß mich neulich ein Astrologe besucht und mir das
Horoskop gestellt hat? Er schätzte mich auf sechzig Jahre, ich fand
das wenig."

Der Greis seufzte.

Wieder wandelten sie wortlos. Vor der schmalen Pforte der Burg
beurlaubte Pescara den Alten. "Meine Feldherrn erwarten mich, Numa,
ich habe sie auf diese Stunde beschieden." Da beschlich ihn noch ein
Mitleid mit den guten braunen Augen und dem zahnlosen Munde, und er
sagte freundlich: "Fürchte nichts, Numa. Ich werde dein Italien
nicht mißhandeln, ich werde gerecht und milde verfahren."

In seinem Vorsaale fand der Feldherr den Herzog von Bourbon und Leyva
sich gegenüberstehen, zwischen ihnen Del Guasto, als ob er sie
auseinanderhielte, und dann noch einen vierten, der in einer
Fensterbrüstung lehnte. Dieser war ein vornehmer Mann in Jahren,
halb Mönch, halb Weltmann, mit einem bronzefarbenen Kopfe und tiefen,
unergründlichen Zügen, in einen kuttenähnlichen weißen Mantel gehüllt.
Wie Pescara ihn erblickte, schien der Feldherr leicht zu schaudern,
ging aber auf ihn zu und begrüßte ihn.

"Was verschafft mir die Ehre, Moncada?"

Der andere erwiderte: "Erlaucht, ich bin in Sendung und ersuche im
Namen des Vizekönigs um eine Unterredung."

"Ich gewähre sie", versetzte der Feldherr, "aber ich bitte Eure Gnade,
sich kurz zu fassen am Vorabende des Feldzugs."

"Eine geheime Unterredung."

Pescara besann sich. "Eine geheime? Nicht, Ritter. Geschäftliches
würde ich diesen zwei Herrschaften, meinen Kollegen, nicht
vorenthalten. Ersparet mir die Mühe. Mein Neffe hier ist
verschwiegen. Was ist Euer Auftrag? Sprechet, Ritter!" Er bot
Moncada keinen Stuhl.

Dieser musterte die anwesenden Gesichter. "Nach Eurem Willen", sagte
er. "Erlaucht, der Vizekönig ist in tiefster Besorgnis. Die
italienische Liga ist eine Thatsache, an welcher Erlaucht nicht
zweifelt, da Sie durch Leyva den Vizekönig um Truppen ersuchen ließ,
welche dieser freilich nicht entbehren kann, selbst ihrer bedürftig,
um im Falle des ausbrechenden Krieges eine ehrfürchtige, aber
drohende Bewegung gegen die irregegangene oder mißleitete Heiligkeit
zu machen. Erlaucht gibt zu, daß unsere Heere im Süden und Norden
der Halbinsel zusammenwirkend in denselben Plan eingreifen müssen.
In diesem Sinne sendet mich der Vizekönig, Euch zu begleiten und ihn
auf dem laufenden zu halten. Genehmigt Erlaucht?"

Der Feldherr bejahte, seinen Unmut niederkämpfend.

"Ein anderes", fuhr Moncada fort. "Ich bedaure, daß Ihr mich nicht
geheim empfangen habet, aber ich ergreife den Augenblick. Es wird
gewünscht in Madrid, daß Erlaucht, wenn Sie Mailand erobert haben
wird, dort zum Heile der Monarchie, und um das Übel mit der Wurzel
auszurotten, streng und durchgreifend verfahre. Es wird geraten: der
abtrünnige Herzog werde in Ketten gelegt und nach Spanien gesendet;
der trotzige lombardische Adel verliere seine Güter und besteige das
Schafott; starke Besatzung und schwere Kriegssteuer bändige den
Bürger; der Schrecken herrsche in Mailand!" Er suchte in der Miene
des Feldherrn zu lesen.

Dieser stand ruhig. "Der Schrecken?" wiederholte er. "Niemals,
solange ich lebe und meinem Kaiser diene! Mailand ist Reichsgebiet,
und der Kaiser will nicht, daß das Reich mißhandelt werde. Wer
wünscht? Wer rät? Verschonet mich mit Räten und Wünschen, Moncada,
ich brauche sie nicht."

"Hat der Herzog um Aufschub gebeten?" fragte Moncada mißtrauisch.

"Nein, Ritter."

"Durch seinen Kanzler?"

"Der Kanzler der Hoheit von Mailand bewohnt seit heute diese Burg.
Eure Gnade kann ihn sprechen und sich bei ihm selbst erkundigen, Sie
wird ihm damit ein Vergnügen machen, denn ich fürchte, daß er sich
langweilt."

"Erlaucht hat ihn nicht empfangen? Keine Neugierde läßt mich fragen,
sondern das Interesse der königlichen Sache, welcher wir alle hier
dienen."

"Ich habe den Kanzler gesprochen, heute morgen, zwei Stunden."

Diese Aufrichtigkeit setzte Moncada in Erstaunen, aber sie sagte ihm
nichts Neues. Er war durch die spähenden Ohren, welche er unter dem
Gesinde Pescaras besoldete, von der Ankunft und der Audienz Morones
genau unterrichtet.

"Eine lange Beredung, da doch allein von der Unterwerfung des Herzogs
die Rede sein konnte."

Pescara schwieg. Geheimer Abscheu, so schien es, verbot ihm, den vor
ihm Stehenden nur eines Wortes zu würdigen über das Nötige hinaus.

"Ich wundere mich", sprach Moncada weiter, "daß Erlaucht nicht kurz
abgebrochen, und ich erstaune, daß Sie diesen Niederträchtigen
überhaupt empfangen hat, jetzt, da jene Verleumdungen über Erlaucht
Italien erfüllen."

"Nicht weiter! Jedes Wort wäre eine Beleidigung und ein Zeitverlust!
Ich habe diese Lügen meinem Kaiser berichtet. Das genügt. Ich
kenne meine Feinde..."

"Weise. Und ebenso weise, wenn Erlaucht Ihrer Unterredung mit Morone
unverdächtige Zeugen gegeben hätte."

"Das geschah", erwiderte Pescara verächtlich. "Diese Herrschaften
hier." Bourbon und Del Guasto nickten. "Was aber den Inhalt der
Unterredung betrifft, nach welchem Ihr neugierig zu sein scheinet, so
werdet Ihr ihn der Antwort entnehmen, welche ich in Eurer Gegenwart,
wenn Ihr es wünscht, dem Kanzler morgen zu geben gewillt bin, bevor
er meinem Heerzug als ein Gefangener folgen wird. Hier in diesem
Saale. Nun aber lasse ich Euch." Und er entfernte sich in sein
inneres Gemach, wohin die drei andern ihm folgten.

Moncada stand allein. "Eine Maske", überlegte er, "eine durchdachte
Maske. Welch ein Antlitz verbirgt sie?... Ich werde es wissen...
Du entrinnst mir nicht, ich umschwebe dich, Pescara!" Er ging
langsam weg in streitenden Gedanken.

Während die drei Feldherrn drinnen den Krieg vorbereiteten, blieb der
Vorsaal eine Weile leer und unbehütet. Der Page Ippolito hatte sich
zu der Herrin hinübergeschlichen, deren Ankunft er belauscht hatte
und deren Schönheit und Leutseligkeit er kindlich bewunderte. Er
brannte, sie zu begrüßen und ihr seine Dienste zu bieten. Dann aber
bevölkerte sich der feierliche Saal mit einer lustigen Gesellschaft.
Die fünf silbergrauen Windspiele des Konnetabel, närrische, noch ganz
junge Tiere, hatten irgendeinen unbewachten Eingang in das Schloß
gefunden und beschnoberten jetzt die Spalten der Türe, hinter welcher
sie ihren Herrn vermuteten. Diese Rasse war Modesache. Nun kam auch
der Windhund des Marchese, ein edles Tier und ein unermüdlicher
Läufer, zu sehen, was es gebe, und war nicht sehr erbaut von dieser
leichtsinnigen Sippe, die ihm nicht in diesen ernsten Raum zu gehören
schien und der er knurrend sein Mißfallen kundgab.

Siehe, da erschien noch ein zartes, zierliches Windspiel, ein
schneeweißes Geschöpf von den feinsten Formen, das auf schimmerndem
Silberhalsband die Inschrift trug: "Ich gehöre der Victoria Colonna."
Zuerst mit Freude und Bewunderung empfangen, wurde das schmucke
Spielzeug bald zu einem gejagten und gehetzten Wilde, hinter welchem
die ganze jugendliche Meute kläffend im Kreise herumfuhr. Da kam der
Page hereingesprungen, nahm das Eigentum der Herrin, welche ihn
danach gesendet haben mochte, in die Arme und flüchtete es aus dem
Tumulte, die wilde Jagd hinter sich ziehend, den besonnenen Läufer
des Pescara ausgenommen. In demselben Augenblicke trat Leyva aus dem
innern Gemache und beschleunigte die allgemeine Flucht, indem er dem
hintersten Hündchen des Konnetabel einen Tritt versetzte, daß es
winselnd durch die Luft flog.

Der ergraute Feldherr hatte einen zornroten Kopf und ließ sich von
Pescara, der ihn geleitete, kaum mehr an der Hand zurückhalten.
"Leyva", sagte der Marchese, "ich bitte Euch, bleibt! Beherrschet
Euch! Ich kann Euch nicht zwingen, gegen den Herzog gerecht zu sein,
aber beobachtet wenigstens die Formen! Der Herzog benimmt sich
musterhaft gegen Euch, mit tadelloser Courtoisie, Ihr aber zoget ihm
die grinsende Miene eines Bauers, und jetzt lauft Ihr weg, ehe unsere
Beratung geschlossen ist. Das ist kein Betragen, wie es sich für
Eure Stellung und Euer Verdienst geziemt." "Ich konnte den Verräter
nicht länger ertragen, Pescara! Mit jeder Miene, jeder Bewegung hat
mich der Hochmütige beleidigt! Nichts als Hohn! Seine Kälte
verachtet mich, und seine Verbeugungen spotten meiner. Ich möchte
wissen, woher er das Recht nimmt, auf mich herabzusehen. Ich stehe
über ihm, trotz seiner hohen Geburt, denn meine Ehre ist rein, und
ich bin ein treuer Knecht meines Königs, den seinigen aber hat er
verraten! Er ist gezeichnet und sein glattes Gesicht garstiger als
meine Wunde hier! Doch nicht alle Fürsten verachten mich, es gibt
deren, die meinen Wert kennen. So dieser verständige Moncada, mit
dem ich gereist bin. Der wenigstens hat mich seines Vertrauens
gewürdigt."

Pescara wurde sehr ernst. "Leyva", sagte er, "Ihr gebet mir die
Genugtuung, daß ich Euch immer für voll genommen habe. Ich frage
nicht nach der Geburt, sondern ich nehme den Menschen, wie ich ihn
erprobe. Habet Ihr mich je hochmütig gesehen oder kleindenkend
erfunden? Du hast nichts gegen mich, Alter", sagte er zutraulich,
"wir kennen uns." Er suchte mit den hellen grauen Augen die des
Mitfeldherrn, der sie ihm aber, den Kopf senkend, hartnäckig entzog.
"Nichts", murrte Leyva, "außer daß Ihr Freundschaft haltet mit dem
andern. Doch ich habe Eile: Erlaucht schickt mir die Instruktionen
nach. Ich besitze dergleichen gerne schriftlich. Leyva tut seine
Pflicht. Zählt darauf!"

Der Feldherr ließ ihn gehen und streichelte nachdenklich den feinen
Kopf seines Windspieles, das ihm denselben in die Hand zu legen
gekommen war.

Dann trat er in sein Gemach zurück, wo er Bourbon und Del Guasto in
einem aufgeregten Gespräche fand, wohl über den Kanzler, denn sie
deuteten mit den Blicken in der Richtung der Turmgemächer. Der
Feldherr lächelte. "Herrschaften", sagte er, "Ihr habet heute morgen
eine wunderbare Rede belauscht und--noch wunderbarer--diese Rede hat
mich nicht verführt, aber Euch, meine Zeugen. Meine Treue blieb fest,
und die Eurige wurde erschüttert, wie ich glaube: ein Triumph, den
der Kanzler nicht beabsichtigte, der ihm aber schmeicheln darf."

Jetzt wendete er sich mit veränderter Miene gegen Del Guasto: "Don
Juan, ich sah Eure Augen habgierig nach Beute flammen. Danket es mir,
daß ich Euch nicht zu Worte kommen und Euern Herrn, den Kaiser,
verraten ließ. Denn gerade Ihr, Don Juan, müsset der Majestät
unverbrüchliche Treue halten, wenn Ihr nicht ein Verbrecher werden
wollet. Treue am Fürsten ist die einzige Tugend, deren Ihr zur Not
fähig seid, und der letzte Ehrbegriff, der Euch übrigbleibt. Sie
wird Eure Unerbittlichkeit adeln, wenn Ihr dieselbe gegen Abfall und
Empörung ausübet, und Eure grausamen Triebe werden der irdischen
Gerechtigkeit dienen. Nehmet das als meinen wohlgemeinten Rat, und
nun gehet und vermeidet heute die Augen Donna Victorias. Euer
Anblick ist ihnen verhaßt, sie können einen Mörder nicht ertragen."

"Einen Mörder?" Don Juan lehnte sich auf.

"Einen Mörder. Kennet Ihr Euer Opfer noch nicht? Ich nenne es Euch:
es ist Julia, die Enkelin meines Numa Dati, gestorben in Rom am
gebrochenen Herzen, und Ihr seid es, der sie umgebracht hat. Ihr
geschah wohl, aber das mindert Euren Frevel nicht im geringsten.
Fürchtet nicht, daß sie Euch erscheinen werde, sie ist versenkt in
die Ruhe und überläßt Euch den Furien Eurer Seele, zu früher oder
später Reue."

Del Guasto erbleichte, und sein Haar sträubte sich wie ein Gewirr von
Schlangen. Nicht seine That erschreckte ihn, aber der furchtbare
Richterernst des Feldherrn, dessen vernichtende Strafgewalt von
jenseits des Grabes zu kommen schien. Er entwich bestürzt vor den
Blitzen dieses Auges.

"Familienangelegenheiten", bemerkte Bourbon. "Aber weißt du,
Ferdinand, daß der Kanzler mich mehr, als du denkst, begeistert hat?
Trotz seiner Schmähungen--er ist der einzige, dem ich nichts
übelnehme--war er auf dem Wege, mich völlig zu betören, oder vielmehr,
du hast mich betört, da du sagtest, ich sei dein Alterego und du
würdest mir Mailand geben. Du hast dich über mich lustig gemacht,
und ich Stumpfsinniger habe den Spaß nicht verstanden."

"Vergib, Karl! Ich war neugierig, ob der Kanzler seinem Herzog Treue
hielte. Aber glaube mir, Karl, auch dir bleibt nichts als die Sache
des Kaisers. Der Niedergang Italiens ist unaufhaltsam, es unterhöhlt
sich selbst. Besieh dir doch die Sache: Italien bietet sich mir
flehend und bedingungslos, mit einem Schein von Wahrheit und Größe,
und zugleich zieht es mir mit vollendeter Tücke den Boden unter den
Füßen weg, um mich zum Sprung über den Abgrund zu zwingen. Ich
begreife bei solchen Gerüchten und Verleumdungen, daß mir Madrid
einen Aufseher und Belauscher sendet. Aber warum meinen Feind?
Warum Moncada? Zwar er wird mir nichts anhaben, und ich werde mein
Tagewerk zu Ende bringen, und dir, Karl, werde ich geben, was ich
kann, mein Amt und meine Nachfolge... Nicht wahr, Karl, du bist
gerecht in Italien? Du quälst es nicht? Du drückst es nicht über
das Maß? Das gelobst du mir. Obwohl sie es nicht um mich verdient
haben. Ich kenne dich: du gehst menschlich mit ihnen um."

"Ausgenommen mit dem Heiligen Vater, der schlecht von mir gesprochen
hat. Aber, Ferdinand, was redest du? Du erschreckst mich! Wir sind
gleichen Alters, und eine Kugel kann mich vor dir oder uns beide
zusammen niederstrecken. Dieser Moncada ist über dich gekommen wie
ein Frost, ich sah dich zusammenschauern. Was liegt zwischen Euch?"

Jetzt ging die Sonne unter, und es klopfte leise an der Türe. Der
eintretende Ippolito wendete sich flehend gegen seinen Herrn:
"Erlaucht lasse Madonna nicht warten. Die Tafel drüben ist gedeckt,
und Madonna steht harrend auf der Terrasse, wenn sie nicht die Stufen
herabsteigt."

"Gehe, mein Kind, und sage ihr, ich komme."

"Das tue ich nicht", versetzte Ippolito mit anmutigem Trotze, "sonst
läßt sich Erlaucht mit Hoheit wieder in ein endloses hochpolitisches
Gespräch ein, und die süße Frau wird vergessen."

Der Feldherr litt den Knaben neben sich, und die Unterhaltung mit dem
Herzog fortsetzend, um dessen Schulter er vertraulich den Arm
geschlungen hatte, bediente er sich der spanischen Sprache, von
welcher er wußte, daß sie von dem Pagen nicht verstanden wurde. "Was
zwischen mir und Moncada liegt, Karl? Etwas Entsetzliches, ein
Verdacht, der für mich eine Wahrheit ist, für welchen ich aber keinen
Beweis habe als meine Überzeugung. Ich glaube, ja ich bin gewiß:
dieser Mensch hat meinen Vater umgebracht." Er glättete die Locken
des Kindes, das mit unschuldigen Augen zu ihm emporblickte.

"Es war nach der Wende des Jahrhunderts und ich wie dieser hier,
jedenfalls nicht älter. Mein Vater, ein guter Feldherr und ein
besserer Mann als ich, ein treuherziger Mann, ging in Sendung des
damaligen Vizekönigs, des großen Gonsalvo, der später den spanischen
Undank so grausam erfuhr, nach Barcelona, wo der alte Ferdinand eben
hofhielt. Dort erblickte er den letzten Sprossen unsers
neapolitanischen Fürstenhauses, jenen unglücklichen Jüngling, der
unter dem argwöhnischen Auge Ferdinands welken mußte, mit einem
unfruchtbaren Weibe verheiratet. Arglos und unklug, wie der Vater
war--ich sage dir, es gab keinen schlichtern Mann--, ließ er sich mit
dem entthronten Prinzen in ein teilnehmendes Gespräch ein und
besuchte ihn dann zuweilen im Palaste. Das reichte hin, ihn dem
Könige verdächtig zu machen, und dieser Verdacht genügte, um ihm das
Leben abzusprechen.

Ich erzähle dir die Sache, wie ich sie nachher erforscht und
zusammengebracht habe, da, bei reiferm Verstande und erlangter
Menschenkenntnis, die Vergangenheit Sinn und Bedeutung für mich
gewann. Es ist höchst wahrscheinlich, daß der König selbst sein
Opfer bezeichnete, wenn auch nur mit einem halben Wort oder einer
kurzen Gebärde. Die Ausführung seines geheimen Spruches aber
übernahm ein junger Mensch, den er um sich hatte und von dem es hieß,
daß er sein natürlicher Sohn sei. Der junge Moncada, kein anderer,
begegnete meinem Vater, der von dem Prinzen zurückkam, in einer
Galerie des Schlosses und stieß ihn nieder. Kein Zweikampf, sondern
ein Meuchelmord, denn die Rechte des Vaters war durch eine alte
Verwundung gelähmt. Und Pescara fiel unschuldig, so wahr ich dich
umschlungen halte, denn nichts lag dem Redlichen ferner als Intrige
und Verschwörung. Ist das nicht verrucht? Und vielleicht glaubte
der junge Moncada eine Pflicht zu erfüllen und als guter Christ zu
handeln, da er dem Wink einer Königsbraue gehorchte. Ist das nicht
abscheulich? Wäre so etwas bei euch möglich, Karl?" "In Frankreich?
Je nachdem. Doch nein, so einfach nicht."

"Nach Jahren, da ich meine ersten Sporen verdient hatte, treffe ich
den Moncada im Zelte meines Feldherrn und Schwiegervaters, des
Fabricius Colonna. Er umarmt mich, nennt mich seinen jungen Helden,
den aufgehenden Stern und die Hoffnung Spaniens, und sein Blick
gleitet mit ruhiger Beobachtung über meine Züge. Er versichert mir,
ich gleiche meinem Vater, den er gekannt habe, und das Blut erstarrt
mir in den Adern, denn ich hatte die Gewißheit, daß mich der Mörder
Pescaras liebkosend in den Armen halte."

"Du ließest ihn gehen?"

"Am Abende jenes Tages ging ich, ihm das Leben zu nehmen oder ihn das
meinige nehmen zu lassen. Er war verschwunden. Ich konnte ihn nicht
verfolgen. Wo hätte ich die Zeit dazu genommen, immer im Zelte und
in der Mitte der Entscheidungen, wie ich lebte? Aber der Geist des
gemordeten Vaters folgte mir überall.

Später erfuhr ich, der Verhaßte habe sich in irgendeine Kartause
geworfen, um eine Sünde zu büßen. Dann ist er jenseits des Meeres,
in Kuba, wieder aufgetaucht, wo ihm König Ferdinand reiche
Besitzungen verlieh, und hat den kühnen Cortez nach Mexiko begleitet.
Ich denke, um den ehrgeizigen Eroberer zu überwachen: denn Moncada
lebt in den Gedanken und Plänen seines Vaters und ist im
Zusammenhange mit jener fanatischen spanischen Partei am kaiserlichen
Hofe, welcher die Burgunder und Niederländer glücklicherweise die
Waage halten. Über das Meer zurückgekehrt, hat er sich ein Verdienst
daraus gemacht, durch sein verborgenes Wirken Neuspanien der Krone
erhalten zu haben, und steht in halb gefürchtetem Ansehen, auch bei
dem Kaiser, seinem Neffen. Jetzt ist er in Italien, um mich zu
unterjochen oder zu verderben. Das ist Moncada."

"Weißt du, Ferdinand", sagte Bourbon, der aufmerksam gelauscht hatte,
"ich hätte dir längst gern einen Gefallen gethan. Räche ich dir den
Vater und schaffe dir zugleich den Feind vom Halse? Nicht durch
Meuchelmord, das ist nicht meine Art, sondern in geregeltem Duell, zu
welchem ich schon einen Anlaß finde. Ich gefährde mich nicht, denn,
ohne dir nahezutreten, du gibst zu: wir Franzosen fechten besser als
ihr Spanier. Du bleibst außer Spiel, und mich schützt meine
fürstliche Geburt. Willst du? Ich bin zu deiner Verfügung."

Da antwortete Pescara mit fast verklärten, bläulich schimmernden
Augen: "Nein. Es ist zu spät. Ich denke jetzt anders und gebe den
Mörder der ewigen Gerechtigkeit."

Bourbon blickte erstaunt. Pescara aber nahm Ippolito an der Hand und
sagte: "Nun dürfen wir Madonna Victoria nicht länger warten lassen."

Er gab dem Herzog den Vortritt. Auf der Wendeltreppe fragte er den
Knaben: "Die Herrin ist dir schon so lieb, die du heute zum ersten
Male gesehen hast?"

"Sie war gleich so gütig", erwiderte Ippolito, "und ihr sah die
Schwester ähnlich, die ich jetzt nicht mehr sehen soll"--helle Zähren
rieselten ihm über die Wange--"weil sie, wie mir der Großvater
erzählte, in einem römischen Kloster ist und dort die Gelübde
abgelegt hat. Und sie war sonst so fröhlich, die Julia, aber
freilich, in der letzten Zeit ist sie sehr still geworden. Wie mag
sich die Schwester so jung begraben!" Er sagte das, während sie ins
Freie traten.

"Ich flehe, mich der erleuchten Frau vorzustellen", bat der
Konnetabel. "Jüngst fand ich, ein Buch öffnend, die Natur habe das
Herrlichste gebildet und dann die Form zerbrochen, damit Victoria
Colonna einzig bleibe. Ihr gönnet mir den Anblick?"

Sie beschritten den langen Zypressengang, und jetzt gewahrten sie in
einiger Entfernung einen bewegten Auftritt: eine vorwärts strebende
weibliche Gestalt riß sich von einem Manne los, der ihr zu Füßen lag.
In demselben Augenblicke schrie Ippolito: "Dort ist der böse
Zauberer, er will der Herrin ein Leides thun!", und eilte
spornstreichs Donna Victoria zu Hilfe, während der Kanzler von den
Knien aufsprang und hinter einer Lorbeerhecke verschwand.

Die Befreite eilte dem lächelnden Gemahl mit schnellen Füßen entgegen
und mit einem so jungen und kräftigen Erröten, daß Pescara sie
niemals schöner gesehen zu haben glaubte. Während ihr Gewand noch
flog, sagte die nicht einmal außer Atem Gekommene. "Ein Flehender
hat mich überfallen und beschworen, seine Sache bei Euer Erlaucht zu
führen: er bittet, ihn nicht allzulange auf Bescheid harren zu lassen,
da er sich in Zweifel und Erwartung verzehre."

"Er hat seine Fürbitterin gut gewählt, Madonna", versetzte der
Feldherr, "aber alles zu seiner Zeit. Jetzt gestattet, daß ich Euch
die Hoheit Bourbon vorstelle."

Victoria, lebhaft wie sie war, verbarg einen Ausdruck frauenhafter
Teilnahme nicht.

Der Herzog ließ nicht im geringsten merken, daß ihn der kniende
Kanzler belustigt hatte. Er verneigte sich ehrerbietig und hielt
sich fein und stolz aus Rücksicht für Pescara und im Bewußtsein
seines schmachvollen Ruhmes, das ihn nie verließ. Er bewunderte die
Schönheit Viktoriens, ohne sein dunkles Auge auf ihrem Antlitz oder
ihrem Wuchse ruhen zu lassen. Er schmeichelte nicht, er streute
keinen Weihrauch, sondern er sagte einfach: "Ich freue mich, Madonna
Victoria zu erblicken, die Gattin meines Freundes, des Marchese, und
huldige ihr nach Gebühr." Dann verwickelte er sie, zu ihrer Linken
gehend, in ein leichtes und gefälliges, aber unbedeutendes Gespräch,
und da sie ihn zur Tafel bat, bedankte er sich und schied unten an
der Treppe des Landhauses mit ruhiger Höflichkeit. Victoria, so
bescheiden sie war, hatte mehr erwartet, schon aus Gewöhnung, denn
ihr pflegte von den Berühmtheiten der Zeit auf das übertriebenste
gehuldigt zu werden. Doch sie verwand leicht und belächelte ihre
Enttäuschung, mit dem Feldherrn die Stufen hinansteigend in der schon
wachsenden Dämmerung.

Die Mahlzeit war kurz, wie Pescara es liebte. Victoria ließ es sich
nicht nehmen, selbst dem Gemahl die Speisen vorzulegen, er aber
rächte sich beim Nachtisch. Zwischen Eis, Früchten und Naschwerk
erblickte er eine von seinem Zuckerbäcker kunstvoll geformte
Mandelkrone. "Siehe da", scherzte er, "etwas für meine ehrgeizige
Victoria!" Er bot sie ihr, deren Herz zu pochen begann.

Sie erhoben sich und betraten das Nebenzimmer, das eine schwebende
Ampel gleichmäßig erhellte und in seinem noch frischen Schmucke
schimmern ließ. An den Wänden liefen Kinder mit Blumenkränzen,
während das Lattenwerk der Decke in seinen Feldern grau auf Goldgrund
gemalte Heroenbüsten zeigte, eine willkürlich gewählte Gesellschaft,
auf den vier ampelhellen Mittelfeldern: Äneas, König David, Herkules
und Pescara. Das ganze Gerät war ein Ruhebette, dessen Rücklehne in
ihrem Kastanienholze mit ausgebrochenen Lettern die Schrift trug:
"Hier muß man plaudern."

"Wie kommt es", fragte Victoria, sich neben Pescara niederlassend,
"daß mir der Konnetabel trotz seiner feinen Art einen unangenehmen
Eindruck macht, daß er mich--geradeheraus gesagt--abstößt?"

"Der Arme!" scherzte Pescara. "Mars und Muse, Rauheit und Anmut, der
garstige Leyva und die schöne Victoria fühlen sich gleicherweise von
dem Kapetinger beleidigt, der sich doch gegen beide unsträflich
benommen hat, wie ich bezeugen kann. Da muß sich etwas zwischen ihn
und jeden andern, wer es sei, einschleichen, und ich glaube wohl,
dieser entstellende Dunst und verhäßlichende Nebel ist sein Verrat
oder welchen Namen man dem Abfall von seinem Könige geben will."

Eine leichte Blässe überzog das Antlitz Victorias.

"Verrat..." Pescara dehnte die zwei Silben des Wortes. "Es ist
begreiflich, daß ein edles Weib diese Sünde verabscheut. Ob ich
meinem Fürsten Treue breche oder meinem Freunde oder meinem
ahnungslosen Weibe oder selbst meinem Mitschuldigen, alles das sind
Spielarten derselben Gesinnung... Schon dein finsterer und großer
Dichter, aus welchem du deine Seele erneuerst, wertet den Verrat als
die schwerste Schuld, da ja in seiner Giudecca sein Zerberus oder
Luzifer in jedem der drei Rachen einen Verräter zermalmt. Den ersten
weiß ich: es ist jener, der den Heiland geküßt hat. Wer aber sind
die zwei andern: die, welche Luzifer an den Füßen gepackt hält und
die das Haupt nach unten schweben? Das ist mir in diesem Augenblicke
nicht erinnerlich. Sprich doch die Stelle, du weißt ja die hundert
Gesänge auswendig." Victoria rezitierte:

"Degli altri due, ch' hanno il capo di sotto,
Quel, che pende dal nero ceffo, è Bruto:
Vedi come si storce, e non fa motto:
E l'altro è Cassio, che par sì membruto*1*)."
----------------
Hier windet Brutus sich mit festem Schweigen,
Und aus dem dritten Maul hangt Cassius nieder,
An dessen Leib sich alle Muskeln zeigen.
----------------


Behaglich plauderte der Feldherr weiter: "Dieser schweigend sich
windende Brutus ist gut, doch--mit der schuldigen Ehrfurcht--den
dürren Cassius, dessen Magerkeit Julius Cäsar fürchtete, wie kann ihn
Dante muskulös nennen? Überhaupt, Victoria, wie gefällt dir diese
Speise des Zerberus?"

Da antwortete Victoria tapfer: "Herr, die Mörder Cäsars gehören nicht
in die Hölle. Hier tadle ich meinen Dichter."

"Beileibe nicht!" neckte Pescara. "Und doch, brav, meine Römerin!
Treue ist eine Tugend, aber nicht die höchste. Die höchste Tugend
ist die Gerechtigkeit." So schaukelte Pescara sein Weib über dem
Abgrund und dem Geheimnis seiner Seele und hinderte sie, Fuß zu
fassen, die mit dem ganzen Ungestüm ihres Wesens Boden suchte, den
Sieg erstrebend, den zu erringen sie nach Novara geeilt war. Auf
immer neuen Wegen verfolgte sie das Ziel, von welchem Pescara sie
ferne hielt. Jetzt hatte sie die Eingebung, den größten lebenden
Patrioten Italiens zu Hilfe zu nehmen.

"Ich mußte mich immer wundern, Pescara", sagte sie, "daß du, wie du
bist, unter unsern Bildnern und Dichtern die lieblichen den
gewaltigen vorziehst, den Ariost und Raffael dem erhabenen Dante und
seinem späten, aber ebenbürtigen Bruder, dem Buonarotti--du selbst
aber bist eine tiefe und verborgene Natur."

"Ebendarum, Victoria, wenn ich es bin. Die Kunst ist eine Ergötzung.
Was aber deinen Michelangelo angeht, so mache mich nur nicht
eifersüchtig auf den Zyklopen mit dem zertrümmerten Nasenbein, da du
ihn so sehr bewunderst."

Victoria lächelte. "Ich habe sein Angesicht nie gesehen und kenne
nur seine Sistine."

"Die Propheten und Sibyllen? Diese habe ich vor Jahren auch
betrachtet und aufmerksam, doch sind sie mir wieder verschwommen, bis
auf ein paar Einzelheiten. Zum Beispiel der Mensch mit gesträubtem
Haar, der vor einem Spiegel zurückbebt--"

"Worin er die Drohungen der Gegenwart erblickt", ergänzte sie erregt.

"Und dann die Karyatide, von einer ungeheuren Last zusammengedrückt,
das kurze, viereckige, jammervolle Geschöpf! Das häßlichste Weib
ohne Frage, wie du das schönste bist--"

"Eine Vergewaltigte, eine Unterjochte, eine Sklavin--"

"Nun tauchen mir auch die Propheten wieder auf: der kahle Sacharja,
oder wer es sein mag, ein Bein oben, eines unten, der scheltende
Hesekiel im Turban, Daniel schreibend, schreibend, schreibend. Auch
die Sibyllen: die gekrümmte Alte mit der Habichtsnase, die glimmenden
Augen in ein winziges Büchlein vertieft, mit der Nachbarin, die sich
Öl in die erlöschende Ampel gießen läßt, und, die schönste von allen,
die Jugendliche mit dem delphischen Dreifuß. Alles in rasender
Tätigkeit. Was soll dieser Sturm? Was predigen und weissagen diese?"

Da rief Victoria in flammender Begeisterung, als säße sie selbst im
Rate der Prophetinnen: "Sie bejammern die Knechtschaft Italiens und
verkündigen den kommenden Retter und Heiland!"

"Nein", urteilte Pescara streng, "die Stunde des Heils ist vorüber.
Nicht Gnade verkündigen sie, sondern das Gericht."

Victoria erbebte, aber schon wieder war der strafende Ernst aus den
Zügen Pescaras gewichen. "Verlassen wir jene prophetische Kapelle",
sagte er schmeichelnd, "und eine Kunst, die erschreckt und
erschüttert. Mich aber darfst du nicht gemeint haben, da du von
einem Heiland Italiens sprachest, obwohl ich freilich die Seitenwunde
schon besäße", schloß er mit einem jener herben Scherze, welche ihm
eigentümlich waren.

Die ganze Zärtlichkeit Viktoriens überquoll, da Pescara jene Wunde
nannte, welche ihre Tage und Nächte beschäftigt hatte, bis er ihr
schrieb, sie habe sich geschlossen. Das liebende Weib umschlang ihn
mit der Linken, und mit der Rechten strich sie ihm die rötlichblonden,
vorne leicht gelockten Haare tief in die Stirn, so daß er im
Ampellicht und in ihrer wonnigen Nähe ein ganz jugendliches Ansehen
gewann.

Da überkam sie eine Erinnerung an einen zusammen verlebten, nicht
allzufernen Tag. Es war in der Nähe von Tarent, auf einer ihrer
Besitzungen. Dort hatten sie, freilich erst nach dem völligen
Untergang einer sengenden Erntesonne, unter dem verglühenden
Abendhimmel neben ihren noch rüstigen Schnittern zur Sichel gegriffen
und sich jedes seine Garbe gebunden. Wieder sah sie den Feldherrn
lässig auf der seinigen liegen, während sie die Schnittermädchen,
leicht improvisierend, eine neue Kantilene lehrte nach dem Muster der
dort im Süden gebräuchlichen, die dann das junge Volk bis in die
Nacht zu wiederholen nicht müde wurde. Jenen Abend brachte sie jetzt
dem Feldherrn ins Gedächtnis.

Es freute ihn. "Weißt du jenes Liedchen noch?" fragte er.

"Wie sollte ich?"

"Nun, es gab da einen Reim: Schnitter und Zither. Sonst sagte das
Liedchen nichts weiter, als daß, wie auf dem Felde, auch im Himmel
gesungen und die Garbe getragen werde. Das bescheidene Liedchen
klingt vielleicht noch im Munde des Volkes, wenn ich und später auch
du längst verstummt sind, und, aufrichtig, es gefällt mir besser als
ein mir neulich übersendetes Sonett, in welchem du feierlich zu mir
redest. Ruhig, Victoria! Es ist nicht von dir. Ich weiß, daß es
nicht von dir ist."

Sie loderte vor Zorn. "Wer erkühnt sich", rief sie aus, "meine Maske
zu nehmen und in meinem Namen zu dir zu reden? Wer ist der Freche?
Wo ist das Machwerk, daß ich es zerreiße!"

"Oh, das wäre schade. Es sind Verse, die dir keine Schande machen.
Hier." Der Feldherr zog ein Blatt aus dem Busen. Sie entriß es ihm
und trat unter die Ampel. Mit wogender Brust und hastigen Lippen
begann sie:

"Victoria an Pescara.

Ich heiße Sieg, Pescara, und ich kröne
Mit Lorbeer deine Schlachten und Gefechte,
Doch wehe mir, wenn ich die Heimat knechte,
Mißbrauchend meines Namens stolze Töne.


Da ich mich dir vermählt in Jugendschöne,
Aus Römerblut und fürstlichem Geschlechte,
Gab ich dir in Italien Bürgerrechte
Und brachte dir die Liebe seiner Söhne.


Ich komme, Lohn zu fordern für ein Leben,
Nur dir geweiht in hellem Opferbrande!
Mein Held, was wirst du deinem Weibe geben?

Ich weiß die Geister, welche dich umschweben!
Zerschneidend mit dem Schwert Italiens Bande,
Belohnst du mich mit meinem Vaterlande!"


Nie verwandelte sich eine Stimmung seltsamer unter dem Eindruck eines
Gedichtes: unmutig hatte die Colonna das Blatt ergriffen, bald
besänftigte sie sich, dann sprach sie innig, und die letzten Zeilen
jubelte sie hingerissen. Jetzt bekannte sie offen: "So bin ich und
solches hoffe ich, wenn ich dieses auch nicht geschrieben habe!"

Pescara blickte spöttisch. "Das Sonett", sagte er, "hat sich auf
deinen Lippen wunderbar veredelt, aber es ist innerlich hohl und
stammt aus einer niedrigen Seele. Liebe fordert keinen Lohn, Liebe
gibt sich umsonst, Liebe rechnet nicht. Solches ist gemein. Nein,
so kann Victoria nicht denken. Ein Mietling hat diese Verse gemacht,
und ich weiß seinen Namen. Seine ungeheure Eitelkeit hat ihn
gezwungen, die Maske frech zu lüften. Sieh her." Pescara wies mit
dem Finger auf zwei winzige Buchstaben, ein P und ein A, in die
untere rechte Ecke des Blattes gekritzelt. "Auch ein Göttlicher, wie
er sich nennt! Ich sehe den Aretiner mit seinem Zeltgenossen, dem
Giovanni Medici, dem zügellosesten Jüngling Italiens, weintriefend
und witzereißend zusammensitzen und höre ihn lästern: 'Glaube mir,
Hans, es ist kein leichtes, sich in die göttliche Victoria
hineinzudenken!' Und ein faunischer Jubel. Der Aretiner lacht, daß
er fast mit dem Stuhl überschlägt, er schüttelt sich, er lacht aus
vollem Halse--"

"Bräche er ihn, der Schamlose!" schluchzte Victoria; denn Petrus
Aretinus und sein Wesen waren schon damals weltkundig.

"Brav, meine Römerin!" begütigte Pescara. "In einem aber hat er
recht, Geliebte: dein Vorname hat schon den Bräutigam begeistert. Es
ist schön, mit dem Siege vermählt zu sein." Aber die Colonna
verstand keinen Scherz mehr. Sie war in den Tiefen ihrer Seele
aufgewühlt, in den Wurzeln ihres Wesens erschüttert, voller Tränen
und zugleich voller Glut und Leidenschaft. "Doch in dem andern hat
er unrecht!" redete sie heftig. "Ich weiß nicht, auf welchen Geist
du lauschest, und mühe mich umsonst, in deinem Herzen zu lesen! Du
spielst mit deinem Weibe! Du umarmst mich und du drückst mich weg!
Hast du Grausamer mich doch nicht einmal meine Botschaft ausrichten
lassen, die ich dir bringen wollte in dem Jubel meines Herzens!"

"Weil ich sie erriet. Ich tadle den Heiligen Vater, mein edles Weib
zur Dienerin mißbraucht und dir, der Wahrhaften, eine Botschaft
aufgelistet zu haben, eine Botschaft seiner und deiner unwürdig,
voller Lüge und Sophismen, welche ich, in den nächsten Tagen schon,
ihn nötigen werde zu widerrufen und zu verleugnen. Die Heiligkeit
gibt mir Neapel, wenn ich es erobere, und absolviert mein Gewissen,
wenn ich es abstumpfe. Ich aber glaube nicht an ein solches Binden
und Lösen, nicht in weltlichen Dingen, weder ich noch irgendein
anderer mehr, und", sagte er höhnisch, "auch in geistlichen nicht.
Das ist vorbei, seit Savonarola und dem germanischen Mönche."

"Und mein Italien, das du wie ein Magnet anziehst, lässest du es an
dir scheitern? Achtest du es für nichts? Verachtest du es?" schrie
Victoria verzweifelnd.

Der Feldherr erwiderte sanft: "Wie dürfte ich ein Volk verachten, das
mir dich gegeben hat? Aber ich will dir nicht verhehlen: Italien
redet umsonst, es verliert seine Mühe. Ich kannte die Versuchung
lange, ich sah sie kommen und sich gipfeln wie eine heranrollende
Woge und habe nicht geschwankt, nicht einen Augenblick, mit dem
leisesten Gedanken nicht. Denn keine Wahl ist an mich herangetreten,
ich gehörte nicht mir, ich stand außerhalb der Dinge."

Victoria entsetzte sich. "Wie? Bist du kein Mensch? Bist du ein
Geist ohne Fleisch und Blut? Betrittst du den Boden nicht, über den
du wandelst?"

"Meine Gottheit", antwortete er, "hat den Sturm rings um meine Ruder
beruhigt."

Da flehte Victoria: "Deine Gottheit?", und sie umschlang ihn mit
beiden Armen, "ich lasse dich nicht, du nennest mir denn deinen Gott!"

Pescara löste sich sachte und erwiderte mit schmerzlichen Augen:
"Wenn du es verlangst, aber komm mit mir in den Garten, ich muß Luft
schöpfen."

Da sie auf die Terrasse traten, standen alle Sterne über ihnen, und
drüben im alten Schlosse erblickten sie noch ein einsames Licht von
irdischer Farbe. "Dort", sagte sie mitleidig, "ist der Kanzler
schlummerlos und verzehrt sich in Angst und Hoffnung."

"Ich glaube nicht", versetzte Pescara, "eher hat er sich mit einem
Mutwillen oder einer Nichtswürdigkeit in den Schlaf gelesen, und
seine niederbrennende Ampel leuchtet den Wänden." Er hatte es
erraten. Nach qualvollen Stunden hatte sich Morone mit einem Catull
eingeschläfert.

Der Feldherr nahm seinen Weg nach dem Boskette mit den weißen
Marmorbänken, wo er zu ruhen pflegte. Sie saßen unter dem dunkeln
Laubdache, Hand auf Hand.

Da flüsterte Victoria: "Nun rede!" Der Feldherr aber schwieg.

Tritte nahten, und eine andere Bank füllte sich mit Geflüster.
"Steht es wirklich so mit dem Feldherrn, Moncada? Ich habe Mühe, es
zu glauben."

"Auch ich glaube es noch nicht, Leyva, aber ich forsche. Erlange ich
Gewißheit, so trete ich hervor, und wir handeln. Der König darf sein
Heer in Italien nicht verlieren."

"Ihr meint?"

"Du ziehst deine Truppen zusammen, und wir verhaften ihn."

"Er wird sich zur Wehre setzen."

"Dann fällt er."

"Und die Majestät?"

"Besorge nichts, die Majestät bedarf unser, wir beherrschen sie.
Verweigerst du mir deine Hilfe, so muß ich ihn durch eine gedungene
Hand töten lassen. Kann ich auf dich zählen?"

"Ihr dürft... eine schwere That..." Da zog ihn der andere fort. "Mir
ist", sagte er, "ich habe hier atmen hören."

Wirklich, die feuchte Nachtluft drückte den lauschenden Feldherrn und
benahm ihm den Atem. Er keuchte leise. Jetzt sagte auch er: "Gehen
wir. Tau fällt, und Verderben brütet in der Luft." Sie drängte sich
an ihn.

Drei Hornstöße ertönten, vom alten Schlosse her.

"Ein Kurier. Ich werde heute noch zu lesen haben."

"Ferdinand", flehte sie, "du bist umlauert. Du wirst dem Kaiser
verdächtig. Du bist verloren! Wirf dich Italien in die Arme! Da
ist dein Heil und deine einzige Rettung!"

"Ich fürchte nichts", sagte er. "Der Weg ist dunkel, aber meine
Zuflucht ist offen."

Jetzt standen sie in der kleinen Halle des Landhauses, und Pescara
weckte den auf einem Schemel schlummernden Ippolito. "Geh hinüber",
befahl er, "und bringe, was eben angelangt ist." Dann sagte er zu
Viktorien: "Ich meine, es ist von Madrid, vielleicht eine Zeile der
Majestät selbst, die mir zuweilen schreibt, ohne das Wissen ihrer
Minister. Ich bin doch begierig."

Jetzt schlug die Turmuhr des alten Schlosses Mitternacht, müde und
zitternd, mit so weit ausholenden Schlägen, daß je zwischen zweien
ein Leben Raum zu haben schien. Der zwölfte Schlag--unwiderruflich.

Ippolito kratzte an der Tür und brachte ein Paket, das der Feldherr
öffnete. Es enthielt, neben einigen andern Briefschaften, einen
Kaiserlichen Erlaß, welcher den Marsch auf Mailand guthieß und den
Oberfeldherrn bevollmächtigte, in der genommenen Stadt durchaus nach
seinem Ermessen und gemäß den Umständen zu verfahren.

"Alles?" fragte Pescara.

Da bog der Knabe ehrfürchtig das Knie, überreichte ein Briefchen,
welches er dem Kurier mit Not abgerungen hatte, und entfernte sich.
Es war überschrieben: "In die eigenen Hände des Marchese."

"Vom Kaiser", sagte Pescara und öffnete. "Da, Victoria, lies vor.
Er schreibt so kritzlig." Sie gehorchte. Es war nicht viel, wenige
Zeilen, und lautete:


"Mein Pescara!

Ich bin es, der diese Vollmacht durchgesetzt hat gegen meine Minister.
Ihr habet viele Feinde. Hütet Euch vor Moncada. Ich aber bin
gläubig an Euch, denn ich habe für Euch gebetet und sah einen Engel,
der Euch an der Hand hielt. Ich traue.

Ich Euer König."


Pescara lächelte mühsam. "Karl traut zu leicht", sagte er. "Das
könnte ihn zu Schaden bringen mit einem andern, als ich bin.
Aber--seltsam--er hat meinen Genius erblickt."

"Jetzt nenne mir deine Gottheit!" flehte Victoria. "Ich beschwöre
dich, Pescara, nenne sie mir!"

"Ich glaube, da ist sie selbst", keuchte er heiser. Immer schwerer
begann er zu atmen, er stöhnte, er ächzte, er röchelte. Ein
furchtbarer Krampf beklemmte seine Brust. Er sank, mit der Hand nach
dem gepeinigten Herzen langend, auf die Ottomane und rang nach Atem.
Da kniete sich Victoria neben ihn nieder, hielt und stützte ihn mit
ihren Armen und litt mit ihm. Sie wollte Ippolito rufen und den
Knaben nach seinem Großvater, dem Arzte, schicken, er verbot es mit
einer Gebärde. Endlich entschlummerte er, aufs tiefste erschöpft,
nachdem Victoria geglaubt hatte, er stürbe ihr. Da sie sich der
Tränen gesättigt, entschlummerte auch sie. Dann erlosch die Ampel.

Als Victoria erwachte, lag ihr Haupt auf einem leeren Pfühle, und
durch das geöffnete Fenster strömte die Morgenluft. Sie sprang auf,
den Gatten zu suchen, und fand ihn, der die Terrasse auf und nieder
schritt und den der Schlummer erfrischt und wie neu belebt hatte.
Sie wurde ungläubig an den nächtlichen grausamen Kampf in ihren Armen,
er war ihr wie ein Traum.

Da begann Pescara: "Gestern, liebe Herrin, habet Ihr mich um den
Namen meines Genius befragt, und mir bangte, ihn vor Euch
auszusprechen. Endlich hättet Ihr mir mein Geheimnis fast entrissen,
denn es ist schwer, einem geliebten Weibe etwas vorzuenthalten. Da
erschien er selbst und berührte mich. Ihr kennet ihn nun, und der
gefürchtete Name bleibe unausgesprochen. Keine Tränen! Ihr habet
sie gestern vergossen. Sondern saget mir jetzt, wohin wünschet Ihr
Euch zu begeben, während ich das Heer des Kaisers gegen Mailand
führe?"

"Wie konntest du es mir so lange verbergen, Ferdinand?"

"Zuerst--nicht lange--verheimlichte ich es mir selbst... doch nein,
ich wußte mein Los schon am Schlachtabend von Pavia. Mit jener
blutigen Wintersonne bin ich untergegangen. Meines Zieles und meiner
gezählten Tage gewiß, wie hätte ich die deinigen vorzeitig
verfinstern dürfen? Du sagtest mir zuweilen, es sei grausam, eine
süß Schlummernde zu wecken, und littest es nicht. Ich aber bin nicht
grausam." "Du bist es", erwiderte sie, "sonst hättest du mich nicht
so bitter getäuscht, sondern mich gerufen und dich von mir pflegen
lassen."

"Niemand durfte darum wissen", sagte er.

"Und dein Arzt? Der mußte es wissen, und ich zürne ihm, daß er mich
belogen hat, da ich an ihn schrieb und ihn beschwor, mir die Wahrheit
zu sagen!"

"Der arme Numa!" sagte der Feldherr. "Er ist schon unglücklich genug,
daß er mich nicht heilen kann. Er riet mir damals eine lange Ruhe
auf Ischia, ich aber sagte ihm: Es ist umsonst. Doch wozu dies
alles?... Wohin gedenkst du zu gehen, Victoria?"

"Nein, Ferdinand, sprich! Verheimliche mir nichts mehr!"

"Es ist umsonst, sagte ich ihm, die Lunge ist durchbohrt und das Herz
leidet. Friste mich, Numa! Ziehe mich hinaus, in den Sommer, in den
Herbst, bis zu den ersten Flocken! So viel Zeit brauche ich, meinen
Sieg zu vollenden. Und vor allem, sagte ich, halte reinen Mund!
Niemand erfahre unser Geheimnis! Es würde die Kräfte des Feindes
verdreifachen und mich und mein Heer verderben. Noch einmal,
schweige! Ich will es! gebot ich ihm... Und ich habe das Leben
geheuchelt, so gut, daß mir Italien den Brautring bot!" Er lächelte.
"Und ich werde noch einmal zu Pferde sitzen! Du aber, Victoria,
gelobst mir--doch kein Gelübde, du tust es mir zuliebe--, nicht
ungerufen mir nachzueilen durch die Staubwolke meines Marsches und
über blutgetränkte Felder. Auch würdest du dem Kriegsvolke zu
spotten geben, nicht über dich, gut und schön wie du bist, sondern
über den verhätschelten Feldherrn. Also du bleibst. Aber wo? Hier?"

Victoria besann sich, trostloses Leid in den Zügen. Dann sagte sie:
"Gestern, wie ich herritt, kam ich, schon im Weichbilde der Stadt, an
einem kleinen Frauenkloster vorüber. Es heißt, wie ich erfuhr,
Heiligenwunden. Dort will ich deines Rufes harren, Buße thun und für
deine Genesung beten."

"Für meine Genesung?" lächelte er. "Tue das. Auch wirst du dich in
Heiligenwunden nicht langweilen; das Kloster, höre ich, hat herrliche
Stimmen und ist berühmt wegen seines Chorgesanges. Reiten wir hin,
bald, jetzt da es frisch und der Staub der Heerstraße noch nicht
aufgewühlt ist." Er ging leichten Schrittes durch den Park nach dem
alten Schlosse hinüber, um satteln zu lassen.

Victoria folgte mit langsamen Schritten, und da sie Numa den Arzt
erblickte, der sich nach der Nacht des Feldherrn zu erkundigen kam,
ging sie auf ihn zu mit schmerzlich bewegter Miene: sie wollte ihm
vorwerfen, daß er ihr die Wirklichkeit verhehlt, und zugleich ihn
beschwören, mit den letzten Mitteln und Geheimnissen seiner Kunst das
geliebte Leben zu fristen. Da aber der Arzt die Colonna kommen sah,
streckte er in dem Gefühle seiner Ohnmacht die zitternden Hände
abwehrend gegen sie aus, als flehe er: Schone meiner, ich vermag
nichts! Sie verstand die Gebärde und ging ihres Weges, an Ippolito
vorüber, der das Knie vor ihr bog und den sie nicht gewahr wurde, zum
großen Herzeleid des Knaben.

Im Schloßhofe fand sie den schwer und kostbar geschirrten Rappen
Pescaras und ihren ebenfalls gesattelten falben Berber. Der Feldherr
hob sie zu Pferde, und sie ritten unter grüßendem Trommelwirbel über
die sich senkende Zugbrücke hinaus in die unabsehbaren Reisfelder der
lombardischen Ebene. Ihnen folgte in gemessener Entfernung ein
Reitknecht des Pescara, ein von südlicher Sonne geschwärzter
Kalabrese, und auf einem Maultier die römische Zofe Victorias.

Hinter den Reisenden verhallten im Schloßhof die ungehörten Hilfrufe
des vergessenen Kanzlers. Er war aus schlimmen Träumen erwacht und
schon in der Frühe durch die Gärten geirrt, immer wieder an Mauern
und Wälle gelangend, hier von deutschen, dort von spanischen
Wachtposten beobachtet. Die Schwaben ergötzten sich weidlich an
seinem ausschweifenden Gebärdenspiel, während die Spanier
einverstandene schadenfrohe Blicke tauschten: sie zweifelten nicht,
der Feldherr habe den Minister des Feindes in die Falle gelockt, und
versprachen sich, ihn morgen, wenn er dem Heere nachgeschleppt würde,
nach Herzenslust zu quälen und gründlich auszuplündern. Endlich war
er in das Rondell gekommen und erschöpft auf dieselbe Bank gesunken,
wo er gestern den schlummernden Pescara gefunden und belauscht hatte.
Da vernahm er den Salut der Torwache, rannte nach dem Schloßhof und
wollte über die Brücke nachstürzen. Von dem Posten mit
vorgestreckten Hellebarden empfangen, sah er jammernd den Feldherrn
und Victoria in den Dunst der Ferne entschwinden.

Es war nach einem leuchtenden ein trüber Tag. Kein Windhauch und
nicht der leiseste Versuch einer Wolkenbildung. Keine Lerche stieg,
kein Vogel sang, es dämmerte ein stilles Zwielicht wie über den
Wiesen der Unterwelt. Das Frauenkloster wurde sichtbar und
vergrößerte langsam seine friedlichen Mauern. Freilich ritten die
beiden fast nur im Schritte, die verwitwende Victoria in tiefem
Schweigen, während, durch einen wunderbaren Gegensatz, das Gedächtnis
des jetzt ausruhenden Feldherrn auf leichten und liebenden und
inbrünstigen Schwingen in die Jugend zurückkehrte und die an seiner
Seite Trauernde wieder in die reizenden und rührenden Gestalten des
knospenden Mädchens und der zärtlichen Braut verwandelte. Er
enthielt sich nicht, sie an kleine Dinge jener glücklichen Tage zu
erinnern, aber er gewann ihrer Kümmernis kein Lächeln ab. Er war
seines lastenden Geheimnisses ledig, dessen Bitterkeit sie jetzt auf
einmal und in vollen Zügen kostete.

Nun waren sie schon so nahe, daß sie Chorgesang im Kloster vernahmen.
"Was singen sie dort?" fragte er gleichgültig. "Ich meine, ein
Requiem", sagte sie.

Wie sie vor dem Kloster abstiegen, da siehe, trat ihnen aus der
Pforte die Äbtissin entgegen, hinter sich zwei bescheidene Nonnen.
Sie mochte irgendein Kind in ein Reisfeld auf die Lauer gelegt haben,
das nun auf schnellen nackten Füßen vorausgelaufen war. Die Äbtissin
hatte die Ankunft Donna Victorias in Novara schon gestern in
Erfahrung gebracht und sich gleich geschmeichelt, die gottesfürchtige
und leutselige Frau werde Heiligenwunden nicht unbesucht lassen, denn
das Kloster besaß neben den geschulten Stimmen seines Chores noch
eine größere Auszeichnung: die mystische und täglich sterbende
Schwester Beate, welche die blutigen Male an ihrem kranken und
abgezehrten Leibe trug. Die unternehmende und beherzte Äbtissin
hatte sich vorgenommen, von der Colonna, der sie Macht über den
Gatten zutraute, den Nachlaß einer schweren Kriegssteuer zu erbitten,
welche der gottlose und habgierige Feldherr--dieses Rufes genoß
Pescara bei der italienischen Klerisei--zuwider den kanonischen
Sätzen und gegen alle Billigkeit auf die Güter des Klosters gelegt
hatte. Daß aber der Feldherr, der es vermied, eine christliche
Stätte zu betreten, Madonna Victoria begleiten würde, war der
Äbtissin nicht im Traume eingefallen.

Sie begrüßte, eine angenehme Frau mit dunkeln, klugen Augen und
blassen, gefälligen Zügen, das hohe Paar in wenigen gewählten Worten.
Dann schwieg sie aufmerksam, die Rede Pescaras erwartend, dessen
edle Erscheinung ihr Eindruck machte.

"Ehrwürdige", begann der Feldherr, "Donna Victoria wünscht während
des Feldzuges, den ich morgen beginne und dessen Dauer ich auf eine
Woche berechne, ein paar ruhige und fromme Tage hier in Eurem
Konvente zu genießen, bis ich sie nach Mailand rufen werde, nach
vollendetem Kampfe. Habet Ihr ein schickliches Gemach zu vergeben?"

Rasch erwiderte die Äbtissin, das ihrige stehe zu Gebote.

"Ich verlange eine einfache Zelle wie die der geringsten Schwester,
mit dem gewöhnlichen Geräte", sagte Victoria, deren Blässe die
Äbtissin befremdete. Aber sie schrieb dieselbe der begreiflichen
Sorge um den zu Felde ziehenden Gatten zu.

"Wenn sich Donna Victoria eingerichtet hat", schloß Pescara, "werde
es mir gemeldet. Ich habe noch mit ihr zu sprechen und bitte,
Klausur und Zelle betreten zu dürfen. Ausnahmsweise, da ich dem
Kloster wohlwill. Ihr findet mich in der Kirche." Er verneigte sich
und schritt auf diese zu.

Victoria fragte, was die Nonnen gesungen hätten, und erhielt die
Antwort: "Ein Requiem. Für die junge Julia Dati, die Enkelin unsers
greisen Arztes, welche in Rom gestorben ist." Dann folgte sie der
Äbtissin, während die beiden Nonnen zugeflüsterte Befehle
auszurichten gingen. Indessen durchmaß der Feldherr, ohne das Haupt
zu entblößen oder irgendeine der üblichen Devotionen zu verrichten,
die Länge der Kirche mit festem Gange, die Arme über dem Panzer
kreuzend. Er hatte sich, da er auf dem Heimritte seinen in Novara
feldmäßig einrückenden Truppen begegnen mußte, leicht behelmt und
beharnischt und schritt wie ein Held und Herrscher auf der Stätte des
Gebetes und der Demut.

"Nein", sprach er zu sich mit geschlossenem Munde, "es sei heute das
letztemal. Ich will von ihr Abschied nehmen als ein Lebender. Ich
will es ihr ersparen, mich leiden zu sehen. Sie soll mich
wiederfinden, wenn ich ruhe."

Sich allein glaubend, wurde er durch das Gitter des Chores belauscht.
Diesen hatten die Nonnen wieder betreten, auf das Geheiß der
Äbtissin, denn Pescara sollte die Stimmen ihres Klosters hören.
Selbst die mystische Beate war gekommen und vereinigte ihren
schwärmerischen Blick mit demjenigen vieler feurig braunen oder
schwarzen Augen, welche die Heldengestalt verschlangen. Alle
versammelten Himmelsbräute priesen die Colonna selig und beneideten
ihre irdische Lust, während die glücklich Geglaubte nicht ferne davon
in einer Zelle mit gerungenen Händen verzweifelte. Auch Schwester
Beate erlag der Versuchung, diesen stolzen Herrn der Welt zu
bewundern, überwand sich aber tapfer und flehte den Himmel inbrünstig
an, der Colonna zum Heil ihrer Seele ihren Abgott zu entreißen. Aber
diese heftigen Gefühle wichen dem harmloseren der Eitelkeit. Nach
dem Geflüster einer kleinen Beratung und einem leisen Räuspern
intonierten die Schwestern jubelnd ihr Prachtstück, ein Tedeum, das
sich auch für den Sieger von Pavia besser eignete als irgendeine
andere Prosa oder Sequenz.

Und er hätte wohl gelauscht, aber er stand regungslos, wie gebannt
vor dem gekreuzigten und schon entseelten Christus eines großen
Altarbildes, dessen helle Farben noch in voller Frische leuchteten.
Doch es war nicht das göttliche Haupt, das er beschaute, sondern er
betrachtete den Kriegsknecht, der seine Lanze in den heiligen Leib
stieß. Dieser war offenbar ein Schweizer; der Maler mußte die Tracht
und Haltung eines solchen mit besonderer Genauigkeit studiert oder
frisch aus dem Leben gegriffen haben. Der Mann stand mit gespreizten
Beinen, von denen das linke gelb, das rechte schwarz behost war, und
stach mit den behandschuhten Fäusten von unten nach oben derb und
gründlich zu. Kesselhaube, Harnischkragen, Brustpanzer, Arm- und
Schenkelschienen, rote Strümpfe, breite Schuhe, nichts fehlte. Aber
nicht diese Tracht, die er zur Genüge kannte, fesselte den Feldherrn,
sondern der auf einem Stiernacken sitzende Kopf. Kleine blaue,
kristallhelle Augen, eingezogene Stumpfnase, grinsender Mund, blonder,
krauser Knebelbart, braune Farbe mit rosigen Wangen, Ohrringe in
Form einer Milchkelle, und ein aus Redlichkeit und Verschmitztheit
wunderlich gemischter Ausdruck. Pescara wußte gleich, mit dem
Gesichtergedächtnis des Heerführers, daß er diesen kleinen,
breitschultrigen, behenden Gesellen, dessen schwarzgelbe Hose den
Urner bedeutete, schon einmal gesehen habe. Aber wann und wo? Da
schmerzte ihn plötzlich die Seite, als empfinge er einen Stich, und
jetzt wußte er auch, wen er da vor sich hatte: es war der Schweizer,
der ihm bei Pavia die Brust durchbohrt. Kein Zweifel. Den
Lanzenstoß des neben ihm an die Erde Geduckten empfangend, hatte er
einen Moment in dieses kristallene Auge geblickt und diesen Mund
vergnüglich grinsen gesehen. Nach der Erkennung machte das
unerwartete Wiederfinden auf den Feldherrn weiter keinen Eindruck,
und mit freundlicher Miene fragte er die Äbtissin, die jetzt neben
ihm stand, um ihn zu Donna Victoria abzuholen, wer das gemalt hätte.
Sie antwortete, die Augen flüchtig niederschlagend: "Zwei Mantovaner,
begabte junge Leute, aber von bedenklichen Sitten, die das Kloster
gerne wieder scheiden sah."

Da Pescara die Zelle öffnete, sah er Victoria auf den Knien liegen.
Eine Weile schaute er schweigend, als wolle er nicht stören, durch
ein Fenster des gekuppelten Rundbogens, in dessen Brüstung er sich
gesetzt hatte, auf Rasenhügel und Grabkreuze, endlich fragte er: "Was
tust du, Victoria?"

"Buße", sagte sie.

"Für wen?"

Sie erhob sich und antwortete mit noch gefalteten Händen: "Ich tue
Buße für mich und Euch und Italien. Für dieses seiner stolzen Frevel
und ungewöhnlichen Sünden wegen, an denen es zugrunde gehen wird, da
Ihr der einzige waret, der es retten konnte. Für mich, weil ich
gekommen bin, Euch in Versuchung zu führen. Für Euch, da Ihr diese
Erde verlassen wollet. Ich habe gebetet für Euer unvergängliches
Teil, aber der Himmel"--sie schüttelte traurig das Haupt--"hat mich
noch nicht erhört."

Er zog sie auf die Bank der Fensterbrüstung und nahm sie bei der Hand,
wie der Bruder die Schwester. Eine Lust, sich hinzugeben, überkam
ihn, sei es, weil das Geheimnis zwischen ihm und seinem Weibe
weggenommen war, oder in dem unbewußten Wunsche, das letzte
Beisammensein zu verlängern.

"Kleingläubige", begann er heiter, "überlasse mich meinem dunkeln
Beschützer! Als ein Knabe glaubte ich mit der Mutter, die eine
Heilige war, an das, was die Kirche verheißt; jetzt sehe ich rings
das Fluten der Ewigkeit. Der Todesengel war mir nahe, schon in
meiner ersten Schlacht, da, von ihm bezeichnet, mein
Zeltgenosse--dein Bruder, Victoria--lautlos, eine Kugel im Herzen,
zusammenbrach. Ich habe ihm manche Hekatombe geschlachtet, und auch
er hat mich oft, fast auf jeder Walstatt, grüßend berührt; denn es
scheint, ich bin verwundbarer als andere. Aber Zeit hat es gebraucht,
bis ich den Schnitter lieben lernte. Noch in den Wochen nach Pavia,
da ich wußte, daß er mich erwählt hatte, habe ich mich gegen ihn
gesträubt und aufgebäumt und empört wie ein trotziger Jüngling.
Allmählich aber ahnte ich, und jetzt bin ich gewiß, daß er die rechte
Stunde kennt. Der Knoten meines Daseins ist unlösbar, er
zerschneidet ihn."

Die bleiche Victoria hing an seinen Lippen und staunte mit starren
Augen, als sehe sie den herrlichsten Palast brennen und von der
lodernden Flamme jeden Säulenknauf beleuchtet.

"Ich sage dir, Weib", fuhr er fort, "mein Pfad versinkt vor mir! Ich
gehe unter an meinen Siegen und an meinem Ruhme. Wäre ich ohne meine
Wunde, dennoch könnte ich nicht leben. Drüben in Spanien Neid,
schleichende Verleumdung, hinfällige und endlich untergrabene
Hofgunst, Ungnade und Sturz; hier in Italien Haß und Gift für den,
der es verschmäht hat.

Wäre ich aber von meinem Kaiser abgefallen, so würde ich an mir
selbst zugrunde gehen und sterben an meiner gebrochenen Treue, denn
ich habe zwei Seelen in meiner Brust, eine italienische und eine
spanische, und sie hätten sich getötet. Auch glaube ich nicht, daß
ich ein lebendiges Italien hätte schaffen können. Zwar es trägt die
strahlende Ampel des Geistes, doch es hat sich aufgelehnt in der
unbändigen Lust eines strotzenden Daseins gegen ewige Gesetze. Es
büße, du hast es gesagt, Victoria; in Fesseln leidend, lerne es die
Freiheit. Dieses spanische Weltreich aber, das in blutroten Wolken
aufsteigt jenseits und diesseits des Meeres, erfüllt mich mit Grauen:
Sklaven und Henker. Ich spüre die grausame Ader in mir selbst. Und
das Entsetzlichste: ich weiß nicht, welcher mönchische Wahnsinn!
Dein verderbtes Italien aber ist wenigstens menschlich."

Victorias Augen verklärten sich, da sie sah, daß Pescara Italien
liebte. "Du hättest ihm Freiheit und Freiheit ihm Tugend gegeben!"
rief sie, doch Pescara fuhr fort, als hätte er nicht gehört: "Nun
aber bin ich aus der Mitte gehoben, ein Erlöster, und glaube, daß
mein Befreier es gut mit mir meint und mich sanft von hinnen führen
wird. Wohin? In die Ruhe. Und jetzt laß uns scheiden, Victoria."
Er wollte ihr die Tränen vom Auge küssen, fand aber den zärtlichsten
Mund, der ihm entgegenkam.

"Noch eines", sagte er, "Laß die Welt über mich urteilen, wie sie
will. Ich bin jenseits der Kluft. Lebe wohl! Begleite mich nicht!
Besuche mich in Mailand, aber nicht, bevor ich rufe!"

Victoria versprach, um nicht Wort zu halten.

Da Pescara sich bei der Äbtissin verabschiedete, brauchte sie ihr
Anliegen gar nicht auszusprechen. Der Feldherr gewährte den Nachlaß
der Kriegssteuer als ein selbstverständliches Gegengeschenk für die
seinem Weibe gegebene Herberge. Über dieses Ende einer ökonomischen
Bedrängnis und eines schmalen Tisches ward eine solche Freude im
Kloster, daß die Schwestern zu Ehren ihres Gastes die Tafel mit den
ausgesuchtesten Leckerbissen besetzten. Doch Victorias Platz blieb
leer. Sachte ritt Pescara, von den Segnungen des Klosters begleitet,
gegen die Thürme der Stadt zurück. Sein feuriger Rappe schien sich
über den gemessenen Gang zu wundern. Die auf der Ebene gellende
Feldmusik und die überall marschierenden Truppen verrieten ihm den
Beginn eines Feldzuges. Er schnoberte, als wittere er schon den
Pulverdampf, und schritt stolz, als trage er den Sieg.

Abschied ist schwer, dachte der Feldherr, ich möchte ihn nicht
wiederholen. Noch einmal hatte sich das Leben an ihn gedrängt und er
das Beste des Daseins, Schönheit und Herzenskraft, in den Armen
gehalten. Der Jüngling war in ihm aufgelodert, und wenige
Augenblicke, nachdem er Viktorien so erbaulich zugeredet, lehnte er
sich auf gegen die Vernichtung. Das edle Blut, das in den
sterblichen Adern rinnt, die Thatkraft, empörte sich gegen den ewigen
Frieden. Ein Zorn blitzte auf in seinen hellen grauen Augen gegen
seinen Mörder, den er im Bilde wiedererblickt, und er schlug mit der
gepanzerten Rechten gegen seine Brust, als zerdrücke er darauf die
Wespe, die ihn gestochen hatte. Jetzt wieherte auch der Rappe und
setzte sich in kurzen Galopp, von dem Feldherrn unwissentlich mit der
Ferse berührt oder so verwachsen mit ihm, daß er seinen Unmut
mitfühlte.

In dieser Stimmung gewahrte Pescara auf einem nahen Reisfelde die
wechselnden Stellungen eines tollen Kampfes, welcher dasselbe
zerstampfte. Ein einzelner wehrte sich verzweifelt gegen eine
Übermacht. Der zerlumpte kleine Kerl in gelben und schwarzen Fetzen
focht wütend mit seiner Speerhälfte wider ein Dutzend Spanier. Zweie
hatte er hingestreckt, wurde jetzt aber von den übrigen überwältigt,
und schon saß ihm eine Schwertspitze an der Kehle, als der auf ihm
kniende Spanier von einem andern zurückgerissen wurde, welcher auf
den heransprengenden Feldherrn deutete.

Pescara winkte, und der Trupp mit dem Gefangenen folgte ihm unter
eine mächtige Eiche, die an der Landstraße stand, weitum der einzige
Baum in der schwülen Ebene. Der Feldherr stieg ab und lehnte sich an
den bemoosten Riesenstamm. Seine Brust keuchte von dem raschen Ritt,
und es kam ihm gelegen, sie zu beruhigen, Rast haltend unter dem
Vorwand eines Verhöres.

Der spanische Wachtmeister berichtete: sie hätten einen Schweizer
durch das Getreide laufen sehen, wohl einen Versprengten von Pavia,
welcher bislang sich irgendwo untergeduckt, und ihn gehascht, da es
möglicherweise ein mailändischer Spion sei. Seinen Vortrag
beendigend, blickte der spanische Spitzbart zu einem starken Aste auf,
welchen die Eiche waagerecht hervorstieß.

Pescara deutete die Spanier weg, die sich in einiger Entfernung
wachehaltend verteilten, und musterte dann den Schweizer vom Wirbel
zur Zehe. So verrostet der Harnisch und so zerlumpt das schwarzgelbe
Unterkleid war, erkannte er doch gleich die Tracht des Klosterbildes
und nicht minder die glitzernden Äuglein, und jetzt, wahrhaftig,
verzog der vor ihm Stehende sein Gesicht zu jenem lächelnden Grinsen,
sei es aus Angst, sei es, weil auch er sich den Feldherrn ins
Gedächtnis zurückrief.

"Heb auf und gib", befahl dieser und zeigte auf den Lanzenstumpf,
welchen einer der Kriegsknechte zu den Füßen des Gefangenen geworfen
hatte, als Beweisstück für die Verwundung seiner Kameraden. Es war
eine vordere Spießhälfte, deren Spitze blutete. Der Schweizer
gehorchte, und der Feldherr betastete prüfend die Spitze mit dem
Finger; dann warf er den Stummel weg.

"Wie heißest du?" fragte er.

"Bläsi Zgraggen aus Uri", war die Antwort.

Der Feldherr verzichtete darauf, diesen unmundlichen Geschlechtsnamen
zu wiederholen, der von dem zerrissenen Kamm eines Schweizergebirges
zu stammen schien, und bediente sich des Vornamens, welchen er
italianisierte. "Biagio", sagte er, "du hast mir zwei Leute
verwundet; ich denke, ich lasse dich hier aufknüpfen."

Bläsi Zgraggen versetzte trotzig: "Lasset Ihr mich henken, so ist es
weniger wegen dieses letzten Handels, sondern eher, weil ich--"

"Schweig!" gebot der Feldherr. Er konnte sich rächen, indem er dem
Kriegsrechte freien Lauf ließ, aber eine solche Rache weder sich
selbst noch seinem Opfer eingestehen. "Wie bist du hier


 


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