Egmont
by
Johann Wolfgang von Goethe

Part 1 out of 2



Michael Pullen
globaltraveler5565@yahoo.com





Egmont

Ein Trauerspiel in Fünf Aufzügen

Johann Wolfgang von Goethe

Personen

Margarete von Parma, Tochter Karls des Fünften, Regentin der Niederlande.
Graf Egmont, Prinz von Gaure.
Wilhelm von Oranien.
Herzog von Alba.
Ferdinand, sein natürlicher Sohn.
Machiavell, im Dienst der Regentin.
Richard, Egmonts Geheimschreiber.
Silva,)-unter Alba dienend.
Gomez,)-
Klärchen, Egmonts Geliebte.
Ihre Mutter.
Brackenburg, ein Bürgerssohn.
Soest, Krämer, )-Bürger von Brüssel.
Jetter, Schneider,)-
Zimmermeister, )-
Seifensieder, )-
Buyck, Soldat unter Egmont.
Ruysum, Invalide und taub.
Vansen, ein Schreiber.
Volk, Gefolge, Wachen u. s. w.


Der Schauplatz ist in Brüssel.



ERSTER AUFZUG.


Armbrustschießen.

Soldaten und Bürger mit Armbrüsten.
Jetter, Bürger von Brüssel, Schneider, tritt vor und spannt die Armbrust.
Soest, Bürger von Brüssel, Krämer.

Soest. Nun schießt nur hin, daß es alle wird! Ihr nehmt mir's doch
nicht! Drei Ringe schwarz, die habt ihr eure Tage nicht geschossen. Und
so wär' ich für dies Jahr Meister.

Jetter. Meister und König dazu. Wer mißgönnt's Euch? Ihr sollt dafür
auch die Zeche doppelt bezahlen; Ihr sollt Eure Geschicklichkeit bezahlen,
wie's recht ist.

(Buyck, ein Holländer, Soldat unter Egmont.)

Buyck. Jetter, den Schuß handl' ich Euch ab, teile den Gewinst,
traktiere die Herren: ich bin so schon lange hier und für viele
Höflichkeit Schuldner. Fehl' ich, so ist's, als wenn Ihr geschossen
hättet.

Soest. Ich sollte drein reden; denn eigentlich verlier' ich dabei. Doch,
Buyck, nur immerhin.

Buyck (schießt). Nun, Pritschmeister, Reverenz!--Eins! Zwei! Drei!
Vier!

Soest. Vier Ringe? Es sei!

Alle. Vivat, Herr König, hoch! und abermal hoch!

Buyck. Danke, ihr Herren. Wäre Meister zu viel! Danke für die Ehre.

Jetter. Die habt Ihr Euch selbst zu danken.

(Ruysum, ein Friesländer, Invalide und taub.)

Ruysum. Daß ich euch sage!

Soest. Wie ist's, Alter?

Ruysum. Daß ich euch sage!--Er schießt wie sein Herr, er schießt wie
Egmont.

Buyck. Gegen ihn bin ich nur ein armer Schlucker. Mit der Büchse trifft
er erst, wie keiner in der Welt. Nicht etwa wenn er Glück oder gute
Laune hat; nein! wie er anlegt, immer rein schwarz geschossen. Gelernt
habe ich von ihm. Das wäre auch ein Kerl, der bei ihm diente und nichts
von ihm lernte!--Nicht zu vergessen, meine Herren! Ein König nährt seine
Leute; und so, auf des Königs Rechnung, Wein her!

Jetter. Es ist unter uns ausgemacht, daß jeder--

Buyck. Ich bin fremd und König, und achte eure Gesetze und Herkommen
nicht.

Jetter. Du bist ja ärger als der Spanier; der hat sie uns doch bisher
lassen müssen.

Ruysum. Was?

Soest (laut). Er will uns gastieren; er will nicht haben, daß wir
zusammenlegen und der König nur das Doppelte zahlt.

Ruysum. Laßt ihn! doch ohne Präjudiz! Das ist auch seines Herrn Art,
splendid zu sein und es laufen zu lassen, wo es gedeiht. (Sie bringen
Wein.)

Alle. Ihro Majestät Wohl! Hoch!

Jetter (zu Buyck). Versteht sich, Eure Majestät.

Buyck. Danke von Herzen, wenn's doch so sein soll.

Soest. Wohl! Denn unserer spanischen Majestät Gesundheit trinkt nicht
leicht ein Niederländer von Herzen.

Ruysum. Wer?

Soest (laut). Philipps des Zweiten, Königs in Spanien.

Ruysum. Unser allergnädigster König und Herr! Gott geb' ihm langes
Leben.

Soest. Hattet Ihr seinen Herrn Vater, Karl den Fünften, nicht lieber?

Ruysum. Gott tröst' ihn! Das war ein Herr! Er hatte die Hand über dem
ganzen Erdboden, und war euch alles in allem; und wenn er euch begegnete,
so grüßt' er euch, wie ein Nachbar den andern; und wenn ihr erschrocken
wart, wußt' er mit so guter Manier--Ja, versteht mich--Er ging aus, ritt
aus, wie's ihm einkam, gar mit wenig Leuten. Haben wir doch alle geweint,
wie er seinem Sohn das Regiment hier abtrat--sagt' ich, versteht
mich--der ist schon anders, der ist majestätischer.

Jetter. Er ließ sich nicht sehen, da er hier war, als in Prunk und
königlichem Staate. Er spricht wenig, sagen die Leute.

Soest. Es ist kein Herr für uns Niederländer. Unsre Fürsten müssen froh
und frei sein wie wir, leben und leben lassen. Wir wollen nicht
verachtet noch gedruckt sein, so gutherzige Narren wir auch sind.

Jetter. Der König, denk' ich, wäre wohl ein gnädiger Herr, wenn er nur
bessere Ratgeber hätte.

Soest. Nein, nein! Er hat kein Gemüt gegen uns Niederländer, sein Herz
ist dem Volke nicht geneigt, er liebt uns nicht; wie können wir ihn
wieder lieben? Warum ist alle Welt dem Grafen Egmont so hold? Warum
trügen wir ihn alle auf den Händen? Weil man ihm ansieht, daß er uns
wohl will; weil ihm die Fröhlichkeit, das freie Leben, die gute Meinung
aus den Augen sieht; weil er nichts besitzt, das er dem Dürftigen nicht
mitteilte, auch dem, der's nicht bedarf. Laßt den Grafen Egmont leben!
Buyck, an Euch ist's, die erste Gesundheit zu bringen! Bringt Eures
Herrn Gesundheit aus.

Buyck. Von ganzer Seele denn: Graf Egmont hoch!

Ruysum. Überwinder bei St. Quintin!

Buyck. Dem Helden von Gravelingen!

Alle. Hoch!

Ruysum. St. Quintin war meine letzte Schlacht. Ich konnte kaum mehr
fort, kaum die schwere Büchse mehr schleppen. Hab' ich doch den
Franzosen noch eins auf den Pelz gebrennt, und da kriegt' ich zum
Abschied noch einen Streifschuß ans rechte Bein.

Buyck. Gravelingen! Freunde! da ging's frisch! Den Sieg haben wir
allein. Brannten und sengten die welschen Hunde nicht durch ganz
Flandern? Aber ich mein', wir trafen sie! Ihre alten handfesten Kerle
hielten lange wider, und wir drängten und schossen und hieben, daß sie
die Mäuler verzerrten und ihre Linien zuckten. Da ward Egmont das Pferd
unter dem Leibe niedergeschossen, und wir stritten lange hinüber herüber,
Mann für Mann, Pferd gegen Pferd, Haufe mit Haufe, auf dem breiten
flachen Sand an der See hin. Auf einmal kam's, wie vom Himmel herunter,
von der Mündung des Flusses, bav! bau! immer mit Kanonen in die
Franzosen drein. Es waren Engländer, die unter dem Admiral Malin von
ungefähr von Dünkirchen her vorbeifuhren. Zwar viel halfen sie uns nicht;
sie konnten nur mit den kleinsten Schiffen herbei, und das nicht nah
genug; schossen auch wohl unter uns--Es that doch gut! Es brach die
Welschen und hob unsern Mut. Da ging's! Rick! rack! herüber, hinüber!
Alles tot geschlagen, alles ins Wasser gesprengt. Und die Kerle
ersoffen, wie sie das Wasser schmeckten; und was wir Holländer waren,
gerad hinten drein. Uns, die wir beidlebig sind, ward erst wohl im
Wasser, wie den Fröschen; und immer die Feinde im Fluß zusammengehauen,
weggeschossen wie die Enten. Was nun noch durchbrach, schlugen euch auf
der Flucht die Bauerweiber mit Hacken und Mistgabeln tot. Mußte doch die
welsche Majestät gleich das Pfötchen reichen und Friede machen. Und den
Frieden seid ihr uns schuldig, dem großen Egmont schuldig.

Alle. Hoch! dem großen Egmont hoch! und abermal hoch! und abermal
hoch!

Jetter. Hätte man uns den statt der Margarete von Parma zum Regenten
gesetzt!

Soest. Nicht so! Wahr bleibt wahr! Ich lasse mir Margareten nicht
schelten. Nun ist's an mir. Es lebe unsre gnäd'ge Frau!

Alle. Sie lebe!

Soest. Wahrlich, treffliche Weiber sind in dem Hause. Die Regentin lebe!

Jetter. Klug ist sie, und mäßig in allem, was sie thut; hielte sie's nur
nicht so steif und fest mit den Pfaffen. Sie ist doch auch mit schuld,
daß wir die vierzehn neuen Bischofsmützen im Lande haben. Wozu die nur
sollen? Nicht wahr, daß man Fremde in die guten Stellen einschieben kann,
wo sonst Äbte aus den Kapiteln gewählt wurden? Und wir sollen glauben,
es sei um der Religion willen. Ja, es hat sich. An drei Bischöfen
hatten wir genug: da ging's ehrlich und ordentlich zu. Nun muß doch auch
jeder thun, als ob er nötig wäre; und da setzt's allen Augenblick Verdruß
und Händel. Und je mehr ihr das Ding rüttelt und schüttelt, desto trüber
wird's. (Sie trinken.)

Soest. Das war nun des Königs Wille; sie kann nichts davon, noch dazu
thun.

Jetter. Da sollen wir nun die neuen Psalmen nicht singen. Sie sind
wahrlich gar schön in Reimen gesetzt, und haben recht erbauliche Weisen.
Die sollen wir nicht singen; aber Schelmenlieder, soviel wir wollen. Und
warum? Es seien Ketzereien drin, sagen sie, und Sachen, Gott weiß. Ich
hab' ihrer doch auch gesungen; es ist jetzt was Neues, ich hab' nichts
drin gesehen.

Buyck. Ich wollte sie fragen! In unsrer Provinz singen wir, was wir
wollen. Das macht, daß Graf Egmont unser Statthalter ist; der fragt nach
so etwas nicht.--In Gent, Ypern, durch ganz Flandern singt sie, wer
Belieben hat. (Laut.) Es ist ja wohl nichts unschuldiger, als ein
geistlich Lied? Nicht wahr, Vater?

Ruysum. Ei wohl! Es ist ja ein Gottesdienst, eine Erbauung.

Jetter. Sie sagen aber, es sei nicht auf die rechte Art, nicht auf ihre
Art; und gefährlich ist's doch immer, da läßt man's lieber sein. Die
Inquisitionsdiener schleichen herum und passen auf; mancher ehrliche Mann
ist schon unglücklich geworden! Der Gewissenszwang fehlte noch! Da ich
nicht thun darf, was ich möchte, können sie mich doch denken und singen
lassen, was ich will.

Soest. Die Inquisition kommt nicht auf. Wir sind nicht gemacht, wie die
Spanier, unser Gewissen tyrannisieren zu lassen. Und der Adel muß auch
beizeiten suchen, ihr die Flügel zu beschneiden.

Jetter. Es ist sehr fatal. Wenn's den lieben Leuten einfällt, in mein
Haus zu stürmen, und ich sitz' an meiner Arbeit und summe just einen
französischen Psalm und denke nichts dabei, weder Gutes noch Böses; ich
summe ihn aber, weil er mir in der Kehle ist; gleich bin ich ein Ketzer
und werde eingesteckt. Oder ich gehe über Land, und bleibe bei einem
Haufen Volks stehen, das einem neuen Prediger zuhört, einem von denen,
die aus Deutschland gekommen sind; auf der Stelle heiß' ich ein Rebell
und komme in Gefahr, meinen Kopf zu verlieren. Habt ihr je einen
predigen hören?

Soest. Wackre Leute. Neulich hört' ich einen auf dem Felde vor tausend
und tausend Menschen sprechen. Das war ein ander Geköch, als wenn unsre
auf der Kanzel herumtrommeln und die Leute mit lateinischen Brocken
erwürgen. Der sprach von der Leber weg; sagte, wie sie uns bisher hätten
bei der Nase herumgeführt, uns in der Dummheit erhalten, und wie wir mehr
Erleuchtung haben könnten.--Und das bewies er euch alles aus der Bibel.

Jetter. Da mag doch auch was dran sein. Ich sagt's immer selbst, und
grübelte so über die Sache nach. Mir ist's lang im Kopf herumgegangen.

Buyck. Es läuft ihnen auch alles Volk nach.

Soest. Das glaub' ich, wo man was Gutes hören kann und was Neues.

Jetter. Und was ist's denn nun? Man kann ja einen jeden predigen lassen
nach seiner Weise.

Buyck. Frisch, ihr Herren! Über dem Schwätzen vergeßt ihr den Wein und
Oranien.

Jetter. Den nicht zu vergessen! Das ist ein rechter Wall: wenn man nur
an ihn denkt, meint man gleich, man könne sich hinter ihn verstecken, und
der Teufel brächte einen nicht hervor. Hoch! Wilhelm von Oranien, hoch!

Alle. Hoch! hoch!

Soest. Nun, Alter, bring' auch deine Gesundheit.

Ruysum. Alte Soldaten! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!

Buyck. Bravo, Alter! Alle Soldaten! Es lebe der Krieg!

Jetter. Krieg! Krieg! Wißt ihr auch, was ihr ruft? Daß es euch leicht
vom Munde geht, ist wohl natürlich; wie lumpig aber unser einem dabei zu
Mute ist, kann ich nicht sagen. Das ganze Jahr das Getrommel zu hören,
und nichts zu hören, als wie da ein Haufen gezogen kommt und dort ein
andrer, wie sie über einen Hügel kamen und bei einer Mühle hielten,
wieviel da geblieben sind, wieviel dort, und wie sie sich drängen, und
einer gewinnt, der andere verliert, ohne daß man sein Tage begreift, wer
was gewinnt oder verliert. Wie eine Stadt eingenommen wird, die Bürger
ermordet werden, und wie's den armen Weibern, den unschuldigen Kindern
ergeht. Das ist eine Not und Angst, man denkt jeden Augenblick: "Da
kommen sie! Es geht uns auch so."

Soest. Drum muß auch ein Bürger immer in Waffen geübt sein.

Jetter. Ja, es übt sich, wer Frau und Kinder hat. Und doch hör' ich
noch lieber von Soldaten, als ich sie sehe.

Buyck. Das sollt' ich übel nehmen.

Jetter. Auf Euch ist's nicht gesagt, Landsmann. Wie wir die spanischen
Besatzungen los waren, holten wir wieder Atem.

Soest. Gelt! die lagen dir am schwersten auf?

Jetter. Vexier Er sich.

Soest. Die hatten scharfe Einquartierung bei dir.

Jetter. Halt dein Maul.

Soest. Sie hatten ihn vertrieben aus der Küche, dem Keller, der
Stube--dem Bette. (Sie lachen.)

Jetter. Du bist ein Tropf.

Buyck. Friede, ihr Herren! Muß der Soldat Friede rufen?--Nun, da ihr
von uns nichts hören wollt, nun bringt auch eure Gesundheit aus, eine
bürgerliche Gesundheit.

Jetter. Dazu sind wir bereit! Sicherheit und Ruhe!

Soest. Ordnung und Freiheit!

Buyck. Brav! das sind auch wir zufrieden.

(Sie stoßen an und wiederholen fröhlich die Worte, doch so, daß jeder ein
anders ausruft, und es eine Art Kanon wird. Der Alte horcht und fällt
endlich auch mit ein.)

Alle. Sicherheit und Ruhe! Ordnung und Freiheit!


Palast der Regentin.

Margarete von Parma in Jagdkleidern. Hofleute. Pagen. Bediente.

Regentin. Ihr stellt das Jagen ab, ich werde heut' nicht reiten. Sagt
Machiavellen, er soll zu mir kommen. (Alle gehen ab.) Der Gedanke an
diese schrecklichen Begebenheiten läßt mir keine Ruhe! Nichts kann mich
ergötzen, nichts mich zerstreuen; immer sind diese Bilder, diese Sorgen
vor mir. Nun wird der König sagen, dies sei'n die Folgen meiner Güte,
meiner Nachsicht; und doch sagt mir mein Gewissen jeden Augenblick, das
Rätlichste, das Beste gethan zu haben. Sollte ich früher mit dem Sturme
des Grimmes diese Flammen anfachen und umhertreiben? Ich hoffte sie zu
umstellen, sie in sich selbst zu verschütten. Ja, was ich mir selbst
sage, was ich wohl weiß, entschuldigt mich vor mir selbst; aber wie wird
es mein Bruder aufnehmen? Denn, ist es zu leugnen? Der Übermut der
fremden Lehrer hat sich täglich erhöht; sie haben unser Heiligtum
gelästert, die stumpfen Sinne des Pöbels zerrüttet und den Schwindelgeist
unter sie gebannt. Unreine Geister haben sich unter die Aufrührer
gemischt, und schreckliche Thaten sind geschehen, die zu denken
schauderhaft ist und die ich nun einzeln nach Hofe zu berichten habe,
schnell und einzeln, damit mir der allgemeine Ruf nicht zuvorkomme, damit
der König nicht denke, man wolle noch mehr verheimlichen. Ich sehe kein
Mittel, weder strenges noch gelindes, dem Übel zu steuern. O was sind wir
Großen auf der Woge der Menschheit? Wir glauben sie zu beherrschen, und
sie treibt uns auf und nieder, hin und her.

(Machiavell tritt auf.)

Regentin. Sind die Briefe an den König aufgesetzt?

Machiavell. In einer Stunde werdet Ihr sie unterschreiben können.

Regentin. Habt Ihr den Bericht ausführlich genug gemacht?

Machiavell. Ausführlich und umständlich, wie es der König liebt. Ich
erzähle, wie zuerst um St. Omer die bilderstürmerische Wut sich zeigt.
Wie eine rasende Menge, mit Stäben, Beilen, Hämmern, Leitern, Stricken
versehen, von wenig Bewaffneten begleitet, erst Kapellen, Kirchen und
Klöster anfallen, die Andächtigen verjagen, die verschlossenen Pforten
aufbrechen, alles umkehren, die Altäre niederreißen, die Statuen der
Heiligen zerschlagen, alle Gemälde verderben, alles, was sie nur
Geweihtes, Geheiligtes antreffen, zerschmettern, zerreißen, zertreten.
Wie sich der Haufe unterwegs vermehrt, die Einwohner von Ypern ihnen die
Thore eröffnen. Wie sie den Dom mit unglaublicher Schnelle verwüsten,
die Bibliothek des Bischofs verbrennen. Wie eine große Menge Volks, von
gleichem Unsinn ergriffen, sich über Menin, Comines, Verwich, Lille
verbreitet, nirgend Widerstand findet, und wie fast durch ganz Flandern
in einem Augenblicke die ungeheure Verschwörung sich erklärt und
ausgeführt ist.

Regentin. Ach, wie ergreift mich aufs neue der Schmerz bei deiner
Wiederholung! Und die Furcht gesellt sich dazu, das Übel werde nur
größer und größer werden. Sagt mir Eure Gedanken, Machiavell!

Machiavell. Verzeihen Eure Hoheit, meine Gedanken sehen Grillen so
ähnlich; und wenn Ihr auch immer mit meinen Diensten zufrieden wart, habt
Ihr doch selten meinem Rat folgen mögen. Ihr sagtet oft im Scherze: "Du
siehst zu weit, Machiavell! Du solltest Geschichtschreiber sein. Wer
handelt, muß fürs Nächste sorgen." Und doch, habe ich diese Geschichte
nicht voraus erzählt? Hab' ich nicht alles voraus gesehen?

Regentin. Ich sehe auch viel voraus, ohne es ändern zu können.

Machiavell. Ein Wort für tausend: Ihr unterdrückt die neue Lehre nicht!
Laßt sie gelten, sondert sie von den Rechtgläubigen, gebt ihnen Kirchen,
faßt sie in die bürgerliche Ordnung, schränkt sie ein; und so habt Ihr
die Aufrührer auf einmal zur Ruhe gebracht. Jede andern Mittel sind
vergeblich, und Ihr verheert das Land.

Regentin. Hast du vergessen, mit welchem Abscheu mein Bruder selbst die
Frage verwarf, ob man die neue Lehre dulden könne? Weißt du nicht, wie
er mir in jedem Briefe die Erhaltung des wahren Glaubens aufs eifrigste
empfiehlt? daß er Ruhe und Einigkeit auf Kosten der Religion nicht
hergestellt wissen will? Hält er nicht selbst in den Provinzen Spione,
die wir nicht kennen, um zu erfahren, wer sich zu der neuen Meinung
hinüberneigt? Hat er nicht zu unsrer Verwunderung uns diesen und jenen
genannt, der sich in unsrer Nähe heimlich der Ketzerei schuldig machte?
Befiehlt er nicht Strenge und Schärfe? Und ich soll gelind sein? Ich
soll Vorschläge thun, daß er nachsehe, daß er dulde? Würde ich nicht
alles Vertrauen, allen Glauben bei ihm verlieren?

Machiavell. Ich weiß wohl; der König befiehlt, er läßt Euch seine
Absichten wissen. Ihr sollt Ruhe und Friede wieder herstellen durch ein
Mittel, das die Gemüter noch mehr erbittert, das den Krieg unvermeidlich
an allen Enden anblasen wird. Bedenkt, was Ihr thut! Die größten
Kaufleute sind angesteckt, der Adel, das Volk, die Soldaten. Was hilft
es, auf seinen Gedanken beharren, wenn sich um uns alles ändert? Möchte
doch ein guter Geist Philippen eingeben, daß es einem Könige anständiger
ist, Bürger zweierlei Glaubens zu regieren, als sie durch einander
aufzureiben.

Regentin. Solch ein Wort nie wieder! Ich weiß wohl, daß Politik selten
Treu' und Glauben halten kann, daß sie Offenheit, Gutherzigkeit,
Nachgiebigkeit aus unsern Herzen ausschließt. In weltlichen Geschäften
ist das leider nur zu wahr; sollen wir aber auch mit Gott spielen, wie
unter einander? Sollen wir gleichgültig gegen unsere bewährte Lehre sein,
für die so viele ihr Leben aufgeopfert haben? Die sollten wir hingeben
an hergelaufne, ungewisse, sich selbst widersprechende Neuerungen?

Machiavell. Denkt nur deswegen nicht übler von mir.

Regentin. Ich kenne dich und deine Treue, und weiß, daß einer ein
ehrlicher und verständiger Mann sein kann, wenn er gleich den nächsten,
besten Weg zum Heil seiner Seele verfehlt hat. Es sind noch andere,
Machiavell, Männer, die ich schätzen und tadeln muß.

Machiavell. Wen bezeichnet Ihr mir?

Regentin. Ich kann es gestehen, daß mir Egmont heute einen recht
innerlichen, tiefen Verdruß erregte.

Machiavell. Durch welches Betragen?

Regentin. Durch sein gewöhnliches, durch Gleichgültigkeit und Leichtsinn.
Ich erhielt die schreckliche Botschaft, eben als ich, von vielen und
ihm begleitet, aus der Kirche ging. Ich hielt meinen Schmerz nicht an,
ich beklagte mich laut und rief, indem ich mich zu ihm wendete: "Seht,
was in Eurer Provinz entsteht! Das duldet Ihr, Graf, von dem der König
sich alles versprach?"

Machiavell. Und was antwortete er?

Regentin. Als wenn es nichts, als wenn es eine Nebensache wäre,
versetzte er: Wären nur erst die Niederländer über ihre Verfassung
beruhigt! Das übrige würde sich leicht geben.

Machiavell. Vielleicht hat er wahrer als klug und fromm gesprochen. Wie
soll Zutrauen entstehen und bleiben, wenn der Niederländer sieht, daß es
mehr um seine Besitztümer als um sein Wohl, um seiner Seele Heil zu thun
ist? Haben die neuen Bischöfe mehr Seelen gerettet als fette Pfründen
geschmaust, und sind es nicht meist Fremde? Noch werden alle
Statthalterschaften mit Niederländern besetzt; lassen sich es die Spanier
nicht zu deutlich merken, daß sie die größte, unwiderstehlichste Begierde
nach diesen Stellen empfinden? Will ein Volk nicht lieber nach seiner
Art von den Seinigen regieret werden, als von Fremden, die erst im Lande
sich wieder Besitztümer auf Unkosten aller zu erwerben suchen, die einen
fremden Maßstab mitbringen und unfreundlich und ohne Teilnehmung
herrschen?

Regentin. Du stellst dich auf die Seite der Gegner.

Machiavell. Mit dem Herzen gewiß nicht; und wollte, ich könnte mit dem
Verstande ganz auf der unsrigen sein.

Regentin. Wenn du so willst, so thät' es not, ich träte ihnen meine
Regentschaft ab; denn Egmont und Oranien machten sich große Hoffnung,
diesen Platz einzunehmen. Damals waren sie Gegner; jetzt sind sie gegen
mich verbunden, sind Freunde, unzertrennliche Freunde geworden.

Machiavell. Ein gefährliches Paar.

Regentin. Soll ich aufrichtig reden, ich fürchte Oranien, und ich
fürchte für Egmont. Oranien sinnt nichts Gutes, seine Gedanken reichen
in die Ferne, er ist heimlich, scheint alles anzunehmen, widerspricht nie,
und in tiefster Ehrfurcht, mit größter Vorsicht thut er, was ihm beliebt.

Machiavell. Recht im Gegenteil geht Egmont einen freien Schritt, als
wenn die Welt ihm gehörte.

Regentin. Er trägt das Haupt so hoch, als wenn die Hand der Majestät
nicht über ihm schwebte.

Machiavell. Die Augen des Volks sind alle nach ihm gerichtet, und die
Herzen hängen an ihm.

Regentin. Nie hat er einen Schein vermieden; als wenn niemand
Rechenschaft von ihm zu fordern hätte. Noch trägt er den Namen Egmont.
Graf Egmont freut ihn sich nennen zu hören; als wollte er nicht vergessen,
daß seine Vorfahren Besitzer von Geldern waren. Warum nennt er sich
nicht Prinz von Gaure, wie es ihm zukommt? Warum thut er das? Will er
erloschne Rechte wieder geltend machen?

Machiavell. Ich halte ihn für einen treuen Diener des Königs.

Regentin. Wenn er wollte, wie verdient könnte er sich um die Regierung
machen, anstatt daß er uns schon, ohne sich zu nutzen, unsäglichen
Verdruß gemacht hat. Seine Gesellschaften, Gastmahle und Gelage haben
den Adel mehr verbunden und verknüpft als die gefährlichsten heimlichen
Zusammenkünfte. Mit seinen Gesundheiten haben die Gäste einen dauernden
Rausch, einen nie sich verziehenden Schwindel geschöpft. Wie oft setzt
er durch seine Scherzreden die Gemüter des Volks in Bewegung, und wie
stutzte der Pöbel über die neuen Livreen, über die thörichten Abzeichen
der Bedienten!

Machiavell. Ich bin überzeugt, es war ohne Absicht.

Regentin. Schlimm genug. Wie ich sage: er schadet uns und nützt sich
nicht. Er nimmt das Ernstliche scherzhaft, und wir, um nicht müßig und
nachlässig zu scheinen, müssen das Scherzhafte ernstlich nehmen. So
hetzt eins das andre; und was man abzuwenden sucht, das macht sich erst
recht. Er ist gefährlicher als ein entschiednes Haupt einer Verschwörung;
und ich müßte mich sehr irren, wenn man ihm bei Hofe nicht alles gedenkt.
Ich kann nicht leugnen, es vergeht wenig Zeit, daß er mich nicht
empfindlich, sehr empfindlich macht.

Machiavell. Er scheint mir in allem nach seinem Gewissen zu handeln.

Regentin. Sein Gewissen hat einen gefälligen Spiegel. Sein Betragen ist
oft beleidigend. Er sieht oft aus, als wenn er in der völligen
Überzeugung lebe, er sei Herr, und wolle es uns nur aus Gefälligkeit
nicht fühlen lassen, wolle uns so gerade nicht zum Lande hinausjagen; es
werde sich schon geben.

Machiavell. Ich bitte Euch, legt seine Offenheit, sein glückliches Blut,
das alles Wichtige leicht behandelt, nicht zu gefährlich aus. Ihr schadet
nur ihm und Euch.

Regentin. Ich lege nichts aus; ich spreche nur von den unvermeidlichen
Folgen, und ich kenne ihn. Sein niederländischer Adel und sein golden
Vließ vor der Brust stärken sein Vertrauen, seine Kühnheit. Beides kann
ihn vor einem schnellen, willkürlichen Unmut des Königs schützen.
Untersuch' es genau; an dem ganzen Unglück, das Flandern trifft, ist er
doch nur allein schuld. Er hat zuerst den fremden Lehrern nachgesehn,
hat's so genau nicht genommen, und vielleicht sich heimlich gefreut, daß
wir etwas zu schaffen hatten. Laß mich nur! Was ich auf dem Herzen habe,
soll bei dieser Gelegenheit davon. Und ich will die Pfeile nicht
umsonst verschießen; ich weiß, wo er empfindlich ist. Er ist auch
empfindlich.

Machiavell. Habt Ihr den Rat zusammenberufen lassen? Kommt Oranien
auch?

Regentin. Ich habe nach Antwerpen um ihn geschickt. Ich will ihnen die
Last der Verantwortung nahe genug zuwälzen; sie sollen sich mit mir dem
Übel ernstlich entgegensetzen oder sich auch als Rebellen erklären. Eile,
daß die Briefe fertig werden, und bringe mir sie zur Unterschrift. Dann
sende schnell den bewährten Vaska nach Madrid; er ist unermüdet und treu;
daß mein Bruder zuerst durch ihn die Nachricht erfahre, daß der Ruf ihn
nicht übereile. Ich will ihn selbst noch sprechen, eh' er abgeht.

Machiavell. Eure Befehle sollen schnell und genau befolgt werden.


Bürgerhaus.

Klare. Klarens Mutter. Brackenburg.

Klare. Wollt Ihr mir nicht das Garn halten, Brackenburg?

Brackenburg. Ich bitt' Euch, verschont mich, Klärchen.

Klare. Was habt Ihr wieder? Warum versagt Ihr mir diesen kleinen
Liebesdienst?

Brackenburg. Ihr bannt mich mit dem Zwirn so fest vor Euch hin, ich kann
Euern Augen nicht ausweichen.

Klare. Grillen! kommt und haltet!

Mutter (im Sessel strickend). Singt doch eins! Brackenburg sekundiert
so hübsch. Sonst wart ihr lustig, und ich hatte immer was zu lachen.

Brackenburg. Sonst.

Klare. Wir wollen singen.

Brackenburg. Was Ihr wollt.

Klare. Nur hübsch munter und frisch weg! Es ist ein Soldatenliedchen,
mein Leibstück.

(Sie wickelt Garn und singt mit Brackenburg.)

Die Trommel gerühret!
Das Pfeifchen gespielt!
Mein Liebster gewaffnet
Dem Haufen befiehlt,
Die Lanze hoch führet,
Die Leute regieret.
Wie klopft mir das Herze!
Wie wallt mir das Blut!
O hätt' ich ein Wämslein
Und Hosen und Hut!
Ich folgt' ihm zum Thor 'naus
Mit mutigem Schritt,
Ging' durch die Provinzen,
Ging' überall mit.
Die Feinde schon weichen,
Wir schießen darein!
Welch Glück sondergleichen,
Ein Mannsbild zu sein!


(Brackenburg hat unter dem Singen Klärchen oft angesehen; zuletzt bleibt
ihm die Stimme stocken, die Thränen kommen ihm in die Augen, er läßt den
Strang fallen und geht ans Fenster. Klärchen singt das Lied allein aus,
die Mutter winkt ihr halb unwillig, sie steht auf, geht einige Schritte
nach ihm hin, kehrt halb unschlüssig wieder um und setzt sich.)

Mutter. Was giebt's auf der Gasse, Brackenburg? Ich höre marschieren.

Brackenburg. Es ist die Leibwache der Regentin.

Klare. Um diese Stunde? Was soll das bedeuten? (Sie steht auf und geht
an das Fenster zu Brackenburg.) Das ist nicht die tägliche Wache, das
sind weit mehr! Fast alle ihre Haufen. O Brackenburg, geht! hört einmal,
was es giebt? Es muß etwas Besonderes sein. Geht, guter Brackenburg,
thut mir den Gefallen.

Brackenburg. Ich gehe! Ich bin gleich wieder da! (Er reicht ihr
abgehend die Hand; sie gibt ihm die ihrige.)

Mutter. Du schickst ihn schon wieder weg.

Klare. Ich bin neugierig. Und auch, verdenkt mir's nicht, seine
Gegenwart thut mir weh. Ich weiß immer nicht, wie ich mich gegen ihn
betragen soll. Ich habe Unrecht gegen ihn, und mich nagt's am Herzen,
daß er es so lebendig fühlt.--Kann ich's doch nicht ändern!

Mutter. Es ist ein so treuer Bursche.

Klare. Ich kann's auch nicht lassen, ich muß ihm freundlich begegnen.
Meine Hand drückt sich oft unversehens zu, wenn die seine mich so leise,
so liebevoll anfaßt. Ich mache mir Vorwürfe, daß ich ihn betrüge, daß
ich in seinem Herzen eine vergebliche Hoffnung nähre. Ich bin übel dran.
Weiß Gott, ich betrüg' ihn nicht. Ich will nicht, daß er hoffen soll,
und ich kann ihn doch nicht verzweifeln lassen.

Mutter. Das ist nicht gut.

Klare. Ich hatte ihn gern und will ihm auch noch wohl in der Seele. Ich
hätte ihn heiraten können, und glaube, ich war nie in ihn verliebt.

Mutter. Glücklich wärst du immer mit ihm gewesen.

Klare. Wäre versorgt und hätte ein ruhiges Leben.

Mutter. Und das ist alles durch deine Schuld verscherzt.

Klare. Ich bin in einer wunderlichen Lage. Wenn ich so nachdenke, wie
es gegangen ist, weiß ich's wohl und weiß es nicht. Und dann darf ich
Egmont nur wieder ansehen, wird mir alles sehr begreiflich, ja, wäre mir
weit mehr begreiflich. Ach, was ist's ein Mann! Alle Provinzen beten
ihn an, und ich in seinem Arm sollte nicht das glücklichste Geschöpf von
der Welt sein?

Mutter. Wie wird's in der Zukunft werden?

Klare. Ach, ich frage nur, ob er mich liebt; und ob er mich liebt, ist
das eine Frage?

Mutter. Man hat nichts als Herzensangst mit seinen Kindern. Wie das
ausgehen wird? Immer Sorge und Kummer! Es geht nicht gut aus! Du hast
dich unglücklich gemacht! mich unglücklich gemacht.

Klare (gelassen). Ihr ließet es doch im Anfange.

Mutter. Leider war ich zu gut, bin immer zu gut.

Klare. Wenn Egmont vorbeiritt und ich ans Fenster lief, schaltet Ihr
mich da? Tratet Ihr nicht selbst ans Fenster? Wenn er heraufsah,
lächelte, nickte, mich grüßte, war es Euch zuwider? Fandet Ihr Euch
nicht selbst in Eurer Tochter geehrt?

Mutter. Mache mir noch Vorwürfe.

Klare (gerührt). Wenn er nun öfter die Straße kam und wir wohl fühlten,
daß er um meinetwillen den Weg machte, bemerktet Ihr's nicht selbst mit
heimlicher Freude? Rieft Ihr mich ab, wenn ich hinter den Scheiben stand
und ihn erwartete?

Mutter. Dachte ich, daß es so weit kommen sollte?

Klare (mit stockender Stimme und zurückgehaltenen Thränen). Und wie er
uns abends, in den Mantel eingehüllt, bei der Lampe überraschte, wer war
geschäftig, ihn zu empfangen, da ich auf meinem Stuhl wie angekettet und
staunend sitzen blieb?

Mutter. Und konnte ich fürchten, daß diese unglückliche Liebe das kluge
Klärchen so bald hinreißen würde? Ich muß es nun tragen, daß meine
Tochter--

Klare (mit ausbrechenden Thränen). Mutter! Ihr wollt's nun! Ihr habt
Eure Freude, mich zu ängstigen.

Mutter (weinend). Weine noch gar! mache mich noch elender durch deine
Betrübnis! Ist mir's nicht Kummer genug, daß meine einzige Tochter ein
verworfenes Geschöpf ist?

Klare (aufstehend und kalt). Verworfen? Egmonts Geliebte verworfen?--
Welche Fürstin neidete nicht das arme Klärchen um den Platz an seinem
Herzen! O Mutter--meine Mutter, so redetet Ihr sonst nicht. Liebe
Mutter, seid gut! Das Volk, was das denkt, die Nachbarinnen, was die
murmeln--Diese Stube, dieses kleine Haus ist ein Himmel, seit Egmonts
Liebe drin wohnt.

Mutter. Man muß ihm hold sein! das ist wahr. Er ist immer so
freundlich, frei und offen.

Klare. Es ist keine falsche Ader an ihm. Seht, Mutter, und er ist doch
der große Egmont. Und wenn er zu mir kommt, wie er so lieb ist, so gut!
wie er mir seinen Stand, seine Tapferkeit gerne verbärge! wie er um mich
besorgt ist! so nur Mensch, nur Freund, nur Liebster.

Mutter. Kommt er wohl heute?

Klare. Habt Ihr mich nicht oft ans Fenster gehen sehn? Habt Ihr nicht
bemerkt, wie ich horche, wenn's an der Thür rauscht? Ob ich schon weiß,
daß er vor Nacht nicht kommt, vermut' ich ihn doch jeden Augenblick, von
morgens an, wenn ich aufstehe. Wär' ich nur ein Bube und könnte immer mit
ihm gehen, zu Hufe und überall hin! Könnt' ihm die Fahne nachtragen in
der Schlacht!--

Mutter. Du warst immer so ein Springinsfeld; als ein kleines Kind schon,
bald toll, bald nachdenklich. Ziehst du dich nicht
ein wenig besser an?

Klare. Vielleicht, Mutter! wenn ich Langeweile habe.--Gestern, denkt,
gingen von seinen Leuten vorbei und sangen Lobliedchen auf ihn.
Wenigstens war sein Name in den Liedern; das übrige konnt' ich nicht
verstehn. Das Herz schlug mir bis an den Hals.--Ich hätte sie gern
zurückgerufen, wenn ich mich nicht geschämt hätte.

Mutter, Nimm dich in acht! Dein heftiges Wesen verdirbt noch alles; du
verrätst dich offenbar vor den Leuten. Wie neulich bei dem Vetter, wie
du den Holzschnitt und die Beschreibung fandst und mit einem Schrei
riefst: Graf Egmont!--Ich ward feuerrot.

Klare. Hätt' ich nicht schreien sollen? Es war die Schlacht bei
Gravelingen; und ich finde oben im Bilde den Buchstaben C. und suche
unten in der Beschreibung C. Steht da: "Graf Egmont, dem das Pferd unter
dem Leibe totgeschossen wird." Mich überlief's--und hernach mußt ich
lachen über den holzgeschnitzten Egmont, der so groß war als der Turm von
Gravelingen gleich dabei und die englischen Schiffe an der Seite.--Wenn
ich mich manchmal erinnere, wie ich mir sonst eine Schlacht vorgestellt,
und was ich mir als Mädchen für ein Bild vom Grafen Egmont machte, wenn
sie von ihm erzählten, und von allen Grafen und Fürsten--und wie mir's
jetzt ist!

(Brackenburg kommt.)

Klare. Wie stehts?

Brackenburg. Man weiß nichts Gewisses. In Flandern soll neuerdings ein
Tumult entstanden sein; die Regentin soll besorgen, er möchte sich hieher
verbreiten. Das Schloß ist stark besetzt, die Bürger sind zahlreich an
den Thoren, das Volk summt in den Gassen.--Ich will nur schnell zu meinem
alten Vater. (Als wollt' er gehen.)

Klare. Sieht man Euch morgen? Ich will mich ein wenig anziehen. Der
Vetter kommt, und ich sehe gar zu liederlich aus. Helft mir einen
Augenblick, Mutter.--Nehmt das Buch mit, Brackenburg, und bringt mir
wieder so eine Historie.

Mutter. Lebt wohl!

Brackenburg (seine Hand reichend). Eure Hand!

Klare (ihre Hand versagend). Wenn Ihr wiederkommt.

(Mutter und Tochter ab.)

Brackenburg (allein). Ich hatte mir vorgenommen, gerade wieder
fortzugehn, und da sie es dafür aufnimmt und mich gehen läßt, möcht' ich
rasend werden.--Unglücklicher! und dich rührt deines Vaterlandes
Geschick nicht? der wachsende Tumult nicht?--und gleich ist dir
Landsmann oder Spanier, und wer regiert und wer Recht hat?--War ich doch
ein andrer Junge als Schulknabe!--Wenn da ein Exerzitium aufgegeben war:
"Brutus' Rede für die Freiheit, zur Übung der Redekunst"; da war doch
immer Fritz der erste, und der Rektor sagte: wenn's nur ordentlicher wäre,
nur nicht alles so über einander gestolpert.--Damals kocht' es und trieb!
--Jetzt schlepp' ich mich an den Augen des Mädchens so hin. Kann ich sie
doch nicht lassen! Kann sie mich doch nicht lieben!--Ach--Nein--Sie--Sie
kann mich nicht ganz verworfen haben.--Nicht ganz--und halb und nichts!
--Ich duld' es nicht länger!--Sollte es wahr sein, was mir ein Freund
neulich ins Ohr sagte? daß sie nachts einen Mann heimlich zu sich
einläßt, da sie mich züchtig immer vor Abend aus dem Hause treibt. Nein,
es ist nicht wahr, es ist eine Lüge, eine schändliche verleumderische
Lüge! Klärchen ist so unschuldig, als ich unglücklich bin.--Sie hat
mich verworfen, hat mich von ihrem Herzen gestoßen--Und ich soll so
fortleben? Ich duld', ich duld' es nicht.--Schon wird mein Vaterland von
innerm Zwiste heftiger bewegt, und ich sterbe unter dem Getümmel nur ab!
Ich duld' es nicht!--Wenn die Trompete klingt, ein Schuß fällt, mir
fährt's durch Mark und Bein! Ach, es reizt mich nicht, es fordert mich
nicht, auch mit einzugreifen, mit zu retten, zu wagen.--Elender,
schimpflicher Zustand! Es ist besser, ich end' auf einmal. Neulich
stürzt' ich mich ins Wasser, ich sank--aber die geängstete Natur war
stärker; ich fühlte, daß ich schwimmen konnte, und rettete mich wider
Willen.--Könnt' ich der Zeiten vergessen, da sie mich liebte, mich zu
lieben schien!--Warum hat mir's Mark und Bein durchdrungen, das Glück?
Warum haben mir diese Hoffnungen allen Genuß des Lebens aufgezehrt, indem
sie mir ein Paradies von weitem zeigten?--Und jener erste Kuß! Jener
einzige!--Hier (die Hand auf den Tisch legend), hier waren wir
allein--sie war immer gut und freundlich gegen mich gewesen--da schien
sie sich zu erweichen--sie sah mich an--alle Sinnen gingen mir um, und
ich fühlte ihre Lippen auf den meinigen.--Und--und nun?--Stirb, Armer!
Was zauderst du? (Er zieht ein Fläschchen aus der Tasche.) Ich will dich
nicht umsonst aus meines Bruders Doktorkästchen gestohlen haben,
heilsames Gift! Du sollst mir dieses Bangen, diese Schwindel, diese
Todesschweiße auf einmal verschlingen und lösen.



Zweiter Aufzug.


Platz in Brüssel.

Jetter und ein Zimmermeister treten zusammen.

Zimmermeister. Sagt' ich's nicht voraus? Noch vor acht Tagen auf der
Zunft sagt' ich, es würde schwere Händel geben.

Jetter. Ist's denn wahr, daß sie die Kirchen in Flandern geplündert
haben?

Zimmermeister. Ganz und gar zu Grunde gerichtet haben sie Kirchen und
Kapellen. Nichts als die vier nackten Wände haben sie stehen lassen.
Lauter Lumpengesindel! Und das macht unsre gute Sache schlimm. Wir
hätten eher, in der Ordnung, und standhaft, unsere Gerechtsame der
Regentin vortragen und drauf halten sollen. Reden wir jetzt, versammeln
wir uns jetzt, so heißt es, wir gesellen uns zu den Aufwieglern.

Jetter. Ja, so denkt jeder zuerst: was sollst du mit deiner Nase voran?
Hängt doch der Hals gar nah damit zusammen.

Zimmermeister. Mir ist's bange, wenn's einmal unter dem Pack zu lärmen
anfängt, unter dem Volk, das nichts zu verlieren hat. Die brauchen das
zum Vorwande, worauf wir uns auch berufen müssen, und bringen das Land in
Unglück. (Soest tritt dazu.)

Soest. Guten Tag, ihr Herrn! Was giebt's Neues? Ist's wahr, daß die
Bilderstürmer gerade hierher ihren Lauf nehmen?

Zimmermeister. Hier sollen sie nichts anrühren.

Soest. Es trat ein Soldat bei mir ein, Tobak zu kaufen; den fragt' ich
aus. Die Regentin, so eine wackre, kluge Frau sie bleibt, diesmal ist
sie außer Fassung. Es muß sehr arg sein, daß sie sich so geradezu hinter
ihre Wache versteckt. Die Burg ist scharf besetzt. Man meint sogar, sie
wolle aus der Stadt flüchten.

Zimmermeister. Hinaus soll sie nicht! Ihre Gegenwart beschützt uns, und
wir wollen ihr mehr Sicherheit verschaffen als ihre Stutzbärte. Und wenn
sie uns unsere Rechte und Freiheiten aufrecht erhält, so wollen wir sie
auf den Händen tragen.

(Seifensieder tritt dazu.)

Seifensieder. Garstige Händel! Üble Händel! Es wird unruhig und geht
schief aus!--Hütet euch, daß ihr stille bleibt, daß man euch nicht auch
für Aufwiegler hält.

Soest. Da kommen die sieben Weisen aus Griechenland.

Seifensieder. Ich weiß, da sind viele, die es heimlich mit den
Calvinisten halten, die auf die Bischöfe lästern, die den König nicht
scheuen. Aber ein treuer Unterthan, ein aufrichtiger Katholike--

(Es gesellt sich nach und nach allerlei Volk zu ihnen und horcht.)

(Vansen tritt dazu.)

Vansen. Gott grüß' euch Herren! Was Neues?

Zimmermeister. Gebt euch mit dem nicht ab, das ist ein schlechter Kerl.

Jetter. Ist es nicht der Schreiber beim Doktor Wiets?

Zimmermeister. Er hat schon viele Herren gehabt. Erst war er Schreiber,
und wie ihn ein Patron nach dem andern fortjagte, Schelmstreiche halber,
pfuscht er jetzt Notaren und Advokaten ins Handwerk, und ist ein
Branntweinzapf.

(Es kommt mehr Volk zusammen und steht truppweise.)

Vansen. Ihr seid auch versammelt, steckt die Köpfe zusammen. Es ist
immer redenswert,

Soest. Ich denk' auch.

Vansen. Wenn jetzt einer oder der andere Herz hätte, und einer oder der
andere den Kopf dazu, wir könnten die spanischen Ketten auf einmal
sprengen.

Soest. Herre! So müßt Ihr nicht reden. Wir haben dem König geschworen.

Vansen. Und der König uns. Merkt das.

Jetter. Das läßt sich hören! Sagt Eure Meinung!

Einige andere. Horch, der versteht's! Der hat Pfiffe.

Vansen. Ich hatte einen alten Patron, der besaß Pergamente und Briefe
von uralten Stiftungen, Kontrakten und Gerechtigkeiten; er hielt auf die
rarsten Bücher. In einem stand unsere ganze Verfassung: wie uns
Niederländer zuerst einzelne Fürsten regierten, alles nach hergebrachten
Rechten, Privilegien und Gewohnheiten; wie unsre Vorfahren alle Ehrfurcht
für ihren Fürsten gehabt, wenn er sie regiert, wie er sollte; und wie sie
sich gleich vorsahen, wenn er über die Schnur hauen wollte. Die Staaten
waren gleich hinterdrein; denn jede Provinz, so klein sie war, hatte ihre
Staaten, ihre Landstände.

Zimmermeister. Haltet Euer Maul! das weiß man lange! Ein jeder
rechtschaffene Bürger ist, so viel er braucht, von der Verfassung
unterrichtet.

Jetter. Laßt ihn reden; man erfährt immer etwas mehr.

Soest. Er hat ganz recht.

Mehrere. Erzählt! erzählt! So was hört man
nicht alle Tage.

Vansen. So seid ihr Bürgersleute! Ihr lebt nur so in den Tag hin; und
wie ihr euer Gewerb von euern Eltern überkommen habt, so laßt ihr auch
das Regiment über euch schalten und walten, wie es kann und mag. Ihr
fragt nicht nach dem Herkommen, nach der Historie, nach dem Recht eines
Regenten; und über das Versäumnis haben euch die Spanier das Netz über
die Ohren gezogen.

Soest. Wer denkt da dran? Wenn einer nur das tägliche Brot hat!

Jetter. Verflucht! Warum tritt auch keiner in Zeiten auf und sagt einem
so etwas?

Vansen. Ich sag' es euch jetzt. Der König in Spanien, der die Provinzen
durch gut Glück zusammen besitzt, darf doch nicht drin schalten und
walten, anders als die kleinen Fürsten, die sie ehemals einzeln besaßen.
Begreift ihr das?

Jetter. Erklärt's uns.

Vansen. Es ist so klar als die Sonne. Müßt ihr nicht nach euern
Landrechten gerichtet werden? Woher käme das?

Ein Bürger. Wahrlich.

Vansen. Hat der Brüsseler nicht ein ander Recht als der Antwerper? der
Antwerper als der Genter? Woher käme denn das?

Anderer Bürger. Bei Gott!

Vansen. Aber, wenn ihr's so fortlaufen laßt, wird man's euch bald anders
weisen. Pfui! Was Karl der Kühne, Friedrich der Krieger, Karl der
Fünfte nicht konnten, das thut nun Philipp durch ein Weib.

Soest. Ja, ja! Die alten Fürsten haben's auch schon probiert.

Vansen. Freilich!--Unsere Vorfahren paßten auf. Wie sie einem Herrn
gram wurden, fingen sie ihm etwa seinen Sohn und Erben weg, hielten ihn
bei sich, und gaben ihn nur auf die besten Bedingungen heraus. Unsere
Väter waren Leute! Die wußten was ihnen nütz war! Die wußten etwas zu
fassen und fest zu setzen! Rechte Männer! Dafür sind aber auch unsere
Privilegien so deutlich, unsere Freiheiten so versichert.

Seifensieder. Was sprecht Ihr von Freiheiten?

Das Volk. Von unsern Freiheiten, von unsern Privilegien! Erzählt noch
was von unsern Privilegien!

Vansen. Wir Brabanter besonders, obgleich alle Provinzen ihre Vorteile
haben, wir sind am herrlichsten versehen. Ich habe alles gelesen.

Soest. Sagt an.

Jetter. Laßt hören.

Ein Bürger. Ich bitt' Euch.

Vansen. Erstlich steht geschrieben: Der Herzog von Brabant soll uns ein
guter und getreuer Herr sein.

Soest. Gut! Steht das so?

Jetter. Getreu? Ist das wahr?

Vansen. Wie ich euch sage. Er ist uns verpflichtet, wie wir ihm.
Zweitens: Er soll keine Macht oder eignen Willen an uns beweisen, merken
lassen, oder gedenken zu gestatten, auf keinerlei Weise.

Jetter. Schön! Schön! nicht beweisen.

Soest. Nicht merken lassen.

Ein anderer. Und nicht gedenken zu gestatten! Das ist der Hauptpunkt.
Niemanden gestatten, auf keinerlei Weise.

Vansen. Mit ausdrücklichen Worten.

Jetter. Schafft uns das Buch.

Ein Bürger. Ja, wir müssen's haben.

Andere. Das Buch! das Buch!

Ein anderer. Wir wollen zu der Regentin gehen mit dem Buche.

Ein anderer. Ihr sollt das Wort führen, Herr Doktor.

Seifensieder. O die Tröpfe!

Andere. Noch etwas aus dem Buche!

Seifensieder. Ich schlage ihm die Zähne in den Hals, wenn er noch ein
Wort sagt.

Das Volk. Wir wollen sehen, wer ihm etwas thut. Sagt uns was von den
Privilegien! Haben wir noch mehr Privilegien?

Vansen. Mancherlei, und sehr gute, sehr heilsame. Da steht auch: Der
Landsherr soll den geistlichen Stand nicht verbessern oder mehren, ohne
Verwilligung des Adels und der Stände! Merkt das! Auch den Staat des
Landes nicht verändern.

Soest. Ist das so?

Vansen. Ich will's euch geschrieben zeigen von zwei-, dreihundert Jahren
her.

Bürger. Und wir leiden die neuen Bischöfe? Der Adel muß uns schützen,
wir fangen Händel an!

Andere. Und wir lassen uns von der Inquisition ins Bockshorn jagen?

Vansen. Das ist eure Schuld.

Das Volk. Wir haben noch Egmont! noch Oranien! Die sorgen für unser
Bestes.

Vansen. Eure Brüder in Flandern haben das gute Werk angefangen.

Seifensieder. Du Hund! (Er schlägt ihn.)

Andere (widersetzen sich und rufen). Bist du auch ein Spanier?

Ein anderer. Was? den Ehrenmann?

Ein anderer. Den Gelahrten?

(Sie fallen den Seifensieder an.)

Zimmermeister. Ums Himmels willen, ruht! (Andere mischen sich in den
Streit.)

Zimmermeister. Bürger, was soll das?

(Buben pfeifen, werfen mit Steinen, hetzen Hunde an, Bürger stehn und
gaffen, Volk läuft zu, andere gehn gelassen auf und ab, andere treiben
allerlei Schalkspossen, schreien und jubilieren.)

Andere. Freiheit und Privilegien! Privilegien und Freiheit!

(Egmont tritt auf mit Begleitung.)

Egmont. Ruhig! Ruhig, Leute! Was gibt's? Ruhe! Bringt sie aus
einander!

Zimmermeister. Gnädiger Herr, Ihr kommt wie ein Engel des Himmels.
Stille! seht ihr nichts? Graf Egmont! Dem Grafen Egmont Reverenz!

Egmont. Auch hier? Was fangt ihr an? Bürger gegen Bürger! Hält sogar
die Nähe unsrer königlichen Regentin diesen Unsinn nicht zurück? Geht
aus einander, geht an euer Gewerbe. Es ist ein übles Zeichen, wenn ihr
an Werktagen feiert. Was war's?

(Der Tumult stillt sich nach und nach, und alle stehen um ihn herum.)

Zimmermeister. Sie schlagen sich um ihre Privilegien.

Egmont. Die sie noch mutwillig zertrümmern werden--Und wer seid Ihr?
Ihr scheint mir rechtliche Leute.

Zimmermeister. Das ist unser Bestreben.

Egmont. Eures Zeichens?

Zimmermeister. Zimmermann und Zunftmeister.

Egmont. Und Ihr?

Soest. Krämer.

Egmont. Ihr?

Jetter. Schneider.

Egmont. Ich erinnere mich, Ihr habt mit an den Livreen für meine Leute
gearbeitet. Euer Name ist Jetter.

Jetter. Gnade, daß Ihr Euch dessen erinnert.

Egmont. Ich vergesse niemanden leicht, den ich einmal gesehen und
gesprochen habe.--Was an euch ist, Ruhe zu erhalten, Leute, das thut; ihr
seid übel genug angeschrieben. Reizt den König nicht mehr, er hat
zuletzt doch die Gewalt in Händen. Ein ordentlicher Bürger, der sich
ehrlich und fleißig nährt, hat überall soviel Freiheit, als er braucht.

Zimmermeister. Ach wohl! das ist eben unsre Not! Die Tagdiebe, die
Söffer, die Faulenzer, mit Euer Gnaden Verlaub, die stänkern aus
Langerweile, und scharren aus Hunger nach Privilegien, und lügen den
Neugierigen und Leichtgläubigen was vor, und um eine Kanne Bier bezahlt
zu kriegen, fangen sie Händel an, die viel tausend Menschen unglücklich
machen. Das ist ihnen eben recht. Wir halten unsre Häuser und Kasten zu
gut verwahrt; da möchten sie gern uns mit Feuerbränden davon treiben.

Egmont. Allen Beistand sollt ihr finden; es sind Maßregeln genommen, dem
Übel kräftig zu begegnen. Steht fest gegen die fremde Lehre und glaubt
nicht, durch Aufruhr befestige man Privilegien. Bleibt zu Hause; leidet
nicht, daß sie sich auf den Straßen rotten. Vernünftige Leute können
viel thun.

(Indessen hat sich der größte Haufe verlaufen.)

Zimmermeister. Danken Euer Excellenz, danken für die gute Meinung!
Alles, was an uns liegt. (Egmont ab.) Ein gnädiger Herr! der echte
Niederländer! Gar so nichts Spanisches.

Jetter. Hätten wir ihn nur zum Regenten! Man folgt' ihm gerne.

Soest. Das läßt der König wohl sein. Den Platz besetzt er immer mit den
Seinigen.

Jetter. Hast du das Kleid gesehen? Das war nach der neuesten Art, nach
spanischem Schnitt.

Zimmermeister. Ein schöner Herr!

Jetter. Sein Hals wär' ein rechtes Fressen für einen Scharfrichter.

Soest. Bist du toll? Was kommt dir ein?

Jetter. Dumm genug, daß einem so etwas einfällt.--Es ist mir nun so.
Wenn ich einen schönen langen Hals sehe, muß ich gleich wider Willen
denken: der ist gut köpfen.--Die verfluchten Exekutionen! man kriegt
sie nicht aus dem Sinne. Wenn die Bursche schwimmen und ich seh' einen
nackten Buckel, gleich fallen sie mir zu Dutzenden ein, die ich habe mit
Ruten streichen sehen. Begegnet mir ein rechter Wanst, mein' ich, den
säh' ich schon am Pfahl braten. Des Nachts im Traume zwickt mich's an
allen Gliedern; man wird eben keine Stunde froh. Jede Lustbarkeit, jeden
Spaß hab' ich bald vergessen; die fürchterlichen Gestalten sind mir wie
vor die Stirne gebrannt.


Egmonts Wohnung.

(Sekretär an einem Tische mit Papieren, er steht unruhig auf.)

Sekretär. Er kommt immer nicht! und ich warte schon zwei Stunden, die
Feder in der Hand, die Papiere vor mir; und eben heute möcht' ich gern so
zeitig fort. Es brennt mir unter den Sohlen! Ich kann vor Ungeduld kaum
bleiben. "Sei auf die Stunde da," befahl er mir noch, ehe er wegging;
nun kommt er nicht. Es ist so viel zu thun, ich werde vor Mitternacht
nicht fertig. Freilich sieht er einem auch einmal durch die Finger.
Doch hielt' ich's besser, wenn er strenge wäre und ließe einen auch
wieder zur bestimmten Zeit. Man könnte sich einrichten. Von der
Regentin ist er nun schon zwei Stunden weg; wer weiß, wen er unterwegs
angefaßt hat.

(Egmont tritt auf.)

Egmont. Wie sieht's aus?

Sekretär. Ich bin bereit, und drei Boten warten.

Egmont. Ich bin dir wohl zu lang geblieben; du machst ein verdrießlich
Gesicht.

Sekretär. Eurem Befehl zu gehorchen, wart' ich schon lange. Hier sind
die Papiere.

Egmont. Donna Elvira wird böse auf mich werden, wenn sie hört, daß ich
dich abgehalten habe.

Sekretär. Ihr scherzt.

Egmont. Nein, nein. Schäme dich nicht. Du zeigst einen guten Geschmack.
Sie ist hübsch; und es ist mir ganz recht, daß du auf dem Schlosse eine
Freundin hast. Was sagen die Briefe?

Sekretär. Mancherlei, und wenig Erfreuliches.

Egmont. Da ist gut, daß wir die Freude zu Hause haben und sie nicht von
auswärts zu erwarten brauchen. Ist viel gekommen?

Sekretär. Genug, und drei Boten warten.

Egmont. Sag' an! das Nötigste.

Sekretär. Es ist alles nötig.

Egmont. Eins nach dem andern, nur geschwind!

Sekretär. Hauptmann Breda schickt die Relation, was weiter in Gent und
der umliegenden Gegend vorgefallen. Der Tumult hat sich meistens gelegt.
--

Egmont. Er schreibt wohl noch von einzelnen Ungezogenheiten und
Tollkühnheiten?

Sekretär. Ja! Es kommt noch manches vor.

Egmont. Verschone mich damit.

Sekretär. Noch sechs sind eingezogen worden, die bei Verwich das
Marienbild umgerissen haben. Er fragt an, ob er sie auch wie die andern
soll hängen lassen.

Egmont. Ich bin des Hängens müde. Man soll sie durchpeitschen, und sie
mögen gehen.

Sekretär. Es sind zwei Weiber dabei; soll er die auch durchpeitschen?

Egmont. Die mag er verwarnen und laufen lassen.

Sekretär. Brink von Bredas Kompagnie will heiraten. Der Hauptmann hofft,
Ihr werdet's ihm abschlagen. Es sind so viele Weiber bei dem Haufen,
schreibt er, daß, wenn wir ausziehen, es keinem Soldatenmarsch, sondern
einem Zigeuner-Geschleppe ähnlich sehen wird.

Egmont. Dem mag's noch hingehen! Es ist ein schöner junger Kerl; er bat
mich noch gar dringend, eh' ich wegging. Aber nun soll's keinem mehr
gestattet sein, so leid mir's thut, den armen Teufeln, die ohnedies
geplagt genug sind, ihren besten Spaß zu versagen.

Sekretär. Zwei von Euern Leuten, Seter und Hart, haben einem Mädel,
einer Wirtstochter, übel mitgespielt. Sie kriegten sie allein, und die
Dirne konnte sich ihrer nicht erwehren.

Egmont. Wenn es ein ehrlich Mädchen ist, und sie haben Gewalt gebraucht,
so soll er sie drei Tage hinter einander mit Ruten streichen lassen, und
wenn sie etwas besitzen, soll er so viel davon einziehen, daß dem Mädchen
eine Ausstattung gereicht werden kann.

Sekretär. Einer von den fremden Lehrern ist heimlich durch Comines
gegangen und entdeckt worden. Er schwört, er sei im Begriff, nach
Frankreich zu gehen. Nach dem Befehl soll er enthauptet werden.

Egmont. Sie sollen ihn in der Stille an die Grenze bringen und ihm
versichern, daß er das zweite Mal nicht so wegkommt.

Sekretär. Ein Brief von Euerm Einnehmer. Er schreibt: es komme wenig
Geld ein, er könne auf die Woche die verlangte Summe schwerlich schicken;
der Tumult habe in alles die größte Konfusion gebracht.

Egmont. Das Geld muß herbei! er mag sehen, wie er es zusammenbringt.

Sekretär. Er sagt: er werde sein Möglichstes thun, und wolle endlich den
Raymond, der Euch so lange schuldig ist, verklagen und in Verhaft nehmen
lassen.

Egmont. Der hat ja versprochen zu bezahlen.

Sekretär. Das letzte Mal setzte er sich selbst vierzehn Tage.

Egmont. So gebe man ihm noch vierzehn Tage; und dann mag er gegen ihn
verfahren.

Sekretär. Ihr thut wohl. Es ist nicht Unvermögen; es ist böser Wille.
Er macht gewiß Ernst, wenn er sieht, Ihr spaßt nicht.--Ferner sagt der
Einnehmer: er wolle den alten Soldaten, den Witwen und einigen andern,
denen Ihr Gnadengehalte gebt, die Gebühr einen halben Monat zurückhalten;
man könne indessen Rat schaffen; sie möchten sich einrichten.

Egmont. Was ist da einzurichten? Die Leute brauchen das Geld nötiger
als ich. Das soll er bleiben lassen.

Sekretär. Woher befehlt Ihr denn, daß er das Geld nehmen soll?

Egmont. Darauf mag er denken; es ist ihm im vorigen Briefe schon gesagt.

Sekretär. Deswegen thut er die Vorschläge.

Egmont. Die taugen nicht; er soll auf was anders sinnen. Er soll
Vorschläge thun, die annehmlich sind, und vor allem soll er das Geld
schaffen.

Sekretär. Ich habe den Brief des Grafen Oliva wieder hieher gelegt.
Verzeiht, daß ich Euch daran erinnere. Der alte Herr verdient vor allen
andern eine ausführliche Antwort. Ihr wolltet ihm selbst schreiben.
Gewiß, er liebt Euch wie ein Vater.

Egmont. Ich komme nicht dazu. Und unter vielem Verhaßten ist mir das
Schreiben das Verhaßteste. Du machst meine Hand ja so gut nach, schreib'
in meinem Namen. Ich erwarte Oranien. Ich komme nicht dazu, und wünschte
selbst, daß ihm auf seine Bedenklichkeiten was recht Beruhigendes
geschrieben würde.

Sekretär. Sagt mir nur ungefähr Eure Meinung; ich will die Antwort schon
aufsetzen und sie Euch vorlegen. Geschrieben soll sie werden, daß sie
vor Gericht für Eure Hand gelten kann.

Egmont. Gieb mir den Brief. (Nachdem er hineingesehen.) Guter ehrlicher
Alter! Warst du in deiner Jugend auch wohl so bedächtig? Erstiegst du
nie einen Wall? Bliebst du in der Schlacht, wo es die Klugheit anrät,
hinten?--Der treue Sorgliche! Er will mein Leben und mein Glück, und
fühlt nicht, daß der schon tot ist, der um seiner Sicherheit willen lebt.
--Schreib' ihm, er möge unbesorgt sein; ich handle, wie ich soll, ich
werde mich schon wahren: sein Ansehn bei Hofe soll er zu meinen Gunsten
brauchen und meines vollkommnen Dankes gewiß sein.

Sekretär. Nichts weiter? O, er erwartet mehr.

Egmont. Was soll ich mehr sagen? Willst du mehr Worte machen, so
steht's bei dir. Es dreht sich immer um den einen Punkt: ich soll leben,
wie ich nicht leben mag. Daß ich fröhlich bin, die Sachen leicht nehme,
rasch lebe, das ist mein Glück; und ich vertausch' es nicht gegen die
Sicherheit eines Totengewölbes. Ich habe nun zu der spanischen Lebensart
nicht einen Blutstropfen in meinen Adern, nicht Lust, meine Schritte nach
der neuen bedächtigen Hof-kadenz zu mustern. Leb' ich nur, um auf's
Leben zu denken? Soll ich den gegenwärtigen Augenblick nicht genießen,
damit ich des folgenden gewiß sei? Und diesen wieder mit Sorgen und
Grillen verzehren?

Sekretär. Ich bitt' Euch, Herr, seid nicht so harsch und rauh gegen den
guten Mann. Ihr seid ja sonst gegen alle freundlich. Sagt mir ein
gefällig Wort, das den edeln Freund beruhige. Seht, wie sorgfältig er
ist, wie leis' er Euch berührt.

Egmont. Und doch berührt er immer diese Saite. Er weiß von alters her,
wie verhaßt mir diese Ermahnungen sind; sie machen nur irre, sie helfen
nichts. Und wenn ich ein Nachtwandler wäre, und auf dem gefährlichen
Gipfel eines Hauses spazierte, ist es freundschaftlich, mich beim Namen
zu rufen und mich zu warnen, zu wecken und zu töten? Laßt jeden seines
Pfades gehn; er mag sich wahren.

Sekretär. Es ziemt Euch, nicht zu sorgen; aber wer Euch kennt und liebt
--

Egmont (in den Brief sehend). Da bringt er wieder die alten Märchen auf,
was wir an einem Abend in leichtem Übermut der Geselligkeit und des
Weins getrieben und gesprochen, und was man daraus für Folgen und Beweise
durchs ganze Königreich gezogen und geschleppt habe.--Nun gut! wir haben
Schellenkappen, Narrenkutten auf unsrer Diener Ärmel sticken lassen, und
haben diese tolle Zierde nachher in ein Bündel Pfeile verwandelt; ein
noch gefährlicher Symbol für alle, die deuten wollen, wo nichts zu deuten
ist. Wir haben die und jene Thorheit in einem lustigen Augenblick
empfangen gleich und geboren; sind schuld, daß eine ganze edle Schar mit
Bettelsäcken und mit einem selbstgewählten Unnamen dem Könige seine
Pflicht mit spottender Demut ins Gedächtnis rief; sind schuld--was ist's
nun weiter? Ist ein Fastnachtsspiel gleich Hochverrat? Sind uns die
kurzen bunten Lumpen zu mißgönnen, die ein jugendlicher Mut, eine
angefrischte Phantasie um unsers Lebens arme Blöße hängen mag? Wenn ihr
das Leben gar zu ernsthaft nehmt, was ist denn dran? Wenn uns der Morgen
nicht zu neuen Freuden weckt, am Abend uns keine Lust zu hoffen übrig
bleibt, ist's wohl des An- und Ausziehens wert? Scheint mir die Sonne
heut', um das zu überlegen, was gestern war? und um zu raten, zu
verbinden, was nicht zu erraten, nicht zu verbinden ist, das Schicksal
eines kommenden Tages? Schenke mir diese Betrachtungen; wir wollen sie
Schülern und Höflingen überlassen. Die mögen sinnen und aussinnen,
wandeln und schleichen, gelangen wohin sie können, erschleichen, was sie
können.--Kannst du von allem diesem etwas brauchen, daß deine Epistel
kein Buch wird, so ist mir's recht. Dem guten Alten scheint alles viel
zu wichtig. So drückt ein Freund, der lang unsre Hand gehalten, sie
stärker noch einmal, wenn er sie lassen will.

Sekretär. Verzeiht mir! Es wird dem Fußgänger schwindlig, der einen
Mann mit rasselnder Eile daher fahren sieht.

Egmont. Kind! Kind! nicht weiter! Wie von unsichtbaren Geistern
gepeitscht, gehen die Sonnenpferde der Zeit mit unsers Schicksals
leichtem Wagen durch; und uns bleibt nichts, als mutig gefaßt die Zügel
festzuhalten, und bald rechts, bald links, vom Steine hier, vom Sturze da,
die Räder wegzulenken. Wohin es geht, wer weiß es? Erinnert er sich
doch kaum, woher er kam!

Sekretär. Herr! Herr!

Egmont. Ich stehe hoch, und kann und muß noch höher steigen; ich fühle
mir Hoffnung, Mut und Kraft. Noch hab' ich meines Wachstums Gipfel nicht
erreicht; und steh' ich droben einst, so will ich fest, nicht ängstlich
stehn. Soll ich fallen, so mag ein Donnerschlag, ein Sturmwind, ja ein
selbst verfehlter Schritt mich abwärts in die Tiefe stürzen; da lieg' ich
mit viel Tausenden. Ich habe nie verschmäht, mit meinen guten
Kriegsgesellen um kleinen Gewinst das blutige Los zu werfen; und sollt'
ich knickern, wenn's um den ganzen freien Wert des Lebens geht?

Sekretär. O Herr! Ihr wißt nicht, was für Worte Ihr sprecht! Gott
erhalt' Euch!

Egmont. Nimm deine Papiere zusammen. Oranien kommt. Fertige aus, was
am nötigsten ist, daß die Boten fortkommen, eh' die Thore geschlossen
werden. Das andere hat Zeit. Den Brief an den Grafen laß bis morgen;
versäume nicht, Elviren zu besuchen, und grüße sie von mir.--Horche, wie
sich die Regentin befindet; sie soll nicht wohl sein, ob sie's gleich
verbirgt. (Sekretär ab.)

(Oranien kommt.)

Egmont. Willkommen, Oranien. Ihr scheint mir nicht ganz frei.

Oranien. Was sagt Ihr zu unsrer Unterhaltung mit der Regentin?

Egmont. Ich fand in ihrer Art uns aufzunehmen nichts Außerordentliches.
Ich habe sie schon öfter so gesehen. Sie schien mir nicht ganz wohl.

Oranien. Merktet Ihr nicht, daß sie zurückhaltender war? Erst wollte
sie unser Betragen bei dem neuen Aufruhr des Pöbels gelassen billigen;
nachher merkte sie an, was sich doch auch für ein falsches Licht darauf
werfen lasse; wich dann mit dem Gespräche zu ihrem alten gewöhnlichen
Diskurs: daß man ihre liebevolle, gute Art, ihre Freundschaft zu uns
Niederländern nie genug erkannt, zu leicht behandelt habe, daß nichts
einen erwünschten Ausgang nehmen wolle, daß sie am Ende wohl müde werden,
der König sich zu andern Maßregeln entschließen müsse. Habt Ihr das
gehört?

Egmont. Nicht alles; ich dachte unterdessen an was anders. Sie ist ein
Weib, guter Oranien, und die möchten immer gern, daß sich alles unter ihr
sanftes Joch gelassen schmiegte, daß jeder Herkules die Löwenhaut ablegte
und ihren Kunkelhof vermehrte; daß, weil sie friedlich gesinnt sind, die
Gärung, die ein Volk ergreift, der Sturm, den mächtige Nebenbuhler gegen
einander erregen, sich durch ein freundlich Wort beilegen ließe, und die
widrigsten Elemente sich zu ihren Füßen in sanfter Eintracht vereinigten.
Das ist ihr Fall; und da sie es dahin nicht bringen kann, so hat sie
keinen Weg, als launisch zu werden, sich über Undankbarkeit, Unweisheit
zu beklagen, mit schrecklichen Aussichten in die Zukunft zu drohen, und
zu drohen, daß sie--fortgehn will.

Oranien. Glaubt Ihr dasmal nicht, daß sie ihre Drohung erfüllt?

Egmont. Nimmermehr! Wie oft habe ich sie schon reisefertig gesehn! Wo
will sie denn hin? Hier Statthalterin, Königin; glaubst du, daß sie es
unterhalten wird, am Hofe ihres Bruders unbedeutende Tage abzuhaspeln?
oder nach Italien zu gehen und sich in alten Familienverhältnissen
herumzuschleppen?

Oranien. Man hält sie dieser Entschließung nicht fähig, weil Ihr sie
habt zaudern, weil Ihr sie habt zurücktreten sehn; dennoch liegt's wohl
in ihr; neue Umstände treiben sie zu dem lang verzögerten Entschluß.
Wenn sie ginge? und der König schickte einen andern?

Egmont. Nun, der würde kommen, und würde eben auch zu thun finden. Mit
großen Planen, Projekten und Gedanken würde er kommen, wie er alles
zurecht rücken, unterwerfen und zusammenhalten wolle; und würde heut' mit
dieser Kleinigkeit, morgen mit einer andern zu thun haben, übermorgen
jene Hindernis finden, einen Monat mit Entwürfen, einen andern mit
Verdruß über fehlgeschlagne Unternehmen, ein halb Jahr in Sorgen über
eine einzige Provinz zubringen. Auch ihm wird die Zeit vergehn, der Kopf
schwindeln, und die Dinge wie zuvor ihren Gang halten, daß er, statt
weite Meere nach einer vorgezogenen Linie zu durchsegeln, Gott danken mag,
wenn er sein Schiff in diesem Sturme vom Felsen hält.

Oranien. Wenn man nun aber dem König zu einem Versuch riete?

Egmont. Der wäre?

Oranien. Zu sehen, was der Rumpf ohne Haupt anfinge.

Egmont. Wie?

Oranien. Egmont, ich trage viele Jahre her alle unsere Verhältnisse am
Herzen, ich stehe immer wie über einem Schachspiele und halte keinen Zug
des Gegners für unbedeutend; und wie müßige Menschen mit der größten
Sorgfalt sich um die Geheimnisse der Natur bekümmern, so halt' ich es für
Pflicht, für Beruf eines Fürsten, die Gesinnungen, die Ratschläge aller
Parteien zu kennen. Ich habe Ursach', einen Ausbruch zu befürchten. Der
König hat lange nach gewissen Grundsätzen gehandelt; er sieht, daß er
damit nicht auskommt; was ist wahrscheinlicher, als daß er es auf einem
andern Wege versucht?

Egmont. Ich glaub's nicht. Wenn man alt wird und hat so viel versucht,
und es will in der Welt nie zur Ordnung kommen, muß man es endlich wohl
genug haben.

Oranien. Eins hat er noch nicht versucht.

Egmont. Nun?

Oranien. Das Volk zu schonen und die Fürsten zu verderben.

Egmont. Wie viele haben das schon lange gefürchtet. Es ist keine Sorge.

Oranien. Sonst war's Sorge; nach und nach ist mir's Vermutung, zuletzt
Gewißheit geworden.

Egmont. Und hat der König treuere Diener als uns?

Oranien. Wir dienen ihm auf unsere Art; und unter einander können wir
gestehen, daß wir des Königs Rechte und die unsrigen wohl abzuwägen
wissen.

Egmont. Wer thut's nicht? Wir sind ihm unterthan und gewärtig in dem,
was ihm zukommt.

Oranien. Wenn er sich nun aber mehr zuschriebe und Treulosigkeit nennte,
was wir heißen, auf unsere Rechte halten?

Egmont. Wir werden uns verteidigen können. Er rufe die Ritter des
Vließes zusammen, wir wollen uns richten lassen.

Oranien. Und was wäre ein Urteil vor der Untersuchung? eine Strafe vor
dem Urteil?

Egmont. Eine Ungerechtigkeit, der sich Philipp nie schuldig machen wird;
und eine Thorheit, die ich ihm und seinen Räten nicht zutraue.

Oranien. Und wenn sie nun ungerecht und thöricht wären?

Egmont. Nein, Oranien, es ist nicht möglich. Wer sollte wagen, Hand an
uns zu legen?--Uns gefangen zu nehmen, wär' ein verlornes und fruchtloses
Unternehmen. Nein, sie wagen nicht, das Panier der Tyrannei so hoch
aufzustecken. Der Windhauch, der diese Nachricht über's Land brächte,
würde ein ungeheures Feuer zusammentreiben. Und wo hinaus wollten sie?
Richten und verdammen kann nicht der König allein; und wollten sie
meuchelmörderisch an unser Leben?--Sie können nicht wollen. Ein
schrecklicher Bund würde in einem Augenblick das Volk vereinigen. Haß
und ewige Trennung vom spanischen Namen würde sich gewaltsam erklären.

Oranien. Die Flamme wütete dann über unserm Grabe, und das Blut unsrer
Feinde flösse zum leeren Sühnopfer. Laß uns denken, Egmont.

Egmont. Wie sollten sie aber?

Oranien. Alba ist unterwegs.

Egmont. Ich glaub's nicht.

Oranien. Ich weiß es.

Egmont. Die Regentin wollte nichts wissen.

Oranien. Um desto mehr bin ich überzeugt. Die Regentin wird ihm Platz
machen. Seinen Mordsinn kenn' ich, und ein Heer bringt er mit.

Egmont. Aufs neue die Provinzen zu belästigen? Das Volk wird höchst
schwierig werden.

Oranien. Man wird sich der Häupter versichern.

Egmont. Nein! Nein!

Oranien. Laß uns gehen, jeder in seine Provinz. Dort wollen wir uns
verstärken; mit offner Gewalt fängt er nicht an.

Egmont. Müssen wir ihn nicht begrüßen, wenn er kommt?

Oranien. Wir zögern.

Egmont. Und wenn er uns im Namen des Königs bei seiner Ankunft fordert?

Oranien. Suchen wir Ausflüchte.

Egmont. Und wenn er dringt?

Oranien. Entschuldigen wir uns.

Egmont. Und wenn er darauf besteht?

Oranien. Kommen wir um so weniger.

Egmont. Und der Krieg ist erklärt, und wir sind die Rebellen. Oranien,
laß dich nicht durch Klugheit verführen; ich weiß, daß Furcht dich nicht
weichen macht. Bedenke den Schritt.

Oranien. Ich hab' ihn bedacht.

Egmont. Bedenke, wenn du dich irrst, woran du schuld bist: an dem
verderblichsten Kriege, der je ein Land verwüstet hat. Dein Weigern ist
das Signal, das die Provinzen mit einmal zu den Waffen ruft, das jede
Grausamkeit rechtfertigt, wozu Spanien von jeher nur gern den Vorwand
gehascht hat. Was wir lange mühselig gestillt haben, wirst du mit einem
Winke zur schrecklichsten Verwirrung aufhetzen. Denk' an die Städte, die
Edeln, das Volk, an die Handlung, den Feldbau, die Gewerbe! und denke
die Verwüstung, den Mord!--Ruhig sieht der Soldat wohl im Felde seinen
Kameraden neben sich hinfallen; aber den Fluß herunter werden dir die
Leichen der Bürger, der Kinder, der Jungfrauen entgegenschwimmen, daß du
mit Entsetzen dastehst, und nicht mehr weißt, wessen Sache du verteidigst,
da die zu Grunde gehen, für deren Freiheit du die Waffen ergriffst. Und
wie wird dir's sein, wenn du dir still sagen mußt: Für meine Sicherheit
ergriff ich sie.

Oranien. Wir sind nicht einzelne Menschen, Egmont. Ziemt es sich, uns
für Tausende hinzugeben, so ziemt es sich auch, uns für Tausende zu
schonen.

Egmont. Wer sich schont, muß sich selbst verdächtig werden.

Oranien. Wer sich kennt, kann sicher vor- und rückwärts gehen.

Egmont. Das Übel, das du fürchtest, wird gewiß durch deine That.

Oranien. Es ist klug und kühn, dem unvermeidlichen Übel entgegenzugehn.

Egmont. Bei so großer Gefahr kommt die leichteste Hoffnung in Anschlag

Oranien. Wir haben nicht für den leisesten Fußtritt Platz mehr; der
Abgrund liegt hart vor uns.

Egmont. Ist des Königs Gunst ein so schmaler Grund?

Oranien. So schmal nicht, aber schlüpfrig.

Egmont. Bei Gott! man thut ihm unrecht. Ich mag nicht leiden, daß man
unwürdig von ihm denkt! Er ist Karls Sohn und keiner Niedrigkeit fähig.

Oranien. Die Könige thun nichts Niedriges.

Egmont. Man sollte ihn kennen lernen,

Oranien. Eben diese Kenntnis rät uns, eine gefährliche Probe nicht
abzuwarten.

Egmont. Keine Probe ist gefährlich, zu der man Mut hat.

Oranien. Du wirst aufgebracht, Egmont.

Egmont. Ich muß mit meinen Augen sehen.

Oranien. O, sähst du diesmal nur mit den meinigen! Freund, weil du sie
offen hast, glaubst du, du siehst. Ich gehe! Warte du Albas Ankunft ab,
und Gott sei bei dir! Vielleicht rettet dich mein Weigern. Vielleicht,
daß der Drache nichts zu fangen glaubt, wenn er uns nicht beide auf
einmal verschlingt. Vielleicht zögert er, um seinen Anschlag sicherer
auszuführen; und vielleicht siehest du indes die Sache in ihrer wahren
Gestalt. Aber dann schnell! schnell! Rette! rette dich!--Leb' wohl!
--Laß deiner Aufmerksamkeit nichts entgehen: wie viel Mannschaft er
mitbringt, wie er die Stadt besetzt, was für Macht die Regentin behält,
wie deine Freunde gefaßt sind. Gieb mir Nachricht--Egmont--

Egmont. Was willst du?

Oranien (ihn bei der Hand fassend). Laß dich überreden! Geh mit!

Egmont. Wie? Thränen, Oranien?

Oranien. Einen Verlornen zu beweinen, ist auch männlich.

Egmont. Du wähnst mich verloren?

Oranien. Du bist's. Bedenke! Dir bleibt nur eine kurze Frist. Leb'
wohl! (Ab.)

Egmont. (allein). Daß andrer Menschen Gedanken solchen Einfluß auf uns
haben! Mir wär' es nie eingekommen; und dieser Mann trägt seine
Sorglichkeit in mich herüber.--Weg!--Das ist ein fremder Tropfen in
meinem Blute. Gute Natur, wirf ihn wieder heraus! Und von meiner Stirne
die sinnenden Runzeln wegzubaden, giebt es ja wohl noch ein freundlich
Mittel.



Dritter Aufzug.

Palast der Regentin.

Margarete von Parma.

Regentin. Ich hätte mir's vermuten sollen. Ha! Wenn man in Mühe und
Arbeit vor sich hinlebt, denkt man immer, man thue das Möglichste; und
der von weitem zusieht und befiehlt, glaubt, er verlange nur das Mögliche.
--O die Könige!--Ich hätte nicht geglaubt, daß es mich so verdrießen
könnte. Es ist so schön zu herrschen!--Und abzudanken?--Ich weiß nicht,
wie mein Vater es konnte; aber ich will es auch.

(Machiavell erscheint im Grunde.)

Regentin. Tretet näher, Machiavell. Ich denke hier über den Brief
meines Bruders.

Machiavell. Ich darf wissen, was er enthält?

Regentin. So viel zärtliche Aufmerksamkeit für mich, als Sorgfalt für
seine Staaten. Er rühmt die Standhaftigkeit, den Fleiß und die Treue,
womit ich bisher für die Rechte Seiner Majestät in diesen Landen gewacht
habe. Er bedauert mich, daß mir das unbändige Volk so viel zu schaffen
mache. Er ist von der Tiefe meiner Einsichten so vollkommen überzeugt,
mit der Klugheit meines Betragens so außerordentlich zufrieden, daß ich
fast sagen muß, der Brief ist für einen König zu schön geschrieben, für
einen Bruder gewiß.

Machiavell. Es ist nicht das erste Mal, daß er Euch seine gerechte
Zufriedenheit bezeigt.

Regentin. Aber das erste Mal, daß es rednerische Figur ist.

Machiavell. Ich versteh' Euch nicht.

Regentin. Ihr werdet.--Denn er meint, nach diesem Eingange: ohne
Mannschaft, ohne eine kleine Armee werde ich immer hier eine üble Figur
spielen. Wir hätten, sagt er, unrecht gethan, auf die Klagen der
Einwohner unsre Soldaten aus den Provinzen zu ziehen. Eine Besatzung,
meint er, die dem Bürger auf dem Nacken lastet, verbiete ihm durch ihre
Schwere, große Sprünge zu machen.

Machiavell. Es würde die Gemüter äußerst aufbringen.

Regentin. Der König meint aber, hörst du?--Er meint, daß ein tüchtiger
General, so einer, der gar keine Raison annimmt, gar bald mit Volk und
Adel, Bürgern und Bauern fertig werden könne;--und schickt deswegen mit
einem starken Heere--den Herzog von Alba.

Machiavell. Alba?

Regentin. Du wunderst dich?

Machiavell. Ihr sagt: er schickt. Er fragt wohl, ob er schicken soll?

Regentin. Der König fragt nicht; er schickt.

Machiavell. So werdet Ihr einen erfahrnen Krieger in Euren Diensten
haben.

Regentin. In meinen Diensten? Rede g'rad' heraus, Machiavell.

Machiavell. Ich möcht' Euch nicht vorgreifen.

Regentin. Und ich möchte mich verstellen. Es ist mir empfindlich, sehr
empfindlich. Ich wollte lieber, mein Bruder sagte, wie er's denkt, als
daß er förmliche Episteln unterschreibt, die ein Staatssekretär aufsetzt.

Machiavell. Sollte man nicht einsehen?--

Regentin. Und ich kenne sie inwendig und auswendig. Sie möchten's gern
gesäubert und gekehrt haben: und weil sie selbst nicht zugreifen, so
findet ein jeder Vertrauen, der mit dem Besen in der Hand kommt. O, mir
ist's, als wenn ich den König und sein Conseil auf dieser Tapete gewirkt
sähe.

Machiavell. So lebhaft?

Regentin. Es fehlt kein Zug. Es sind gute Menschen drunter. Der
ehrliche Rodrich, der so erfahren und mäßig ist, nicht zu hoch will und
doch nichts fallen läßt, der gerade Alonzo, der fleißige Freneda, der
feste Las Vargas und noch einige, die mitgehen, wenn die gute Partei
mächtig wird. Da sitzt aber der hohläugige Toledaner mit der ehrnen
Stirne und dem tiefen Feuerblick, murmelt zwischen den Zähnen von
Weibergüte, unzeitigem Nachgeben, und daß Frauen wohl von zugerittenen
Pferden sich tragen lassen, selbst aber schlechte Stallmeister sind, und
solche Späße, die ich ehemals von den politischen Herren habe mit
durchhören müssen.

Machiavell. Ihr habt zu dem Gemälde einen guten Farbentopf gewählt.

Regentin. Gesteht nur, Machiavell: In meiner ganzen Schattierung, aus
der ich allenfalls malen könnte, ist kein Ton so gelbbraun, gallenschwarz,
wie Albas Gesichtsfarbe, und als die Farbe, aus der er malt. Jeder ist
bei ihm gleich ein Gotteslästerer, ein Majestätsschänder; denn aus
diesem Kapitel kann man sie alle sogleich rädern, pfählen, vierteilen und
verbrennen.--Das Gute, was ich hier gethan habe, sieht gewiß in der Ferne
wie nichts aus, eben weil's gut ist.--Da hängt er sich an jeden Mutwillen,
der vorbei ist, erinnert an jede Unruhe, die gestillt ist; und es wird
dem Könige vor den Augen so voll Meuterei, Aufruhr und Tollkühnheit, daß
er sich vorstellt, sie fräßen sich hier einander auf, wenn eine flüchtig
vorübergehende Ungezogenheit eines rohen Volks bei uns lange vergessen
ist. Da faßt er einen recht herzlichen Haß auf die armen Leute; sie
kommen ihm abscheulich, ja wie Tiere und Ungeheuer vor; er sieht sich
nach Feuer und Schwert um, und wähnt, so bändige man Menschen.

Machiavell. Ihr scheint mir zu heftig, Ihr nehmt die Sache zu hoch.
Bleibt Ihr nicht Regentin?

Regentin. Das kenn' ich. Er wird eine Instruktion bringen.--Ich bin in
Staatsgeschäften alt genug geworden, um zu wissen, wie man einen
verdrängt, ohne ihm seine Bestallung zu nehmen.--Erst wird er eine
Instruktion bringen, die wird unbestimmt und schief sein; er wird um sich
greifen, denn er hat die Gewalt; und wenn ich mich beklage, wird er eine
geheime Instruktion vorschützen; wenn ich sie sehen will, wird er mich
herumziehen; wenn ich darauf bestehe, wird er mir ein Papier zeigen, das
ganz was anders enthält; und wenn ich mich da nicht beruhige, gar nicht
mehr thun, als wenn ich redete.--Indes wird er, was ich fürchte, gethan,
und was ich wünsche, weit abwärts gelenkt haben.

Machiavell. Ich wollt', ich könnt' Euch widersprechen.

Regentin. Was ich mit unsäglicher Geduld beruhigte, wird er durch Härte
und Grausamkeiten wieder aufhetzen; ich werde vor meinen Augen mein Werk
verloren sehen, und überdies noch seine Schuld zu tragen haben.

Machiavell. Erwarten's Eure Hoheit.

Regentin. So viel Gewalt hab' ich über mich, um stille zu sein. Laß ihn
kommen; ich werde ihm mit der besten Art Platz machen, eh' er mich
verdrängt.

Machiavell. So rasch diesen wichtigen Schritt?

Regentin. Schwerer, als du denkst. Wer zu herrschen gewohnt ist, wer's
hergebracht hat, daß jeden Tag das Schicksal von Tausenden in seiner Hand
liegt, steigt vom Throne wie ins Grab. Aber besser so, als einem
Gespenste gleich unter den Lebenden bleiben und mit hohlem Ansehn einen
Platz behaupten wollen, den ihm ein anderer abgeerbt hat und nun besitzt
und genießt.


Klärchens Wohnung.

Klärchen. Mutter.

Mutter. So eine Liebe wie Brackenburgs hab' ich nie gesehen; ich glaubte,
sie sei nur in Heldengeschichten.

Klärchen (geht in der Stube auf und ab, ein Lied zwischen den Lippen
summend).

Glücklich allein
Ist die Seele, die liebt.

Mutter. Er vermutet deinen Umgang mit Egmont; und ich glaube, wenn du
ihm ein wenig freundlich thätest, wenn du wolltest, er heiratete dich
noch.

Klärchen (singt).
Freudvoll
Und leidvoll,
Gedankenvoll sein;
Langen
Und bangen
In schwebender Pein;
Himmelhoch jauchzend,
Zum Tode betrübt;
Glücklich allein
Ist die Seele, die liebt.

Mutter. Laß das Heiopopeio.

Klärchen. Scheltet mir's nicht; es ist ein kräftig Lied. Hab' ich doch
schon manchmal ein großes Kind damit schlafen gewiegt.

Mutter. Du hast doch nichts im Kopfe als deine Liebe. Vergäßest du nur
nicht alles über das eine. Den Brackenburg solltest du in Ehren halten,
sag' ich dir. Er kann dich noch einmal glücklich machen.

Klärchen. Er?

Mutter. O ja! es kommt eine Zeit!--Ihr Kinder seht nichts voraus und
überhorcht unsre Erfahrungen. Die Jugend und die schöne Liebe, alles hat
sein Ende; und es kommt eine Zeit, wo man Gott dankt, wenn man irgendwo
unterkriechen kann.

Klärchen (schaudert, schweigt und fährt auf). Mutter, laßt die Zeit
kommen wie den Tod. Dran vorzudenken ist schreckhaft!--Und wenn er kommt!
Wenn wir müssen--dann--wollen wir uns gebärden, wie wir können.--Egmont,
ich dich entbehren!--(In Thänen.) Nein, es ist nicht möglich, nicht
möglich.

(Egmont in einem Reitermantel, den Hut ins Gesicht gedrückt.)

Egmont. Klärchen!

Klärchen (thut einen Schrei, fährt zurück). Egmont! (Sie eilt auf ihn
zu.) Egmont! (Sie umarmt ihn, und ruht an ihm.) O du Guter, Lieber,
Süßer! Kommst du? bist du da?

Egmont. Guten Abend, Mutter!

Mutter. Gott grüß' Euch, edler Herr! Meine Kleine ist fast vergangen,
daß Ihr so lang ausbleibt; sie hat wieder den ganzen Tag von Euch geredet
und gesungen.

Egmont. Ihr gebt mir doch ein Nachtessen?

Mutter. Zu viel Gnade. Wenn wir nur etwas hätten.

Klärchen. Freilich! Seid nur ruhig, Mutter; ich habe schon alles darauf
eingerichtet, ich habe etwas zubereitet. Verratet mich nicht, Mutter!

Mutter. Schmal genug.

Klärchen. Wartet nur! Und dann denk' ich: wenn er bei mir ist, hab' ich
gar keinen Hunger; da sollte er auch keinen großen Appetit haben, wenn
ich bei ihm bin.

Egmont. Meinst du?

Klärchen (stampft mit dem Fuße, und kehrt sich unwillig um).

Egmont. Wie ist dir?

Klärchen. Wie seid Ihr heute so kalt! Ihr habt mir noch keinen Kuß
angeboten. Warum habt Ihr die Arme in den Mantel gewickelt, wie ein
Wochenkind? Ziemt keinem Soldaten noch Liebhaber, die Arme eingewickelt
zu haben.

Egmont. Zu Zeiten, Liebchen, zu Zeiten. Wenn der Soldat auf der Lauer
steht und dem Feinde etwas ablisten möchte, da nimmt er sich zusammen,
faßt sich selbst in seine Arme und kaut seinen Anschlag reif. Und ein
Liebhaber--

Mutter. Wollt Ihr Euch nicht setzen? es Euch nicht bequem machen? Ich
muß in die Küche; Klärchen denkt an nichts, wenn Ihr da seid. Ihr müßt
fürlieb nehmen.

Egmont. Euer guter Wille ist die beste Würze. (Mutter ab.)

Klärchen. Und was wäre denn meine Liebe?

Egmont. So viel du willst.

Klärchen. Vergleicht sie, wenn Ihr das Herz habt.

Egmont. Zuvörderst also. (Er wirft den Mantel ab und steht in einem
prächtigen Kleide da.)

Klärchen. O je!

Egmont. Nun hab' ich die Arme frei. (Er herzt sie.)

Klärchen. Laßt! Ihr verderbt Euch. (Sie tritt zurück.) Wie prächtig!
da darf ich Euch nicht anrühren.

Egmont. Bist du zufrieden? Ich versprach dir, einmal spanisch zu kommen.

Klärchen. Ich bat Euch zeither nicht mehr drum; ich dachte, Ihr wolltet
nicht.--Ach und das goldne Vließ!

Egmont. Da siehst du's nun.

Klärchen. Das hat dir der Kaiser umgehängt?

Egmont. Ja, Kind! und Kette und Zeichen geben dem, der sie trägt, die
edelsten Freiheiten. Ich erkenne auf Erden keinen Richter über meine
Handlungen, als den Großmeister des Ordens mit dem versammelten Kapitel
der Ritter.

Klärchen. O, du dürftest die ganze Welt über dich richten lassen.--Der
Sammet ist gar zu herrlich, und die Passementarbeit! und das Gestickte!
--Man weiß nicht, wo man anfangen soll.

Egmont. Sieh dich nur satt.

Klärchen. Und das goldne Vließ! Ihr erzähltet mir die Geschichte und
sagtet: es sei ein Zeichen alles Großen und Kostbaren, was man mit Müh'
und Fleiß verdient und erwirbt. Es ist sehr kostbar--ich kann's deiner
Liebe vergleichen.--Ich trage sie ebenso am Herzen--und hernach--

Egmont. Was willst du sagen?

Klärchen. Hernach vergleicht sich's auch wieder nicht.

Egmont. Wieso?

Klärchen. Ich habe sie nicht mit Müh' und Fleiß erworben, nicht verdient.

Egmont. In der Liebe ist es anders. Du verdienst sie, weil du dich
nicht darum bewirbst--und die Leute erhalten sie auch meist allein, die
nicht darnach jagen.

Klärchen. Hast du das von dir abgenommen? Hast du diese stolze
Anmerkung über dich selbst gemacht? du, den alles Volk liebt?

Egmont. Hätt' ich nur etwas für sie gethan! könnt' ich etwas für sie
thun! Es ist ihr guter Wille, mich zu lieben.

Klärchen. Du warst gewiß heute bei der Regentin?

Egmont. Ich war bei ihr.

Klärchen. Bist du gut mit ihr?

Egmont. Es sieht einmal so aus. Wir sind einander freundlich und
dienstlich.

Klärchen. Und im Herzen?

Egmont. Will ich ihr wohl. Jedes hat seine eignen Absichten. Das thut
nichts zur Sache. Sie ist eine treffliche Frau, kennt ihre Leute, und
sähe tief genug, wenn sie auch nicht argwöhnisch wäre. Ich mache ihr
viel zu schaffen, weil sie hinter meinem Betragen immer Geheimnisse sucht,
und ich keine habe.

Klärchen. So gar keine?

Egmont. Eh nun! einen kleinen Hinterhalt. Jeder Wein setzt Weinstein
in den Fässern an mit der Zeit. Oranien ist doch noch eine bessere
Unterhaltung für sie und eine immer neue Aufgabe. Er hat sich in den
Kredit gesetzt, daß er immer etwas Geheimes vorhabe; und nun sieht sie
immer nach seiner Stirne, was er wohl denken, auf seine Schritte, wohin
er sie wohl richten möchte.



 


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