Faust: Der Tragödie erster Teil
by
Johann Wolfgang von Goethe

Part 4 out of 4



MEPHISTOPHELES:
Das drängt und stößt, das ruscht und klappert!
Das zischt und quirlt, das zieht und plappert!
Das leuchtet, sprüht und stinkt und brennt!
Ein wahres Hexenelement!
Nur fest an mir! sonst sind wir gleich getrennt.
Wo bist du?

FAUST (in der Ferne):
Hier!

MEPHISTOPHELES:
Was! dort schon hingerissen? Da werd ich Hausrecht brauchen müssen.
Platz! Junker Voland kommt. Platz! süßer Pöbel, Platz!
Hier, Doktor, fasse mich! und nun in einem Satz
Laß uns aus dem Gedräng entweichen;
Es ist zu toll, sogar für meinesgleichen.
Dortneben leuchtet was mit ganz besondrem Schein,
Es zieht mich was nach jenen Sträuchen.
Komm, komm! wir schlupfen da hinein.

FAUST:
Du Geist des Widerspruchs! Nur zu! du magst mich führen.
Ich denke doch, das war recht klug gemacht:
Zum Brocken wandeln wir in der Walpurgisnacht,
Um uns beliebig nun hieselbst zu isolieren.

MEPHISTOPHELES:
Da sieh nur, welche bunten Flammen!
Es ist ein muntrer Klub beisammen.
Im Kleinen ist man nicht allein.

FAUST:
Doch droben möcht ich lieber sein!
Schon seh ich Glut und Wirbelrauch.
Dort strömt die Menge zu dem Bösen;
Da muß sich manches Rätsel lösen.

MEPHISTOPHELES:
Doch manches Rätsel knüpft sich auch.
Laß du die große Welt nur sausen,
Wir wollen hier im stillen hausen.
Es ist doch lange hergebracht,
Daß in der großen Welt man kleine Welten macht.
Da seh ich junge Hexchen, nackt und bloß,
Und alte, die sich klug verhüllen.
Seid freundlich, nur um meinetwillen;
Die Müh ist klein, der Spaß ist groß.
Ich höre was von Instrumenten tönen!
Verflucht Geschnarr! Man muß sich dran gewohnen.
Komm mit! Komm mit! Es kann nicht anders sein,
Ich tret heran und führe dich herein,
Und ich verbinde dich aufs neue.
Was sagst du, Freund? das ist kein kleiner Raum.
Da sieh nur hin! du siehst das Ende kaum.
Ein Hundert Feuer brennen in der Reihe
Man tanzt, man schwatzt, man kocht, man trinkt, man liebt
Nun sage mir, wo es was Bessers gibt?

FAUST:
Willst du dich nun, um uns hier einzuführen,
Als Zaubrer oder Teufel produzieren?

MEPHISTOPHELES:
Zwar bin ich sehr gewohnt, inkognito zu gehn,
Doch läßt am Galatag man seinen Orden sehn.
Ein Knieband zeichnet mich nicht aus,
Doch ist der Pferdefuß hier ehrenvoll zu Haus.
Siehst du die Schnecke da? sie kommt herangekrochen;
Mit ihrem tastenden Gesicht
Hat sie mir schon was abgerochen.
Wenn ich auch will, verleugn ich hier mich nicht.
Komm nur! von Feuer gehen wir zu Feuer,
Ich bin der Werber, und du bist der Freier.
(Zu einigen, die um verglimmende Kohlen sitzen:)
Ihr alten Herrn, was macht ihr hier am Ende?
Ich lobt euch, wenn ich euch hübsch in der Mitte fände,
Von Saus umzirkt und Jugendbraus;
Genug allein ist jeder ja zu Haus.

GENERAL:
Wer mag auf Nationen trauen!
Man habe noch so viel für sie getan;
Denn bei dem Volk wie bei den Frauen
Steht immerfort die Jugend oben an.

MINISTER:
Jetzt ist man von dem Rechten allzu weit,
Ich lobe mir die guten Alten;
Denn freilich, da wir alles galten,
Da war die rechte goldne Zeit.

PARVENÜ:
Wir waren wahrlich auch nicht dumm
Und taten oft, was wir nicht sollten;
Doch jetzo kehrt sich alles um und um,
Und eben da wir's fest erhalten wollten.

AUTOR:
Wer mag wohl überhaupt jetzt eine Schrift
Von mäßig klugem Inhalt lesen!
Und was das liebe junge Volk betrifft,
Das ist noch nie so naseweis gewesen.

MEPHISTOPHELES (der auf einmal sehr alt erscheint):
Zum Jüngsten Tag fühl ich das Volk gereift,
Da ich zum letztenmal den Hexenberg ersteige,
Und weil mein Fäßchen trübe läuft,
So ist die Welt auch auf der Neige.

TRÖDELHEXE:
Ihr Herren, geht nicht so vorbei!
Laßt die Gelegenheit nicht fahren!
Aufmerksam blickt nach meinen Waren,
Es steht dahier gar mancherlei.
Und doch ist nichts in meinem Laden,
Dem keiner auf der Erde gleicht,
Das nicht einmal zum tücht'gen Schaden
Der Menschen und der Welt gereicht.
Kein Dolch ist hier, von dem nicht Blut geflossen,
Kein Kelch, aus dem sich nicht in ganz gesunden Leib
Verzehrend heißes Gift ergossen,
Kein Schmuck, der nicht ein liebenswürdig Weib
Verführt, kein Schwert, das nicht den Bund gebrochen,
Nicht etwa hinterrücks den Gegenmann durchstochen.

MEPHISTOPHELES:
Frau Muhme! Sie versteht mir schlecht die Zeiten.
Getan, geschehn! Geschehn, getan!
Verleg Sie sich auf Neuigkeiten!
Nur Neuigkeiten ziehn uns an.

FAUST:
Daß ich mich nur nicht selbst vergesse!
Heiß ich mir das doch eine Messe!
MEPHISTOPHELES:
Der ganze Strudel strebt nach oben;
Du glaubst zu schieben, und du wirst geschoben.

FAUST:
Wer ist denn das?

MEPHISTOPHELES:
Betrachte sie genau! Lilith ist das.

FAUST:
Wer?

MEPHISTOPHELES:
Adams erste Frau. Nimm dich in acht vor ihren schönen Haaren,
Vor diesem Schmuck, mit dem sie einzig prangt.
Wenn sie damit den jungen Mann erlangt,
So läßt sie ihn so bald nicht wieder fahren.

FAUST:
Da sitzen zwei, die Alte mit der Jungen;
Die haben schon was Rechts gesprungen!

MEPHISTOPHELES:
Das hat nun heute keine Ruh.
Es geht zum neuen Tanz, nun komm! wir greifen zu.

FAUST (mit der Jungen tanzend):
Einst hatt ich einen schönen Traum
Da sah ich einen Apfelbaum,
Zwei schöne Äpfel glänzten dran,
Sie reizten mich, ich stieg hinan.

DIE SCHÖNE:
Der Äpfelchen begehrt ihr sehr,
Und schon vom Paradiese her.
Von Freuden fühl ich mich bewegt,
Daß auch mein Garten solche trägt.

MEPHISTOPHELES (mit der Alten):
Einst hatt ich einen wüsten Traum
Da sah ich einen gespaltnen Baum,
Der hatt ein ungeheures Loch;
So groß es war, gefiel mir's doch.

DIE ALTE:
Ich biete meinen besten Gruß
Dem Ritter mit dem Pferdefuß!
Halt Er einen rechten Pfropf bereit,
Wenn Er das große Loch nicht scheut.

PROKTOPHANTASMIST:
Verfluchtes Volk! was untersteht ihr euch?
Hat man euch lange nicht bewiesen:
Ein Geist steht nie auf ordentlichen Füßen?
Nun tanzt ihr gar, uns andern Menschen gleich!

DIE SCHÖNE (tanzend):
Was will denn der auf unserm Ball?

FAUST (tanzend):
Ei! der ist eben überall.
Was andre tanzen, muß er schätzen.
Kann er nicht jeden Schritt beschwätzen,
So ist der Schritt so gut als nicht geschehn.
Am meisten ärgert ihn, sobald wir vorwärts gehn.
Wenn ihr euch so im Kreise drehen wolltet,
Wie er's in seiner alten Mühle tut
Das hieß' er allenfalls noch gut
Besonders wenn ihr ihn darum begrüßen solltet.

PROKTOPHANTASMIST:
Ihr seid noch immer da! nein, das ist unerhört.
Verschwindet doch! Wir haben ja aufgeklärt!
Das Teufelspack, es fragt nach keiner Regel
Wir sind so klug, und dennoch spukt's in Tegel.
Wie lange hab ich nicht am Wahn hinausgekehrt,
Und nie wird's rein; das ist doch unerhört!

DIE SCHÖNE:
So hört doch auf, uns hier zu ennuyieren!

PROKTOPHANTASMIST:
Ich sag's euch Geistern ins Gesicht:
Den Geistesdespotismus leid ich nicht;
Mein Geist kann ihn nicht exerzieren.
(Es wird fortgetanzt.)
Heut, seh ich, will mir nichts gelingen;
Doch eine Reise nehm ich immer mit
Und hoffe noch vor meinem letzten Schritt
Die Teufel und die Dichter zu bezwingen.

MEPHISTOPHELES:
Er wird sich gleich in eine Pfütze setzen,
Das ist die Art, wie er sich soulagiert,
Und wenn Blutegel sich an seinem Steiß ergetzen,
Ist er von Geistern und von Geist kuriert.
(Zu Faust, der aus dem Tanz getreten ist.)
Was lässest du das schöne Mädchen fahren,
Das dir zum Tanz so lieblich sang?

FAUST:
Ach! mitten im Gesange sprang
Ein rotes Mäuschen ihr aus dem Munde.

MEPHISTOPHELES:
Das ist was Rechts! das nimmt man nicht genau;
Genug, die Maus war doch nicht grau.
Wer fragt darnach in einer Schäferstunde?

FAUST:
Dann sah ich-

MEPHISTOPHELES:
Was?

FAUST:
Mephisto, siehst du dort Ein blasses, schönes Kind allein und ferne stehen?
Sie schiebt sich langsam nur vom Ort,
Sie scheint mit geschloßnen Füßen zu gehen.
Ich muß bekennen, daß mir deucht,
Daß sie dem guten Gretchen gleicht.

MEPHISTOPHELES:
Laß das nur stehn! dabei wird's niemand wohl.
Es ist ein Zauberbild, ist leblos, ein Idol.
Ihm zu begegnen, ist nicht gut:
Vom starren Blick erstarrt des Menschen Blut,
Und er wird fast in Stein verkehrt;
Von der Meduse hast du ja gehört.

FAUST:
Fürwahr, es sind die Augen einer Toten,
Die eine liebende Hand nicht schloß.
Das ist die Brust, die Gretchen mir geboten,
Das ist der süße Leib, den ich genoß.

MEPHISTOPHELES:
Das ist die Zauberei, du leicht verführter Tor!
Denn jedem kommt sie wie sein Liebchen vor.

FAUST:
Welch eine Wonne! welch ein Leiden!
Ich kann von diesem Blick nicht scheiden.
Wie sonderbar muß diesen schönen Hals
Ein einzig rotes Schnürchen schmücken,
Nicht breiter als ein Messerrücken!

MEPHISTOPHELES:
Ganz recht! ich seh es ebenfalls.
Sie kann das Haupt auch unterm Arme tragen,
Denn Perseus hat's ihr abgeschlagen.
Nur immer diese Lust zum Wahn!
Komm doch das Hügelchen heran,
Hier ist's so lustig wie im Prater
Und hat man mir's nicht angetan,
So seh ich wahrlich ein Theater.
Was gibt's denn da?

SERVIBILIS:
Gleich fängt man wieder an. Ein neues Stück, das letzte Stück von sieben.
So viel zu geben ist allhier der Brauch,
Ein Dilettant hat es geschrieben
Und Dilettanten spielen's auch.
Verzeiht, ihr Herrn, wenn ich verschwinde
Mich dilettiert's, den Vorhang aufzuziehn.

MEPHISTOPHELES:
Wenn ich euch auf dem Blocksberg finde,
Das find ich gut; denn da gehört ihr hin.



Walpurgisnachtstraum

oder Oberons und Titanias goldne Hochzeit Intermezzo


THEATERMEISTER:
Heute ruhen wir einmal,
Miedings wackre Söhne.
Alter Berg und feuchtes Tal,
Das ist die ganze Szene!

HEROLD:
Daß die Hochzeit golden sei,
Solln funfzig Jahr sein vorüber;
Aber ist der Streit vorbei,
Das golden ist mir lieber.

OBERON:
Seid ihr Geister, wo ich bin,
So zeigt's in diesen Stunden;
König und die Königin,
Sie sind aufs neu verbunden.

PUCK:
Kommt der Puck und dreht sich quer
Und schleift den Fuß im Reihen;
Hundert kommen hinterher,
Sich auch mit ihm zu freuen.

ARIEL:
Ariel bewegt den Sang
In himmlisch reinen Tönen;
Viele Fratzen lockt sein Klang,
Doch lockt er auch die Schönen.

OBERON:
Gatten, die sich vertragen wollen,
Lernen's von uns beiden!
Wenn sich zweie lieben sollen,
Braucht man sie nur zu scheiden.

TITANIA:
Schmollt der Mann und grillt die Frau,
So faßt sie nur behende,
Führt mir nach dem Mittag sie,
Und ihn an Nordens Ende.

ORCHESTER TUTTI (Fortissimo):
Fliegenschnauz und Mückennas
Mit ihren Anverwandten,
Frosch im Laub und Grill im Gras,
Das sind die Musikanten!

SOLO:
Seht, da kommt der Dudelsack!
Es ist die Seifenblase.
Hört den Schneckeschnickeschnack
Durch seine stumpfe Nase

GEIST, DER SICH ERST BILDET:
Spinnenfuß und Krötenbauch
Und Flügelchen dem Wichtchen!
Zwar ein Tierchen gibt es nicht,
Doch gibt es ein Gedichtchen.

EIN PÄRCHEN:
Kleiner Schritt und hoher Sprung
Durch Honigtau und Düfte
Zwar du trippelst mir genung,
Doch geh's nicht in die Lüfte.

NEUGIERIGER REISENDER:
Ist das nicht Maskeradenspott?
Soll ich den Augen trauen,
Oberon, den schönen Gott,
Auch heute hier zu schauen?

ORTHODOX:
Keine Klauen, keinen Schwanz!
Doch bleibt es außer Zweifel:
So wie die Götter Griechenlands,
So ist auch er ein Teufel.

NORDISCHER KÜNSTLER:
Was ich ergreife, das ist heut
Fürwahr nur skizzenweise;
Doch ich bereite mich beizeit
Zur italien'schen Reise.

PURIST:
Ach! mein Unglück führt mich her:
Wie wird nicht hier geludert!
Und von dem ganzen Hexenheer
Sind zweie nur gepudert.

JUNGE HEXE
Der Puder ist so wie der Rock
Für alt' und graue Weibchen,
Drum sitz ich nackt auf meinem Bock
Und zeig ein derbes Leibchen.

MATRONE:
Wir haben zu viel Lebensart
Um hier mit euch zu maulen!
Doch hoff ich, sollt ihr jung und zart
So wie ihr seid, verfaulen.

KAPELLMEISTER:
Fliegenschnauz und Mückennas
Umschwärmt mir nicht die Nackte!
Frosch im Laub und Grill im Gras,
So bleibt doch auch im Takte!

WINDFAHNE (nach der einen Seite):
Gesellschaft, wie man wünschen kann:
Wahrhaftig lauter Bräute!
Und Junggesellen, Mann für Mann,
Die hoffnungsvollsten Leute!

WINDFAHNE (nach der andern Seite):
Und tut sich nicht der Boden auf,
Sie alle zu verschlingen,
So will ich mit behendem Lauf
Gleich in die Hölle springen.

XENIEN:
Als Insekten sind wir da,
Mit kleinen scharfen Scheren,
Satan, unsern Herrn Papa,
Nach Würden zu verehren.

HENNINGS:
Seht, wie sie in gedrängter Schar
Naiv zusammen scherzen!
Am Ende sagen sie noch gar,
Sie hätten gute Herzen.

MUSAGET:
Ich mag in diesem Hexenheer
Mich gar zu gern verlieren;
Denn freilich diese wüßt ich eh'r
Als Musen anzuführen.

CI-DEVANT GENIUS DER ZEIT:
Mit rechten Leuten wird man was.
Komm, fasse meinen Zipfel!
Der Blocksberg, wie der deutsche Parnaß,
Hat gar einen breiten Gipfel.

NEUGIERIGER REISENDER:
Sagt, wie heißt der steife Mann?
Er geht mit stolzen Schritten.
Er schnopert, was er schnopern kann.
"Er spürt nach Jesuiten."

KRANICH:
In dem klaren mag ich gern
Und auch im trüben fischen;
Darum seht ihr den frommen Herrn
Sich auch mit Teufeln mischen.

WELTKIND:
Ja, für die Frommen, glaubet mir,
Ist alles ein Vehikel,
Sie bilden auf dem Blocksberg hier
Gar manches Konventikel.

TÄNZER:
Da kommt ja wohl ein neues Chor?
Ich höre ferne Trommeln.
"Nur ungestört! es sind im Rohr
Die unisonen Dommeln."

TANZMEISTER:
Wie jeder doch die Beine lupft!
Sich, wie er kann, herauszieht!
Der Krumme springt, der Plumpe hupft
Und fragt nicht, wie es aussieht.

FIEDLER:
Das haßt sich schwer, das Lumpenpack,
Und gäb sich gern das Restchen;
Es eint sie hier der Dudelsack,
Wie Orpheus' Leier die Bestjen.

DOGMATIKER:
Ich lasse mich nicht irre schrein,
Nicht durch Kritik noch Zweifel.
Der Teufel muß doch etwas sein;
Wie gäb's denn sonst auch Teufel?

IDEALIST:
Die Phantasie in meinem Sinn
Ist diesmal gar zu herrisch.
Fürwahr, wenn ich das alles bin,
So bin ich heute närrisch.

REALIST:
Das Wesen ist mir recht zur Qual
Und muß mich baß verdrießen;
Ich stehe hier zum erstenmal
Nicht fest auf meinen Füßen.

SUPERNATURALIST:
Mit viel Vergnügen bin ich da
Und freue mich mit diesen;
Denn von den Teufeln kann ich ja
Auf gute Geister schließen.

SKEPTIKER:
Sie gehn den Flämmchen auf der Spur
Und glaubn sich nah dem Schatze.
Auf Teufel reimt der Zweifel nur;
Da bin ich recht am Platze.

KAPELLMEISTER:
Frosch im Laub und Grill im Gras,
Verfluchte Dilettanten!
Fliegenschnauz und Mückennas,
Ihr seid doch Musikanten!

DIE GEWANDTEN:
Sanssouci, so heißt das Heer
Von lustigen Geschöpfen;
Auf den Füßen geht's nicht mehr,
Drum gehn wir auf den Köpfen.

DIE UNBEHILFLICHEN:
Sonst haben wir manchen Bissen erschranzt,
Nun aber Gott befohlen!
Unsere Schuhe sind durchgetanzt,
Wir laufen auf nackten Sohlen.

IRRLICHTER:
Von dem Sumpfe kommen wir,
Woraus wir erst entstanden;
Doch sind wir gleich im Reihen hier
Die glänzenden Galanten.

STERNSCHNUPPE:
Aus der Höhe schoß ich her
Im Stern- und Feuerscheine,
Liege nun im Grase quer-
Wer hilft mir auf die Beine?

DIE MASSIVEN:
Platz und Platz! und ringsherum!
So gehn die Gräschen nieder.
Geister kommen, Geister auch,
Sie haben plumpe Glieder.

PUCK:
Tretet nicht so mastig auf
Wie Elefantenkälber,
Und der plumpst' an diesem Tag
Sei Puck, der derbe, selber.

ARIEL:
Gab die liebende Natur,
Gab der Geist euch Flügel,
Folget meiner leichten Spur,
Auf zum Rosenhügel!

ORCHESTER (Pianissimo):
Wolkenzug und Nebelflor
Erhellen sich von oben.
Luft im Laub und Wind im Rohr,
Und alles ist zerstoben.



Trüber Tag. Feld

Faust. Mephistopheles.


FAUST:
Im Elend! Verzweifelnd! Erbärmlich auf der Erde lange verirrt und nun
gefangen! Als Missetäterin Im Kerker zu entsetzlichen Qualen eingesperrt,
das holde unselige Geschöpf! Bis dahin! dahin!- Verräterischer,
nichtswürdiger Geist, und das hast du mir verheimlicht!- Steh nur, steh!
wälze die teuflischen Augen ingrimmend im Kopf herum! Steh und trutze mir
durch deine unerträgliche Gegenwart! Gefangen! Im unwiederbringlichen
Elend! Bösen Geistern übergeben und der richtenden gefühllosen Menschheit!
Und mich wiegst du indes in abgeschmackten Zerstreuungen, verbirgst mir
ihren wachsenden Jammer und lässest sie hilflos verderben!

MEPHISTOPHELES:
Sie ist die erste nicht.

FAUST:
Hund! abscheuliches Untier!- Wandle ihn, du unendlicher Geist! wandle den
Wurm wieder in seine Hundsgestalt, wie er sich oft nächtlicherweile gefiel,
vor mir herzutrotten, dem harmlosen Wandrer vor die Füße zu kollern und
sich dem niederstürzenden auf die Schultern zu hängen. Wandl' ihn wieder in
seine Lieblingsbildung, daß er vor mir im Sand auf dem Bauch krieche ich
ihn mit Füßen trete, den Verworfnen!- "Die erste nicht!"- Jammer! Jammer!
von keiner Menschenseele zu fassen, daß mehr als ein Geschöpf in die Tiefe
dieses Elendes versank, daß nicht das erste genugtat für die Schuld aller
übrigen in seiner windenden Todesnot vor den Augen des ewig Verzeihenden!
Mir wühlt es Mark und Leben durch, das Elend dieser einzigen- du grinsest
gelassen über das Schicksal von Tausenden hin!

MEPHISTOPHELES:
Nun sind wir schon wieder an der Grenze unsres Witzes, da, wo euch Menschen
der Sinn überschnappt. Warum machst du Gemeinschaft mit uns wenn du sie
nicht durchführen kannst? Willst fliegen und bist vorm Schwindel nicht
sicher? Drangen wir uns dir auf, oder du dich uns?

FAUST:
Fletsche deine gefräßigen Zähne mir nicht so entgegen! Mir ekelt's!-
Großer, herrlicher Geist, der du mir zu erscheinen würdigtest, der du mein
Herz kennest und meine Seele, warum an den Schandgesellen mich schmieden,
der sich am Schaden weidet und am Verderben sich letzt?

MEPHISTOPHELES:
Endigst du?

FAUST:
Rette sie! oder weh dir! Den gräßlichsten Fluch über dich auf Jahrtausende!

MEPHISTOPHELES:
Ich kann die Bande des Rächers nicht lösen, seine Riegel nicht öffnen.-
"Rette sie!"- Wer war's, der sie ins Verderben stürzte? Ich oder du?
(Faust blickt wild umher.)
Greifst du nach dem Donner? Wohl, daß er euch elenden Sterblichen nicht
gegeben ward! Den unschuldig Entgegnenden zu zerschmettern, das ist so
Tyrannenart, sich in Verlegenheiten Luft zu machen.

FAUST:
Bringe mich hin! Sie soll frei sein!

MEPHISTOPHELES:
Und die Gefahr, der du dich aussetzest? Wisse, noch liegt auf der Stadt
Blutschuld von deiner Hand. Über des Erschlagenen Stätte schweben rächende
Geister und lauern auf den wiederkehrenden Mörder.

FAUST:
Noch das von dir? Mord und Tod einer Welt über dich Ungeheuer! Führe mich
hin, sag ich, und befrei sie.

MEPHISTOPHELES:
Ich führe dich, und was ich tun kann, höre! Habe ich alle Macht im Himmel
und auf Erden? Des Türners Sinne will ich umnebeln, bemächtige dich der
Schlüssel und führe sie heraus mit Menschenhand! Ich wache, die
Zauberpferde sind bereit, ich entführe euch. Das vermag ich.

FAUST:
Auf und davon!



Nacht, offen Feld

Faust, Mephistopheles, auf schwarzen Pferden daherbrausend.


FAUST:
Was weben die dort um den Rabenstein?

MEPHISTOPHELES:
Weiß nicht, was sie kochen und schaffen.

FAUST:
Schweben auf, schweben ab, neigen sich, beugen sich.

MEPHISTOPHELES:
Eine Hexenzunft.

FAUST:
Sie streuen und weihen.

MEPHISTOPHELES:
Vorbei! Vorbei!



Kerker

Faust mit einem Bund Schlüssel und einer Lampe, vor einem eisernen Türchen.


Mich faßt ein längst entwohnter Schauer,
Der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an
Hier wohnt sie hinter dieser feuchten Mauer
Und ihr Verbrechen war ein guter Wahn
Du zauderst, zu ihr zu gehen!
Du fürchtest, sie wiederzusehen!
Fort! dein Zagen zögert den Tod heran.
(Er ergreift das Schloß. Es singt inwendig.)
Meine Mutter, die Hur
Die mich umgebracht hat!
Mein Vater, der Schelm
Der mich gessen hat!
Mein Schwesterlein klein
Hub auf die Bein
An einem kühlen Ort;
Da ward ich ein schönes Waldvögelein;
Fliege fort, fliege fort!
FAUST (aufschließend):
Sie ahnet nicht, daß der Geliebte lauscht,
Die Ketten klirren hört, das Stroh, das rauscht.
(Er tritt ein.)

MARGARETE (sich auf dem Lager verbergend):
Weh! Weh! Sie kommen. Bittrer Tod!

FAUST (leise):
Still! Still! ich komme, dich zu befreien.

MARGARETE (sich vor ihn hinwälzend):
Bist du ein Mensch, so fühle meine Not.

FAUST:
Du wirst die Wächter aus dem Schlafe schreien!
(Er faßt die Ketten, sie aufzuschließen.)

MARGARETE (auf den Knien):
Wer hat dir Henker diese Macht
Über mich gegeben!
Du holst mich schon um Mitternacht.
Erbarme dich und laß mich leben!
Ist's morgen früh nicht zeitig genung?
(Sie steht auf.)
Bin ich doch noch so jung, so jung!
Und soll schon sterben!
Schön war ich auch, und das war mein Verderben.
Nah war der Freund, nun ist er weit;
Zerrissen liegt der Kranz, die Blumen zerstreut.
Fasse mich nicht so gewaltsam an!
Schone mich! Was hab ich dir getan?
Laß mich nicht vergebens flehen,
Hab ich dich doch mein Tage nicht gesehen!

FAUST:
Werd ich den Jammer überstehen!

MARGARETE:
Ich bin nun ganz in deiner Macht.
Laß mich nur erst das Kind noch tränken.
Ich herzt es diese ganze Nacht;
Sie nahmen mir's, um mich zu kränken,
Und sagen nun, ich hätt es umgebracht.
Und niemals werd ich wieder froh..
Sie singen Lieder auf mich! Es ist bös von den Leuten!
Ein altes Märchen endigt so,
Wer heißt sie's deuten?

FAUST (wirft sich nieder):
Ein Liebender liegt dir zu Füßen,
Die Jammerknechtschaft aufzuschließen.

MARGARETE (wirft sich zu ihm):
O laß uns knien, die Heil'gen anzurufen!
Sieh! unter diesen Stufen,
Unter der Schwelle
Siedet die Hölle!
Der Böse,
Mit furchtbarem Grimme,
Macht ein Getöse!

FAUST (lacht):
Gretchen! Gretchen!

MARGARETE (aufmerksam):
Das war des Freundes Stimme!
(Sie springt auf. Die Ketten fallen ab.)
Wo ist er? ich hab ihn rufen hören.
Ich bin frei! mir soll niemand wehren.
An seinen Hals will ich fliegen,
An seinem Busen liegen!
Er rief Gretchen! Er stand auf der Schwelle.
Mitten durchs Heulen und Klappen der Hölle,
Durch den grimmigen, teuflischen Hohn
Erkannt ich den süßen, den liebenden Ton.

FAUST:
Ich bin's!

MARGARETE:
Du bist's! O sag es noch einmal!
(Ihn fassend.)
Er ist's! Er ist's! Wohin ist alle Qual?
Wohin die Angst des Kerkers? der Ketten?
Du bist's! Kommst, mich zu retten.
Ich bin gerettet!
Schon ist die Straße wieder da
Auf der ich dich zum ersten Male sah
Und der heitere Garten'
Wo ich und Marthe deiner warten

FAUST (fortstrebend):
Komm mit! Komm mit!

MARGARETE:
O weile Weil ich doch so gern, wo du weilest.
(Liebkosend.)

FAUST:
Eile!
Wenn du nicht eilest
Werden wir's teuer büßen müssen.

MARGARETE:
Wie? du kannst nicht mehr küssen?
Mein Freund, so kurz von mir entfernt
Und hast's Küssen verlernt?
Warum wird mir an deinem Halse so bang?
Wenn sonst von deinen Worten, deinen Blicken
Ein ganzer Himmel mich überdrang
Und du mich küßtest, als wolltest du mich ersticken.
Küsse mich!
Sonst küß ich dich! (Sie umfaßt ihn.)
O weh! deine Lippen sind kalt,
Sind stumm.
Wo ist dein Lieben
Geblieben?
Wer brachte mich drum? (Sie wendet sich von ihm.)

FAUST:
Komm! Folge mir! Liebchen, fasse Mut!
Ich herze dich mit tausendfacher Glut
Nur folge mir! Ich bitte dich nur dies!

MARGARETE (zu ihm gewendet):
Und bist du's denn? Und bist du's auch gewiß?

FAUST:
Ich bin's! Komm mit!

MARGARETE:
Du machst die Fesseln los, Nimmst wieder mich in deinen Schoß.
Wie kommt es, daß du dich vor mir nicht scheust?
Und weißt du denn, mein Freund, wen du befreist?

FAUST:
Komm! komm! schon weicht die tiefe Nacht.

MARGARETE:
Meine Mutter hab ich umgebracht,
Mein Kind hab ich ertränkt.
War es nicht dir und mir geschenkt?
Dir auch.- Du bist's! ich glaub es kaum.
Gib deine Hand! Es ist kein Traum!
Deine liebe Hand!- Ach, aber sie ist feucht!
Wische sie ab! Wie mich deucht,
Ist Blut dran.
Ach Gott! was hast du getan!
Stecke den Degen ein,
Ich bitte dich drum!
FAUST:
Laß das Vergangne vergangen sein,
Du bringst mich um.

MARGARETE:
Nein, du mußt übrigbleiben!
Ich will dir die Gräber beschreiben,
Für die mußt du sorgen
Gleich morgen;
Der Mutter den besten Platz geben,
Meinen Bruder sogleich darneben,
Mich ein wenig beiseit',
Nur nicht gar zu weit!
Und das Kleine mir an die rechte Brust.
Niemand wird sonst bei mir liegen!-
Mich an deine Seite zu schmiegen,
Das war ein süßes, ein holdes Glück!
Aber es will mir nicht mehr gelingen;
Mir ist's, als müßt ich mich zu dir zwingen,
Als stießest du mich von dir zurück;
Und doch bist du's und blickst so gut, so fromm.

FAUST:
Fühlst du, daß ich es bin, so komm!

MARGARETE:
Dahinaus?

FAUST:
Ins Freie.

MARGARETE:
Ist das Grab drauß, Lauert der Tod, so komm!
Von hier ins ewige Ruhebett
Und weiter keinen Schritt
Du gehst nun fort? O Heinrich, könnt ich mit!

FAUST:
Du kannst! So wolle nur! Die Tür steht offen!

MARGARETE:
Ich darf nicht fort; für mich ist nichts zu hoffen.
Was hilft es, fliehn? Sie lauern doch mir auf.
Es ist so elend, betteln zu müssen
Und noch dazu mit bösem Gewissen!
Es ist so elend, in der Fremde schweifen
Und sie werden mich doch ergreifen!

FAUST:
Ich bleibe bei dir

MARGARETE:
Geschwind! Geschwind!
Rette dein armes Kind!
Fort! immer den Weg
Am Bach hinauf,
Über den Steg,
In den Wald hinein,
Links, wo die Planke steht,
Im Teich.
Faß es nur gleich!
Es will sich heben,
Es zappelt noch!
Rette! rette!

FAUST:
Besinne dich doch!
Nur einen Schritt, so bist du frei!

MARGARETE:
Wären wir nur den Berg vorbei!
Da sitzt meine Mutter auf einem Stein,
Es faßt mich kalt beim Schopfe!
Da sitzt meine Mutter auf einem Stein
Und wackelt mit dem Kopfe
Sie winkt nicht, sie nickt nicht, der Kopf ist ihr schwer,
Sie schlief so lange, sie wacht nicht mehr.
Sie schlief, damit wir uns freuten.
Es waren glückliche Zeiten!

FAUST:
Hilft hier kein Flehen, hilft kein Sagen,
So wag ich's, dich hinwegzutragen.

MARGARETE:
Laß mich! Nein, ich leide keine Gewalt!
Fasse mich nicht so mörderisch an!
Sonst hab ich dir ja alles zulieb getan.

FAUST:
Der Tag graut! Liebchen! Liebchen!

MARGARETE:
Tag! Ja, es wird Tag! der letzte Tag dringt herein;
Mein Hochzeittag sollt es sein!
Sag niemand, daß du schon bei Gretchen warst.
Weh meinem Kranze!
Es ist eben geschehn!
Wir werden uns wiedersehn;
Aber nicht beim Tanze.
Die Menge drängt sich, man hört sie nicht.
Der Platz, die Gassen
Können sie nicht fassen.
Die Glocke ruft, das Stäbchen bricht.
Wie sie mich binden und packen!
Zum Blutstuhl bin ich schon entrückt.
Schon zuckt nach jedem Nacken
Die Schärfe, die nach meinem zückt.
Stumm liegt die Welt wie das Grab!

FAUST:
O wär ich nie geboren!

MEPHISTOPHELES (erscheint draußen):
Auf! oder ihr seid verloren.
Unnützes Zagen! Zaudern und Plaudern!
Mein Pferde schaudern,
Der Morgen dämmert auf.

MARGARETE:
Was steigt aus dem Boden herauf?
Der! der! Schick ihn fort!
Was will der an dem heiligen Ort?
Er will mich!

FAUST:
Du sollst leben!

MARGARETE:
Gericht Gottes! dir hab ich mich übergeben!

MEPHISTOPHELES (zu Faust):
Komm! komm! Ich lasse dich mit ihr im Stich.

MARGARETE:
Dein bin ich, Vater! Rette mich!
Ihr Engel! Ihr heiligen Scharen,
Lagert euch umher, mich zu bewahren!
Heinrich! Mir graut's vor dir.

MEPHISTOPHELES:
Sie ist gerichtet!

STIMME (von oben):
Ist gerettet!

MEPHISTOPHELES (zu Faust):
Her zu mir!
(Verschwindet mit Faust.)

STIMME (von innen, verhallend):
Heinrich! Heinrich!







 


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