Die Versuchung des Pescara
by
Conrad Ferdinand Meyer

Part 3 out of 3



zurückgeblieben?" fragte er.

Zgraggen, der ein geläufiges Lombardisch sprach, begann herzhaft:
"Auf dem Felde von Pavia wurde ich verwundet und niedergeritten und
lag, den geknickten Spieß neben mir. Nächtlicherweise schleppte ich
mich dann den Bergen zu, hungernd und bettelnd. Herr, sehet Ihr
rechts von den zwei Pappeln das lange, rote Dach? Dort haust die
Narracivallia mit ihrem Manne. Dieser dingte mich zur
Feldarbeit--bis sich der Krieg verzogen hätte, jetzt käme ich doch
nicht über die Grenze. Hernachmals machte mir die Narracivallia
Augen. Da erschienen mir im Schlaf der Vater und die beiden
Großväter, die mir alle noch daheim leben, wenn auch die Ahnen in
großer Schwachheit. Zuerst kam der Vater, hob den Finger und sagte:
'Nimm dich in acht, Bläsi!' Dann kam der väterliche Ahn, faltete die
Hände und sagte: 'Denk an deine Seele, Bläsi!' Zuletzt kam der
mütterliche Ahn, zeigte die Tür und sagte: 'Lauf, Bläsi!' Da schoß
ich auf und suchte meine Kleider. Freilich meine seidenen Handschuhe
und meinen gekettelten Kragen hatte mir die Narracivallia
abgeschwatzt, um damit in der Kirche Staat zu machen. Ich war nur
noch meines halben Verstandes mächtig und verlor auch diesen, da ich
im Morgenlicht bei Heiligenwunden eintrete zum Englischen Gruß
und--denket Euch meinen Schrecken--mich selber erblicke, wie ich
leibe und lebe und Gott ersteche!"

"Ei", lächelte Pescara.

"Ein Schelmstück!" zürnte Zgraggen. "Wisset, Herr, ein paar Pinsler
hatten sich zeither mit ihrem Zeuge da herumgetrieben und ließen sich
einmal in der Meierei ein Glas Milch geben. Der eine faßte mich ins
Auge. 'Da haben wir, den wir brauchen', sagt er und beschaut mein
Schwarzgelb. 'Mann, holt Euern Spieß und Harnisch.' Ich tue ihm den
Willen. Jetzt heißt mich der Pinsler die Beine spreiten, spreitet
sie gleichfalls und reißt mich ab auf ein Stück Leinwand. Dann
versprachen mir die Spitzbuben, mein Konterfei zu hohen Ehren zu
bringen, ich aber stehe in Heiligenwunden und steche in den Salvator!"

Der Feldherr empfand ein gewisses Wohlwollen für den ehrlichen
Gesellen. "Nimm", rief er in einer seltsamen Laune und streckte dem
Urner seinen vollen Beutel entgegen. Dieser nahm ihn mit der Rechten
und ließ die Goldstücke zählend in die Linke gleiten, ernsthaft und
bedächtig. Dann schob er die Dukaten in die Tasche und wollte den
Beutel dem Feldherrn zurückstellen.

"Behalte! Er hat goldene Schleifen!"

Der Urner schickte den Beutel den Dukaten nach. "Wo stellet Ihr mich
ein, Herr?" fragte er. Er konnte sich nichts denken, als daß ihn
Pescara geworben und ihm Handgeld gegeben habe.

Pescara erwiderte: "Ich habe dich nicht gedingt, und ich meine,
nachdem dich die dreie so ernst vermahnt haben, kehrst du am besten
in deine Heimat zurück und nährst dich redlich, wie es im Sprichwort
heißt."

"Aber warum denn schenkt Ihr mir so viel Geld, wo ich Euch nichts
zuliebe gethan habe?" fragte Zgraggen. Sondern viel Leides, setzte er
in Gedanken hinzu. Diese Vergeltung Pescaras überstieg das
Fassungsvermögen des Urners und beängstigte seine Rechtlichkeit.

"Aus Großmut", scherzte der Feldherr.

Bläsi kannte das Wort nicht. Da fiel ihm ein, es werde Großtun
bedeuten, und da er im Lager oft gesehen hatte, wie Prahlerei das
Geld mit vollen Händen wegwirft, beruhigte er sich dabei. "Ja so",
sagte er. Pescara aber winkte, sein Roß vorzuführen.

"Und damit du durchkommst", sprach der Feldherr schon im Bügel, "nimm
noch das." Er warf ihm eine Passiermarke zu, und wenig fehlte,
Zgraggen hätte gedankt. Wenigstens wollte er noch langes Leben
wünschen; aber den Feldherrn zum Abschied anschauend, erkannte er das
Siechtum in diesem Antlitze mit seinen Älpleraugen, welche das alle
Welt täuschende geistige Leben desselben nicht bestach.
Unwillkürlich wünschte er: "Gott gebe Euch selige Urständ, Herr!"
Dann über seine eigene Rede und ihre böse Bedeutung bestürzt, lief er
querfeldein mit seinem halben Spieße, den er sorglich aufgehoben und
nun als Reisestab führte. Die Spanier hatten verwundert zugesehen,
der alte Wachtmeister aber schüttelte bedenklich und abergläubisch
den Kopf über die seltsame Freigebigkeit seines sparsamen Feldherrn.
Der Trupp, welcher den Urner gefangen hatte, gehörte zu dem
Heerhaufen, der jetzt in einer Staubwolke hinter schlagenden Trommeln
heranrückte. Der Feldherr ritt seinen Tapfern entgegen, von
brausendem Jubel empfangen, und lenkte das Roß zwischen die Feldmusik
und die erste Kompanie, deren Hauptmann ehrerbietig Raum gab.

Eine Weile blieb er allein an der Spitze der Truppen. Da nahte von
Novara ein Reitender in weißem Mantel und gesellte sich zu ihm.
Zusammen ritten sie durch das Schloßtor. Schweigend folgte der
Begleiter dem Gange Pescaras und überschritt hinter ihm die Schwelle
des Gemaches.

Pescara wendete sich. "Was wollt Ihr, Moncada?" fragte er, und
dieser antwortete: "Eine Unterredung ohne Zeugen, die Ihr mir nicht
zum zweiten Male verweigern werdet."

"Ich stehe zu Diensten."

"Erlaucht", begann der Ritter, "ich habe, wie Ihr erlaubtet, den
Kanzler drüben gesprochen. Er war voller Angst und Blässe und
beteuerte mit tausend Eiden, er sei gekommen, Aufschub und leichtere
Bedingungen zu erlangen, nur dieses habe ihn nach Novara geführt.
Dann schwatzte er wild durcheinander wie das böse Gewissen. Dieser
Mensch ist ein Abgrund von Lüge, in welchem der Blick sich verliert.
Ich bin sicher, daß er im Namen der Liga hier ist."

"Nicht anders", sagte der Feldherr.

"Und daß er Euch die Führung derselben angeboten hat?"

"Nicht anders."

Jetzt entstand Lärm im Vorzimmer. Ippolito beiseite werfend,
verwildert, mit rasenden Mienen und verrückten Augen stürzte der
Kanzler herein. Ihm folgten auf dem Fuße, beide schon gepanzert,
Bourbon und Del Guasto, denen er auf dem Gange begegnet und die ihn
zurückhalten wollten. In Verzweiflung warf er sich dem Feldherrn zu
Füßen, während Moncada langsam in den Hintergrund zurückwich.

"Mein Pescara", schrie der Geängstigte, "alle Geduld nimmt ein Ende!
Ich kann die Marter nicht länger ertragen. Jede Minute dehnt sich
mir zur qualvollen Ewigkeit. Ich vergehe. Sei barmherzig und gib
mir deine Antwort!"

Pescara erwiderte mit Ruhe: "Vergebet, Kanzler, wenn ich Euch habe
warten lassen. Meine Zeit war nicht frei, doch eben wollte ich nach
Euch schicken. Eure gestrige Rede hat mich beschäftigt, denn das Los
eines Volkes ist keine Kleinigkeit--aber bitte, setzet Euch, ich kann
nicht sprechen, wenn Eure Gebärden so heftig dareinreden."

Der Kanzler packte krampfhaft die Lehne eines Sessels.

"Ich habe die Sache gewogen... doch, Kanzler, lassen wir zuerst alles
Persönliche, denket weg von Euch selbst und von mir, es bleibt die
Frage: Verdient Italien zu dieser Stunde die Freiheit und taugt es,
so wie es jetzt beschaffen ist, sie zu empfangen und zu bewahren?
Ich meine nein." Der Feldherr sprach langsam, als prüfe er jedes
seiner Worte auf der Waage der Gerechtigkeit.

"Zweimal hat Freiheit in Italien gelebt, zu verschiedenen Zeiten. In
der beginnenden römischen Republik, da das Staatswohl alles war.
Dann in jenen herrlichen Gemeinwesen, Mailand, Pisa und den andern.
Jetzt aber steht es an der Schwelle der Knechtschaft, denn es ist los
und ledig aller Ehre und jeder Tugend. Da kann niemand helfen und
retten, weder ein Mensch noch ein Gott. Wie wird verlorene Freiheit
wiedergewonnen? Durch einen aus der Tiefe des Volkes kommenden Stoß
und Sturm der sittlichen Kräfte. Ungefähr wie sie jetzt in Germanien
den Glauben erobern mit den Flammen des Hasses und der Liebe.

Aber hier! Wo in Italien ist, ich sage nicht Glaube und Gewissen, da
das für euch veraltete Dinge sind, sondern nur Rechtssinn und
Überzeugung? Nicht einmal Ehre und Scham ist euch geblieben, nur die
nackte Selbstsucht. Was vermöget ihr Italiener? Verführung, Verrat
und Meuchelmord. Worauf zählet ihr? Auf die Gunst der Umstände, auf
die Würfel des Zufalls, auf das Spiel der Politik. So gründet, so
erneuert sich keine Nation. Wahrlich, ich sage dir, Kanzler"--und
Pescara erhob die Stimme wie zu einem Urteilsspruch--"dein Italien
ist willkürlich und phantastisch, wie du selbst es bist und deine
Verschwörung!"

"Wahrheit", ließ sich die Stimme Moncadas vernehmen.

"Auch der Held, Morone, den ihr euch erwählt habet, entbehrt des
Daseins."

Doch diese leisen letzten Worte Pescaras wurden überschrien. Morone
hatte schnell den Kopf gewendet und den Ritter erblickt: wie er
seinen Anschlag dem Spanier preisgegeben sah, geriet er in Wut, seine
Züge verzerrten sich, und er tobte wie ein Besessener. "Falsch und
grausam! Falsch und grausam! O ich mit Blindheit Geschlagener!"
Dann von sinnloser Rachgier überwältigt, schrie er gegen Moncada:
"Wisset es, Ritter, dieser"--er wies auf den Feldherrn--"ist der
Schuldige! Seinetwillen die ganze Verschwörung! Ich bin seine
Kreatur, und nun opfert mich der Unmensch!"

Jetzt sprang der Herzog dazwischen, der mit Del Guasto hinter Pescara
stehend den leidenschaftlichen Auftritt genoß. "Saute, Paillasse mon
ami, saute pour tout le monde!" verhöhnte er Morone. "Ja, wenn wir
nicht gelauscht hätten, wir zweie, hinter dem roten Vorhang und der
goldenen Quaste dort! Ich muß dir das mal erzählen, Schatz, es ist
zum Totlachen. Hörtest du nicht, wie ich dich auspfiff?" Dann
plötzlich ernst werdend, richtete er den Blick fest auf Moncada,
legte die Hand auf die Brust und beteuerte: "Bei meinem königlichen
Blute, der Feldherr hat in jener gestrigen Stunde nicht haarbreit
geschwankt in seiner Ehre und Treue!"

Morone war vernichtet. Del Guasto legte Hand an ihn und zog ihn mit
sich fort. "Herr Kanzler", spottete er, "bedanket Euch, unser
Lauschen erspart Euch die Folter." Auch der Herzog ging, einer
bittenden Gebärde Pescaras gehorchend.

"Erlaucht", begann Moncada, "hier bin ich überzeugt. Mit diesem
habet Ihr nur Euer Spiel getrieben, vielleicht herablassender, als
für spanischen Stolz sich geziemte. Mit einem solchen Menschen
konspiriert kein Pescara. Aber, Erlaucht, in seiner ohnmächtigen Wut
hat dieser Verlogene Wahrheit gesprochen, wenn er Euch beschuldigte,
der Urheber der italienischen Verschwörung zu sein. Nicht der
Urheber, aber der Begünstiger. Sie nicht entmutigend, habet Ihr sie
genährt und großgezogen. Es war leicht, ein entschiedenes Wort zu
sprechen und ihr Halt zu gebieten mit einer entrüsteten und weithin
sichtbaren Gebärde. Das habet Ihr nicht gethan. Ihr stundet als eine
dunkle und deutbare Gestalt."

"Ritter", unterbrach ihn Pescara, "nicht Euch habe ich Rechenschaft
zu geben von meinem Thun und Lassen, sondern allein meinem Kaiser."

"Eurem Könige", versetzte Moncada. "Ihn so zu nennen, gebietet Euch
die Ehrfurcht, denn ein König von Spanien ist mehr als der Kaiser.
Und der Enkel Ferdinands wird ein König von Spanien werden. Karl
entwickelt sich langsam, unter verschiedenen und streitenden
Einflüssen, aber sein spanisches Blut wird erstarken und sein
deutsches aufsaugen bis auf den letzten Tropfen. Er verabscheut die
Ketzerei, und seine Frömmigkeit wird ihn zum Spanier machen." Er
sagte das mit einem stillen Lächeln und schwärmerisch erglänzenden
Augen.

"Avalos", fuhr er fort, "deine Väter haben für den Glauben gegen die
maurischen Heiden gekämpft, bis dein Ahn mit jenem Alfons nach Neapel
schiffte. Kehre zu deinem Ursprung zurück! Das edelste Blut fließt
in deinen Adern. Wie kannst du, der das Große liebt, zaudern
zwischen dem spanischen Weltgedanken und den erbärmlichen
italienischen Machenschaften? Unser ist die Erde, wie sie einst den
Römern gehorchte. Siehe die wunderbaren Wege Gottes: Kastilien und
Aragon vermählt, Burgund und Flandern erworben, das gewonnene
Kaisertum, eine entdeckte und eroberte neue Welt, und, das alles
beherrschend, ein gestähltes Volk mit, einem gesegneten, zwiefach in
Heidenblut getauften Schwerte! Was dir jener Elende bot, Spanien
gibt es dir tausendfältig: Schätze, Länder, Ruhm und--den Himmel!

Denn für den Himmel kämpfen wir und für den katholischen Glauben, daß
eine Kirche herrsche auf Erden. Sonst wäre Gott vergeblich Mensch
geworden. Voraussehend, wie in diesen Tagen die Hölle den
Apostolischen Stuhl besudeln und ihre letzte Ketzerei, den
germanischen Mönch, ausspeien werde, erschuf er den Spanier, jenen zu
reinigen und diese zu zertreten. Darum gibt er uns die Welt zur
Beute, denn alles Irdische hat himmlische Zwecke. Ich habe lange
darüber gesonnen in meinem sizilischen Kloster und wähnte, wohl
selbst der Auserwählte zu sein zu diesem geistlichen Kriegsdienste.
Da wurde er mir in einem Gesichte gezeigt, der andere, der Berufene.
Ich war solcher Ehre unwürdig, meiner Sünde wegen, und trat in die
Welt zurück." Pescara schwieg und betrachtete den Verzückten.

"Aber ich wirke, solange es Tag ist. Kein Jahr ist um, ich stand
hinter Ferdinand Cortez, da ihm auf dem Berge der Dämon die goldenen
Zinnen Mexikos zeigte, wie er dir, Pescara, jetzt Italien zeigt.
Diese Hand hielt den Strauchelnden zurück, und nun strecke ich sie
gegen dich, Pescara, daß du ein Sohn Spaniens bleibest, welches die
Welt ist und das der in der Glorie schwebende katholische Ferdinand
beschützt."

Jetzt brach der Feldherr sein Schweigen und zürnte: "Nenne mir jenen
nicht, er hat mir den Vater getötet!"

Moncada seufzte schwer.

"Du bereust?"

Der Ritter schlug sich zerknirscht die Brust und murmelte, mit sich
selbst sprechend: "Meine Sünde... meine Sünde... ungebeichtet und
ungespeist!"

Da erriet Pescara, daß dieser Fromme nicht seinen Mord bereue,
sondern daß er ihn vollbracht an einem geistlich Unvorbereiteten.
"Weiche von mir!" gebot er.

Moncada trat zurück bis zur Schwelle, wie aus einem Traum erwachend.
Dann sammelte er sich und sagte: "Verzeihung, Erlaucht! Ich war
abwesend. Noch ein nüchternes Wort. Ich kenne Euer Ziel nicht.
Noch bin ich nicht Euer Feind. So oder so werdet Ihr Mailand nehmen.
Dieser erste Schritt enthält weder Treue noch Untreue. Ich erwarte
Euern zweiten, ob Ihr den Herzog absetzet und die Empörung strafet.
Tut Ihr es nicht, so verratet Ihr Spanien und Euern König!" Und er
verschwand.

Pescara zog sich zurück und genoß Speise. Dann empfing er vor seinem
flackernden Kaminfeuer, das an einem Herbstabende nicht fehlen durfte,
den Herzog mit Del Guasto und gab ihnen seine letzten Befehle. Den
Rest der Zeit benützte er, um seine geheimen Papiere zu sichten: was
sich um einen Mächtigen dreht, eine Welt von Schlechtigkeit. Er
vernichtete das meiste, es in den Herd werfend: er wollte niemanden
verderben. Auch das Geheimschreiben des Kaisers sollte verschwinden,
doch seine Asche nicht mit der übrigen sich vermengen. Er ließ ein
glimmendes Kohlenbecken bringen, in dessen bläulichen Flämmchen er
den Brief seines Kaisers verbrannte. Als er zu Ende war, hatten sich
seine Kerzen schon zur Hälfte verzehrt: es ging auf Mitternacht.
Pescara kreuzte die Arme über der Brust und verfiel in ein so tiefes
Sinnen, daß er die Schritte eines Eintretenden nicht vernahm. Da
sprach es zu ihm: "Was ist dein Ziel, Avalos?" Er erblickte Moncada.

Der Feldherr griff mit der Hand in das erloschene Kohlenbecken,
schloß sie und streckte sie gegen Moncada. "Mein Ziel?" sagte er und
öffnete die Hand: Staub und Asche.

Jetzt gellten Drommetenrufe durch das Schloß. Trommelwirbel folgten.
Alles geriet in Bewegung. Der Feldherr ließ sich von seiner
Dienerschaft waffnen. Als er bei flackerndem Fackellicht, das sich
auf Speeren und Rüstungen spiegelte, die gepflasterte Halle des
Erdgeschosses betrat, erblickte er sein schwarzes Tier, welches,
kostbar geschirrt, mit ungeduldigen Hufen Funken aus dem Boden schlug,
daneben eine Sänfte mit zwei leichten Trabern. Beide hatte er
befohlen, die Wahl dem Augenblicke vorbehaltend. Mit einem Seufzer
bestieg er die Sänfte, seine wiederbeginnenden Schmerzen darin zu
verbergen, und verschwand durch das Tor, während sein verschmähtes
Schlachtroß sich zornig gebärdete und den Reitknecht, welcher es
besteigen wollte, abwarf. Es mußte seinem Herrn ledig nachgeführt
werden.

Nun wurde auch der gefangene Kanzler gebracht. Spanische Soldaten
umringten ihn, beraubten ihn seiner Kette, seiner Ringe, seines
Beutels und setzten ihn nicht auf sein edles Maultier aus dem
mailändischen Marstalle, sondern rücklings auf einen armseligen Esel,
dessen Schwanz sie ihm nach ihrer grausamen Art durch die gefesselten
Hände zogen. Dann ging es durch das Tor unter einem höllischen
Gelächter, in welches der Kanzler aus Verzweiflung mit einstimmte.





Letztes Kapitel



Inzwischen verlebte in dem aus einer Burg des Glückes zu einer
Behausung der Angst gewordenen Kastelle von Mailand Franz Sforza
jammervolle Tage und noch schlimmere Nächte, hilf- und ratlos nach
seinem Kanzler rufend. Er hatte den Besuch Del Guastos erhalten, der
ihm zu melden kam, sein Feldherr habe vor ablaufender Frist den
Kanzler von Mailand empfangen, dieser ihm aber, statt der erwarteten
Zugeständnisse, im Namen der Hoheit ebenso törichte als
verbrecherische Eröffnungen gemacht, die den Feldherrn bestimmen,
ohne Verzug, übrigens ganz im Sinne seiner ersten Drohung, auf
Mailand zu marschieren und gegen die Hoheit als einen Hochverräter zu
verfahren. Del Guasto hatte sich an dem Zittern des Herzogs geweidet
und war aus der Stadt verschwunden. Während sich die kaiserlichen
Truppen in raschen Märschen näherten, und selbst da sie schon auf den
Wällen von Mailand in Sicht waren, hatte der Kleinmütige zwischen
Übergabe und Verteidigung geschwankt, wurde dann aber von ein paar
tapfern lombardischen Edelleuten auf den Weg der Ehre gerissen und
endlich selbst von einer kriegerischen Stimmung angewandelt, deren er
kraft seines großväterlichen Blutes nicht völlig unfähig war. Er
ließ sich mit einer kunstvoll geschmiedeten Rüstung bekleiden und
setzte sich einen Helm von herrlicher getriebener Arbeit auf das
schwache Haupt.

Es ist Thatsache, daß er in der großen Schanze stand, in dem
Augenblicke, da Pescara seine Truppen gegen dieselbe zum Sturm führte.
Mit bebender Stimme befahl der Herzog das Feuer seiner auserlesenen
Geschütze. Wie sich der Rauch verzog, lag das Feld mit Spaniern
bedeckt. Zwischen Toten und Verwundeten schritt Pescara, wenige mehr
neben sich und noch unerreicht von den vielen unter der Führung Del
Guastos ihm stürmisch Nacheilenden. Er war ohne Harnisch. Der Helm
war ihm vom Kopfe gerissen, und sein dunkler Mantel flatterte
zerfetzt. In flammend rotem Kleide, mit gelassenen und gleichmäßigen
Schritten ging er weit voran, einen blitzenden Zweihänder schwingend.
Es war, als schritte der Würger Tod in Person gegen die Schanze, und
da sich dort in demselben Augenblicke die böse Kunde verbreitete, der
Borbone habe das Südtor genommen und Leyva stürme an der nördlichen
Pforte, packte der bleiche Schreck die Besatzung. Die wieder
geladenen Stücke blieben ungelöst, die Hauptleute, die sich den
Furchtbetörten entgegenwarfen, wurden niedergetreten, und die
panische Flucht riß den Herzog mit sich fort.

Wie er, in seinen Palast zurückgekehrt, mit irrenden Schritten den
Thronsaal betrat, siehe, da stürzte vor seinen Augen die
goldbrokatene und mit Löwen und Adlern durchwirkte Bekleidung des
Thronhimmels zusammen. In der allgemeinen Verwirrung hatte sich der
herzogliche Tapezierer in den Saal geschlichen und das Prachtstück
gelockert, um es zu entwenden, war dann aber vor dem sich nahenden
Getöse unverrichteterdinge entwichen. Von dem schlimmen Omen
erschreckt, warf sich der Herzog verzweifelnd in einen Lehnstuhl und
bedeckte das Gesicht mit beiden Händen, sein Los und den Sieger
erwartend.

Dieser ließ nicht lange auf sich harren. Ein kurzer Lärm--die treue
schweizerische Palastwache wurde niedergestreckt oder entwaffnet--,
und Pescara betrat den Saal, barhaupt und ohne Schwert, hinter ihm
Karl Bourbon, behelmt, in voller Rüstung, den Degen in blutender
Faust. Er war, der erste auf der Sturmleiter, mit derselben in den
Stadtgraben zurückgeworfen worden, ohne sich jedoch ernstlich zu
verletzen.

Der Marchese verneigte sich vor seinem Besiegten, der sich von seinem
Sitze aufraffte. "Hoheit beruhige sich", sprach Pescara. "Ich komme
nicht als Feind, sondern um Hoheit aufs neue in Pflicht zu nehmen für
Ihren Lehensherrn, den Kaiser."

Sforza erhob die Augen, und da er in dem überlegenen Antlitz weder
Hohn noch Strafe las, sondern eher teilnehmende Einsicht und Milde,
brach der haltlose Knabe in Tränen aus und stammelte: "In meinem
Herzen bin ich der Majestät immer treu gewesen, sie hat keinen
ergebeneren Diener und bessern Lehensmann, aber ich Unseliger wurde
mißleitet, wurde irregeführt... mein höllischer Kanzler... auch den
bewaffneten Widerstand habe ich nicht befohlen... ich wurde geschoben,
gestoßen... von dem Valabrega und ein paar andern Edelleuten... bei
allen Aposteln und Märtyrern, ich bin kein italienischer Patriot,
sondern der bedrängteste Fürst in der unmöglichsten Lage!"

Diese völlige Zerknirschung des Enkels und Urenkels zweier Heroen
schien den Feldherrn peinlich zu berühren. Doch ließ er der Buße
freien Lauf, weigerte aber, scheinbar aus Ehrerbietung, dem endlich
Verstummenden seine Hand, welche dieser zu ergreifen suchte. Er
befürchtete, der gänzlich Vernichtete möchte sie küssen.

Während dieser Selbsterniedrigung, und sie im Grunde seines
verbitterten Herzens kostend, schlürfte Karl Bourbon, welcher hinter
Pescara stehengeblieben war, in langsamen Zügen einen vollen Becher,
den er sich von einem herbeigewinkten Pagen hatte holen und reichen
lassen.

"Hoheit", sagte der Feldherr, "ich habe Vollmacht. Wenn Sie davon
durchdrungen ist, daß Sie sich in ein falsches und gefährliches Spiel
eingelassen hat, und wenn sich der feste Wille in Ihr gestalten kann,
forthin Ihr Heil da zu suchen, wo es ist, bei dem Kaiser, und von der
Majestät nimmermehr zu weichen, wage ich es, auf meine
Verantwortlichkeit, Ihr Verzeihung zu gewähren und Ihre Hand darauf
anzunehmen. Hoheit darf es mir glauben, Sie fährt in jedem Falle
besser mit dem Kaiser als mit der Liga."

Jetzt sah er, wie die unverhoffte Milde den Sohn des Mohren plötzlich
wieder mißtrauisch machte, wie der vom Schicksal zum Argwohn Erzogene
eine List vermutete und wie seine Hand zögerte und zitterte. "Hoheit
darf trauen", sprach er kraftvoll. "Der Kaiser und ich halten Wort."

Sforza gab die Hand, und der Feldherr fügte freundlich hinzu: "Ich
kenne die schwierige Lage der Hoheit und--wenn ich es aussprechen
darf--Ihre durch eine unglückliche Jugend erkrankte und entkräftete
Seele. Sie bedarf vor allem der Stetigkeit. In der Bahn des Kaisers
wandelnd und verharrend, wird Sie von keiner Zeitwelle verschleudert
werden. Ich persönlich", schloß er, seine Lehrhaftigkeit mildernd,
in einem fast herzlichen Tone, "war der Hoheit immer zugethan, aus
Dank für meine Vorbilder, Ihre zwei herrlichen Ahnen, obwohl mir die
beiden", scherzte er, "in meiner Jugend manchen Schlaf geraubt haben;
ein solcher Reiz und Stachel liegt in Männlichkeit und Seelengröße."

Franz Sforza getröstete sich dieser Freundschaft, fragte aber doch
ängstlich: "Und ich bleibe Herzog? Euer Wort, Pescara?"

"Unverbrüchlich. Wenn ich etwas über den Kaiser vermag, und wenn Ihr
es vermöget, Eure Seele zu befestigen."

"Und meinem Kanzler geschieht nichts?"

"Ich glaube nein, Hoheit", versprach Pescara.

"Und er bleibt mein Minister?"

Der Feldherr konnte ein Lächeln nicht verwinden über die
Unzertrennlichkeit dieses Paares. "Hoheit vergißt, daß Sie soeben
Girolamo Morone den verderblichsten aller Ratgeber genannt hat. Ich
empfehle Hoheit, sich von der Kaiserlichen Majestät für dieses
schwierige Amt einen andern und weisern Kopf zu erbitten. Es gibt
deren in Italien, es braucht kein Spanier zu sein."

"Nichts da, Hoheit! Ihren Kanzler bekommt Sie nicht heraus!" mischte
sich jetzt der Bourbon ins Gespräch. "Diese Helena ist mein
Beutestück."

Franz Sforza starrte Bourbon mit angstvollen Augen an. "Der hier?"
stöhnte er. "Er will mein Mailand! Er träumt langeher davon. Hilf
mir, mächtiger Pescara!"

Da schmetterte Bourbon, als zerstöre er sich selbst, mit einem
zornigen Wurf sein kristallenes Glas an den Marmorboden, daß es mit
schrillem Mißton in Scherben zerfuhr. "Hoheit", rief er, "da liegt
mein Fürstentum Mailand!"

Während die Scherben flogen, trat Moncada mit Leyva ein, dieser von
oben bis unten mit Staub und Blut besudelt. "Erlaucht", begann der
Ritter, "ich beglückwünsche Sie zu Ihrem heutigen schönen Siege, der,
wieder in voller Kraft erfochten, sich an so viele andere reiht. Ich
hielt mich geziemend im Vorzimmer. Doch da ich bechern und lachen
hörte, und als auch Leyva anlangte, der das Nordtor genommen und
ebenfalls seinen Trunk verdient hat, wagte ich den Eintritt, und ich
glaube zur rechten Stunde. Denn ich meine: hier wird Gericht
gehalten werden, und Hoheit Bourbon hat diesem verräterischen Herzog
in symbolischer Weise seinen verdienten Untergang verkündigt. Aber
nicht so stürmisch, Hoheit! Ich denke, der Feldherr setzt ein
Kriegsgericht zusammen, bei dem ich als ein Angehöriger des
königlichen Hauses Sitz und Stimme beanspruchen darf. Natürlich ein
vorläufiges Gericht, in Erwartung des Entscheides aus Madrid."
Pescara blieb kalt. "So tue ich", sagte er. "Ich ernenne zu
Richtern meine zwei Kollegen, die Hoheit Bourbon und Leyva. Ich
präsidiere. Euch, Ritter, muß ich ausschließen, weil Ihr keinen Rang
bekleidet. Hier meine Beglaubigung." Er zog aus seinem Wams die
kaiserliche Vollmacht.

Moncada ergriff das Schreiben und las: "Nach seinem Ermessen... gemäß
den Umständen... hm... Erlaucht erlaube... diese kaiserliche Weisung
scheint zu sagen, daß Sie bevollmächtigt ist, alle militärischen und
bürgerlichen Maßregeln in dem genommenen Mailand nach Belieben zu
treffen, präjudiziert aber in keiner Weise die Rechte und Interessen
der katholischen Majestät. Ich werde daher bleiben als ein stummer,
aber aufmerksamer Zuhörer."

"Sei es", sagte Pescara geduldig.

Jetzt regte sich auch Leyva und verlangte, daß Girolamo Morone
vorgeführt werde. "Er ist im Palaste", sagte er. "Ich sah ihn
gefesselt einbringen unter den Verwünschungen und Kotwürfen des
mailändischen Volkes, das ihm sein ganzes Elend zurechnet." Pescara
gab den Befehl.

Eine peinliche Pause. Stühle wurden gerückt von der verlegenen
Dienerschaft, welche ihrem verklagten Herrn ehrerbietig den
herzoglichen Sessel mit Krone und Wappen brachte, und als Morone
erschien, nicht ohne Spuren von Mißhandlung, sah er die drei
Feldherrn als Richter sitzen, Pescara in der Mitte, und vor ihnen
seinen Herzog. "Mut, Fränzchen", flüsterte er ihm zu, neben den er
sich aus alter Gewohnheit gestellt hatte, "wirf du nur alles auf mich!"

Pescara nahm das Wort: "Die Hoheit von Mailand beteuert, an der Treue
gegen ihren Lehensherrn festzuhalten und nur vorübergehend
fehlgetreten und in den Schein der Felonie gekommen zu sein unter den
Einflüsterungen dieses Mannes da." Der Herzog nickte mit dem Haupt.

"So ist es! Ich bekenne, daß ich der allein Schuldige bin!" sprach
der Kanzler unerschrocken.

"Auch die Verteidigung von Mailand gegen das kaiserliche Heer
beteuert die Hoheit nicht befohlen zu haben, sondern sie versichert,
es sei die eigenmächtige That einiger aufrührerischer Lombarden, und
ich halte es für glaublich. Wie urteilt Leyva?"

Leyva verzog das häßliche Gesicht und murrte: "Dieser Franz Sforza
ist der Felonie schuldig und durch die nackte Thatsache überwiesen.
Er werde in schärfstem Gewahrsam gehalten. Der Kaiser, wie ich meine,
wird ihn absetzen und nach Spanien bringen lassen."

"Und wie urteilt Sie?" Pescara hatte sich gegen Bourbon gewendet.

Der Konnetabel spielte mit seinem zerrissenen Handschuh und bemerkte
mit melodischer Stimme: "Die Hoheit wurde betört von dem wunderlichen
Gaukler da, der auch mich und viele andere bezaubert hat, bis er an
unserm Feldherrn seinen Meister fand. Aber sie scheint mir wieder
zur Besinnung gekommen zu sein, und ich meine, daß ihr die Schmach
des Gefängnisses anzutun weder schicklich wäre noch auch notwendig
ist, da sich ja die Stadt in unsern Händen befindet. Die Hoheit von
Mailand bleibe frei."

"Zwei Stimmen gegen eine, denn so lautet auch meine Meinung",
entschied Pescara. Moncada schwieg mit verschlungenen Armen, Leyva,
dessen große Narbe sich mit Blut zu füllen schien, zerrte den
Schnurrbart, Bourbon aber erhob sich, bot Franz Sforza den Arm und
geleitete ihn aus dem Saale.

Draußen stieß er mit Del Guasto zusammen, der ihm zuflüsterte, es sei
befremdend: die Truppen Leyvas zögen sich gegen den Palast. Bourbon
runzelte die Stirn. "Beobachtet und berichtet!" gebot er. Del
Guasto wollte enteilen, rief aber zurück: "Noch eins: ich höre, Donna
Victoria sei am Tore angelangt und verlange nach dem Feldherrn."

Da Bourbon in den Saal zurücktrat, forderte eben Leyva den Kerker,
die Folter und, nach vervollständigtem Bekenntnisse, Block und Beil
für den erbleichenden Morone.

"Auf die Folter!" stöhnte dieser. "Wenn ihr mich windet wie ein Tuch,
so werdet ihr nichts anderes als Blut und Schweiß aus mir
herauspressen. Ich habe mich vor dem Feldherrn ausgebeichtet. Du
bist nicht grausam, Pescara!"

"Pfui, Leyva!" rief Bourbon, sich wieder in den Kreis setzend. "Will
sich der Herr an den Zuckungen dieses närrischen Gesichtes ergötzen?
Das leide ich nicht. Ich lasse mir meinen Morone nicht verdrehen.
Zittre nicht, Girolamo! Dir wird kein Haar gekrümmt: du wirst mein
Schreiber. Mein gnädiges Urteil lautet: Girolamo sitze in seinem
Hause, und man bewache ihn, bis ich mir ihn vom Kaiser werde erbeten
haben."

"Mir scheint, das genügt", entschied der Feldherr. "Morone hat
gestanden vor drei glaubwürdigen Zeugen, deren einer ich selber bin.
Keine unnütze Marter, sondern sichere Haft. Zwei Stimmen gegen eine.
Nehmet ihn, Hoheit. Mir ahnt, daß Girolamo Morone sich noch einmal
umwandelt und in kaiserliche Dienste tritt."

Da schrie Morone unklug vor Freude über das geschenkte Leben und die
erlassene Folter: "Pescara, ohne dich kein Italien! Das ist vorbei.
Mach mit mir, was du willst. Ich bin das Geschöpf deiner Großmut und
Güte... Und wenn noch weiter geredet werden soll, so erfahret,
Herrschaften, und darin ist alles andere enthalten: die Liga ist dem
Kopfe der Heiligkeit entsprungen, wie Athene der Stirne des Zeus..."
Seine Zunge stand plötzlich still, da er neben sich einen
ansehnlichen Mann im Reisekleid gewahrte, der eben eingetreten war.
Dann rief er: "Das weiß niemand besser als der da!" Es war
Guicciardin, dessen Blicke neugierig im Kreise umliefen, endlich aber
unverwandt auf dem Antlitze des Pescara haften blieben.

"Ich störe, Erlaucht?" sagte er. "Doch ich werde mich kurz fassen.
Ich komme mit Eilpost von der Heiligkeit, die diesmal besser einen
andern geschickt hätte. Die Heiligkeit läßt Erlaucht wissen, sie
habe auf die erste Kunde der eröffneten Feindseligkeiten einen ihrer
Vertrautesten nach Madrid gesendet, den Kaiser zu unterrichten, daß
sie dem Bündnis der italienischen Staaten fremd geblieben ist. Eine
heilige Liga existiert nicht. Der oberste Hirte schaudert vor dem
Schwert."

"Halleluja!" rief der Kanzler, den die Lebensfreude berauscht und
völlig toll gemacht zu haben schien, der Feldherr aber entgegnete:
"Wie, Guicciardin? Eben hat Morone an den Tag gebracht, daß die Liga
das Werk der Heiligkeit ist. Was ist Wahrheit?"

"Beides", versetzte Guicciardin. "Mein Auftrag ist ausgerichtet und
damit gut." Er verbeugte sich und verließ den Saal, aber Bourbon, in
den der Satan fuhr, rief dem Gesandten des Papstes nach: "Florentiner,
sage deinem Herrn, ich werde nach Rom kommen, seiner Wahrhaftigkeit
den Pantoffel zu küssen, mit lauter Lutheranern und Marranen, und
nachts will ich meine brennende Kerze umwerfen, daß der Heiligkeit
ein Licht aufgehe!" Die Lache, die der Unselige aufschlug, scholl
gellend wider aus der Kuppelwölbung und aus den Ecken des Saales wie
aus dem Munde schadenfroher Dämonen, so daß Guicciardin erschreckend
umblickte. Der Feldherr wies nun auch den Kanzler mit seiner Wache
weg, sei es, daß er es für unziemlich hielt, das Haupt der
Christenheit preiszugeben, oder er war der menschlichen Komödie müde.

Da sich Guicciardin und der Kanzler draußen zusammenfanden, fragte
jener: "Man führt dich zum Blocke?"

"Bewahre!"

"Durchgeschlüpft? Unvergleichlicher! Doch wie begab es sich in
Novara?"

"Oh, ich kam auf den Esel zu sitzen... Dieser Pescara ist das Rätsel
der Sphinx..."

"Das ich errate, Kanzler, aus seinem Antlitz. Es trägt die
hippokratischen Züge, und ich werde vielleicht der Heiligkeit eine
Todesnachricht zu bringen haben. Erinnerst du dich noch, Girolamo,
was ich dir in den Vatikanischen Gärten sagte, von einem möglichen
letzten Hindernis in der Brust Pescaras? Wenn ich wörtlich wahr
geredet? Wenn der Feldherr bei Pavia den Tod empfing und ihn
verheimlicht hat? Wenn wir einen nicht mehr Versuchbaren in
Versuchung führten?"

Der Kanzler schlug sich vor die Stirn: "Du sagst es, Guicciardin!
Ähnliches, das ich damals nicht verstand, hat mir der Arzt des
Feldherrn, Messer Numa Dati, in Novara angedeutet."

"Also die Wahrheit", schloß der Florentiner. "Nicht Pescara trog.
Wir selbst haben uns betrogen. O Weisheit der Menschen!" Mit dieser
Betrachtung schieden die beiden.

In dem Thronsaal herrschte eine unheimliche Luft. Die drei Feldherrn
und der bei ihnen zurückgebliebene Moncada standen in weiten
Entfernungen. Pescara, völlig entkräftet, wie es schien, hatte sich
auf den über den Thron ausgebreiteten Goldbrokat geworfen. Blässe
bedeckte sein Gesicht, die Brust arbeitete. Bourbon maß den Saal in
leichtfertigem Tanzschritt, während er Moncada scharf beobachtete.
Dieser, in einer Fensterbrüstung lehnend, winkte aus einer andern
Leyva zu sich und flüsterte ihm ins Ohr: "Es ist Zeit. Er hat sich
enthüllt. Tot oder lebendig..." Jetzt rief auch Pescara den Herzog.
"Setze dich neben mich, Karl", keuchte er leise. "Führst du Papier
und Stift?"

"Um Gottes willen, Ferdinand, merkst du nichts? Du bist bedroht!
Die beiden flüstern. Leyva ist verdächtig. Sie wollen dich
verhaften!"

"Führst du Papier und Stift?" wiederholte der Feldherr. Der Herzog
gab sie. Nach ein paar Zügen sagte Pescara: "Meine Hand zittert,
schreibe du, Karl."

"Ferdinand, bist du blind? Siehst du nicht, wie Moncada sich regt?"

"Er wird mich nicht erreichen", sagte der Feldherr und diktierte mit
gepreßter Stimme: "An die Majestät des Kaisers. Erhabener Herr,
Mailand ist Euer. Pescara hält Treue bis zum letzten Atemzug.
Lohnet sie ihm mit drei Erfüllungen..."

"Ich beschwöre dich, Ferdinand! Er kommt auf dich zu! Ermanne dich!
Wir fechten... Ich rufe die Wachen..." Bourbon wollte aufspringen.
Pescara aber hielt ihn fest: "Schreibe! Er erreicht mich nicht,
sage ich dir. Wo bist du?... mit drei Erfüllungen: Majestät schütze
Sforza! Majestät begnadige Morone! Majestät gebe mein Kommando dem
Konnetabel!..."

"Er steht wenige Schritte vor dir! Zieh! Wo hast du deinen Degen?"

"Ich vergieße kein Blut mehr..." Pescara unterzeichnete, und der
Stift entglitt seiner Hand. Mit einem schwachen Schrei und
erlöschenden Augen sank er in die Arme seines Freundes.

Moncada, der jetzt ganz nahe getreten war, stand bestürzt. "Was ist
dem Feldherrn?" fragte er, und ihn betrachtend: "Verschieden?"

"Geschieden!" weinte der Herzog.

"Ein Herzschlag. Der Feldzug hat ihn getötet", sagte Moncada und hob
das Papier auf, das an den Boden gefallen war. Er las, und bei der
dritten Bitte angelangt, stand er sinnend. Dann übergab er, ohne die
Miene zu ändern, das Papier dem Herzog mit den Worten: "Wir ehren
seinen letzten Willen. Hoheit hat das Kommando. Hoheit befehle!"

Bourbon erschien als ein Heimatloser und Entwerteter dem Sohne
Ferdinands des Katholischen ungefährlich und war, ohne Pescara, auch
Leyva minder verhaßt, denn um die Gunst des großen Feldherrn hatte
dieser den Konnetabel beneidet.

Karl Bourbon winkte sie weg und bettete Pescara auf den Goldbrokat.
Der Palast war ganz stille geworden, und selbst die Wachen an den
Toren schritten leise, in der Meinung, der Feldherr halte zu dieser
Stunde Siesta, wie seine Gewohnheit war. Auch der Herzog, das
geliebte Haupt im Schoße haltend, versank in einen Mittagstraum, er
vergaß das tragische Los des Toten und das eigene aus Ruhm und
Schmach geflochtene, er empfand nur einen dumpfen Schmerz über den
Verlust des einzigen Freundes.

Stimmen erschollen vor der Saalpforte. "Nein, Madonna, er ruht!"
verbot Del Guasto, und Victoria rief durchdringend: "Weiche, Böser!
Ich will zu ihm!" Bourbon vernahm nahende Schritte, er wendete nicht
einmal das Haupt. Er legte den Finger an den Mund und flüsterte:
"Leise, Madonna! Der Feldherr schlummert."

Victoria trat zu dem Gatten. Pescara lag ungewaffnet und ungerüstet
auf dem goldenen Bette des gesunkenen Thronhimmels. Der starke Wille
in seinen Zügen hatte sich gelöst, und die Haare waren ihm über die
Stirn gefallen. So glich er einem jungen, magern, von der Ernte
erschöpften und auf seiner Garbe schlafenden Schnitter.




 


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