Geschichte des Agathon, Teil 2
by
Christoph Martin Wieland

Part 3 out of 4



Windstille auf dem Meer, der gewisse Vorbote des Sturms und Untergangs
sein würde. Er zeigte, daß die Tugend, dieses geheiligte Palladium der
Freistaaten, an dessen Erhaltung ihre Gesetzgeber das ganze Glück
derselben gebunden hätten, eine Art von unsichtbaren und durch verjährten
Aberglauben geheiligten Götzen sei, an denen nichts als der Name verehrt
werde; daß man in diesen Staaten einen stillschweigenden Vertrag mit
einander gemacht zu haben scheinen sich durch den Namen und ein gewisses
Phantom von Gerechtigkeit, Mäßigung, Uneigennützigkeit, Liebe des
Vaterlandes und des gemeinen Besten von einander betrügen zu lassen; und
daß unter der Maske dieser politischen Heuchelei, unter dem ehrwürdigen
Namen aller dieser Tugenden, das Gegenteil derselben nirgends
unverschämter ausgeübt werde. Es würden, meinte er, eine Menge besonderer
Umstände, welche sich in etlichen tausend Jahren kaum einmal in irgend
einem Winkel des Erdbodens zusammenfinden könnten, dazu erfordert, um eine
Republik in dieser Mittelmäßigkeit zu erhalten, ohne welche sie von keinem
Bestand sein könne: Und daher daß dieser Fall so selten sei, und von so
vielen zufälligen Ursachen abhange, komme es, daß die meisten Republiken
entweder zu schwach wären, ihren Bürgern die mindeste Sicherheit zu
gewähren; oder daß sie nach einer Größe strebten, welche nach einer Folge
von Mißhelligkeiten, Kabalen, Verschwörungen und Bürgerkriegen endlich den
Untergang des Staats nach sich ziehe, und demjenigen, welcher Meister vom
Kampf-Platze bliebe, nichts als Einöden zu bevölkern und Ruinen wieder
aufzubauen überlasse. So gar die Freiheit, auf welche diese Staaten mit
Ausschluß aller andern Anspruch machten, finde kaum in den despotischen
Reichen Asiens weniger Platz; weil entweder das Volk sich demütiglich
gefallen lassen müsse, was die Edeln und Reichen, ihrem besondern
Interesse gemäß, schlössen und handelten; oder wenn das Volk selbst den
Gesetzgeber und Richter mache, kein ehrlicher Mann sicher sei, daß er
nicht morgen das Opfer derjenigen sein werde, denen seine Verdienste im
Wege stehen, oder die durch sein Ansehen und Vermögen reicher und größer
zu werden hoffeten. In keinem andern Staat sei es weniger erlaubt von
seinen Fähigkeiten Gebrauch zu machen, selbst zu denken, und über wichtige
Gegenstände dasjenige was man für gemeinnützlich halte, ohne Gefahr,
bekannt werden zu lassen; alle Vorschläge zu Verbesserungen würden unter
dem verhaßten Namen der Neuerungen verworfen, und zögen ihren Urhebern
geheime oder öffentliche Verfolgungen zu. Selbst die Grundpfeiler der
menschlichen Glückseligkeit, und dasjenige, was den gesitteten Menschen
eigentlich von dem Wilden und Barbaren unterscheide, Wahrheit, Tugend,
Wissenschaften, und die liebenswürdigen Künste der Musen, seien in diesen
Staaten verdächtig oder gar verhaßt; würden durch tausend im Finstern
schleichende Mittel entkräftet, an ihrem Fortgang verhindert, oder doch
gewiß weder aufgemuntert noch belohnt; und allein zu Unterstützung der
herrschenden Vorurteile und Mißbräuche verurteilt--Doch genug!--wir haben
zu viel Ursache günstiger von freien Staaten zu denken--wenn es auch nur
darum wäre, weil wir die Ehre haben unter einer Nation zu leben, deren
Verfassung selbst republikanisch ist, und in der Tat die wunderbarste Art
von Republik vorstellt, welche jemals auf dem Erdboden gesehen worden
ist--als daß wir diesen Auszug einer für den Ruhm der Freistaaten so
nachteiligen Rede ohne Widerwillen sollten fortsetzen können. Es geschah
aus diesem nämlichen Grunde, daß wir, anstatt den Diskurs des Agathon
seinem ganzen Umfange nach aus unsrer Urkunde abzuschreiben, uns begnügt
haben, einige Züge davon, als eine wiewohl sehr unvollkommene Probe des
Ganzen anzuführen. Ferne soll es allezeit von uns sein, irgend einem
Erdenbewohner die Stellung worin er sich befindet, unangenehmer zu machen,
als sie ihm bereits sein mag; oder Anlaß zu geben, daß die Gebrechen
einiger längst zerstörten Griechischen Republiken, aus denen Agathon seine
Gemälde hernahm, zur Verunglimpfung derjenigen mißbraucht werden könnten,
welche in neuern Zeiten als ehrwürdige Freistädte und Zufluchts-Plätze der
Tugend, der gesunden Denkungs-Art, der öffentlichen Glückseligkeit und
einer politischen Gleichheit, welche sich der natürlichen möglichst nähert,
angesehen werden können. Unsrer übrigens ganz unmaßgeblichen Meinung
nach, gehört die Frage, über welche hier disputiert wurde, unter die
wichtigen Fragen--ob Scaramuz, ob Scapin besser tanze--und so viele andre
von diesem Schlage, (wenn sie gleich ein ernsthafteres Ansehen haben)
worüber bis auf unsre Tage so viel Zeit und Mühe--von Gänsespulen, Papier
und Dinte nichts zu sagen--verloren worden, ohne daß sich absehen ließe,
wie, worin oder um wieviel die Welt jemals durch ihre Auflösung sollte
gebessert werden können. Wir könnten diese unsre Meinung rechtfertigen;
aber es ist unnötig; ein jeder hat die Freiheit anders zu meinen wenn er
will, ohne daß wir ihn zur Rechenschaft ziehen werden; hanc veniam petimus,
damusque vicissim; denn in der Tat, ein Buch würde niemalen zu Ende
kommen, wenn der Autor schuldig wäre, alles zu beweisen, und sich über
alles zu rechtfertigen. Wir übergehen also auch, aus einem andern Grunde,
den wir den Liebhabern der Rätsel und Logogryphen zu erraten geben, die
Lobrede, welche Agathon der monarchischen Staats-Verfassung hielt. Die
Beherrscher der Welt scheinen (mit Recht, würde Philistus sagen, denn ich
machte es an ihrem Platz auch so) ordentlicher Weise sehr gleichgültig
über die Meinung zu sein, welche man von ihrer Regierungs-Art hat--Es gibt
Fälle, wir gestehen es, wo dieses eine Ausnahme leidet--aber diese Fälle
begegnen selten, wenn man die Vorsichtigkeit gebraucht, hundert und
fünfzigtausend wohlbewaffnete Leute bereit zu halten, mit deren Beistand
man sehr wahrscheinlich hoffen kann, sich über die Meinung aller
friedsamen Leute in der ganzen Welt hinwegsetzen zu können. Sind nicht
eben diese hundert und fünfzigtausend--oder wenn ihrer auch mehr sind;
desto besser!--ein lebendiger, augenscheinlicher, ja der beste Beweis, der
alle andre unnötig macht, daß eine Nation glücklich gemacht wird?--Genug
also (und dieser Umstand allein gehört wesentlich zu unsrer Geschichte)
daß diese Rede, worin Agathon alle Gebrechen verdorbener Freistaaten und
alle Vorzüge wohlregierter Monarchien, in zwei kontrastierende Gemälde
zusammendrängte, das Glück hatte, alle Stimmen davon zu tragen, alle
Zuhörer zu überreden, und dem Redner eine Bewunderung zu zuziehen, welche
den Stolz des eitelsten Sophisten hätte sättigen können. Jedermann war
von einem Manne bezaubert, welcher so seltne Gaben mit einer so großen
Denkungs-Art und mit so menschenfreundlichen Gesinnungen vereinigte. Denn
Agathon hatte nicht die Tyrannie, sondern die Regierung eines Vaters
angepriesen, der seine Kinder wohl erzieht und glücklich zu machen sucht.
Man sagte sich selbst, was für goldene Tage Sicilien sehen würde, wenn ein
solcher Mann das Ruder führte. Er hatte nicht vergessen, im Eingang
seines Diskurses dem Verdacht vorzukommen, als ob er die Republiken aus
Rachsucht schelte, und die Monarchie aus Schmeichelei und geheimen
Absichten erhebe: Er hatte bei dieser Gelegenheit zu erkennen gegeben, daß
er entschlossen sei, nach Tarent überzugehen, um in der ruhigen Dunkelheit
des Privatstandes, welchen er seiner Neigung nach allen andern vorziehe,
dem Nachforschen der Wahrheit und der Verbesserung seines Gemüts
obzuliegen--(Redensarten, die in unsern Tagen seltsam und lächerlich
klingen würden, aber damals ihre Bedeutung und Würde noch nicht gänzlich
verloren hatten.) Jedermann tadelte oder bedaurte diese Entschließung, und
wünschte, daß Dionys alles anwenden möchte, ihn davon zurückzubringen.
Niemalen hatte sich die Neigung des Prinzen mit den Wünschen seines Volkes
so gleichstimmig befunden wie dieses mal. Die starke Zuneigung, die er
für die Person unsers Helden, und die hohe Meinung, die er von seinen
Fähigkeiten gefasset hatte, war durch diesen Diskurs auf den höchsten Grad
gestiegen. So wenig beständiges auch in Dionysens Charakter war, so hatte
er doch seine Augenblicke, wo er wünschte, daß es weniger Verleugnung
kosten möchte, ein guter Fürst zu sein. Die Beredsamkeit Agathons hatte
ihn wie die übrige Zuhörer mit sich fortgerissen; er fühlte die Schönheit
seiner Gemälde, und vergaß darüber, daß eben diese Gemälde eine Art von
Satyre über ihn selbst enthielten. Er setzte sich vor, dasjenige zu
erfüllen, was Agathon auf eine stillschweigende Art von seiner Regierung
versprochen hatte; und um sich die Pflichten, die ihm dieser Vorsatz
auferlegte, zu erleichtern, wollte er sie durch eben denjenigen ausüben
lassen, der so gut davon reden konnte. Wo konnte er ein tauglicheres
Instrument finden, den Syracusanern seine Regierung beliebt zu machen? Wo
konnte er einen andern Mann finden, der so viele angenehme Eigenschaften
mit so vielen nützlichen vereinigte?--Dionys hatte sich, wie wir schon
bemerkt haben, angewöhnt, zwischen seine Entschließungen und ihre
Ausführung so wenig Zeit zu setzen als möglich war. Alles was er einmal
wollte, das wollte er hastig und ungeduldig; denn, in so fern er sich
selbst überlassen blieb, sah er eine Sache nur von einer Seite an; und
dieses mal entdeckte er sich niemand als dem Aristipp, der nichts vergaß,
was ihn in seinem Vorhaben bestärken konnte. Dieser Philosoph erhielt
also den Auftrag, dem Agathon Vorschläge zu tun. Agathon entschuldigte
sich mit seiner Abneigung vor dem geschäftigen Leben, und bestimmte den
Tag seiner Abreise. Dionys wurde dringender. Agathon bestand auf seiner
Weigerung, aber mit einer so bescheidenen Art, daß man hoffen konnte, er
werde sich bewegen lassen. In der Tat war seine Absicht nur, die
Zuneigung eines so wenig zuverlässigen Prinzen zuvor auf die Probe zu
stellen, eh er sich in Verbindungen einlassen wollte, welche für das Glück
anderer und für seine eigene Ruhe so gute oder so schlimme Folgen haben
konnten.


Endlich, da er Ursache hatte zu glauben, daß die Hochachtung die er ihm
eingeflößt hatte, etwas mehr als ein launischer Geschmack sei, gab er
seinem Anhalten nach; aber nicht anders als unter gewissen Bedingungen,
welche ihm Dionys zugestehen mußte. Er erklärte sich, daß er allein in
der Qualität seines Freundes an seinem Hofe bleiben wollte, so lange als
ihn Dionys dafür erkennen, und seiner Dienste nötig zu haben glauben würde;
er wollte sich aber auch nicht fesseln lassen, und die Freiheit behalten
sich zurückzuziehen, so bald er sähe, daß sein Dasein zu nichts nütze sei.
Die einzige Belohnung, welche er sich befügt halte für seine Dienste zu
verlangen, sei diese, daß Dionys seinen Räten folgen möchte, so lange er
werde zeigen können, daß dadurch jedesmal das Beste der Nation, und die
Sicherheit, der Ruhm und die Privat-Glückseligkeit des Prinzen zugleich
befördert werde. Endlich bat er sich noch aus, daß Dionys niemals einige
heimliche Eingebungen oder Anklagen gegen ihn annehmen möchte, ohne ihm
solche offenherzig zu entdecken, und seine Verantwortung anzuhören.

Dionys bedachte sich um so weniger, alle diese Bedingungen zu
unterschreiben, da er entschlossen war ihn zu haben, wenn es auch die
Hälfte seines Reichs kosten sollte. Agathon bezog also die Wohnung,
welche man im Palast aufs prächtigste für ihn ausgerüstet hatte; Dionys
erklärte öffentlich, daß man sich in allen Sachen an seinen Freund Agathon,
wie an ihn selbst, wenden könne; die Höflinge stritten in die Wette, wer
dem neuen Günstling seine Unterwürfigkeit auf die sklavenmäßigste Art
beweisen könne; und Syracus sah mit froher Erwartung der Wiederkunft der
Saturnischen Zeiten entgegen.

Wir machen hier eine kleine Pause, um dem Leser Zeit zu lassen, dasjenige
zu überlegen, was er sich selbst in diesem Augenblick für oder wider
unsern Helden zu sagen haben mag. Vermutlich mag einigen der Eifer
mißfällig gewesen sein, womit er, aus Haß gegen sein undankbares Vaterland,
wider die Republiken überhaupt gesprochen; indessen daß vielleicht andere
sein ganzes Betragen, seit dem wir ihn an dem Hofe des Königs Dionys sehen,
einer gekünstelten Klugheit, welche nicht in seinem Charakter sei, und
ihm eine schielende Farbe gebe, beschuldigen werden. Wir haben uns schon
mehrmalen erklärt, daß wir in diesem Werke die Pflichten eines
Geschichtschreibers und nicht eines Apologisten übernommen haben; indessen
bleibt uns doch erlaubt, von den Handlungen eines Mannes, dessen Leben wir
zwar nicht für ein Muster, aber doch für ein lehrreiches Beispiel geben,
eben so frei nach unserm Gesichtspunkt zu urteilen, als es unsre Leser aus
dem ihrigen tun mögen. Was also den ersten Punkt betrifft, so haben wir
bereits erinnert, daß es unbillig sein würde, dasjenige was Agathon wider
die Republiken seiner Zeit gesprochen, für eine, von ihm gewiß nicht
abgezielte, Beleidigung solcher Freistaaten anzusehen, welche (wie er als
möglich erkannt hat) unter dem Einfluß günstiger Umstände, durch ihre Lage
selbst vor auswärtigem Neid, und vor ausschweifenden
Vergrößerungs-Gedanken gesichert, durch weise Gesetze, und was noch mehr
ist, durch die Macht der Gewohnheit, in einer glückseligen Mittelmäßigkeit
fortdauern, und die Gebrechen kaum dem Namen nach kennen, welche Agathon
an den Republiken seiner Zeit für unheilbar angesehen. Ob er aber diesen
letztern zuviel getan habe, mögen diejenigen entscheiden, welche mit den
besondern Umständen ihrer Geschichte bekannt sind. Hat die Empfindung des
Unrechts, welches ihm selbst zu Athen zugefügt worden, etwas Galle in
seine Kritik gemischt; so ersuchen wir unsre Leser (nicht dem Agathon zu
lieb; denn was kann diesem durch ihre Meinung von ihm zu--oder abgehen?)
sich an seinen Platz zu stellen, und sich alsdann zu fragen, wie wert
ihnen ein Vaterland sein würde, welches ihnen so mitgespielt hätte? Sie
mögen sich erinnern, daß es insgemein nur auf eine kleine Beleidigung
ihrer Eigenliebe ankommt, um ihre Hochachtung gegen eine Person in
Verachtung, ihre Liebe in Abscheu, ihre Lobsprüche in Schmähreden, ihre
guten Dienste in Verfolgungen zu verwandeln. "Wie oft, meine Herren, hat
sich schon um einer nichts bedeutenden Ursache willen, ihre ganze
Denkungs-Art von Personen und Sachen geändert?--Antworten Sie Sich selbst
so leise als Sie wollen; denn wir verlangen nichts davon zu hören; und
wenn Sie, nach diesem kleinen Blick in sich selbst, unserm Helden nicht
vergeben können, daß er ein Vaterland nicht liebte, welches alles mögliche
getan hatte, sich ihm verhaßt zu machen: So müssen wir zwar die Strenge
ihrer Sittenlehre bewundern; aber--doch gestehen, daß wir Sie noch mehr
bewundern würden, wenn Sie so lange, bis Sie gelernt hätten etwas weniger
Parteilichkeit für sich selbst zu hegen, etwas mehr Nachsicht gegen andre
sich empfohlen sein lassen wollten."

überhaupt hat man Ursache zu glauben, daß Agathon gesprochen habe wie er
dachte, und das ist zu Rechtfertigung seiner Redlichkeit genug. Und warum
sollten wir an dieser zu zweifeln anfangen? Sein ganzes Betragen, während
daß er das Herz des Tyrannen in seinen Händen hatte, bewies, daß er keine
Absichten hegete, welche ihn genötiget hätten, ihm gegen seine überzeugung
zu schmeicheln. Es ist wahr, er hatte Absichten, bei allem was er von dem
Augenblick, da er den Fuß in Dionysens Palast setzte, tat; sollte er
vielleicht keine gehabt haben? Was können wir, nach der äußersten Schärfe,
mehr fodern, als daß seine Absichten edel und tugendhaft sein sollen; und
so waren sie, wie wir bereits gesehen haben. Es scheint also nicht, daß
man Grund habe, ihm aus der Vorsichtigkeit einen Vorwurf zu machen, womit
er, in der neuen und schlüpfrigen Situation, worin er war, alle seine
Handlungen einrichten mußte, wenn sie Mittel zu seinen Absichten werden
sollten. Wir geben zu, daß eine Art von Zurückhaltung und Feinheit daraus
hervorblickt, welche nicht ganz in seinem vorigen Charakter zu sein
scheint. Aber das verdient an sich selbst keinen Tadel. Es ist noch
nicht ausgemacht, ob diese Unveränderlichkeit der Denkungs-Art und
Verhaltungs-Regeln, worauf manche ehrliche Leute sich so viel zu gute tun,
eine so große Tugend ist, als sie sich vielleicht einbilden. Die
Eigenliebe schmeichelt uns zwar sehr gerne, daß wir so wie wir sind, am
besten sind; aber sie hat Unrecht uns so zu schmeicheln. Es ist unmöglich,
daß indem alles um uns her sich verändert, wir allein unveränderlich sein
sollten; und wenn es auch nicht unmöglich wäre, so wär' es unschicklich.
Andre Zeiten erfordern andre Sitten; andre Umstände, andre Bestimmungen
und Wendungen unsers Verhaltens. In moralischen Romanen finden wir
freilich Helden, welche sich immer in allem gleich bleiben--und darum zu
loben sind--denn wie sollte es anders sein, da sie in ihrem zwanzigsten
Jahre Weisheit und Tugend bereits in eben dem Grade der Vollkommenheit
besitzen, den die Socraten und Epaminondas nach vielfachen Verbesserungen
ihrer selbst kaum im sechzigsten erreicht haben? Aber im Leben finden wir
es anders. Desto schlimmer für die, welche sich da immer selbst gleich
bleiben--Wir reden nicht von Toren und Lasterhaften--die Besten haben an
ihren Ideen, Urteilen, Empfindungen, selbst an dem worin sie vortrefflich
sind, an ihrem Herzen, an ihrer Tugend, unendlich viel zu verändern. Und
die Erfahrung lehrt, daß wir selten zu einer neuen Entwicklung unsrer
Selbst, oder zu einer merklichen Verbesserung unsers vorigen innerlichen
Zustandes gelangen, ohne durch eine Art von Medium zu gehen, welches eine
falsche Farbe auf uns reflektiert, und unsre wahre Gestalt eine Zeitlang
verdunkelt. Wir haben unsern Helden bereits in verschiedenen Situationen
gesehen; und in jeder, durch den Einfluß der Umstände, ein wenig anders
als er würklich ist. Er schien zu Delphi ein bloßer spekulativer
Enthusiast; und man hat in der Folge gesehen, daß er sehr gut zu handeln
wußte. Wir glaubten, nachdem er die schöne Cyane gedemütiget hatte, daß
ihm die Verführungen der Wollust nichts anhaben könnten, und Danae bewies,
daß wir uns betrogen hatten; es wird nicht mehr lange anstehen, so wird
eine neue vermeinte Danae, welche seine schwache Seite ausfindig gemacht
zu haben glauben mag, sich eben so betrogen finden. Er schien nach und
nach ein andächtiger Schwärmer, ein Platonist, ein Republikaner, ein Held,
ein Stoiker, ein Wollüstling; und war keines von allen, ob er gleich in
verschiedenen Zeiten durch alle diese Klassen ging, und in jeder eine
Nüance von derselben bekam. So wird es vielleicht noch eine Zeitlang
gehen--Aber von seinem Charakter, von dem was er würklich war, worin er
sich unter allen diesen Gestalten gleich blieb, und was zuletzt, nachdem
alles Fremde und Heterogene durch die ganze Folge seiner Umstände davon
abgeschieden sein wird, übrig bleiben mag--davon kann dermalen die Rede
noch nicht sein. Ohne also eben so voreilig über ihn zu urteilen, wie man
gewohnt ist, es im täglichen Leben alle Augenblicke zu tun--wollen wir
fortfahren, ihn zu beobachten, die wahren Triebräder seiner Handlungen so
genau als uns möglich sein wird auszuspähen, keine geheime Bewegung seines
Herzens, welche uns einigen Aufschluß hierüber geben kann, entwischen
lassen, und unser Urteil über das Ganze seines moralischen Wesens so lange
zurückhalten, bis--wir es kennen werden.




ZEHENTES BUCH




ERSTES KAPITEL

Von Haupt--und Staats-Aktionen. Betragen Agathons am Hofe des Königs
Dionys


Man tadelt an Shakespear--demjenigen unter allen Dichtern seit Homer, der
die Menschen, vom Könige bis zum Bettler, und von Julius Cäsar bis zu Jack
Fallstaff am besten gekannt, und mit einer Art von unbegreiflicher
Intuition durch und durch gesehen hat--daß seine Stücke keinen, oder doch
nur einen sehr fehlerhaften unregelmäßigen und schlecht ausgesonnenen Plan
haben; daß komisches und tragisches darin auf die seltsamste Art durch
einander geworfen ist, und oft eben dieselbe Person, die uns durch die
rührende Sprache der Natur, Tränen in die Augen gelockt hat, in wenigen
Augenblicken darauf uns durch irgend einen seltsamen Einfall oder
barokischen Ausdruck ihrer Empfindungen wo nicht zu lachen macht, doch
dergestalt abkühlt, daß es ihm hernach sehr schwer wird, uns wieder in die
Fassung zu setzen, worin er uns haben möchte.--Man tadelt das--und denkt
nicht daran, daß seine Stücke eben darin natürliche Abbildungen des
menschlichen Lebens sind.

Das Leben der meisten Menschen, und (wenn wir es sagen dürften) der
Lebenslauf der großen Staats-Körper selbst, in so fern wir sie als eben so
viel moralische Wesen betrachten, gleicht den Haupt--und Staats-Aktionen
im alten gothischen Geschmack in so vielen Punkten, daß man beinahe auf
die Gedanken kommen möchte, die Erfinder dieser letztern seien klüger
gewesen als man gemeiniglich denkt, und hätten, wofern sie nicht gar die
heimliche Absicht gehabt, das menschliche Leben lächerlich zu machen,
wenigstens die Natur eben so getreu nachahmen wollen, als die Griechen
sich angelegen sein ließen sie zu verschönern. Um itzo nichts von der
zufälligen ähnlichkeit zu sagen, daß in diesen Stücken, so wie im Leben,
die wichtigsten Rollen sehr oft gerade durch die schlechtesten Acteurs
gespielt werden--was kann ähnlicher sein, als es beide Arten der
Haupt--und Staats-Aktionen einander in der Anlage, in der Abteilung und
Disposition der Szenen, im Knoten und in der Entwicklung zu sein pflegen.
Wie selten fragen die Urheber der einen und der andern sich selbst, warum
sie dieses oder jenes gerade so und nicht anders gemacht haben? Wie oft
überraschen sie uns durch Begebenheiten, zu denen wir nicht im mindesten
vorbereitet waren? Wie oft sehen wir Personen kommen und wieder abtreten,
ohne daß sich begreifen läßt, warum sie kamen, oder warum sie wieder
verschwinden? Wie viel wird in beiden dem Zufall überlassen? Wie oft
sehen wir die größesten Würkungen durch die armseligsten Ursachen
hervorgebracht? Wie oft das Ernsthafte und Wichtige mit einer
leichtsinnigen Art, und das Nichtsbedeutende mit lächerlicher Gravität
behandelt? Und wenn in beiden endlich alles so kläglich verworren und
durch einander geschlungen ist, daß man an der Möglichkeit der Entwicklung
zu verzweifeln anfängt; wie glücklich sehen wir durch irgend einen unter
Blitz und Donner aus papiernen Wolken herabspringenden Gott, oder durch
einen frischen Degen-Hieb den Knoten auf einmal zwar nicht aufgelöst, aber
doch aufgeschnitten, welches in so fern auf eines hinaus lauft, daß auf
die eine oder andere Art das Stück ein Ende hat, und die Zuschauer
klatschen oder zischen können, wie sie wollen oder--dürfen. übrigens weiß
man, was für eine wichtige Person in den komischen Tragödien, wovon wir
reden, der edle Hans Wurst vorstellt, der sich, vermutlich zum ewigen
Denkmal des Geschmacks unsrer Voreltern, auf dem Theater der Hauptstadt
des deutschen Reichs erhalten zu wollen scheint. Wollte Gott, daß er
seine Person allein auf dem Theater vorstellte! Aber wie viele große
Aufzüge auf dern Schauplatze der Welt hat man nicht in allen Zeiten mit
Hans Wurst--oder, welches noch ein wenig ärger ist, durch Hans
Wurst--aufführen gesehen? Wie oft haben die größesten Männer, dazu
geboren, die schützenden Genii eines Throns, die Wohltäter ganzer Völker
und Zeitalter zu sein, alle ihre Weisheit und Tapferkeit durch einen
kleinen schnakischen Streich von Hans Wurst, oder solchen Leuten vereitelt
sehen müssen, welche ohne eben sein Wams und seine gelben Hosen zu tragen,
doch gewiß seinen ganzen Charakter an sich trugen? Wie oft entsteht in
beiden Arten der Tragi-Komödien die Verwicklung selbst lediglich daher,
daß Hans Wurst durch irgend ein dummes oder schelmisches Stückchen von
seiner Arbeit den gescheiten Leuten, eh sie sich's versehen können, ihr
Spiel verderbt?--Manum de tabula!--Aber wenn diese Vergleichung, wie wir
besorgen, ihren Grund hat; so mögen wir wohl den Weisen und
Rechtschaffenen Mann bedauren, den sein Schicksal dazu verurteilt hat,
unter einem schlimmen, oder--welches ist ärger?--unter einem schwachen
Fürsten, in die Verwaltung der öffentlichen Angelegenheiten verwickelt zu
sein? Was wird es ihm helfen, Einsichten und Mut zu haben, nach den
besten Grundsätzen und nach dem richtigsten Plan zu handeln; wenn das
verächtlichste Ungeziefer, wenn ein Sklave, ein Kuppler, eine Bacchidion,
oder etwas noch schlimmers, irgend ein Parasite, dessen ganzes Verdienst
in Geschmeidigkeit, Verstellung und Schalkheit besteht, es in ihrer Gewalt
haben, seine Maßregeln zu verrücken, aufzuhalten, oder gar zu
hintertreiben? Indessen bleibt ihm, wenn er sich einmal an ein so
gefahrvolles Abenteuer gewagt hat, wie zum Exempel dasjenige, welches
Agathon würklich zu bestehen hat, kein andres Mittel übrig, sich selbst zu
beruhigen, und auf alle Fälle sein Betragen vor dem unparteiischen Gericht
der Weisen und der Nachwelt rechtfertigen zu können--als daß er sich, eh
er die Hand ans Werk legt, einen regelmäßigen Plan seines ganzen
Verhaltens entwerfe. Wenn gleich alle Weisheit eines solchen Entwurfs ihm
für den Ausgang nicht Gewähr leisten kann; so bleibt ihm doch der
tröstende Gedanke, alles getan zu haben, was ihn, ohne Zufälle die er
entweder nicht vorhersehen, oder nicht hintertreiben konnte, des
glücklichen Erfolgs hätte versichern können.

Dieses war also die erste Sorge unsers Helden, nachdem er sich anheischig
gemacht hatte, die Person eines Ratgebers und Vertrauten bei dem Könige
Dionys zu spielen. Er sah alle, oder doch einen großen Teil der
Schwierigkeiten, einen solchen Plan zu machen, der ihm durch den Labyrinth
des Hofes und des öffentlichen Lebens zum Leitfaden dienen könnte. Aber
er glaubte, daß der mangelhafteste Plan besser sei, als gar keiner; und in
der Tat war ihm die Gewohnheit, seine Ideen worüber es auch sein möchte,
in ein System zu bringen, so natürlich geworden, daß sie sich, so zu sagen,
von sich selbst in einen Plan ordneten, welcher vielleicht keinen andern
Fehler hatte, als daß Agathon noch nicht völlig so übel von den Menschen
denken konnte, als es diejenigen verdienten, mit denen er zu tun hatte.
Indessen dachte er doch lange nicht mehr so erhaben von der menschlichen
Natur, als ehmals; oder richtiger zu reden, er kannte den unendlichen
Unterschied zwischen dem metaphysischen Menschen, welchen man sich in
einer spekulativen Einsamkeit erträumt; dem natürlichen Menschen, in der
rohen Einfalt und Unschuld, wie er aus den Händen der allgemeinen Mutter
der Wesen hervorgeht; und dem gekünstelten Menschen, wie ihn die
Gesellschaft, ihre Gesetze, ihre Gebräuche und Sitten, seine Bedürfnisse,
seine Abhänglichkeit, der immer währende Kontrast seiner Begierden mit
seinem Unvermögen, seines Privat-Vorteils mit den Privat-Vorteilen der
übrigen, die daher entspringende Notwendigkeit der Verstellung, und
immerwährenden Verlarvung seiner wahren Absichten, und tausend dergleichen
physikalische und moralische Ursachen in unzähliche betrügliche Gestalten
ausbilden--er kannte, sage ich, nach allen Erfahrungen, die er schon
gemacht hatte, diesen Unterschied der Menschen von dem was sie sein
könnten, und vielleicht sein sollten, bereits zu gut, um seinen Plan auf
platonische Ideen zu gründen. Er war nicht mehr der jugendliche
Enthusiast, der sich einbildet, daß es ihm eben so leicht sein werde, ein
großes Vorhaben auszuführen, als es zu fassen. Die Athenienser hatten ihn
auf immer von dem Vorurteil geheilt, daß die Tugend nur ihre eigene Stärke
gebrauche, um über ihre Hässer obzusiegen. Er hatte gelernt, wie wenig
man von andern erwarten kann; wie wenig man auf sie Rechnung machen, und
(was das wichtigste für ihn war) wie wenig man sich auf sich selbst
verlassen darf, Er hatte gelernt, wieviel man den Umständen nachgeben muß;
daß der vollkommenste Entwurf an sich selbst oft der schlechteste unter
den gegebenen Umständen ist; daß sich das Böse nicht auf einmal gut machen
läßt; daß sich in der moralischen Welt, wie in der materialischen, nichts
in gerader Linie fortbewegt, und daß man selten anders als durch viele
Krümmen und Wendungen zu einem guten Zweck gelangen kann--Kurz, daß das
Leben, zumal eines echten Staats-Mannes, einer Schiffahrt gleicht, wo der
Pilot sich gefallen lassen muß, seinen Lauf nach Wind und Wetter
einzurichten; wo er keinen Augenblick sicher ist durch widrige Ströme
aufgehalten oder seitwärts getrieben zu werden; und wo alles darauf
ankommt, mitten unter tausend unfreiwilligen Abweichungen von der Linie,
die er sich in seiner Karte gezogen hat, endlich dennoch, und so bald und
wohlbehalten als möglich, an dem vorgesetzten Ort anzulangen.

Diesen allgemeinen Grundsätzen zufolge bestimmte er die Absichten bei
allem was er unternahm, den Grad des Guten, welches er sich zu erreichen
vorsetzte, und sein Verhalten gegen diejenige, welche ihm dabei am meisten
hinderlich oder beförderlich sein könnten--jenes, nach dem Zusammenhang
aller Umstände, worin er die Sachen antraf--dieses nach Beschaffenheit der
Personen mit denen er's zu tun hatte, oder richtiger zu reden, nach der
zum teil wenig sichern Vorstellung, die er sich von ihrem Charakter machte.


Er konnte, seit dem er den Dionys näher kannte, nicht daran denken, ein
Muster eines guten Fürsten aus ihm zu machen; aber er hoffte doch nicht
ohne Grund, seinen Lastern ihr schädlichstes Gift benehmen, und seiner
guten Neigungen, oder vielmehr seiner guten Launen, seiner Leidenschaften
und Schwachheiten selbst, sich zum Vorteil des gemeinen Besten bedienen zu
können. Diese Meinung von seinem Prinzen war in der Tat so bescheiden,
daß er sie nicht tiefer herabstimmen konnte, ohne alle Hoffnung zu
Erreichung seiner Entwürfe aufzugeben; und doch zeigte sich in der Folge,
daß er noch zu gut von ihm gedacht hatte. Dionys hatte in der Tat
Eigenschaften, welche viel gutes versprachen; aber unglücklicher Weise
hatte er für jede derselben eine andere, welche alles wieder vernichtete,
was jene zusagte; und wenn man ihn lange genug in der Nähe betrachtet
hatte, so befand sich's, daß seine vermeinten Tugenden würklich nichts
anders als seine Laster waren, welche von einer gewissen Seite betrachtet,
eine Farbe der Tugend annahmen. Indessen ließ sich doch Agathon durch
diese guten Anscheinungen so verblenden, daß er die Unverbesserlichkeit
eines Charakters von dieser Art, und also den Ungrund aller seiner
Hoffnungen nicht eher einsah, als bis ihm diese Entdeckung zu nichts mehr
nutzen konnte.

Die größeste Schwachheit des Prinzen, seiner Meinung nach, war sein
übermäßiger Hang zur Gemächlichkeit und Wollust. Er hoffte dem ersten
dadurch zu begegnen, daß er ihm die Geschäfte so leicht und so angenehm zu
machen suchte als möglich war; und dem andern, wenn er ihn wenigstens von
den wilden Ausschweifungen abgewöhnte, zu denen er sich bisher hatte
hinreißen lassen. Unsre Vergnügungen werden desto feiner, edler und
sittlicher, je mehr die Musen Anteil daran haben. Aus diesem richtigen
Grundsatz bemühte er sich, dem Dionys mehr Geschmack an den schönen
Künsten beizubringen, als er bisher davon gehabt hatte. In kurzem wurden
seine Paläste, Landhäuser und Gärten, mit den Meisterstücken der besten
Maler und Bildhauer Griechenlandes angefüllt. Agathon zog die
berühmtesten Virtuosen in allen Gattungen von Athen nach Syracus; er
führte ein prächtiges Odeon nach dem Muster dessen, worauf Perikles den
öffentlichen Schatz der Griechen verwendet hatte, auf; und Dionys fand so
viel Vergnügen an den verschiedenen Arten von Schauspielen, womit er,
unter der Aufsicht seines Günstlings, fast täglich auf diesem Theater
belustiget wurde, daß er, seiner Gewohnheit nach, eine Zeitlang allen
Geschmack an andern Ergötzlichkeiten verloren zu haben schien. Indessen
war doch eine andre Leidenschaft übrig, deren Herrschaft über ihn allein
hinlänglich war, alle guten Absichten seines neuen Freundes zu
hintertreiben. Gegenwärtig befand sich die Tänzerin Bacchidion im Besitz
derselben; aber es fiel bereits in die Augen, daß die unmäßige Liebe,
welche sie ihm beigebracht, sehr viel von ihrer ersten Heftigkeit verloren
hatte. Es würde vielleicht nicht schwer gehalten haben, die Würkung
seiner natürlichen Unbeständigkeit um etliche Wochen zu beschleunigen.
Aber Agathon hatte Bedenklichkeiten, die ihm wichtig genug schienen, ihn
davon abzuhalten. Die Gemahlin des Prinzen war in keinerlei Betrachtung
dazu gemacht, einen Versuch, ihn in die Grenzen der ehlichen Liebe
einzuschränken, zu unterstützen. Dionys konnte nicht ohne Liebeshändel
leben; und die Gewalt, welche seine Maitressen über sein Herz hatten,
machte seine Unbeständigkeit gefährlich. Bacchidion war eines von diesen
gutartigen fröhlichen Geschöpfen, in deren Phantasie alles rosenfarb ist,
und welche keine andre Sorge in der Welt haben, als ihr Dasein von einem
Augenblick zum andern wegzuscherzen, ohne sich jemals einen Gedanken von
Ehrgeiz und Habsucht, oder einigen Kummer über die Zukunft anfechten zu
lassen. Sie liebte das Vergnügen über alles; immer aufgelegt es zu geben
und zu nehmen, schien es unter ihren Tritten aufzusprossen; es lachte aus
ihren Augen, und atmete aus ihren Lippen. Ohne daran zu denken, sich
durch die Leidenschaft des Prinzen für sie wichtig zu machen, hatte sie
aus einer Art von mechanischer Neigung, vergnügte Gesichter zu sehen, ihre
Gewalt über sein Herz schon mehrmalen dazu verwandt, Leuten die es
verdienten, oder auch nicht verdienten (denn darüber ließ sie sich in
keine Untersuchung ein) gutes zu tun. Agathon besorgte, daß ihre Stelle
leicht durch eine andere besetzt werden könnte, welche sich versuchen
lassen möchte, einen schlimmern Gebrauch von ihren Reizungen zu machen.
Er hielt es also seiner nicht unwürdig, mit guter Art, und ohne daß es
schien, als ob er einige besondere Aufmerksamkeit auf sie habe, die
Neigung des Prinzen zu ihr mehr zu unterhalten als zu bekämpfen. Er
verschaffte ihr Gelegenheit, ihre belustigende Talente in einer
Mannichfaltigkeit zu entfalten, welche ihr immer die Reizungen der Neuheit
gab. Er wußte es zu veranstalten, daß Dionys durch öftere kleine
Entfernungen verhindert wurde, sich zu bald an dem Vergnügen zu ersättigen,
welches er in den Armen dieser angenehmen Kreatur zu finden schien. Er
ging endlich gar so weit, daß er bei Gelegenheit eines Gesprächs, wo die
Rede von den anzustrengen Grundsätzen des Plato über diesen Artikel war,
sich kein Bedenken machte, zu sagen: Daß es unbillig sei, einen Prinzen,
welcher sich die Erfüllung seiner großen und wesentlichen Pflichten mit
gehörigem Ernst angelegen sein lasse, in seinen Privat-Ergötzungen über
die Grenzen einer anständigen Mäßigung einschränken zu wollen. Alles, was
ihm hierüber wiewohl in allgemeinen Ausdrücken, entfiel, schien die
Bedeutung einer stillschweigenden Einwilligung in die Schwachheit des
Prinzen für die schöne Bacchidion zu haben, und in der Tat war dieses sein
Gedanke. Wir lassen dahin gestellt sein, ob die gute Absicht die er dabei
hatte, hinlänglich sein mag, eine so gefährliche äußerung zu rechtfertigen;
aber es ist gewiß, daß Dionys, der bisher aus einer gewissen Scham vor
der Tugend unsers Helden sich bemüht hatte, seine schwache Seite vor ihm
zu verbergen, von dieser Stunde an weniger zurückhaltend wurde, und aus
dem vielleicht unrichtigen aber sehr gemeinen Vorurteil, daß die Tugend
eine erklärte Feindin der Gottheiten von Cythere sein müsse, einen Argwohn
gegen unsern Helden faßte, wodurch er um einige Stufen herab, und mit ihm
selbst und den übrigen Erdenbewohnern, in Absicht gewisser Schwachheiten,
in die nämliche Linie gestellt wurde--ein Verdacht, der zwar durch die
sich selbst immer gleiche Aufführung Agathons bald wieder zum Schweigen
gebracht, aber doch nicht so gänzlich unterdrückt wurde, daß sein geheimer
Einfluß in der Folge den Beschuldigungen der Feinde Agathons, den Zugang
in das Gemüt eines Prinzen nicht erleichtert hätte, welcher ohnehin so
geneigt war, die Tugend entweder für Schwärmerei oder für Verstellung zu
halten. Indessen gewann Agathon durch seine Nachsicht gegen die
Lieblings-Fehler dieses Prinzen, daß er sich desto williger bewegen ließ,
an den Geschäften der Regierung mehr Anteil zu nehmen, als er gewohnt war;
und wir an unserm teil können es ihm verzeihen, daß er das viele Gute,
welches er dadurch erhielt, für eine hinlängliche Vergutung des Tadels
ansah, den er sich durch diese Gefälligkeit bei gewissen Leuten von
strengen Grundsätzen zuzog, welche in der weiten Entfernung von der Welt,
worin sie leben, gute Weile haben, an andern zu verdammen, was sie an
derselben Platz, vielleicht noch schlimmer gemacht haben würden.


Außer der schönen Bacchidion, welche, wie wir gesehen haben, allen ihren
Ehrgeiz darein setzte, das Vergnügen eines Prinzen, den sie liebte,
auszumachen--war Philistus, durch die Gnade, worin er bei Dionysen stund,
die beträchtlichste Person unter allen denjenigen, mit denen Agathon in
seiner neuen Stelle mehr oder weniger in Verhältnis war. Dieser Mann
spielt in diesem Stück unsrer Geschichte eine Rolle, welche begierig
machen kann, ihn näher kennen zu lernen. Und über dem ist es eine von den
geheiligten Pflichten der Geschichte, den verfälschenden Glanz zu
zerstreuen, welchen das Glück und die Gunst der Großen sehr oft über
nichtswürdige Kreaturen ausbreitet, um der Nachwelt, zum Exempel, zu
zeigen, daß dieser Pallas, welchen so viele Dekrete des Römischen Senats,
so viele Statuen und öffentliche Ehren-Mäler eben dieser Nachwelt als
einen Wohltäter des menschlichen Geschlechts, als einen Halb-Gott
ankündigen, nichts bessers noch größers als ein schamloser lasterhafter
Sklave war. Wenn Philistus in Vergleichung mit einem Pallas oder Tigellin
nur ein Zwerg gegen einen Riesen scheint, so kommt es in der Tat allein
von dem unermeßlichen Unterschied zwischen der Römischen Monarchie im
Zeitpunkt ihrer äußersten Höhe, und dem kleinen Staat, worin Dionys zu
gebieten hatte, her. Eben dieser Teufel, der seinem schlimmen Humor Luft
zu machen, eine Herde Schweine ersäufte, würde mit ungleich größerm
Vergnügen den ganzen Erdboden unter Wasser gesetzt haben, wenn er Gewalt
dazu gehabt hätte: Und Philistus würde Pallas gewesen sein, wenn er das
Glück gehabt hätte, in den Vorzimmern eines Claudius aufzuwachsen. Die
Proben, welche er in seiner kleinen Sphäre von dem was er in einer größern
fähig gewesen wäre, ablegte, lassen uns nicht daran zweifeln. Ein
geborner Sklave, und in der Folge einer von den Freigelassenen des alten
Dionys, hatte er sich schon damals unter seinen Kameraden durch den
schlauesten Kopf und die geschmeidigste Gemüts-Art hervorgetan, ohne daß
es ihm jedoch einigen besondern Vorzug bei seinem Herrn verschaffet hätte.
Philistus gramte sich billig über diese wiewohl nicht ungewöhnliche Laune
des Glücks; aber er wußte sich selbst zu helfen. Glücklichere Vorgänger
hatten ihm den Weg gezeigt, sich ohne Mühe und ohne Verdienste zu dieser
hohen Stufe emporzuschwingen, nach welcher ihm eine Art von Ambition, die
sich in gewissen Seelen mit der verächtlichsten Niederträchtigkeit
vollkommen wohl verträgt, ein ungezähmtes Verlangen gab. Wir haben schon
bemerkt, daß der jüngere Dionys von seinem Vater ungewöhnlich hart
gehalten wurde. Philistus war der einzige, der den Verstand hatte zu
sehen, wieviel Vorteil sich aus diesem Umstande ziehen lasse. Er fand
Mittel, die Nächte des jungen Prinzen angenehmer zu machen als seine Tage
waren. Brauchte es mehr, um als ein Wohltäter von ihm angesehen zu werden,
dessen gute Dienste er niemals genug werde belohnen können? Philistus
ließ es nicht dabei bewenden; er fiel auf den Einfall, zu gleicher Zeit,
und durch einen einzigen kleinen Handgriff, sich dieser Belohnung würdiger
und bälder teilhaft zu machen. Eine bösartige Kolik, wozu er das Rezept
hatte, beschleunigte das Ende des alten Tyrannen; Philistus war der erste,
der seinem jungen Gebieter die freudige Nachricht brachte, und nun sah er
sich auf einmal in dem geheimesten Vertrauen eines Königs, und in kurzem
am Ruder des Staats. Diese wenigen Anekdoten sind zureichend, uns einen
so sichern Begriff von dem moralischen Charakter dieses würdigen Ministers
zu geben, daß er nunmehr das ärgste dessen ein Mensch fähig ist, begehen
könnte, ohne daß wir uns darüber verwundern würden. Aber was für ein
Physiognomist müßte der gewesen sein, der diese Anekdoten in seinen Augen
hätte lesen können? Es ist wahr, Agathon dachte anfangs nicht
allzuvorteilhaft von ihm; aber wie hätte er, ohne besondere Nachrichten zu
haben, oder selbst ein Philistus zu sein, sich vorstellen sollen, daß
Philistus das sein könnte, was er war? Wenige kannten die inwendige Seite
dieses Mannes; und diese wenige waren zu gute Hofmänner, um ihren
bisherigen Gönner eher zu verraten, als sein Sturz gewiß war, und sie
wissen konnten, was sie dadurch gewinnen würden; und Aristipp, für den
sein wahrer Charakter gleichfalls kein Geheimnis war, hatte sich
vorgesetzt, einen bloßen Zuschauer abzugeben. Agathon konnte also desto
leichter hintergangen werden, da Philistus alle seine Verstellungs-Kunst
anstrengte, sich bei ihm in Achtung zu setzen. Zu seinem großen
Mißvergnügen konnte er mit aller Kenntnis, die er (nach einem gewöhnlichen,
wiewohl sehr betrüglichen Vorurteil der Hofleute) von den Menschen zu
haben glaubte, die schwache Seite unsers Helden nicht ausfindig machen.
Es blieb ihm also kein andrer Weg übrig, als durch eine große
Arbeitsamkeit und Pünktlichkeit in den Geschäften sich bei dem neuen
Günstling in das Ansehen eines brauchbaren Mannes, und durch Tugenden, die
er eben so leicht als man eine Maskerade-Kleidung anzieht, affektieren
konnte, so bald er ihrer vonnöten hatte, sich endlich so gar in das
Ansehen eines ehrlichen Mannes zu setzen. Da zu diesen Eigenschaften,
welche Agathon in ihm zu finden glaubte, noch die Achtung, welche Dionys
für ihn trug, und die Betrachtung hinzukam, daß es für den Staat weniger
sicher sei, einen ehrgeizigen Minister abzudanken, als ihn mit scheinbarer
Beibehaltung seines Ansehens in engere Schranken zu setzen: So geschah es,
daß sich diejenige in ihrer Meinung betrogen fanden, welche den Fall des
Philistus für eine unfehlbare Folge der Erhebung Agathons gehalten hatten.
Das Ansehen desselben schien sich eher zu vermehren, indem er zum
Vorsteher aller der verschiednen Tribunalien ernennt wurde, unter welche
Agathon, mit der erforderlichen Einschränkung und Subordination, diejenige
Gewalt verteilte, welche vormals von den Vertrauten des Prinzen
willkürlich ausgeübt worden war: In der Tat aber wurde er dadurch beinahe
in die Unmöglichkeit gesetzt, böses zu tun, wofern ihn etwan eine
Versuchung dazu ankommen sollte; da er bei allen seinen Handlungen von so
vielen Augen beobachtet, und verbunden war, von allem Rechenschaft zu
geben, und nichts ohne die Einstimmung des Prinzen, oder, welches eine
Zeitlang einerlei war, seines Repräsentanten, zu unternehmen.

Wir könnten ohne Zweifel viel schönes von der Staats-Verwaltung Agathons
sagen, wenn wir uns in eine ausführliche Erzählung aller der nützlichen
Ordnungen und Einrichtungen ausbreiten wollten, welche er in Absicht der
Staats-ökonomie, der Einziehung und Verwaltung der öffentlichen Einkünfte,
der Polizei, der Landwirtschaft, des Handlungs-Wesens, und (welches in
seinen Augen eines der wesentlichsten Stücke war) der öffentlichen Sitten
und der Bildung der Jugend, teils würklich zu machen anfing, teils gemacht
haben würde, wenn ihm die Zeit dazu gelassen worden wäre. Allein alles
dieses gehört nicht zu dem Plan des gegenwärtigen Werkes; und es wäre in
der Tat nicht abzusehen, wozu ein solcher Détail in unsern Tagen nutzen
sollte, worin die Kunst zu regieren einen Schwung genommen zu haben
scheint, der die Maßregeln und das Beispiel unsers Helden eben so unnütz
macht, als die Projekte des guten Abts von Saint Pierre, patriotischen
Gedächtnisses. Die Art, wie sich Agathon ehmals seines Ansehens und
Vermögens zu Athen bedient hat, kann unsern Lesern einen hinlänglichen
Begriff davon geben, wie er sich einer beinahe unumschränkten Macht und
eines königlichen Vermögens bedient haben werde.

Nur einen Umstand können wir nicht vorbeigehen, weil er einen merklichen
Einfluß in die folgende Begebenheiten unsers Helden hatte. Dionys befand
sich, als Agathon an seinen Hof kam, in einen Krieg mit den
Carthaginensern verwickelt, welche durch verschiedene kleine Republiken
des südlichen und westlichen Teils von Sicilien unterstützt, unter dem
Schein sie gegen die übermacht von Syracus zu schützen, sich der
innerlichen Zwietracht der Sicilianer, als einer guten Gelegenheit
bedienen wollten, diese für ihre Handlungs-Absichten unendlich vorteilhaft
gelegene Insel in ihre Gewalt zu bringen. Einige von diesen kleinen
Republiken wurden von so genannten Tyrannen beherrscht; und diese hatten
sich bereits in die Arme der Carthaginenser geworfen; die andren hatten
sich bisher noch in einer Art von Freiheit erhalten, und schwankten,
zwischen der Furcht von Dionysen überwältiget zu werden, und dem Mißtrauen
in die Absichten ihrer anmaßlichen Beschützer, in einem Gleichgewicht,
welches alle Augenblicke auf die Seite der letztern überzuziehen drohte.
Timocrates dem Dionys die oberste Befehlhabers-Stelle in diesem Kriege
anvertraute, hatte sich bereits durch einige Vorteile über die Feinde den
oft wohlfeilen Ruhm eines guten Generals erworben; aber mehr darauf
bedacht, bei dieser Gelegenheit Lorbeern und Reichtümer zu sammeln, als
das wahre Interesse seines Prinzen zu besorgen, hatte er das Feuer der
innerlichen Unruhen Siciliens mehr ausgebreitet als gedämpft, und durch
seine Aufführung sich bei denenjenigen, welche noch keine Partei genommen
hatten, so verhaßt gemacht, daß sie im Begriff waren sich für Carthago zu
erklären. Agathon glaubte, daß seine Beredsamkeit dem Dionys in diesen
Umständen größere Dienste tun könne, als die ganze, wiewohl nicht
verächtliche Land--und Seemacht, welche Timocrates unter seinen Befehlen
hatte. Er hielt es für besser Sicilien zu beruhigen, als zu erobern;
besser es zu einer Art von freiwilliger übergabe an Syracus zu bewegen,
als es den Gefahren und verderblichen Folgen eines Kriegs ausgesetzt zu
lassen, der, wenn er auch am glücklichsten für den Dionys ausfiele, ihm
doch nichts mehr als den zweideutigen Vorteil verschaffen würde, seine
Untertanen um eine Anzahl gezwungner und mißvergnügter Leute vermehrt zu
haben, auf deren guten Willen er keinen Augenblick hätte zählen können.
Dionys konnte den Gründen, womit Agathon sein Vorhaben, und die Hoffnung
des gewünschten Ausgangs unterstützte, seinen Beifall nicht versagen.
überhaupt galt es ihm gleich, durch was für Mittel er zu ruhigem Besitz
der höchsten Gewalt in Sicilien gelangen könnte, wenn er nur dazu gelangte;
und ob er gleich klein genug war, sich auf die zwar wenig entscheidende
aber desto prahlerischer vergrößerte Siege seines Feldherrn eben so viel
einzubilden, als ob er sie selbst erhalten hätte; so war er doch auch
feigherzig genug, sich zu dem unrühmlichsten Frieden geneigt zu fühlen, so
bald er mit einiger Aufmerksamkeit an die Unbeständigkeit des
Kriegs-Glückes dachte. Die edlern Beweggründe unsers Helden fanden also
leicht Eingang bei ihm, oder richtiger zu reden, Agathon schrieb die
gefällige Disposition, die er bei ihm fand, dem Eindruck seiner eignen
Vorstellungen zu, ohne wahrzunehmen, daß sie ihren eigentlichen Grund in
der niederträchtigen Gemütsart des Prinzen hatte. Er begab sich also
ingeheim (denn es war ihm daran gelegen, daß Timocrates von seinem
Vorhaben keinen Wink bekäme) in diejenige Städte, welche im Begriff
stunden, die Partei von Carthago zu verstärken. Es gelang ihm, die
widrigen Vorurteile zu zernichten, womit er alle Gemüter gegen die
gefürchtete Tyrannie Dionysens eingenommen fand; er überzeugte sie so
vollkommen davon, daß das Beste eines jeden besondern Teils von dem Besten
des ganzen Sicilien unzertrennlich sei; machte ihnen ein so schönes
Gemälde von dem glücklichen Zustande dieser Insel, wenn alle Teile
derselben durch die Bande des Vertrauens und der Freundschaft, sich in
Syracus als in dem gemeinschaftlichen Mittelpunkt vereinigen würden--daß
er mehr erhielt als er gehofft hatte, und so gar mehr als er verlangte.
Er wollte nur Bundsgenossen, und es fehlte wenig, so würden sie in einem
Anstoß von überfließender Zuneigung zu ihm, sich ohne Bedingung zu
Untertanen eines Prinzen ergeben haben, von dessen Minister sie so sehr
bezaubert waren.

Die Veränderung, welche hiedurch in den öffentlichen Angelegenheiten
gemacht wurde, brachte den Krieg so schnell zu Ende, daß Timocrates keine
Gelegenheit bekam, durch ein entscheidendes Treffen (es möchte allenfalls
gewonnen oder verloren sein) Ehre einzulegen. Man kann sich vorstellen,
ob Agathon sich dadurch die Freundschaft dieses Mannes, den sein großes
Vermögen und die Verschwägerung mit dem Prinzen zu einer wichtigen Person
machte, erworben; und mit welchen Augen Timocrates den allgemeinen Beifall,
die frohlockenden Segnungen der Nation, welche unsern Helden nach Syracus
zurückbegleiteten, die Merkmale der Hochachtung, womit er von dem Prinzen
empfangen wurde, und das außerordentliche Ansehen, worin er sich durch
diese friedsam Eroberung befestigte, angeschielt haben werde. Genötigt,
seinen Unwillen und Haß gegen einen so siegreichen Nebenbuhler in sich
selbst zu verschließen, laurte er nur desto ungeduldiger auf Gelegenheiten,
in geheim an seinem Untergang zu arbeiten; und wie hätte es ihm an einem
Hofe, und an dem Hofe eines solchen Fürsten, an Gelegenheiten fehlen
können?




ZWEITES KAPITEL

Beispiele, daß nicht alles, was gleißt, Gold ist



Wenn Agathon während einer Staats-Verwaltung, welche nicht ganz zwei Jahre
daurte, das vollkommenste Vertrauen seines Prinzen und die allgemeine
Liebe der Nation, welche er regierte, gewann, und sich dadurch auf diese
hohe Stufe des Ansehens und der scheinbaren Glückseligkeit emporschwang,
welche unverdienter Weise, der Gegenstand der Bewunderung aller kleinen,
und des Neides aller zugleich boshaften Seelen zu sein pflegt: So müssen
wir gestehen, daß diese launische unerklärbare Macht, welche man Glück
oder Zufall nennt, den wenigsten Anteil daran hatte. Die Verdienste, die
er sich in so kurzer Zeit um den Prinzen sowohl als die Nation machte, die
Beruhigung Siciliens, das befestigte Ansehen von Syracus, die
Verschönerung dieser Hauptstadt, die Verbesserung ihrer Polizei, die
Belebung der Künste und Gewerbe, und die allgemeine Zuneigung, welche er
einer vormals verabscheueten Regierung zuwandte--alles dieses legte ein
unverwerfliches Zeugnis für die Weisheit seiner Staats-Verwaltung ab; und
da alle diese Verdienste durch die Uneigennützigkeit und Regelmäßigkeit
seines Betragens in ein Licht gestellt wurden, welches keine Mißdeutung zu
zulassen schien; so blieb seinen heimlichen Feinden, ohne die ungewisse
Hülfe irgend eines Zufalls, von dem sie selbst noch keine Vorstellung
hatten, wenig Hoffnung übrig, ihn so bald wieder zu stürzen, als sie es
für ihre Privat-Absichten wünschen mochten.

Die heimlichen Feinde Agathons--"wie konnte ein Mann, der sich so
untadelich betrug, und um jedermann Gutes verdiente, Feinde
haben?"--werden diejenige vielleicht denken, welche bei Gelegenheit, zu
vergessen scheinen, daß der weise Mann notwendig alle Narren, und der
Rechtschaffene, unvermeidlicher Weise, alle die es nicht sind, zu
öffentlichen, oder doch gewiß zu immerwährenden heimlichen Feinden haben
muß. Eine Wahrheit, welche in der Natur der Sachen so gegründet, und
durch eine nie unterbrochene Erfahrung so bestätiget ist, daß wir weit
bessere Ursache zu fragen haben: "Wie sollte ein Mann, der sich so wohl
betrug, keine Feinde gehabt haben?" Es konnte nicht anders sein als daß
derjenige, dessen beständige Bemühung dahin ging, seinen Prinzen
tugendhaft, oder doch wenigstens seine Schwachheiten unschädlich zu machen,
sich den herzlichen Haß dieser Höflinge zuziehen mußte, welche (wie
Montesquieu von allen Hofleuten behauptet) nichts so sehr fürchten, als
die Tugend des Fürsten, und keinen zuverlässigern Grund ihrer Hoffnungen
kennen, als seine Schwachheiten. Sie konnten nicht anders als den Agathon
für denjenigen ansehen, der allen ihren Absichten und Entwürfen im Wege
stund. Er verlangte zum Exempel, daß man vorher Verdienste haben müsse,
eh man an Belohnungen Ansprüche mache; sie wußten einen kürzern und
bequemem Weg; einen Weg auf welchem zu allen Zeiten (die Regierungen der
Antonine und Juliane ausgenommen) die nichtswürdigsten Leute an Höfen ihr
Glück gemacht haben--kriechende Schmeichelei, blinde Gefälligkeit gegen
die Leidenschaften unsrer Obern, Gefühllosigkeit gegen alle Regungen des
Gewissens und der Menschlichkeit, Taubheit gegen die Stimme aller
Pflichten, unerschrockne Unverschämtheit sich selbst Talente und
Verdienste beizulegen, die man nie gehabt hat; fertige Bereitwilligkeit
jedes Bubenstück zu begehen, welches eine Stufe zu unsrer Erhebung werden
kann--und diesen Weg hatte ihnen Agathon auf einmal versperrt. Sie sahen,
so lange dieser seltsame Mann den Platz eines Günstlings bei Dionysen
behaupten würde, keine Möglichkeit, wie Leute von ihrer Art sollten
gedeihen können. Sie hasseten ihn also; und wir können versichert sein,
daß in den Herzen aller dieser Höflinge eine Art von Zusammen-Verschwörung
gegen ihn brütete, ohne daß es dazu einiger geheimen Verabredung bedurfte.
Allein von allem diesem wurde noch nichts sichtbar. Die Maske, welche
sie vorzunehmen für gut fanden, sah einem Gesicht so gleich, daß Agathon
selbst dadurch betrogen wurde; und sich gegen die Philiste und Timocrate,
und ihre Kreaturen eben so bezeugte, als ob die Hochachtung, welche sie
ihm bewiesen, und der Beifall, den sie allen seinen Maßnehmungen gaben,
aufrichtig gewesen wäre. Diese wackern Männer hatten einen gedoppelten
Vorteil über ihn--daß er, weil er sich nichts Böses zu ihnen versah, nicht
daran dachte, sie scharf zu beobachten--und daß sie, weil sie sich ihrer
eigenen Bosheit bewußt waren, desto vorsichtiger waren, ihre wahren
Gesinnungen in eine undurchdringliche Verstellung einzuhüllen. Versichert
wie sie waren, daß ein Mensch notwendig eine schwache Seite haben müsse,
gaben sie sich alle mögliche Mühe die seinige zu finden, und stellten ihn,
ohne daß er einen Verdacht deswegen auf sie werfen konnte, auf alle
mögliche Proben. Da sie ihn aber gegen Versuchungen, denen sie selbst zu
unterliegen pflegten, gleichgültig oder gewaffnet fanden; so blieb ihnen,
bis auf irgend eine günstige Gelegenheit nichts übrig, als ihn durch den
magischen Dunst einer subtilen Schmeichelei einzuschläfern, welche er
desto leichter für Freundschaft halten konnte, da sie alle Anscheinungen
derselben hatte; und je mehr er berechtiget war, in einem Lande, worin er
sich um alle verdient machte, einen jeden für seinen Freund zu halten.
Diese Absicht gelang ihnen, und man muß gestehen, daß sie dadurch schon
ein großes über ihn gewonnen hatten.

übrigens können wir nicht umhin, es mag nun unserm Helden nachteilig sein
oder nicht, zu gestehen, daß zu einer Zeit, da sein Ansehen den höchsten
Gipfel erreicht hatte; da Dionys ihn mit Beweisen einer unbegrenzten Gunst
überhäufte; da er von dem ganzen Sicilien für seinen Schutzgott angesehen
wurde, und das seltne, wo nicht ganz unerhörte Glück zu genießen schien,
in einem so blendenden Glücksstande lauter Bewundrer und Freunde, und
keinen Feind zu haben--die Damen zu Syracus die einzigen waren, welche
ihre wenige Zufriedenheit mit seinem Betragen ziemlich deutlich merken
ließen. Mit einer Figur wie die seinige, mit allem dem was den Augen und
Herzen nachstellt in so außerordentlichem Grade begabt, war es sehr
natürlich, daß er die Aufmerksamkeit der Schönen auf sich ziehen mußte.
Die Damen zu Syracus hatten so gut Augen wie die zu Smyrna--und Herzen
dazu--oder wenn sie keine hatten, so hatten sie doch etwas, dessen
Bewegungen sehr gewöhnlich mit den Bewegungen des Herzens verwechselt
werden; oder wenn sie auch das nicht hatten, so hatten sie doch Eitelkeit,
und konnten also nicht gleichgültig gegen die eigensinnige
Unempfindlichkeit eines Mannes sein, welcher eben dadurch ein Feind wurde,
dessen überwindung seine Siegerin zur Liebenswürdigsten ihres Geschlechts
zu erklären schien. In den Augen der meisten Schönen ist der Günstling
eines Monarchen allezeit ein Adonis; wie natürlich war also der Wunsch,
einen Adonis empfindlich zu machen, der noch dazu der Liebling eines
Königs, und in der Tat, den Namen, und eine gewisse Binde um den Kopf
ausgenommen, der König selbst war? Man kann sich auf die Geschicklichkeit
der schönen Sicilianerinnen verlassen, daß sie nichts vergessen haben
werden, seiner Kaltsinnigkeit auch nicht den Schatten einer anständigen
Entschuldigung übrig zu lassen. Und womit hätte sie wohl entschuldiget
werden können? Es ist wahr, ein Mann, der mit der Sorge für einen ganzen
Staat beladen ist, hat nicht so viel Muße als ein junger Herr, der sonst
nichts zu tun hat, als sein Gesicht alle Tage ein paarmal im Vorzimmer zu
zeigen, und die übrige Zeit von einer Schönen, und von einer Gesellschaft
zur andern fortzuflattern. Aber man mag so beschäftiget sein als man will,
so behält man doch allezeit Stunden für sich selbst, und für sein
Vergnügen übrig; und obgleich Agathon sich seinen Beruf etwas schwerer
machte, als er in unsern Zeiten zu sein pflegt, nachdem man das Geheimnis
erfunden hat, die schweresten Dinge mit einer gewissen unsern plumpern
Vorfahren unbekannten Leichtigkeit--vielleicht nicht so gut, aber doch
artiger--zu tun; so war es doch Augenscheinlich, daß er solche Stunden
hatte. Der Einfluß, den er in die Staats-Verwaltung hatte, schien ihm so
wenig zu schaffen zu machen; er brachte so viel Freiheit des Geistes, so
viel Munterkeit und guten Humor zur Gesellschaft, und zu den
Ergötzlichkeiten, wo ihn Dionys fast immer um sich haben wollte, daß man
die Schuld seiner seltsamen Aufführung unmöglich seinen Geschäften
beimessen konnte. Man mußte also sie begreiflich zu machen auf andere
Hypothesen verfallen. Anfangs hielt eine jede die andere im Verdacht,
die geheime Ursache davon zu sein; und so lange dieses daurte, hätte man
sehen sollen, mit was für Augen die guten Damen einander beobachteten, und
wie oft man in einem Augenblicke eine Entdeckung gemacht zu haben glaubte,
welche der folgende Augenblick wieder vernichtigte. Endlich befand
sich's, daß man einander Unrecht getan hatte; Agathon war gegen alle
gleich verbindlich, und liebte keine. Auf eine Abwesende konnte man
keinen Argwohn werfen; denn was hätte ihn bewegen sollen, den Gegenstand
seiner Liebe von sich entfernt zu halten? Es blieben also keine andre als
solche Vermutungen übrig, welche unserm Helden auf die eine oder andre Art
nicht sonderliche Ehre machten; ohne daß sie den gerechten Verdruß
vermindern konnten, den man über ein so wenig natürliches und in jeder
Betrachtung so verhaßtes Phänomen empfinden mußte.

Unsre Leser, welche nicht vergessen haben können, was Agathon zu Smyrna
war, werden so gleich auf einen Gedanken kommen, welcher freilich den
Damen zu Syracus unmöglich einfallen konnte--nämlich, daß es ihnen
vielleicht an Reizungen gefehlt habe, um einen hinlänglichen Eindruck auf
ein Herz zu machen, welches nach einer Danae (welch ein Gemälde macht
dieses einzige Wort!) nicht leicht etwas würdig finden konnte, seine
Neugier rege zu machen. Allein wenn die Nachrichten, denen wir in dieser
Geschichte folgen, Glauben verdienen, so hat eine den mehr bemeldten Damen
so wenig schmeichelnde Vermutung nicht den geringsten Grund: Syracus hatte
Schönen, welche so gut als Danae, den Polycleten zu Modellen hätten dienen
können; und diese Schönen hatten alle noch etwas dazu, das die Schönheit
gelten macht; einige Witz, andre Zärtlichkeit; andre wenigstens ein gutes
Teil von dieser edeln Unverschämtheit, welche eine gewisse Klasse von
modernen Damen zu charakterisieren scheint, und zuweilen schneller zum
Zweck führt als die vollkommensten Reizungen, welche unter dem Schleier
der Bescheidenheit versteckt, ein nachteiliges Mißtrauen in sich selbst zu
verraten scheinen. Es konnte also nicht das sein--Gut! So wird er sich
etwan des Socratischen Geheimnisses bedient, und in den verschwiegenen
Liebkosungen irgend einer gefälligen Cypassis das leichteste Mittel
gefunden haben, sich vor der Welt die Miene eines Xenocrates zu
geben?--Das auch nicht! wenigstens sagen unsre Nachrichten nichts davon.
Ohne also den Leser mit vergeblichen Mutmaßungen aufzuhalten, wollen wir
gestehen, daß die Ursache dieser Kaltsinnigkeit unsers Helden, etwas so
natürliches und einfältiges war, daß, so bald wir es entdeckt haben werden,
Schah Baham selbst sich einbilden würde, er habe wo nicht eben das, doch
ungefähr so etwas erwartet.

Der Kaufmann, mit welchem Agathon nach Syracus gekommen war, war einer von
denjenigen, welchen er ehmals zu Athen das Bildnis seiner Psyche zu dem
Ende gegeben hatte, damit sie mit desto besserm Erfolg aller Orten möchte
aufgesucht werden können. Gleichwohl erinnerte er sich dieses Umstands
nicht eher, bis er einsmals bei einem Besuch, den er ihm machte, dieses
Bildnis von ungefähr in dem Cabinet seines Freundes ansichtig wurde.
Dasjenige was Agathon in diesem Augenblick empfand, war wenig von dem
unterschieden, was er empfunden hätte, wenn es Psyche selbst gewesen wäre.
Die Ideen seiner ersten Liebe wurden dadurch wieder so lebhaft, daß er,
so schwach auch seine Hoffnung war, das Urbild jemals wieder zu sehen,
sich aufs Neue in dem Entschluß bestätigte, ihrem Andenken getreu zu
bleiben. Die Damen von Syracus hatten also würklich eine Nebenbuhlerin,
ob sie gleich nicht erraten konnten, daß diese zärtlichen Seufzer, welche
jede unter ihnen seinem Herzen abzugewinnen wünschte, in mitternächtlichen
Stunden vor einer gemalten Gebieterin ausgehaucht wurden.

Unter allen denjenigen, welche sich durch die Unempfindlichkeit unsers
Helden beleidiget fanden, konnte keine der schönen Cleonissa in Absicht
aller Vollkommenheiten, welche Natur und Kunst in einem Frauenzimmer
vereinigen können, den Vorzug streitig machen. Eine vollkommen
regelmäßige Schönheit ist (mit Erlaubnis aller derjenigen, welche dabei
interessiert sein mögen, die Grazien ihrer Königin vorzuziehen) unter
allen Eigenschaften, die eine Dame haben kann, diejenige welche den
allgemeinsten, geschwindesten und stärksten Eindruck macht; und für
tugendhafte Personen hat sie noch diesen Vorteil, daß sie das Verlangen
von der Besitzerin eines so seltnen Vorzugs geliebt zu sein, in dem
nämlichen Augenblick durch eine Art von mechanischer Ehrfurcht
zurückscheucht, deren sich der verwegenste Satyr kaum erwehren kann.
Cleonissa besaß diese Vollkommenheit in einem Grade, der den
kaltsinnigsten Kennern des Schönen nichts daran zu tadeln übrig ließ; es
war unmöglich sie ohne Bewunderung anzusehen. Aber die ungemeine
Zurückhaltung, welche sie affektierte, das Majestätische, das sie ihrer
Miene, ihren Blicken und allen ihren Bewegungen zu geben wußte, mit dem
Ruf einer strengen Tugend, worein sie sich dadurch gesetzt hatte,
verstärkte die bemeldte natürliche Würkung ihrer Schönheit so sehr, daß
niemand kühn genug war, sich in die Gefahr zu wagen, den Ixion dieser Juno
abzugeben. Die Mittelmäßigkeit ihrer Herkunft, und sowohl der Stand als
die Vorsicht eines eifersüchtigen Ehmannes, hatten sie während ihrer
ersten Jugend in einer so großen Entfernung von der Welt gehalten, daß sie
eine ganz neue Erscheinung war, als Philistus (der sie, wir wissen nicht
wie, aufgespart, und Mittel gefunden hatte, sie mit guter Art zur Witwe zu
machen) sie in Qualität seiner Gemahlin an den Hof der Prinzessinnen
brachte; unter welchen Namen die Mutter, die Gemahlin, und die Schwestern
des Dionys begriffen wurden. Nicht viel geneigter als sein Vorgänger,
eine Frau von so besondern Vorzügen mit einem andern, und wenn es Jupiter
selbst gewesen wäre, zu teilen, hatte er anfangs alle Behutsamkeit
gebraucht, welche der geizige Besitzer eines kostbaren Schatzes nur immer
anwenden kann, um ihn vor der schlauesten Nachstellung zu verwahren. Aber
die Tugend der Dame, und die herrschende Neigung, welche Dionys in den
ersten Jahren seiner Regierung für diejenige Klasse von Schönen zeigte,
welche nicht so viel Schwierigkeiten machen; vielleicht auch eine gewisse
Laulichkeit, welche die Eigentümer dieser wundertätigen Schönheiten
gemeiniglich nach Verfluß zweier oder dreier Jahre, oft auch viel früher,
unvermerkt zu überschleichen pflegt; hatten seine Eifersucht so zahm
gemacht, daß er in der Folge kein Bedenken trug, sie den Prinzessinnen so
oft sie wollten zur Gesellschaft zu überlassen. Wir wollen nicht
untersuchen, ob Cleonissa damals würklich so tugendhaft war, als die
Sprödigkeit ihres Betragens gegen die Manns-Personen und die strengen
Maximen, wornach sie andre von ihrem Geschlecht beurteilte, zu beweisen
schienen. Genug daß die Prinzessinnen, und was noch mehr ist, ihr Gemahl,
vollkommen davon überzeugt waren, und daß sich noch keiner von den
Höflingen unterstanden hatte, eine so ehrwürdige Tugend auf die Probe zu
setzen. Während der Zeit, da Plato in so großem Ansehen bei Dionysen
stund, war Cleonissa eine von den eifrigsten Verehrerinnen dieses Weisen,
und diejenige, welche den erhabenen Jargon seiner Philosophie am
geläufigsten reden lernte. Es mag nun aus Begierde sich durch ihren Geist
eben so sehr als durch ihre Figur über die übrigen ihres Geschlechts zu
erheben, (eine ziemlich gewöhnliche Schwachheit der eigentlich so
genannten Schönen,) oder aus irgend einem reinern Beweggrunde geschehen
sein; so ist gewiß, daß sie alle Gelegenheiten den göttlichen Plato zu
hören mit solcher Begierlichkeit suchte, eine so ausnehmende Hochachtung
für seine Person, einen so unbedingten Glauben an seine Begriffe von
Schönheit und Liebe, und alle übrige Teile seines Systems zeigte, und mit
einem Wort, in kurzer Zeit, an Leib und Seele einer Platonischen Idee so
ähnlich sah: Daß dieser weise Mann, stolz auf eine solche Schülerin, durch
den besondern Vorzug, den er ihr gab, die allgemeine Meinung von ihrer
Weisheit unendlich erhöhte. Es ist wahr, es wäre nur auf ihn angekommen,
bei gewissen Gelegenheiten gewisse Beobachtungen in ihren schönen Augen zu
machen, welche ihn ohne eine lange Reihe von Schlüssen auf die Vermutung
hätten bringen können, daß es nicht unmöglich sein würde, diese Göttin zu
humanisieren. Aber der gute Plato hatte damals schon über sechzig Jahre,
und machte keine solche Beobachtungen mehr. Cleonissa blieb also in dem
Ansehen eines lebendigen Beweises des Platonischen Lehrsatzes, daß die
äußerliche Schönheit ein Widerschein der intellektualischen Schönheit des
Geistes sei; das Vorurteil für ihre Tugend hielt dem Eindruck, welchen
ihre Reizungen hätten machen können, das Gleichgewicht; und sie hatte das
Vergnügen, die vollkommne Gleichgültigkeit, welche Dionys für sie behielt,
der Weisheit ihres Betragens zu zuschreiben, und sich dadurch ein neues
Verdienst bei den Prinzessinnen zu machen.


Aber--o! wie wohl läßt sich jener Solonische Ausspruch, daß man niemand
vor seinem Ende glücklich preisen solle, auch auf die Tugend der Heldinnen
anwenden! Cleonissa sah den Agathon, und--hörte in diesem Augenblick auf
Cleonissa zu sein--Nein, das eben nicht; ob es gleich nach dem
Platonischen Sprachgebrauch richtig gesprochen wäre; aber sie bewies, daß
die Prinzessinnen, und sie selbst, und ihr Gemahl, und der Hof, und die
ganze Welt, den göttlichen Plato mit eingeschlossen, sich sehr geirret
hatten, sie für etwas anders zu halten als sie war, und als sie einem
jeden mit Vorurteilen unbefangenen Beobachter, einem Aristipp zum Exempel,
in der ersten Stunde zu sein scheinen mußte.

Sich über einen so natürlichen Zufall zu verwundern, würde unseren
Bedünken nach, eine große Sünde gegen das nie genug anzupreisende Nil
admirari sein, in welchem (nach der Meinung erfahrner Kenner der
menschlichen Dinge) das eigentliche große Geheimnis der Weisheit,
dasjenige was einen wahren Adepten macht, verborgen liegt. Die schöne
Cleonissa war ein Frauenzimmer, und hatte also ihren Anteil an den
Schwachheiten, welche die Natur ihrem Geschlecht eigen gemacht hat, und
ohne welche diese Hälfte der menschlichen Gattung weder zu ihrer
Bestimmung in dieser sublunarischen Welt so geschickt, noch in der Tat, so
liebenswürdig sein würde als sie ist. Ja wie wenig Verdienst würde selbst
ihrer Tugend übrig bleiben, wenn sie nicht durch eben diese Schwachheiten
auf die Probe gesetzt würde?

Dem sei nun wie ihm wolle, die Dame fühlte, so bald sie unsern Helden
erblickte, etwas, das die Tugend einer gewöhnlichen Sterblichen hätte
beunruhigen können. Aber es gibt Tugenden von einer so starken Komplexion,
daß sie durch nichts beunruhiget werden; und die ihrige war von dieser
Art. Sie überließ sich den Eindrücken, welche ohne Zutun ihres Willens
auf sie gemacht wurden, mit aller Unerschrockenheit, welche ihr das
Bewußtsein ihrer Stärke geben konnte. Die Vollkommenheit des Gegenstandes
rechtfertigte die außerordentliche Hochachtung, welche sie für ihn
bezeugte. Große Seelen sind am geschicktesten, einander Gerechtigkeit
widerfahren zu lassen; und ihre Eigenliebe ist so sehr dabei interessiert,
daß sie die Parteilichkeit für einander sehr weit treiben können, ohne
sich dadurch besonderer Absichten verdächtig zu machen. Ein so unedler
Verdacht konnte ohnehin nicht auf die erhabene Cleonissa fallen; indessen
war doch nichts natürlicher, als die Erwartung, daß sie in unserm Helden
eben diesen, wo nicht einen noch höhern Grad der Bewunderung erwecken
werde, als sie für ihn empfand. Diese Erwartung verwandelte sich eben so
natürlich in ein mit Unmut vermischtes Erstaunen, da sie sich darin
betrogen sah; und was konnte aus diesem Erstaunen anders werden, als eine
heftige Begierde, ihrer durch seine Gleichgültigkeit äußerst beleidigten
Eigenliebe eine vollständige Genugtuung zu verschaffen? Auch wenn sie
selbst gleichgültig gewesen wäre, hätte sie mit Recht erwarten können, daß
ein so feiner Kenner ihren Wert zu empfinden, und eine Cleonissa von den
kleinern Sternen, welchen nur in ihrer Abwesenheit zu glänzen erlaubt war,
zu unterscheiden wissen werde. Wie sehr mußte sie sich also beleidiget
halten, da sie mit diesem edeln Enthusiasmus, womit die privilegierte
Seelen sich über die kleinen Bedenklichkeiten gewöhnlicher Leute
hinwegsetzen, ihm entgegengeflogen war, und die Beweise ihrer
sympathetischen Hochachtung nicht so lange zurückzuhalten gewürdiget hatte,
bis sie von der seinigen überzeugt worden wäre? Da es nur von ihrer
Eigenliebe abhing, die Größe des Unrechts nach der Empfindung ihres eignen
Werts zu bestimmen; so war die Rache, welche sie sich an unserm Helden zu
nehmen versetzte, die grausamste, welche nur immer in das Herz einer
beleidigten Schönen kommen kann. Sie wollte die ganze vereinigte Macht
aller ihrer intellektualischen und körperlichen Reizungen, verstärkt durch
alle Kunstgriffe der schlauesten Koketterie (wovon ein so allgemeines
Genie als das ihrige wenigstens die Theorie besitzen mußte) dazu anwenden,
ihren Undankbaren zu ihren Füßen zu legen; und wenn sie ihn durch die
gehörige Abwechslungen von Furcht und Hoffnung endlich in den kläglichen
Zustand eines von Liebe und Sehnsucht verzehrten Seladons gebracht, und
sich an dem Schauspiel seiner Seufzer, Tränen, Klagen, Ausrufungen und
aller andern Ausbrüche der verliebten Torheit lange genug ergötzt haben
würde--ihn endlich auf einmal die ganze Schwere der kaltsinnigsten
Verachtung fühlen lassen. So wohlausgesonnen diese Rache war; so eifrig
und mit so vieler Geschicklichkeit wurden die Anstalten dazu ins Werk
gesetzt; und wir müssen gestehen, daß wenn der Erfolg eines Projekts
allein von der guten Ausführung abhinge, die schöne Cleonissa den
vollständigsten Triumph hätte erhalten müssen, der jemals über den Trotz
eines widerspenstigen Herzens erhalten worden wäre. Ob diese Dame, wenn
Agathon sich in ihrem Netze gefangen hätte, fähig gewesen wäre, die Rache
so weit zu treiben als sie sich selbst versprochen hatte?--ist eine
problematische Frage, deren Entscheidung vielleicht sie selbst, wenn der
Fall sich ereignet hätte, in keine kleine Verlegenheit gesetzt haben würde.
Aber Agathon ließ es nicht so weit kommen. Er legte eine neue Probe ab,
daß es nur einer Danae gegeben war, die schwache Seite von seinem Herzen
ausfündig zu machen. Cleonissa hatte bereits die Hälfte ihrer Künste
erschöpft, ehe er nur gewahr wurde, daß ein Anschlag gegen ihn im Werke
sei; und von dem Augenblick, da er es gewahr wurde, stieg sein Kaltsinn,
nach dem Verhältnis wie ihre Bemühungen sich verdoppelten, auf einen
solchen Grad; oder deutlicher zu reden, der Absatz, den ihre zuletzt bis
zur Unanständigkeit getriebene Nachstellungen mit der affektierten
Erhabenheit ihrer Denkungs-Art, und mit der Majestät ihrer Tugend machten,
tat eine so schlimme Würkung bei ihm, daß die schöne Cleonissa sich
genötiget sah, die Hoffnung des Triumphs, womit sich ihre Eitelkeit
geschmeichelt hatte, gänzlich aufzugeben. Die Wut, in welche sie dadurch
gesetzt wurde, verwandelte sich nach und nach in den vollständigsten Haß,
der jemals (mit Shakespear zu reden) die Milch einer weiblichen Brust in
Galle verwandelt hat. Alles was sie ihrer Tugend in diesen Umständen zu
tun gab, war, die Bewegungen dieser Leidenschaft so geschickt zu verbergen,
daß weder der Hof noch Agathon selbst gewahr wurde, mit welcher Ungeduld
sie sich nach einer Gelegenheit sehnte, ihn die Würkungen davon empfinden
zu lassen.

In dieser Situation befanden sich die Sachen, als Dionys, des ruhigen
Besitzes der immer gefälligen Bacchidion, und ihrer Tänze überdrüssig,
sich zum ersten mal einfallen ließ, die Beobachtung zu machen, daß
Cleonissa schön sei. Er hatte sie noch nicht lange mit einiger
Aufmerksamkeit beobachtet, so deuchte ihn, daß er noch nie keine so schöne
Kreatur gesehen habe; und nun fing er an sich zu verwundern, daß er diese
Beobachtung nicht eher gemacht habe. Endlich erinnerte er sich, daß die
Dame sich jederzeit durch eine sehr spröde Tugend und einen erklärten Hang
für die Metaphysik unterschieden hatte; und nun zweifelte er nicht mehr,
daß es dieser Umstand gewesen sein müsse, was ihn verhindert habe, ihrer
Schönheit eher Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Eine Art von
maschinalischer Ehrfurcht vor der Tugend, die von seiner Indolenz und der
furchtbaren Vorstellung herkam, welche er sich von den Schwierigkeiten sie
zu besiegen in den Kopf gesetzt hatte, würde ihn vielleicht auch diesesmal
in den Grenzen einer untätigen Bewunderung gehalten haben, wenn nicht
einer von diesen kleinen Zufällen, welche so oft die Ursachen der
größesten Begebenheiten werden, seine natürliche Trägheit auf einmal in
die ungeduldigste Leidenschaft verwandelt hätte. Da dieser Zufall
jederzeit eine Anekdote geblieben ist, so können wir nicht gewiß sagen, ob
es (wie einige Sicilianische Geschichtschreiber vorgeben) der nämliche
gewesen, wodurch in neuern Zeiten die Schwester des berühmten Herzogs von
Marlborough den ersten Grund zu dem außerordentlichen Glück ihrer Familie
gelegt haben soll; oder ob er sie vielleicht von ungefähr in dem Zustand
überrascht haben mochte, worin der Actäon der Poeten das Unglück hatte,
die schöne Diana zu erblicken. Das ist indessen ausgemacht, daß von
dieser geheimen Begebenheit an, die Leidenschaft und die Absichten des
Dionys einen Schwung nahmen, wodurch sich die Tugend der allzuschönen
Cleonissa in keine geringe Verlegenheit gesetzt befand, wie sie in einer
so schlüpfrigen Situation dasjenige, was sie sich selbst schuldig war, mit
den Pflichten gegen ihren Prinzen vereinigen wollte. Dionys war so
dringend, so unvorsichtig--und sie hatte so viele Personen in Acht zu
nehmen--sie, die in jedem andern Frauenzimmer eine Nebenbuhlerin hatte,
und bei jedem Schritt von hundert eifersüchtigen Augen belauret wurde,
welche nicht ermangelt haben würden, den kleinsten Fehltritt, den sie
gemacht hätte, durch eben so viele Zungen der ganzen Welt in die Ohren
flüstern zu lassen. Auf der einen Seite, ein von Liebe brennender König
zu ihren Füßen, bereit eine unbegrenzte Gewalt über ihn selbst und über
alles was er hatte, um die kleinste ihrer Gunstbezeugungen hinzugeben--auf
der andern, der glänzende Ruhm einer Tugend, welche noch kein Sterblicher
für fehlbar zu halten sich unterstanden hatte, das Vertrauen der
Prinzessinnen, die Hochachtung ihres Gemahls--Man muß gestehen, tausend
andre würden sich zwischen zweien auf so verschiedene Seiten ziehenden
Kräften nicht zu helfen gewußt haben. Aber Cleonissa wußte es, ob sie
sich gleich zum ersten mal in dieser Schwierigkeit befand, so gut, daß der
ganze Plan ihres Betragens sie schwerlich eine einzige schlaflose Nacht
kostete. Sie sah beim ersten Blick, wie wichtig die Vorteile waren,
welche sie in diesen Umständen von ihrer Tugend ziehen konnte. Das
nämliche Mittel, wodurch sie ihren Ruhm sicher stellen, und die
Freundschaft der Prinzessinnen erhalten konnte, war unstreitig auch
dasjenige, was den unbeständigen Dionys, bei dem vorsichtigen Gebrauch der
erforderlichen Aufmunterungen, auf immer in ihren Fesseln behalten würde.
Sie setzte also seinen Erklärungen, Verheißungen, Bitten, Drohungen, (zu
den feinern Nachstellungen war er weder zärtlich noch schlau genug) eine
Tugend entgegen, welche ihn durch ihre Hartnäckigkeit notwendig hätte
ermüden müssen, wenn das Mitleiden mit dem Zustand, worein sie ihn zu
setzen gezwungen war, sie nicht zu gleicher Zeit vermocht hätte, seine
Pein durch alle die kleinen Palliative zu lindern, welche im Grunde für
eine Art von Gunstbezeugungen angesehen werden können, ohne daß gleichwohl
die Tugend, bei einem Liebhaber wie Dionys war, dadurch zuviel von ihrer
Würde zu vergeben scheint. Die zärtliche Empfindlichkeit ihres
Herzens--die Gewalt welche sie sich antun mußte, einem so liebenswürdigen
Prinzen zu widerstehen--die stillschweigenden Geständnisse ihrer
Schwachheit, welche zu eben der Zeit, da sie ihm den entschlossensten
Widerstand tat, ihrem schönen Busen wider ihren Willen entflohen--o!
tugendhafte Cleonissa! Was für eine gute Aktrice warest du!--Was hätte
Dionys sein müssen, wenn er bei solchen Anscheinungen die Hoffnung
aufgegeben hätte, endlich noch glücklich zu werden?

Inzwischen war, ungeachtet aller Behutsamkeit, welche Cleonissa, und
Dionys selbst gebrauchte, die Leidenschaft dieses Prinzen, und die
unüberwindliche Tugend seiner Göttin, ein Geheimnis, welches der ganze Hof
wußte, wenn man schon nicht dergleichen tat, als ob man Augen oder Ohren
hätte. Cleonissa hatte die Vorsicht gebraucht, die Schwestern des Prinzen,
von dem Augenblicke, da sie an seiner Leidenschaft nicht mehr zweifeln
konnte, zu ihren Vertrauten zu machen; diese hatten wieder im Vertrauen
alles seiner Gemahlin entdeckt, und die Gemahlin seiner Mutter. Die
Prinzessinnen, welche seine bisherigen Ausschweifungen immer vergebens
beseufzet, und besonders gegen die arme Bacchidion einen Widerwillen
gefaßt hatten, wovon sich kein andrer Grund, als die launische
Denkungs-Art dieser Damen angeben läßt, waren erfreut, daß seine Neigung
endlich einmal auf einen tugendhaften Gegenstand gefallen war. Die
ausnehmende Klugheit der schönen Cleonissa machte ihnen Hoffnung, daß es
ihr gelingen würde, ihn unvermerkt auf den rechten Weg zu bringen.
Cleonissa erstattete ihnen jedes mal getreuen Bericht von allem was
zwischen ihr und ihrem Liebhaber vorgegangen war--oder doch von allem, was
die Prinzessinnen davon zu wissen nötig hatten; alle Maßregeln, wie sie
sich gegen ihn betragen sollte, wurden in dem Cabinet der Königin
abgeredet; und diese gute Dame, welche das Unglück hatte, die
Kaltsinnigkeit ihres Gemahls gegen sie lebhafter zu empfinden, als es für
ihre Ruhe gut war, gab sich alle mögliche Bewegungen, die Bemühungen zu
befördern, welche von der tugendhaften Cleonissa angewandt wurden, den
Prinzen in die Schranken der Gebühr zurückzubringen. Alles dieses machte
eine Art von Intrigue aus, bei welcher, ungeachtet der anscheinenden Ruhe,
der ganze Hof in innerlicher Bewegung war. Der einzige Philistus,
derjenige der am meisten Ursache hatte, aufmerksam zu sein, wußte nichts
von allem was jedermann wußte; oder bewies doch wenigstens in seinem
ganzen Betragen eine so seltsame Sicherheit, daß wir, wenn uns das
außerordentliche Vertrauen nicht bekannt wäre, welches er in die Tugend
seiner Gemahlin zu setzen Ursache hatte, fast notwendig auf den Argwohn
geraten müßten, als ob er gewisse Absichten bei dieser Aufführung gehabt
haben könnte, welche seinem Charakter keine sonderliche Ehre machen würden.


Alles ging wie es gehen sollte; Dionys setzte die Belagerung mit der
äußersten Hartnäckigkeit und mit Hoffnungen fort, welche der tapfre
Widerstand der weisen Cleonissa ziemlich zweideutig machte--die Liebe
schien noch wenig über ihre Tugend erhalten zu haben, obgleich diese
allmählich anfing, von ihrer Majestät nachzulassen, und zu erkennen zu
geben, daß sie nicht ganz ungeneigt wäre, unter hinlänglicher Sicherheit
sich in ein geheimes Verständnis, in so fern es eine bloße Liebe der Seele
zur Absicht hätte, einzulassen--Die Prinzessinnen sahen mit dem
vollkommensten Vertrauen auf die keuschen Reizungen ihrer Freundin, der
Entwicklung des Stücks entgegen--und Philistus war von einer Gefälligkeit,
von einer Indolenz, wie man niemals gesehen hat: Als Agathon, zum Unglück
für ihn und für Sicilien, durch einen Eifer, der an einem Staats-Mann von
so vieler Einsicht kaum zu entschuldigen war, sich verleiten ließ, den
glücklichen Fortgang der verschiedenen Absichten, welchen
Dionys--Cleonissa--die Prinzessinnen--und vielleicht auch Philistus--schon
so nahe zu sein glaubten, durch seine unzeitige Dazwischenkunft zu
unterbrechen.




DRITTES KAPITEL

Große Fehler wider die Staats-Kunst, welche Agathon beging--Folgen davon


Die Vertraulichkeit, worin Dionys mit seinen Günstlingen zu leben pflegte,
und das natürliche Bedürfnis eines Verliebten, jemand zu haben, dem er
sein Leiden oder seine Glückseligkeit entdecken kann--hatten ihm nicht
erlaubt, dem Agathon aus seiner neuen Liebe ein Geheimnis zu machen; und
dieser trieb die Gefälligkeit anfänglich so weit, sich von dem
schwatzhaftesten Liebhaber, der jemals gewesen war, mit den
Angelegenheiten seines Herzens ganze Stunden durch Langeweile machen zu
lassen, in denen es dem guten Prinzen kein einziges mal einfiel, daß diese
Angelegenheiten einem dritten unmöglich so wichtig vorkommen könnten, als
sie ihm selbst waren. Ohne seine Wahl geradezu zu mißbilligen (wovon er
eine schlechte Würkung hätte hoffen können) begnügte er sich anfangs, ihm
die Schwierigkeiten, welche er bei einer Dame von so strenger und
systematischer Tugend finden würde, so fürchterlich abzumalen, daß er ihn
von einer Unternehmung, welche sich dem Ansehen nach, wenigstens in eine
entsetzliche Länge hinausziehen würde, abzuschrecken hoffte. Wie er aber
sah, daß Dionys anstatt durch den Widerstand, über den er sich beklagte,
ermüdet zu werden, von Tag zu Tag mehr Hoffnung schöpfte, diese
beschwerliche Tugend durch hartnäckig wiederholte Anfälle endlich selbst
abzumatten: So glaubte er der schönen Cleonissa nicht zu viel zu tun, wenn
er sie im Verdacht eines gekünstelten Betragens hätte, welches die
Leidenschaft des Prinzen zu eben der Zeit aufmunterte, da sie ihm alle
Hoffnung zu verbieten schien. Je schärfer er sie beobachtete, je mehr
Umstände entdeckte er, welche ihn in diesem Argwohn bestärkten; und da
seine natürliche Antipathie gegen die majestätischen Tugenden das ihrige
mit beitrug, so hielt er sich nun vollkommen überzeugt, daß die weise und
tugendhafte Cleonissa weder mehr noch weniger als eine Betrügerin sei,
welche durch einen erdichteten Widerstand zu gleicher Zeit sich in dem Ruf
der Unüberwindlichkeit zu erhalten, und den leichtgläubigen Dionys desto
fester in ihrem Garn zu verstricken im Sinne habe. Nunmehr fing er an die
Sache für ernsthaft anzusehen, und sich so wohl durch die Pflichten der
Freundschaft für einen Prinzen, für den er bei allen seinen Schwachheiten
eine Art von Zuneigung fühlte, als aus Sorge für den Staat, verbunden zu
halten, einem Verständnis, welches für beide sehr schlimme Folgen haben
könnte, sich mit Nachdruck zu widersetzen. Bacchidion, welche, ohne eine
so regelmäßige Schönheit zu sein, in seinen Augen unendlichmal
liebenswürdiger war als Cleonissa, schien ihm ihres Herzens--oder
richtiger zu reden, ihrer glücklichen Organisation wegen--ungeachtet des
gemeinen und gerechten Vorurteils gegen ihren Stand, in Vergleichung mit
dieser tugendhaften Dame eine sehr schätzbare Person zu sein: Und da sie
in der Unruhe, worein sie die immer zunehmende Kaltsinnigkeit des Prinzen
zu setzen anfing, ihre Zuflucht zu ihm nahm, so machte er sich desto
weniger Bedenken, sich ihrer mit etwas mehr Eifer als die Würde seines
Charakters vielleicht gestatten mochte, anzunehmen. Dionys liebte sie
nicht mehr; aber er maßte sich noch immer Rechte über sie an, welche nur
die Liebe geben sollte. Die schöne Bacchidion wurde nur zu deutlich
gewahr, daß sie nur die Stelle ihrer Nebenbuhlerin in seinen Armen
vertreten sollte; und ob sie gleich nur eine Tänzerin war, so deuchte sie
sich doch zu gut, Flammen zu lauschen, welche eine andere angezündet hatte.
Dionys schien bei der anhaltenden Strenge seiner neuen Gebieterin, einer
solchen Gefälligkeit mehr als jemals benötiget zu sein; und eben darum gab
ihr Agathon den Rat, an ihrem Teil auch die Grausame zu machen, und zu
versuchen, ob sie durch ein sprödes und launisches Betragen, mit einer
gehörigen Dosi von Koketterie vermischt, nicht mehr als durch zärtliche
Klagen und verdoppelte Gefälligkeit gewinnen würde. Dieser Rat hatte
einen so guten Erfolg, daß Agathon, der sich des Sieges zu früh versichert
hielt, itzo den gelegenen Augenblick gefunden zu haben glaubte, dem Dionys
offenherzig zu gestehen, wie wenig Achtung er für die angebliche Tugend
der Dame Cleonissa trage. Die Folgen der geheimen Unterredung, welche sie
mit einander über diese Materie hatten, entsprachen der Erwartung unsers
Helden nicht. Alles Nachteilige, was Agathon dem Prinzen von seiner neuen
Göttin sagen konnte, bewies höchstens, daß sie nicht so viel Hochachtung
verdiene als er geglaubt hatte; aber es verminderte seine Begierden nicht;
desto besser für seine Absichten, wenn sie nicht so tugendhaft war.
Diesen edlen Gedanken ließ er zwar den Agathon nicht sehen; aber Cleonissa
wurde ihn desto deutlicher gewahr. Dionys hatte nicht so bald erfahren,
daß die Tugend der Dame nur ein Popanz sei, so eilte er was er konnte,
Gebrauch von dieser Entdeckung zu machen, und setzte sie durch ein
Betragen in Erstaunen, welches mit seinem vorigen, und noch mehr mit der
Majestät ihres Charakters, einen höchst beleidigenden Kontrast machte.
Er war zwar Diskret genug, ihr nicht geradezu zu sagen, was für Begriffe
man ihm von ihr beigebracht habe; aber sein Bezeugen sagte es so deutlich,
daß sie nicht zweifeln konnte, es müßte ihr jemand schlimme Dienste bei
ihm geleistet haben. Dieser Umstand setzte sie in der Tat in keine
geringe Verlegenheit, wie sie dasjenige was sie ihrer beleidigten Würde
schuldig war, mit der Besorgnis, einen Liebhaber von solcher Wichtigkeit
durch allzuweit getriebene Strenge gänzlich abzuschrecken, zusammenstimmen
wollte. Allein ein Geist wie der ihrige weiß sich aus den schwierigsten
Situationen herauszuwickeln; und Dionys ging überzeugter als jemals von
ihr, daß sie die Tugend selbst, und allein durch die Stärke der Sympathie,
wodurch ihre zum ersten mal gerührte Seele gegen die seinige gezogen werde,
fähig werden könnte, die Hoffnungen dereinst zu erfüllen, welche sie ihm
weder erlaubte noch gänzlich verwehrte. Von dieser Zeit an nahm seine
Leidenschaft und das Ansehen dieser Dame von Tag zu Tag zu; die schöne
Bacchidion wurde förmlich abgedankt; und Agathon würde in den Augen seines
Herren gelesen haben, wenn er es nicht aus seinem eignen Munde vernommen
hätte, daß er gute Hoffnung habe, in wenigen Tagen den letzten Seufzer der
sterbenden Tugend von den Lippen der zärtlichen, und nur noch schwach
widerstehenden Cleonissa aufzufassen. Itzo glaubte er, daß es die höchste
Zeit sei einen Schritt zu tun, der nur durch die äußerste Notwendigkeit
gerechtfertiget werden konnte, aber seiner Meinung nach, das unfehlbarste
Mittel war, dieser gefährlichen Intrigue noch in Zeiten ein Ende zu machen.
Er ließ also den Philistus zu sich rufen, und entdeckte ihm mit der
ganzen Vertraulichkeit eines ehrlichen Mannes, der mit einem ehrlichen
Manne zu reden glaubt, die nahe Gefahr, worin seine Ehre und die Tugend
seiner Gemahlin schwebe. Freilich entdeckte er dem edeln Philistus nichts,
als was dieser in der Tat schon lange wußte; aber Philistus machte nichts
desto weniger den Erstaunten; indessen dankte er ihm mit der lebhaftesten
Empfindung für ein so unzweifelhaftes Merkmal seiner Freundschaft, und
versicherte, daß er auf ein schickliches Mittel bedacht sein wollte, seine
Gemahlin, von welcher er übrigens die beste Meinung von der Welt habe,
gegen alle Nachstellungen der Liebesgötter sicher zu stellen.

Man hat wohl sehr recht, uns die Lehre bei allen Gelegenheiten
einzuschärfen, daß man sich die Leute nach ihrer Weise verbindlich machen
müsse, und nicht nach der unsrigen. Agathon glaubte sich kein geringes
Verdienst um den Philistus gemacht zu haben, und würde nicht wenig über
die Apostrophen erstaunt gewesen sein, welche dieser würdige Minister an
ihn machte, so bald er sich wieder allein sah. In der Tat mußte es diesen
notwendig ungehalten machen, sich durch eine so unzeitige Vorsorge für
seine Ehre auf einmal aller Vorteile seiner bisherigen diskreten
Unachtsamkeit verlustiget zu sehen. Indessen konnte er nun, ohne sich in
Agathons Augen zum Verräter seiner eigenen Ehre zu machen, nicht anders;
er mußte den Eifersüchtigen spielen. Die Komödie bekam dadurch auf
etliche Tage einen sehr tragischen Schwung--Wie viel Mühe hätten sich die
Haupt-Personen dieser Farce ersparen können, wenn sie die Maske hätten
abnehmen, und sich einander in puris naturalibus zeigen wollen? Aber
diese Leute aus der großen Welt sind so pünktliche Beobachter des
Wohlstands!--und sind darum zu beloben; denn es beweiset doch immer, daß
sie sich ihrer wahren Gestalt schämen, und die Verbindlichkeit etwas
bessers zu sein als sie sind, stillschweigend anerkennen--Cleonissa
rechtfertigte sich also gegen ihren Gemahl, indem sie sich auf die
Prinzessinnen, als unverwerfliche Zeugen der untadelhaften Unschuld ihres
Betragens berief. Niemals ist ein erhabneres und pathetischeres Stück von
Beredsamkeit gehört worden, als die Rede war, wodurch sie ihm die
Unbilligkeit seines Verdachts vorhielt; und der gute Mann wußte sich
endlich nicht anders zu helfen, als daß er den Freund nannte, von dem er,
wiewohl aus guter Absicht, in diesen kleinen Anstoß einer, wie er nun
vollkommen erkannte, höchst unnötigen und sträflichen Eifersucht gesetzt
worden sei. Die Wut einer stürmischen See--einer zur Rache gereizten
Hornisse--oder einer Löwin, der ihre Jungen geraubt worden, sind nur
schwache Bilder in Vergleichung mit der Wut, in welche Cleonissens
tugendhafter Busen bei Nennung des Namens Agathon aufloderte. Würklich
war nichts mit ihr zu vergleichen, als die Wollust, womit der Gedanke sie
berauschte, daß sie es nun endlich in ihrer Gewalt habe, die lange
gewünschte Rache an diesem undankbaren Verächter ihrer Reizungen zu nehmen.
Sie mißhandelte den Dionys, (den sie für die unerträgliche Beleidigung,
welche sie von ihrem Gemahl erduldet hatte, zur Rechenschaft zog) so lange
und so grausam, bis er ihr, wiewohl ungern, (denn er wollte seinen
Günstling nicht aufopfern) entdeckte, wie wenig sie dem Agathon für seine
Meinung von ihr verbunden sei. Nunmehr klärte sich, wie sie sagte, das
ganze Geheimnis auf; und in der Tat mußte sie sich nur über ihre eigene
Einfalt verwundern, da sie sich eines bessern zu einem Manne versehen
hatte, von dessen Rache sie natürlicher Weise das Schlimmste hätte
erwarten sollen--Wenn Dionys bei diesen Worten stutzte, so kann man sich
einbilden, was er für eine Miene machte, da sie ihm, vermittelst einer
Konfidenz, wozu sie durch ihre eigene Rechtfertigung gezwungen war,
umständlich entdeckte, daß der Haß Agathons gegen sie allein daher
entsprungen sei, weil sie nicht für gut befunden habe, seine Liebe genehm
zu halten. Dieses war nun freilich nicht nach der Schärfe wahr. Aber da
sie nun einmal dahin gebracht war, sich selbst verteidigen zu müssen; so
war natürlich, daß sie es lieber auf Unkosten einer Person, die ihr
verhaßt war, als auf ihre eigene tat. So viel ist gewiß, daß sie ihre
Absicht dadurch mehr als zu gut erreichte. Dionys geriet in einen so
heftigen Anfall von Eifersucht über seinen unwürdigen Liebling--dieser
Mann, der der Liebe eines Dionys unwürdig war, war Agathon!--daß Cleonissa,
(welche besorgte, daß ein plötzlicher Ausbruch zu mißbeliebigen
Erläuterungen Anlaß geben könnte) alle ihre Gewalt über ihn anwenden mußte,
ihn zurückzuhalten. Sie bewies ihm die Notwendigkeit, einen Mann, der zu
allem Unglück der Abgott der Nation wäre, vorsichtig zu behandeln. Dionys
fühlte die Stärke dieses Beweises, und hassete den Agathon nur um so viel
herzlicher. Die Prinzessinnen mischten sich auch in die Sache, und legten
unserm Helden sehr übel aus, daß er, anstatt den Prinzen von
Ausschweifungen abzuhalten, eine Kreatur wie Bacchidion mit so vielem
Eifer in seinen Schutz genommen hatte. Man scheuete sich nicht, diesem
Eifer so gar einen geheimen Beweggrund zu leihen; und Philistus brachte
unter der Hand verschiedene Zeugen auf, welche in dem Cabinet des Prinzen
verschiedene Umstände aussagten, die ein zweideutiges Licht auf die
Enthaltsamkeit unsers Helden und die Treue der schönen Bacchidion zu
werfen schienen. Dieser Minister fand vermutlich die Absichten seines
Herrn auf seine tugendhafte Gemahlin so rein und unschuldig, daß es
anstößig, und lächerlich gewesen wäre, über die Freundschaft, womit er sie
beehrte, eifersüchtig zu sein. Ein täglicher Zuwachs der königlichen
Gunst rechtfertigte und belohnte eine so edelmütige Gefälligkeit.
Timocrat fand bei diesen Umständen Gelegenheit, sich gleichfalls wieder in
das alte Vertrauen zu setzen; und beide vereinigten sich nunmehr mit der
triumphierenden Cleonissa, den Fall unsers Helden desto eifriger zu
beschleunigen, je mehr sie ihn mit Versicherungen ihrer Freundschaft
überhäuften.

Wir haben in diesem und dem vorigen Kapitel ein so merkwürdiges Beispiel
gesehen, (und wollte Gott! diese Beispiele kämen uns nicht so oft im
Leben selbst vor) wie leicht es ist, einem lasterhaften Charakter, einer
schwarzen, hassenswürdigen Seele, den Anstrich der Tugend zu geben.
Agathon erfuhr nunmehr, daß es eben so leicht ist, die reineste Tugend mit
verhaßten Farben zu übersudeln. Er hatte dieses zu Athen schon erfahren;
aber bei der Vergleichung die er zwischen jenem Fall und seinem itzigen
anstellte, schienen ihm seine Atheniensische Feinde, im Gegensatz mit den
verächtlichen Kreaturen, denen er sich nun auf ein mal aufgeopfert sah, so
weiß zu werden, als sie ihm ehmals, da er noch keine schlimmere Leute
kannte, schwarz vorgekommen waren. Vermutlich verfälschte die
Lebhaftigkeit des gegenwärtigen Gefühls sein Urteil über diesen Punkt ein
wenig; denn in der Tat scheint der ganze Unterschied zwischen der
republikanischen und höfischen Falschheit darin zu bestehen, daß man in
Republiken genötiget ist, die ganze äußerliche Form tugendhafter Sitten
anzunehmen; da man hingegen an Höfen genug getan hat, wenn man den Lastern,
welche des Fürsten Beispiel adelt, oder wodurch seine Absichten befördert
werden, tugendhafte Namen gibt. Allein im Grunde ist es nicht ekelhafter,
einen hüpfenden, schmeichelnden, untertänigen, vergoldeten Schurken zu
eben der Zeit, da er sich vollkommen wohl bewußt ist, nie keine Ehre
gehabt zu haben, oder in diesem Augenblick im Begriff ist, wofern er eine
hätte, sie zu verlieren--von den Pflichten gegen seine Ehre reden zu hören;
als einen gesetzten, schwerfälligen, gravitätischen Schurken zu sehen,
der unter dem Schutz seiner Nüchternheit, Eingezogenheit und pünktlichen
Beobachtung aller äußerlichen Formalitäten der Religion und der Gesetze,
ein unversöhnlicher Feind aller derjenigen ist, welche anders denken als
er, oder nicht zu allen seinen Absichten helfen wollen; und sich nicht das
mindeste Bedenken macht, so bald es seine Konvenienz erfordert, eine gute
Sache zu unterdrücken, oder eine böse mit seinem ganzen Ansehen zu
unterstützen. Unparteiisch betrachtet, ist dieser noch der schlimmere
Mann; denn er ist ein eigentlicher Heuchler: Da jener nur ein Komödiant
ist, der nicht verlangt, daß man ihn würklich für das halten solle, wofür
er sich ausgibt; vollkommen zufrieden, wenn die Mitspielenden und
Zuschauer nur dergleichen tun, ohne daß es ihm einfällt sich zu bekümmern,
ob es ihr Ernst sei, oder nicht.

Agathon hatte nunmehr gute Muße, dergleichen Betrachtungen anzustellen;
denn sein Ansehen und Einfluß nahm zusehends ab. äußerlich zwar schien
alles noch zu sein, wie es gewesen war. Dionys und der ganze Hof
liebkoseten ihm so sehr als jemals, und die Dame Cleonissa selbst schien
es ihrer unwürdig zu halten, ihm einige Empfindlichkeit zu erkennen zu
geben. Aber desto mehr Mißvergnügen wurde ihm durch geheime, schleichende,
und indirekte Wege gemacht. Er mußte zusehen, wie nach und nach, unter
tausend falschen und nichtswürdigen Vorwänden, seine besten Anordnungen
als schlecht ausgesonnen, überflüssig, oder schädlich, wieder aufgehoben,
oder durch andere unnütze gemacht--wie die wenigen von seinen Kreaturen,
welche in der Tat Verdienste hatten, entfernt--wie alle seine Absichten
mißdeutet, alle seine Handlungen aus einem willkürlich falschen
Gesichts-Punkt beurteilt, und alle seine Vorzüge oder Verdienste
lächerlich gemacht wurden. Zu eben der Zeit, da man seine Talente und
Tugenden erhob, behandelte man ihn eben so, als ob er nicht das geringste
von den einen noch von den andern hätte. Man behielt zwar noch, aus
politischen Absichten (wie man es zu nennen pflegt) den Schein bei, als ob
man nach den nämlichen Grundsätzen handle, denen er in seiner
Staats-Verwaltung gefolget war: In der Tat aber geschah in jedem
vorkommenden Falle gerade das Widerspiel von dem, was er getan haben würde;
und kurz, das Laster herrschte wieder mit so despotischer Gewalt als
jemals.


Hier wäre es Zeit gewesen, die Clausul gelten zu machen, welche er seinem
Vertrag mit dem Dionys angehängt hatte, und sich zurückzuziehen, da er
nicht mehr zweifeln konnte, daß er am Hofe dieses Prinzen zu nichts mehr
nütze war. Und dieses war auch der Rat, den ihm der einzige von seinen
Hoffreunden, der ihm getreu blieb, der Philosoph Aristippus gab. "Du
hättest", sagte er ihm in einer vertraulichen Unterredung über den
gegenwärtigen Lauf der Sachen, "du hättest dich entweder niemals mit einem
Dionysius einlassen, oder an dem Platz, den du einmal angenommen hattest,
deine moralische Begriffe--oder doch wenigstens deine Handlungen nach den
Umständen bestimmen sollen. Auf diesem Theater der Verstellung, der
Betrügerei, der Intriguen, der Schmeichelei und Verräterei, wo Tugenden
und Pflichten bloße Rechen-Pfenninge, und alle Gesichter Masken sind; kurz,
an einem Hofe, gilt keine andre Regel als die Konvenienz, keine andre
Politik, als einen jeden Umstand mit unsern eignen Absichten so gut
vereinigen als man kann. Im übrigen ist es vielleicht eine Frage, ob du
so wohl getan hast, dich um einer an sich wenig bedeutenden Ursache willen
mit Dionysen abzuwerfen. Ich gestehe es, in den Augen eines Philosophen
ist die Tänzerin Bacchidion viel schätzbarer, als diese majestätische
Cleonissa, welche mit aller ihrer Metaphysik und Tugend weder mehr noch
weniger als eine falsche, herrschsüchtige und boshafte Kreatur ist.
Bacchidion hat dem Staat keinen Schaden getan, und Cleonissa wird
unendlich viel Böses tun -" "Aus dieser Betrachtung" (unterbrach ihn
Agathon) "habe ich mich für jene und gegen diese erklärt -" "Und doch war
es leicht vorherzusehen, daß Cleonissa siegen würde", sagte
Aristipp--"Aber ein rechtschaffener Mann, Aristipp, erklärt sich nicht für
die Partei, welche siegen wird, sondern für die, welche Recht, oder doch
am wenigsten Unrecht hat -" "Mein lieber Agathon, ein rechtschaffener Mann
muß, so bald er an einem Hofe leben will, sich eines guten Teils von
seiner Rechtschaffenheit abtun, um ihn seiner Klugheit zu zulegen. Ist
es nicht Schade, daß so viel Gutes, das du schon getan hast, so viel Gutes,
das du noch getan haben würdest, bloß darum verloren sein soll, weil du
eine schöne Dame nicht verstehen wolltest, da sie dir's so deutlich, daß
es der ganze Hof (einen einzigen ausgenommen) verstehen konnte, zu
erkennen gab, daß sie schlechterdings--geliebt sein wollte. Doch dieser
Fehler hätte sich vielleicht wieder gut machen lassen, wenn du nur
gefällig genug gewesen wärest, ihre Absichten auf Dionysen zu befördern.
Wolltest du auch dieses nicht, war es denn nötig ihr entgegen zu sein?
Was für Schaden würde daraus erfolgt sein, wenn du neutral geblieben
wärest? Die kleine Bacchidion würde nicht mehr getanzt haben, und
Cleonissa hätte die Ehre gehabt, ihren Platz einzunehmen, bis er ihrer
eben so wohl überdrüssig geworden wäre als so vieler andrer. Das wäre
alles gewesen. Und gesetzt, du hättest auch die Gewalt über ihn mit ihr
teilen müssen; so würdest du ihr wenigstens das Gleichgewicht gehalten,
und noch immer Ansehen genug behalten haben, viel Gutes zu tun. Dem
Schein nach in gutem Vernehmen mit ihr, würde dir dein Platz, und die
Vertraulichkeit mit dem Prinzen tausend Gelegenheiten gegeben haben, sie,
so bald ihre Gunstbezeugungen aufgehört hätten, etwas neues für ihn zu
sein, unvermerkt und mit der besten Art von der Welt wieder auf die Seite
zu schaffen--Aber ich kenne dich zu gut, Agathon; du bist nicht dazu
gemacht dich zu Verstellung, Ränken und Hofkünsten herabzulassen; dein
Herz ist zu edel, und wenn ich es sagen darf, deine Einbildungs-Kraft zu
warm, um dich jemals zu der Art von Klugheit zu gewöhnen, ohne welche es
unmöglich ist, sich lange in der Gunst der Großen zu erhalten. Auch kenne
ich den Hof nicht, welcher wert wäre, einen Agathon an seiner Spitze zu
haben. Das alles hätte ich dir ungefähr vorher sagen können, als ich dich
überreden half, dich mit Dionysen einzulassen; aber es war besser durch
deine eigne Erfahrung davon überzeugt zu werden. Ziehe dich itzt zurück,
ehe das Ungewitter, das ich aufsteigen sehe, über dich ausbrechen kann.
Dionys verdient keinen Freund wie du bist. Wie sehr hättest du dich
betrogen, wenn du jemals geglaubt hättest, daß er dich hochachte! Woher
sollte denen von seiner Art die Fähigkeit dazu kommen? Selbst damals, da
er am stärksten für dich eingenommen war, liebte er dich aus keinem andern
Grunde, als warum er seinen Affen und seine Papageien liebt--weil du ihm
Kurzweil machtest. Seine Gunst hätte eben so leicht auf einen andern
Neuangekommenen fallen können, der die Cither noch besser gespielt hätte
als du. Nein, Agathon, du bist nicht gemacht, mit solchen Leuten zu
leben--ziehe dich zurück; du hast genug für deine Ehre getan. Die Torheit
der neuen Staats-Verwaltung wird die Weisheit der deinigen am besten
rechtfertigen. Deine Handlungen, deine Tugenden, und ein ganzes Volk,
welches deine Zeiten zurückwünschen, und dein Andenken segnen wird, werden
dich am besten gegen die Verleumdungen und den albernen Tadel eines
kleinen Hofes voll Toren und schelmischer Sklaven verteidigen, deren Haß
dir mehr Ehre macht als ihr Beifall. Du befindest dich in Umständen, in
einem unabhängigen Privatstande mit Würde leben zu können. Deine Freunde
zu Tarent werden dich mit offnen Armen empfangen. Ich wiederhole es,
Agathon, verlaß einen Fürsten, der seiner Sklaven, und Sklaven die eines
solchen Fürsten wert sind; und denke nun daran, wie du selbst des Lebens
genießen wollest, nachdem du den Versuch gemacht, wie schwer, wie
gefährlich, und insgemein wie vergeblich es ist, für andrer Glück zu
arbeiten."

So sprach Aristipp; und Agathon würde wohl getan haben, einem so guten
Rate zu folgen. Aber wie sollte es möglich sein, daß derjenige, welcher
selbst eine Haupt-Rolle in einem Stücke spielt, so gelassen davon urteilen
sollte, als ein bloßer Zuschauer? Agathon sah die Sachen aus einem ganz
andern Gesichts-Punkt. Er betrachtete sich als einen Mann, der die
Verbindlichkeit auf sich genommen habe, die Wohlfahrt Siciliens zu
befördern. "Warum kam ich nach Syracus?"--sagte er zu sich selbst--"und
mit welchen Absichten übernahm ich das Amt eines Freundes und Ratgebers
bei diesem Tyrannen? Tat ich es, um ein Sklave seiner Leidenschaften, oder
ein Werkzeug der Tyrannie zu sein? Oder hatte ich einen großen und
rechtschaffenen Zweck? Würde ich mich jemals mit ihm eingelassen haben,
wenn er mir nicht Hoffnung gemacht hätte, daß die Tugend endlich die
Oberhand über seine Laster erhalten würde? Er hat mich betrogen, und die
Erfahrungen, die ich von seiner Gemüts-Art habe, überzeugen mich, daß er
unverbesserlich ist. Aber würde es edel von mir gehandelt sein, ein Volk,
dessen Wohlfahrt der Endzweck meiner Bemühungen war, ein Volk, welches
mich als seinen Wohltäter ansieht, den Launen dieses weibischen Menschen,
und der Raubsucht seiner Schmeichler und Sklaven Preis zu geben? Was für
Pflichten hab' ich gegen ihn, welche sein undankbares, niederträchtiges
Verfahren gegen mich nicht aufgehoben, und vernichtet hätte? Oder wenn
ich noch Pflichten gegen ihn habe; sind nicht diejenigen unendlichmal
heiliger, welche mich an ein Land binden, das durch meine Wahl, und die
Dienste, die ich ihm geleistet habe, mein zweites Vaterland worden
ist?--Wer ist denn dieser Dionys? Was für ein Recht hat er an die höchste
Gewalt, der er sich anmaßt? Wem anders als dem Agathon hat er das einzige
Recht zu danken, worauf er sich mit einigem Schein berufen kann? Seit
wenn ist er aus einem von aller Welt verabscheueten Tyrannen ein König
geworden, als seit dem ich ihm durch eine gerechte und wohltätige
Regierung die Liebe des Volks zugewandt habe? Er ließ mich arbeiten; er
verbarg seine Laster hinter meine Tugenden; eignete sich meine Verdienste
zu, und genoß die Früchte davon, der Undankbare!--und nun, da er sich
stark genug glaubt, mich entbehren zu können, überläßt er sich wieder
seinem eigenen Charakter, und fängt damit an, alles Gute das ich in seinem
Namen getan habe, wieder zu vernichten; gleich als ob er sich schäme, eine
Zeitlang aus seinem Charakter getreten zu sein, und als ob er nicht genug
eilen könne, die ganze Welt zu belehren, daß es Agathon, nicht Dionys
gewesen sei, der den Sicilianern eine Morgenröte beßrer Zeiten gezeigt,
und Hoffnung gemacht, sich von den Mißhandlungen einer Reihe schlimmer
Regenten wieder zu erholen. Was würd' ich also sein, wenn ich sie in
solchen Umständen verlassen wollte, wo sie meiner mehr als jemals
benötiget sind? Nein--Dionys hat Beweise genug gegeben, daß er
unverbesserlich ist, und durch die Nachsicht gegen seine Laster nur in der
lächerlichen Einbildung bestärkt wird, daß man ihnen Ehrfurcht schuldig
sei. Es ist Zeit der Komödie ein Ende zu machen, und diesem kleinen
Theater-Könige den Platz anzuweisen, wozu ihn seine persönliche
Eigenschaften bestimmen."

Unsere Leser sehen aus dieser Probe der geheimen Gespräche, welche Agathon
mit sich selbst hielt, daß er noch weit davon entfernt ist, sich von
diesem enthusiastischen Schwung der Seele Meister gemacht zu haben, der
bisher die Quelle seiner Fehler sowohl als seiner schönsten Taten gewesen
ist. Wir haben keinen Grund in die Aufrichtigkeit dieses Monologen
einigen Zweifel zu setzen; seine Seele war gewohnt, aufrichtig gegen sich
selbst zu sein. Wir können also als gewiß annehmen, daß er zu dem
Entschluß, eine Empörung gegen den Dionys zu erregen, durch eben so
tugendhafte Gesinnungen getrieben zu werden glaubte, als diejenigen waren,
welche fünfzehn Jahre später einen der edelsten Sterblichen, die jemals
gelebt haben, den Timoleon von Corinth, aufmunterten, die Befreiung
Siciliens zu unternehmen. Allein es ist darum nicht weniger gewiß, daß
die lebhafte Empfindung des persönlichen Unrechts, welches ihm zugefüget
wurde, der Unwille über die Undankbarkeit des Dionys, und der Verdruß sich
einer verachtenswürdigen Buhler-Intrigue aufgeopfert zu sehen, einen
großen Einfluß in seine gegenwärtige Denkens-Art gehabt, und zur
Entzündung dieses heroischen Feuers, welches in seiner Seele brannte,
nicht wenig beigetragen habe. Im Grunde hatte er keine andre Pflichten
gegen die Sicilianer, als welche aus seinem Vertrag mit dem Dionys
entsprangen, und vermöge eben dieses Vertrags aufhörten, so bald diesem
seine Dienste nicht mehr angenehm sein würden. Syracus war nicht sein
Vaterland. Dionys hatte durch die stillschweigende Anerkenntnis der
Erbfolge, kraft deren er nach seines Vaters Tode den Thron bestieg, eine
Art von Recht erlangt. Agathon selbst würde sich nicht in seine Dienste
begeben haben, wenn er ihn nicht für einen rechtmäßigen Fürsten gehalten
hätte. Die nämlichen Gründe, welche ihn damals bewogen hatten, die
Monarchie der Republik vorzuziehen, und aus diesem Grunde sich bisher den
Absichten des Dion zu widersetzen, bestunden noch in ihrer ganzen Stärke.
Es war sehr ungewiß, ob eine Empörung gegen den Dionys die Sicilianer
würklich in einen glücklichern Stand setzen, oder ihnen nur einen andern,
und vielleicht noch schlimmern Herrn geben würde, da sie schon so viele
Proben gegeben hatten, daß sie die Freiheit nicht ertragen könnten.
Dionys hatte Macht genug, seine Absetzung schwer zu machen; und die
verderblichen Folgen eines Bürgerkriegs waren die einzigen gewissen Folgen,
welche man von einer so zweifelhaften Unternehmung voraussehen
konnte--Alle diese Betrachtungen würden kein geringes Gewicht auf der
Waagschale einer kalten unparteiischen überlegung gemacht, und vermutlich
den entgegenstehenden Gründen das Gleichgewicht gehalten haben. Aber
Agathon war weder kalt noch unparteiisch; er war ein Mensch. Seine
Eigenliebe war an ihrem empfindlichsten Teil verletzt worden. Der Affekt,
in welchen er dadurch gesetzt werden mußte, gab allen Gegenständen, die er
vor sich hatte, eine andre Farbe. Dionys, dessen Laster er ehmals mit
freundschaftlichen Augen als Schwachheiten betrachtet hatte, stellte sich
ihm itzt in der häßlichen Gestalt eines Tyrannen dar. Je besser er vorhin
von Philistus gedacht hatte, desto abscheulicher fand er itzt seinen
Charakter, nachdem er ihn einmal falsch und niederträchtig gefunden hatte;
es war nichts so schlimm und schändlich, das er einem solchen Manne nicht
zutraute. Die reizenden Bilder, welche er sich von der Glückseligkeit
Siciliens unter seiner Verwaltung gemacht hatte, erhielten durch den Unmut,
sie vor seinen Augen vernichten zu sehen, eine desto größere Gewalt über
seine Einbildungs-Kraft. Es war ihm unerträglich, Leute, welche nur darum
seine Feinde waren, weil sie Feinde alles Guten, Feinde der Tugend und der
öffentlichen Wohlfahrt waren, einen solchen Sieg davontragen zu lassen.
Er hielt es für eine allgemeine Pflicht, sich den Unternehmungen der Bösen
zu widersetzen, und die Stelle, welche er beinahe zwei Jahre lang in
Sicilien behauptet hatte, machte (wie er glaubte) seinen Beruf zur
besondern Ausübung dieser Pflicht in gegenwärtigem Falle unzweifelhaft.
Diese Betrachtungen hatten, außer ihrer eigentümlichen Stärke, noch sein
Herz und seine Einbildungs-Kraft auf ihrer Seite; und mußten also
notwendig alles überwägen, was die Klugheit dagegen einwenden konnte.

Sobald Agathon seinen Entschluß genommen hatte, so arbeitete er an der
Ausführung desselben. Dion, welcher sich damals zu Athen befand, hatte
einen beträchtlichen Anhang in Sicilien, durch welchen er bisher alle
mögliche Bewegungen gemacht hatte, seine Zurückberufung von dem Prinzen zu
erhalten. Er hatte sich deshalben vorzüglich an den Agathon gewandt, so
bald ihm berichtet worden war, in welchem Ansehen er bei Dionysen stehe.
Aber Agathon dachte damals nicht so gut von dem Charakter Dions als die
Akademie zu Athen; eine Tugend, welche mit Stolz, Unbiegsamkeit und
Austerität vermischt war, schien ihm, wo nicht verdächtig, doch wenig
liebenswürdig; er besorgte mit einiger Wahrscheinlichkeit, daß die
Gemüts-Art dieses Prinzen ihn niemals ruhig lassen, und daß er, ungeachtet
seiner republikanischen Grundsätze, eben so ungelehrig sein würde, das
höchste Ansehen im Staat mit jemand zu teilen, als ohne Ansehen zu leben.
Er hatte also, anstatt seine Zurückberufung bei dem Dionys zu befördern,
diesen der äußersten Abneigung, die er davor zeigte, überlassen, und sich
durch diese Aufführung einiges Mißvergnügen von Seiten der Freunde Dions
zugezogen, welche es ihm eben so übel nahmen, daß er nichts für diesen
Prinzen tat, als ob er gegen ihn agiert hätte. Allein seitdem seine
eigene Erfahrung das schlimmste, was Dionysens Feinde von ihm denken
konnten, rechtfertigte, hatte sich auch seine Gesinnung gegen den Dion
gänzlich umgewandt. Dieser Prinz, welcher unstreitig große Eigenschaften
besaß, stellte sich ihm itzt unter dem Bilde eines rechtschaffenen Mannes
dar, in welchem der langwierige Anblick des gemeinen Elendes unter einer
heillosen Regierung, und die immer vergebliche Bemühung, dem reißenden
Strom der Verderbnis entgegen zu arbeiten, einen anhaltenden gerechten
Unmut erregt hat, der ungeachtet des Scheins einer gallsüchtigen
Melancholie, im Grunde die Frucht der edelsten Menschenliebe ist. Er
beschloß also, mit ihm gemeine Sache zu machen. Er entdeckte sich den
Freunden Dions, welche, erfreut über den Beitritt eines Mannes, der durch
seine Talente und seine Gunst beim Volke ihrer Partei das übergewicht zu
geben vermögend war, ihm hinwieder die ganze Beschaffenheit der
Angelegenheiten Dions, die Anzahl seiner Freunde, und die geheimen
Anstalten entdeckten, welche in Erwartung irgend eines günstigen Zufalls,
bereits zu seiner Zurückkunft nach Sicilien gemacht worden waren: Und so
wurde Agathon in kurzer Zeit aus einem Freund und ersten Minister des
Dionys, das Haupt einer Konspiration gegen ihn, an welcher alle diejenigen
Anteil nahmen, die aus edlern oder eigennützigern Bewegursachen, mit der
gegenwärtigen Verfassung unzufrieden waren. Agathon entwarf einen Plan,
wie die ganze Sache geführt werden sollte; und dieses setzte ihn in einen
geheimen Briefwechsel mit Dion, wodurch die bessere Meinung, welche einer
von dem andern zu fassen angefangen hatte, immer mehr befestiget wurde.
Der Hof, in Lustbarkeiten und ein wollüstiges Vergessen aller Gefahren
versunken, begünstigte den Fortgang der Konspiration durch eine
Sorglosigkeit, welche so wenig natürlich schien, daß die
Zusammenverschwornen dadurch beunruhiget wurden. Sie verdoppelten ihre
Wachsamkeit, und (was bei Unternehmungen von dieser Art am meisten zu
bewundern, und dennoch sehr gewöhnlich ist) ungeachtet der großen Anzahl
derjenigen, die um das Geheimnis wußten, blieb alles so verschwiegen, daß
dem Ansehen nach niemand auf einigen Argwohn verfallen wäre, wenn nicht
auf der einen Seite die Unwahrscheinlichkeit, daß Agathon seinen Fall
würklich so gleichgültig ansehen könne, als er es zu tun schien; und auf
der andern die Nachrichten, welche von den nicht sehr geheimen Zurüstungen
des Dion eingingen, den von Natur mißtrauischen Philistus endlich
aufmerksam gemacht hätten. Von diesem Augenblick an wurde Agathon und
alle diejenige, welche als Freunde Dions bekannt waren, von tausend
unsichtbaren Augen aufs schärfste beobachtet; und es glückte endlich dem
Philist, sich eines Sklaven zu bemächtigen, der mit Briefen an Agathon von
Athen gekommen war. Aus diesen Briefen, welche die Ursachen enthielten,
warum Dion die vorhabende Landung in Sicilien nicht sobald, als es unter
ihnen verabredet gewesen, ausführen könne, erhellete zwar deutlich, daß
Agathon und die übrigen Freunde Dions an der eigenmächtigen Wiederkunft
desselben Anteil hätten; aber von einem Anschlag gegen die gegenwärtige
Regierung und die Person des Dionys, war außer einigen unbestimmten
Ausdrücken, welche ein Geheimnis zu verbergen scheinen konnten, nichts
darin enthalten. Man kann sich die Bewegung vorstellen, welche diese
Entdeckung in dem Cabinet des Dionys verursachte. Man war sich Ursachen
genug bewußt, das ärgste zu besorgen; aber eben darum hielt Philistus für
ratsamer, die Sache als ein Staats-Geheimnis zu behandeln. Agathon wurde,
unter dem Vorwande verschiedener Staats-Verbrechen in Verhaft genommen,
ohne daß dem Publico etwas bestimmtes, am allerwenigsten aber die wahre
Ursache, bekannt wurde. Man fand für besser, die Partei des Dion, (welche
man sich aus Panischem Schrecken größer vorstellte als sie würklich war)
in Verlegenheit zu setzen, als zur Verzweiflung zu treiben; und gewann
indessen, daß man sich begnügte sie aufs genaueste zu beobachten, Zeit,
sich gegen einen feindlichen überfall in gehörige Verfassung zu setzen.


Wir sind es schon gewohnt, unsern Helden niemals größer zu sehen als im
widrigen Glücke. Auf das ärgste gefaßt, was er von seinen Feinden
erwarten konnte, setzte er sich vor, ihnen den Triumph nicht zu gewähren,
den Agathon zu etwas das seiner unwürdig wäre, erniedriget zu haben. Er
weigerte sich schlechterdings, dem Philistus und Timocrates, welche zu
Untersuchung seiner angeblichen Verbrechen ernannt waren, Antwort zu geben.
Er verlangte von dem Prinzen selbst gehört zu werden, und berief sich
deshalb auf den Vertrag, der zwischen ihnen errichtet worden war. Aber
Dionys hatte den Mut nicht, eine geheime Unterredung mit seinem ehmaligen
Günstling auszuhalten. Man versuchte es, seine Standhaftigkeit durch eine
harte Begegnung und Drohungen zu erschüttern; und die schöne Cleonissa
würde ihre Stimme zu dem strengesten Urteil gegeben haben, wenn die
Furchtsamkeit des Tyrannen, und die Klugheit seines Ministers gestattet
hätten, ihren Eingebungen zu folgen. Sie mußte sich also durch die
Hoffnung zufrieden stellen lassen, die man ihr machte, ihn, sobald man
sich den Dion, auf eine oder die andere Art, vom Halse geschafft haben
würde, zu einem öffentlichen Opfer ihrer Rache-dürstenden Tugend zu machen.


Inzwischen stunden die Freunde Agathons seinetwegen in desto größern
Sorgen, da sie seinen Feinden Bosheit genug zutrauten, dem Tyrannen das
ärgste gegen ihn einzugeben; und diesem Schwachheit genug, sich von ihnen
verführen zu lassen. Denn das Unvermögen ihren Lieblingen zu widerstehen,
macht öfters wollüstige Fürsten, wider ihre natürliche Neigung, grausam.
Sie wendeten also unter der Hand alles an, was ohne einen Aufstand zu
wagen, dessen Erfolg allzu unsicher gewesen wäre, die Rettung Agathons
befördern konnte. Dion gab bei dieser Gelegenheit eine Probe seiner
Großmut, indem er durch ein freundschaftliches Schreiben an Dionysen sich
verbindlich machte, seine Kriegs-Völker wieder abzudanken, und seine
Zurückberufung als eine bloße Gnade von dem guten Willen seines Prinzen zu
erwarten, in so fern Agathon freigesprochen würde, dessen einziges
Verbrechen darin bestehe, daß er sich für seine Zurückkunft in sein
Vaterland interessiert habe. So edel dieser Schritt war, und so wohlfeil
dern Dionys dadurch die Aussöhnung mit dem Dion angetragen wurde; so würde
er doch dem Agathon wenig geholfen haben, wenn seine italienischen Freunde
nicht geeilet hätten, dem Tyrannen einen noch dringendern Beweggrund
vorzulegen. Aber zu eben dieser Zeit langten Gesandte von Tarent an, um
im Namen des Archytas, welcher alles in dieser Republik vermochte, die
Freilassung seines Freundes zu bewürken, und im Notfall zu erklären, daß
diese Republik sich genötiget sehen würde, die Partei Dions mit ihrer
ganzen Macht zu unterstützen, wofern Dionys sich länger weigern wollte,
diesem Prinzen sowohl als dem Agathon vollkommne Gerechtigkeit widerfahren
zu lassen. Dionys kannte den Charakter des Archytas zu gut, um an dem
Ernst dieser Drohung zweifeln zu können. Er hoffte sich also am besten
aus der Sache zu ziehen, wenn er unter der Versicherung, daß er von einer
Aussöhnung mit seinem Schwager nicht abgeneigt sei, in die Entlassung
Agathons einwilligte. Aber dieser erklärte sich, daß er seine Entlassung
weder als eine Gnade von dem Dionys annehmen, noch der Fürbitte seiner
Freunde zu danken haben wolle. Er verlangte, daß die Verbrechen, um
derentwillen er in Verhaft genommen worden, öffentlich angezeigt, und in
Gegenwart des Dionys, der Gesandten von Tarent und der Vornehmsten zu
Syracus, untersucht, seine Rechtfertigung gehört, und sein Urteil nach den
Gesetzen ausgesprochen werden sollte. Da er sich bewußt war, daß außer
seinen neuerlichen Verbindungen mit dem Dion, welche leicht zu
rechtfertigen waren, seine boshaftesten Hässer nichts mit einigem Schein
der Wahrheit gegen ihn aufbringen könnten; so hatte er gut auf eine so
feierliche Untersuchung zu dringen. Aber dazu konnten es die Cleonissen
und die Philiste, und der Tyrann selbst, der bei allem diesem sehr
verlegen war, nicht kommen lassen; und da die Tarentiner ihnen keine Zeit
lassen wollten, die Sache in die Länge zu ziehen; so sahe Dionys sich
endlich genötiget, öffentlich zu erklären: Daß eine starke Vermutung, als
ob Agathon sich in eine Konspiration gegen ihn habe verwickeln lassen, die
einzige Ursache seines Verhafts gewesen sei; und daß er keinen Augenblick
anstehen wolle, ihm seine Freiheit wiederzugeben, sobald er sich, unter
Verbürgung der Tarentiner, durch ein feirliches Versprechen, auf keinerlei
Weise künftighin gegen Dionysen etwas zu unternehmen, sich von diesem
Verdacht am besten gereiniget haben werde. Die Bereitwilligkeit, womit
die Gesandten von Tarent sich diesen Antrag gefallen ließen, bewies, daß
es dem Archytas allein um die Befreiung Agathons zu tun war; und wir
werden vielleicht in der Folge den Grund entdecken, warum dieses Haupt
einer in diese Sache nicht unmittelbar verwickelten Republik, sich dieses
Punkts mit so außerordentlichem Eifer annahm. Aber Agathon, der seine
Freiheit keinem unedeln Schritt zu danken haben wollte, konnte lange nicht
überredet werden, eine Erklärung von sich zu geben, welche als eine Art
von Geständnis angesehen werden konnte, daß er die Partei, die er genommen
hatte, verleugne. Doch diese in Ansehung seiner Umstände, in der Tat
allzuspitzfündige Delikatesse mußte endlich der gründlichern Betrachtung
weichen, daß er durch Ausschlagung eines so billig scheinenden Verglichs
sich selbst in Gefahr setzen würde, ohne daß seiner Partei einiger Vorteil
dadurch zuginge; indem Dionys viel eher einwilligen würde, ihn in der
Stille aus dem Wege räumen zu lassen, als zu zugeben, daß er mit soviel
neuen Reizungen zur Rache die Freiheit bekommen sollte, der Faktion des
Dions wieder neues Leben einzuhauchen, und sich mit diesem Prinzen zu
seinem Untergang zu vereinigen. Die reizenden Schilderungen, so ihm die
Tarentiner von dem glücklichen Leben machten, welches in dem ruhigen
Schoße ihres Vaterlandes, und in der Gesellschaft seiner Freunde auf ihn
warte, vollendeten die Würkung, welche natürlicher Weise der gewaltsame
Zustand von Unruhe, Sorgen und heftigen Leidenschaften, worin er einige
Zeit her gelebt hatte, auf ein Gemüte wie das seinige machen mußte; und
gaben ihm zu gleicher Zeit den ganzen Abscheu vor dem geschäftigen Leben,
welchen er nach seiner Verbannung von Athen dagegen gefaßt, und den ganzen
Hang, welchen er zu Delphi für das Kontemplative gehabt hatte, wieder. Er
bequemte sich also endlich, einen Schritt zu tun, der ihm von den Freunden
Dions für eine feigherzige Verlassung der guten Sache ausgelegt wurde; in
der Tat aber das einzige war, was ihm in den Umständen, worin er sich
befand, vernünftiger Weise zu tun übrig blieb. Wie viel dunkle Stunden
würde er sich selbst, und wie viele Sorgen und Mühe seinen Freunden
erspart haben, wenn er dem Rate des weisen Aristippus ein paar Monate
früher gefolget hätte!

Einer von den zuverlässigsten und seltensten Beweisen der Tugend eines
ersten Ministers ist, wenn er armer oder doch wenigstens nicht reicher in
seine einsame Hütte zurückkehrt, als er gewesen war, da er auf den
Schauplatz des öffentlichen Lebens versetzt wurde. Die Epaminondas, die
Walsinghams, die More, und Tessins sind freilich zu allen Zeiten selten;
aber wenn etwas, welches den verstocktesten Tugend-Leugner, einen Hippias
selbst, zwingen muß, die Würklichkeit der Tugend zu gestehen, und auch
wider seinen Willen ihre Göttlichkeit zu erkennen: So sind es die
Beispiele solcher Männer. Der Himmel verhüte, daß ich die Hippiasse
jemals einer andern Widerlegung würdigen sollte! Sie mögen nach Aekerö
reisen! Und wenn sie den einzigen Anblick unter dem Himmel, auf welchen
(nach dem Ausdruck eines weisen Alten) die Gottheit selbst mit Vergnügen
herabsieht, wenn sie den ehrwürdigen Greis gesehen haben, der daselbst,
zufrieden mit der edeln beneidenswürdigen Armut des Fabricius und
Cincinnatus, doch zu tugendhaft um stolz darauf zu sein, die einzige
Belohnung eines langen, ruhmwürdigen, Gott, seinem Könige und seinem
Vaterland aufgeopferten Lebens in dem stillen Bewußtsein seiner Selbst,
und (so oft er seinen Telemach erblickt) in der Hoffnung, nicht ganz
umsonst gearbeitet zu haben, findet--und, vergessen, vielleicht so gar
verfolgt von einer undankbaren Zeit, sich ruhig in seine Tugend und den
Glauben einer bessern Unsterblichkeit einhüllt--wenn sie ihn gesehen haben,
diesen wahrhaftig großen Mann, und dieser Anblick nicht zu wege bringt,
was alle Diskurse der Platonen und Seneca nicht vermocht haben--Nun, so
mögen sie glauben was sie wollen, und tun, was sie ungestraft tun können;
sie verdienen eben so wenig Widerlegung, als ihre Besserung möglich
ist--"Und du, ruhmvoller und liebenswürdiger alter Mann, empfange dieses
wiewohl allzuvergängliche Denkmal von einem, dessen Feder niemals durch
feiles, oder gewinnsüchtiges Lob der Großen dieser Welt entweiht worden
ist--Ich habe keine Belohnung, keinen Vorteil von dir zu hoffen--du wirst
dieses niemals lesen--Meine Absicht ist rein, wie deine Tugend--empfange
dieses schwache Merkmal einer aufrichtigen Hochachtung von einem, der
wenig Hochachtungswürdiges unter der Sonne sieht--diese, und die
Dankbarkeit für die stillen Tränen der Entzückung, die ihm (in einem Alter,
wo seine Augen zu dieser reinsten Wollust der Menschlichkeit noch nicht
versieget waren) das Lesen deiner Tugend-atmenden Briefe aus den Augen
lockte--diese Empfindungen allein haben ihn bei dieser Gelegenheit
dahingerissen--er hat sich nicht entschließen können, seinem Herzen Gewalt
anzutun--und bittet niemand, der dieses Buch lesen wird, wegen dieser
Abschweifung um Verzeihung."

Agathon hatte über den Sorgen für die Wohlfahrt Siciliens, und über der
Bemühung andre glücklich zu machen, sich selbst so vollkommen vergessen,
daß er nicht reicher aus Syracus gegangen wäre, als er gewesen war, da er
Delphi verließ, oder da er aus Athen verbannt wurde; wenn ihm nicht zu
gutem Glücke, bald nach seiner Erhebung zu einer Würde, welche ihm in
allen Griechischen Staaten kein geringes Ansehen gab, ein Teil seines
väterlichen Vermögens wieder zugefallen wäre. Die Athenienser waren
damals eben zu gewissen Handlungs-Absichten der Freundschaft des Königs
Dionys benötiget; und fanden daher für gut, ehe sie sich um die
Vermittlung Agathons bewarben, ihm durch ihre Abgesandte ein Dekret
überreichen zu lassen, kraft dessen nicht nur sein Verbannungs-Urteil
aufgehoben, sondern auch der ganze Prozeß, wodurch er ehmals seines
väterlichen Erbguts beraubt worden war, kassiert, und der unrechtmäßige
Inhaber desselben verurteilt wurde, ihm alles unverzüglich wieder
abzutreten. Agathon hatte zwar großmütiger Weise nur die Hälfte davon
angenommen; und diese war nicht so beträchtlich, daß sie für die
Bedürfnisse eines Alcibiades oder Hippias zureichend gewesen wäre: Aber es
war noch immer mehr, als ein Weiser selbst von der Sekte des Aristippus,
nötig hätte, um frei, gemächlich und angenehm zu leben; und soviel war für
einen Agathon genug.

Unser Held verweilte sich, nach dem er wieder in Freiheit war, nicht
längere Zeit zu Syracus, als er gebrauchte, sich von seinen Freunden zu
beurlauben. Dionys, welcher (wie wir wissen) den Ehrgeiz hatte, alles mit
guter Art tun zu wollen, verlangte, daß er in Gegenwart seines ganzen
Hofes Abschied von ihm nehmen sollte. Er überhäufte ihn, bei dieser
Gelegenheit, mit Lobsprüchen und Liebkosungen, und glaubte, einen sehr
feinen Staatsmann zu machen, indem er sich stellte, als ob er ungern in
seine Entlassung einwillige, und als ob sie als die besten Freunde von
einander schieden. Agathon hatte die Gefälligkeit, diesen letzten
Auftritt der Komödie mitspielen zu helfen; und so entfernte er sich, in
Gesellschaft der Gesandten von Tarent, von jedermann beurteilt, von vielen
getadelt, und von den wenigsten, selbst unter denen, welche günstig von
ihm dachten, gekannt, aber von allen Rechtschaffenen vermißt und oft
zurückgeseufzt, aus einer Stadt und aus einem Lande, worin er das
Vergnügen hatte, viele Denkmäler seiner ruhmwürdigen Administration zu
hinterlassen; und aus welchem er nichts mit sich hinausnahm, als eine
Reihe von Erfahrungen, welche ihn in dem Entschluß bestärkten--keine andre
von dieser Art mehr zu machen.




VIERTES KAPITEL

Nachricht an den Leser


"Dank sei" (so ruft hier der Autor des griechischen Manuskripts, als einer,
dem es auf einmal ums Herz leichter wird, aus) "Dank sei den Göttern, daß
wir unsern Helden aus dem gefährlichsten aller schlimmen Orte, wohin ein
ehrlicher Mann verirren kann, unversehrt, und was beinahe unglaublich ist,
mit seiner ganzen Tugend davon gebracht haben! Er hat allerdings von
Glück zu sagen", fährt das Manuskript fort; "aber--beim Hund (dem großen
Schwur des weisen Socrates) was hatte er auch an einem Hofe zu tun? Er,
der sich weder zu einem Sklaven, noch zu einem Schmeichler, noch zu einem
Narren geboren fühlte, was wollte er am Hofe eines Dionysius machen?--Was
für ein Einfall--und wenn ist jemals ein solcher Einfall in das Gehirn
eines klugen Menschen gekommen?--einen lasterhaften Prinzen tugendhaft zu
machen!--Oder welcher rechtschaffene Mann, der einen Fond von gesunder
Vernunft und gutem Willen in sich gefühlt, ist jemals damit an einen Hof
gegangen, wenn er im Sinne hatte, von dem einen oder dem andern Gebrauch
zu machen?--Man muß gestehen, es ist eine ganz hübsche Sache um den
Enthusiasmus--eines Lycurgus, der aus einem Monarchen ein Bürger wird, um
sein Vaterland glücklicher zu machen--oder eines Leonidas, der mit
dreihundert eben so entschlossenen Männern als er selbst, sich dem Tode
weiht, um eben so vielen Myriaden von Barbaren den Mut, mit Griechen zu
fechten, zu benehmen. Doch so groß, so schön diese Taten sind; so sind
sie durch die Kräfte der Natur möglich, und diejenige, welche sie
unternahmen, konnten sich versprechen, daß sie ihre Absichten erreichen
würden. Aber wenn hat man jemals gehört, daß ein Mensch, oder ein Held,
der Sohn einer Göttin, oder eines Gottes, oder ein Gott selbst, dasjenige
zu Stande gebracht hätte, was Agathon unternahm, da er mit der Cither in
der Hand sich überreden ließ, der Mentor eines Dionys zu werden."

Auf diesen humoristischen Eingang, womit unser Autor dieses Kapitel
beginnt, folget eine lange, und wie es scheint, ein wenig milzsüchtige
Deklamation gegen diejenige Klasse der Sterblichen, welche man große
Herren nennt; mit verschiedenen Digressionen über die Maitressen--über die
Jagdhunde--und über die Ursachen, warum es für einen ersten Minister
gefährlich sei, zuviel Genie, zuviel Uneigennützigkeit, und zuviel
Freundschaft für seinen Herrn zu haben--So viel man sehen kann, ist dieses
Kapitel eines von den merkwürdigsten, und sonderbarsten in dem ganzen
Werke. Aber unglücklicher Weise, befindet sich das Manuskript an diesem
Ort halb von Ratten aufgegessen; und die andre Hälfte ist durch
Feuchtigkeit so übel zugerichtet worden, daß es leichter wäre, aus den
Blättern der Cumäischen Sibylle, als aus den Bruchstücken von Wörtern,
Sätzen und Perioden, welche noch übrig sind, etwas Zusammenhängendes
herauszubringen. Wir gestehen, daß uns dieser Verlust so nahe geht, daß
wir uns eher der sinnreichen Ergänzungen, welche Herr Naudot zum Petronius
in seinem Kopfe gefunden hat, oder der sämtlichen Werke des Ehrwürdigen
Paters *** beraubt wissen wollten. Indessen ist doch dieser Verlust in
Absicht des Lobes der großen Herren um so leichter zu ertragen, da wir
über den weiten Umfang der Einsichten, die Größe der Seelen, die edlen
Gesinnungen und den guten Geschmack, welcher ordentlicher Weise die großen
Herren von den übrigen Erden-Söhnen zu unterscheiden pflegt, in dem besten
und schlimmsten Buche (je nachdem es Leser bekommt; welches wir übrigens
ganz unpräjudizierlich und niemand zu Leide gesagt haben wollen) das in
unserm Jahrhundert zur Welt gekommen ist, in dem Buche des Herrn Helvetius,
alles gesagt finden, was sich über einen so reichen und edeln Stoff nur
immer sagen läßt. Eine gleiche Bewandtnis hat es mit der Digression über
die Maitressen, und über die Jagdhunde; über welche Materien der geneigte
Leser in des Grafen Anton Hamiltons Beiträgen zur Histoire amoureuse des
Hofes Carls des zweiten von England, und in den bewundernswürdigen
Schriften eines gewissen neuern Staatsmannes (den wir seiner
Bescheidenheit zu schonen, nicht nennen wollen) mehr als hinlängliche
Auskunft finden kann. Aber den Verlust der dritten Digression bedauren
wir von Herzen, indem, (nach der Versicherung eines der größesten
Bücher-Kenner von Europa) dermalen noch kein Buch in der Welt ist, in
welchem diese interessante und ziemlich verwickelte Materie recht
auseinandergesetzt und gründlich ausgeführt wäre. Zum Unglück ist dieses
Kapitel eben an diesem Ort am mangelhaftesten. Doch läßt sich aus einigen
Worten, welche zum Schlusse dieser Digression zu gehören scheinen,
abnehmen, daß der Verfasser neun und dreißig Ursachen angegeben habe; und
wir gestehen, daß wir begierig wären, diese neun und dreißig Ursachen zu
wissen.




FÜNFTES KAPITEL

Moralischer Zustand unsers Helden


Der Autor der alten Handschrift, aus welcher wir den größesten Teil dieser
Geschichte gezogen zu haben gestehen, triumphiert, wie man gesehen hat,
darüber, daß er seinen Helden mit seiner ganzen Tugend von einem Hofe
hinweggebracht habe. Es würde allerdings etwas sein, das einem Wunder
ganz nahe käme, wenn es sich würklich so verhielte; aber wir besorgen, daß
er mehr gesagt habe, als er der Schärfe nach zu beweisen im Stande wäre.
Wenn es nicht etwan moralische Amulete gibt, welche der ansteckenden
Beschaffenheit der Hofluft auf eben die Art widerstehen, wie der
Krötenstein dem Gift, so deucht uns ein wenig unbegreiflich, daß das
Getümmel des beschäftigten Lebens, die schädlichen Dünste der Schmeichelei,
welche ein Günstling, er wolle oder wolle nicht, unaufhörlich
einsaugt--die Notwendigkeit, von den Forderungen der Weisheit und Tugend
immer etwas nachzulassen, um nicht alles zu verlieren--und was noch
schädlicher als dieses alles ist, die unzählichen Zerstreuungen, wodurch
die Seele aus sich selbst herausgezogen wird, und über der Aufmerksamkeit
auf eine Menge kleiner vorbeirauschender Gegenstände, die Aufmerksamkeit
auf sich selbst verliert--nicht einige nachteilige Einflüsse in den
Charakter seines Geistes und Herzens gehabt haben sollten. Indessen


 


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