Hermann und Dorothea
by
Johann Wolfgang von Goethe








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Hermann und Dorothea

Johann Wolfgang Goethe



Inhalt:

Erster Gesang: Kalliope. Schicksal und Anteil
Zweiter Gesang: Terpsichore. Hermann
Dritter Gesang: Thalia. Die Bürger
Vierter Gesang: Euterpe. Mutter und Sohn
Fünfter Gesang: Polyhymnia. Der Weltbürger
Sechster Gesang: Klio. Das Zeitalter
Siebenter Gesang: Erato. Dorothea
Achter Gesang: Melpomene. Hermann und Dorothea
Neunter Gesang: Urania. Aussicht




Kalliope
Schicksal und Anteil

"Hab ich den Markt und die Straßen doch nie so einsam gesehen! Ist doch
die Stadt wie gekehrt! wie ausgestorben! Nicht funfzig, Deucht mir,
blieben zurück von allen unsern Bewohnern. Was die Neugier nicht tut!
So rennt und läuft nun ein jeder, Um den traurigen Zug der armen
Vertriebnen zu sehen. Bis zum Dammweg, welchen sie ziehn, ist's immer
ein Stündchen, Und da läuft man hinab, im heißen Staube des Mittags.
Möcht' ich mich doch nicht rühren vom Platz, um zu sehen das Elend Guter
fliehender Menschen, die nun, mit geretteter Habe, Leider, das
überrheinische Land, das schöne, verlassend, Zu uns herüberkommen und
durch den glücklichen Winkel Dieses fruchtbaren Tals und seiner Krümmungen
wandern. Trefflich hast du gehandelt, o Frau, daß du milde den Sohn fort
Schicktest, mit altem Linnen und etwas Essen und Trinken, Um es den Armen
zu spenden; denn Geben ist Sache des Reichen. Was der Junge doch fährt!
und wie er bändigt die Hengste! Sehr gut nimmt das Kütschchen sich aus,
das neue; bequemlich Säßen viere darin, und auf dem Bocke der Kutscher.
Diesmal fuhr er allein; wie rollt es leicht um die Ecke!" So sprach, unter
dem Tore des Hauses sitzend am Markte, Wohlbehaglich, zur Frau der Wirt
zum Goldenen Löwen.

Und es versetzte darauf die kluge verständige Hausfrau: "Vater, nicht
gerne verschenk ich die abgetragene Leinwand, Denn sie ist zu manchem
Gebrauch und für Geld nicht zu haben, Wenn man ihrer bedarf. Doch heute
gab ich so gerne Manches bessere Stück an Überzügen und Hemden, Denn ich
hörte von Kindern und Alten, die nackend dahergehn. Wirst du mir aber
verzeihn? denn auch dein Schrank ist geplündert. Und besonders den
Schlafrock mit indianischen Blumen, Von dem feinsten Kattun, mit feinem
Flanelle gefüttert, Gab ich hin; er ist dünn und alt und ganz aus der Mode."

Aber es lächelte drauf der treffliche Hauswirt und sagte: "Ungern vermiß
ich ihn doch, den alten kattunenen Schlafrock, Echt ostindischen Stoffs;
so etwas kriegt man nicht wieder. Wohl! ich trug ihn nicht mehr. Man
will jetzt freilich, der Mann soll Immer gehn im Surtout und in der
Pekesche sich zeigen, Immer gestiefelt sein; verbannt ist Pantoffel und
Mütze."

"Siehe!" versetzte die Frau, "dort kommen schon einige wieder, Die den
Zug mit gesehn; er muß doch wohl schon vorbei sein. Seht, wie allen die
Schuhe so staubig sind! wie die Gesichter Glühen! und jeglicher führt
das Schnupftuch und wischt sich den Schweiß ab. Möcht' ich doch auch in
der Hitze nach solchem Schauspiel so weit nicht Laufen und leiden!
Fürwahr, ich habe genug am Erzählten."

Und es sagte darauf der gute Vater mit Nachdruck: "Solch ein Wetter ist
selten zu solcher Ernte gekommen, Und wir bringen die Frucht herein, wie
das Heu schon herein ist, Trocken; der Himmel ist hell, es ist kein
Wölkchen zu sehen, Und von Morgen wehet der Wind mit lieblicher Kühlung.
Das ist beständiges Wetter! und überreif ist das Korn schon; Morgen
fangen wir an zu schneiden die reichliche Ernte."

Als er so sprach, vermehrten sich immer die Scharen der Männer Und der
Weiber, die über den Markt sich nach Hause begaben; Und so kam auch zurück
mit seinen Töchtern gefahren Rasch, an die andere Seite des Markts, der
begüterte Nachbar, An sein erneuertes Haus, der erste Kaufmann des Ortes,
Im geöffneten Wagen (er war in Landau verfertigt). Lebhaft wurden die
Gassen; denn wohl war bevölkert das Städtchen, Mancher Fabriken befliß man
sich da, und manches Gewerbes.

Und so saß das trauliche Paar, sich unter dem Torweg Über das wandernde
Volk mit mancher Bemerkung ergötzend. Endlich aber begann die würdige
Hausfrau und sagte: "Seht! dort kommt der Prediger her, es kommt auch der
Nachbar Apotheker mit ihm: die sollen uns alles erzählen, Was sie draußen
gesehn und was zu schauen nicht froh macht."

Freundlich kamen heran die beiden und grüßten das Ehpaar, Setzten sich auf
die Bänke, die hölzernen, unter dem Torweg, Staub von den Füßen schüttelnd,
und Luft mit dem Tuche sich fächelnd. Da begann denn zuerst, nach
wechselseitigen Grüßen, Der Apotheker zu sprechen und sagte, beinahe
verdrießlich: "So sind die Menschen fürwahr! und einer ist doch wie der
andre, Daß er zu gaffen sich freut, wenn den Nächsten ein Unglück befället!
Läuft doch jeder, die Flamme zu sehn, die verderblich emporschlägt, Jeder
den armen Verbrecher, der peinlich zum Tode geführt wird. Jeder spaziert
nun hinaus, zu schauen der guten Vertriebnen Elend, und niemand bedenkt,
daß ihn das ähnliche Schicksal Auch, vielleicht zunächst, betreffen kann,
oder doch künftig. Unverzeihlich find ich den Leichtsinn; doch liegt er
im Menschen."

Und es sagte darauf der edle verständige Pfarrherr, Er, die Zierde der
Stadt, ein Jüngling näher dem Manne. Dieser kannte das Leben und kannte
der Hörer Bedürfnis, War vom hohen Werte der heiligen Schriften
durchdrungen, Die uns der Menschen Geschick enthüllen und ihre Gesinnung;
Und so kannt' er auch wohl die besten weltlichen Schriften. Dieser
sprach: "Ich tadle nicht gern, was immer dem Menschen Für unschädliche
Triebe die gute Mutter Natur gab; Denn was Verstand und Vernunft nicht
immer vermögen, vermag oft Solch ein glücklicher Hang, der unwiderstehlich
uns leitet. Lockte die Neugier nicht den Menschen mit heftigen Reizen,
Sagt! erführ' er wohl je, wie schön sich die weltlichen Dinge
Gegeneinander verhalten? Denn erst verlangt er das Neue, Suchet das
Nützliche dann mit unermüdetem Fleiße; Endlich begehrt er das Gute, das
ihn erhebet und wert macht. In der Jugend ist ihm ein froher Gefährte
der Leichtsinn, Der die Gefahr ihm verbirgt und heilsam geschwinde die
Spuren Tilget des schmerzlichen Übels, sobald es nur irgend vorbeizog.
Freilich ist er zu preisen, der Mann, dem in reiferen Jahren Sich der
gesetzte Verstand aus solchem Frohsinn entwickelt, Der im Glück wie im
Unglück sich eifrig und tätig bestrebet; Denn das Gute bringt er hervor
und ersetzet den Schaden."

Freundlich begann sogleich die ungeduldige Hausfrau: "Saget uns, was ihr
gesehn; denn das begehrt' ich zu wissen."

"Schwerlich", versetzte darauf der Apotheker mit Nachdruck, "Werd ich so
bald mich freun nach dem, was ich alles erfahren. Und wer erzählet es
wohl, das mannigfaltigste Elend! Schon von ferne sahn wir den Staub, noch
eh' wir die Wiesen Abwärts kamen; der Zug war schon von Hügel zu Hügel
Unabsehlich dahin, man konnte wenig erkennen. Als wir nun aber den Weg,
der quer durchs Tal geht, erreichten, War Gedräng und Getümmel noch groß
der Wandrer und Wagen. Leider sahen wir noch genug der Armen vorbeiziehn,
Konnten einzeln erfahren, wie bitter die schmerzliche Flucht sei, Und wie
froh das Gefühl des eilig geretteten Lebens. Traurig war es zu sehn, die
mannigfaltige Habe, Die ein Haus nur verbirgt, das wohlversehne, und die
ein Guter Wirt umher an die rechten Stellen gesetzt hat, Immer bereit zum
Gebrauche, denn alles ist nötig und nützlich, Nun zu sehen das alles, auf
mancherlei Wagen und Karren Durcheinander geladen, mit Übereilung
geflüchtet. Über dem Schranke lieget das Sieb und die wollene Decke, In
dem Backtrog das Bett und das Leintuch über dem Spiegel. Ach! und es
nimmt die Gefahr, wie wir beim Brande vor zwanzig Jahren auch wohl gesehn,
dem Menschen alle Besinnung, Daß er das Unbedeutende faßt und das Teure
zurückläßt. Also führten auch hier, mit unbesonnener Sorgfalt, Schlechte
Dinge sie fort, die Ochsen und Pferde beschwerend: Alte Bretter und Fässer,
den Gänsestall und den Käfig. Auch so keuchten die Weiber und Kinder,
mit Bündeln sich schleppend, Unter Körben und Butten voll Sachen keines
Gebrauches; Denn es verläßt der Mensch so ungern das Letzte der Habe.
Und so zog auf dem staubigen Weg der drängende Zug fort, Ordnungslos und
verwirrt. Mit schwächeren Tieren der eine Wünschte langsam zu fahren, ein
andrer emsig zu eilen. Da entstand ein Geschrei der gequetschten Weiber
und Kinder, Und ein Blöken des Viehes, dazwischen der Hunde Gebelfer, Und
ein Wehlaut der Alten und Kranken, die hoch auf dem schweren Übergepackten
Wagen auf Betten saßen und schwankten. Aber, aus dem Gleise gedrängt,
nach dem Rande des Hochwegs Irrte das knarrende Rad; es stürzt' in den
Graben das Fuhrwerk, Umgeschlagen, und weithin entstürzten im Schwunge die
Menschen, Mit entsetzlichem Schrein, in das Feld hin, aber doch glücklich.
Später stürzten die Kasten und fielen näher dem Wagen. Wahrlich, wer
im Fallen sie sah, der erwartete nun sie Unter der Last der Kisten und
Schränke zerschmettert zu schauen. Und so lag zerbrochen der Wagen und
hülflos die Menschen; Denn die übrigen gingen und zogen eilig vorüber, Nur
sich selber bedenkend und hingerissen vom Strome. Und wir eilten hinzu
und fanden die Kranken und Alten, Die zu Haus und im Bett schon kaum ihr
dauerndes Leiden Trügen, hier auf dem Boden beschädigt ächzen und jammern,
Von der Sonne verbrannt und erstickt vom wogenden Staube."

Und es sagte darauf gerührt der menschliche Hauswirt: "Möge doch Hermann
sie treffen und sie erquicken und kleiden. Ungern würd' ich sie sehn;
mich schmerzt der Anblick des Jammers. Schon von dem ersten Bericht so
großer Leiden gerühret, Schickten wir eilend ein Scherflein von unserm
Überfluß, daß nur Einige würden gestärkt, und schienen uns selber beruhigt.
Aber laßt uns nicht mehr die traurigen Bilder erneuern; Denn es
beschleichet die Furcht gar bald die Herzen der Menschen, Und die Sorge,
die mehr als selbst mir das Übel verhaßt ist. Tretet herein in den
hinteren Raum, das kühlere Sälchen. Nie scheint Sonne dahin, nie dringet
wärmere Luft dort Durch die stärkeren Mauern; und Mütterchen bringt uns
ein Gläschen Dreiundachtziger her, damit wir die Grillen vertreiben.
Hier ist nicht freundlich zu trinken; die Fliegen umsummen die Gläser."
Und sie gingen dahin und freuten sich alle der Kühlung.

Sorgsam brachte die Mutter des klaren herrlichen Weines, In geschliffener
Flasche auf blankem zinnernem Runde, Mit den grünlichen Römern, den echten
Bechern des Rheinweins. Und so sitzend umgaben die drei den glänzend
gebohnten Runden, braunen Tisch, er stand auf mächtigen Füßen. Heiter
klangen sogleich die Gläser des Wirtes und Pfarrers; Doch unbeweglich
hielt der dritte denkend das seine, Und es fordert' ihn auf der Wirt mit
freundlichen Worten:

"Frisch, Herr Nachbar, getrunken! denn noch bewahrte vor Unglück Gott uns
gnädig und wird auch künftig uns also bewahren. Denn wer erkennet es
nicht, daß seit dem schrecklichen Brande, Da er so hart uns gestraft, er
uns nun beständig erfreut hat Und beständig beschützt, so wie der Mensch
sich des Auges Köstlichen Apfel bewahrt, der vor allen Gliedern ihm lieb
ist. Sollt' er fernerhin nicht uns schützen und Hülfe bereiten? Denn man
sieht es erst recht, wie viel er vermag, in Gefahren; Sollt' er die
blühende Stadt, die er erst durch fleißige Bürger Neu aus der Asche gebaut
und dann sie reichlich gesegnet, Jetzo wieder zerstören und alle Bemühung
vernichten?"

Heiter sagte darauf der treffliche Pfarrer und milde: "Haltet am Glauben
fest und fest an dieser Gesinnung; Denn sie macht im Glücke verständig und
sicher, im Unglück Reicht sie den schönsten Trost und belebt die
herrlichste Hoffnung."

Da versetzte der Wirt mit männlichen, klugen Gedanken: "Wie begrüßt' ich
so oft mit Staunen die Fluten des Rheinstroms, Wenn ich, reisend nach
meinem Geschäft, ihm wieder mich nahte! Immer schien er mir groß und erhob
mir Sinn und Gemüte; Aber ich konnte nicht denken, daß bald sein
liebliches Ufer Sollte werden ein Wall, um abzuwehren den Franken, Und
sein verbreitetes Bett ein allverhindernder Graben. Seht, so schützt die
Natur, so schützen die wackeren Deutschen Und so schützt uns der Herr; wer
wollte töricht verzagen? Müde schon sind die Streiter, und alles deutet
auf Frieden. Möge doch auch, wenn das Fest, das lang erwünschte,
gefeiert Wird, in unserer Kirche, die Glocke dann tönt zu der Orgel, Und
die Trompete schmettert, das hohe,Te Deum. begleitend Möge mein Hermann
doch auch an diesem Tage, Herr Pfarrer, Mit der Braut, entschlossen, vor
Euch am Altare sich stellen, Und das glückliche Fest, in allen den Landen
begangen, Auch mir künftig erscheinen, der häuslichen Freuden ein Jahrstag!
Aber ungern seh ich den Jüngling, der immer so tätig Mir in dem Hause
sich regt, nach außen langsam und schüchtern. Wenig findet er Lust, sich
unter Leuten zu zeigen; Ja, er vermeidet sogar der jungen Mädchen
Gesellschaft Und den fröhlichen Tanz, den alle Jugend begehret."

Also sprach er und horchte. Man hörte der stampfenden Pferde Fernes
Getöse sich nahn, man hörte den rollenden Wagen, Der mit gewaltiger Eile
nun donnert' unter den Torweg.




Terpsichore
Hermann

Als nun der wohlgebildete Sohn ins Zimmer hereintrat, Schaute der Prediger
ihm mit scharfen Blicken entgegen Und betrachtete seine Gestalt und sein
ganzes Benehmen Mit dem Auge des Forschers, der leicht die Mienen
enträtselt, Lächelte dann und sprach zu ihm mit traulichen Worten: "Kommt
Ihr doch als ein veränderter Mensch! Ich habe noch niemals Euch so munter
gesehn und Eure Blicke so lebhaft. Fröhlich kommt Ihr und heiter; man
sieht, Ihr habet die Gaben Unter die Armen verteilt und ihren Segen
empfangen."

Ruhig erwiderte drauf der Sohn, mit ernstlichen Worten: "Ob ich löblich
gehandelt? ich weiß es nicht; aber mein Herz hat Mich geheißen zu tun, so
wie ich genau nun erzähle. Mutter, Ihr kramtet so lange, die alten
Stücke zu suchen Und zu wählen; nur spät war erst das Bündel zusammen,
Auch der Wein und das Bier ward langsam, sorglich gepacket. Als ich nun
endlich vors Tor und auf die Straße hinauskam, Strömte zurück die Menge
der Bürger mit Weibern und Kindern, Mir entgegen; denn fern war schon der
Zug der Vertriebnen. Schneller hielt ich mich dran und fuhr behende dem
Dorf zu, Wo sie, wie ich gehört, heut übernachten und rasten. Als ich
nun meines Weges die neue Straße hinanfuhr, Fiel mir ein Wagen ins Auge,
von tüchtigen Bäumen gefüget, Von zwei Ochsen gezogen, den größten und
stärksten des Auslands, Nebenher aber ging mit starken Schritten ein
Mädchen, Lenkte mit langem Stabe die beiden gewaltigen Tiere, Trieb sie an
und hielt sie zurück, sie leitete klüglich. Als mich das Mädchen
erblickte, so trat sie den Pferden gelassen Näher und sagte zu mir: "Nicht
immer war es mit uns so Jammervoll, als Ihr uns heut auf diesen Wegen
erblicket. Noch nicht bin ich gewohnt, vom Fremden die Gabe zu heischen,
Die er oft ungern gibt, um los zu werden den Armen; Aber mich dränget die
Not, zu reden. Hier auf dem Strohe Liegt die erst entbundene Frau des
reichen Besitzers, Die ich mit Stieren und Wagen noch kaum, die Schwangre,
gerettet. Spät nur kommen wir nach, und kaum das Leben erhielt sie.
Nun liegt, neugeboren, das Kind ihr nackend im Arme, Und mit wenigem nur
vermögen die Unsern zu helfen, Wenn wir im nächsten Dorf, wo wir heute zu
rasten gedenken, Auch sie finden, wiewohl ich fürchte, sie sind schon
vorüber. Wär' Euch irgend von Leinwand nur was Entbehrliches, wenn Ihr
Hier aus der Nachbarschaft seid, so spendet's gütig den Armen."

Also sprach sie, und matt erhob sich vom Strohe die bleiche Wöchnerin,
schaute nach mir; ich aber sagte dagegen: "Guten Menschen fürwahr spricht
oft ein himmlischer Geist zu, Daß sie fühlen die Not, die dem armen Bruder
bevorsteht; Denn so gab mir die Mutter, im Vorgefühle von eurem Jammer,
ein Bündel, sogleich es der nackten Notdurft zu reichen." Und ich löste
die Knoten der Schnur und gab ihr den Schlafrock Unsers Vaters dahin, und
gab ihr Hemden und Leintuch. Und sie dankte mit Freuden und rief: "Der
Glückliche glaubt nicht, Daß noch Wunder geschehn; denn nur im Elend
erkennt man Gottes Hand und Finger, der gute Menschen zum Guten Leitet.
Was er durch Euch an uns tut, tu er Euch selber." Und ich sah die
Wöchnerin froh die verschiedene Leinwand, Aber besonders den weichen
Flanell des Schlafrocks befühlen. "Eilen wir", sagte zu ihr die Jungfrau,
"dem Dorf zu, in welchem Unsre Gemeine schon rastet und diese Nacht durch
sich aufhält; Dort besorg ich sogleich das Kinderzeug, alles und jedes."
Und sie grüßte mich noch und sprach den herzlichsten Dank aus, Trieb die
Ochsen; da ging der Wagen. Ich aber verweilte, Hielt die Pferde noch an;
denn Zwiespalt war mir im Herzen, Ob ich mit eilenden Rossen das Dorf
erreichte, die Speisen Unter das übrige Volk zu spenden, oder sogleich
hier Alles dem Mädchen gäbe, damit sie es weislich verteilte. Und ich
entschied mich gleich in meinem Herzen und fuhr ihr Sachte nach und
erreichte sie bald und sagte behende: "Gutes Mädchen, mir hat die Mutter
nicht Leinwand alleine Auf den Wagen gegeben, damit ich den Nackten
bekleide, Sondern sie fügte dazu noch Speis' und manches Getränke, Und es
ist mir genug davon im Kasten des Wagens. Nun bin ich aber geneigt, auch
diese Gaben in deine Hand zu legen, und so erfüll ich am besten den
Auftrag; Du verteilst sie mit Sinn, ich müßte dem Zufall gehorchen." Drauf
versetzte das Mädchen: "Mit aller Treue verwend ich Eure Gaben; der
Dürftige soll sich derselben erfreuen." Also sprach sie. Ich öffnete
schnell die Kasten des Wagens, Brachte die Schinken hervor, die schweren,
brachte die Brote, Flaschen Weines und Biers, und reicht' ihr alles und
jedes. Gerne hätt' ich noch mehr ihr gegeben; doch leer war der Kasten.
Alles packte sie drauf zu der Wöchnerin Füßen und zog so Weiter; ich
eilte zurück mit meinen Pferden der Stadt zu."

Als nun Hermann geendet, da nahm der gesprächige Nachbar Gleich das Wort
und rief: "O glücklich, wer in den Tagen Dieser Flucht und Verwirrung in
seinem Haus nur allein lebt, Wem nicht Frau und Kinder zur Seite bange
sich schmiegen! Glücklich fühl ich mich jetzt; ich möcht' um vieles nicht
heute Vater heißen und nicht für Frau und Kinder besorgt sein. Öfters
dacht' ich mir auch schon die Flucht und habe die besten Sachen
zusammengepaßt, das alte Geld und die Ketten Meiner seligen Mutter, das
alles noch heilig verwahrt liegt. Freilich bliebe noch vieles zurück,
das so leicht nicht geschafft wird. Selbst die Kräuter und Wurzeln, mit
vielem Fleiße gesammelt, Mißt' ich ungern, wenn auch der Wert der Ware
nicht groß ist. Bleibt der Provisor zurück, so geh ich getröstet von
Hause. Hab ich die Barschaft gerettet und meinen Körper, so hab ich
Alles gerettet; der einzelne Mann entfliehet am leichtsten."

"Nachbar", versetzte darauf der junge Hermann mit Nachdruck, "Keinesweges
denk ich wie Ihr und tadle die Rede. Ist wohl der ein würdiger Mann, der
im Glück und im Unglück Sich nur allein bedenkt und Leiden und Freuden zu
teilen Nicht verstehet und nicht dazu von Herzen bewegt wird? Lieber
möcht' ich als je mich heute zur Heirat entschließen; Denn manch gutes
Mädchen bedarf des schützenden Mannes Und der Mann des erheiternden Weibs,
wenn ihm Unglück bevorsteht."

Lächelnd sagte darauf der Vater: "So hör ich dich gerne! Solch ein
vernünftiges Wort hast du mir selten gesprochen."

Aber es fiel sogleich die gute Mutter behend ein: "Sohn, fürwahr! du hast
recht; wir Eltern gaben das Beispiel. Denn wir haben uns nicht an
fröhlichen Tagen erwählet, Und uns knüpfte vielmehr die traurigste Stunde
zusammen. Montag morgens--ich weiß es genau, denn Tages vorher war Jener
schreckliche Brand, der unser Städtchen verzehrte--Zwanzig Jahre sind's
nun; es war ein Sonntag wie heute, Heiß und trocken die Zeit und wenig
Wasser im Orte. Alle Leute waren, spazierend in festlichen Kleidern, Auf
den Dörfern verteilt und in den Schenken und Mühlen. Und am Ende der
Stadt begann das Feuer. Der Brand lief Eilig die Straßen hindurch,
erzeugend sich selber den Zugwind. Und es brannten die Scheunen der
reich gesammelten Ernte, Und es brannten die Straßen bis zu dem Markt, und
das Haus war Meines Vaters hierneben verzehrt und dieses zugleich mit.
Wenig flüchteten wir. Ich saß, die traurige Nacht durch, Vor der Stadt
auf dem Anger, die Kasten und Betten bewahrend; Doch zuletzt befiel mich
der Schlaf, und als nun des Morgens Mich die Kühlung erweckte, die vor der
Sonne herabfällt, Sah ich den Rauch und die Glut und die hohlen Mauern und
Essen. Da war beklemmt mein Herz; allein die Sonne ging wieder
Herrlicher auf als je und flößte mir Mut in die Seele. Da erhob ich mich
eilend. Es trieb mich, die Stätte zu sehen, Wo die Wohnung gestanden, und
ob sich die Hühner gerettet, Die ich besonders geliebt; denn kindisch war
mein Gemüt noch. Als ich nun über die Trümmer des Hauses und Hofes
daherstieg, Die noch rauchten, und so die Wohnung wüst und zerstört sah,
Kamst du zur andern Seite herauf und durchsuchtest die Stätte. Dir war
ein Pferd in dem Stalle verschüttet; die glimmenden Balken Lagen darüber
und Schutt, und nichts zu sehn war vom Tiere. Also standen wir
gegeneinander, bedenklich und traurig: Denn die Wand war gefallen, die
unsere Höfe geschieden. Und du faßtest darauf mich bei der Hand an und
sagtest: "Lieschen, wie kommst du hieher? Geh weg! du verbrennest die
Sohlen; Denn der Schutt ist heiß, er sengt mir die stärkeren Stiefeln."
Und du hobest mich auf und trugst mich herüber durch deinen Hof weg. Da
stand noch das Tor des Hauses mit seinem Gewölbe, Wie es jetzt steht; es
war allein von allem geblieben. Und du setztest mich nieder und küßtest
mich und ich verwehrt' es. Aber du sagtest darauf mit freundlich
bedeutenden Worten: "Siehe, das Haus liegt nieder. Bleib hier, und hilf
mir es bauen, Und ich helfe dagegen auch deinem Vater an seinem." Doch ich
verstand dich nicht, bis du zum Vater die Mutter Schicktest und schnell
das Gelübd' der fröhlichen Ehe vollbracht war. Noch erinnr' ich mich
heute des halbverbrannten Gebälkes Freudig und sehe die Sonne noch immer
so herrlich heraufgehn; Denn mir gab der Tag den Gemahl, es haben die
ersten Zeiten der wilden Zerstörung den Sohn mir der Jugend gegeben.
Darum lob ich dich, Hermann, daß du mit reinem Vertrauen Auch ein Mädchen
dir denkst in diesen traurigen Zeiten Und es wagtest zu frein im Krieg und
über den Trümmern."

Da versetzte sogleich der Vater lebhaft und sagte: "Die Gesinnung ist
löblich, und wahr ist auch die Geschichte, Mütterchen, die du erzählst;
denn so ist alles begegnet. Aber besser ist besser. Nicht einen jeden
betrifft es, Anzufangen von vorn sein ganzes Leben und Wesen; Nicht soll
jeder sich quälen, wie wir und andere taten, Oh, wie glücklich ist der,
dem Vater und Mutter das Haus schon Wohlbestellt übergeben und der mit
Gedeihen es ausziert! Aller Anfang ist schwer, am schwersten der Anfang
der Wirtschaft. Mancherlei Dinge bedarf der Mensch, und alles wird
täglich Teurer; da seh er sich vor, des Geldes mehr zu erwerben. Und so
hoff ich von dir, mein Hermann, daß du mir nächstens In das Haus die Braut
mit schöner Mitgift hereinführst; Denn ein wackerer Mann verdient ein
begütertes Mädchen, Und es behaget so wohl, wenn mit dem gewünscheten
Weibchen Auch in Körben und Kasten die nützliche Gabe hereinkommt. Nicht
umsonst bereitet durch manche Jahre die Mutter Viele Leinwand der Tochter,
von feinem und starkem Gewebe; Nicht umsonst verehren die Paten ihr
Silbergeräte, Und der Vater sondert im Pulte das seltene Goldstück: Denn
sie soll dereinst mit ihren Gütern und Gaben Jenen Jüngling erfreun, der
sie vor allen erwählt hat. Ja, ich weiß, wie behaglich ein Weibchen im
Hause sich findet, Das ihr eignes Gerät in Küch' und Zimmern erkennet Und
das Bette sich selbst und den Tisch sich selber gedeckt hat. Nur wohl
ausgestattet möcht' ich im Hause die Braut sehn; Denn die Arme wird doch
nur zuletzt vom Manne verachtet, Und er hält sie als Magd, die als Magd
mit dem Bündel hereinkam. Ungerecht bleiben die Männer, und die Zeiten
der Liebe vergehen. Ja, mein Hermann, du würdest mein Alter höchlich
erfreuen, Wenn du mir bald ins Haus ein Schwiegertöchterchen brächtest Aus
der Nachbarschaft her, aus jenem Hause, dem grünen. Reich ist der Mann
fürwahr: sein Handel und seine Fabriken Machen ihn täglich reicher: denn
wo gewinnt nicht der Kaufmann? Nur drei Töchter sind da; sie teilen allein
das Vermögen. Schon ist die ältste bestimmt, ich weiß es; aber die
zweite Wie die dritte sind noch, und vielleicht nicht lange, zu haben.
Wär' ich an deiner Statt, ich hätte bis jetzt nicht gezaudert, Eins mir
der Mädchen geholt, so wie ich das Mütterchen forttrug."

Da versetzte der Sohn bescheiden dem dringenden Vater: "Wirklich, mein
Wille war auch, wie Eurer, eine der Töchter Unsers Nachbars zu wählen.
Wir sind zusammen erzogen, Spielten neben dem Brunnen am Markt in früheren
Zeiten, Und ich habe sie oft vor der Knaben Wildheit beschützet. Doch
das ist lange schon her; es bleiben die wachsenden Mädchen Endlich billig
zu Haus und fliehn die wilderen Spiele. Wohlgezogen sind sie gewiß! Ich
ging auch zuzeiten Noch aus alter Bekanntschaft, so wie Ihr es wünschtet,
hinüber; Aber ich konnte mich nie in ihrem Umgang erfreuen. Denn sie
tadelten stets an mir, das mußt' ich ertragen: Gar zu lang war mein Rock,
zu grob das Tuch und die Farbe Gar zu gemein und die Haare nicht recht
gestutzt und gekräuselt. Endlich hatt' ich im Sinne, mich auch zu putzen
wie jene Handelsbübchen, die stets am Sonntag drüben sich zeigen, Und um
die halbseiden im Sommer das Läppchen herumhängt. Aber noch früh genug
merkt' ich, sie hatten mich immer zum besten, Und das war mir empfindlich,
mein Stolz war beleidigt; doch mehr noch Kränkte mich's tief, daß so sie
den guten Willen verkannten, Den ich gegen sie hegte, besonders Minchen,
die jüngste. Denn so war ich zuletzt an Ostern hinübergegangen, Hatte
den neuen Rock, der jetzt nur oben im Schrank hängt, Angezogen und war
frisiert wie die übrigen Bursche. Als ich eintrat, kicherten sie; doch
zog ich's auf mich nicht. Minchen saß am Klavier; es war der Vater
zugegen, Hörte die Töchterchen singen und war entzückt und in Laune.
Manches verstand ich nicht, was in den Liedern gesagt war, Aber ich hörte
viel von Pamina, viel von Tamino, Und ich wollte doch auch nicht stumm
sein! Sobald sie geendet, Fragt' ich dem Texte nach und nach den beiden
Personen. Alle schwiegen darauf und lächelten; aber der Vater Sagte:
"Nicht wahr, mein Freund, Er kennt nur Adam und Eva?" Niemand hielt sich
alsdann, und laut auf lachten die Mädchen, Laut auf lachten die Knaben, es
hielt den Bauch sich der Alte. Fallen ließ ich den Hut vor Verlegenheit,
und das Gekicher Dauerte fort und fort, soviel sie auch sangen und
spielten. Und ich eilte beschämt und verdrießlich wieder nach Hause,
Hängte den Rock in den Schrank und zog die Haare herunter Mit den Fingern
und schwur, nicht mehr zu betreten die Schwelle. Und ich hatte wohl
recht; denn eitel sind sie und lieblos, Und ich höre, noch heiß' ich bei
ihnen immer Tamino."

Da versetzte die Mutter: "Du solltest, Hermann, so lange Mit den Kindern
nicht zürnen; denn Kinder sind sie ja sämtlich. Minchen fürwahr ist gut
und war dir immer gewogen; Neulich fragte sie noch nach dir. Die solltest
du wählen!"

Da versetzte bedenklich der Sohn: "Ich weiß nicht, es prägte Jener Verdruß
sich so tief bei mir ein, ich möchte fürwahr nicht Sie am Klaviere mehr
sehn und ihre Liedchen vernehmen."

Doch der Vater fuhr auf und sprach die zornigen Worte: "Wenig Freud' erleb
ich an dir! Ich sagt' es doch immer, Als du zu Pferden nur und Lust nur
bezeugtest zum Acker: Was ein Knecht schon verrichtet des wohlbegüterten
Mannes, Tust du; indessen muß der Vater des Sohnes entbehren, Der ihm zur
Ehre doch auch vor andern Bürgern sich zeigte. Und so täuschte mich früh
mit leerer Hoffnung die Mutter, Wenn in der Schule das Lesen und Schreiben
und Lernen dir niemals Wie den andern gelang und du immer der Unterste
saßest. Freilich! das kommt daher, wenn Ehrgefühl nicht im Busen Eines
Jünglinges lebt und wenn er nicht höher hinauf will. Hätte mein Vater
gesorgt für mich, so wie ich für dich tat, Mich zur Schule gesendet und
mir die Lehrer gehalten, Ja, ich wäre was anders als Wirt zum Goldenen
Löwen!"

Aber der Sohn stand auf und nahte sich schweigend der Türe, Langsam und
ohne Geräusch; allein der Vater, entrüstet, Rief ihm nach: "So gehe nur
hin! ich kenne den Trotzkopf! Geh und führe fortan die Wirtschaft, daß
ich nicht schelte; Aber denke nur nicht, du wollest ein bäurisches Mädchen
Je mir bringen ins Haus, als Schwiegertochter, die Trulle! Lange hab ich
gelebt und weiß mit Menschen zu handeln, Weiß zu bewirten die Herren und
Frauen, daß sie zufrieden Von mir weggehn, ich weiß den Fremden gefällig
zu schmeicheln. Aber so soll mir denn auch ein Schwiegertöchterchen
endlich Wiederbegegnen und so mir die viele Mühe versüßen! Spielen soll
sie mir auch das Klavier; es sollen die schönsten, Besten Leute der Stadt
sich mit Vergnügen versammeln, Wie es sonntags geschieht im Hause des
Nachbars!" Da drückte Leise der Sohn auf die Klinke, und so verließ er
die Stube.




Thalia
Die Bürger

Also entwich der bescheidene Sohn der heftigen Rede; Aber der Vater fuhr
in der Art fort, wie er begonnen--"Was im Menschen nicht ist, kommt auch
nicht aus ihm, und schwerlich Wird mich des herzlichsten Wunsches
Erfüllung jemals erfreuen, Daß der Sohn dem Vater nicht gleich sei,
sondern ein Beßrer. Denn was wäre das Haus, was wäre die Stadt, wenn
nicht immer Jeder gedächte mit Lust zu erhalten und zu erneuen Und zu
verbessern auch, wie die Zeit uns lehrt und das Ausland! Soll doch nicht
als ein Pilz der Mensch dem Boden entwachsen Und verfaulen geschwind an
dem Platze, der ihn erzeugt hat, Keine Spur nachlassend von seiner
lebendigen Wirkung! Sieht man am Hause doch gleich so deutlich, wes Sinnes
der Herr sei, Wie man, das Städtchen betretend, die Obrigkeiten beurteilt.
Denn wo die Türme verfallen und Mauern, wo in den Gräben Unrat sich
häufet und Unrat auf allen Gassen herumliegt, Wo der Stein aus der Fuge
sich rückt und nicht wieder gesetzt wird, Wo der Balken verfault und das
Haus vergeblich die neue Unterstützung erwartet: der Ort ist übel regieret.
Denn wo nicht immer von oben die Ordnung und Reinlichkeit wirket, Da
gewöhnet sich leicht der Bürger zu schmutzigem Saumsal, Wie der Bettler
sich auch an lumpige Kleider gewöhnet. Darum hab ich gewünscht, es solle
sich Hermann auf Reisen Bald begeben und sehn zum wenigsten Straßburg und
Frankfurt Und das freundliche Mannheim, das gleich und heiter gebaut ist.
Denn wer die Städte gesehn, die großen und reinlichen, ruht nicht,
Künftig die Vaterstadt selbst, so klein sie auch sei, zu verzieren. Lobt
nicht der Fremde bei uns die ausgebesserten Tore Und den geweihten Turm
und die wohlerneuerte Kirche? Rühmt nicht jeder das Pflaster? die
wasserreichen, verdeckten, Wohlverteilten Kanäle, die Nutzen und
Sicherheit bringen, Daß dem Feuer sogleich beim ersten Ausbruch gewehrt
sei, Ist das nicht alles geschehn seit jenem schrecklichen Brande? Bauherr
war ich sechsmal im Rat und habe mir Beifall, Habe mir herzlichen Dank von
guten Bürgern verdienet, Was ich angab, emsig betrieben und so auch die
Anstalt Redlicher Männer vollführt, die sie unvollendet verließen. So
kam endlich die Lust in jedes Mitglied des Rates. Alle bestreben sich
jetzt, und schon ist der neue Chausseebau Fest beschlossen, der uns mit
der großen Straße verbindet. Aber ich fürchte nur sehr, so wird die
Jugend nicht handeln! Denn die einen, sie denken auf Lust und
vergänglichen Putz nur, Andere hocken zu Haus und brüten hinter dem Ofen.
Und das fürcht ich, ein solcher wird Hermann immer mir bleiben."

Und es versetzte sogleich die gute verständige Mutter: "Immer bist du doch,
Vater, so ungerecht gegen den Sohn! und So wird am wenigsten dir dein
Wunsch des Guten erfüllet. Denn wir können die Kinder nach unserem Sinne
nicht formen; So wie Gott sie uns gab, so muß man sie haben und lieben,
Sie erziehen aufs beste und jeglichen lassen gewähren. Denn der eine hat
die, die anderen andere Gaben; Jeder braucht sie, und jeder ist doch nur
auf eigene Weise Gut und glücklich. Ich lasse mir meinen Hermann nicht
schelten; Denn, ich weiß es, er ist der Güter, die er dereinst erbt, Wert
und ein trefflicher Wirt, ein Muster Bürgern und Bauern, Und im Rate gewiß,
ich seh es voraus, nicht der Letzte. Aber täglich mit Schelten und
Tadeln hemmst du dem Armen Allen Mut in der Brust, so wie du es heute
getan hast." Und sie verließ die Stube sogleich und eilte dem Sohn nach,
Daß sie ihn irgendwo fänd' und ihn mit gütigen Worten Wieder erfreute;
denn er, der treffliche Sohn, er verdient' es.

Lächelnd sagte darauf, sobald sie hinweg war, der Vater: "Sind doch ein
wunderlich Volk die Weiber, so wie die Kinder! Jedes lebet so gern nach
seinem eignen Belieben, Und man sollte hernach nur immer loben und
streicheln. Einmal für allemal gilt das wahre Sprüchlein der Alten: Wer
nicht vorwärts geht, der kommt zurücke! So bleibt es."

Und es versetzte darauf der Apotheker bedächtig: "Gerne geb ich es zu,
Herr Nachbar, und sehe mich immer Selbst nach dem Besseren um, wofern es
nicht teuer doch neu ist; Aber hilft es fürwahr, wenn man nicht die Fülle
des Gelds hat, Tätig und rührig zu sein und innen und außen zu bessern?
Nur zu sehr ist der Bürger beschränkt; das Gute vermag er Nicht zu
erlangen, wenn er es kennt. Zu schwach ist sein Beutel, Das Bedürfnis zu
groß; so wird er immer gehindert. Manches hätt' ich getan; allein wer
scheut nicht die Kosten Solcher Verändrung, besonders in diesen
gefährlichen Zeiten! Lange lachte mir schon mein Haus im modischen
Kleidchen, Lange glänzten durchaus mit großen Scheiben die Fenster; Aber
wer tut dem Kaufmann es nach, der bei seinem Vermögen Auch die Wege noch
kennt, auf welchen das Beste zu haben? Seht nur das Haus an da drüben, das
neue! Wie prächtig in grünen Feldern die Stukkatur der weißen Schnörkel
sich ausnimmt! Groß sind die Tafeln der Fenster, wie glänzen und spiegeln
die Scheiben, Daß verdunkelt stehn die übrigen Häuser des Marktes! Und
doch waren die unsern gleich nach dem Brande die schönsten, Die Apotheke
zum Engel sowie der Goldene Löwe. So war mein Garten auch in der ganzen
Gegend berühmt, und Jeder Reisende stand und sah durch die roten Staketen
Nach den Bettlern von Stein und nach den farbigen Zwergen. Wem ich den
Kaffee dann gar in dem herrlichen Grottenwerk reichte, Das nun freilich
verstaubt und halb verfallen mir dasteht, Der erfreute sich hoch des
farbig schimmernden Lichtes Schön geordneter Muscheln; und mit geblendetem
Auge Schaute der Kenner selbst den Bleiglanz und die Korallen. Ebenso
ward in dem Saale die Malerei auch bewundert, Wo die geputzten Herren und
Damen im Garten spazieren Und mit spitzigen Fingern die Blumen reichen und
halten. Ja, wer sähe das jetzt nur noch an! Ich gehe verdrießlich Kaum
mehr hinaus; denn alles soll anders sein und geschmackvoll, Wie sie's
heißen, und weiß die Latten und hölzernen Bänke. Alles ist einfach und
glatt, nicht Schnitzwerk oder Vergoldung Will man mehr, und es kostet das
fremde Holz nun am meisten. Nun, ich wär' es zufrieden, mir auch was
Neues zu schaffen; Auch zu gehn mit der Zeit und oft zu verändern den
Hausrat; Aber es fürchtet sich jeder, auch nur zu rücken das Kleinste,
Denn wer vermöchte wohl jetzt die Arbeitsleute zu zahlen? Neulich kam
mir's in Sinn, den Engel Michael wieder, Der mir die Offizin bezeichnet,
vergolden zu lassen Und den greulichen Drachen, der ihm zu Füßen sich
windet; Aber ich ließ ihn verbräunt, wie er ist; mich schreckte die
Fordrung."




Euterpe
Mutter und Sohn

Also sprachen die Männer, sich unterhaltend. Die Mutter Ging indessen,
den Sohn erst vor dem Hause zu suchen, Auf der steinernen Bank, wo sein
gewöhnlicher Sitz war. Als sie daselbst ihn nicht fand, so ging sie, im
Stalle zu schauen, Ob er die herrlichen Pferde, die Hengste, selber
besorgte, Die er als Fohlen gekauft und die er niemand vertraute. Und es
sagte der Knecht: "Er ist in den Garten gegangen." Da durchschritt sie
behende die langen doppelten Höfe, Ließ die Ställe zurück und die
wohlgezimmerten Scheunen, Trat in den Garten, der weit bis an die Mauern
des Städtchens Reichte, schritt ihn hindurch und freute sich jegliches
Wachstums, Stellte die Stützen zurecht, auf denen beladen die Äste Ruhten
des Apfelbaums, wie des Birnbaums lastende Zweige, Nahm gleich einige
Raupen vom kräftig strotzenden Kohl weg; Denn ein geschäftiges Weib tut
keine Schritte vergebens. Also war sie ans Ende des langen Gartens
gekommen, Bis zur Laube, mit Geißblatt bedeckt; nicht fand sie den Sohn da,
Ebensowenig, als sie bis jetzt ihn im Garten erblickte. Aber nur
angelehnt war das Pförtchen, das aus der Laube, Aus besonderer Gunst,
durch die Mauer des Städtchens gebrochen Hatte der Ahnherr einst, der
würdige Burgemeister. Und so ging sie bequem den trocknen Graben hinüber,
Wo an der Straße sogleich der wohl umzäunete Weinberg Aufstieg steileren
Pfads, die Fläche zur Sonne gekehret. Auch den schritt sie hinauf und
freute der Fülle der Trauben Sich im Steigen, die kaum sich unter den
Blättern verbargen. Schattig war und bedeckt der hohe mittlere Laubgang,
Den man auf Stufen erstieg von unbehauenen Platten. Und es hingen herein
Gutedel und Muskateller, Rötlich-blaue daneben von ganz besonderer Größe,
Alle mit Fleiße gepflanzt, der Gäste Nachtisch zu zieren. Aber den
übrigen Berg bedeckten einzelne Stöcke, Kleinere Trauben tragend, von
denen der köstliche Wein kommt. Also schritt sie hinauf, sich schon des
Herbstes erfreuend Und des festlichen Tags, an dem die Gegend im Jubel
Trauben lieset und tritt und den Most in die Fässer versammelt, Feuerwerke
des Abends von allen Orten und Enden Leuchten und knallen und so der
Ernten schönste geehrt wird. Doch unruhiger ging sie, nachdem sie dem
Sohne gerufen Zwei-, auch dreimal und nur das Echo vielfach zurückkam, Das
von den Türmen der Stadt, ein sehr geschwätziges, herklang. Ihn zu
suchen war ihr so fremd; er entfernte sich niemals. Weit, er sagt' es
ihr denn, um zu verhüten die Sorge Seiner liebenden Mutter und ihre Furcht
vor dem Unfall. Aber sie hoffte noch stets, ihn doch auf dem Wege zu
finden; Denn die Türen, die untre sowie die obre, des Weinbergs Standen
gleichfalls offen. Und so nun trat sie ins Feld ein, Das mit weiter
Fläche den Rücken des Hügels bedeckte. Immer noch wandelte sie auf
eigenem Boden und freute Sich der eigenen Saat und des herrlich nickenden
Kornes, Das mit goldener Kraft sich im ganzen Felde bewegte. Zwischen
den Äckern schritt sie hindurch, auf dem Raine, den Fußpfad, Hatte den
Birnbaum im Auge, den großen, der auf dem Hügel Stand, die Grenze der
Felder, die ihrem Hause gehörten. Wer ihn gepflanzt, man konnt' es nicht
wissen. Er war in der Gegend Weit und breit gesehn und berühmt die
Früchte des Baumes. Unter ihm pflegten die Schnitter des Mahls sich zu
freuen am Mittag Und die Hirten des Viehs in seinem Schatten zu warten;
Bänke fanden sie da von rohen Steinen und Rasen. Und sie irrete nicht;
dort saß ihr Hermann und ruhte, Saß mit dem Arme gestützt und schien in
die Gegend zu schauen Jenseits, nach dem Gebirg, er kehrte der Mutter den
Rücken. Sachte schlich sie hinan und rührt' ihm leise die Schulter.
Und er wandte sich schnell; da sah sie ihm Tränen im Auge.

"Mutter", sagt' er betroffen, "Ihr überrascht mich!" Und eilig Trocknet'
er ab die Träne, der Jüngling edlen Gefühles. "Wie? du weinest, mein
Sohn?" versetzte die Mutter betroffen; "Daran kenn ich dich nicht! ich
habe das niemals erfahren! Sag, was beklemmt dir das Herz? was treibt
dich, einsam zu sitzen Unter dem Birnbaum hier? was bringt dir Tränen ins
Auge?"

Und es nahm sich zusammen der treffliche Jüngling und sagte: "Wahrlich,
dem ist kein Herz im ehernen Busen, der jetzo Nicht die Not der Menschen,
der umgetriebnen, empfindet; Dem ist kein Sinn in dem Haupte, der nicht um
sein eigenes Wohl sich Und um des Vaterlands Wohl in diesen Tagen
bekümmert. Was ich heute gesehn und gehört, das rührte das Herz mir; Und
nun ging ich heraus und sah die herrliche weite Landschaft, die sich vor
uns in fruchtbaren Hügeln umherschlingt, Sah die goldene Frucht den Garben
entgegen sich neigen Und ein reichliches Obst und volle Kammern
versprechen. Aber, ach! wie nah ist der Feind! Die Fluten des Rheines
Schützen uns zwar; doch ach! was sind nun Fluten und Berge Jenem
schrecklichen Volke, das wie ein Gewitter daherzieht! Denn sie rufen
zusammen aus allen Enden die Jugend Wie das Alter und dringen gewaltig vor,
und die Menge Scheut den Tod nicht; es dringt gleich nach der Menge die
Menge. Ach! und ein Deutscher wagt, in seinem Hause zu bleiben? Hofft
vielleicht zu entgehen dem alles bedrohenden Unfall? Liebe Mutter, ich sag
Euch, am heutigen Tage verdrießt mich, Daß man mich neulich entschuldigt,
als man die Streitenden auslas Aus den Bürgern. Fürwahr! ich bin der
einzige Sohn nur, Und die Wirtschaft ist groß und wichtig unser Gewerbe;
Aber wär' ich nicht besser, zu widerstehen da vorne An der Grenze, als
hier zu erwarten Elend und Knechtschaft? Ja, mir hat es der Geist gesagt,
und im innersten Busen Regt sich Mut und Begier, dem Vaterlande zu leben
Und zu sterben und andern ein würdiges Beispiel zu geben. Wahrlich, wäre
die Kraft der deutschen Jugend beisammen, An der Grenze, verbündet, nicht
nachzugeben den Fremden, Oh, sie sollten uns nicht den herrlichen Boden
betreten Und vor unseren Augen die Früchte des Landes verzehren, Nicht den
Männern gebieten und rauben Weiber und Mädchen! Sehet, Mutter, mir ist im
tiefsten Herzen beschlossen, Bald zu tun und gleich, was recht mir deucht
und verständig; Denn wer lange bedenkt, der wählt nicht immer das Beste.
Sehet, ich werde nicht wieder nach Hause kehren! Von hier aus Geh ich
gerad in die Stadt und übergebe den Kriegern Diesen Arm und dies Herz, dem
Vaterlande zu dienen. Sage der Vater alsdann, ob nicht der Ehre Gefühl
mir Auch den Busen belebt und ob ich nicht höher hinauf will!"

Da versetzte bedeutend die gute verständige Mutter, Stille Tränen
vergießend, sie kamen ihr leichtlich ins Auge: "Sohn, was hat sich in dir
verändert und deinem Gemüte, Daß du zu deiner Mutter nicht redest wie
gestern und immer, Offen und frei, und sagst, was deinen Wünschen gemäß
ist? Hörte jetzt ein Dritter dich reden, er würde fürwahr dich Höchlich
loben und deinen Entschluß als den edelsten preisen, Durch dein Wort
verführt und deine bedeutenden Reden. Doch ich tadle dich nur; denn sieh,
ich kenne dich besser. Du verbirgst dein Herz und hast ganz andre
Gedanken. Denn ich weiß es, dich ruft nicht die Trommel, nicht die
Trompete, Nicht begehrst du zu scheinen in der Montur vor den Mädchen;
Denn es ist deine Bestimmung, so wacker und brav du auch sonst bist, Wohl
zu verwahren das Haus und stille das Feld zu besorgen. Darum sage mir
frei: was dringt dich zu dieser Entschließung?"

Ernsthaft sagte der Sohn: "Ihr irret, Mutter. Ein Tag ist Nicht dem
anderen gleich. Der Jüngling reifet zum Manne; Besser im stillen reift er
zur Tat oft als im Geräusche Wilden, schwankenden Lebens, das manchen
Jüngling verderbt hat. Und so still ich auch bin und war, so hat in der
Brust mir Doch sich gebildet ein Herz, das Unrecht hasset und Unbill, Und
ich verstehe recht gut die weltlichen Dinge zu sondern; Auch hat die
Arbeit den Arm und die Füße mächtig gestärket. Alles, fühl ich, ist wahr;
ich darf es kühnlich behaupten. Und doch tadelt Ihr mich mit Recht, o
Mutter, und habt mich Auf halbwahren Worten ertappt und halber Verstellung.
Denn, gesteh' ich es nur, nicht ruft die nahe Gefahr mich Aus dem Hause
des Vaters und nicht der hohe Gedanke, Meinem Vaterland hülfreich zu sein
und schrecklich den Feinden. Worte waren es nur, die ich sprach: sie
sollten vor Euch nur Meine Gefühle verstecken, die mir das Herz zerreißen.
Und so laßt mich, o Mutter! Denn da ich vergebliche Wünsche Hege im
Busen, so mag auch mein Leben vergeblich dahingehn. Denn ich weiß es
recht wohl: der einzelne schadet sich selber, Der sich hingibt, wenn sich
nicht alle zum Ganzen bestreben."

"Fahre nur fort", so sagte darauf die verständige Mutter, "Alles mir zu
erzählen, das Größte wie das Geringste! Denn die Männer sind heftig und
denken nur immer das Letzte, Und die Hindernis treibt die Heftigen leicht
von dem Wege; Aber ein Weib ist geschickt, auf Mittel zu denken, und
wandelt Auch den Umweg, geschickt zu ihrem Zweck zu gelangen. Sage mir
alles daher, warum du so heftig bewegt bist, Wie ich dich niemals gesehn,
und das Blut dir wallt in den Adern, Wider Willen die Träne dem Auge sich
dringt zu entstürzen."

Da überließ sich dem Schmerze der gute Jüngling und weinte, Weinte laut an
der Brust der Mutter und sprach so erweichet: "Wahrlich! des Vaters Wort
hat heute mich kränkend getroffen, Das ich niemals verdient, nicht heut
und keinen der Tage. Denn die Eltern zu ehren war früh mein Liebstes,
und niemand Schien mir klüger zu sein und weiser, als die mich erzeugten
Und mit Ernst mir in dunkeler Zeit der Kindheit geboten. Vieles hab ich
fürwahr von meinen Gespielen geduldet, Wenn sie mit Tücke mir oft den
guten Willen vergalten; Oftmals hab ich an ihnen nicht Wurf noch Streiche
gerochen: Aber spotteten sie mir den Vater aus, wenn er sonntags Aus der
Kirche kam mit würdig bedächtigem Schritte, Lachten sie über das Band der
Mütze, die Blumen des Schlafrocks, Den er so stattlich trug und der erst
heute verschenkt ward: Fürchterlich ballte sich gleich die Faust mir, mit
grimmigem Wüten Fiel ich sie an und schlug und traf mit blindem Beginnen,
Ohne zu sehen, wohin. Sie heulten mit blutigen Nasen Und entrissen sich
kaum den wütenden Tritten und Schlägen. Und so wuchs ich heran, um viel
vom Vater zu dulden, Der statt anderer mich gar oft mit Worten herumnahm,
Wenn bei Rat ihm Verdruß in der letzten Sitzung erregt ward, Und ich büßte
den Streit und die Ränke seiner Kollegen. Oftmals habt Ihr mich selbst
bedauert; denn vieles ertrug ich, Stets in Gedanken der Eltern von Herzen
zu ehrende Wohltat, Die nur sinnen, für uns zu mehren die Hab' und die
Güter, Und sich selber manches entziehn, um zu sparen den Kindern. Aber,
ach! nicht das Sparen allein, um spät zu genießen, Macht das Glück, es
macht nicht das Glück der Haufe beim Haufen, Nicht der Acker am Acker, so
schön sich die Güter auch schließen. Denn der Vater wird alt, und mit
ihm altern die Söhne, Ohne die Freude des Tags, und mit der Sorge für
morgen. Sagt mir, und schauet hinab, wie herrlich liegen die schönen,
Reichen Gebreite nicht da, und unten Weinberg und Gärten, Dort die
Scheunen und Ställe, die schöne Reihe der Güter! Aber seh ich dann dort
das Hinterhaus, wo an dem Giebel Sich das Fenster uns zeigt von meinem
Stübchen im Dache, Denk ich die Zeiten zurück, wie manche Nacht ich den
Mond schon Dort erwartet und schon so manchen Morgen die Sonne, Wenn der
gesunde Schlaf mir nur wenige Stunden genügte: Ach! da kommt mir so
einsam vor, wie die Kammer, der Hof und Garten, das herrliche Feld, das
über die Hügel sich hinstreckt; Alles liegt so öde vor mir: ich entbehre
der Gattin."

Da antwortete drauf die gute Mutter verständig: "Sohn, mehr wünschest du
nicht, die Braut in die Kammer zu führen, Daß dir werde die Nacht zur
schönen Hälfte des Lebens Und die Arbeit des Tags dir freier und eigener
werde, Als der Vater es wünscht und die Mutter. Wir haben dir immer
Zugeredet, ja dich getrieben, ein Mädchen zu wählen. Aber mir ist es
bekannt, und jetzo sagt es das Herz mir: Wenn die Stunde nicht kommt, die
rechte, wenn nicht das rechte Mädchen zur Stunde sich zeigt, so bleibt das
Wählen im Weiten, Und es wirket die Furcht, die falsche zu greifen, am
meisten. Soll ich dir sagen, mein Sohn, so hast du, ich glaube, gewählet,
Denn dein Herz ist getroffen und mehr als gewöhnlich empfindlich. Sag
es gerad nur heraus, denn mir schon sagt es die Seele: Jenes Mädchen ist's,
das vertriebene, die du gewählt hast."

"Liebe Mutter, Ihr sagt's!" versetzte lebhaft der Sohn drauf. "Ja, sie
ist's! und führ ich sie nicht als Braut mir nach Hause Heute noch, ziehet
sie fort, verschwindet vielleicht mir auf immer In der Verwirrung des
Kriegs und im traurigen Hin- und Herziehn. Mutter, ewig umsonst gedeiht
mir die reiche Besitzung Dann vor Augen, umsonst sind künftige Jahre mir
fruchtbar. Ja, das gewohnte Haus und der Garten ist mir zuwider; Ach!
und die Liebe der Mutter, sie selbst nicht tröstet den Armen. Denn es
löset die Liebe, das fühl ich, jegliche Bande, Wenn sie die ihrigen knüpft;
und nicht das Mädchen allein läßt Vater und Mutter zurück, wenn sie dem
erwähleten Mann folgt; Auch der Jüngling, er weiß nichts mehr von Mutter
und Vater, Wenn er das Mädchen sieht, das einziggeliebte, davonziehn.
Darum lasset mich gehn, wohin die Verzweiflung mich antreibt. Denn mein
Vater, er hat die entscheidenden Worte gesprochen, Und sein Haus ist nicht
mehr das meine, wenn er das Mädchen Ausschließt, das ich allein nach Haus
zu führen begehre."

Da versetzte behend die gute verständige Mutter: "Stehen wie Felsen doch
zwei Männer gegeneinander! Unbewegt und stolz will keiner dem andern sich
nähern, Keiner zum guten Worte, dem ersten, die Zunge bewegen. Darum sag
ich dir, Sohn: noch lebt die Hoffnung in meinem Herzen, daß er sie dir,
wenn sie gut und brav ist, verlobe, Obgleich arm, so entschieden er auch
die Arme versagt hat. Denn er redet gar manches in seiner heftigen Art
aus, Das er doch nicht vollbringt; so gibt er auch zu das Versagte. Aber
ein gutes Wort verlangt er und kann es verlangen; Denn er ist Vater! Auch
wissen wir wohl, sein Zorn ist nach Tische, Wo er heftiger spricht und
anderer Gründe bezweifelt, Nie bedeutend; es reget der Wein dann jegliche
Kraft auf Seines heftigen Wollens und läßt ihn die Worte der andern Nicht
vernehmen, er hört und fühlt alleine sich selber. Aber es kommt der
Abend heran, und die vielen Gespräche Sind nun zwischen ihm und seinen
Freunden gewechselt. Milder ist er fürwahr, ich weiß, wenn das
Räuschchen vorbei ist Und er das Unrecht fühlt, das er andern lebhaft
erzeugte. Komm! wir wagen es gleich; das Frischgewagte gerät nur, Und
wir bedürfen der Freunde, die jetzo bei ihm noch versammelt Sitzen;
besonders wird uns der würdige Geistliche helfen."

Also sprach sie behende und zog, vom Steine sich hebend, Auch vom Sitze
den Sohn, den willig folgenden. Beide Kamen schweigend herunter, den
wichtigen Vorsatz bedenkend.




Polyhymnia
Der Weltbürger

Aber es saßen die drei noch immer sprechend zusammen, Mit dem geistlichen
Herrn der Apotheker beim Wirte, Und es war das Gespräch noch immer
ebendasselbe, Das viel hin und her nach allen Seiten geführt ward. Aber
der treffliche Pfarrer versetzte, würdig gesinnt, drauf: "Widersprechen
will ich Euch nicht. Ich weiß es, der Mensch soll Immer streben zum
Bessern; und, wie wir sehen, er strebt auch Immer dem Höheren nach, zum
wenigsten sucht er das Neue. Aber geht nicht zu weit! Denn neben diesen
Gefühlen Gab die Natur uns auch die Lust zu verharren im Alten Und sich
dessen zu freun, was jeder lange gewohnt ist. Aller Zustand ist gut, der
natürlich ist und vernünftig. Vieles wünscht sich der Mensch, und doch
bedarf er nur wenig; Denn die Tage sind kurz, und beschränkt der
Sterblichen Schicksal. Niemals tadl' ich den Mann, der immer, tätig und
rastlos Umgetrieben, das Meer und alle Straßen der Erde Kühn und emsig
befährt und sich des Gewinnes erfreuet, Welcher sich reichlich um ihn und
um die Seinen herum häuft; Aber jener ist auch mir wert, der ruhige Bürger,
Der sein väterlich Erbe mit stillen Schritten umgehet Und die Erde
besorgt, so wie es die Stunden gebieten. Nicht verändert sich ihm in
jedem Jahre der Boden, Nicht streckt eilig der Baum, der neugepflanzte,
die Arme Gegen den Himmel aus, mit reichlichen Blüten gezieret. Nein,
der Mann bedarf der Geduld; er bedarf auch des reinen, Immer gleichen,
ruhigen Sinns und des graden Verstandes. Denn nur wenige Samen vertraut
er der nährenden Erde, Wenige Tiere nur versteht er, mehrend, zu ziehen;
Denn das Nützliche bleibt allein sein ganzer Gedanke. Glücklich, wem die
Natur ein so gestimmtes Gemüt gab! Er ernähret uns alle. Und Heil dem
Bürger des kleinen Städtchens, welcher ländlich Gewerb mit Bürgergewerb
paart! Auf ihm liegt nicht der Druck, der ängstlich den Landmann
beschränket; Ihn verwirrt nicht die Sorge der viel begehrenden Städter,
Die dem Reicheren stets und dem Höheren, wenig vermögend, Nachzustreben
gewohnt sind, besonders die Weiber und Mädchen. Segnet immer darum des
Sohnes ruhig Bemühen Und die Gattin, die einst er, die gleichgesinnte,
sich wählet."

Also sprach er. Es trat die Mutter zugleich mit dem Sohn ein, Führend ihn
bei der Hand und vor den Gatten ihn stellend. "Vater", sprach sie, "wie
oft gedachten wir, untereinander Schwatzend, des fröhlichen Tags, der
kommen würde, wenn künftig Hermann, seine Braut sich erwählend, uns
endlich erfreute! Hin und wider dachten wir da; bald dieses, bald jenes
Mädchen bestimmten wir ihm mit elterlichem Geschwätze. Nun ist er kommen,
der Tag; nun hat die Braut ihm der Himmel Hergeführt und gezeigt, es hat
sein Herz nun entschieden. Sagten wir damals nicht immer: er solle
selber sich wählen? Wünschtest du nicht noch vorhin, er möchte heiter und
lebhaft Für ein Mädchen empfinden? Nun ist die Stunde gekommen! Ja, er
hat gefühlt und gewählt und ist männlich entschieden. Jenes Mädchen
ist's, die Fremde, die ihm begegnet. Gib sie ihm; oder er bleibt, so
schwur er, im ledigen Stande."

Und es sagte der Sohn: "Die gebt mir, Vater! Mein Herz hat Rein und
sicher gewählt; Euch ist sie die würdigste Tochter."

Aber der Vater schwieg. Da stand der Geistliche schnell auf, Nahm das
Wort und sprach: "Der Augenblick nur entscheidet Über das Leben des
Menschen und über sein ganzes Geschicke; Denn nach langer Beratung ist
doch ein jeder Entschluß nur Werk des Moments, es ergreift doch nur der
Verständ'ge das Rechte. Immer gefährlicher ist's, beim Wählen dieses und
jenes Nebenher zu bedenken und so das Gefühl zu verwirren. Rein ist
Hermann, ich kenn ihn von Jugend auf, und er streckte Schon als Knabe die
Hände nicht aus nach diesem und jenem. Was er begehrte, das war ihm
gemäß; so hielt er es fest auch. Seid nicht scheu und verwundert, daß
nun auf einmal erscheinet, Was Ihr so lange gewünscht. Es hat die
Erscheinung fürwahr nicht Jetzt die Gestalt des Wunsches, so wie Ihr ihn
etwa geheget. Denn die Wünsche verhüllen uns selbst das Gewünschte; die
Gaben Kommen von oben herab, in ihren eignen Gestalten. Nun verkennet es
nicht, das Mädchen, das Eurem geliebten, Guten, verständigen Sohn zuerst
die Seele bewegt hat. Glücklich ist der, dem sogleich die erste Geliebte
die Hand reicht, Dem der lieblichste Wunsch nicht heimlich im Herzen
verschmachtet! Ja, ich seh es ihm an, es ist sein Schicksal entschieden.
Wahre Neigung vollendet sogleich zum Manne den Jüngling. Nicht beweglich
ist er; ich fürchte, versagt Ihr ihm dieses, Gehen die Jahre dahin, die
schönsten, in traurigem Leben."

Da versetzte sogleich der Apotheker bedächtig, Dem schon lange das Wort
von der Lippe zu springen bereit war: "Laßt uns auch diesmal doch nur die
Mittelstraße betreten! Eile mit Weile! das war selbst Kaiser Augustus'
Devise. Gerne schick ich mich an, den lieben Nachbarn zu dienen, Meinen
geringen Verstand zu ihrem Nutzen zu brauchen: Und besonders bedarf die
Jugend, daß man sie leite. Laßt mich also hinaus; ich will es prüfen,
das Mädchen, Will die Gemeinde befragen, in der sie lebt und bekannt ist.
Niemand betriegt mich so leicht; ich weiß die Worte zu schätzen."

Da versetzte sogleich der Sohn mit geflügelten Worten: "Tut es, Nachbar,
und geht und erkundigt Euch. Aber ich wünsche, Daß der Herr Pfarrer sich
auch in Eurer Gesellschaft befinde; Zwei so treffliche Männer sind
unverwerfliche Zeugen. Oh, mein Vater! sie ist nicht hergelaufen, das
Mädchen, Keine, die durch das Land auf Abenteuer umherschweift, Und den
Jüngling bestrickt, den unerfahrnen, mit Ränken. Nein; das wilde
Geschick des allverderblichen Krieges, Das die Welt zerstört und manches
feste Gebäude Schon aus dem Grunde gehoben, hat auch die Arme vertrieben.
Streifen nicht herrliche Männer von hoher Geburt nun im Elend? Fürsten
fliehen vermummt, und Könige leben verbannet. Ach, so ist auch sie, von
ihren Schwestern die beste, Aus dem Lande getrieben; ihr eignes Unglück
vergessend, Steht sie anderen bei, ist ohne Hülfe noch hülfreich. Groß
sind Jammer und Not, die über die Erde sich breiten; Sollte nicht auch ein
Glück aus diesem Unglück hervorgehn Und ich, im Arme der Braut, der
zuverlässigen Gattin, Mich nicht erfreuen des Kriegs, so wie Ihr des
Brandes Euch freutet?"

Da versetzte der Vater und tat bedeutend den Mund auf: "Wie ist, o Sohn,
dir die Zunge gelöst, die schon dir im Munde Lange Jahre gestockt und nur
sich dürftig bewegte! Muß ich doch heut erfahren, was jedem Vater gedroht
ist: Daß den Willen des Sohns, den heftigen, gerne die Mutter Allzu gelind
begünstigt und jeder Nachbar Partei nimmt, Wenn es über den Vater nun
hergeht oder den Ehmann. Aber ich will euch zusammen nicht widerstehen;
was hülf' es? Denn ich sehe doch schon hier Trotz und Tränen im voraus.
Gehet und prüfet und bringt in Gottes Namen die Tochter Mir ins Haus; wo
nicht, so mag er das Mädchen vergessen!"

Also der Vater. Es rief der Sohn mit froher Gebärde: "Noch vor Abend ist
Euch die trefflichste Tochter bescheret, Wie sie der Mann sich wünscht,
dem ein kluger Sinn in der Brust lebt. Glücklich ist die Gute dann auch,
so darf ich es hoffen. Ja, sie danket mir ewig, daß ich ihr Vater und
Mutter Wiedergegeben in Euch, so wie sie verständige Kinder Wünschen.
Aber ich zaudre nicht mehr; ich schirre die Pferde Gleich und führe die
Freunde hinaus auf die Spur der Geliebten, Überlasse die Männer sich
selbst und der eigenen Klugheit, Richte, so schwör ich Euch zu, mich ganz
nach ihrer Entscheidung, Und ich seh es nicht wieder, als bis es mein ist,
das Mädchen." Und so ging er hinaus, indessen manches die andern Weislich
erwogen und schnell die wichtige Sache besprachen.

Hermann eilte zum Stalle sogleich, wo die mutigen Hengste Ruhig standen
und rasch den reinen Hafer verzehrten Und das trockene Heu, auf der besten
Wiese gehauen. Eilig legt' er ihnen darauf das blanke Gebiß an, Zog die
Riemen sogleich durch die schön versilberten Schnallen Und befestigte dann
die langen, breiteren Zügel, Führte die Pferde heraus in den Hof, wo der
willige Knecht schon Vorgeschoben die Kutsche, sie leicht an der Deichsel
bewegend. Abgemessen knüpften sie drauf an die Waage mit saubern
Stricken die rasche Kraft der leicht hinziehenden Pferde. Hermann faßte
die Peitsche; dann saß er und rollt' in den Torweg. Als die Freunde nun
gleich die geräumigen Plätze genommen, Rollte der Wagen eilig und ließ das
Pflaster zurücke, Ließ zurück die Mauern der Stadt und die reinlichen
Türme. So fuhr Hermann dahin, der wohlbekannten Chaussee zu, Rasch, und
säumete nicht und fuhr bergan wie bergunter. Als er aber nunmehr den
Turm des Dorfes erblickte Und nicht fern mehr lagen die gartenumgebenen
Häuser, Dacht' er bei sich selbst, nun anzuhalten die Pferde.

Von dem würdigen Dunkel erhabener Linden umschattet, Die Jahrhunderte
schon an dieser Stelle gewurzelt, War mit Rasen bedeckt ein weiter
grünender Anger Vor dem Dorfe, den Bauern und nahen Städtern ein Lustort.
Flach gegraben befand sich unter den Bäumen ein Brunnen. Stieg man die
Stufen hinab, so zeigten sich steinerne Bänke, Rings um die Quelle gesetzt,
die immer lebendig hervorquoll, Reinlich, mit niedriger Mauer gefaßt, zu
schöpfen bequemlich. Hermann aber beschloß, in diesem Schatten die
Pferde Mit dem Wagen zu halten. Er tat so und sagte die Worte: "Steiget,
Freunde, nun aus und geht, damit Ihr erfahret, Ob das Mädchen auch wert
der Hand sei, die ich ihr biete. Zwar ich glaub es, und mir erzählt Ihr
nichts Neues und Seltnes; Hätt' ich allein zu tun, so ging' ich behend zu
dem Dorf hin, Und mit wenigen Worten entschiede die Gute mein Schicksal.
Und Ihr werdet sie bald vor allen andern erkennen; Denn wohl schwerlich
ist an Bildung ihr eine vergleichbar. Aber ich geb Euch noch die Zeichen
der reinlichen Kleider: Denn der rote Latz erhebt den gewölbeten Busen,
Schön geschnürt, und es liegt das schwarze Mieder ihr knapp an; Sauber hat
sie den Saum des Hemdes zur Krause gefaltet, Die ihr das Kinn umgibt, das
runde, mit reinlicher Anmut; Frei und heiter zeigt sich des Kopfes
zierliches Eirund; Stark sind vielmal die Zöpfe um silberne Nadeln
gewickelt; Vielgefaltet und blau fängt unter dem Latze der Rock an Und
umschlägt ihr im Gehn die wohlgebildeten Knöchel. Doch das will ich Euch
sagen und noch mir ausdrücklich erbitten: Redet nicht mit dem Mädchen, und
laßt nicht merken die Absicht, Sondern befraget die andern und hört, was
sie alles erzählen. Habt Ihr Nachricht genug, zu beruhigen Vater und
Mutter, Kehret zu mir dann zurück, und wir bedenken das Weitre. Also
dacht' ich mir's aus, den Weg her, den wir gefahren."

Also sprach er. Es gingen darauf die Freunde dem Dorf zu, Wo in Gärten
und Scheunen und Häusern die Menge von Menschen Wimmelte, Karrn an Karrn
die breite Straße dahin stand. Männer versorgten das brüllende Vieh und
die Pferd' an den Wagen, Wäsche trockneten emsig auf allen Hecken die
Weiber, Und es ergötzten die Kinder sich plätschernd im Wasser des Baches.
Also durch die Wagen sich drängend, durch Menschen und Tiere, Sahen sie
rechts und links sich um, die gesendeten Späher, Ob sie nicht etwa das
Bild des bezeichneten Mädchens erblickten; Aber keine von allen erschien
die herrliche Jungfrau. Stärker fanden sie bald das Gedränge. Da war um
die Wagen Streit der drohenden Männer, worein sich mischten die Weiber,
Schreiend. Da nahte sich schnell mit würdigen Schritten ein Alter, Trat
zu den Scheltenden hin; und sogleich verklang das Getöse, Als er Ruhe
gebot, und väterlich ernst sie bedrohte. "Hat uns", rief er, "noch nicht
das Unglück also gebändigt, Daß wir endlich verstehn, uns untereinander zu
dulden Und zu vertragen, wenn auch nicht jeder die Handlungen abmißt?
Unverträglich fürwahr ist der Glückliche! Werden die Leiden Endlich euch
lehren, nicht mehr, wie sonst, mit dem Bruder zu hadern? Gönnet einander
den Platz auf fremdem Boden und teilet, Was ihr habet, zusammen, damit ihr
Barmherzigkeit findet!"

Also sagte der Mann, und alle schwiegen; verträglich Ordneten Vieh und
Wagen die wieder besänftigten Menschen. Als der Geistliche nun die Rede
des Mannes vernommen Und den ruhigen Sinn des fremden Richters entdeckte,
Trat er an ihn heran und sprach die bedeutenden Worte: "Vater, fürwahr!
wenn das Volk in glücklichen Tagen dahinlebt, Von der Erde sich nährend,
die weit und breit sich auftut Und die erwünschten Gaben in Jahren und
Monden erneuert, Da geht alles von selbst, und jeder ist sich der Klügste
Wie der Beste; und so bestehen sie nebeneinander, Und der vernünftigste
Mann ist wie ein andrer gehalten: Denn was alles geschieht, geht still,
wie von selber, den Gang fort. Aber zerrüttet die Not die gewöhnlichen
Wege des Lebens, Reißt das Gebäude nieder und wühlet Garten und Saat um,
Treibt den Mann und das Weib vom Raume der traulichen Wohnung, Schleppt in
die Irre sie fort, durch ängstliche Tage und Nächte: Ach! da sieht man
sich um, wer wohl der verständigste Mann sei, Und er redet nicht mehr die
herrlichen Worte vergebens. Sagt mir, Vater, Ihr seid gewiß der Richter
von diesen Flüchtigen Männern, der Ihr sogleich die Gemüter beruhigt? Ja,
Ihr erscheint mir heut als einer der ältesten Führer, Die durch Wüsten und
Irren vertriebene Völker geleitet. Denk ich doch eben, ich rede mit
Josua oder mit Moses."

Und es versetzte darauf mit ernstem Blicke der Richter: "Wahrlich, unsere
Zeit vergleicht sich den seltensten Zeiten, Die die Geschichte bemerkt,
die heilige wie die gemeine. Denn wer gestern und heut in diesen Tagen
gelebt hat, Hat schon Jahre gelebt: so drängen sich alle Geschichten.
Denk ich ein wenig zurück, so scheint mir ein graues Alter Auf dem Haupte
zu liegen, und doch ist die Kraft noch lebendig. Oh, wir anderen dürfen
uns wohl mit jenen vergleichen, Denen in ernster Stund' erschien im
feurigen Busche Gott der Herr; auch uns erschien er in Wolken und Feuer."

Als nun der Pfarrer darauf noch weiter zu sprechen geneigt war Und das
Schicksal des Manns und der Seinen zu hören verlangte, Sagte behend der
Gefährte mit heimlichen Worten ins Ohr ihm: "Sprecht mit dem Richter nur
fort und bringt das Gespräch auf das Mädchen. Aber ich gehe herum, sie
aufzusuchen, und komme Wieder, sobald ich sie finde." Es nickte der
Pfarrer dagegen, Und durch die Hecken und Gärten und Scheunen suchte der
Späher.




Klio
Das Zeitalter

Als nun der geistliche Herr den fremden Richter befragte, Was die Gemeine
gelitten, wie lang sie von Hause vertrieben, Sagte der Mann darauf: "Nicht
kurz sind unsere Leiden; Denn wir haben das Bittre der sämtlichen Jahre
getrunken, Schrecklicher, weil auch uns die schönste Hoffnung zerstört
ward. Denn wer leugnet es wohl, daß hoch sich das Herz ihm erhoben, Ihm
die freiere Brust mit reineren Pulsen geschlagen, Als sich der erste Glanz
der neuen Sonne heranhob, Als man hörte vom Rechte der Menschen, das allen
gemein sei, Von der begeisternden Freiheit und von der löblichen
Gleichheit! Damals hoffte jeder sich selbst zu leben; es schien sich
Aufzulösen das Band, das viele Länder umstrickte, Das der Müßiggang und
der Eigennutz in der Hand hielt. Schauten nicht alle Völker in jenen
drängenden Tagen Nach der Hauptstadt der Welt, die es schon so lange
gewesen Und jetzt mehr als je den herrlichen Namen verdiente? Waren nicht
jener Männer, der ersten Verkünder der Botschaft, Namen den höchsten
gleich, die unter die Sterne gesetzt sind? Wuchs nicht jeglichem Menschen
der Mut und der Geist und die Sprache?

Und wir waren zuerst, als Nachbarn, lebhaft entzündet. Drauf begann der
Krieg, und die Züge bewaffneter Franken Rückten näher; allein sie schienen
nur Freundschaft zu bringen. Und die brachten sie auch: denn ihnen
erhöht war die Seele Allen; sie pflanzten mit Lust die munteren Bäume der
Freiheit, Jedem das Seine versprechend, und jedem die eigne Regierung.
Hoch erfreute sich da die Jugend, sich freute das Alter, Und der muntere
Tanz begann um die neue Standarte. So gewannen sie bald, die
überwiegenden Franken, Erst der Männer Geist, mit feurigem munterm
Beginnen, Dann die Herzen der Weiber, mit unwiderstehlicher Anmut.
Leicht selbst schien uns der Druck des vielbedürfenden Krieges; Denn die
Hoffnung umschwebte vor unsern Augen die Ferne, Lockte die Blicke hinaus
in neueröffnete Bahnen.

Oh, wie froh ist die Zeit, wenn mit der Braut sich der Bräut'gam Schwinget
im Tanze, den Tag der gewünschten Verbindung erwartend! Aber herrlicher
war die Zeit, in der uns das Höchste, Was der Mensch sich denkt, als nah
und erreichbar sich zeigte. Da war jedem die Zunge gelöst; es sprachen
die Greise, Männer und Jünglinge laut voll hohen Sinns und Gefühles.

Aber der Himmel trübte sich bald. Um den Vorteil der Herrschaft Stritt
ein verderbtes Geschlecht, unwürdig, das Gute zu schaffen. Sie
ermordeten sich und unterdrückten die neuen Nachbarn und Brüder und
sandten die eigennützige Menge. Und es praßten bei uns die Obern und
raubten im großen, Und es raubten und praßten bis zu dem Kleinsten die
Kleinen; Jeder schien nur besorgt, es bleibe was übrig für morgen. Allzu
groß war die Not, und täglich wuchs die Bedrückung; Niemand vernahm das
Geschrei, sie waren die Herren des Tages. Da fiel Kummer und Wut auch
selbst ein gelaßnes Gemüt an, Jeder sann nur und schwur, die Beleidigung
alle zu rächen Und den bittern Verlust der doppelt betrogenen Hoffnung.
Und es wendete sich das Glück auf die Seite der Deutschen, Und der Franke
floh mit eiligen Märschen zurücke. Ach, da fühlten wir erst das traurige
Schicksal des Krieges! Denn der Sieger ist groß und gut; zum wenigsten
scheint er's, Und er schonet den Mann, den besiegten, als wär' er der
seine, Wenn er ihm täglich nützt und mit den Gütern ihm dienet. Aber der
Flüchtige kennt kein Gesetz; denn er wehrt nur den Tod ab Und verzehret
nur schnell und ohne Rücksicht die Güter. Dann ist sein Gemüt auch
erhitzt, und es kehrt die Verzweiflung Aus dem Herzen hervor das
frevelhafte Beginnen. Nichts ist heilig ihm mehr; er raubt es. Die
wilde Begierde Dringt mit Gewalt auf das Weib und macht die Lust zum
Entsetzen. Überall sieht er den Tod und genießt die letzten Minuten
Grausam, freut sich des Bluts und freut sich des heulenden Jammers.

Grimmig erhob sich darauf in unsern Männern die Wut nun, Das Verlorne zu
rächen und zu verteid'gen die Reste. Alles ergriff die Waffen, gelockt
von der Eile des Flüchtlings Und vom blassen Gesicht und scheu unsicheren
Blicke. Rastlos nun erklang das Getön der stürmenden Glocke, Und die
künft'ge Gefahr hielt nicht die grimmige Wut auf. Schnell verwandelte
sich des Feldbaus friedliche Rüstung Nun in Wehre; da troff von Blute
Gabel und Sense. Ohne Begnadigung fiel der Feind und ohne Verschonung;
Überall raste die Wut und die feige, tückische Schwäche. Möcht' ich den
Menschen doch nie in dieser schnöden Verirrung Wieder sehn! Das wütende
Tier ist ein besserer Anblick. Sprech' er doch nie von Freiheit, als
könn' er sich selber regieren! Losgebunden erscheint, sobald die Schranken
hinweg sind, Alles Böse, das tief das Gesetz in die Winkel zurücktrieb."

"Trefflicher Mann!" versetzte darauf der Pfarrer mit Nachdruck, "Wenn ihr
den Menschen verkennt, so kann ich Euch darum nicht schelten; Habt Ihr
doch Böses genug erlitten vorn wüsten Beginnen! Wolltet Ihr aber zurück
die traurigen Tage durchschauen, Würdet Ihr selber gestehen, wie oft Ihr
auch Gutes erblicktet. Manches Treffliche, das verborgen bleibt in dem
Herzen, Regt die Gefahr es nicht auf, und drängt die Not nicht den
Menschen, Daß er als Engel sich zeig', erscheine den andern ein Schutzgott."

Lächelnd versetzte darauf der alte würdige Richter. "Ihr erinnert mich
klug, wie oft nach dem Brande des Hauses Man den betrübten Besitzer an
Gold und Silber erinnert, Das geschmolzen im Schutt nun überblieben
zerstreut liegt. Wenig ist es fürwahr, doch auch das wenige köstlich;
Und der Verarmte gräbet ihm nach und freut sich des Fundes. Und so kehr
ich auch gern die heitern Gedanken zu jenen Wenigen guten Taten, die
aufbewahrt das Gedächtnis. Ja, ich will es nicht leugnen, ich sah sich
Feinde versöhnen, Um die Stadt vom Übel zu retten; ich sah auch der
Freunde, Sah der Eltern Lieb' und der Kinder Unmögliches wagen; Sah, wie
der Jüngling auf einmal zum Mann ward, sah, wie der Greis sich Wieder
verjüngte, das Kind sich selbst als Jüngling enthüllte. Ja, und das
schwache Geschlecht, so wie es gewöhnlich genannt wird, Zeigte sich tapfer
und mächtig und gegenwärtigen Geistes. Und so laßt mich vor allen der
schönen Tat noch erwähnen, Die hochherzig ein Mädchen vollbrachte, die
treffliche Jungfrau, Die auf dem großen Gehöft allein mit den Mädchen
zurückblieb; Denn es waren die Männer auch gegen die Fremden gezogen. Da
überfiel den Hof ein Trupp verlaufnen Gesindels, Plündernd, und drängte
sogleich sich in die Zimmer der Frauen. Sie erblickten das Bild der
schön erwachsenen Jungfrau Und die lieblichen Mädchen, noch eher Kinder zu
heißen. Da ergriff sie wilde Begier, sie stürmten gefühllos Auf die
zitternde Schar und aufs hochherzige Mädchen. Aber sie riß dem einen
sogleich von der Seite den Säbel, Hieb ihn nieder gewaltig; er stürzt' ihr
blutend zu Füßen. Dann mit männlichen Streichen befreite sie tapfer die
Mädchen, Traf noch viere der Räuber; doch die entflohen dem Tode. Dann
verschloß sie den Hof und harrte der Hülfe, bewaffnet."

Als der Geistliche nun das Lob des Mädchens vernommen, Stieg die Hoffnung
sogleich für seinen Freund im Gemüt auf, Und er war im Begriff, zu fragen,
wohin sie geraten? Ob auf der traurigen Flucht sie nun mit dem Volk sich
befinde? Aber da trat herbei der Apotheker behende, Zupfte den geistlichen
Herrn und sagte die wispernden Worte: "Hab ich doch endlich das Mädchen
aus vielen hundert gefunden, Nach der Beschreibung! So kommt und sehet
sie selber mit Augen; Nehmet den Richter mit Euch, damit wir das Weitere
hören!" Und sie kehrten sich um, und weg war gerufen der Richter Von den
Seinen, die ihn, bedürftig des Rates, verlangten. Doch es folgte
sogleich dem Apotheker der Pfarrherr An die Lücke des Zauns, und jener
deutete listig. "Seht Ihr", sagt' er, "das Mädchen? Sie hat die Puppe
gewickelt, Und ich erkenne genau den alten Kattun und den blauen
Kissenüberzug wohl, den ihr Hermann im Bündel gebracht hat. Sie
verwendete schnell, fürwahr, und gut die Geschenke. Diese sind deutliche
Zeichen, es treffen die übrigen alle; Denn der rote Latz erhebt den
gewölbeten Busen, Schön geschnürt, und es liegt das schwarze Mieder ihr
knapp an; Sauber ist der Saum des Hemdes zur Krause gefaltet Und umgibt
ihr das Kinn, das runde, mit reinlicher Anmut; Frei und heiter zeigt sich
des Kopfes zierliches Eirund, Und die starken Zöpfe um silberne Nadeln
gewickelt; Sitzt sie gleich, so sehen wir doch die treffliche Größe Und
den blauen Rock, der, vielgefaltet, vom Busen Reichlich herunterwallt zum
wohlgebildeten Knöchel. Ohne Zweifel, sie ist's. Drum kommet, damit wir
vernehmen, Ob sie gut und tugendhaft sei, ein häusliches Mädchen."

Da versetzte der Pfarrer, mit Blicken die Sitzende prüfend: "Daß sie den
Jüngling entzückt, fürwahr, es ist mir kein Wunder, Denn sie hält vor dem
Blick des erfahrenen Mannes die Probe. Glücklich, wem doch Mutter Natur
die rechte Gestalt gab! Denn sie empfiehlst ihn stets, und nirgends ist er
ein Fremdling. Jeder nahet sich gern, und jeder möchte verweilen, Wenn
die Gefälligkeit nur sich zu der Gestalt noch gesellet. Ich versichr'
Euch, es ist dem Jüngling ein Mädchen gefunden, Das ihm die künftigen Tage
des Lebens herrlich erheitert, Treu mit weiblicher Kraft durch alle Zeiten
ihm beisteht. So ein vollkommener Körper gewiß verwahrt auch die Seele
Rein, und die rüstige Jugend verspricht ein glückliches Alter." Und es
sagte darauf der Apotheker bedenklich: "Trüget doch öfter der Schein! Ich
mag dem Äußern nicht trauen, Denn ich habe das Sprichwort so oft erprobet
gefunden: "Eh' du den Scheffel Salz mit dem neuen Bekannten verzehret,
Darfst du nicht leichtlich ihm trauen; dich macht die Zeit nur gewisser,
Wie du es habest mit ihm und wie die Freundschaft bestehe." Lasset uns
also zuerst bei guten Leuten uns umtun, Denen das Mädchen bekannt ist und
die uns von ihr nun erzählen."

"Auch ich lobe die Vorsicht", versetzte der Geistliche folgend; "Frein wir
doch nicht für uns! Für andere frein ist bedenklich." Und sie gingen
darauf dem wackern Richter entgegen, Der in seinen Geschäften die Straße
wieder heraufkam. Und zu ihm sprach sogleich der kluge Pfarrer mit
Vorsicht: "Sagt! wir haben ein Mädchen gesehn, das im Garten zunächst
hier Unter dem Apfelbaum sitzt und Kindern Kleider verfertigt Aus
getragnem Kattun, der ihr vermutlich geschenkt ward. Uns gefiel die
Gestalt, sie scheint der Wackeren eine. Saget uns, was Ihr wißt; wir
fragen aus löblicher Absicht."

Als, in den Garten zu blicken, der Richter sogleich nun herzutrat, Sagt'
er: "Diese kennet Ihr schon; denn wenn ich erzählte Von der herrlichen Tat,
die jene Jungfrau verrichtet, Als sie das Schwert ergriff und sich und
die Ihren beschützte Diese war's! Ihr seht es ihr an, sie ist rüstig
geboren, Aber so gut wie stark; denn ihren alten Verwandten Pflegte sie
bis zum Tode, da ihn der Jammer dahinriß Über des Städtchens Not und
seiner Besitzung Gefahren. Auch, mit stillem Gemüt, hat sie die
Schmerzen ertragen Über des Bräutigams Tod, der, ein edler Jüngling, im
ersten Feuer des hohen Gedankens nach edler Freiheit zu streben, Selbst
hinging nach Paris und bald den schrecklichen Tod fand; Denn wie zu Hause,
so dort, bestritt er Willkür und Ränke." Also sagte der Richter. Die
beiden schieden und dankten, Und der Geistliche zog ein Goldstück (das
Silber des Beutels War vor einigen Stunden von ihm schon milde verspendet,
Als er die Flüchtlinge sah in traurigen Haufen vorbeiziehn), Und er
reicht' es dem Schulzen und sagte: "Teilet den Pfennig Unter die Dürftigen
aus, und Gott vermehre die Gabe!" Doch es weigerte sich der Mann und sagte:
"Wir haben Manchen Taler gerettet und manche Kleider und Sachen, Und ich
hoffe, wir kehren zurück, noch eh es verzehrt ist."

Da versetzte der Pfarrer und drückt' ihm das Geld in die Hand ein:
"Niemand säume zu geben in diesen Tagen, und niemand Weigre sich
anzunehmen, was ihm die Milde geboten! Niemand weiß, wie lang er es hat,
was er ruhig besitzet; Niemand, wie lang er noch in fremden Landen
umherzieht Und des Ackers entbehrt und des Gartens, der ihn ernähret."

"Ei doch!" sagte darauf der Apotheker geschäftig, "Wäre mir jetzt nur
Geld in der Tasche, so solltet Ihr's haben, Groß wie klein; denn viele
gewiß der Euren bedürfen's. Unbeschenkt doch laß ich Euch nicht, damit
Ihr den Willen Sehet, woferne die Tat auch hinter dem Willen zurückbleibt."
Also sprach er und zog den gestickten ledernen Beutel An den Riemen
hervor, worin der Tobak ihm verwahrt war, Öffnete zierlich und teilte; da
fanden sich einige Pfeifen. "Klein ist die Gabe", setzt' er dazu. Da
sagte der Schultheiß. "Guter Tobak ist doch dem Reisenden immer
willkommen." Und es lobte darauf der Apotheker den Knaster.

Aber der Pfarrherr zog ihn hinweg, und sie schieden vom Richter. "Eilen
wir!" sprach der verständige Mann; "es wartet der Jüngling Peinlich. Er
höre so schnell als möglich die fröhliche Botschaft." Und sie eilten und
kamen und fanden den Jüngling gelehnet An den Wagen unter den Linden. Die
Pferde zerstampften Wild den Rasen; er hielt sie im Zaum und stand in
Gedanken, Blickte still vor sich hin und sah die Freunde nicht eher, Bis
sie kommend ihn riefen und fröhliche Zeichen ihm gaben. Schon von ferne
begann der Apotheker zu sprechen; Doch sie traten näher hinzu. Da faßte
der Pfarrherr Seine Hand und sprach und nahm dem Gefährten das Wort weg:
"Heil dir, junger Mann! dein treues Auge, dein treues Herz hat richtig
gewählt! Glück dir und dem Weibe der Jugend! Deiner ist sie wert; drum
komm und wende den Wagen, Daß wir fahrend sogleich die Ecke des Dorfes
erreichen, Um sie werben und bald nach Hause führen die Gute."

Aber der Jüngling stand, und ohne Zeichen der Freude Hört' er die Worte
des Boten, die himmlisch waren und tröstlich, Seufzete tief und sprach:
"Wir kamen mit eilendem Fuhrwerk, Und wir ziehen vielleicht beschämt und
langsam nach Hause; Denn hier hat mich, seitdem ich warte, die Sorge
befallen, Argwohn und Zweifel und alles, was nur ein liebendes Herz kränkt.
Glaubt Ihr, wenn wir nur kommen, so werde das Mädchen uns folgen, Weil
wir reich sind, aber sie arm und vertrieben einherzieht? Armut selbst
macht stolz, die unverdiente. Genügsam Scheint das Mädchen und tätig; und
so gehört ihr die Welt an. Glaubt Ihr, es sei ein Weib von solcher
Schönheit und Sitte Aufgewachsen, um nie den guten Jüngling zu reizen?
Glaubt Ihr, sie habe bis jetzt ihr Herz verschlossen der Liebe? Fahret
nicht rasch bis hinan; wir möchten zu unsrer Beschämung Sachte die Pferde
herum nach Hause lenken. Ich fürchte, Irgendein Jüngling besitzt dies
Herz, und die wackere Hand hat Eingeschlagen und schon dem Glücklichen
Treue versprochen. Ach! da steh ich vor ihr mit meinem Antrag beschämet."

Ihn zu trösten, öffnete drauf der Pfarrer den Mund schon; Doch es fiel der
Gefährte mit seiner gesprächigen Art ein: "Freilich! so wären wir nicht
vorzeiten verlegen gewesen, Da ein jedes Geschäft nach seiner Weise
vollbracht ward. Hatten die Eltern die Braut für ihren Sohn sich ersehen,
Ward zuvörderst ein Freund vom Hause vertraulich gerufen; Diesen sandte
man dann als Freiersmann zu den Eltern Der erkorenen Braut, der dann in
stattlichem Putze Sonntags etwa nach Tische den würdigen Bürger besuchte,
Freundliche Worte mit ihm im allgemeinen zuvörderst Wechselnd und klug das
Gespräch zu lenken und wenden verstehend. Endlich nach langem Umschweif
ward auch der Tochter erwähnet, Rühmlich, und rühmlich des Manns und des
Hauses, von dem man gesandt war. Kluge Leute merkten die Absicht; der
kluge Gesandte Merkte den Willen gar bald und konnte sich weiter erklären.
Lehnte den Antrag man ab, so war auch ein Korb nicht verdrießlich.
Aber gelang es denn auch, so war der Freiersmann immer In dem Hause der
Erste bei jedem häuslichen Feste; Denn es erinnerte sich durchs ganze
Leben das Ehpaar, Daß die geschickte Hand den ersten Knoten geschlungen.
Jetzt ist aber das alles mit andern guten Gebräuchen Aus der Mode gekommen,
und jeder freit für sich selber. Nehme denn jeglicher auch den Korb mit
eigenen Händen, Der ihm etwa beschert ist, und stehe beschämt vor dem
Mädchen!"

"Sei es, wie ihm auch sei!" versetzte der Jüngling, der kaum auf Alle die
Worte gehört und schon sich im stillen entschlossen; "Selber geh ich und
will mein Schicksal selber erfahren Aus dem Munde des Mädchens, zu dem ich
das größte Vertrauen Hege, das irgendein Mensch nur je zu dem Weibe gehegt
hat. Was sie sagt, das ist gut, es ist vernünftig, das weiß ich. Soll
ich sie auch zum letztenmal sehn, so will ich noch einmal Diesem offenen
Blick des schwarzen Auges begegnen; Drück ich sie nie an das Herz, so will
ich die Brust und die Schultern Einmal noch sehn, die mein Arm so sehr zu
umschließen begehret; Will den Mund noch sehen, von dem ein Kuß und das Ja
mich Glücklich macht auf ewig, das Nein mich auf ewig zerstöret. Aber
laßt mich allein! Ihr sollt nicht warten. Begebet Euch zu Vater und
Mutter zurück, damit sie erfahren, Daß sich der Sohn nicht geirrt, und daß
es wert ist das Mädchen. Und so laßt mich allein! Den Fußweg über den
Hügel An dem Birnbaum hin und unsern Weinberg hinunter Geh ich näher nach
Hause zurück. Oh, daß ich die Traute Freudig und schnell heimführte!
Vielleicht auch schleich ich alleine Jene Pfade nach Haus und betrete froh
sie nicht wieder."

Also sprach er und gab dem geistlichen Herrn die Zügel, Der verständig sie
faßte, die schäumenden Rosse beherrschend, Schnell den Wagen bestieg und
den Sitz des Führers besetzte.

Aber du zaudertest noch, vorsichtiger Nachbar, und sagtest: "Gerne vertrau
ich, mein Freund, Euch Seel' und Geist und Gemüt an; Aber Leib und Gebein
ist nicht zum besten verwahret, Wenn die geistliche Hand der weltlichen
Zügel sich anmaßt." Doch du lächeltest drauf, verständiger Pfarrer, und
sagtest: "Sitzet nur ein, und getrost vertraut mir den Leib, wie die Seele;
Denn geschickt ist die Hand schon lange, den Zügel zu führen, Und das
Auge geübt, die künstlichste Wendung zu treffen. Denn wir waren in
Straßburg gewohnt, den Wagen zu lenken, Als ich den jungen Baron dahin
begleitete; täglich Rollte der Wagen, geleitet von mir, das hallende Tor
durch, Staubige Wege hinaus, bis fern zu den Auen und Linden, Mitten durch
Scharen des Volks, das mit Spazieren den Tag lebt."

Halb getröstet bestieg darauf der Nachbar den Wagen, Saß wie einer, der
sich zum weislichen Sprunge bereitet; Und die Hengste rannten nach Hause,
begierig des Stalles. Aber die Wolke des Staubs quoll unter den
mächtigen Hufen. Lange noch stand der Jüngling und sah den Staub sich
erheben, Sah den Staub sich zerstreun; so stand er ohne Gedanken.




Erato
Dorothea

Wie der wandernde Mann, der vor dem Sinken der Sonne Sie noch einmal ins
Auge, die schnell verschwindende, faßte, Dann im dunkeln Gebüsch und an
der Seite des Felsens Schweben siehet ihr Bild; wohin er die Blicke nur
wendet, Eilet es vor und glänzt und schwankt in herrlichen Farben: So
bewegte vor Hermann die liebliche Bildung des Mädchens Sanft sich vorbei
und schien dem Pfad ins Getreide zu folgen. Aber er fuhr aus dem
staunenden Traum auf, wendete langsam Nach dem Dorfe sich zu und staunte
wieder; denn wieder Kam ihm die hohe Gestalt des herrlichen Mädchens
entgegen. Fest betrachtet' er sie; es war kein Scheinbild, sie war es
Selber. Den größeren Krug und einen kleinern am Henkel Tragend in
jeglicher Hand: so schritt sie geschäftig zum Brunnen. Und er ging ihr
freudig entgegen. Es gab ihm ihr Anblick Mut und Kraft; er sprach zu
seiner Verwunderten also: "Find ich dich, wackeres Mädchen, so bald aufs
neue beschäftigt, Hülfreich andern zu sein und gern zu erquicken die
Menschen? Sag, warum kommst du allein zum Quell, der doch so entfernt
liegt, Da sich andere doch mit dem Wasser des Dorfes begnügen? Freilich
ist dies von besonderer Kraft und lieblich zu kosten. Jener Kranken
bringst du es wohl, die du treulich gerettet?"

Freundlich begrüßte sogleich das gute Mädchen den Jüngling, Sprach: "So
ist schon hier der Weg mir zum Brunnen belohnet, Da ich finde den Guten,
der uns so vieles gereicht hat; Denn der Anblick des Gebers ist, wie die
Gaben, erfreulich. Kommt und sehet doch selber, wer Eure Milde genossen,
Und empfanget den ruhigen Dank von allen Erquickten. Daß Ihr aber
sogleich vernehmet, warum ich gekommen, Hier zu schöpfen, wo rein und
unablässig der Quell fließt, Sag ich Euch dies: es haben die
unvorsichtigen Menschen Alles Wasser getrübt im Dorfe, mit Pferden und
Ochsen Gleich durchwatend den Quell, der Wasser bringt den Bewohnern.
Und so haben sie auch mit Waschen und Reinigen alle Tröge des Dorfes
beschmutzt und alle Brunnen besudelt; Denn ein jeglicher denkt nur, sich
selbst und das nächste Bedürfnis Schnell zu befriedigen und rasch, und
nicht des Folgenden denkt er."

Also sprach sie und war die breiten Stufen hinunter Mit dem Begleiter
gelangt; und auf das Mäuerchen setzten Beide sich nieder des Quells. Sie
beugte sich über, zu schöpfen; Und er faßte den anderen Krug und beugte
sich über. Und sie sahen gespiegelt ihr Bild in der Bläue des Himmels
Schwanken und nickten sich zu und grüßten sich freundlich im Spiegel.
"Laß mich trinken", sagte darauf der heitere Jüngling; Und sie reicht' ihm
den Krug. Dann ruhten sie beide, vertraulich Auf die Gefäße gelehnt; sie
aber sagte zum Freunde: "Sage, wie find ich dich hier? und ohne Wagen und
Pferde Ferne vom Ort, wo ich erst dich gesehn? wie bist du gekommen?"

Denkend schaute Hermann zur Erde; dann hob er die Blicke Ruhig gegen sie
auf und sah ihr freundlich ins Auge, Fühlte sich still und getrost.
Jedoch ihr von Liebe zu sprechen, Wär' ihm unmöglich gewesen; ihr Auge
blickte nicht Liebe, Aber hellen Verstand, und gebot verständig zu reden.
Und er faßte sich schnell, und sagte traulich zum Mädchen: "Laß mich
reden, mein Kind, und deine Fragen erwidern. Deinetwegen kam ich hierher!
was soll ich's verbergen? Denn ich lebe beglückt mit beiden liebenden
Eltern Denen ich treulich das Haus und die Güter helfe verwalten Als der
einzige Sohn, und unsre Geschäfte sind vielfach. Alle Felder besorg ich,
der Vater waltet im Hause Fleißig, die tätige Mutter belebt im ganzen die
Wirtschaft. Aber du hast gewiß auch erfahren, wie sehr das Gesinde Bald
durch Leichtsinn und bald durch Untreu plaget die Hausfrau, Immer sie
nötigt zu wechseln und Fehler um Fehler zu tauschen. Lange wünschte die
Mutter daher sich ein Mädchen im Hause, Das mit der Hand nicht allein, das
auch mit dem Herzen ihr hülfe, An der Tochter Statt, der leider frühe
verlornen. Nun, als ich heut am Wagen dich sah, in froher Gewandtheit,
Sah die Stärke des Arms und die volle Gesundheit der Glieder, Als ich die
Worte vernahm, die verständigen, war ich betroffen, Und ich eilte nach
Hause, den Eltern und Freunden die Fremde Rühmend nach ihrem Verdienst.
Nun komm ich dir aber zu sagen, Was sie wünschen wie ich.--Verzeih mir die
stotternde Rede."

"Scheuet Euch nicht", so sagte sie drauf, "das Weitre zu sprechen; Ihr
beleidigt mich nicht, ich hab es dankbar empfunden. Sagt es nur grad
heraus; mich kann das Wort nicht erschrecken: Dingen möchtet Ihr mich als
Magd für Vater und Mutter, Zu versehen das Haus, das wohlerhalten Euch
dasteht; Und Ihr glaubet an mir ein tüchtiges Mädchen zu finden, Zu der
Arbeit geschickt und nicht von rohem Gemüte. Euer Antrag war kurz, so
soll die Antwort auch kurz sein. Ja, ich gehe mit Euch und folge dem
Rufe des Schicksals. Meine Pflicht ist erfüllt, ich habe die Wöchnerin
wieder Zu den Ihren gebracht, sie freuen sich alle der Rettung; Schon sind
die meisten beisammen, die übrigen werden sich finden. Alle denken gewiß,
in kurzen Tagen zur Heimat Wiederzukehren, so pflegt sich stets der
Vertriebne zu schmeicheln, Aber ich täusche mich nicht mit leichter
Hoffnung in diesen Traurigen Tagen, die uns noch traurige Tage versprechen:
Denn gelöst sind die Bande der Welt; wer knüpfet sie wieder Als allein
nur die Not, die höchste, die uns bevorsteht! Kann ich im Hause des
würdigen Manns mich, dienend, ernähren Unter den Augen der trefflichen
Frau, so tu ich es gerne; Denn ein wanderndes Mädchen ist immer von
schwankendem Rufe. Ja, ich gehe mit Euch, sobald ich die Krüge den
Freunden Wiedergebracht und noch mir den Segen der Guten erbeten. Kommt!
Ihr müsset sie sehen, und mich von ihnen empfangen."

Fröhlich hörte der Jüngling des willigen Mädchens Entschließung, Zweifelnd,
ob er ihr nun die Wahrheit sollte gestehen. Aber es schien ihm das
beste zu sein, in dem Wahn sie zu lassen, In sein Haus sie zu führen, zu
werben um Liebe nur dort erst. Ach! und den goldenen Ring erblickt' er
am Finger des Mädchens; Und so ließ er sie sprechen und horchte fleißig
den Worten.

"Laßt uns", fuhr sie nun fort, "zurücke kehren! Die Mädchen Werden immer
getadelt, die lange beim Brunnen verweilen; Und doch ist es am rinnenden
Quell so lieblich zu schwätzen." Also standen sie auf und schauten beide
noch einmal In den Brunnen zurück, und süßes Verlangen ergriff sie.

Schweigend nahm sie darauf die beiden Krüge beim Henkel, Stieg die Stufen
hinan, und Hermann folgte der Lieben. Einen Krug verlangt' er von ihr,
die Bürde zu teilen. "Laßt ihn", sprach sie; "es trägt sich besser die
gleichere Last so. Und der Herr, der künftig befiehlt, er soll mir nicht
dienen. Seht mich so ernst nicht an, als wäre mein Schicksal bedenklich!
Dienen lerne beizeiten das Weib nach ihrer Bestimmung! Denn durch Dienen
allein gelangt sie endlich zum Herrschen, Zu der verdienten Gewalt, die
doch ihr im Hause gehöret. Dienet die Schwester dem Bruder doch früh,
sie dienet den Eltern, Und ihr Leben ist immer ein ewiges Gehen und Kommen
Oder ein Heben und Tragen, Bereiten und Schaffen für andre. Wohl ihr,
wenn sie daran sich gewöhnt, daß kein Weg ihr zu sauer Wird, und die
Stunden der Nacht ihr sind wie die Stunden des Tages, Daß ihr niemals die
Arbeit zu klein und die Nadel zu fein dünkt, Daß sie sich ganz vergißt und
leben mag nur in andern! Denn als Mutter, fürwahr, bedarf sie der Tugenden
alle, Wenn der Säugling die Krankende weckt und Nahrung begehret Von der
Schwachen und so zu Schmerzen Sorgen sich häufen. Zwanzig Männer
verbunden ertrügen nicht diese Beschwerde, Und sie sollen es nicht; doch
sollen sie dankbar es einsehn."

Also sprach sie und war mit ihrem stillen Begleiter Durch den Garten
gekommen, bis an die Tenne der Scheune, Wo die Wöchnerin lag, die sie froh
mit den Töchtern verlassen, Jenen geretteten Mädchen, den schönen Bildern
der Unschuld. Beide traten hinein; und von der anderen Seite Trat, ein
Kind an jeglicher Hand, der Richter zugleich ein. Diese waren bisher der
jammernden Mutter verloren; Aber gefunden hatte sie nun im Gewimmel der
Alte. Und sie sprangen mit Lust, die liebe Mutter zu grüßen, Sich des
Bruders zu freun, des unbekannten Gespielen! Auf Dorotheen sprangen sie
dann und grüßten sie freundlich, Brot verlangend und Obst, vor allem aber
zu trinken. Und sie reichte das Wasser herum. Da tranken die Kinder,
Und die Wöchnerin trank mit den Töchtern, so trank auch der Richter.
Alle waren geletzt und lobten das herrliche Wasser; Säuerlich war's und
erquicklich, gesund zu trinken den Menschen.

Da versetzte das Mädchen mit ernsten Blicken und sagte: "Freunde, dieses
ist wohl das letztemal, daß ich den Krug Euch Führe zum Munde, daß ich die
Lippen mit Wasser Euch netze: Aber wenn Euch fortan am heißen Tage der
Trunk labt, Wenn Ihr im Schatten der Ruh' und der reinen Quellen genießet,
Dann gedenket auch mein und meines freundlichen Dienstes, Den ich aus
Liebe mehr als aus Verwandtschaft geleistet. Was Ihr mir Gutes erzeigt,
erkenn ich durchs künftige Leben. Ungern laß ich Euch zwar; doch jeder
ist diesmal dem andern Mehr zur Last als zum Trost, und alle müssen wir
endlich Uns im fremden Lande zerstreun, wenn die Rückkehr versagt ist.
Seht, hier steht der Jüngling, dem wir die Gaben verdanken, Diese Hülle
des Kinds und jene willkommene Speise. Dieser kommt und wirbt, in seinem
Haus mich zu sehen, Daß ich diene daselbst den reichen trefflichen Eltern;
Und ich schlag es nicht ab; denn überall dienet das Mädchen, Und ihr wäre
zur Last, bedient im Hause zu ruhen. Also folg ich ihm gern; er scheint
ein verständiger Jüngling, Und so werden die Eltern es sein, wie Reichen
geziemet. Darum lebet nun wohl, geliebte Freundin, und freuet Euch des
lebendigen Säuglings, der schon so gesund Euch anblickt. Drücket Ihr ihn
an die Brust in diesen farbigen Wickeln, Oh, so gedenket des Jünglings,
des guten, der sie uns reichte, Und der künftig auch mich, die Eure,
nähret und kleidet! Und Ihr, trefflicher Mann", so sprach sie, gewendet
zum Richter, "Habet Dank, daß Ihr Vater mir wart in mancherlei Fällen!"

Und sie kniete darauf zur guten Wöchnerin nieder, Küßte die weinende Frau
und vernahm des Segens Gelispel. Aber du sagtest indes, ehrwürdiger
Richter, zu Hermann: "Billig seid Ihr, o Freund, zu den guten Wirten zu
zählen, Die mit tüchtigen Menschen den Haushalt zu führen bedacht sind.
Denn ich habe wohl oft gesehn, daß man Rinder und Pferde, So wie Schafe,
genau bei Tausch und Handel betrachtet; Aber den Menschen, der alles
erhält, wenn er tüchtig und gut ist, Und der alles zerstreut und zerstört
durch falsches Beginnen, Diesen nimmt man nur so auf Glück und Zufall ins
Haus ein Und bereuet zu spät ein übereiltes Entschließen. Aber es
scheint, Ihr versteht's; denn Ihr habt ein Mädchen erwählet, Euch zu
dienen im Haus und Euren Eltern, das brav ist. Haltet sie wohl! Ihr
werdet, solang sie der Wirtschaft sich annimmt, Nicht die Schwester
vermissen, noch Eure Eltern die Tochter."

Viele kamen indes, der Wöchnerin nahe Verwandte, Manches bringend und ihr
die bessere Wohnung verkündend. Alle vernahmen des Mädchens Entschluß
und segneten Hermann Mit bedeutenden Blicken und mit besondern Gedanken.
Denn so sagte wohl eine zur andern flüchtig ans Ohr hin: "Wenn aus dem
Herrn ein Bräutigam wird, so ist sie geborgen." Hermann faßte darauf sie
bei der Hand an und sagte: "Laß uns gehen! es neigt sich der Tag, und
fern ist das Städtchen." Lebhaft gesprächig umarmten darauf Dorotheen die
Weiber. Hermann zog sie hinweg; noch viele Grüße befahl sie. Aber da
fielen die Kinder mit Schrein und entsetzlichem Weinen Ihr in die Kleider
und wollten die zweite Mutter nicht lassen. Aber ein' und die andre der
Weiber sagte gebietend: "Stille, Kinder! sie geht in die Stadt, und
bringt euch des guten Zuckerbrotes genug, das euch der Bruder bestellte,
Als der Storch ihn jüngst beim Zuckerbäcker vorbeitrug, Und ihr sehet sie
bald mit den schön vergoldeten Deuten." Und so ließen die Kinder sie los,
und Hermann entriß sie Noch den Umarmungen kaum und den ferne winkenden
Tüchern.




Melpomene
Hermann und Dorothea

Also gingen die zwei entgegen der sinkenden Sonne, Die in Wolken sich tief,
gewitterdrohend, verhüllte, Aus dem Schleier, bald hier bald dort, mit
glühenden Blicken Strahlend über das Feld die ahnungsvolle Beleuchtung.
"Möge das drohende Wetter", so sagte Hermann, "nicht etwa Schloßen uns
bringen und heftigen Guß; denn schön ist die Ernte." Und sie freuten sich
beide des hohen, wankenden Kornes, Das die Durchschreitenden fast, die
hohen Gestalten, erreichte. Und es sagte darauf das Mädchen zum
leitenden Freunde: "Guter, dem ich zunächst ein freundlich Schicksal
verdanke, Dach und Fach, wenn im Freien so manchem Vertriebnen der Sturm
dräut! Saget mir jetzt vor allem und lehret die Eltern mich kennen, Denen
ich künftig zu dienen von ganzer Seele geneigt bin; Denn kennt jemand den
Herrn, so kann er ihm leichter genug tun, Wenn er die Dinge bedenkt, die
jenem die wichtigsten scheinen, Und auf die er den Sinn, den fest
bestimmten, gesetzt hat. Darum saget mir doch: wie gewinn ich Vater und
Mutter?"

Und es versetzte dagegen der gute, verständige Jüngling: "Oh, wie geb ich
dir recht, du kluges, treffliches Mädchen, Daß du zuvörderst dich nach dem
Sinne der Eltern befragest! Denn so strebt' ich bisher vergebens, dem
Vater zu dienen, Wenn ich der Wirtschaft mich als wie der meinigen annahm,
Früh den Acker und spät und so besorgend den Weinberg. Meine Mutter
befriedigt' ich wohl, sie wußt' es zu schätzen; Und so wirst du ihr auch
das trefflichste Mädchen erscheinen, Wenn du das Haus besorgst, als wenn
du das deine bedächtest. Aber dem Vater nicht so; denn dieser liebet den
Schein auch. Gutes Mädchen, halte mich nicht für kalt und gefühllos,
Wenn ich den Vater dir sogleich, der Fremden, enthülle. Ja, ich schwör
es, das erstemal ist's, daß frei mir ein solches Wort die Zunge verläßt,
die nicht zu schwatzen gewohnt ist; Aber du lockst mir hervor aus der
Brust ein jedes Vertrauen. Einige Zierde verlangt der gute Vater im
Leben, Wünschet äußere Zeichen der Liebe, so wie der Verehrung, Und er
würde vielleicht vom schlechteren Diener befriedigt, Der dies wüßte zu
nutzen, und würde dem besseren gram sein."

Freudig sagte sie drauf, zugleich die schnelleren Schritte Durch den
dunkelnden Pfad verdoppelnd mit leichter Bewegung: "Beide zusammen hoff
ich fürwahr zufriedenzustellen; Denn der Mutter Sinn ist wie mein eigenes
Wesen, Und der äußeren Zierde bin ich von Jugend nicht fremde. Unsere
Nachbarn, die Franken, in ihren früheren Zeiten Hielten auf Höflichkeit
viel; sie war dem Edlen und Bürger Wie den Bauern gemein, und jeder
empfahl sie den Seinen. Und so brachten bei uns auf deutscher Seite
gewöhnlich Auch die Kinder des Morgens mit Händeküssen und Knickschen
Segenswünsche den Eltern und hielten sittlich den Tag aus. Alles, was
ich gelernt und was ich von jung auf gewohnt bin, Was von Herzen mir
geht--ich will es dem Alten erzeigen. Aber wer sagt mir nunmehr: wie
soll ich dir selber begegnen, Dir, dem einzigen Sohn und künftig meinem
Gebieter?"

Also sprach sie, und eben gelangten sie unter den Birnbaum. Herrlich
glänzte der Mond, der volle, vom Himmel herunter; Nacht war's, völlig
bedeckt das letzte Schimmern der Sonne. Und so lagen vor ihnen in Massen
gegeneinander Lichter, hell wie der Tag, und Schatten dunkeler Nächte.
Und es hörte die Frage, die freundliche, gern in dem Schatten Hermann, des
herrlichen Baums, am Orte, der ihm so lieb war, Der noch heute die Tränen
um seine Vertriebne gesehen. Und indem sie sich nieder ein wenig zu
ruhen gesetzet, Sagte der liebende Jüngling, die Hand des Mädchens
ergreifend: "Laß dein Herz dir es sagen, und folg ihm frei nur in allem!"
Aber er wagte kein weiteres Wort, so sehr auch die Stunde Günstig war; er
fürchtete, nur ein Nein zu ereilen, Ach, und er fühlte den Ring am Finger,
das schmerzliche Zeichen. Also saßen sie still und schweigend
nebeneinander. Aber das Mädchen begann und sagte: "Wie find ich des
Mondes Herrlichen Schein so süß! er ist der Klarheit des Tags gleich.
Seh ich doch dort in der Stadt die Häuser deutlich und Höfe, An dem Giebel
ein Fenster; mich deucht, ich zähle die Scheiben."

"Was du siehst", versetzte darauf der gehaltene Jüngling, "Das ist unsere
Wohnung, in die ich nieder dich führe, Und dies Fenster dort ist meines
Zimmers im Dache, Das vielleicht das deine nun wird; wir verändern im
Hause. Diese Felder sind unser, sie reifen zur morgenden Ernte. Hier
im Schatten wollen wir ruhn und des Mahles genießen. Aber laß uns
nunmehr hinab durch Weinberg und Garten Steigen; denn sieh, es rückt das
schwere Gewitter herüber, Wetterleuchtend und bald verschlingend den
lieblichen Vollmond." Und so standen sie auf und wandelten nieder, das
Feld hin, Durch das mächtige Korn, der nächtlichen Klarheit sich freuend;
Und sie waren zum Weinberg gelangt und traten ins Dunkel.

Und so leitet' er sie die vielen Platten hinunter, Die, unbehauen gelegt,
als Stufen dienten im Laubgang. Langsam schritt sie hinab, auf seinen
Schultern die Hände; Und mit schwankenden Lichtern, durchs Laub,
überblickte der Mond sie, Eh' er, von Wetterwolken umhüllt, im Dunkeln das
Paar ließ. Sorglich stützte der Starke das Mädchen, das über ihn herhing;
Aber sie, unkundig des Steigs und der roheren Stufen, Fehlte tretend, es
knackte der Fuß, sie drohte zu fallen. Eilig streckte gewandt der
sinnige Jüngling den Arm aus, Hielt empor die Geliebte; sie sank ihm leis
auf die Schulter, Brust war gesenkt an Brust und Wang' an Wange. So stand
er, Starr wie ein Marmorbild, vom ernsten Willen gebändigt, Drückte nicht
fester sie an, er stemmte sich gegen die Schwere. Und so fühlt' er die
herrliche Last, die Wärme des Herzens Und den Balsam des Atems, an seinen
Lippen verhauchet, Trug mit Mannesgefühl die Heldengröße des Weibes.

Doch sie verhehlte den Schmerz und sagte die scherzenden Worte: "Das
bedeutet Verdruß, so sagen bedenkliche Leute Wenn beim Eintritt ins Haus,
nicht fern von der Schwelle, der Fuß knackt. Hätt' ich mir doch fürwahr
ein besseres Zeichen gewünschet! Laß uns ein wenig verweilen, damit dich
die Eltern nicht tadeln Wegen der hinkenden Magd, und ein schlechter Wirt
du erscheinest."




Urania
Aussicht

Musen, die ihr so gern die herzliche Liebe begünstigt, Auf dem Wege bisher
den trefflichen Jüngling geleitet, An die Brust ihm das Mädchen noch vor
der Verlobung gedrückt habt: Helfet auch ferner den Bund des lieblichen
Paares vollenden, Teilet die Wolken sogleich, die über ihr Glück sich
heraufziehn! Aber saget vor allem, was jetzt im Hause geschiehet!

Ungeduldig betrat die Mutter zum drittenmal wieder Schon das Zimmer der
Männer, das sorglich erst sie verlassen, Sprechend vom nahen Gewitter, vom
schnellen Verdunkeln des Mondes; Dann vom Außenbleiben des Sohns und der
Nächte Gefahren; Tadelte lebhaft die Freunde, daß, ohne das Mädchen zu
sprechen, Ohne zu werben für ihn, sie so bald sich vom Jüngling getrennet.

"Mache nicht schlimmer das Übel!" versetzt' unmutig der Vater; "Denn du
siehst, wir harren ja selbst, und warten des Ausgangs."

Aber gelassen begann der Nachbar sitzend zu sprechen: "Immer verdank ich
es doch in solch unruhiger Stunde Meinem seligen Vater, der mir, als
Knaben, die Wurzel Aller Ungeduld ausriß, daß auch kein Fäschen
zurückblieb Und ich erwarten lernte sogleich, wie keiner der Weisen."
"Sagt", versetzte der Pfarrer, "welch Kunststück brauchte der Alte?" "Das
erzähl ich Euch gern, denn jeder kann es sich merken", Sagte der Nachbar
darauf. "Als Knabe stand ich am Sonntag Ungeduldig einmal, die Kutsche
begierig erwartend, Die uns sollte hinaus zum Brunnen führen der Linden.
Doch sie kam nicht; ich lief wie ein Wiesel dahin und dorthin, Treppen
hinauf und hinab und von dem Fenster zur Türe. Meine Hände prickelten
mir; ich kratzte die Tische, Trappelte stampfend herum, und nahe war mir
das Weinen. Alles sah der gelassene Mann; doch als ich es endlich Gar zu
töricht betrieb, ergriff er mich ruhig beim Arme, Führte zum Fenster mich
hin und sprach die bedenklichen Worte: "Siehst du des Tischlers da drüben
für heute geschlossene Werkstatt? Morgen eröffnet er sie; da rühret sich
Hobel und Säge, Und so geht es von frühe bis Abend die fleißigen Stunden.
Aber bedenke dir dies: der Morgen wird künftig erscheinen, Da der Meister
sich regt mit allen seinen Gesellen Dir den Sarg zu bereiten und schnell
und geschickt zu vollenden; Und sie tragen das bretterne Haus geschäftig
herüber, Das den Geduld'gen zuletzt und den Ungeduldigen aufnimmt, Und gar
bald ein drückendes Dach zu tragen bestimmt ist." Alles sah ich sogleich
im Geiste wirklich geschehen, Sah die Bretter gefügt und die schwarze
Farbe bereitet, Saß geduldig nunmehr und harrete ruhig der Kutsche.
Rennen andere nun in zweifelhafter Erwartung Ungebärdig herum, da muß ich
des Sarges gedenken."

Lächelnd sagte der Pfarrer: "Des Todes rührendes Bild steht Nicht als
Schrecken dem Weisen und nicht als Ende dem Frommen. Jenen drängt es ins
Leben zurück und lehret ihn handeln; Diesem stärkt es, zu künftigem Heil,
im Trübsal die Hoffnung; Beiden wird zum Leben der Tod. Der Vater mit
Unrecht Hat dem empfindlichen Knaben den Tod im Tode gewiesen. Zeige man
doch dem Jüngling des edel reifenden Alters Wert und dem Alter die Jugend,
daß beide des ewigen Kreises Sich erfreuen und so sich Leben im Leben
vollende!"

Aber die Tür ging auf. Es zeigte das herrliche Paar sich, Und es
erstaunten die Freunde, die liebenden Eltern erstaunten Über die Bildung
der Braut, des Bräutigams Bildung vergleichbar; Ja, es schien die Türe zu
klein, die hohen Gestalten Einzulassen, die nun zusammen betraten die
Schwelle. Hermann stellte den Eltern sie vor mit fliegenden Worten.
"Hier ist", sagt' er, "ein Mädchen, so wie Ihr im Hause sie wünschet.
Lieber Vater, empfanget sie gut; sie verdient es. Und liebe Mutter,
befragt sie sogleich nach dem ganzen Umfang der Wirtschaft, Daß Ihr seht,
wie sehr sie verdient, Euch näher zu werden." Eilig führt' er darauf den
trefflichen Pfarrer beiseite, Sagte: "Würdiger Herr, nun helft mir aus
dieser Besorgnis Schnell, und löset den Knoten, vor dessen Entwicklung ich
schaudre. Denn ich habe das Mädchen als meine Braut nicht geworben,
Sondern sie glaubt, als Magd in das Haus zu gehn, und ich fürchte, Daß
unwillig sie flieht, sobald wir gedenken der Heirat. Aber entschieden
sei es sogleich! Nicht länger im Irrtum Soll sie bleiben, wie ich nicht
länger den Zweifel ertrage. Eilet und zeiget auch hier die Weisheit, die
wir verehren!" Und es wendete sich der Geistliche gleich zur Gesellschaft.
Aber leider getrübt war durch die Rede des Vaters Schon die Seele des
Mädchens; er hatte die munteren Worte Mit behaglicher Art im guten Sinne
gesprochen: "Ja, das gefällt mir, mein Kind! Mit Freuden erfahr' ich, der
Sohn hat Auch wie der Vater Geschmack, der seinerzeit es gewiesen. Immer
die Schönste zum Tanze geführt und endlich die Schönste In sein Haus als
Frau sich geholt; das Mütterchen war es. Denn an der Braut, die der Mann
sich erwählt, läßt gleich sich erkennen, Welches Geistes er ist, und ob er
sich eigenen Wert fühlt. Aber Ihr brauchtet wohl auch nur wenig Zeit zur
Entschließung? Denn mich dünket fürwahr, ihm ist so schwer nicht zu folgen."

Hermann hörte die Worte nur flüchtig; ihm bebten die Glieder Innen, und
stille war der ganze Kreis nun auf einmal.

Aber das treffliche Mädchen, von solchen spöttischen Worten, Wie sie ihr
schienen, verletzt und tief in der Seele getroffen, Stand, mit fliegender
Röte die Wange bis gegen den Nacken Übergossen; doch hielt sie sich an und
nahm sich zusammen, Sprach zu dem Alten darauf, nicht völlig die Schmerzen
verbergend: "Traun! zu solchem Empfang hat mich der Sohn nicht bereitet,
Der mir des Vaters Art geschildert, des trefflichen Bürgers; Und ich weiß,
ich stehe vor Euch, dem gebildeten Manne, Der sich klug mit jedem beträgt
und gemäß den Personen. Aber so scheint es, Ihr fühlt nicht Mitleid
genug mit der Armen, Die nun die Schwelle betritt und die Euch zu dienen
bereit ist; Denn sonst würdet Ihr nicht mit bitterem Spotte mir zeigen,
Wie entfernt mein Geschick von Eurem Sohn und von Euch sei. Freilich
tret ich nur arm, mit kleinem Bündel ins Haus ein, Das mit allem versehn
die frohen Bewohner gewiß macht; Aber ich kenne mich wohl und fühle das
ganze Verhältnis. Ist es edel, mich gleich mit solchem Spotte zu treffen,
Der auf der Schwelle beinah mich schon aus dem Hause zurücktreibt?"

Bang bewegte sich Hermann und winkte dem geistlichen Freunde, Daß er ins
Mittel sich schlüge, sogleich zu verscheuchen den Irrtum. Eilig trat der
Kluge heran und schaute des Mädchens Stillen Verdruß und gehaltenen
Schmerz und Tränen im Auge. Da befahl ihm sein Geist, nicht gleich die
Verwirrung zu lösen, Sondern vielmehr das bewegte Gemüt zu prüfen des
Mädchens. Und er sagte darauf zu ihr mit versuchenden Worten: "Sicher,
du überlegtest nicht wohl, o Mädchen des Auslands, Wenn du bei Fremden zu
dienen dich allzu eilig entschlossest, Was es heiße, das Haus des
gebietenden Herrn zu betreten; Denn der Handschlag bestimmt das ganze
Schicksal des Jahres, Und gar vieles zu dulden verbindet ein einziges
Jawort. Sind doch nicht das Schwerste des Diensts die ermüdenden Wege,
Nicht der bittere Schweiß der ewig drängenden Arbeit; Denn mit dem Knechte
zugleich bemüht sich der tätige Freie: Aber zu dulden die Laune des Herrn,
wenn er ungerecht tadelt, Oder dieses und jenes begehrt, mit sich selber
in Zwiespalt, Und die Heftigkeit noch der Frauen, die leicht sich erzürnet,
Mit der Kinder roher und übermütiger Unart: Das ist schwer zu ertragen,
und doch die Pflicht zu erfüllen Ungesäumt und rasch, und selbst nicht
mürrisch zu stocken. Doch du scheinst mir dazu nicht geschickt, da die
Scherze des Vaters Schon dich treffen so tief, und doch nichts
gewöhnlicher vorkommt, Als ein Mädchen zu plagen, daß wohl ihr ein
Jüngling gefalle."

Also sprach er. Es fühlte die treffende Rede das Mädchen, Und sie hielt
sich nicht mehr; es zeigten sich ihre Gefühle Mächtig, es hob sich die
Brust, aus der ein Seufzer hervordrang, Und sie sagte sogleich mit heiß
vergossenen Tränen: "Oh, nie weiß der verständige Mann, der im Schmerz uns
zu raten Denkt, wie wenig sein Wort, das kalte, die Brust zu befreien Je
von dem Leiden vermag, das ein hohes Schicksal uns auflegt. Ihr seid
glücklich und froh, wie sollt' ein Scherz Euch verwunden? Doch der
Krankende fühlt auch schmerzlich die leise Berührung. Nein, es hülfe mir
nichts, wenn selbst mir Verstellung gelänge. Zeige sich gleich, was
später nur tiefere Schmerzen vermehrte Und mich drängte vielleicht in
stillverzehrendes Elend. Laßt mich wieder hinweg! Ich darf im Hause
nicht bleiben; Ich will fort und gehe, die armen Meinen zu suchen, Die ich
im Unglück verließ, für mich nur das Bessere wählend. Dies ist mein
fester Entschluß; und ich darf Euch darum nun bekennen, Was im Herzen sich
sonst wohl Jahre hätte verborgen. Ja, des Vaters Spott hat tief mich
getroffen: nicht, weil ich Stolz und empfindlich bin, wie es wohl der Magd
nicht geziemet, Sondern weil mir fürwahr im Herzen die Neigung sich regte
Gegen den Jüngling, der heute mir als ein Erretter erschienen. Denn als
er erst auf der Straße mich ließ, so war er mir immer In Gedanken
geblieben; ich dachte des glücklichen Mädchens, Das er vielleicht schon
als Braut im Herzen möchte bewahren. Und als ich wieder am Brunnen ihn
fand, da freut' ich mich seines Anblicks so sehr, als wär' mir der
Himmlischen einer erschienen. Und ich folgt' ihm so gern, als nun er zur
Magd mich geworben. Doch mir schmeichelte freilich das Herz (ich will es
gestehen) Auf dem Wege hierher, als könnt' ich vielleicht ihn verdienen,
Wenn ich würde des Hauses dereinst unentbehrliche Stütze. Aber, ach!
nun seh ich zuerst die Gefahren, in die ich Mich begab, so nah dem still
Geliebten zu wohnen. Nun erst fühl ich, wie weit ein armes Mädchen
entfernt ist Von dem reicheren Jüngling, und wenn sie die Tüchtigste wäre.
Alles das hab ich gesagt, damit ihr das Herz nicht verkennet, Das ein
Zufall beleidigt, dem ich die Besinnung verdanke. Denn das mußt' ich
erwarten, die stillen Wünsche verbergend, Daß er sich brächte zunächst die
Braut zum Hause geführet; Und wie hätt' ich alsdann die heimlichen
Schmerzen ertragen? Glücklich bin ich gewarnt, und glücklich löst das
Geheimnis Von dem Busen sich los, jetzt, da noch das Übel ist heilbar.
Aber das sei nun gesagt! Und nun soll im Hause mich länger Hier nichts
halten, wo ich beschämt und ängstlich nur stehe, Frei die Neigung
bekennend und jene törichte Hoffnung. Nicht die Nacht, die breit sich
bedeckt mit sinkenden Wolken, Nicht der rollende Donner (ich hör ihn) soll
mich verhindern, Nicht des Regens Guß, der draußen gewaltsam herabschlägt,
Noch der sausende Sturm. Das hab ich alles ertragen Auf der traurigen
Flucht und nah am verfolgenden Feinde. Und ich gehe nun wieder hinaus,
wie ich lange gewohnt bin, Von dem Strudel der Zeit ergriffen, von allem
zu scheiden. Lebet wohl! ich bleibe nicht länger; es ist nun geschehen."

Also sprach sie, sich rasch zurück nach der Türe bewegend, Unter dem Arm
das Bündelchen noch, das sie brachte, bewahrend. Aber die Mutter ergriff
mit beiden Armen das Mädchen, Um den Leib sie fassend, und rief verwundert
und staunend: "Sag, was bedeutet mir dies? und diese vergeblichen Tränen?
Nein, ich lasse dich nicht; du bist mir des Sohnes Verlobte." Aber der
Vater stand mit Widerwillen dagegen, Auf die Weinende schauend, und sprach
die verdrießlichen Worte: "Also das ist mir zuletzt für die höchste
Nachsicht geworden, Daß mir das Unangenehmste geschieht noch zum Schlusse
des Tages! Denn mir ist unleidlicher nichts, als Tränen der Weiber,
Leidenschaftlich Geschrei, das heftig verworren beginnet, Was mit ein
wenig Vernunft sich ließe gemächlicher schlichten. Mir ist lästig, noch
länger dies wunderliche Beginnen Anzuschauen. Vollendet es selbst! ich
gehe zu Bette." Und er wandte sich schnell und eilte zur Kammer zu gehen,
Wo ihm das Ehbett stand und wo er zu ruhen gewohnt war. Aber ihn hielt
der Sohn und sagte die flehenden Worte: "Vater, eilet nur nicht und zürnt
nicht über das Mädchen! Ich nur habe die Schuld von aller Verwirrung zu
tragen, Die unerwartet der Freund noch durch Verstellung vermehrt hat.
Redet, würdiger Herr! denn Euch vertraut' ich die Sache. Häufet nicht
Angst und Verdruß; vollendet lieber das Ganze! Denn ich möchte so hoch
Euch nicht in Zukunft verehren, Wenn Ihr Schadenfreude nur übt statt
herrlicher Weisheit."

Lächelnd versetzte darauf der würdige Pfarrer und sagte: "Welche Klugheit
hätte denn wohl das schöne Bekenntnis Dieser Guten entlockt und uns
enthüllt ihr Gemüte? Ist nicht die Sorge sogleich dir zur Wonn' und Freude
geworden? Rede darum nur selbst! was bedarf es fremder Erklärung?" Nun
trat Hermann hervor und sprach die freundlichen Worte: "Laß dich die
Tränen nicht reun, noch diese flüchtigen Schmerzen; Denn sie vollenden
mein Glück und, wie ich wünsche, das deine. Nicht das treffliche Mädchen
als Magd, die Fremde, zu dingen, Kam ich zum Brunnen; ich kam, um deine
Liebe zu werben. Aber, ach! mein schüchterner Blick, er konnte die
Neigung Deines Herzens nicht sehn; nur Freundlichkeit sah er im Auge, Als
aus dem Spiegel du ihn des ruhigen Brunnens begrüßtest. Dich ins Haus
nur zu führen, es war schon die Hälfte des Glückes. Aber nun vollendest
du mir's! Oh, sei mir gesegnet!" Und es schaute das Mädchen mit tiefer
Rührung zum Jüngling Und vermied nicht Umarmung und Kuß, den Gipfel der
Freude, Wenn sie den Liebenden sind die lang ersehnte Versichrung
Künftigen Glücks im Leben, das nun ein unendliches scheinet.

Und den übrigen hatte der Pfarrherr alles erkläret. Aber das Mädchen kam,
vor dem Vater sich herzlich mit Anmut Neigend und so ihm die Hand, die
zurückgezogene, küssend, Sprach: "Ihr werdet gerecht der Überraschten
verzeihen, Erst die Tränen des Schmerzes und nun die Tränen der Freude.
Oh, vergebt mir jenes Gefühl! vergebt mir auch dieses Und laßt nur mich
ins Glück, das neu mir gegönnte, mich finden! Ja, der erste Verdruß, an
dem ich Verworrene schuld war, Sei der letzte zugleich! Wozu die Magd
sich verpflichtet, Treu, zu liebendem Dienst, den soll die Tochter Euch
leisten!"

Und der Vater umarmte sie gleich, die Tränen verbergend. Traulich kam
die Mutter herbei und küßte sie herzlich, Schüttelte Hand in Hand; es
schwiegen die weinenden Frauen.

Eilig faßte darauf der gute verständige Pfarrherr Erst des Vaters Hand und
zog ihm vom Finger den Trauring (Nicht so leicht; er war vom rundlichen
Gliede gehalten), Nahm den Ring der Mutter darauf und verlobte die Kinder,
Sprach: "Noch einmal sei der goldenen Reifen Bestimmung, Fest ein Band zu
knüpfen, das völlig gleiche dem alten. Dieser Jüngling ist tief von der
Liebe zum Mädchen durchdrungen Und das Mädchen gesteht, daß auch ihr der
Jüngling erwünscht ist. Also verlob' ich euch hier und segn' euch
künftigen Zeiten, Mit dem Willen der Eltern und mit dem Zeugnis des
Freundes."

Und es neigte sich gleich mit Segenswünschen der Nachbar. Aber als der
geistliche Herr den goldenen Reif nun Steckt' an die Hand des Mädchens,
erblickt' er den anderen staunend, Den schon Hermann zuvor am Brunnen
sorglich betrachtet. Und er sagte darauf mit freundlich scherzenden
Worten: "Wie! du verlobest dich schon zum zweitenmal? Daß nicht der
erste Bräutigam bei dem Altar sich zeige mit hinderndem Einspruch!"

Aber sie sagte darauf. "Oh, laßt mich dieser Erinnrung Einen Augenblick
weihen! Denn wohl verdient sie der Gute, Der mir ihn scheidend gab und
nicht zur Heimat zurückkam. Alles sah er voraus, als rasch die Liebe der
Freiheit, Als ihn die Lust, im neuen veränderten Wesen zu wirken, Trieb
nach Paris zu gehn, dahin, wo er Kerker und Tod fand. "Lebe glücklich",
sagt' er. "Ich gehe; denn alles bewegt sich Jetzt auf Erden einmal, es
scheint sich alles zu trennen. Grundgesetze lösen sich auf der festesten
Staaten, Und es löst der Besitz sich los vom alten Besitzer, Freund sich
los von Freund: so löst sich Liebe von Liebe. Ich verlasse dich hier;
und wo ich jemals dich wieder Finde--wer weiß es? Vielleicht sind diese
Gespräche die letzten. Nur ein Fremdling, sagt man mit Recht, ist der
Mensch hier auf Erden; Mehr ein Fremdling als jemals ist nun ein jeder
geworden. Uns gehört der Boden nicht mehr; es wandern die Schätze; Gold
und Silber schmilzt aus den alten heiligen Formen; Alles regt sich, als
wollte die Welt, die gestaltete, rückwärts Lösen in Chaos und Nacht sich
auf, und neu sich gestalten. Du bewahrst mir dein Herz; und finden
dereinst wir uns wieder Über den Trümmern der Welt, so sind wir erneute
Geschöpfe, Umgebildet und frei und unabhängig vom Schicksal. Denn was
fesselte den, der solche Tage durchlebt hat! Aber soll es nicht sein, daß
je wir, aus diesen Gefahren Glücklich entronnen, uns einst mit Freuden
wieder umfangen, Oh, so erhalte mein schwebendes Bild vor deinen Gedanken,
Daß du mit gleichem Mute zu Glück und Unglück bereit seist! Locket neue
Wohnung dich an und neue Verbindung, So genieße mit Dank, was dann dir das
Schicksal bereitet! Liebe die Liebenden rein und halte dem Guten dich
dankbar. Aber dann auch setze nur leicht den beweglichen Fuß auf; Denn
es lauert der doppelte Schmerz des neuen Verlustes. Heilig sei dir der
Tag; doch schätze das Leben nicht höher Als ein anderes Gut, und alle
Güter sind trüglich." Also sprach er: und nie erschien der Edle mir wieder.
Alles verlor ich indes, und tausendmal dacht' ich der Warnung. Nun
auch denk ich des Worts, da schön mir die Liebe das Glück hier Neu
bereitet und mir die herrlichsten Hoffnungen aufschließt. Oh, verzeih,
mein trefflicher Freund, daß ich, selbst an dem Arm dich Haltend, bebe!
So scheint dem endlich gelandeten Schiffer Auch der sicherste Grund des
festesten Bodens zu schwanken."

Also sprach sie und steckte die Ringe nebeneinander. Aber der Bräutigam
sprach mit edler männlicher Rührung: "Desto fester sei, bei der
allgemeinen Erschüttrung, Dorothea, der Bund! Wir wollen halten und
dauern, Fest uns halten und fest der schönen Güter Besitztum. Denn der
Mensch, der zur schwankenden Zeit auch schwankend gesinnt ist, Der
vermehret das Übel und breitet es weiter und weiter; Aber wer fest auf dem
Sinne beharrt, der bildet die Welt sich. Nicht dem Deutschen geziemt es,
die fürchterliche Bewegung Fortzuleiten und auch zu wanken hierhin und
dorthin. "Dies ist unser!" so laß uns sagen und so es behaupten! Denn
es werden noch stets die entschlossenen Völker gepriesen, Die für Gott und
Gesetz, für Eltern, Weiber und Kinder Stritten und gegen den Feind
zusammenstehend erlagen. Du bist mein; und nun ist das Meine meiner als
jemals. Nicht mit Kummer will ich's bewahren und sorgend genießen,
Sondern mit Mut und Kraft. Und drohen diesmal die Feinde Oder künftig, so
rüste mich selbst und reiche die Waffen. Weiß ich durch dich nur
versorgt das Haus und die liebenden Eltern, Oh, so stellt sich die Brust
dem Feinde sicher entgegen. Und gedächte jeder wie ich, so stünde die
Macht auf Gegen die Macht, und wir erfreuten uns alle des Friedens."







 


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