Geschichte des Agathon, Teil 2
by
Christoph Martin Wieland

Part 2 out of 4



sich selbst zu kommen, und den Abgrund gewahr zu werden, an dessen
blumichtem Rand er in unsinniger Sorglosigkeit herumtanzte.

Man kennt die Staatsverwaltung wollüstiger Prinzen aus ältern und neuern
Beispielen zu gut, als daß wir nötig hätten, uns darüber auszubreiten.
Was für eine Regierung ist von einem jungen Unbesonnenen zu erwarten,
dessen Leben ein immerwährendes Bacchanal ist? Der keine von den großen
Pflichten seines Berufs kennt, und die Kräfte, die er zu ihrer Erfüllung
anstrengen sollte, bei nächtlichen Schmäusen und in den feilen Armen
üppiger Buhlerinnen verzettelt? Der, unbekümmert um das Beste des Staats,
seine Privat-Vorteile selbst so wenig einsieht, daß er das wahre Verdienst,
welches ihm verdächtig ist, hasset, und Belohnungen an diejenigen
verschwendet, die unter der Maske der eifrigsten Ergebenheit und einer
gänzlichen Aufopferung, seine gefährlichsten Feinde sind? Von einem
Prinzen, bei dem die wichtigsten Stellen auf die Empfehlung einer Tänzerin
oder der Sklaven, die ihn aus--und ankleiden, vergeben werden? Der sich
einbildet, daß ein Hofschranze, der gut tanzt, ein Nachtessen wohl
anzuordnen weiß, und ein überwindendes Talent hat, sich bei den Weibern in
Gunst zu setzen, unfehlbar auch das Talent eines Ministers oder eines
Feldherrn haben werde; oder, daß man zu allem in der Welt tüchtig sei,
sobald man die Gabe habe ihm zu gefallen?--Was ist von einer solchen
Regierung zu erwarten, als Verachtung aller göttlichen und menschlichen
Gesetze, Mißbrauch der Formalitäten der Gerechtigkeit, Gewaltsamkeiten,
schlimme Haushaltung, Erpressungen, Geringschätzung und Unterdrückung der
Tugend, allgemeine Verdorbenheit der Sitten?--Und was für eine Staatskunst
wird da Platz haben, wo Leidenschaften, Launen, vorüberfahrende Anstöße
von lächerlichem Ehrgeiz, die kindische Begierde von sich reden zu machen,
die Konvenienz eines Günstlings oder die Intriguen einer Buhlerin--die
Triebfedern der Staats-Angelegenheiten, der Verbindung und Trennung mit
auswärtigen Mächten, und des öffentlichen Betragens sind? Wo, ohne die
wahren Vorteile des Staats, oder seine Kräfte zu kennen, ohne Plan, ohne
kluge Abwägung und Verbindung der Mittel--doch, wir geraten unvermerkt in
den Ton der Deklamation, welcher uns bei einem längst erschöpften und doch
so alltäglichen Stoffe nicht zu vergeben wäre. Möchte niemand, der dieses
liest, aus der Erfahrung seines eignen Vaterlands wissen, wie einem Volke
mitgespielt wird, welches das Unglück hat, der Willkür eines Dionysius
preis gegeben zu sein!

Man wird sich nach allem, was wir eben gesagt haben, den Dionysius als
einen der schlimmsten Tyrannen, womit der Himmel jemals eine mit geheimen
Verbrechen belastete Nation gegeißelt habe, vorstellen; und so schildern
ihn auch die Geschichtschreiber. Allein ein Mensch der aus lauter
schlimmen Eigenschaften zusammengesetzt wäre, ist ein Ungeheuer, das nicht
existieren kann. Eben dieser Dionysius würde Fähigkeit genug gehabt haben,
ein guter Fürst zu werden, wenn er so glücklich gewesen wäre, zu seiner
Bestimmung gebildet zu werden. Aber es fehlte soviel, daß er die
Erziehung die sich für einen Prinzen schickt, bekommen hätte, daß ihm
nicht einmal diejenige zu teil wurde, die man einem jeden jungen Menschen
von mittelmäßigem Stande gibt. Sein Vater, der feigherzigste Tyrann der
jemals war, ließ ihn, von aller guten Gesellschaft abgesondert, unter
niedrigen Sklaven aufwachsen, und der präsumtive Thronfolger hatte kein
andres Mittel sich die Langeweile zu vertreiben, als daß er kleine Wagen,
hölzerne Leuchter, Schemel und Tisch'gen verfertigte. Man würde unrecht
haben, wenn man diese selbstgewählte Beschäftigung für einen Wink der
Natur halten wollte; es war vielmehr der Mangel an Gegenständen und
Modellen, welche dem allen Menschen angebornen Trieb Witz und Hände zu
beschäftigen, der sich in ihm regete, eine andere Richtung hätten geben
können: Er würde vielleicht Verse gemacht haben, und bessere als sein
Vater, (der unter andern Torheiten auch die Wut hatte, ein Poet sein zu
wollen) wenn man ihm einen Homer in seine Klause gegeben hätte. Wie
manche Prinzen hat man gesehen, welche mit der Anlage zu Augusten und
Trajanen, aus Schuld derjenigen, die über ihre Erziehung gesetzt waren,
oder durch die Unfähigkeit eines dummen, mit klösterlichen Vorurteilen
angefüllten Mönchen, dem sie auf Diskretion überlassen wurden in Nerone
und Heliogabale ausgeartet sind?--Eine genaue und ausführliche Entwicklung,
wie dieses zugehe; wie es unter gewissen gegebenen Umständen nicht anders
möglich sei, als daß durch eine so fehlerhafte Veranstaltung das beste
Naturell, in ein Karikaturenmäßiges moralisches Mißgeschöpfe verzogen
werden müsse, wäre, wie uns deucht, ein sehr nützlicher Stoff, den wir der
Bearbeitung irgend eines Mannes von Genie empfehlen, der bei
philosophischen Einsichten eine hinlängliche Kenntnis der Welt besäße.
Unsre aufgeklärten und politen Zeiten sind weder dieses noch jenes in so
hohem Grade, daß ein solches Werk überflüssig sein sollte; und wenn die
Ausführung der Würde des Stoffes zusagte, so zweifeln wir nicht, daß es
glücklich genug werden könnte, von mancher Provinz die lange Folge von
Plagen abzuwenden, welche ihr vielleicht durch die fehlerhafte Erziehung
ihrer noch ungebornen Beherrscher in den nächsten hundert Jahren
bevorstehen.




ZWEITES KAPITEL

Charakter des Dion. Anmerkungen über denselben. Eine Digression


Die Syracusaner waren des Jochs schon zu wohl gewohnt, um einen Versuch zu
machen, es nach dem Tode des alten Dionysius abzuschütteln. Es war nicht
einmal soviel Tugend unter ihnen übrig, daß einige von denen, welche
besser dachten als der große Haufen, und die verächtliche Brut der
Parasiten, den Mut gehabt hätten, sich durch diese letztern hindurch bis
zu dem Ohre des jungen Prinzen zu drängen, um ihm Wahrheiten zu sagen, von
denen seine eigene Glückseligkeit eben so wohl abhing, als die Wohlfahrt
von Sicilien. Ganz Syracus hatte nur einen Mann, dessen Herz groß genug
hiezu war; und auch dieser würde sich vermutlich in eben diese sichere
aber unrühmliche Dunkelheit eingehüllet haben, worein ehrliche Leute unter
einer unglückweissagenden Regierung sich zu verbergen pflegen; wenn ihn
seine Geburt nicht berechtiget, und sein Interesse genötiget hätte, sich
um die Staats-Verwaltung zu bekümmern.

Dieser Mann war Dion, ein Bruder der Stiefmutter des Dionys, und der
Gemahl seiner Schwester; der Nächste nach ihm im Staat, und der Einzige,
der sich durch seine große Fähigkeiten, durch sein Ansehen bei dem Volke,
und durch die unermeßliche Reichtümer, die er besaß, furchtbar und des
Projekts verdächtig machen konnte, sich entweder an seine Stelle zu setzen,
oder die republikanische Verfassung wiederherzustellen. Wenn wir den
Geschichtschreibern, insonderheit dem tugendhaften und gutherzigen
Plutarch einen unumschränkten Glauben schuldig wären, so würden wir den
Dion unter die wenigen Helden und Champions der Tugend zählen müssen,
welche sich, (um dem Plato einen Ausdruck abzuborgen) zu der Würde und
Größe guter Dämonen, oder Beschützender Genien und Wohltäter des
Menschen-Geschlechts emporgeschwungen haben--welche fähig sind, aus dem
erhabenen Beweggrunde einer reinen Liebe der sittlichen Ordnung und des
allgemeinen Besten zu handeln, und über dem Bestreben, andere glücklich zu
machen, sich selbst aufzuopfern, weil sie unter dieser in die Sinne
fallenden sterblichen Hülle ein edleres Selbst tragen, welches seine
angeborne Vollkommenheit desto herrlicher entfaltet, je mehr jenes
animalische Selbst unterdrückt wird--welche im Glück und im Unglück gleich
groß, durch dieses nicht verdunkelt werden, und von jenem keinen Glanz
entlehnen, sondern immer sich selbst genugsam, Herren ihrer Leidenschaften,
und über die Bedürfnisse gemeiner Seelen erhaben, eine Art von
sublunarischen Göttern sind. Ein solcher Charakter fällt allerdings gut
in die Augen, ergötzt den moralischen Sinn (wenn wir anders dieses Wort
gebrauchen dürfen, ohne mit Hutchinson zu glauben, daß die Seele ein
besonderes geistiges Werkzeug, die moralische Dinge zu empfinden habe) und
erweckt den Wunsch, daß er mehr als eine schöne Schimäre sein möchte.
Aber wir gestehen, daß wir, aus erheblichen Gründen, mit zunehmender
Erfahrung, immer mißtrauischer gegen die menschlichen--und warum also
nicht gegen die übermenschlichen Tugenden werden.

Es ist wahr, wir finden in dem Leben Dions Beweise großer Fähigkeiten, und
vorzüglich einer gewissen Erhabenheit und Stärke des Gemüts, die man
gemeiniglich mit gröbern, weniger reizbaren Fibern und derjenigen Art von
Temperament verbunden sieht, welches ungesellig, ernsthaft, stolz und
spröde zu machen pflegt. An jede Art von Temperament grenzen wie man weiß,
gewisse Tugenden; und wenn es sich noch fügt, daß die Entwicklung dieser
Anlage zu demselben durch günstige Umstände befördert wird, so ist nichts
natürlichers, als daß sich daraus ein Charakter bildet, der durch gewisse
hervorstechende Tugenden blendet, die eben darum zu einer völligern
Schönheit gelangen, weil kein innerlicher Widerstand sich ihrem Wachstum
entgegensetzt. Diese Art von Tugenden finden wir bei dem Dion in großem
Grade: Aber ihm, oder irgend einem andern ein Verdienst daraus machen,
wäre eben so viel, als einem Athleten die Elastizität seiner Sehnen, oder
einem gesunden blühenden Mädchen ihre gute Farbe und die Wölbung ihres
Busens als Verdienste anrechnen, welche ihnen ein Recht an die allgemeine
Hochachtung geben sollten. Ja, wenn Dion sich durch diejenige Tugenden
vorzüglich unterschieden hätte, zu denen er von Natur nicht aufgelegt war;
und wenn er es so weit gebracht hätte, sie mit eben der Leichtigkeit und
Grazie auszuüben, als ob sie ihm angeboren wären--aber wie viel daran
fehlte, daß er der Philosophie seines Lehrers und Freundes Platon soviel
Ehre gemacht hätte, davon finden wir in den eigenen Briefen dieses Weisen,
und in dem Betragen Dions in den wichtigsten Auftritten seines Lebens die
zuverlässigsten Beweise: Niemals konnte er es dahin bringen, oder
vielleicht gefiel es ihm nicht, den Versuch zu machen, und beides läuft
auf Eines hinaus, diese Austerität, diese Unbiegsamkeit, diese wenige
Gefälligkeit im Umgang, welche die Herzen von sich zurückstieß, zu
überwinden. Vergebens ermahnte ihn Plato den Huldgöttinnen zu opfern, und
erinnerte ihn, daß Sprödigkeit sich nur für Einsiedler schicke; Dion
bewies durch seine Ungelehrigkeit über diesen Punkt, daß die Philosophie
ordentlicher Weise uns nur die Fehler vermeiden macht, zu denen wir keine
Anlage haben, und uns nur in solchen Tugenden befestiget, zu denen wir
ohnehin geneigt sind.

Indessen war er nichts desto weniger derjenige, auf welchen ganz Sicilien
die Augen gerichtet hatte. Die Weisheit seines Betragens, seine Abneigung
von allen Arten der sinnlichen Ergötzungen, seine Mäßigung, Nüchternheit
und Frugalität, erwarben ihm desto mehr Hochachtung, je stärker sie mit
der zügellosen Schwelgerei und Verschwendung des Tyrannen kontrastierte.
Man sah, daß er allein im Stande war, ihm das Gleichgewicht zu halten, und
man erwartete das Beste von ihm, es sei nun daß er sich der Regierung für
sich selbst, oder die jungen Söhne seiner Schwester bemächtigen, oder sich
begnügen würde, der Mentor des Dionysius zu sein.

Die natürliche Unempfindlichkeit Dions gegen die Reizungen der Wollust,
welche den Syracusanern soviel Vertrauen zu ihm gab, blendete in der Folge
auch die Griechen des festen Landes, zu denen er sich vor dem Tyrannen zu
flüchten genötiget wurde. Selbst die Akademie, diese damals so berühmte
Schule der Weisheit, scheint stolz darauf gewesen zu sein, einen so nahen
Verwandten des wiewohl unrechtmäßigen Beherrschers von Sicilien, unter
ihre Pflegsöhne zählen zu können. Die königliche Pracht, welche er in
seiner Lebensart affektierte, war in ihren Augen (so gewiß ist es, daß
auch weise Augen manchmal durch die Eitelkeit verfälscht werden) der
Ausdruck der innern Majestät seiner Seele; sie schlossen ungefähr nach
eben der Logik, welche einen Verliebten von den Reizungen seiner Dame auf
die Güte ihres Herzens schließen macht; und sahen nicht, oder wollten
nicht sehen, daß eben dieser von den republikanischen Sitten so weit
entfernte Pomp ein sehr deutliches Zeichen war, daß es weniger einer
Erhabenheit über die gewöhnlichen Schwachheiten der Großen und Reichen,
als dem Mangel der Begierden zu zuschreiben sei, wenn derjenige gegen die
Vergnügungen der Sinne gleichgültig war, der sich von der Eitelkeit
dahinreißen ließ, durch ein Gepränge mit Reichtümern, deren er sich als
der Früchte seiner Verhältnisse mit der Familie des Tyrannen vielmehr
hätte schämen sollen, unter einem freien Volke sich unterscheiden zu
wollen.

Doch, indem ich diese Gelegenheit ergreife, die übertriebene Lobsprüche zu
mäßigen, welche an die Günstlinge des Glückes verschwendet zu werden
pflegen, sobald sie einigen Schimmer der Tugend von sich werfen; begehre
ich nicht in Abrede zu sein, daß Dion, so wie er war, einen Thron eben so
würdig erfüllt haben würde, als wenig er sich schickte, mit einem durch
die lange Gewohnheit der Fesseln entnervten Volke, in dem Mittelstand
zwischen Sklaverei und Freiheit, worein er dasselbe in der Folge durch die
Vertreibung des Dionysius setzte, so sanft und behutsam umzugehen, als es
hätte geschehen müssen, wenn seine Unternehmung für die Syracusaner und
ihn selbst glücklich hätte ausschlagen sollen. Plutarch vergleicht dieses
Volk, in dem Zeitpunkt, da es das Joch der Tyrannie abzuschütteln anfing,
sehr glücklich mit Leuten, die von einer langwierigen Krankheit wieder
aufstehen, und, ungeduldig sich der Vorschrift eines klugen Arztes in
Absicht ihrer Diät zu unterwerfen, sich zu früh wie gesunde Leute betragen
wollen. Aber darin können wir nicht mit ihm einstimmen, daß Dion dieser
geschickte Arzt für sie gewesen sei. Sehr wahrscheinlich hat die
platonische Philosophie selbst, von deren idealischer Sitten--und
Staats-Lehre er ein so großer Bewunderer war, sehr vieles dazu beigetragen,
daß er weniger als ein Andrer, der nicht nach so sehr abgezogenen
Grundsätzen gehandelt hätte, zum Arzt eines äußerst verdorbenen Volkes
geeigenschaftet war. Vielfältige Erfahrungen zu verschiedenen Zeiten und
unter verschiedenen Völkern haben es gewiesen, daß die Dion, die Caton,
die Brutus, die Algernon Sidney allemal unglücklich sein werden, wenn sie
einen von alten bösartigen Schaden entkräfteten und zerfressenen
Staats-Körper in den Stand der Gesundheit wieder herzustellen versuchen.
Zu einer solchen Operation gehören viele Gehülfen; und Männer von einer so
außerordentlichen Art sind unter einer Million Menschen allein: Es ist
genug, wenn das Ziel, wie Solon von seinen Gesetzen sagte, das Beste ist,
das in den vorliegenden Umständen zu erreichen sein mag; und Sie wollen
immer das Beste, das sich denken läßt: Alle Mittel welche zugleich am
gewissesten und bäldesten zu diesem Ziel führen, sind die Besten; und sie
wollen keine andre gebrauchen, als welche nach den strengesten Regeln
einer oft allzuspitzfündigen Gerechtigkeit und Güte, rechtmäßig und gut
sind. "Löblich, vortrefflich, göttlich!"--rufen die schwärmerischen
Bewunderer der heroischen Tugend--wir wollten gerne mitrufen, wenn man uns
nur erst zeigen wollte, was diese hochgetriebene Tugend dem menschlichen
Geschlecht jemals geholfen habe--Dion zum Exempel, von den erhabenen Ideen
seines Lehrmeisters eingenommen, wollte dem befreiten Syracus eine
Regierungs-Form geben, welche so nah als möglich an die Platonische
Republik grenzte--und verfehlte darüber, zu seinem eignen Untergang, die
Mittel, ihr diejenige zu geben, deren sie fähig war. Brutus half den
Größesten der Sterblichen, den Fähigsten, eine ganze Welt zu regieren, der
jemals geboren worden ist, ermorden; weil ihm, in Rücksicht auf die Mittel
wodurch er zur höchsten Gewalt gelanget war, die Definition eines Tyrannen
zukam. Brutus wollte die Republik wiederherstellen. Noch einen Dolch für
den Marcus Antonius, (wie es der nicht so erhaben aber richtiger denkende
Cassius verlangte) so wären Ströme von Blut, so wäre das edelste Blut von
Rom, das kostbare Leben der besten Bürger gesparet worden, und der
glückliche Ausgang der ganzen Unternehmung versichert gewesen. Hätte sich
derjenige, der dem vermeinten allgemeinen Besten seines Vaterlandes ein so
großes Opfer gebracht hatte als Cäsar war, ein Bedenken machen sollen,
seinem majestätischen Schatten einen Antonius nachzuschicken?--Um eine Tat,
welche, ohne Sukzeß wie sie blieb, in den Augen seiner Zeitgenossen ein
verabscheuungswürdiger Meuchelmord war, und der unparteiischern Nachwelt
im gelindesten Lichte betrachtet, wahnsinniger Enthusiasmus scheinen muß,
zu einer so glorreichen Unternehmung zu machen, als jemals die große Seele
eines Römers geschwellt hatte. Aber Brutus hatte Bedenklichkeiten, welche
ihm eine unzeitige Güte eingab; sein Ansehen entschied; Antonius bedankte
sich für sein Leben, und begrub den Platonischen Brutus unter den Trümmern,
der auf ewig umgestürzten Republik. Was half also sein Platonismus dem
Vaterlande? Wir haben uns vielleicht zu lange bei dieser Betrachtung
aufgehalten; aber die Beobachtung, die uns dazu verleitet hat, so alt sie
ist, scheint uns wichtig und an praktischen Folgerungen fruchtbar, deren
Nutzbarkeit sich über alle Stände ausbreiten, und besonders bei denjenigen
welche mit der Regierung und moralischen Disziplinierung der Menschen
beschäftiget sind, sich vorzüglich äußern würde, wenn sie besser
eingesehen und mit eben so viel Redlichkeit als Klugheit angewendet würden.
Vielleicht würden die Augen derjenigen, welche weder durch einen Nebel
noch durch gefärbte Gläser sehen, mit dem weinerlichlächerlichen
Schauspiel von so vielen ehrlichen Leuten verschont bleiben, die aus allen
Kräften und mit der feirlichsten Ernsthaftigkeit leeres Stroh dreschen,
und wenn sie das ganze Jahr durch gedreschet haben, sich sehr verwundern,
daß nichts als Stroh auf der Tenne liegt--der Patriotische Phlegon würde
sich durch den allzuhitzigen Eifer, seine in allen Teilen verdorbene
Republik auf einmal durch eben so hitzige Mittel wieder gesund zu machen,
nicht so viel Verdruß zuziehen, und durch diesen Verdruß und die
Vergeblichkeit seiner undankbaren Bemühungen nicht veranlasset werden,
sich zu Tode--zu trinken--Der redliche Macrin würde sich nicht auf
Unkosten seiner Freiheit und vielleicht seines Lebens in den Kopf setzen,
aus einem Caligula einen Marc Aurel zu machen--Der wohlmeinende Diophant
würde einsehen, wie wenig Hoffnung er sich zu machen habe, Leute, welche
noch sehr weit entfernt sind erträgliche Menschen zu sein, in eine
Engelähnliche Vollkommenheit hinein zu deklamieren--Doch genug von einer
Materie, welche um gehörig ausgeführt zu werden, eine eigene Abhandlung
erfoderte.

Wie leicht es doch ist, seine nichts übels besorgende Leser in einen
Labyrinth von Parenthesen und Digressionen hineinzuführen, wenn man sich
einmal über eine abergläubische Regelmäßigkeit hinausgesetzt hat! Zwar
haben wir die Unsrigen schon lange benachrichtiget, daß wir uns bei
Gelegenheit dergleichen Freiheiten erlauben würden--Und doch wollen wir so
ehrlich sein und gestehen, daß wir uns weder in diesem Stück, noch, die
Wahrheit zu sagen, in irgend einem andern, Nachahmer zu bekommen wünschen.
Nicht als ob uns bange davor sei, man werde Ordnung und Zusammenhang in
dieser unsrer pragmatisch-kritischen Geschichte vermissen; sondern weil es
in der Tat unendlich mal leichter ist Miszellanien zu schreiben, als ein
ordentliches Werk, und es daher leicht geschehen könnte, daß ein junger
Skribent, der sich seiner bessern Bequemlichkeit wegen unsrer Methode
bedienen wollte, sich die Horazische Frage zuziehen könnte: Currente rotâ
cur urceus exit? Und wenn auch dieses nicht zu besorgen wäre, so gibt es
sehr wackere Leute, denen es schwer fällt, sich aus dergleichen
mäandrischen Abschweifungen wieder herauszuhelfen, und sobald es dem
Verfasser beliebt, wieder auf dem Punkt zu stehen, wo er mit ihm
ausgegangen ist. "Was hat man uns", werden solche Leser, zum Exempel
fragen, "in diesem ganzen Kapitel denn eigentlich sagen wollen?"--"Merken
sie auf, meine Herren, das war es--daß dieser Dion von dem die Rede war,
und um den Sie Sich übrigens, wie ich vermute, sehr wenig bekümmern, eine
ganz gute Art von Prinzen, aber doch nicht ganz so sehr ein Held von
Tugend gewesen sei, wie ihn ein gewisser ehrlicher Ober-Priester zu
Chäronea sich eingebildet--oder wenn man ihm auch eingestehen wollte, daß
er's gewesen sei, eben dadurch an seinem Platz nicht soviel getaugt habe,
als Sie, meine Herren, indem Sie ihrem Hauswesen wohl vorstehen, sich wohl
mit ihrer Gemahlin betragen, ihr Rechnungs-Buch in guter Ordnung halten,
und was dergleichen mehr ist--Nun verstehen wir einander doch?"




DRITTES KAPITEL

Eine Probe, daß die Philosophie so gut zaubern könne, als die Liebe


Die vorläufigen Nachrichten, welche wir dem Leser zu geben haben,
entfernen uns ziemlich lange von unserm Helden; allein, für Eins, so sind
sie zum Verständnis des Folgenden unentbehrlich; und fürs Andere, so
hätten wir auch dermalen nichts wichtigers von ihm zu sagen, als daß er im
Begriff sei, den Hausgöttern seines Freundes, des Kaufmanns, eine
andächtige Libation zu bringen, mit seiner Familie Bekanntschaft zu machen,
und nach einer leichten Abendmahlzeit von den Beschwerden der Seefahrt
auszuruhen.

Dion sah die Ausschweifungen des Dionys mit der Verachtung eines
kaltsinnigen Philosophen an, der keine Lust hatte Teil daran zu nehmen;
und mit dem Verdruß eines Staatsmannes, der sich in Gefahr sah, durch
einen Haufen junger Wollüstlinge, Lustigmacher, Pantomimen und Narren,
welche kein anderes Verdienst hatten, als den Prinzen zu belustigen, von
dem Ansehen, und dem Anteil an der Regierung, der ihm aus so guten Gründen
gebührte, nach und nach ausgeschlossen zu werden. Bei solcher Bewandtnis
hatte der Patriotismus das schönste Spiel, und die großen Beweggründe der
allgemeinen Wohlfahrt, die uneigennützige Betrachtung der verderblichen
Folgen, welche aus einer so heillosen Beschaffenheit des Hofes über den
ganzen Staat daherstürzen mußten, wurden durch jene geheimern Triebfedern
so kräftig unterstützt, daß er den festen Entschluß faßte, alles zu
versuchen, um seinen Verwandten auf einen bessern Weg zu bringen.

Er urteilte, den Grundsätzen Platons zufolge, daß die Unwissenheit des
Dionysius, und die Gewohnheit unter dem niedriggesinntesten Pöbel (es
waren mit alle dem junge Herren von sehr gutem Adel darunter) zu leben,
die Haupt-Quelle seiner verdorbenen Neigungen sei. Diesem nach hielt er
sich seiner Verbesserung versichert, wenn er die beste Gesellschaft um ihn
her versammeln, und ihm diese edle Wissensbegierde einflößen könnte,
welche bei denenjenigen, die von ihr begeistert sind, die animalischen
Triebe wo nicht gänzlich zu unterdrücken, doch gewiß zu dämmen und zu
mäßigen pflegt. Er ließ also keine Gelegenheit vorbei (und die
unzählichen Fehler, welche täglich in der Staats-Verwaltung gemacht wurden,
gaben ihm Gelegenheit genug) dem Tyrannen die Notwendigkeit vorzustellen,
Männer von einem großen Ruf der Weisheit um sich zu haben; und er führte
so viele Beweggründe an, daß er, unter einer Menge sehr erhabener, die an
einem Dionysius verloren gingen, endlich auch den einzigen traf, der seine
Eitelkeit interessierte. Doch selbst dieser schlüpfte nur leicht an
seinen Ohren hin, und ob er gleich dem Dion immer Recht gab, und die
besondern Unterredungen, welche sie über dergleichen Materien hatten,
allemal mit der Versicherung beschloß, daß er nicht ermangeln werde, von
so gutem Rat, Gebrauch zu machen; so würde doch schwerlich jemals mit
Ernst daran gedacht worden sein, wenn nicht ein kleiner physikalischer
Umstand dazu gekommen wäre, der den Vorstellungen des weisen Dion eine
Stärke gab, die nicht ihre eigene war.

Dionysius hatte, man weiß nicht aus welcher Veranlassung, seinem Hof, der
an Glanz und verschwenderischer üppigkeit es mit den Asiatischen aufnehmen
konnte, ein Fest gegeben, welches, nach der Versicherung der
Geschichtschreiber, drei Monate in einem fort daurte. Die
ausschweifendeste Einbildungs-Kraft kann nicht weiter gehen, als auf der
einen Seite, Pracht und Aufwand, und auf der andern Schwelgerei und
asotische Freiheit an diesem langwierigen Bacchanal getrieben wurden; denn
diesen Namen verdiente es um so mehr, weil, nachdem alle andre Erfindungen
erschöpft waren, die letzten Tage des dritten Monats, welche in die
Weinlese fielen, zu einer Vorstellung des Triumphes des Bacchus und seiner
ganzen poetischen Geschichte angewendet wurden. Dionys, der durch eine
Anspielung auf seinen Namen den Bacchus machte, trieb die Nachahmung so
weit über das Original selbst, daß die Feder eines Aretin und der Griffel
eines la Fage sich unvermögend hätten bekennen müssen, weiter zu gehen.
Die Quellen der Natur wurden erschöpft, und die unmächtige Begierde ihre
Grenzen zu erweitern--Doch, wir wollen kein Gemälde machen, das bei
Gegenständen dieser Art die Absicht, Abscheu zu erwecken, bei manchen
verfehlen möchte. Genug daß Dionys mit den Silenen, Nymphen, Faunen und
Satyren, seinen Gehülfen, die Tibere und Neronen der spätern Zeiten in die
Unmöglichkeit setzte, etwas mehr als bloße Kopisten von ihm zu sein. Wer
sollte sich vorstellen, daß aus einer so schlammichten Quelle die
heftigste Liebe der Philosophie, und eine Reformation, welche ganz
Sicilien und Griechenland in Erstaunen setzte, habe entspringen
können?--"Aber im Himmel und auf Erden sind eine Menge Dinge, wovon kein
Wort in unserm Compendio steht"--sagt der Shakespearische Hamlet zu seinem
Schulfreunde, Horazio.

Das unbändigste Temperament kann auf die Weise, wie es Dionysius anging,
endlich zu paaren getrieben werden. Unsre Bacchanten fanden sich von der
Unmäßigkeit, womit sie eine so lange Zeit den Göttern der Freude geopfert,
und von der Wut womit sie ihre Orgyia beschlossen hatten, so erschöpft,
daß sie genötiget waren, aufzuhören. Insonderheit befand sich Dionyß in
einem Stande der Vernichtung, der ihm weder Hoffnung noch Begierden übrig
ließ, jemals wieder eine solche Rolle zu spielen. Zum ersten mal seit dem
berauschenden Augenblicke, da er sich im Besitz der Gewalt, allen seinen
Leidenschaften den Zügel zu lassen sah, fühlte er ein Leeres in sich, in
welches er mit Grauen hineinschaute--Zum ersten mal fühlte er sich geneigt,
Reflexionen zu machen, wenn er das Vermögen dazu gehabt hätte. Aber er
erfuhr, mit einem lebhaften Unwillen über sich selbst und alle diejenigen,
welche ihn zu einem Tier zu machen geholfen hatten, daß er nichts in sich
habe, das er dem Ekel vor allen Vergnügungen der Sinne, und der
Langenweile, worin er sich verzehrte, entgegenstellen könnte. Alles was
er indessen sehr lebhaft fühlte, war dieses, daß er mitten unter lauter
Gegenständen, welche ihm seine scheinbare Größe und Glückseligkeit
ankündigten, in dem Zustande worin er war, sich selbst gegen über eine
sehr elende Figur machte. Kurz, alle Fibern seines Wesens hatten
nachgelassen; er verfiel in eine Art von dummer Schwermut, aus welcher ihn
alle seine Höflinge nicht herauslachen, und alle seine Tänzerinnen nicht
heraustanzen konnten.

In diesem kläglichen Zustande, den ihm die natürliche Ungeduld seines
Temperaments unerträglich machte, warf er sich in die Arme des Dions, der
sich während der letzten drei Monate in ein entferntes Landgut
zurückgezogen hatte; hörte seine Vorstellungen mit einer Aufmerksamkeit an,
deren er sonst niemals fähig gewesen war; und ergriff mit Verlangen die
Vorschläge, welche ihm dieser Weise tat, um so groß und glückselig zu
werden, als er itzt in seinen eignen Augen verächtlich und elend war. Man
kann sich also vorstellen, daß er nicht die mindeste Schwierigkeiten
machte, den Plato unter allen Bedingungen, welche ihm sein Freund Dion nur
immer anbieten wollte, an seinen Hof zu berufen; er, der in dem Zustande,
worin er war, sich von dem ersten besten Priester der Cybele hätte
überreden lassen, mit Aufopferung der wertern Hälfte seiner selbst in den
Orden der Corybanten zu treten.

Dion wurde bei so starken Anscheinungen zu einer vollkommenen
Sinnes-änderung des Tyrannen von seiner Philosophie nicht wenig betrogen.
Er schloß zwar sehr richtig, daß die Rasereien des letzten Festes
Gelegenheit dazu gegeben hätten; aber darin irrte er sehr, daß er aus
Vorurteilen, die einer Philosophie eigen sind, welche gewohnt ist die
Seele, und was in ihr vorgeht, allzusehr von der Maschine in welche sie
eingeflochten ist, abzusondern, nicht gewahr wurde, daß die guten
Dispositionen des Dionys ganz allein von einem physikalischen Ekel vor den
Gegenständen, worin er bisher sein einziges Vergnügen gesucht hatte,
herrühreten. Er hielt die natürlichen Folgen der überfüllung für
Würkungen der überzeugung, worin er nunmehr stehe, daß die Freuden der
Sinne nicht glücklich machen können; er setzte voraus, daß eine Menge
Sachen in seiner Seele vorgegangen seien, woran Dionysens Seele weder
gedacht hatte, noch zu denken vermögend war; kurz, er beurteilte, wie wir
fast immer zu tun pflegen, die Seele eines andern nach seiner Eigenen, und
gründete auf diese Voraussetzung ein Gebäude von Hoffnungen, welches zu
seinem großen Erstaunen zusammenfiel, sobald Dionys--wieder Nerven hatte.

Die Berufung des Plato war eine Sache, an welcher schon geraume Zeit
gearbeitet worden war; allein er hatte große Schwierigkeiten gemacht, und
würde, ungeachtet des Zuspruchs seiner Freunde, der Pythagoräer in Italien,
welche die Bitten Dions unterstützten, auf seiner Verweigerung bestanden
sein, wenn die erfreulichen Nachrichten, die ihm Dion von der glücklichen
Gemüts-Verfassung des Tyrannen gab, und die dringenden Einladungen, die in
desselben Namen an ihn ergingen, ihm nicht Hoffnung gegeben hätten, der
Schutzgeist Siciliens, und vielleicht der Stifter einer neuen Republik
nach dem Model derjenigen, die er uns in seinen Schriften hinterlassen hat,
werden zu können.

Plato erschien also am Hofe zu Syracus mit aller Majestät eines Weisen,
dem die Größe seines Geistes ein Recht gibt, die Großen der Welt für etwas
weniger als seines gleichen anzusehen. Denn ob es gleich damals noch
keine Stoiker gab, so pflegten doch die Philosophen von Profession bereits
sehr bescheidentlich zu verstehen zu geben, daß sie in ihren eigenen Augen,
eine höhere Klasse von Wesen ausmachten, als die übrigen Erdenbewohner.
Diesesmal hatte die Philosophie das Glück eine Figur zu machen, deren
Glanz dieser hohen Einbildung ihrer Günstlinge gemäß war. Plato wurde wie
ein Gott aufgenommen, und würkte durch seine bloße Gegenwart eine
Veränderung, welche, in den Augen der erstaunten Syracusaner, nur ein Gott
zu würken mächtig genug schien. In der Tat glich das Schauspiel welches
sich demjenigen, der diesen Hof vor wenigen Wochen gesehen hatte, nunmehro
darstellte, einem Werke der Zauberei--Aber--ô! caecas hominum mentes! Wie
natürlich geht auch das außerordentlichste zu, sobald wir die wahren
Triebräder davon kennen!


Der erste Schritt, welchen der göttliche Plato in den Palast des Dionysius
tat, wurde durch ein feirliches Opfer, und die erste Stunde, worin sie
sich mit einander besprachen, durch eine Reforme, welche sich sogleich
über den ganzen Hof ausbreitete, bezeichnet. In wenigen Tagen glaubte
Plato selbst in seiner Akademie zu Athen zu sein, so bescheiden und
eingezogen sah alles in dem Hause des Prinzen aus. Die Asiatische
Verschwendung machte auf einmal der philosophischen Einfalt Platz. Die
Vorzimmer, welche vorher von schimmernden Gecken, und allen Arten
lustigmachender Personen gewimmelt hatten, stellten itzt akademische Säle
vor, wo man nichts als langbärtige Weise sah, welche einzeln oder
paarweise, mit gesenktem Haupt und gerunzelter Stirne, in sich selbst und
in ihre Mäntel eingehüllt auf und ab schritten, bald alle zugleich, bald
gar nichts, bald nur mit sich selbst sprachen, und wenn sie vielleicht am
wenigsten dachten, eine so wichtige Miene machten, als ob der geringste
unter ihnen mit nichts kleinerm umginge, als die beste Gesetzgebung zu
erfinden, oder den Gestirnen einen regelmäßigern Lauf anzuweisen. Die
üppigen Bankette, bei denen Comus und Bacchus mit tyrannischem Szepter die
ganze Nacht durch geherrschet hatten, verwandelten sich in Pythagorische
Mahlzeiten, wo man sich bei einem Braten und Salat mit sinnreichen
Gesprächen über die erhabensten Gegenstände des menschlichen Verstandes,
erlustigte; Statt frecher Pantomimen und wollüstiger Flöten ließen sich
Hymnen zum Lob der Götter und der Tugend hören; und den Gaum zum Reden
anzufeuchten, trank man aus kleinen Socratischen Bechern Wasser mit Wein
vermischt.

Dionys faßte eine Art von Leidenschaft für den Philosophen; Plato mußte
immer um ihn sein, ihn aller Orten begleiten, zu allem seine Meinung sagen.
Die begeisterte Imagination dieses sonderbaren Mannes, welche vermöge
der natürlichen Ansteckungs-Kraft des Enthusiasmus sich auch seinen
Zuhörern mitteilte, würkte so mächtig auf die Seele des Dionys, daß er ihn
nie genug hören konnte; ganze Stunden wurden ihm kürzer, wenn Plato sprach,
als ehemals in den Armen der kunsterfahrensten Buhlerin. Alles, was der
Weise sagte, war so schön, so erhaben, so wunderbar!--erhob den Geist so
weit über sich selbst--warf Strahlen von so göttlichem Licht in das Dunkel
der Seele! In der Tat konnte es nicht anderst sein, da die gemeinsten
Ideen der Philosophie für Dionysen den frischesten Reiz der Neuheit hatten.
Und nehmen wir zu allem diesem noch, daß er das wenigste recht verstund
(ob er gleich, wie viele andere seines gleichen, zu eitel war, es merken
zu lassen) noch alles verstehen konnte, weil der begeisterte Plato sich
würklich zuweilen selbst nicht allzuwohl verstund; nehmen wir ferner die
erstaunliche Gewalt, welche ein in schimmernde Bilder eingekleidetes
Galimathias über die Unwissenden zu haben pflegt; so werden wir begreifen,
daß niemals etwas natürlichers gewesen, als der außerordentliche Geschmack,
welchen Dionys an dem Gott der Philosophen, (wie ihn Cicero nennt)
gefunden; zumal da er noch über dies ein hübscher und stattlicher Mann war,
und sehr wohl zu leben wußte.

Ohne daß sich die überredungs-Kunst des göttlichen Plato, oder die
Kontagion der Philosophischen Schwärmerei darein mischte, teilte sich die
plötzliche Wissens-Begierde des Dionys, so bald man sah, daß es Ernst war,
eben so plötzlich allen seinen Höflingen mit. Nicht, als ob ihnen viel
daran gelegen gewesen wäre, ihre kleinen Affen-Seelen nach dem göttlichen
Modell der Ideen umzubilden, oder als ob sie sich darum bekümmert hätten,
was in den überhimmlischen Räumen zu sehen sei; aber sie taten doch
dergleichen; der Ton der Philosophie war nun einmal Mode; man mußte
Metaphysik in geometrischen Ausdrücken reden, um sich dem Fürsten angenehm
zu machen. Man trug also am ganzen Hofe keine andre als philosophische
Mäntel; alle Säle des Palasts waren, nach Art der Gymnasien mit Sand
bestreut, um mit allen den Dreiecken, Vierecken, Pyramiden, Achtecken und
Zwanzigecken überschrieben zu werden, aus welchen Plato seinen Gott diese
schöne runde Welt zusammenreimen läßt; alle Leute, bis auf die Köche,
sprachen Philosophie, hatten ihr Gesicht in irgend eine geometrische Figur
verzogen, und disputierten über die Materie und die Form, über das was ist
und was nicht ist, über die beiden Enden des Guten und Bösen, und über die
beste Republik. Alles dieses machte freilich ein ziemlich seltsames
Aussehen, und konnte den Verdacht erwecken, als ob Plato an dem
Syracusischen Hofe eher die Rolle eines aufgeblasenen Pedanten unter einem
Haufen unbärtiger Scholaren gespielt habe, als eines weisen Mannes, der
sich einen großen Zweck vorgesetzt hat, und die Mittel dazu, nach den
Umständen des Orts, der Zeit und der Personen, klüglich zu bestimmen weiß.
Aber man würde sich irren. Er hatte an den lächerlichen Ausschweifungen
der Hofleute wenig Anteil; ob er gleich ganz gern sah, daß diese unnütze
Hummeln, welche er nicht auf einmal austreiben konnte, auf solche
Spielwerke verfielen, die doch immer als eine Art von Vorübungen angesehen
werden konnten, wodurch sie unvermerkt von ihren vorigen Gewohnheiten
abgezogen, und durch den Geschmack an Wissenschaft zu der allgemeinen
Verbesserung, welche er zu bewürken hoffte, vorbereitet wurden. Allein
seine eigene hauptsächlichsten Bemühungen bezogen sich unmittelbar auf den
Dionysius selbst; und indem er ihn durch die Reizungen seines Umgangs und
seiner Beredsamkeit zu humanisieren, und an sich zu gewöhnen suchte,
trachtete er, ohne es allzudeutlich zu erkennen zu geben, dahin, ihm die
Verachtung seines vorigen Zustandes, die Liebe der Tugend, Begierden nach
ruhmwürdigen Taten; kurz, solche Gesinnungen einzuflößen, welche ihn durch
unmerkliche Grade von sich selbst auf die Gedanken bringen würden, ein
unrechtmäßiges Diadem von sich zu werfen, und sich an der Ehre, der erste
unter seines gleichen zu sein, genügen zu lassen. Die Anscheinungen
ließen ihn den vollkommensten Sukzeß hoffen. Dionys schien in wenigen
Tagen nicht mehr der vorige Mann. Seine Wissens-Begierde, seine
Gelehrigkeit gegen die Räte des Philosophen, das Sanfte und Ruhige in
seinem ganzen Betragen übertraf alles, was sich Dion von ihm versprochen
hatte. Ganz Syracus empfand sogleich die Würkungen dieser glücklichen
Veränderung. Er ging mit einer unglaublichen Behendigkeit von dem
höchsten Grade des tyrannischen übermuts zu der Popularität eines
Atheniensischen Archonten über; setzte alle Tage einige Stunden aus, um
jedermann mit einnehmender Leutseligkeit anzuhören, nannte sie Mitbürger,
wünschte sie alle glücklich machen zu können; machte würklich den Anfang,
verschiedene gute Anordnungen zu veranstalten, und erweckte durch so viele
günstige Vorzeichen die allgemeine Erwartung einer glückseligen Revolution,
welche nun auf einmal der Gegenstand aller Wünsche, und der Inhalt aller
Gespräche unter dem Volke wurde.

Es könnte genug sein, gegen diejenige, die eine so große und schnelle
Verwandlung eines Prinzen, den wir für ein kleines Ungeheuer von Lastern
und Ausschweifungen gegeben haben, unglaublich vorkommen möchte, uns auf
die einhellige Aussage der Geschichtschreiber zu berufen; aber wir können
noch mehr tun; es ist leicht, die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit
derselben begreiflich zu machen. Aufmerksame Leser, welche einige
Kenntnis des menschlichen Herzens haben, werden die Gründe hierzu in
unsrer bisherigen Erzählung schon von selbsten entdeckt haben. In einem
Gemüts-Zustande, worin die Leidenschaften schweigen, wo uns vor den
Ergötzungen der Sinne ekelt, und der Mangel an angenehmen Eindrücken uns
in einen beschwerlichen Mittelstand zwischen Sein und Nichtsein
versenkt--in einem solchen Zustande, ist die Seele begierig, einen jeden
Gegenstand zu umfassen, der sie aus diesem unleidlichen Stillstand ihrer
Kräfte ziehen kann, und also am besten aufgelegt, den Reiz sittlicher und
intellektualischer Schönheiten zu empfinden. Allerdings würde ein
trockner Zergliederer metaphysischer Begriffe sich nicht dazu geschickt
haben, solche Gegenstände für einen Menschen zu zurichten, der zu einer
scharfen Aufmerksamkeit eben so ungeduldig als unvermögend war. Allein
die Beredsamkeit des Homers der Philosophen wußte sie auf eine so reizende
Art für die Einbildungs-Kraft zu verkörpern, wußte die Leidenschaften und
innersten Triebe des Herzens so geschickt für sie ins Spiel zu setzen, daß
sie nicht anders als gefallen und rühren konnten. Hiezu kam noch die
Jugend des Tyrannen, welche seine noch nicht verhärtete Seele neuer
Eindrücke fähig machte. Warum sollte es also nicht möglich gewesen sein,
ihm unter solchen Umständen auf etliche Wochen die Liebe der Tugend
einzuflößen, da hiezu weiter nichts nötig war, als seinen Neigungen
unvermerkt andre Gegenstände an die Stelle derjenigen, deren er
überdrüssig war, zu unterschieben--Denn in der Tat war seine Bekehrung
nichts anders, als daß er nunmehr, anstatt irgend einer Wollust-atmenden
Nymphe, ein schönes Phantom der Tugend umarmte, und statt in Syracusischem
Weine sich in platonischen Ideen berauschte--und daß eben diese Eitelkeit,
welche ihn vor weniger Zeit angetrieben hatte, mit dem Bacchus und einer
andern Gottheit, welche wir nicht nennen dürfen, in die Wette zu eifern,
sich itzt durch die Vorstellung kitzelte, als Regent und Gesetzgeber den
Glanz der berühmtesten Männer vor ihm zu verdunkeln, die Augen der Welt
auf sich zu heften, sich von allen bewundert, und von den Weisen selbst
vergöttert zu sehen.

Daß dieses Urteil von der Bekehrung des Dionys richtig sei, hat sich in
der Folge würklich bewiesen; und man hätte, deucht uns, ohne die Gabe der
Divination zu besitzen, voraussehen können, daß eine so plötzliche
Veränderung keinen Bestand haben werde. Aber wie sollten die in einer
großen Angelegenheit verwickelten Personen fähig sein, so gelassen und
uneingenommen davon zu urteilen, wie entfernte Zuschauer, welche das Ganze
bereits vor sich liegen haben, und bei einer kalten Untersuchung des
Zusammenhangs aller Umstände sehr leicht mit vieler Zuverlässigkeit
beweisen können, daß es nicht anders habe gehen können, als wie sie wissen,
daß es gegangen ist? Plato selbst ließ sich von den Anscheinungen
betrügen, weil sie seinen Wünschen gemäß waren, und ihm zu beweisen
schienen, wieviel er vermöge. Die voreilige Freude über einen Sukzeß,
dessen er sich schon versichert hielt, ließ ihm nicht zu, sich alle die
Hindernisse, die seine Bemühungen vereiteln konnten, in der gehörigen
Stärke vorzustellen, und in Zeiten darauf bedacht zu sein, wie er ihnen
zuvorkommen möchte. Gewohnt in den ruhigen Spaziergängen seiner Akademie
unter gelehrigen Schülern idealische Republiken zu bauen, hielt er die
Rolle, die er an dem Hofe zu Syracus zu spielen übernommen hatte, für
leichter als sie in der Tat war. Er schloß immer richtig aus seinen
Prämissen; aber seine Prämissen setzten immer mehr voraus, als war; und er
bewies durch sein Exempel, daß keine Leute mehr durch den Schein der Dinge
hintergangen werden, als eben diejenige welche ihr ganzes Leben damit
zubringen, inter Sylvas Academi dem was wahrhaftig ist nachzuspähen. In
der Tat hat man zu allen Zeiten gesehen, daß es den spekulativen Geistern
nicht geglückt hat, wenn sie sich aus ihrer philosophischen Sphäre heraus
und auf irgend einen großen Schauplatz des würksamen Lebens gewaget haben.
Und wie hätte es anders sein können, da sie gewohnt waren, in ihren
Utopien und Atlantiden zuerst die Gesetzgebung zu erfinden, und erst wenn
sie damit fertig waren, sich so genannte Menschen zu schnitzeln, welche
eben so richtig nach diesen Gesetzen handeln mußten, wie ein Uhrwerk durch
den innerlichen Zwang seines Mechanismus die Bewegungen macht, welche der
Künstler haben will. Es war leicht genug zu sehen (und doch sahen es
diese Herren nicht) daß es in der würklichen Welt gerade umgekehrt ist.
Die Menschen in derselben sind nun einmal wie sie sind; und der große
Punkt ist, diejenige die man vor sich hat, nach allen Umständen und
Verhältnissen so lange zu studieren, bis man so genau als möglich weiß,
wie sie sind. Sobald ihr das wißt, so geben sich die Regeln, wornach ihr
sie behandeln müßt, wenn ihr euern Zweck erhalten wollt, von sich selbst;
dann ist es Zeit moralische Projekte zu machen--aber wenn, ihr großen
Lichter unsers alleraufgeklärtesten Jahrhunderts, wenn glaubt ihr, daß
diese Zeit für das Menschen-Geschlecht kommen werde?




VIERTES KAPITEL

Philistus und Timocrates


Während, daß die Philosophie und die Tugend durch die Beredsamkeit eines
einzigen Mannes eine so außerordentliche Veränderung der Szene an dem Hofe
zu Syracus hervorbrachte, waren die ehmaligen Vertrauten des Dionysius
sehr weit davon entfernt, die Vorteile, welche sie von der vorigen
Denkungs-Art dieses Prinzen gezogen hatten, so willig hinzugeben, als man
es aus ihrem äußerlichen Bezeugen hätte schließen sollen. Als schlaue
Höflinge wußten sie zwar ihren Unmut über die sonderbare Gunst, worin
Plato bei demselben stund, sehr künstlich zu verbergen. Gewohnt sich
nach dem Geschmacke des Prinzen zu modeln, und alle Gestalten anzunehmen,
unter welchen sie ihm gefallen oder zu ihren geheimen Absichten am besten
gelangen konnten, hatten sie, so bald sie die neue Laune ihres Herrn
gewahr worden waren, die ganze Außenseite des philosophischen Enthusiasmus
mit eben der Leichtigkeit angenommen, womit sie eine Maskeraden-Kleidung
angezogen hätten. Sie waren die ersten, die dem übrigen Hofe hierin mit
ihrem Beispiel vorgingen; sie verdoppelten ihre Aufwartung bei dem Prinzen
Dion, dessen Ansehen seit Platons Ankunft ungemein gestiegen war; sie
waren die erklärten Bewunderer des Philosophen; sie lächelten ihm Beifall
entgegen, so bald er nur den Mund auf tat; alle seine Vorschläge und
Maßnehmungen waren bewundernswürdig; sie wußten nichts daran auszusetzen,
oder wenn sie ja Einwürfe machten, so war es nur um sich belehren zu
lassen, und auf die erste Antwort sich seiner höhern Weisheit überwunden
zu geben. Sie suchten seine Freundschaft so gar mit einem Eifer, worüber
sie den Fürsten selbst zu vernachlässigen schienen; und besonders ließen
sie sich sehr angelegen sein, die Vorurteile zu zerstreuen, die man von
der vorigen Staats-Verwaltung wider sie gefaßt haben könnte. Durch diese
Kunstgriffe erreichten sie zwar die Absicht, den weisen Plato sicher zu
machen, nicht so vollkommen, daß er nicht immer einiges gerechtes
Mißtrauen in die Aufrichtigkeit ihres Bezeugens gesetzt hätte; er
beobachtete sie genau; allein da sie gar nicht zweifelten, daß er es tun
würde, so war es ihnen leicht davor zu sein, daß er mit aller seiner
Scharfsichtigkeit nichts sah. Sie vermieden alles, was ihrem Betragen
einen Schein von Zurückhaltung, Zweideutigkeit und Geheimnis hätte geben
können, und nahmen ein so natürliches und einfaches Wesen an, daß man
entweder ihres gleichen sein, oder betrogen werden mußte. Diese schöne
Kunst ist eine von denen, in welchen nur den Hofleuten gegeben ist,
Meister zu sein. Man könnte die Tugend selbst herausfordern, in einem
höhern Grad und mit besserm Anstand Tugend zu scheinen, als diese Leute es
in ihrer Gewalt haben, so bald es ein Mittel zu ihren Absichten werden
kann, die eigenste Miene, Farbe, und äußerliche Grazie derselben an sich
zu nehmen.

Was wir hier sagen, versteht sich insonderheit von zweenen, welche bei
dieser Veränderung des Tyrannen am meisten zu verlieren hatten. Philistus
war bisher der vertrauteste unter seinen Ministern, und Timocrates sein
Liebling gewesen. Beide hatten sich mit einer Eintracht, welche ihrer
Klugheit Ehre machte, in sein Herz, in die höchste Gewalt, wozu er nur
seinen Namen hergab, und in einen beträchtlichen Teil seiner Einkünfte
geteilt. Itzt zog die gemeinschaftliche Gefahr das Band ihrer
Freundschaft noch enger zusammen. Sie entdeckten einander ihre
Besorgnisse, ihre Bemerkungen, ihre Anschläge; sie redeten die Maßregeln
mit einander ab, die in so kritischen Umständen genommen werden mußten;
und gingen, weil sie die schwache Seite des Tyrannen besser kannten, als
irgend ein andrer, mit so vieler Schlauheit zu Werke, daß es ihnen nach
und nach glückte, ihn gegen Platon und Dion einzunehmen, ohne daß er
merkte, daß sie diese Absicht hatten.

Wir haben schon bemerkt, daß die Syracusaner, vermöge einer Eigenschaft,
welche aller Orten das Volk charakterisiert, der Hoffnung durch
Vermittlung des Platon ihre alte Freiheit wieder zu erlangen, mit einer so
voreiligen Freude sich überließen, daß die bevorstehende
Staats-Veränderung der Inhalt aller Gespräche wurde. In der Tat ging die
Absicht Dions bei Berufung seines Freundes auf nichts geringers. Beide
waren gleich erklärte Feinde der Tyrannie und der Demokratie; von denen
sie (mit welchem Grunde, wollen wir hier nicht entscheiden) davorhielten,
daß sie unter verschiedenen Gestalten, und durch verschiedene Wege, am
Ende in einem Punkte, nämlich in Mangel der Ordnung und Sicherheit,
Unterdruckung und Sklaverei zusammenliefen. Beide waren für diejenige Art
der Aristokratie, worin das Volk zwar vor aller Unterdrückung hinlänglich
sicher gestellt, folglich die Gewalt der Edeln, oder wie man bei den
Griechen sagte, der Besten, durch unzerbrechliche Ketten gefesselt ist;
hingegen die eigentliche Staats-Verwaltung nur bei einer kleinen Anzahl
liegt, welche eine genaue Rechenschaft abzulegen verbunden sind. Es war
also würklich ihr Vorhaben, die Tyrannie, oder was man zu unsern Zeiten
eine uneingeschränkte Monarchie nennt, aus dem ganzen Sicilien zu
verbannen, und die Verfassung dieser Insel in die vorbemeldte Form zu
gießen. Dem Dionys zu gefallen, oder vielmehr, weil nach Platons Meinung
die vollkommenste Staats-Form eine Zusammensetzung aus der Monarchie,
Aristokratie und Demokratie sein mußte, wollten sie ihrer neuen Republik
zwei Könige geben, welche in derselben eben das vorstellen sollten was die
Könige in Sparta; und Dionys sollte einer von denselben sein. Dieses
waren ungefähr die Grundlinien ihres Entwurfs. Sie ließen keine
Gelegenheit vorbei, dem Prinzen die Vorteile einer gesetzmäßigen Regierung
anzupreisen; aber sie waren zu klug, von einer so delikaten Sache, als die
Einführung einer republikanischen Verfassung war, vor der Zeit zu reden,
und den Tyrannen, eh ihn Plato vollkommen zahm und bildsam gemacht haben
würde, durch eine unzeitige Entdeckung ihrer Absichten in seine natürliche
Wildheit wieder hineinzuschrecken.

Unglücklicher Weise war das Volk so vieler Mäßigung nicht fähig, und
dachte auch ganz anders über den Gebrauch, den es von seiner Freiheit
machen wollte. Ein jeder hatte dabei eine gewisse Absicht, die er noch
bei sich behielt, und die gerade zu auf irgend einen Privat-Vorteil ging.
Jeder hielt sich für mehr als fähig, dem gemeinen Wesen gerade in dem
Posten zu dienen, wozu er die wenigste Fähigkeit hatte, oder hatte sonst
seine kleine Forderungen zu machen, welche er schlechterdings bewilliget
haben wollte. Die Syracusaner verlangten also eine Demokratie; und da sie
sich ganz nahe bei dem Ziel ihrer Wünsche glaubten, so sprachen sie laut
genug davon, daß Philistus und seine Freunde Gelegenheit bekamen, den
Tyrannen aus seinem angenehmen Platonischen Enthusiasmus zu sich selbst
zurückzurufen.

Das erste was sie taten, war, daß sie ihm die Gesinnungen des Volkes, und
die zwar von außen noch nicht merklich in die Augen fallende, aber
innerlich desto stärker gärende Bewegung desselben mit sehr lebhaften
Farben, und mit ziemlicher Vergrößerung der Umstände vormalten. Sie taten
dieses mit vieler Vorsichtigkeit, in gelegenen Augenblicken, nach und nach,
und auf eine solche Art, daß es dem Dionys scheinen mußte, als ob ihm
endlich die Augen von selbst aufgingen; und dabei versäumten sie keine
Gelegenheit, den Plato und den Prinzen Dion bis in die Wolken zu erheben;
und besonders in Ausdrücken, welche von der schlauesten Bosheit ausgewählt
wurden, von der außerordentlichen Hochachtung zu sprechen, worein sie sich
bei dem Volke setzten. Um den Tyrannen desto aufmerksamer zu machen,
wußten sie es durch tausend geheime Wege, wobei sie selbst nicht zum
Vorschein kamen, dahin einzuleiten, daß häufige und zahlreiche
Privat-Versammlungen in der Stadt angestellt wurden, wozu Dion und Plato
selbst, oder doch immer jemand von den besondern Vertrauten des einen oder
des andern, eingeladen wurde. Diese Versammlungen waren zwar nur auf
Gastmähler und freundschaftliche Ergötzungen angesehen; aber sie gaben
doch dem Philistus und seinen Freunden Gelegenheit mit einer Art davon zu
reden, wodurch sie den Schein politischer Zusammenkünfte bekamen; und das
war alles was sie wollten.

Durch diese und andre dergleichen Kunstgriffe gelang es ihnen endlich, dem
Dionys Argwohn beizubringen. Er fing an, in die Aufrichtigkeit seines
neuen Freundes ein desto größeres Mißtrauen zu setzen, da er über das
besondere Verständnis, welches er zwischen ihm und dem Dion wahrnahm,
eifersüchtig war; und damit er desto bälder ins Klare kommen möchte, hielt
er für das Sicherste, den seit einiger Zeit vernachlässigten Timocrates
wieder an sich zu ziehen; und so bald er sich versichert hatte, daß er,
wie vormals auf seine Ergebenheit zählen könne, ihm seine Wahrnehmungen
und geheime Besorgnisse zu entdecken. Der schlaue Günstling stellte sich
anfangs, als ob er nicht glauben könne, daß die Syracusaner im Ernste mit
einem solchen Vorhaben umgehen sollten; wenigstens (sagte er mit der
ehrlichsten Miene von der Welt) könne er sich nicht vorstellen, daß Plato
und Dion den mindesten Anteil daran haben sollten; ob er gleich gestehen
müßte, daß seit dem der erste sich am Hofe befinde, die Syracusaner von
einem seltsamen Geiste beseelt würden, und zu den ausschweifenden
Einbildungen, welche sie sich zu machen schienen, vielleicht durch das
außerordentliche Ansehen verleitet würden, worin dieser Philosoph bei dem
Prinzen stehe: Es sei nicht unmöglich, daß die Republikanisch-Gesinnte
sich Hoffnung machten, Gelegenheit zu finden, indessen, daß der Hof die
Gestalt der Akademie gewänne, dem Staat unvermerkt die Gestalt einer
Demokratie zu geben; indessen müsse er gestehen, daß er nicht Vertrauen
genug in seine eigene Einsicht setze, seinem Herrn und Freunde in so
delikaten Umständen einen sichern Rat zu geben; und Philistus, dessen
Treue dem Prinzen längst bekannt sei, würde durch seine Erfahrenheit in
Staats-Geschäften unendlichmal geschickter sein, einer Sache von dieser
Art auf den Grund zu sehen.


Dionysius hatte so wenig Lust sich einer Gewalt zu begeben, deren Wert er
nach Proportion, daß seine Fibern wieder elastischer wurden, von Tag zu
Tag wieder stärker zu empfinden begann; daß die Einstreuungen seines
Günstlings ihre ganze Würkung taten. Er gab ihm auf, mit aller nötigen
Vorsichtigkeit, damit niemand nichts davon gewahr werden könnte, den
Philistus noch in dieser Nacht in sein Cabinet zu führen, um sich über
diese Dinge besprechen, und die Gedanken desselben vernehmen zu können.
Es geschah; Philistus vollendete was Timocrat angefangen hatte. Er
entdeckte dem Prinzen alles was er beobachtet zu haben vorgab, und sagte
gerade so viel, als nötig war, um ihn in den Gedanken zu bestärken, daß
ein geheimes Complot zu einer Staats-Veränderung im Werke sei, welches
zwar vermutlich noch nicht zu seiner Reife gekommen, aber doch so
beschaffen sei, daß es Aufmerksamkeit verdiene. "Und wer kann der Urheber
und das Haupt eines solchen Complots sein", fragte Dionys?--Hier stellte
sich Philistus verlegen--er hoffe nicht, daß es schon soweit gekommen
sei--Dion bezeuge so gute Gesinnungen für den Prinzen--"Rede aufrichtig,
wie du denkst", fiel ihm Dionys ein; "was hältst du von diesem Dion? Aber
keine Komplimenten, denn du brauchst mich nicht daran zu erinnern, daß er
meiner Schwester Mann ist; ich weiß es nur zu wohl--Aber ich traue ihm
nicht desto besser--er ist ehrgeizig -" "Das ist er"--"immer finster,
zurückhaltend, in sich selbst eingeschlossen -" "In der Tat, so ist er",
nahm Philist das Wort, und wer ihn genau beobachtete, ohne vorhin eine
bessere Meinung von ihm gefaßt zu haben, würde sich des Argwohns kaum
erwehren können, daß er mißvergnügt sei, und an Gedanken in sich selbst
arbeite, die er nicht für gut befinde, andern mitzuteilen--"Glaubst du das,
Philistus?" fiel Dionys ein; "so hab' ich immer von ihm gedacht; wenn
Syracus unruhig ist, und mit Neuerungen umgeht, so darfst du versichert
sein, daß Dion die Triebfeder von allem ist--wir müssen ihn genauer
beobachten -" "Wenigstens ist es sonderbar", fuhr Philistus fort, "daß er
seit einiger Zeit, sich eine Angelegenheit davon zu machen scheint, sich
der Freundschaft der angesehensten Bürger zu versichern -" (Hier führte er
einige Umstände an, welche, durch die Wendung die er ihnen gab, seine
Wahrnehmung bestätigen konnten) "Wenn ein Mann von solcher Wichtigkeit,
wie Dion, sich herabläßt eine Popularität zu affektieren, die so gänzlich
wider seinen Charakter ist, so kann man glauben, daß er Absichten hat--und
wenn Dion Absichten hat, so gehen sie gewiß auf keine Kleinigkeiten--Was
er aber auch sein mag, so bin ich gewiß", setzte er hinzu, "daß Platon,
ungeachtet der engen Freundschaft, die zwischen ihnen obwaltet, zu
tugendhaft ist, um an heimlichen Anschlägen gegen einen Prinzen, der ihn
mit Ehren und Wohltaten überhäuft, Teil zu nehmen -" "Wenn ich dir sagen
soll was ich denke, Philistus, so glaub' ich, daß diese Philosophen, von
denen man so viel Wesens macht, eine ganz unschuldige Art von Leuten sind;
in der Tat, ich sehe nicht, daß an ihrer Philosophie so viel gefährliches
sein sollte, als die Leute sich einbilden; ich liebe, zum Exempel, diesen
Platon, weil er angenehm im Umgang ist; er hat sich seltsame Dinge in den
Kopf gesetzt, man könnte sichs nicht schnakischer träumen lassen, aber
eben das belustiget mich; und bei alle dem muß man ihm den Vorzug lassen,
daß er gut spricht; es hört sich ihm recht angenehm zu, wenn er euch von
der Insel Atlantis, und von den Sachen in der andern Welt eben so
umständlich und zuversichtlich spricht, als ob er mit dem nächsten
Marktschiffe aus dem Mond angekommen wäre" (hier lachten die beiden
Vertrauten, als ob sie nicht aufhören könnten, über einen so sinnreichen
Einfall, und Dionys lachte mit) "ihr möcht lachen so lang ihr wollt", fuhr
er fort; "aber meinen Plato sollt ihr mir gelten lassen; er ist der
gutherzigste Mensch von der Welt, und wenn man seine Philosophie, seinen
Bart und seine hieroglyphische Physionomie zusammennimmt, so muß man
gestehen, daß alles zusammen eine Art von Leuten macht, womit man sich, in
Ermanglung eines bessern, die Zeit vertreiben kann -" ('o göttlicher
Platon! du, der du dir einbildetest, das Herz dieses Prinzen in deiner
Hand zu haben, du der sich das große Werk zutraute, einen Weisen und
tugendhaften Mann aus ihm zu machen--warum standest du nicht in diesem
Augenblick hinter einer Tapete, und hörtest diese schmeichelhafte Apologie,
wodurch er den Geschmack, den er an dir fand, in den Augen seiner
Höflinge zu rechtfertigen suchte!') "In der Tat", sagte Timocrates, "die
Musen können nicht angenehmer reden als Plato; ich wißte nicht, was er
einen nicht überreden könnte, wenn er sichs in den Kopf gesetzt hätte -"
"Du willst vielleicht scherzen", fiel ihm der Prinz ein; "aber ich
versichre dich, es hat wenig gefehlt, daß er mich letzthin nicht auf den
Einfall gebracht hätte, Sicilien dahinten zu lassen, und eine
philosophische Reise nach Memphis und zu den Pyramiden und Gymnosophisten
anzustellen, die seiner Beschreibung nach eine seltsame Art von Kreaturen
sein müssen--wenn ihre Weiber so schön sind, wie er sagt, so mag es keine
schlimme Partie sein, den Tanz der Sphären mit ihnen zu tanzen; denn sie
leben in dem Stand der vollkommen schönen Natur, und treten dir, allein
mit ihren eigentümlichen Reizungen geschmückt, das ist, nackender als die
Meer-Nymphen, mit einer so triumphierenden Miene unter die Augen, als die
schönste Syracusanerin in ihrem reichesten Fest-Tags-Putz -" Dionys war,
wie man sieht, in einem Humor, der den erhabenen Absichten seines
Hof-Philosophen nicht sehr günstig war; Timocrates merkte sichs, und baute
in dem nämlichen Augenblick ein kleines Projekt auf diese gute Disposition,
wovon er sich eine besondere Würkung versprach. Aber der weiter sehende
Philistus fand nicht für gut, seinen Herrn in dieser leichtsinnigen Laune
fortsprudeln zu lassen. Er nahm das Wort wieder: "Ihr scherzet", sprach
er, "über die Würkungen der Beredsamkeit Platons; es ist nur allzugewiß,
daß er in dieser Kunst seines gleichen nicht hat; aber eben dieses würde
mir keine kleine Sorgen machen, wenn er weniger ein rechtschaffner Mann
wäre, als ich glaube daß er ist. Die Macht der Beredsamkeit übertrifft
alle andre Macht; sie ist fähig fünfzigtausend Arme nach dem Gefallen
eines einzigen wehrlosen Mannes in Bewegung zu setzen, oder zu entnerven.
Wenn Dion, wie es scheint, irgend ein gefährliches Vorhaben brütete, und
Mittel fände, diesen überredenden Sophisten auf seine Seite zu bringen, so
besorg ich, Dionysius könnte das Vergnügen seiner sinnreichen Unterhaltung
teuer bezahlen müssen. Man weiß was die Beredsamkeit zu Athen vermag, und
es fehlt den Syracusanern nichts als ein paar solche Wortkünstler, die
ihnen den Kopf mit Figuren und lebhaften Bildern warm machen, so werden
sie Athenienser sein wollen, und der Erste Beste, der sich an ihre Spitze
stellt, wird aus ihnen machen können was er will."

Philistus sah, daß sein Herr bei diesen Worten auf einmal tiefsinnig wurde;
er schloß daraus, daß etwas in seinem Gemüt arbeitete, und hielt also inn;
"was für ein Tor ich war", rief Dionys aus, nachdem er eine Weile mit
gesenktem Kopf zu staunen geschienen hatte. "Das war wohl der Genius
meines guten Glücks, der mir eingab, daß ich dich diesen Abend zu mir
rufen lassen sollte. Die Augen gehen mir auf einmal auf--Wozu mich diese
Leute mit ihren Dreiecken und Schlußreden nicht gebracht hätten! Kannst
du dir wohl einbilden, daß mich dieser Plato mit seinem süßen Geschwätze
beinahe überredet hätte, meine fremden Truppen, und meine Leibwache nach
Hause zu schicken? Ha! nun seh ich wohin alle diese schönen
Vergleichungen mit einem Vater im Schoße seiner Familie, und mit einem
Säugling an der Brust seiner Amme, und was weiß, ich mit was noch mehr,
abgesehen waren! Die Verräter wollten mich durch diese süßen
Wiegenliedchen erst einschläfern, hernach entwaffnen, und zuletzt wenn sie
mich mit ihren gebenedeiten Maximen so fest umwunden hätten, daß ich weder
Arme noch Beine nach meinem Gefallen hätte rühren können, mich in ganzem
Ernst, zu ihrem Wickelkind, zu ihrer Puppe, und wozu es ihnen eingefallen
wäre, gemacht haben! Aber sie sollen mir die Erfindung bezahlen! Ich
will diesem verrätrischen Dion--bist du töricht genug, Philistus, und
bildest dir ein, daß er sich nur im Traum einfallen lasse, diese
Spießbürger von Syracus in Freiheit zu setzen? Regieren will er,
Philistus; das will er, und darum hat er diesen Plato an meinen Hof kommen
lassen, der mir, indessen daß er das Volk zur Empörung reizen, und sich
einen Anhang machen wollte, so lange und so viel von Gerechtigkeit, und
Wohltun, und goldnen Zeiten, und väterlichem Regiment, und was weiß ich
von was für Salbadereien vorschwatzen sollte, bis ich mich überreden ließe,
meine Galeeren zu entwaffnen, meine Trabanten zu entlassen, und mich am
Ende in Begleitung eines von diesen zottelbärtigen Knaben, die der Sophist
mit sich gebracht hat, als einen Neuangeworbenen nach Athen in die
Akademie schicken zu lassen, um unter einem Schwarm junger Gecken darüber
zu disputieren, ob Dionysius recht oder unrecht daran getan habe, daß er
sich in einer so armseligen Mausfalle habe fangen lassen -" "Aber ists
möglich", fragte Philistus mit angenommener Verwunderung, "daß Plato den
sinnlosen Einfall haben konnte, meinem Prinzen solche Räte zu geben?"--"Es
ist möglich, weil ich dir sage, daß ers getan hat. Ich habe selbst Mühe
zu begreifen, wie ich mich von diesem Schwätzer so bezaubern lassen konnte
-" "Das soll sich Dionys nicht verdrießen lassen", erwiderte der gefällige
Philistus; "Plato ist in der Tat ein großer Mann in seiner Art; ein
vortrefflicher Mann, wenn es darauf ankommt, den Entwurf zu einer Welt zu
machen, oder zu beweisen, daß der Schnee nicht würklich weiß ist; aber
seine Regierungs-Maximen sind, wie es scheint, ein wenig unsicher in der
Ausübung. In der Tat, das würde den Atheniensern was zu reden gegeben
haben, und es wäre wahrlich kein kleiner Triumph für die Philosophie
gewesen, wenn ein einziger Sophist, ohne Schwertschlag, durch die bloße
Zauberkraft seiner Worte zu Stande gebracht hätte, was die Athenienser mit
großen Flotten und Kriegs-Heeren vergeblich unternommen haben -" "Es ist
mir unerträglich nur daran zu denken", sagte Dionys, "was für eine
einfältige Figur ich ein paar Wochen lang unter diesen Grillenfängern
gemacht habe; hab ich dem Dion nicht selbst Gelegenheit gegeben, mich zu
verachten? Was mußten sie von mir denken, da sie mich so willig und
gelehrig fanden?--Aber sie sollen in kurzem sehen, daß sie sich mit aller
ihrer Wissenschaft der geheimnisvollen Zahlen gewaltig überrechnet haben.
Es ist Zeit, der Komödie ein Ende zu machen -" "Um Vergebung, mein
Gebietender Herr", fiel ihm Philistus hier ins Wort; "die Rede ist noch
von bloßen Vermutungen; vielleicht ist Plato, ungeachtet seines nicht
allzuwohl überlegten Rats, unschuldig; vielleicht ist es so gar Dion;
wenigstens haben wir noch keine Beweise gegen sie. Sie haben Bewunderer
und Freunde zu Syracus, das Volk ist ihnen geneigt, und es möchte
gefährlich sein, sie durch einen übereilten Schritt in die Notwendigkeit
zu setzen, sich diesem Freiheit-träumenden Pöbel in die Arme zu werfen.
Lasset sie noch eine Zeitlang in dem angenehmen Wahn, daß sie den
Dionysius gefangen haben. Gebet ihnen, durch ein künstlich verstelltes
Zutrauen Gelegenheit, ihre Gesinnungen deutlicher herauszulassen--Wie,
wenn Dionysius sich stellte, als ob er Lust hätte die Monarchie aufzugeben,
und als ob ihn kein andres Bedenken davon zurückhielte, als die
Ungewißheit, welche Regierungs-Form Sicilien am glücklichsten machen
könnte. Eine solche Eröffnung wird sie nötigen, sich selbst zu verraten;
und indessen, daß wir sie mit akademischen Fragen und Entwürfen aufhalten,
werden sich Gelegenheiten finden, den regiersüchtigen Dion in Gesellschaft
seines Ratgebers mit guter Art eine Reise nach Athen machen zu lassen, wo
sie in ungestörter Muße Republiken anlegen, und ihnen, wenn sie wollen,
alle Tage eine andre Form geben mögen."

Dionys war von Natur hitzig und ungestüm; eine jede Vorstellung, von der
seine Einbildung getroffen wurde, beherrschte ihn so sehr, daß er sich dem
mechanischen Trieb, den sie in ihm hervorbrachte, gänzlich überließ; aber
wer ihn so genau kannte als Philistus, hatte wenig Mühe, seinen Bewegungen
oft durch ein einziges Wort, eine andere Richtung zu geben. In dem ersten
Anstoß seiner unbesonnenen Hitze waren die gewaltsamsten Maßnehmungen, die
ersten, auf die er fiel: Aber man brauchte ihm nur den Schatten einer
Gefahr dabei zu zeigen, so legte sich die auffahrende Lohe wieder; und er
ließ sich eben so schnell überreden, die sichersten Mittel zu erwählen,
wenn sie gleich die niederträchtigsten waren.

Nachdem wir die wahre Triebfeder seiner vermeinten Sinnes-änderung oben
bereits entdeckt haben, wird sich niemand verwundern, daß er von dem
Augenblick an, da sich seine Leidenschaften wieder regten, in seinen
natürlichen Zustand zurücksank. Was man bei ihm für Liebe der Tugend
angesehen, was er selbst dafür gehalten hatte, war das Werk zufälliger und
mechanischer Ursachen gewesen; daß er ihr zu lieb seinen Neigungen die
mindeste Gewalt hätte tun sollen, so weit ging sein Enthusiasmus für sie
nicht. Die ungebundene Freiheit worin er vormals gelebt hatte, stellte
sich ihm wieder mit den lebhaftesten Reizungen dar; und nun sah er den
Plato für einen verdrießlichen Hofmeister an, und verwünschte die
Schwachheit, die er gehabt hatte, sich so sehr von ihm einnehmen, und in
eine Gestalt, die seiner eigenen so wenig ähnlich sah, umbilden zu lassen.
Er fühlte nur allzuwohl, daß er sich selbst eine Art von Verbindlichkeit
aufgelegt hatte, in den Gesinnungen zu beharren, die er sich von diesem
Sophisten, wie er ihn itzt nannte, hatte einflößen lassen: Er stellte sich
vor, daß Dion und die Syracusaner sich berechtiget halten würden, die
Erfüllung des Versprechens von ihm zu erwarten, welches er ihnen gewisser
maßen gegeben hatte, daß er künftig auf eine gesetzmäßige Art regieren
wolle. Diese Vorstellungen waren ihm unerträglich, und hatten die
natürliche Folge, seine ohnehin bereits erkältete Zuneigung zu dem
Philosophen von Athen in Widerwillen zu verwandeln; den Dion aber, den er
nie geliebt hatte, ihm doppelt verhaßt zu machen. Dieses waren die
geheimen Dispositionen, welche den Verführungen des Timocrates und
Philistus den Eingang in sein Gemüt erleichterten. Es war schon so weit
mit ihm gekommen, daß er vor diesen ehmaligen Vertrauten sich der Person
schämte, die er einige Wochen lang, gleichsam unter Platons Vormundschaft,
gespielt hatte; und es ist zu vermuten, daß es von dieser falschen und
verderblichen Scham herrührte, daß er in so verkleinernden Ausdrücken von
einem Manne, den er anfänglich beinahe vergöttert hatte, sprach, und
seiner Leidenschaft für ihn einen so spaßhaften Schwung zu geben bemüht
war. Er ergriff also den Vorschlag des Philistus mit der begierigen
Ungeduld eines Menschen, der sich von dem Zwang einer verhaßten
Einschränkung je bälder je lieber loszumachen wünscht; und damit er keine
Zeit verlieren möchte, so machte er gleich des folgenden Tages den Anfang,
denselben ins Werk zu setzen. Er berief den Dion und den Philosophen in
sein Cabinet, und entdeckte ihnen mit allen Anscheinungen des
vollkommensten Zutrauens, und indem er sie mit Liebkosungen überhäufte,
daß er gesonnen sei, sich der Regierung zu entschlagen, und den
Syracusanern die Freiheit zu lassen, sich diejenige Verfassung zu erwählen,
die ihnen die angenehmste sein würde.


Ein so unerwarteter Vortrag machte die beiden Freunde stutzen. Doch
faßten sie sich bald. Sie hielten ihn für eine von den sprudelnden
Aufwallungen einer noch ungeläuterten Tugend, welche gern auf schöne
Ausschweifungen zu verfallen pflegt, und hoffeten also, daß es ihnen
leicht sein werde, ihn auf reifere Gedanken zubringen. Sie billigten zwar
seine gute Absicht; stellten ihm aber vor, daß er sie sehr schlecht
erreichen würde, wenn er das Volk, welches immer als unmündig zu
betrachten sei, zum Meister über eine Freiheit machen wollte, die es,
allem Vermuten nach, zu seinem größesten Schaden mißbrauchen würde. Sie
sagten ihm hierüber alles was die gesunde Politik sagen kann; und Plato
insonderheit bewies ihm, daß es nicht auf die Form der Verfassung ankomme,
wenn ein Staat glücklich sein solle, sondern auf die innerliche Güte der
Gesetzgebung, auf tugendhafte Sitten, auf die Weisheit desjenigen, dem die
Handhabung der Gesetze anvertraut sei. Seine Meinung ging dahin, daß
Dionys nicht nötig habe, sich der obersten Gewalt zu begeben, indem es nur
von ihm abhange, durch die vollkommene Beobachtung aller Pflichten eines
weisen und tugendhaften Regenten die Tyrannie in eine rechtmäßige
Monarchie zu verwandeln; welcher die Völker sich desto williger
unterwerfen würden, da sie durch ein natürliches Gefühl ihres Unvermögens
sich selbst zu regieren, geneigt gemacht würden, sich regieren zu lassen;
ja denjenigen als eine gegenwärtige Gottheit zu verehren, welcher sie
schütze, und für ihre Glückseligkeit arbeite.

Dion stimmte hierin nicht gänzlich mit seinem Freunde überein. Die
Wahrheit war, daß er den Dionys besser kannte, und weil er sich wenig
Hoffnung machte, daß seine guten Dispositionen von langer Dauer sein
würden, gerne so schnell als möglich einen solchen Gebrauch davon gemacht
hätte, wodurch ihm die Macht Böses zu tun, auf den Fall, daß ihn der Wille
dazu wieder ankäme, benommen worden wäre. Er breitete sich also mit
Nachdruck über die Vorteile einer wohlgeordneten Aristokratie vor der
Regierung eines Einzigen aus, und bewies, wie gefährlich es sei, den
Wohlstand eines ganzen Landes von dem zufälligen und wenig sichern Umstand,
ob dieser Einzige tugendhaft sein wolle oder nicht, abhangen zu lassen.
Er ging so weit, zu behaupten, daß von einem Menschen, der die höchste
Macht in Händen habe, zu verlangen, daß er sie niemalen mißbrauchen solle,
eine Forderung sei, welche über die Kräfte der Menschheit gehe; daß es
nichts geringers sei, als von einem mit Mängeln und Schwachheiten
beladenen Geschöpfe, welches keinen Augenblick auf sich selbst zählen kann,
die Weisheit und Tugend eines Gottes zu erwarten. Er billigte also das
Vorhaben des Dionys, die königliche Gewalt aufzugeben, im höchsten Grade;
aber darin stimmte er mit seinem Freunde überein, daß anstatt die
Einrichtung des Staats in die Willkür des Volks zu stellen, er selbst, mit
Zuzug der Besten von der Nation, sich ungesäumt der Arbeit unterziehen
sollte, eine daurhafte und auf den möglichsten Grad des allgemeinen Besten
abzielende Verfassung zu entwerfen; wozu er dem Prinzen allen Beistand,
der von ihm abhange, versprach. Dionys schien sich diesen Vorschlag
gefallen zu lassen. Er bat sie, ihre Gedanken über diese wichtige Sache
in einen vollständigen Plan zu bringen, und versprach, so bald als sie
selbsten darüber, was man tun sollte, einig sein würden, zur Ausführung
eines Werkes zu schreiten, welches ihm, seinem Vorgeben nach, sehr am
Herzen lag.

Diese geheime Konferenz hatte bei dem Tyrannen eine gedoppelte Würkung.
Sie vollendete seinen Haß gegen Dion, und setzte den Platon aufs Neue in
Gunst bei ihm. Denn ob er gleich nicht mehr so gern als anfangs von den
Pflichten eines guten Regenten sprechen hörte; so hatte er doch sehr gerne
gehört, daß Plato sich als einen Gegner des popularen Regiments, und als
einen Freund der Monarchie erklärt hatte. Er ging aufs neue mit seinen
Vertrauten zu Rat, und sagte ihnen, es komme nun allein darauf an, sich
den Dion vom Halse zu schaffen. Philistus hielt davor, daß eh ein solcher
Schritt gewaget werden dürfe, das Volk beruhiget und die wankende
Autorität des Prinzen wieder fest gesetzt werden müsse. Er schlug die
Mittel vor, wodurch dieses am gewissesten geschehen könne; und in der Tat
waren dabei keine so große Schwierigkeiten; denn er und Timocrat hatten
die vorgebliche Gärung in Syracus weit gefährlicher vorgestellt, als sie
würklich war. Dionys fuhr auf sein Anraten fort, eine besondere Achtung
für den Plato zu bezeugen, einen Mann, der in den Augen des Volks eine Art
von Propheten vorstellte, der mit den Göttern umgehe und Eingebungen habe.
"Einen solchen Mann", sagte Philistus, "muß man zum Freunde behalten, so
lange man ihn gebrauchen kann. Plato verlangt nicht selbst zu regieren;
er hat also nicht das nämliche Interesse wie Dion; seine Eitelkeit ist
befriediget, wenn er bei demjenigen, der die Regierung führt, in Ansehen
steht, und Einfluß zu haben glaubt. Es ist leicht, ihn, so lang es nötig
sein mag, in dieser Meinung zu unterhalten, und das wird zugleich ein
Mittel sein, ihn von einer genauern Vereinigung mit dem Dion
zurückzuhalten." Der Tyrann, der sich ohnehin von einer Art von Instinkt
zu dem Philosophen gezogen fühlte, befolgte diesen Rat so gut, daß Plato
davon hintergangen wurde. Insonderheit affektierte er ihn, immer neben
sich zu haben, wenn er sich öffentlich sehen ließ; und bei allen
Gelegenheiten, wo es Würkung tun konnte, seine Maximen im Munde zu führen.
Er stellte sich, als ob es auf Einraten des Philosophen geschähe, daß er
dieses oder jenes tat, wodurch er sich den Syracusanern angenehm zu machen
hoffte; ungeachtet alles die Eingebungen des Philistus waren, der ohne daß
es in die Augen fiel, sich wieder einer gänzlichen Herrschaft über sein
Gemüt bemächtiget hatte. Er zeigte sich ungemein leutselig und liebkosend
gegen das Volk; er schaffte einige Auflagen ab, welche die unterste Klasse
desselben am stärksten drückten; er belustigte es durch öffentliche Feste,
und Spiele; er beförderte einige von denen, deren Ansehen am meisten zu
fürchten war, zu einträglichen Ehrenstellen, und ließ die übrigen mit
Versprechungen wiegen, die ihn nichts kosteten, und die nämliche Würkung
taten; er zierte die Stadt mit Tempeln, Gymnasien, und andern öffentlichen
Gebäuden: Und tat alles dieses, mit Beistand seiner Vertrauten, auf eine
so gute Art, daß Plato alles sein Ansehen dazu verwandte, einem Prinzen,
der so schöne Hoffnungen von sich erweckte, und seine philosophische
Eitelkeit mit so vielen öffentlichen Beweisen einer vorzüglichen
Hochachtung kitzelte, (ein Beweggrund, den der gute Weise sich vielleicht
selbst nicht gerne gestund) alle Herzen zu gewinnen.

Diese Maßnehmungen erreichten den vorgesetzten Zweck vollkommen. Das
Volk, welches nicht nur in Griechenlande, sondern aller Orten, in einer
immerwährenden Kindheit lebt, hörte auf zu murmeln; verlor in kurzer Zeit
den bloßen Wunsch einer Veränderung; faßte eine heftige Zuneigung für
seinen Prinzen; erhob die Glückseligkeit seiner Regierung; bewunderte die
prächtige Kleidung und Waffen, die er seinen Trabanten hatte machen lassen;
betrank sich auf seine Gesundheit; und war bereit allem was er
unternehmen wollte, seinen dummen Beifall zu zuklatschen.

Philistus und Timocrat sahen sich durch diesen glücklichen Ausschlag in
der Gunst ihres Herrn aufs neue befestiget; aber sie waren nicht zufrieden,
so lange sie selbige mit dem Plato teilen mußten, für welchen er eine Art
von Schwachheit behielt, die ihren Grund vielleicht in der natürlichen
Obermacht eines großen Geistes über einen Kleinen hatte. Timocrat geriet
auf einen Einfall, wozu ihm die geheime Unterredung in dem Schlafzimmer
des Dionys den ersten Wink gegeben hatte, und wodurch er zu gleicher Zeit
sich ein Verdienst um den Tyrannen zu machen, und das Ansehen des
Philosophen bei demselben zu untergraben hoffen konnte.

Dionys hatte, von ihm aufgemuntert, angefangen, unvermerkt wieder eine
größere Freiheit bei seiner Tafel einzuführen; die Anzahl und die
Beschaffenheit der Gäste, welche er fast täglich einlud, gab den Vorwand
dazu; und Plato, welcher bei aller erhabenen Austerität seiner Grundsätze,
einen kleinen Ansatz zu einem Hofmanne hatte, machte es, wie es gewisse
ehrwürdige Männer an gewissen Höfen zu machen pflegen; er sprach bei jeder
Gelegenheit von den Vorzügen der Nüchternheit und Mäßigkeit, und aß und
trank immer dazu, wie ein andrer. Diese kleine Erweiterung der allzuengen
Grenzen der akademischen Frugalität, von welcher der Vater der Akademie
selbst gestehen mußte, daß sie sich für den Hof eines Fürsten nicht
schicke, erlaubte den vornehmsten Syracusanern, und jedem, der dem Prinzen
seine Ergebenheit bezeugen wollte, ihm prächtige Feste zu geben; wo die
Freude zwar ungebundener herrschte, aber doch durch die Gesellschaft der
Musen und Grazien einen Schein von Bescheidenheit erhielt, welcher die
Strenge der Weisheit mit ihr aussöhnen konnte. Timocrat machte sich
diesen Umstand zu Nutz. Er lud den Prinzen, den ganzen Hof, und die
Vornehmsten der Stadt ein, auf seinem Landhause die Wiederkunft des
Frühlings zu begehen, dessen alles verjüngende Kraft, zum Unglück für den
ohnehin übelbefestigten Platonismus des Dionys, auch diesem Prinzen die
Begierden und die Kräfte der Jugend wieder einzuhauchen schien. Die
schlaueste Wollust, hinter eine verblendende Pracht versteckt, hatte
dieses Fest angeordnet. Timocrat verschwendete seine Reichtümer ohne Maß,
mit desto fröhlicherm Gesichte, da er sie eben dadurch doppelt wieder zu
bekommen versichert war. Alle Welt bewunderte die Erfindungen und den
Geschmack dieses Günstlings; Dionys bezeugte, sich niemals so wohl ergötzt
zu haben; und der göttliche Plato, der weder auf seinen Reisen zu den
Pyramiden und Gymnosophisten, noch zu Athen so etwas gesehen hatte, wurde
von seiner dichterischen Einbildungs-Kraft so sehr verraten, daß er die
Gefahren zu vergessen schien, welche unter den Bezauberungen dieses Orts,
und dieser Verschwendung von Reizungen zum Vergnügen, laurten. Der
einzige Dion erhielt sich in seiner gewöhnlichen Ernsthaftigkeit, und
machte durch den starken Kontrast seines finstern Bezeugens mit der
allgemeinen Fröhlichkeit, Eindrücke auf alle Gemüter, welche nicht wenig
dazu beitrugen, seinen bevorstehenden Fall zu befördern. Indes schien
niemand darauf acht zu geben; und in der Tat ließ die Vorsorge, welche
Timocrat gebraucht hatte, daß jede Stunde, und beinahe jeder Augenblick
ein neues Vergnügen herbeiführen mußte, wenig Muße, Beobachtungen zu
machen. Dieser schlaue Höfling hatte ein Mittel gefunden, dem Plato
selbst, bei einer Gelegenheit, wo es so wenig zu vermuten war, auf eine
feine Art zu schmeicheln. Dieses geschah durch ein großes pantomimisches
Ballet, worin die Geschichte der menschlichen Seele, nach den Grundsätzen
dieses Weisen, unter Bildern, welche er in einigen seiner Schriften an die
Hand gegeben hatte, auf eine allegorische Art vorgestellt wurde. Timocrat
hatte die jüngsten und schönsten Figuren hierzu gebraucht, welche er zu
Corinth und aus dem ganzen Griechenlande hatte zusammenbringen können.
Unter den Tänzerinnen war eine, welche dazu gemacht schien, dasjenige, was
der gute Plato in etlichen Monaten an dem Gemüte des Tyrannen gearbeitet,
in etlichen Augenblicken zu zerstören. Sie stellte unter den Personen des
Tanzes die Wollust vor; und würklich paßten ihre Figur, ihre
Gesichtsbildung, ihre Blicke, ihr Lächeln, alles so vollkommen zu dieser
Rolle, daß das anacreontische Beiwort Wollustatmend ausdrücklich für sie
gemacht zu sein schien. Jedermann war von der schönen Bacchidion
bezaubert; aber niemand war es so sehr als Dionys. Er dachte nicht einmal
daran, der Wollust, welche eine so verführische Gestalt angenommen hatte,
um seine erkältete Zuneigung zu ihr wieder anzufeuren, Widerstand zu tun;
kaum daß er noch so viel Gewalt über sich selbst behielt, um von
demjenigen was in ihm vorging nicht allzudeutliche Würkungen sehen zu
lassen. Denn er getraute sich noch nicht, wieder gänzlich Dionysius zu
sein, ob ihm gleich von Zeit zu Zeit kleine Züge entwischten, welche dem
beobachtenden Dion bewiesen, daß er nur noch durch einen Rest von Scham,
dem letzten Seufzer der ersterbenden Tugend, zurückgehalten werde.
Timocrat triumphierte in sich selbst; seine Absicht war erreicht; die
allzureizende Bacchidion bemächtigte sich der Begierde, des Geschmacks und
so gar des Herzens des Tyrannen: Und da er den Timocrat zum Unterhändler
seiner Leidenschaft, welche er eine Zeitlang geheim halten wollte, nötig
hatte, so war Timocrat von diesem Augenblick an wieder der nächste an
seinem Herzen. Der weise Plato bedaurte zu spät, daß er zu viel Nachsicht
gegen den Hang dieses Prinzen nach Ergötzungen getragen hatte; er fühlte
nur gar zu wohl, daß die Gewalt seiner metaphysischen Bezauberungen durch
eine stärkere Zaubermacht aufgelöst worden sei, und fing an, um sich nicht
ohne Nutzen beschwerlich zu machen, den Hof seltner zu besuchen. Dion
ging weiter: Er unterstund sich, dem Dionys wegen seines geheimen
Verständnisses mit der schönen Bacchidion, Vorwürfe zu machen, und ihn
seiner Verbindlichkeiten mit einem Ernst zu erinnern, den der Tyrann nicht
mehr ertragen konnte. Dionys sprach im Ton eines asiatischen Despoten,
und Dion antwortete wie ein Mißvergnügter, der sich stark genug fühlt, den
Drohungen eines übermütigen Tyrannen Trotz zu bieten. Philistus hielt den
Dionys zurück, der im Begriff war alles zu wagen, indem er seiner Wut den
Zügel schießen lassen wollte. Allein in den Umständen worin man mit dem
beleidigten Dion war, mußte ein schleuniger Entschluß gefaßt werden. Dion
verschwand auf einmal, und erst nach einigen Tagen machte Dionys bekannt:
Daß ein gefährliches Complot gegen seine Person, und die Ruhe des Staats,
woran Dion in geheim gearbeitet, ihn genötiget hätte, denselben auf einige
Zeit aus Sicilien zu entfernen. Es bestätigte sich würklich, daß Dion in
der Nacht unvermutet in Verhaft genommen, zu Schiffe gebracht und in
Italien ans Land gesetzt worden war. Um das angebliche Complot
wahrscheinlich zu machen, wurden verschiedene Freunde Dions, und eine noch
größere Anzahl von Kreaturen des Philistus, welche gegen diesen Prinzen zu
reden bestochen waren, in Verhaft genommen. Man unterließ nichts, was
seinem Prozeß das Ansehen der genauesten Beobachtung der
Justiz-Formalitäten geben konnte; und nachdem er durch die Aussage einer
Menge von Zeugen überwiesen worden war, wurde seine Verbannung in ein
förmliches Urteil gebracht, und ihm bei Strafe des Lebens verboten, ohne
besondere Erlaubnis des Dionys, Sicilien wieder zu betreten. Dionys
stellte sich, als ob er dieses Urteil ungern und allein durch die Sorge
für die Ruhe des Staats gezwungen unterzeichne; und um eine Probe zu geben,
wie gern er eines Prinzen, den er allezeit besonders hochgeschätzt habe,
schonen möchte, verwandelte er die Strafe der Konfiskation aller seiner
Güter in eine bloße Zurückhaltung der Einkünfte von denselben: Aber
niemand ließ sich durch diese Vorspieglungen hintergehen, da man bald
darauf erfuhr, daß er seine Schwester, die Gemahlin des Dion, gezwungen
habe, die Belohnung des unwürdigen Timocrat zu werden.


Plato spielte bei dieser unerwarteten Katastrophe eine sehr demütigende
Rolle. Dionys affektierte zwar noch immer, ein großer Bewunderer seiner
Wissenschaft und Beredsamkeit zu sein; aber sein Einfluß hatte so gänzlich
aufgehört, daß ihm nicht einmal erlaubt war, die Unschuld seines Freundes
zu verteidigen. Er wurde täglich zur Tafel eingeladen; aber nur, um mit
eignen Ohren anzuhören, wie die Grundsätze seiner Philosophie, die Tugend
selbst, und alles was einem gesunden Gemüt ehrwürdig ist, zum Gegenstand
leichtsinniger Scherze gemacht wurden, welche sehr oft den echten Witz
nicht weniger beleidigten als die Tugend. Und damit ihm alle Gelegenheit
benommen würde, die widrigen Eindrücke, welche den Syracusanern gegen den
Dion beigebracht worden waren, wieder auszulöschen, wurde ihm unter dem
Schein einer besondern Ehrenbezeugung eine Wache gegeben, welche ihn wie
einen Staats-Gefangenen beobachtete und eingeschlossen hielt. Der
Philosoph hatte denjenigen Teil seiner Seele, welchem er seinen Sitz
zwischen der Brust und dem Zwerch-Fell angewiesen, noch nicht so gänzlich
gebändiget, daß ihn dieses Betragen des Tyrannen nicht hätte erbittern
sollen. Er fing an wie ein freigeborner Athenienser zu sprechen, und
verlangte seine Entlassung. Dionys stellte sich über dieses Begehren
bestürzt an, und schien alles anzuwenden, um einen so wichtigen Freund bei
sich zu behalten; er bot ihm so gar die erste Stelle in seinem Reich, und,
wenn Plutarch nicht zuviel gesagt hat, alle seine Schätze an, wofern er
sich verbindlich machen wollte, ihn niemals zu verlassen; aber die
Bedingung, welche er hinzusetzte, bewies, wie wenig er selbst erwartete,
daß seine Erbietungen angenommen werden würden. Denn er verlangte, daß er
ihm seine Freundschaft für den Dion aufopfern sollte; und Plato verstund
den stillschweigenden Sinn dieser Zumutung. Er beharrete also auf seiner
Entlassung, und erhielt sie endlich, nachdem er das Versprechen von sich
gegeben hatte, daß er wieder kommen wolle, so bald der Krieg, welchen
Dionys wider Carthago anzufangen im Begriff war, geendigt sein würde. Der
Tyrann machte sich eine große Angelegenheit daraus, alle Welt zu überreden,
daß sie als die besten Freunde von einander schieden; und Platons Ehrgeiz
(wenn es anders erlaubt ist, eine solche Leidenschaft bei einem
Philosophen vorauszusetzen) fand seine Rechnung zu gut dabei, als daß er
sich hätte bemühen sollen, die Welt von dieser Meinung zuheilen. Er gehe,
sagte er, nur Dion und Dionys wieder zu Freunden zu machen. Der Tyrann
bezeugte sich sehr geneigt hierzu, und hob, zum Beweis seiner guten
Gesinnung den Beschlag auf, den er auf die Einkünfte Dions gelegt hatte.
Plato hingegen machte sich zum Bürgen für seinen Freund, daß er nichts
widriges gegen Dionysen unternehmen sollte. Der Abschied machte eine so
traurige Szene, daß die Zuschauer, (außer den wenigen, welche das Gesicht
unter der Maske kannten) von der Gutherzigkeit des Prinzen sehr gerührt
wurden; er begleitete den Philosophen bis an seine Galeeren, erstickte ihn
fast mit Umarmungen, netzte seine ehrwürdigen Wangen mit Tränen, und sah
ihm so lange nach, bis er ihn aus den Augen verlor: Und so kehrten beide,
mit gleich erleichtertem Herzen, Plato in seine geliebte Akademie, und
Dionys in die Arme seiner Tänzerin zurück.

Dieser Tyrann, dessen natürliche Eitelkeit durch die Diskurse des
Atheniensischen Weisen zu einer heftigen Ruhmbegierde aufgeschwollen war,
hatte sich unter andern Schwachheiten in den Kopf gesetzt, für einen
Gönner der Gelehrten, für einen Kenner, und so gar für einen der schönen
Geister seiner Zeit gehalten zu werden. Er war sehr bekümmert, daß Plato
und Dion den Griechen, denen er vorzüglich zu gefallen begierig war, die
gute Meinung wieder benehmen möchten, welche man von ihm zu fassen
angefangen hatte; und diese Furcht scheint einer von den stärksten
Beweggründen gewesen zu sein, warum er den Plato bei ihrer Trennung mit so
vieler Freundschaft überhäuft hatte. Er ließ es nicht dabei bewenden.
Philistus sagte ihm, daß Griechenland eine Menge von spekulativen
Müßiggängern habe, welche so berühmt als Plato, und zum teil geschickter
seien, einen Prinzen bei Tische oder in verlornen Augenblicken zu
belustigen als dieser Mann, der die Schwachheit habe ein lächerlich
ehrwürdiges Mittelding zwischen einem Egyptischen Priester, und einem
Staatsmanne vorzustellen, und seine unverständlich-erhabene Grillen für
Grundsätze, wornach die Welt regiert werden müsse, auszugeben. Er bewies
ihm mit den Beispielen seiner eigenen Vorfahren, daß ein Fürst sich den
Ruhm eines unvergleichlichen Regenten nicht wohlfeiler anschaffen könne,
als indem er Philosophen und Poeten in seinen Schutz nehme; Leute, welche
für die Ehre seine Tischgenossen zu sein, oder für ein mäßiges Gehalt,
bereit seien, alle ihre Talente ohne Maß und Ziel zu seinem Ruhm und zu
Beförderung seiner Absichten zu verschwenden. "Glaubest du", sagte er,
"daß Hieron der wundertätige Mann, der Held, der Halbgott, das Muster
aller fürstlichen, bürgerlichen und häuslichen Tugenden gewesen sei, wofür
ihn die Nachwelt hält? Wir wissen was wir davon denken sollen; er war was
alle Prinzen sind, und lebte wie sie alle leben; er tat was ich und ein
jeder andrer tun würde, wenn wir zu unumschränkten Herren einer so schönen
Insel, wie Sicilien ist, geboren wären--Aber er hatte die Klugheit,
Simoniden und Pindare an seinem Hofe zu halten; sie lobten ihn in die
Wette, weil sie wohl gefüttert und wohl bezahlt wurden; alle Welt erhob
die Freigebigkeit dieses Prinzen, und doch kostete ihn dieser Ruhm nicht
halb soviel, als seine Jagdhunde. Wer wollte ein König sein, wenn ein
König das alles würklich tun müßte, was sich ein müßiger Sophist auf
seinem Faulbette oder Diogenes in seinem Fasse einfallen läßt, ihm zu
Pflichten zu machen? Wer wollte regieren, wenn ein Regent allen
Forderungen und Wünschen seiner Untertanen genug tun müßte? Das meiste, wo
nicht alles, kömmt auf die Meinung an, die ein großer Herr von sich
erweckt; nicht auf seine Handlungen selbst, sondern auf die Gestalt und
den Schwung, den er ihnen zu geben weiß. Was er nicht selbst tun will,
oder tun kann, das können witzige Köpfe für ihn tun. Haltet euch einen
Philosophen, der alles demonstrieren, einen sinnreichen Schwätzer, der
über alles scherzen, und einen Poeten, der über alles Gassenlieder machen
kann. Der Nutzen, den ihr von dieser kleinen Ausgabe zieht, fällt zwar
nicht sogleich in die Augen; ob es gleich an sich selbst schon Vorteils
genug für einen Fürsten ist, für einen Beschützer der Musen gehalten zu
werden. Denn das ist in den Augen von neun und neunzig hundertteilen des
menschlichen Geschlechts ein untrüglicher Beweis, daß er selbst ein Herr
von großer Einsicht, und Wissenschaft ist; und diese Meinung erweckt
Zutrauen, und ein günstiges Vorurteil für alles was er unternimmt. Aber
das ist der geringste Nutzen, den ihr von euern witzigen Kostgängern zieht.
Setzet den Fall, daß es nötig sei eine neue Auflage zu machen; das ist
alles was ihr braucht, um in einem Augenblick ein allgemeines Murren gegen
eure Regierung zu erregen; die Mißvergnügten, eine Art von Leuten, welche
die klügste Regierung niemals gänzlich ausrotten kann, machen sich einen
solchen Zeitpunkt zu nutze; setzen das Volk in Gärung, untersuchen eure
Aufführung, die Verwaltung eurer Einkünfte, und tausend Dinge, an welche
vorher niemand gedacht hatte; die Unruhe nimmt zu, die Repräsentanten des
Volks versammeln sich, man übergibt euch eine Vorstellung, eine
Beschwerung um die andere; unvermerkt nimmt man sich heraus die Bitten in
Forderungen zu verwandeln, und die Forderungen mit ehrfurchtsvollen
Drohungen zu unterstützen; kurz, die Ruhe euers Lebens ist, wenigstens auf
einige Zeit, verloren; ihr befindet euch in kritischen Umständen, wo der
kleinste Fehltritt die schlimmesten Folgen nach sich ziehen kann, und es
braucht nur einen Dion, der sich zu einer solchen Zeit einem mißvergnügten
Pöbel an den Kopf wirft, so habt ihr einen Aufruhr in seiner ganzen Größe.
Hier zeigt sich der wahre Nutzen unsrer witzigen Köpfe. Durch ihren
Beistand können wir in etlichen Tagen allen diesen übeln zuvorkommen.
Laßt den Philosophen demonstrieren, daß diese Auflage zur Wohlfahrt des
gemeinen Wesens unentbehrlich ist; laßt den Spaßvogel irgend einen
lächerlichen Einfall, irgend eine lustige Hof-Anekdote oder ein boshaftes
Märchen in der Stadt herumtragen, und den Poeten eine neue Komödie und ein
paar Gassenlieder machen, um dem Pöbel was zu sehen und zu singen zu geben:
So wird alles ruhig bleiben; und indessen daß die politischen Müßiggänger
sich darüber zanken werden, ob euer Philosoph recht oder unrecht
argumentiert habe, und die kleine ärgerliche Anekdote reichlich ausgeziert
und verschönert, den Witz aller guten Gesellschaften im Atem erhält: Wird
der Pöbel ein paar Flüche zwischen den Zähnen murmeln, seinen Gassenhauer
anstimmen, und--bezahlen. Solche Dienste, sind, deucht mich wohl wert,
etliche Leute zu unterhalten, die ihren ganzen Ehrgeiz darin setzen, Worte
zierlich zusammenzusetzen, Sylben zu zählen, Ohren zu kitzeln und Lungen
zu erschüttern; Leute, denen ihr alle ihre Wünsche erfüllt, wenn ihr ihnen
so viel gebt, als sie brauchen, kummerlos durch eine Welt, an die sie
wenig Ansprüche machen, hindurchzuschlentern, und nichts zu tun, als was
der Wurm im Kopf, den sie ihren Genie nennen, ihnen zum größesten
Vergnügen ihres Lebens macht."

Dionys befand diesen Rat seines würdigen Ministers vollkommen nach seinem
Geschmack. Philistus übergab ihm eine Liste von mehr als zwanzig
Kandidaten, aus denen man, wie er sagte, nach Belieben auswählen könnte.
Dionys glaubte, daß man dieser nützlichen Leute nicht zuviel haben könne,
und wählte alle. Alle schönen Geister Griechenlandes wurden unter
blendenden Verheißungen an seinen Hof eingeladen. In kurzer Zeit
wimmelte es in seinen Vorsälen von Philosophen und Priestern der Musen.
Alle Arten von Dichtern, Epische, Tragische, Komische, Lyrische, welche
ihr Glück zu Athen nicht hatten machen können, zogen nach Syracus, um ihre
Leiern und Flöten an den anmutigen Ufern des Anapus zu stimmen, und--sich
satt zu essen. Sie glaubten, daß es ihnen gar wohl erlaubt sein könne,
die Tugenden des Dionys zu besingen, nachdem der göttliche Pindar sich
nicht geschämt hatte, die Maulesel des Hieron unsterblich zu machen. So
gar der zynische Antisthenes ließ sich durch die Hoffnung herbeilocken,
daß ihn die Freigebigkeit des Dionys in den Stand setzen würde, die
Vorteile der freiwilligen Armut und der Enthaltsamkeit mit desto mehr
Gemächlichkeit zu studieren; Tugenden, von deren Schönheit, nach dem
stillschweigenden Geständnis ihrer eifrigsten Lobredner, sich nach einer
guten Mahlzeit am beredtesten sprechen läßt. Kurz, Dionys hatte das
Vergnügen, ohne einen Plato dazu nötig zu haben, sich mitten an seinem
Hofe eine Akademie für seinen eignen Leib zu errichten, deren Vorsteher
und Apollo er selbst zu sein würdigte, und in welcher über die
Gerechtigkeit, über die Grenzen des Guten und Bösen, über die Quelle der
Gesetze, über das Schöne, über die Natur der Seele, der Welt und der
Götter, und andere solche Materien, welche nach den gewöhnlichen Begriffen
der Weltleute zu nichts als zur Konversation gut sind, mit so vieler
Schwatzhaftigkeit, mit so viel Subtilität und so wenig gesunder Vernunft
disputiert wurde, als es in irgend einer Schule der Weisheit der damaligen
Zeiten zu geschehen pflegte. Er hatte das Vergnügen sich bewundern, und
wegen einer Menge von Tugenden und Helden-Eigenschaften lobpreisen zu
hören, die er sich selbst niemals zugetraut hätte. Seine Philosophen
waren keine Leute, die, wie Plato, sich herausgenommen hätten, ihn
hofmeistern, und lehren zu wollen, wie er zuerst sich selbst, und dann
seinen Staat regieren müsse. Der strengeste unter ihnen war zu höflich,
etwas an seiner Lebensart auszusetzen, und alle waren bereit es einem
jeden Zweifler sonnenklar zu beweisen, daß ein Tyrann, der
Zueignungs-Schriften, und Lobgedichte so gut bezahlte, so gastfrei war,
und seine getreuen Untertanen durch den Anblick so vieler Feste und
Lustbarkeiten glücklich machte, der würdigste unter allen Königen sein
müsse.

In diesen Umständen befand sich der Hof zu Syracus, als der Held unsrer
Geschichte in dieser Stadt ankam; und so war der Fürst beschaffen, welchem
er, unter ganz andern Voraussetzungen, seine Dienste anzubieten gekommen
war.




FÜNFTES KAPITEL

Agathon wird der Günstling des Dionysius


Agathon erfuhr die hauptsächlichsten Begebenheiten, welche den Inhalt des
vorhergehenden Kapitels ausmachen, bei einem großen Gastmahl, welches sein
Freund der Kaufmann, des folgenden Tages gab, um Agathons Ankunft in
Syracus, und seine eigene Wiederkunft feirlich zu begehen. Der Name eines
Gastes, der eine Zeit lang den Griechen so viel von sich zu reden gegeben
hatte, zog unter andern Neugierigen auch den Philosophen Aristippus herbei,
der sowohl wegen der Annehmlichkeiten seines Umgangs, als wegen der Gnade,
worin er bei dem Tyrannen stund, in den besten Häusern zu Syracus sehr
willkommen war. Dieser Philosoph hatte sich, bei jener großen Migration
der schönen Geister aus Griechenland nach Syracus, auch dahin begeben,
mehr um einen beobachtenden Zuschauer abzugeben, als in der Absicht, durch
parasitische Künste die Eitelkeit des Dionys seinen Bedürfnissen zinsbar
zu machen. Agathon und Aristippus hatten einander zu Athen gekannt; aber
damals kontrastierte der Enthusiasmus des Ersten mit dem kalten Blut, und
der Humoristischen Art zu philosophieren des Andern zu stark, als daß sie
einander wahrhaftig hätten hochschätzen können, obgleich Aristipp sich
öfters bei den Versammlungen einfand, welche damals aus Agathons Haus
einen Tempel der Musen, und eine Akademie der besten Köpfe von Athen
machten. Die Wahrheit war, daß Agathon mit allen seinen schimmernden
Eigenschaften in Aristipps Augen ein Phantast, dessen Unglück er seinen
Vertrauten öfters vorhersagte--und Aristipp mit allem seinem Witz nach
Agathons Begriffen ein bloßer Sophist war, den seine Grundsätze
geschickter machten, weibische Sybariten noch sybaritischer, als junge
Republikaner zu tugendhaften Männern zu machen. Der Eindruck, welcher
beiden von dieser ehmals von einander gefaßten Meinung geblieben war,
machte sie stutzen, da sie sich nach einer Trennung von drei oder vier
Jahren so unvermutet wieder sahen. Es ging ihnen in den ersten
Augenblicken, wie es uns zu gehen pflegt, wenn uns deucht, als ob wir eine
Person kennen sollten, ohne uns gleich deutlich erinnern zu können, wer
sie ist, oder wo und in welchen Umständen wir sie gesehen haben. Das
sollte Agathon--das sollte Aristipp sein, dachte jeder bei sich selbst,
war überzeugt, daß es so sei, und hatte doch Mühe, seiner eigenen
überzeugung zu glauben. Aristipp suchte im Agathon den Enthusiasten,
welcher nicht mehr war; und Agathon glaubte im Aristipp den Sybariten
nicht mehr zu finden; vielleicht allein, weil seine Art, Personen und
Sachen ins Auge zu fassen, seit einiger Zeit eine merkliche Veränderung
erlitten hatte. Ein Umgang von etlichen Stunden lösete beiden das Rätsel
ihres anfänglichen Irrtums auf, zerstreute den Rest des alten Vorurteils,
und flößte ihnen Dispositionen ein, bessere Freunde zu werden. Unvermerkt
erinnerten sie sich nicht mehr, daß sie einander ehmals weniger gefallen
hatten; und ihr Herz liebte den kleinen Selbstbetrug, dasjenige was sie
itzt für einander empfanden, für die bloße Erneuerung einer alten
Freundschaft zu halten. Aristipp fand bei unserm Helden, eine
Gefälligkeit, eine Politesse, eine Mäßigung, welche ihm zu beweisen schien,
daß Erfahrungen von mehr als einer Art eine starke Revolution in seinem
Gemüte gewürkt haben mußten. Agathon fand bei dem Philosophen von Cyrene
etwas mehr als Witz, einen Beobachtungs-Geist, eine gesunde Art zu denken,
eine Feinheit und Richtigkeit der Beurteilung, welche den Schüler des
weisen Socrates in ihm erkennen ließen. Diese Entdeckungen flößeten ihnen
natürlicher Weise ein gegenseitiges Zutrauen ein, welches sie geneigt
machte, sich weniger vor einander zu verbergen, als man bei einer ersten
Zusammenkunft zu tun gewohnt ist. Agathon ließ seinem neuen Freunde sein
Erstaunen darüber sehen, daß die Hoffnungen, welche man sich zum Vorteil
Siciliens von Platons Ansehen bei dem Dionys gemacht, so plötzlich, und
auf eine so unbegreifliche Art, vernichtet worden. In der Tat bestund
alles was man in der Stadt davon wußte, in bloßen Mutmaßungen, die sich
zum Teil auf allerlei unzuverlässige Anekdoten gründeten, welche in
Städten, wo ein Hof ist von müßigen Leuten, die sich das Ansehen geben
wollen, als ob sie von den Geheimnissen und Intriguen des Hofes
vollkommene Wissenschaft hätten, von Gesellschaft zu Gesellschaft
herumgetragen zu werden pflegen. Aristipp hatte in der kurzen Zeit, seit
dem er sich an Dionysens Hofe aufhielt, die schwache Seite dieses Prinzen,
den Charakter seiner Günstlinge, der Vornehmsten der Stadt, und der
Sicilianer überhaupt so gut ausstudiert, daß er, ohne sich in die
Entwicklung der geheimern Triebfedern (womit wir unsre Leser schon bekannt
gemacht haben) einzulassen, den Agathon leicht überzeugen konnte, daß ein
gleichgültiger Zuseher von den Anschlägen, Dions und Platons, den Dionys
zu einer freiwilligen Niederlegung der monarchischen Gewalt zu vermögen,
sich keinen glücklichern Ausgang habe versprechen können. Er malte den
Tyrannen von seiner besten Seite als einen Prinzen ab, bei dem die
unglücklichste Erziehung ein vortreffliches Naturell nicht habe verderben
können; der von Natur leutselig, edel, freigebig, und dabei so bildsam und
leicht zu regieren sei, daß alles bloß darauf ankomme, in was für Händen
er sich befinde. Seiner Meinung nach war, eben diese allzubewegliche
Gemütsart und der Hang für die Vergnügungen der Sinnen die fehlerhafteste
Seite dieses Prinzen. Plato hätte die Kunst verstehen sollen, sich dieser
Schwachheiten selbst auf eine feine Art zu seinen Absichten zu bedienen;
aber das hätte eine Geschmeidigkeit, eine kluge Mischung von
Nachgiebigkeit und Zurückhaltung erfordert, wozu der Verfasser des
'Cratylus' und 'Timäus' niemals fähig sein werde. überdem hätte er sich
zu deutlich merken lassen, daß er gekommen sei, den Hofmeister des Prinzen
zu machen; ein Umstand, der schon für sich allein alles habe verderben
müssen. Denn die schwächsten Fürsten seien allemal diejenigen, vor denen
man am sorgfältigsten verbergen müsse, daß man weiter sehe als sie; sie
würden sich's zur Schande rechnen, sich von dem größesten Geist in der
Welt regieren zu lassen, so bald sie glauben, daß er eine solche Absicht
im Schilde führe; und daher komme es, daß sie sich oft lieber der
schimpflichen Herrschaft eines Kammerdieners oder einer Maitresse
unterwerfen, welche die Kunstgriffe besitzen, ihre Gewalt über das Gemüt
des Herrn unter sklavischen Schmeicheleien oder schlauen Liebkosungen zu
verbergen. Plato sei zu einem Minister eines so jungen Prinzen zu
spitzfindig, und zu einem Günstling zu alt gewesen; zudem habe ihm seine
vertraute Freundschaft mit dem Dion geschadet, da sie seinen heimlichen
Feinden beständige Gelegenheit gegeben, ihn dem Prinzen verdächtig zu
machen. Endlich habe der Einfall, aus Sicilien eine platonische Republik
zu machen, an sich selbst nichts getaugt. Der National-Geist der
Sicilianer sei eine Zusammensetzung von so schlimmen Eigenschaften, daß es,
seiner Meinung nach, dem weisesten Gesetzgeber unmöglich bleiben würde,
sie zur republikanischen Tugend umzubilden; und Dionys, welcher unter
gewissen Umständen fähig sei ein guter Fürst zu werden, würde, wenn er
sich auch in einem Anstoß von eingebildeter Großmut hätte bereden lassen,
die Tyrannie aufzuheben, allezeit ein sehr schlimmer Bürger gewesen sein.
Diese allgemeine Ursachen seien, was auch die nähern Veranlassungen der
Verbannung des Dion und der Ungnade oder wenigstens der Entfernung des
Platon gewesen sein mögen, hinlänglich begreiflich zu machen, daß es nicht
anders habe gehen können; sie bewiesen aber auch (setzte Aristipp mit
einer anscheinenden Gleichgültigkeit hinzu) daß ein Anderer, der sich die
Fehler dieser Vorgänger zu Nutzen zu machen wißte, wenig Mühe haben würde,
die unwürdigen Leute zu verdrängen, welche sich wieder in den Besitz des
Zutrauens und der Autorität des Tyrannen geschwungen hätten.

Agathon fand diese Gedanken seines neuen Freundes so wahrscheinlich, daß
er sich überreden ließ, sie für wahr anzunehmen. Und hier spielte ihm die
Eigenliebe einen kleinen Streich, dessen er sich nicht zu ihr vermutete.
Sie flüsterte ihm so leise, daß er ihren Einhauch vielleicht für die
Stimme seines Genius, oder der Tugend selbsten hielt, den Gedanken zu--wie
schön es wäre, wenn Agathon dasjenige zu Stande bringen könnte, was Plato
vergebens unternommen hatte. Wenigstens deuchte es ihn schön, den Versuch
zu machen; und er fühlte eine Art von ahnendem Bewußtsein, daß eine solche
Unternehmung nicht über seine Kräfte gehen würde. Diese Empfindungen
(denn Gedanken waren es noch nicht) stiegen, während daß Aristippus sprach,
in ihm auf; aber er nahm sich wohl in Acht, ihn das geringste davon
merken zu lassen; und lenkte, aus Besorgnis von einem so schlauen Höflinge
unvermerkt ausgekundschaftet zu werden, das Gespräch auf andre Gegenstände.
überhaupt vermied er alles, was die Aufmerksamkeit der Anwesenden
vorzüglich auf ihn hätte richten können, desto sorgfältiger, da er
wahrnahm, daß man einen außerordentlichen Mann in ihm zu sehen erwartete.
Er sprach sehr bescheiden, und nur so viel als die Gelegenheit
unumgänglich erfoderte, von dem Anteil, den er an der Staats-Verwaltung
von Athen gehabt hatte; ließ die Anlässe entschlüpfen, die ihm von einigen
mit guter Art (wie sie wenigstens glaubten) gemacht wurden, um seine
Gedanken von Regierungs-Sachen, und von den Syracusanischen
Angelegenheiten auszuholen; sprach von allem wie ein gewöhnlicher Mensch,
der sich auf das was er spricht versteht, und begnügte sich bei
Gelegenheit sehen zu lassen, daß er ein Kenner aller schönen Sachen sei,
ob er sich gleich nur für einen Liebhaber gab. Dieses Betragen, wodurch
er allen Verdacht, als ob er aus besondern Absichten nach Syracus gekommen
sei, von sich entfernen wollte, hatte die Würkung, daß die Meisten, welche
mit einem Erwartungsvollen Vorurteil für ihn gekommen waren, sich für
betrogen hielten, und mit der Meinung weggingen, Agathon halte in der Nähe
nicht, was sein Ruhm verspreche: ja, um sich dafür zu rächen, daß er nicht
so war, wie er ihrer Einbildung zu lieb hätte sein sollen, liehen sie ihm
noch einige Fehler, die er nicht hatte, und verringerten den Wert der
schönen Eigenschaften, welche er entweder nicht verbergen konnte, oder
nicht verbergen wollte; gewöhnliches Verfahren der kleinen Geister,
wodurch sie sich unter einander in der tröstlichen Beredung zu stärken
suchen, daß kein so großer Unterscheid, oder vielleicht gar keiner,
zwischen ihnen und den Agathonen sei--und wer wird so unbillig sein, und
ihnen das übel nehmen?

Sobald sich unser Mann allein sah, überließ er sich den Betrachtungen, die
in seiner gegenwärtigen Stellung die natürlichsten waren. Sein erster
Gedanke, sobald er gehört hatte, daß Plato entfernt, und Dionys wieder in
der Gewalt seiner ehemaligen Günstlinge und einer neuangekommenen Tänzerin
sei, war gewesen, sich nur wenige Tage bei seinem Freunde verborgen zu
halten, und sodann nach Italien überzufahren, wo er verschiedne Ursachen
hatte zu hoffen, daß er in dem Hause des berühmten Archytas zu Tarent
willkommen sein würde. Allein die Unterredung mit dem Aristippus hatte
ihn auf andre Gedanken gebracht. Je mehr er dasjenige, was ihm dieser
Philosoph von den Ursachen der vorgegangenen Veränderungen gesagt hatte,
überlegte; je mehr fand er sich ermuntert, das Werk, welches Plato
aufgegeben hatte, auf einer andern Seite, und, wie er hoffte, mit besserm
Erfolg, anzugreifen. Von tausend manchfaltigen Gedanken hin und her
gezogen, brachte er den größesten Teil der Nacht in einem Mittelstand
zwischen Entschließung und Ungewißheit zu, bis er endlich mit sich selbst
einig wurde, es darauf ankommen zu lassen, wozu ihn die Umstände bestimmen
würden. Inzwischen machte er sich auf den Fall, wenn ihn Dionys an seinen
Hof zu ziehen suchen sollte, einen Verhaltungs-Plan; er stellte sich eine
Menge Zufälle vor, welche begegnen konnten, und setzte die Maßregeln bei
sich selbst feste, nach welchen er in allen diesen Umständen handeln
wollte. Die genaueste Verbindung der Klugheit mit der Rechtschaffenheit
war die Seele davon. Sein eigner Vorteil kam dabei in gar keine
Betrachtung; dieser Punkt lag durch aus zum Grunde seines ganzen Systems;
er wollte sich durch keine Art von Banden fesseln lassen, sondern immer
die Freiheit behalten, sich so bald er sehen würde, daß er vergeblich
arbeite, mit Ehre zurückzuziehen. Das war die einzige Rücksicht, die er
dabei auf sich selbst machte. Die lebhafte Abneigung, die er, aus eigener
Erfahrung gegen alle populare Regierungs-Arten gefaßt hatte, ließ ihn
nicht daran denken, den Sicilianern zu einer Freiheit behülflich zu sein,
welche er für einen bloßen Namen hielt, unter dessen Schutz die Edeln
eines Volkes und der Pöbel einander wechselweise ärger Tyrannisieren als
es irgend ein Tyrann zu tun fähig ist; der so arg er immer sein mag, doch
durch seinen eigenen Vorteil abgehalten wird, seine Sklaven gänzlich
aufzureiben;--da hingegen der Pöbel, wenn er die Gewalt einmal an sich
gerissen hat, seinen wilden Bewegungen keine Grenzen zu setzen fähig ist.
Diese Reflexion traf zwar nur die Demokratie; aber Agathon hatte von der
Aristokratie keine bessere Meinung. Eine endlose Reihe von schlimmen
Monarchen schien ihm etwas, das nicht in der Natur ist; und ein einziger
guter Fürst, war, nach seiner Voraussetzung, vermögend, das Glück seines
Volkes auf ganze Jahrhunderte zu befestigen; da hingegen (seiner Meinung
nach) die Aristokratie anders nicht als durch die gänzliche Unterdrückung
des Volks auf einen dauerhaften Grund gesetzt werden könne, und also schon
aus dieser einzigen Ursache die schlimmste unter allen möglichen
Verfassungen sei. So sehr gegen diese beide Regierungs-Arten eingenommen
als er war, konnte er nicht darauf verfallen, sie mit einander vermischen,
und durch eine Art von politischer Chemie aus so widerwärtigen Dingen eine
gute Komposition herausbringen zu wollen. Eine solche Verfassung deuchte
ihn allzuverwickelt, und aus zu vielerlei Gewichtern und Rädern
zusammengesetzt, um nicht alle Augenblicke in Unordnung zu geraten, und
sich nach und nach selbst aufzureiben. Die Monarchie schien ihm also,
von allen Seiten betrachtet, die einfacheste, edelste, und der Analogie
des großen Systems der Natur gemäßeste Art die Menschen zu regieren; und
dieses vorausgesetzt, glaubte er alles getan zu haben, wenn er einen
zwischen Tugend und Laster hin und her wankenden Prinzen aus den Händen
schlimmer Ratgeber ziehen; durch einen klugen Gebrauch der Gewalt, die er
über sein Gemüt zu bekommen hoffte, seine Denkungs-Art verbessern; und ihn
nach und nach durch die eigentümlichen Reizungen der Tugend endlich
vollkommen gewinnen könnte. Und gesetzt auch, daß es ihm nur auf eine
unvollkommene Art gelingen würde; so hoffte er, wofern er sich nur einmal
seines Herzens bemeistert haben würde, doch immer im Stande zu sein, viel
gutes zu tun, und viel Böses zu verhindern, und auch dieses schien ihm
genug zu sein, um beim Schluß der Aktion mit dem belohnenden Gedanken,
eine schöne Rolle wohl gespielt zu haben, vom Theater abzutreten. In
diesen sanfteinwiegenden Gedanken schlummerte Agathon endlich ein, und
schlief noch, als Aristippus des folgenden Morgens wiederkam, um ihn im
Namen des Dionys einzuladen, und bei diesem Prinzen aufzuführen.


Die Seite, von der sich dieser Philosoph in der gegenwärtigen Geschichte
zeigt, stimmt mit dem gemeinen Vorurteil, welches man gegen ihn gefaßt hat,
so wenig überein, als dieses mit den gewissesten Nachrichten, welche von
seinem Leben und von seinen Meinungen auf uns gekommen sind. In der Tat
scheint dasselbe sich mehr auf den Mißverstand seiner Grundsätze und
einige ärgerliche Märchen, welche Diogenes von Laerte und Athenäus, zween
von den unzuverlässigsten Kompilatoren in der Welt, seinen Feinden
nacherzählen, als auf irgend etwas zu gründen, welches ihm unsre
Hochachtung mit Recht entziehen könnte. Es hat zu allen Zeiten eine Art
von Leuten gegeben, welche nirgends als in ihren Schriften tugendhaft sind;
Leute, welche die Verdorbenheit ihres Herzens, und ihre geheimen Laster
durch die Affektation der strengesten Grundsätze in der Sittenlehre
bedecken wollen; moralische Pantomimen, qui Curios simulant & Bacchanalia
vivunt; Leute, welche sich das Ansehen einer außerordentlichen Delikatesse
der Ohren in moralischen Dingen geben, und von dem bloßen Schall des Worts
Wollust, mit einem heiligen Schauer, errötend--oder erblassend,
zusammenfahren; kurz, Leute, welche jedermann verachten würde, wenn nicht
der größeste Haufen dazu verurteilt wäre, sich durch Masken-Gesichter,
Mienen, Gebärden, Inflexionen der Stimme, verdrehte Augen, und--weiße
Schnupftücher betrügen zu lassen. Diese vortrefflichen Leute, (welche wir
etwas genauer beschrieben haben, weil es nicht mehr gebräuchlich ist,
denenjenigen einen Bündel Heu vor die Stirne zu binden, denen man nicht
allzunahe kommen darf,) taten schon damals ihr Bestes, den guten Aristipp
für einen Wollüstling auszuschreien, dessen ganze Philosophie darin
bestehe, daß er die Forderungen unsrer sinnlichen Triebe zu Grundsätzen
gemacht, und die Kunst gemächlich und angenehm zu leben, in ein System
gebracht habe.

Es ist hier der Ort nicht, die Unbilligkeit und den Ungrund dieses Urteils
zu beweisen; und dieses ist auch so nötig nicht, nachdem bereits einer der
ehrwürdigsten und verdienstvollesten Gelehrten unsrer Zeit, ein Mann der
durch die Eigenschaften seines Verstandes und Herzens den Namen eines
Weisen verdient, wenn ihn ein Sterblicher verdienen kann, ungeachtet
seines Standes den Mut gehabt hat, in seiner kritischen Geschichte der
Philosophie diesem würdigen Schüler des Socrates Gerechtigkeit widerfahren
zu lassen.

Ohne uns also um Aristipps Lehrsätze zu bekümmern, begnügen wir uns, von
seinem persönlichen Charakter so viel zu sagen als man wissen muß, um die
Person, die er an Dionysens Hofe vorstellte, richtiger beurteilen zu
können. Unter allen den vorgeblichen Weisen, welche sich damals an diesem
Hofe befanden, war er der einzige, der keine heimliche Absichten auf die
Freigebigkeit des Prinzen hatte; ob er sich gleich kein Bedenken machte,
Geschenke von ihm anzunehmen, die er nicht durch parasitische
Niederträchtigkeiten erkaufte. Durch seine natürliche Denkungs-Art eben
so sehr als durch seine, in der Tat ziemlich gemächliche Philosophie, von
Ambition und Geldgierigkeit gleich entfernt, bediente er sich eines
zulänglichen Erbguts, (welches er bei Gelegenheit durch den erlaubten
Vorteil, den er von seinen Talenten zog, zu vermehren wußte) um, nach
seiner Neigung, mehr einen Zuschauer als einen Akteur auf dem Schauplatz
der Welt vorzustellen. Da er einer der besten Köpfe seiner Zeit war, so
gab ihm diese Freiheit, worin er sich sein ganzes Leben durch erhielt,
Gelegenheit sich einen Grad von Einsicht zu erwerben, der ihn zu einem
scharfen und sichern Beurteiler aller Gegenstände des menschlichen Lebens
machte. Meister über seine Leidenschaften, welche von Natur nicht heftig
waren; frei von allen Arten der Sorgen, und in den Tumult der Geschäfte
selbst niemals verwickelt, war es ihm nicht schwer, sich immer in dieser
Heiterkeit des Geistes, und in dieser Ruhe des Gemütes zu erhalten, welche
die Grundzüge von dem Charakter eines weisen Mannes ausmachen. Er hatte
seine schönsten Jahre zu Athen, in dem Umgang mit Socrates und den
größesten Männern dieses berühmten Zeitalters zugebracht; die Euripiden
und Aristophane, die Phidias und die Polygnote, und die Wahrheit zu sagen,
auch die Phrynen, und Laiden, Damen, an denen die Schönheit die geringste
ihrer Reizungen war, hatten seinen Witz gebildet, und jenes zarte Gefühl
des Schönen in ihm entwickelt, welches ihn die Munterkeit der Grazien mit
der Severität der Philosophie auf eben diese unnachahmliche Art verbinden
lehrte, die ihm den Neid aller philosophischen Mäntel und Bärte seiner
Zeit auf den Hals zog. Nichts übertraf die Annehmlichkeit seines Umgangs;
niemand wußte so gut wie er, die Weisheit unter der gefälligen Gestalt des
lächelnden Scherzes und der guten Laune in solche Gesellschaften
einzuführen, wo sie in ihrer eignen Gestalt nicht willkommen wäre. Er
besaß das Geheimnis, den Großen selbst die unangenehmste Wahrheiten mit
Hülfe eines Einfalls oder einer Wendung erträglich zu machen, und sich an
dem langweiligen Geschlechte der Narren und Gecken, wovon die Höfe der
(damaligen) Fürsten wimmelten, durch einen Spott zu rächen, den sie dumm
genug waren, mit dankbarem Lächeln für Beifall anzunehmen. Die
Lebhaftigkeit seines Geistes und die Kenntnis, die er von allen Arten des
Schönen besaß, machte daß er wenige seines Gleichen hatte, wo es auf die
Erfindung sinnreicher Ergötzlichkeiten, auf die Anordnung eines Festes,
die Auszierung eines Hauses, oder auf das Urteil über die Werke der
Dichter, Tonkünstler, Maler und Bildhauer ankam. Er liebte das Vergnügen,
weil er das Schöne liebte; und aus eben diesem Grunde liebte er auch die
Tugend: Aber er mußte das Vergnügen in seinem Wege finden, und die Tugend
mußte ihm keine allzubeschwerliche Pflichten auflegen; dem einen oder der
andern seine Gemächlichkeit aufzuopfern, so weit ging seine Liebe nicht.
Sein vornehmster Grundsatz, und derjenige, dem er allezeit getreu blieb,
war; daß es in unsrer Gewalt sei, in allen Umständen glücklich zu sein;
des Phalaris glühenden Ochsen ausgenommen; denn wie man in diesem sollte
glücklich sein können, davon konnte er sich keinen Begriff machen. Er
setzte voraus, daß Seele und Leib sich im Stande der Gesundheit befinden
müßten, und behauptete, daß es als dann nur darauf ankomme, daß wir uns
nach den Umständen richten; anstatt, wie der große Haufe der Sterblichen,
zu verlangen, daß sich die Umstände nach uns richten sollen, oder ihnen,
zu diesem Ende Gewalt antun zu wollen. Von dieser sonderbaren
Geschmeidigkeit kam es her, daß er das vielbedeutende Lob verdiente,
welches ihm Horaz gibt, daß ihm alle Farben, alle Umstände des günstigen
oder widrigen Glückes gleich gut anstunden; oder wie Plato von ihm sagte,
daß es ihm allein gegeben war, ein Kleid von Purpur, und einen Kittel von
Sackleinwand mit gleich guter Art zu tragen.

Es ist kein schwacher Beweis, wie wenig es dem Dionys an Fähigkeit das
Gute zu schätzen gefehlt habe, daß er Aristippen um aller dieser
Eigenschaften willen höher achtete, als alle andern Gelehrten, seines
Hofes; daß er ihn am liebsten um sich leiden mochte, und sich öfters von
ihm durch einen Scherz zu guten Handlungen bewegen ließ, wozu ihn seine
Pedanten mit aller ihrer Dialektik und schulgerechten Beredsamkeit nicht
zu vermögen fähig waren.

Diese charakteristische Züge vorausgesetzt, läßt sich, deucht uns, keine
wahrscheinlichere Ursache angeben, warum Aristipp, so bald er unsern
Helden zu Syracus erblickte, den Entschluß faßte, ihn bei dem Dionys in
Gunst zu setzen, als diese; daß er begierig war zu sehen, was aus einer
solchen Verbindung werden, und wie sich Agathon in einer so schlüpfrigen
Stellung verhalten würde. Denn auf einige besondere Vorteile für sich
selbst konnte er dabei kein Absehen haben, da es nur auf ihn ankam, ohne
einen Mittelsmann zu bedürfen, sich die Gnade eines Prinzen zu Nutzen zu
machen, der in einem Anstoß von prahlerhafter Freigebigkeit fähig war, die
Einkünfte von einer ganzen Stadt an einen Luftspringer oder Citharspieler
wegzuschenken.

Dem sei indessen wie ihm wolle, so hatte Aristipp nichts angelegners, als
des nächsten Morgens den Prinzen, dem er bei seinem Aufstehen aufzuwarten
pflegte, von dem neuangekommenen Agathon zu unterhalten, und eine so
vorteilhafte Abschilderung von ihm zu machen, daß Dionys begierig wurde,
diesen außerordentlichen Menschen von Person zu kennen. Aristipp erhielt
also den Auftrag, ihn unverzüglich nach Hofe zu bringen; und er vollzog
denselben, ohne unsern Helden merken zu lassen, wieviel Anteil er an
dieser Neugier des Prinzen gehabt hatte.

Agathon sah eine so bald erfolgende Einladung als ein gutes Omen an, und
machte keine Schwierigkeit sie anzunehmen. Er erschien also vor dem
Dionys, der ihn mitten unter seinen Hofleuten auf eine sehr leutselige Art
empfing. Er erfuhr bei dieser Gelegenheit abermals daß die Schönheit eine
stumme Empfehlung an alle Menschen, welche Augen haben, ist. Diese
Gestalt des Vatikanischen Apollo, die ihm schon so manchen guten--und
schlimmen--Dienst getan, die ihm die Verfolgungen der Pythia und die
Zuneigung der Athenienser zugezogen, ihn in den Augen der thrazischen
Bacchantinnen zum Gott, und in den Augen der schönen Danae zum
liebenswürdigsten der Sterblichen gemacht hatte--Diese Gestalt, diese
einnehmende Gesichts-Bildung, diese mit Würde und Anstand
zusammenfließende Grazie, welche allen seinen Bewegungen und Handlungen
eigen war--taten ihre Würkung, und zogen ihm beim ersten Anblick die
allgemeine Bewunderung zu. Dionys, welcher als König zu wohl mit sich
selbst zufrieden war, um über einen Privat-Mann wegen irgend einer
Vollkommenheit eifersüchtig zu sein, überließ sich dem angenehmen Eindruck,
den dieser schöne Fremdling auf ihn machte. Die Philosophen hofften, daß
das Inwendige einer so viel versprechenden Außenseite nicht gemäß sein
werde, und diese Hoffnung setzte sie in den Stand, mit einem Nasenrümpfen,
welches den geringen Wert, den sie einem solchen Vorzug beilegten,
andeutete, einander zu zuraunen, daß er--schön sei. Aber die Höflinge
hatten Mühe ihren Verdruß darüber zu verbergen, daß sie keinen Fehler
finden konnten, der ihnen den Anblick so vieler Vorzüge erträglich gemacht
hätte. Wenigstens waren dieses die Beobachtungen, welche der kaltsinnige
Aristipp bei dieser Gelegenheit zu machen glaubte.

Agathon verband in seinen Reden und in seinem ganzen Betragen so viel
Bescheidenheit und Klugheit mit dieser edeln Freiheit und
Zuversichtlichkeit eines Weltmannes, worin er sich zu Smyrna vollkommen
gemacht hatte; daß Dionys in wenigen Stunden ganz von ihm eingenommen war.
Man weiß, wie wenig es oft bedarf, den Großen der Welt zu gefallen, wenn
uns nur der erste Augenblick günstig ist. Agathon mußte also dem Dionys,
welcher würklich Geschmack hatte, notwendig mehr gefallen, als irgend ein
anderer, den er jemals gesehen hatte; und das, in immerzunehmendem
Verhältnis, so wie sich, von einem Augenblick zum andern, die Vorzüge und
Talente unsers Helden entwickelten. In der Tat besaß er deren so viele,
daß der Neid der Höflinge, der in gleicher Proportion von Stunde zu Stunde
stieg, gewisser maßen zu entschuldigen war; die guten Leute würden sich
viel auf sich selbst eingebildet haben, wenn sie nur diejenigen
Eigenschaften, in einem solchen Grad, einzeln besessen hätten, welche in
ihm vereinigt, dennoch den geringsten Teil seines Wertes ausmachten. Er
hatte die Klugheit, anfänglich seine gründlichere Eigenschaften zu
verbergen, und sich bloß von derjenigen Seite zu zeigen, wodurch sich die
Hochachtung der Weltleute am sichersten überraschen läßt. Er sprach von
allem mit dieser Leichtigkeit des Witzes, welche nur über die Gegenstände
dahinglitscht, und wodurch sich oft die schalesten Köpfe in der Welt (auf
einige Zeit wenigstens) das Ansehen, Verstand und Einsichten zu haben, zu
geben wissen. Er scherzte; er erzählte mit Anmut; er machte andern
Gelegenheit sich hören zu lassen; und bewunderte die guten Einfälle,
welche dem schwatzhaften Dionys unter einer Menge von mittelmäßigen und
frostigen zuweilen entfielen, mit einer Art, welche, ohne seiner
Aufrichtigkeit oder seinem Geschmack zuviel Gewalt anzutun, diesen Prinzen
überzeugte, daß Agathon unendlich viel Verstand habe.

Die großen Herren haben gemeiniglich eine Lieblings-Schwachheit, wodurch
es sehr leicht wird, den Eingang in ihr Herz zu finden. Der große Tanzai
von Scheschian, ein Kenner übrigens von Verdiensten, kannte doch kein
größeres als die Leier gut zu spielen. Dionys hegte ein so günstiges
Vorurteil für die Cithar, daß der beste Cithar-Spieler in seinen Augen der
größeste Mann auf dem Erdboden war. Er spielte sie zwar selbst nicht;
aber er gab sich für einen Kenner, und rühmte sich die größesten Virtuosen
auf diesem wundertätigen Instrument an seinem Hofe zu haben. Zu gutem
Glücke hatte Agathon zu Delphi die Cithar schlagen gelernt, und bei der
schönen Danae, welche eine Meisterin auf allen Saiten-Instrumenten der
damaligen Zeit war, einige Lektionen genommen, die ihn vollkommen gemacht
hatten. Kurz, Agathon nahm das dritte oder vierte mal, da er mit dem
Dionys zu Nacht aß, eine Cithar, begleitete darauf einen Dithyramben des
Damon, (der von einer feinen Stimme gesungen, und von der schönen
Bacchidion getanzt wurde) und setzte seine Hoheit dadurch in eine so
übermäßige Entzückung, daß der ganze Hof von diesem Augenblick an für
ausgemacht hielt, ihn in kurzem zur Würde eines erklärten Günstlings
erhoben zu sehen. Dionys überhäufte ihn in der ersten Aufwallung seiner
Bewunderung mit Liebkosungen, welche unserm Helden beinahe allen Mut
benahmen. "Himmel!" dachte er, "was werde ich mit einem König anfangen,
der bereit ist, den ersten Neuangekommenen an die Spitze seines Staats zu
setzen, weil er ein guter Citharschläger ist?" Dieser erste Gedanke war
sehr gründlich, und würde ihm vieles Ungemach erspart haben, wenn er
seiner Eingebung gefolget hätte. Aber eine andere Stimme (war es seine
Eitelkeit, oder der Gedanke ein großes Vorhaben nicht um einer so
geringfügigen Ursache willen aufzugeben?--oder war es die Schwachheit, die
uns geneigt macht, alle Torheiten der Großen, welche Achtung für uns
zeigen, mit nachsichtvollen Augen einzusehen?) flüsterte ihm ein: Daß der
Geschmack für die Musik, und die besondere Anmutung für ein gewisses
Instrument, eine Sache sei, welche von unsrer Organisation abhange; und
daß es ihm nur desto leichter sein werde, sich des Herzens dieses Prinzen
zu versichern, je mehr er von den Geschicklichkeiten besitze, wodurch man
seinen Beifall erhalten könne.


Die Gunst, in welche er sich in so kurzer Zeit und durch so zweideutige
Verdienste bei dem Tyrannen gesetzt, stieg bald darauf, bei Gelegenheit
einer akademischen Versammlung, welche Dionys mit großen Feierlichkeiten
veranstaltete, zu einem solchen Grade, daß Philistus, der bisher noch
zwischen Furcht und Hoffnung geschwebet hatte, seinen Fall nunmehr für
gewiß hielt.

Dionys hatte vom Aristipp in der Stille vernommen, daß Agathon ehmals ein
Schüler Platons gewesen, und während seines Glücksstandes zu Athen für
einen der größesten Redner in dieser schwatzhaften Republik gehalten
worden sei. Erfreut, eine Vollkommenheit mehr an seinem neuen Liebling zu
entdecken, säumte er sich keinen Augenblick, eine Gelegenheit zu
veranstalten, wo er aus eigner Einsicht von der Wahrheit dieses Vorgebens
urteilen könnte; denn es kam ihm ganz übernatürlich vor, daß man zu
gleicher Zeit ein Philosoph, und so schön, und ein so großer
Citharschläger sollte sein können. Die Akademie erhielt also Befehl sich
zu versammeln, und ganz Syracus wurde dazu, als zu einem Fest eingeladen,
welches sich mit einem großen Schmaus enden sollte. Agathon dachte an
nichts weniger, als daß er bei diesem Wettstreit eines Haufens von
Sophisten (die er nicht ohne Grund für sehr überflüssige Leute an dem Hofe
eines guten Fürsten ansah) eine Rolle zu spielen bekommen würde; und
Aristipp hatte, aus dem obenberührten Beweggrunde, der der Schlüssel zu
seinem ganzen Betragen gegen unsern Helden ist, ihm von Dionysens Absicht
nichts entdeckt. Dieser eröffnete als Präsident der Akademie (denn seine
Eitelkeit begnügte sich nicht an der Ehre, ihr Beschützer zu sein) die
Versammlung durch einen übel zusammengestoppten, und nicht
allzuverständlichen, aber mit Platonismen reich verbrämten Diskurs,
welcher, wie leicht zu erachten, mit allgemeinem Zujauchzen begleitet
wurde; ungeachtet er dem Agathon mehr das ungezweifelte Vertrauen des
königlichen Redners in den Beifall, der ihm von Standes wegen zukam, als
die Größe seiner Gaben und Einsichten zu beweisen schien. Nach Endigung
dieser Rede, nahm die philosophische Hetze ihren Anfang; und wofern die
Zuhörer durch die subtilen Geister, die sich nunmehr hören ließen, nicht
sehr unterrichtet wurden, so fanden sie sich doch durch die Wohlredenheit
des einen, die klingende Stimme und den guten Akzent eines andern, die
paradoxen Einfälle eines dritten, und die seltsamen Gesichter, die ein
vierter zu seinen Distinktionen und Demonstrationen machte, erträglich
belustiget. Nachdem dieses Spiel einige Zeit gedauert hatte, und ein
unhöfliches Gähnen bereits zwei Dritteile der Zuhörer zu ergreifen begann,
sagte Dionys: Da er das Glück habe, seit einigen Tagen einen der
würdigsten Schüler des großen Platons in seinem Hause zu besitzen; so
ersuchte er ihn, zufrieden zu sein, daß der Ruhm, der ihm allenthalben
vorangegangen sei, den Schleier, womit seine Bescheidenheit seine
Verdienste zu verhüllen suche, hinweggezogen, und ihm in dem schönen
Agathon einen der beredtesten Weisen der Zeit entdeckt habe: Er möchte
sich also nicht weigern, auch in Syracus sich von einer so vorteilhaften
Seite zu zeigen, und sich mit den Philosophen seiner Akademie in einen
Wettstreit über irgend eine interessante Frage aus der Philosophie
einzulassen. Zu gutem Glücke sprach Dionys, der sich selbst gerne hörte,
und die Gabe der Weitläufigkeit in hohem Maße besaß, lange genug, um
unserm Manne Zeit zu geben, sich von der kleinen Bestürzung zu erholen,
worein ihn diese unerwartete Zumutung setzte. Er antwortete also ohne
Zaudern: Er sei zu früh aus den Hörsälen der Weisen auf den Markt-Platz zu
Athen gerufen, und in die Angelegenheiten eines Volkes, welches bekannter
maßen seinen Hofmeistern nicht wenig zu schaffen mache, verwickelt worden,
als daß er Zeit genug gehabt haben sollte, sich seine Lehrmeister zu
Nutzen zu machen; indessen sei er, wenn es Dionys verlange, aus Achtung
gegen ihn bereit, eine Probe abzulegen, wie wenig er das Lob verdiene,
welches ihm aus einem allzugünstigen Vorurteil beigelegt worden sei.

Dionys rief also den Philistus auf, (man weiß nicht, ob von ungefähr oder
vermög einer vorhergenommenen Abrede, wiewohl das letztere nicht
wahrscheinlich zu sein scheint,) eine Frage vorzuschlagen, für und wider
welche von beiden Seiten gesprochen werden sollte. Dieser Minister
bedachte sich eine kleine Weile, und in Hoffnung den Agathon, der ihm
furchtbar zu werden anfing, in Verlegenheit zu setzen, schlug er die Frage
vor--welche Regierungs-Form einen Staat glücklicher mache, die
Republikanische oder die Monarchische?--Man wird, dachte er, dem Agathon
die Wahl lassen, für welche er sich erklären will; spricht er für die
Republik, und spricht er gut, wie er um seines Ruhms willen genötiget ist,
so wird er dem Prinzen mißfallen; wirft er sich zum Lobredner der
Monarchie auf, so wird er sich dem Volke verhaßt machen, und Dionys wird
den Mut nicht haben, die Staats-Verwaltung einem Ausländer anzuvertrauen,
der bei seinem ersten Auftritt auf dem Schauplatz, einen so schlimmen
Eindruck auf die Gemüter der Syracusaner gemacht hat. Allein dieses mal
betrog den schlauen Mann seine Erwartung. Agathon erklärte sich,
ungeachtet er die Absicht des Philistus merkte, mit einer
Unerschrockenheit, welche diesem keinen Triumph prophezeite, für die
Monarchie; und nachdem seine Gegner, (unter denen Antisthenes und der
Sophist Protagoras alle ihre Kräfte anstrengeten, die Vorzüge der
Freistaaten zu erheben) zu reden aufgehört hatten, fing er damit an, daß
er ihren Gründen noch mehr Stärke gab, als sie selbst zu tun fähig gewesen
waren. Die Aufmerksamkeit war außerordentlich; jedermann war mehr
begierig, zu hören, wie Agathon sich selbst, als wie er seine Gegner würde
überwinden können. Seine Beredsamkeit zeigte sich in einem Lichte,
welches die Seelen der Zuhörer blendete, die Wichtigkeit des Augenblicks,
der den Ausgang seines ganzen Vorhabens entschied, die Würde des
Gegenstandes, die Begierde zu siegen, und vermutlich auch die herzliche
Abneigung gegen die Demokratie, welche ihm aus Athen in seine Verbannung
gefolget war; alles setzte ihn in eine Begeisterung, welche die Kräfte
seiner Seele höher spannte; seine Ideen waren so groß, seine Gemälde so
stark gezeichnet, mit so vielem Feuer gemalt, seine Gründe jeder für sich
selbst so schimmernd, und liehen einander durch ihre Zusammenordnung so
viel Licht; der Strom seiner Rede, der anfänglich in ruhiger Majestät
dahinfloß, wurde nach und nach so stark und hinreißend; daß selbst
diejenigen, bei denen es zum voraus beschlossen war, daß er Unrecht haben
sollte, sich wie durch eine magische Gewalt genötiget sahen, ihm innerlich
Beifall zu geben. Man glaubte den Mercur oder Apollo reden zu hören, die
Kenner (denn es waren einige zugegen, welche davor gelten konnten)
bewunderten am meisten, daß er die Kunstgriffe verschmähte, wodurch die
Sophisten gewohnt waren, einer schlimmen Sache die Gestalt einer guten zu
geben--Keine Farben, welche durch ihren Glanz das Betrügliche falscher
oder umsonst angenommener Sätze verbergen mußten; keine künstliche
Austeilung des Lichts und des Schattens. Sein Ausdruck glich dem
Sonnenschein, dessen lebender und fast geistiger Glanz sich den
Gegenständen mitteilt, ohne ihnen etwas von ihrer eigenen Gestalt und
Farbe zu benehmen.

Indessen müssen wir gestehen, daß er ein wenig grausam mit den Republiken
umging. Er bewies, oder schien doch allen die ihn hörten zu beweisen, daß
diese Art von Gesellschaft ihren Ursprung in dem wilden Chaos der Anarchie
genommen, und daß die Weisheit ihrer Gesetzgeber sich mit schwachem Erfolg
bemühet hätte, Ordnung und Konsistenz in eine Verfassung zu bringen,
welche ihrer Natur nach, in steter Unruh und innerlicher Gärung alle
Augenblicke Gefahr laufe, sich durch ihre eigene Kräfte aufzureiben, und
welche des Ruhestandes so wenig fähig sei, daß eine solche Ruhe in
derselben vielmehr die Folge der äußersten Verderbnis, und gleich einer


 


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