Isabella von Ägypten

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Isabella von Ägypten
Achim von Arnim


Kaiser Karl des Fünften erste Jugendliebe

Erzählung (1812)


Braka, die alte Zigeunerin im zerlumpten roten Mantel, hatte kaum ihr
drittes Vaterunser vor dem Fenster abgeschnurrt, wie sie es zum Zeichen
verabredet hatte, als Bella schon den lieben, vollen, dunkelgelockten Kopf
mit den glänzenden, schwarzen Augen zum Schieber hinaus in den Schein des
vollen Mondes streckte, der glühend wie ein halbgelöschtes Eisen aus dem
Duft und den Fluten der Schelde eben hervorkam, um in der Luft immer
heller wieder aus seinem Innern heraus zu glühen. "Ach, sieh den Engel",
sagte Bella, "wie er mich anlacht!"

"Kind", sprach die Alte und ihr schauderte, "was siehst du?"

"Den Mond", antwortete Bella, "er ist schon wieder da, aber der Vater ist
wieder nicht nach Hause gekommen. Alte, diesmal bleibt der Vater gar zu
lange aus, doch ich hatte schöne Träume von ihm in der letzten Nacht, ich
sah ihn auf einem hohen Throne in Ägypten, und die Vögel flogen unter ihm,
das hat mich getröstet."

"Du armes Kind", sagte Braka, "wenn's nur wahr wäre, hast du denn was zu
essen und zu trinken bekommen?"


"O ja", antwortete Bella, "der Nachbar hat seine Äpfelbäume geschüttelt,
da sind viele Äpfel in den Bach gefallen, die habe ich aufgefischt, wo sie
in den Wurzeln am krummen Ufer stecken geblieben, auch hatte der Vater,
ehe er ausging, mir ein großes Brot herausgelassen."

"Daran tat er recht", weinte die Alte, "er hat kein Brot mehr nötig, sie
haben ihn vom Brot geholfen."

"Liebe Alte, sprich", bat Bella, "mein Vater hat sich doch nicht Schaden
getan bei den starken Mannskünsten? Führ mich hin zu ihm, ich will ihn
pflegen. Wo ist mein Vater? Wo ist mein Herzog?"

So fragte Bella zitternd, und die Tränen fielen ihr aus den Augen durch
den Mondschein auf harte Steine nieder

wär ich ein ziehender Vogel gewesen, ich hätte mich niedergelassen und
meinen Schnabel eingetunkt und sie zum Himmel getragen, so traurig und so
ergeben in seinen Willen waren diese Tränen.

"Sieh dort", schluchzte die Alte, "auf dem Berge steht ein Dreifuß,
dreibeinig, aber nicht dreieinig. Gott weiß nichts von ihm, und doch
heißt er das hohe Gericht, wer vor dem Dreifuß vorbeikommt, der kann noch
lange leben, das Fleisch, was da die Sonne kocht, das wird in keinen Topf
gesteckt, es hängt daran, bis wir es abnehmen. Sei ruhig, du armes Kind,
und schrei nur nicht, dein Vater hängt da oben, aber sei nur ruhig, wir
holen ihn diese Nacht und werden ihn in den Bach werfen mit allen Ehren,
wie ihm zukommt, daß er hinschwimme zu den Seinen nach Ägypten, denn er
ist auf frommer Wallfahrt gestorben. Nimm diesen Wein und dieses Töpfchen
mit Schmorfleisch, halte ihm ein Totenmahl in deiner Einsamkeit, wie es
sich geziemt."

Bella konnte vor Schrecken kaum fassen, was sie ihr reichte. Die Alte
fuhr fort: "Halt doch fest, daß es nicht fällt, wein dir nicht die Augen
aus, denk daran, daß du jetzt unsre einzige Hoffnung bist, daß du die
Unsern, wenn unser Gelübde vollbracht, zurückführen sollst; denk auch, daß
dir jetzt alles gehört, was dein Vater besessen, sieh nur in seiner Kammer
zu, da hast du den Schlüssel, da wirst du viel finden. Ja, bald hätte ich
es vergessen, als er mir den Schlüssel gab, sagte er, du möchtest dich vor
seinem schwarzen Simson nicht fürchten, der Hund würde es schon wissen,
daß er dir gehorchen müsse und dich nicht mehr beißen dürfe; dann sagte er
noch, du solltest nicht traurig sein, er sei lange am Heimweh krank
gewesen und nun werde er gesund, da er heimkomme. Das sagte er--und da
hast du einen Hutkopf voll Milch, die habe ich einer Kuh auf der Weide
ausgemolken, die gehört zum Totenmahle. Gute Nacht, Kind!"

Die Alte ging, und Bella sah ihr nach wie einem bösen Briefe, der ihr vor
Schrecken aus der Hand gefallen, und den sie doch gern ganz wissen möchte;
sie wäre lieber mitgegangen, aber sie zauderte in ihrer Traurigkeit und
scheute das rauhe Volk, was sie da antreffen würde, so sehr sie es liebte.

Die Zigeuner waren damals in der Verfolgung, welche die vertriebenen Juden
ihnen zuzogen, die sich für Zigeuner ausgaben, um geduldet zu werden,
schon sündlich verwildert; oft hatte Herzog Michael darüber geklagt und
alle seine Klugheit angewendet, sie aus dieser Zerstreuung nach ihrem
Vaterlande zurückzuführen. Ihr Gelübde, so weit zu ziehen, als sie noch
Christen fänden, war gelöst, denn sie waren schon aus Spanien vom
Weltmeere zurückgekehrt; nur der Wunsch nach der neuen Welt hielt sie in
der alten, die nur Krieger, keine Pilger hinübersetzen wollte. Das
Zurückführen nach Ägypten war aber bei der zunehmenden Türkenmacht, bei
der Verfolgung überall, bei dem Mangel an Gelde unendlich schwer. Schon
hatte der Herzog, was sonst ihre Nationalbelustigung war, Proben von
Stärke und Geschicklichkeit (wie sie schwere Tische auf ihren Zähnen im
Gleichgewichte trugen, wie sie sich springend in der Luft überschlugen
oder auf den Händen gingen), alles das, was sie mit dem Namen der starken
Mannskünste bezeichneten, zu ihrer Erhaltung zu benutzen gesucht, aber von
einem Gebiete ins andre zurückgedrängt, erschöpften sich diese
Erwerbsquellen, und auch die Besseren, wenn selbst das Wahrsagen nicht
mehr galt, sahen sich gezwungen, ihre ärmliche Nahrung zu stehlen oder mit
jagdfreien Tieren, wie Maulwürfe und Stachelschweine, fürlieb zu nehmen.
Da fühlten sie erst recht innerlich die Strafe, daß sie die heilige Mutter
Gottes mit dem Jesuskinde und dem alten Joseph verstoßen, als sie zu ihnen
nach Ägypten flüchteten, weil sie nicht die Augen des Herrn ansahen,
sondern mit roher Gleichgültigkeit die Heiligen für Juden hielten, die in
Ägypten auf ewige Zeit nicht beherbergt werden, weil sie die geliehenen
goldnen und silbernen Gefäße auf ihrer Auswanderung nach dem gelobten
Lande mitgenommen hatten. Als sie nun später den Heiland aus seinem Tode
erkannten, den sie in seinem Leben verschmäht hatten, da wollte die Hälfte
des Volks durch eine Wallfahrt, so weit sie Christen finden würden, diese
Hartherzigkeit büßen. Sie zogen durch Kleinasien nach Europa und nahmen
ihre Schätze mit sich, und so lange diese dauerten, waren sie überall
willkommen; wehe aber allen Armen in der Fremde.

Das mußte voraus berichtet werden, jetzt zu unsrer Geschichte zurück. Ein
neuer Haufe, unter denen Happy und Emler, waren vor acht Tagen aus
Frankreich ohne alles Geld angekommen, der Herzog entschloß sich, zu ihrem
Unterhalt selbst seine Künste wieder einmal zu zeigen, er ging mit ihnen
in ein Wirtshaus, und als er eben zu aller Bewunderung acht Männer auf Arm
und Schultern trug, kam das Geschrei, der Happy sei gefangen, er habe zwei
Hähne im Hofe gestohlen, und im Fortgehen habe ihn ihr Krähen verraten,
und Michael, der Herzog, sei bloß darum im Zimmer geblieben, um die Leute
heranzulocken. Die Genter Bürger verziehen wegen ihres Reichtums keinen
Diebstahl; vergebens stellte sich Herzog Michael, als ob er den Happy im
Augenblicke erschießen wollte, er selbst und Emler wurden mit dem Happy
verhaftet und als Diebe zum Strange verurteilt; damals gab es ein strenges
Recht gegen die Zigeuner, sie totzuschlagen, wo sie sich finden ließen.
Michael beteuerte umsonst seine und Emlers Unschuld vor dem Gerichte und
sprach: "Uns geht es wie den Mäusen, hat eine Maus den Käse angenagt, so
sagt man, die Mäuse sind's gewesen, da geht's an ein Vergiften und Fangen
aller, so sind wir Zigeuner jetzt nirgends mehr sicher als am Galgen!"

Dieser sichre Ort wurde ihm durch das Gesetz, und er weinte schmerzliche
Tränen aus der Höhe zur Erde, daß er, der letzte männliche Erbe seines
hohen Hauses, so ehrlos und unschuldig umgebracht werde; da schloß sich
seine Kehle bis zum jüngsten Tage, wo er seine Klage gegen die
Unbarmherzigkeit der Reichen vortragen wird, die ein Menschenleben gegen
die Sicherung ihrer toten Schätze gering achten, da wird das Strick so
wenig durch ein Nadelöhr gehen wie ein Kamel, und so werden die Reichen
nicht eingehen ins Himmelreich, wo Bella ihren Vater wiederfindet.

Als Bella wieder zu sich gekommen, rief sie mehr als einmal: "Also das hat
mir der Traum bedeuten sollen, daß mein Vater erhöht wurde, ja wohl ist er
jetzt erhöhet in den Himmel und weiß von uns nichts mehr oder alles!"

Der schwarze Hund kam jetzt gegen seine Gewohnheit von der Kammertür,
legte sich ihr zu Füßen und heulte. "Also du weißt es auch schon,
Simson?" fragte sie ihn, und der Hund nickte. "Willst du mir künftig
dienen?" Der Hund nickte wieder, lief ans Fenster und kratzte. Bella sah
hinaus, der Schieber war offen geblieben: sie sah die Gestalt ihres Vaters
fernglänzend schweben, und plötzlich sank er hinunter. "Jetzt haben sie
ihn heruntergenommen, jetzt halten sie ihm ein Ehrenmahl, ich muß auch
unter freien Himmel zum Totenmahl."

Mit dem Weinkruge und dem Brote, den schwarzen Hund zur Seite, trat sie in
den verwüsteten Garten; das Haus war schon seit zehn Jahren der Gespenster
wegen unbewohnt geblieben, denn so lange hatten die Zigeuner sich darin
eingenistet und den Besitzer, einen reichen Kaufmann der Stadt, der es
sich als Sommersitz eingerichtet hatte, daraus zurückgeschreckt, bis er
selbst wegen eines Bankerotts eingesteckt und sein Vermögen für die
Gläubiger in bekannter Nachlässigkeit verwaltet wurde. Jetzt hatten sie
unter dem Schwert der Gerechtigkeit vollkommene Ruhe, dort zu hausen, nur
durften sie sich am Tage nicht zeigen, während ihnen nachts alle Leute aus
dem Wege gingen. So trat das bleiche, schöne Kind wie ein Gespenst zur
Haustüre hinaus, und der Wächter in den nahen Gärten flüchtete sich bei
ihrem Anblick in eine entfernte Kapelle, um betend den heiligen Schutz des
Glaubens zu fühlen. Bella wußte nicht, daß sie erschreckte, die Trauer um
den Verlust ihres einzigen Gedankens, ihres Vaters, über den sie sich ganz
vergessen hatte, machte sie stumpfsinnig, sie wußte nichts als die Regeln
der alten Braka genau zu erfüllen; es war ihr das Liebste, daß sie noch
etwas zu ihres Vaters Ehre tun konnte. Sie breitete also, wie es bei
Totenmahlen ihres Volkes gewöhnlich, ihren Schleier über einen Feldstein
aus, setzte zwei Becher und zwei Teller darauf, brach ihr Brot für beide,
goß Wein in beide Becher, stieß mit den Bechern an, leerte den ihren und
schüttete den Becher des Toten in den schwimmenden Bach, der sich in
geringer Entfernung von dem Hause in die Schelde verlor. Und wie sie dies
erste Opfer in den Fluß schütten wollte, da rauschte es in der Flut und
tauchte empor, als ob ein großer Fisch, der in dem Strome keinen Raum
hatte, auftauchte und emporschwämme, der Mond trat hinter dem Hause hervor,
und sie sah ihres Vaters bleiches Angesicht, auf seinem Haupt die Krone,
welche ihm die Zigeuner aufgesetzt hatten, ehe sie ihn in das fließende
Wasser warfen. Und wie die Welle mit dem teuren Haupte kreiste, so ging
dem armen Kinde der Kopf um; sie glaubte, er lebe noch, er suche sich aus
dem Wasser zu retten, sie sprang hinein und hielt ihn fest, der schwarze
Hund hielt aber sie am Rocke fest und stemmte sich gegen das Ufer; so
wurde sie in sinnloser Trauer festgehalten und konnte weder den Leichnam
ans Ufer bringen, noch mit ihm fortschwimmen ins Meer. Endlich kam Braka
zurück, und da ihr an der Türe nicht aufgemacht worden, schlich sie in den
Garten, wo sie das wunderbare Bild wie versteinert sah, den kräftigen
Michael im Totenhemde mit der glänzenden silbernen Krone, über ihm das
bleiche Mädchen, die schwarzen Locken über ihm hinwallend, an ihrem Kleide
gehalten von dem schwarzen Hunde mit feurigen Augen. Die Alte mußte nach
ihrer Art lachen, weil es etwas so Seltsames war, ungeachtet es ihr sehr
zu Herzen ging und sie nicht von Herzen, sondern nur mit dem dürren Munde
wie ein Hungernder lachen mußte; dann sprang sie hinzu, hob das Mädchen
mit Gewalt ans Ufer und sprach: "Laß ihn ziehen, er weiß seinen Weg besser
als du!"

Bei diesen Worten zog die Leiche still hinunter, und der Mond ging unter
Wolken, und Bella sank in die Arme der Alten.

Vier Wochen des Schmerzes waren vergangen, die Alte konnte ihrer eigenen
Sicherheit wegen nicht alle Tage kommen, und Bella langeweilte sich mit
dem Hunde, dessen Künste sie nicht mehr sehen mochte, der ewig schlief,
oder, wenn gegessen wurde, wedelte, sich leckte, kratzte; sie kam endlich
darauf, womit andere Erben anfangen, den Nachlaß der Verstorbenen zu
durchsuchen. Sie schloß die geheime Kammer auf, nicht ohne Schrecken und
Ehrfurcht, aber ihre Erwartung war getäuscht; da waren keine seltene
Kleider und Kostbarkeiten, meist nur Bündel von Kräutern, Säcke mit
Wurzeln, einige Steine, lauter Dinge, von denen sie nichts verstand, weil
der Vater ihrem kindischen Wesen keine Achtsamkeit für das Geheime
zugetraut hatte. Endlich fand sie doch in einer Kiste alte Schriften, die
sie durchblättern konnte, manche mit köstlichen Siegeln geziert, auf
wunderlichem Papier in fremder Sprache, die sie aber noch nicht gelernt
hatte, andre aber niederländisch-deutsch, das sie wohl schreiben und lesen
konnte, da ihre Mutter, aus einem alten Hause der Grafen von Hogstraaten
mit Michael entflohen, diese Liebe zur alten Sprache ihrem Manne und ihrem
Kinde zugebracht hatte. Sie nahm diese Bücher und las eben nachts, denn
bei Tage schlief sie, um alles Geräusch zu vermeiden, als Braka ihr durch
eine zahme Ohreule, mit der sie sich seit einiger Zeit herumtrieb, ein
dreimaliges Zeichen gab, daß sie eingelassen sein wollte. Bella sprang
unwillig von ihrem Buche auf, das merkwürdige Zauberhistorien enthielt,
und wie Braka eingetreten, setzte sie sich wieder stillschweigend dabei
nieder, daß die Alte ganz böse ihre Hände in die beiden Seiten stemmte:
"Nun, kriegt die alte Braka heut keinen Gruß, keinen Kuß? ja wenn die
Kinder klein sind, so wissen sie kaum, was sie einem alles für Liebes und
Gutes antun sollen, aber kaum fangen sie an, was vollständig zu werden, da
haben sie keine Ohren mehr für alles Gute, was man ihnen tun möchte; nun,
den Kuchen sollst du heute nicht bekommen, wenn du mich nicht recht darum
bittest, habe darum eine halbe Stunde beim Bäcker warten müssen, der
sollte heute auf des Prinzen Tisch, die Magd wird sich schöne wundern,
wenn sie beim Bäcker zum Abholen kommt und er schon fort ist."

"Wenn ich dich auch nicht bitte", sagte Bella, "du hast doch keine Ruhe,
bis ich ein Stück davon gegessen; gib nur her und sei nicht böse. Ich bin
heute bei meines Vaters Büchern gewesen und habe da so schöne Geschichten
gefunden, daß ich gern ein Gespenst werden möchte." Die Alte sah in das
Buch hinein und sagte: "Es ist doch sonderbar, daß ich so alt bin und kann
nicht lesen, und du bist nur so ein Kuckindiewelt und kannst es schon; nun
hör einmal, wenn du Lust hast, ein Gespenst zu werden, du kannst dazu
kommen, das fällt mir soeben ein, und wir können es brauchen."

"Was ist denn, du siehst ja so bedenklich aus?"

"Sieh nur, Bella", fuhr die Alte fort, "es ist auch keine Kleinigkeit, was
dir bevorsteht: denk nur, Prinz Karl ist gestern vor diesem Gartenhause
mit seinem Lehrer Cenrio vorbeigeritten und hat gefragt, wie es käme, daß
es so verschlossen und verfallen aussähe. Cenrio hat ihm erzählt, wie die
Gespenster alle Käufer und Mieter abgeschreckt hätten, alles, wie du es
weißt; wie dein Vater einen, der sich durchaus hier niederlassen wollte,
mit Ruten gehauen; die vielen Eulen, die er in einer Kammer eingesperrt
hatte und sie einem andern um den Kopf fliegen ließ, nun, du weißt alles;
der Prinz aber, statt daß er dadurch geschreckt worden, schwur, daß er
ganz allein eine Nacht in diesem Hause schlafen und die Geister bald
vertreiben wolle. Was fangen wir nun an? es kann jede Nacht geschehen,
daß er in dies Haus kommt, und seine Leute werden die Ausgänge sicher so
besetzen, daß keiner von den Unsern heraus- oder hereinkann."

"Hör, Braka", sprach Bella, "den Prinzen möchte ich doch gern sehen, ich
habe so viel von ihm gehört, wie schön er ist und wie edel, wie er fechten
und reiten kann."

"Du denkst nun schon wieder an den Prinzen und nicht an unsre Not", fuhr
Braka fort; "hast du wohl Geschick, das Gespenst zu spielen? Das könnte
dich retten!"

"Warum nicht", meinte Bella, "aber wie soll ich's anfangen?" und las
weiter in ihrem Buche. "Sieh, Kind", sprach die Alte, "er kann in keinem
andern Zimmer schlafen, als in dem schwarzen mit den goldenen Leisten,
neben welchem das geheime Kämmerlein deines Vaters versteckt ist, denn die
andern Zimmer haben alle mehr Eingänge, da ist es ihm nicht so sicher,
auch steht nur in diesem eine Bettstelle. Nun sieh, wenn du merkst, daß
er stille, daß er eingeschlafen, so schleich aus der Kammer heraus, leg
dich zu ihm ins Bette, und ich schwör dir, daß er vor Angst davonläuft und
nie wiederkommt; sollte er aber Mut behalten und dich festhalten, sieh, so
kostet es dir ja nur eine Lüge, daß du aus Liebe zu ihm eingedrungen, und
dein Glück ist vielleicht gemacht."

"Ja, Alte", sagte Bella und las weiter, "wie du meinst, du mußt das
verstehen, ich weiß nichts davon."

"Aber sag mir nur, wo du das verfluchte Buch herbekommen hast", fragte die
Alte weiter, "wenn ich mit dir ernsthafte Sachen rede, denkst du an nichts
als an das Buch."

"Ich hab es aus des Vaters Kammer geholt", sagte Bella, "es liegen da noch
mehrere, nimm dir auch eins."

"Wenn du es erlaubst", sagte die Alte, "so gehe ich gern einmal herein;
ich habe mich immer gefürchtet, es dir zu sagen, ich wußte nicht, ob dein
Vater es nicht verboten."

"Geh nur", sagte Bella, "du wirst sonst nicht viel finden."

Die Alte ging mit einer gescheiten Neugierde; an der Türe bat sie Bella,
den schwarzen Hund wegzurufen, der immer vor der Kammertür lag und niemand
als Bella einzulassen Befehl hatte. Bella rief ihn zu sich, und die Alte
ging ohne Aufenthalt in die Kammer. Als sie drin war, lachte Bella, wies
den Hund wieder zur Kammertür und versteckte sich, um den Schreck der
Alten zu sehen; es war ein Prinzessinnenspaß, aber sie war auch
liebenswürdig wie eine Prinzeß und war von je wie eine Prinzeß verehrt
worden. Nicht lange nachher wollte die Alte mit einem großen
Kräuterbündel und mit einem Sacke zur Türe hinaustreten, aber der schwarze
Hund machte ihr ein Paar feurige Augen und zeigte die Zähne; sie trat
erschrocken zurück und rief nach Bella in großer Angst. Zu gleicher Zeit
hörten sie ein ungewohntes Getrappel von Pferden vor der Türe, Menschen,
welche über den Hof kamen, und Bella flüchtete sich erschreckt mit dem
Lichte und den Speisen und mit dem Hunde zur Alten in die Kammer, die sie
verschlossen, um dort in aller Stille abzuwarten, ob dies der Prinz
gewesen sei, der seinen Kampf gegen die Gespenster ausfechten wollte. Sie
hatten sich nicht geirrt, es war Karl, der künftige Beherrscher einer Welt,
in der die Sonne nie untergeht, in der ersten Frische des vollendenden
Wuchses, der in das verlassene Zimmer kam. Bella konnte ihn durch ein
verstecktes Türloch recht deutlich sehen, ihr war nie so etwas vorgekommen;
sie hatte nur braune Zigeuner gesehen, lustig und heftig; dieser aber
trat so großmütig einher, so sanft in geübter Kraft, sie wußte, daß er es
war, der künftige Herrscher, noch ehe ihn seine Begleiter als Prinz
gegrüßt. Sein Hochmut entzückte sie, mit dem er Cenrio zurückwies, der
die Wette zurücknehmen wollte, weil er behauptete, der Prinz habe durch
seine Anwesenheit bewährt, daß er sie wirklich ausführen wolle. Der Prinz
warf aber rasch sein schwarzsammetnes Barett auf den Tisch, breitete
seinen Regenmantel über die Bettstelle und befahl Cenrio, auf die Umgebung
des Hauses zu wachen und ihm ein paar brennende Kerzen im Zimmer
zurückzulassen, er sei müde. Cenrio empfahl ihm, das Zeichen mit der
Pistole nicht zu vergessen, wenn er jemand bedürfte; oder im Fall diese
versagte, dabei besah er das Schloß, so würde sein Rufen schon genügen, da
er einen Soldaten unter dem Fenster ausstellen und selbst in der Nähe
wachen würde. Der Prinz meinte, er möchte sich das Wachen und Bewachen
ersparen, in seinem Panzerhemde, mit gutem Degen bewaffnet sollte ihm so
leicht niemand gefährlich werden; die Ammenmärchen von Geistern schreckten
ihn aber nicht mehr. Cenrio verließ das Zimmer. Der Prinz stützte sich
auf die Hand und lallte ein Lied, um wach zu bleiben; dann streckte er
sich aufs Bette und sang wieder, indem er einschlummerte; da das Bette der
Kammer gegenüberstand, konnte Bella ihn deutlich sehen und die Worte
vernehmen:

Komm, lieblich schwarze Nacht,
Und drücke schießende Sterne,
Wie Siegel deiner Macht,
Als Zeichen meiner Ferne,
In meine mutige Brust,
Daß aller Funken Lust
Aus künftigen Kronen geschmiedet,
Mich wecke, den Dienen ermüdet.


Sie sitzt auf dunklem Thron,
Ihr ruhet auf wolkigem Kissen
Die ewig schimmernde Kron'.--
O möcht' ich die Liebliche küssen!
Und machte der Venus Stern
Die einzige Nacht mich zum Herrn,
Dann könnt' ich die Erde umwallen,
Mit allen Kronen,--mit allen.


"Der ist einmal ungeduldig, daß er zur Regierung komme", sagte die Alte
mit leiser Stimme zu Bella. Seine Augen sanken nieder und sein Haupt. Er
war eingeschlafen, und Bella starrte noch immer zu ihm hin und konnte sich
nicht satt sehen; die Alte aber hatte schon ihren Anschlag gefaßt. Die
Waffen, Degen und Pistole, lagen vor dem Bette des Prinzen, die sollte
Bella erst leise holen und dann den Geist spielen und sich zu ihm legen;
aber nur mit Mühe beredete sie das Mädchen dazu, Schuh und Strümpfe
auszuziehen, damit sie leise gehen könne, und ihr Kleid auszuziehen, damit
sie nirgends anstoßen möge, und mußte sie fast zur Kammertür hinausstoßen,
die sie vorsichtig nur anlegte, um ihr den Rückzug zu sichern. Das alte
Weib hatte sicher eine böse Absicht bei diesem Vorschlage: das Kuppeln war
lange ihr Hauptgeschäft, und diesmal konnte sie auf einmal das Glück aus
dem niedern Stande emporreißen. Bella ahndete von dem allen nichts, es
war ihr lieb, den Prinzen in der Nähe zu sehen, darum untersuchte sie
nicht lange, ob der Vorschlag der Alten wirklich vernünftig angelegt sei.
Sie trat also mit großer Sorgfalt an das Bette des Prinzen, der so fest
schlief, daß sie mit Sicherheit seine Waffen hätte forttragen können; die
Alte sah beide mit Freuden an. Bella nach Art der Zigeuner in eine blaue
Leinewand statt des Hemdes gewickelt, die von einem goldnen Gürtel
festgehalten wurde, hatte die runden, blendenden Arme etwas scheu nach dem
Prinzen ausgestreckt, die zierlichen, leisen Tritte der schimmernden Füße
hinziehend zu ihm, aus ihren unzähligen Locken tausend Glückslose auf ihn
taumelnd in tausend süßen Blicken, bis der Mund sich nicht mehr halten
konnte und auf den Mund des Prinzen niedersank. Bis jetzt war ihr alles
gelungen, der Prinz aber, von dem Kusse erweckt, vor den erschreckten
Augen von tausend Phantomen seines Traumes wie mit glühenden Kugeln
umstürmt, sprang mit höchstem Ungestüme auf und stürzte atemlos schreiend
in das Nebenzimmer; seine Pistole, seinen Degen, alles hatte er vergessen,
solch ein Grauen wohnt in der Tiefe des hochmütigsten Menschen vor der
unnennbaren Welt, die sich nicht unsern Versuchen fügt, sondern uns zu
ihren Versuchen und Belustigungen braucht. Bella war so entsetzt von
seinem Abscheu, daß sie sich stumm und willenlos der Alten überließ, die
sie rasch durch die versteckte Tapetentüre in die Kammer trug. Bald
darauf kam der Prinz mit Cenrio und einigen Soldaten zurück, die in
Wahrheit alle größere Lust hatten, draußen zu bleiben, als einzudringen.
Wer so etwas nicht empfunden hat, wird es nicht glauben, aber ein Gespenst
schlägt eine ganze Armee in die Flucht, denn was einem braven Manne
übermächtig furchtbar ist, das ist es im Durchschnitte für alle. Der
Prinz zeigte noch den meisten Mut; er schwur laut: "So schrecklich die
schwarzen Schlangen an dem Haupte waren, ein schöneres Antlitz habe ich
nie gesehen, ungeachtet der ungeheuren Größe in dem besten Verhältnisse,
einen glühenden Knopf trug es an der Brust; aber jetzt ist nichts hier bei
der heiligen Mutter Gottes, leuchtet nur unter das Bette; will keiner dran,
so muß ich's selbst tun: hier auch nichts; so war's denn doch ein
Gespenst, Cenrio, und ich habe meinen Türkensäbel an Euch verloren, Cenrio;
wüßte ich nur, was das liebe Gespenst verlangt hätte, bei Gott, ich
bleibe hier, seht, es fällt mir erst jetzt alles wieder ein. Sind meine
Lippen nicht verbrannt? ich schwöre Euch, es hat mich geküßt, daß mir vor
Seligkeit das Herz stieg. Cenrio, ich will hier bleiben, will es fragen,
was es von mir begehrt!"

Cenrio schwur, daß er es nach diesem Schrecke des Prinzen seiner
Gesundheit wegen nicht zugeben dürfe, der Prinz selbst ließ sich nicht
lange bitten, diese harte Probe seiner Herzhaftigkeit aufzugeben. Er war
nicht beschämt, da alle bleich und erschreckt umhersahen und beim
leisesten Geräusch zusammenfuhren, auch konnte er jetzt noch, ohne daß
Adrian, der bei seinen Büchern saß, etwas davon gemerkt hätte, nach Hause
kommen. Die Alte war nicht ganz zufrieden mit dem Entschluß, indessen
wußte sie das Gute davon doch noch vollständig zu nutzen, um sich und den
ihrigen das Haus zu sichern, denn kaum war die Haustüre von den rasch
auswandernden Gästen verlassen, so sprang sie zum Schrecken der guten
Bella wie eine Rasende aus der Kammer, schlug mit allen Türen heftig auf
und zu, warf alle Tische um, daß die Abziehenden in stiller Angst ihre
Pferde bestiegen und, ohne sich umzublicken, nach der Stadt ritten, wo sie
auf ewige Zeiten durch vergrößernde Erzählungen den Geisterruf des
Gartenhauses bestärkten. Der Prinz mußte noch in derselben Nacht mit
einem Fieber für sein Wagestück büßen. Der liebliche Kopf der Bella
schwebte ihm darin vor, das Fieber verriet ihn, indem es ihm eine falsche
Wahrheit zeigte, und er beichtete es mit großer Betrübnis am anderen
Morgen dem Adrian, wie er in ein Gespenst verliebt sei. Das war eine
köstliche Gelegenheit für diesen, dem Kaiser Maximilian die Sorge für das
Lateinlernen seines Enkels besonders übertragen hatte, ihm zur Buße eine
große Menge Vokabeln aufzugeben, die auch der Prinz mit einigem Erfolge
gegen den nächtlichen Eindruck brauchte.

Die arme Bella in ihrer Einsamkeit mußte ihre erste Zuneigung härter büßen.
Nachdem es ihr ein paar Tage genügt hatte, statt zu schlafen, an ihn zu
denken und nachts von allen Seiten umzuschauen, ob er nicht wieder zum
Besuche in ihr Geisterhaus kommen würde, nachdem Braka sie ernstlich
ausgescholten hatte, daß sie so törichten Gedanken, die sie vor der Zeit
bleichten, ihre frischen Tage hingebe, nachdem sie sich diesen und andern
Rat gar oft wiederholt hatte und doch immer wieder vergaß und in den
beliebten fremden Gedanken abgleitete, fragte sie einmal Braka, ob es denn
kein Mittel gebe, wie man unsichtbar werden könne, um in der Stadt
herumwandern zu dürfen. Braka lachte und sprach: "Ich weiß kein anderes,
als viel Geld zu haben, da kann man eingehen, wo man will, das ist der
wahre Hauptschlüssel, die wahre Springewurzel, bei deren Berührung die
Türen aufspringen. Dein Vater mochte noch wohl andre Künste gewußt haben,
aber wenn sie nicht in seinen Büchern stehen, so sind sie verloren!"
Bella behielt diese Nachricht still vor sich, sie fiel ihr ins Gemüt, als
ob sie dieselbe nie vergessen könnte; kaum war die Alte wieder auf den
Erwerb ausgegangen, so suchte sie die Bücher wieder hervor, die seit dem
Besuche des Prinzen in einem Winkel gerastet hatten; sie sah bei dieser
Gelegenheit, daß die Alte ihr den ganzen Vorrat seltener heilender Kräuter
und Wurzeln fortgetragen hatte, und diese Untreue brachte sie zu dem
Entschlusse, ihr nichts mehr von allem zu entdecken, wozu sie die geheimen
Kräfte ansprechen wollte. Aber welcher neue Ekel war ihr in diesen
Büchern vorbereitet, viel geheime Regeln, Zeichnungen, von denen sie
nichts verstand, den Stein der Weisen zu finden, Geister zu zitieren,
Krankheiten zu beschwören, das Vieh zu verzaubern, endlich auch ein Mittel,
Gold zu machen, aber dies Mittel so weitläufig,.als müßte man zwei Monden
anspannen, um zur Sonne zu fahren. So verging ihr eine Woche nach der
andern, bis sie in einer Nacht ganz ermüdet auf eine ausführliche
Nachricht traf, wie Alraunen zu bekommen, und wie diese dienstbar Geld und
was ein weltliches Herz sonst begehre, mit stehlender, untrüglicher
Listigkeit zuführten. Aber welche Schwierigkeit, sie zu gewinnen, und
doch war es die leichteste von allen Zaubereien; die Zauberei braucht die
härteste Schule; wer sie aushalten kann, möchte auch wohl in den
gewöhnlichsten Geschäften ohne alles Geheimnis zu zaubern scheinen. Wer
kennt jetzt nicht die Bedingungen, einen Alraun zu gewinnen, und wer
möchte sich ihnen noch unterziehen, wer könnte sie erfüllen? Es wird ein
Mädchen gefordert, das mit ganzer Seele liebt, ohne Begierde zur Lust
ihres Geschlechtes, der die Nähe des Geliebten ganz genügt: eine erste,
unerläßliche Bedingung, die vielleicht in Bella zum erstenmal wahrgeworden
war, weil sie von den Zigeunern, die sie bisher kennen gelernt, immer als
ein Wesen höherer Art behandelt worden und sich dafür anerkannt hatte; die
Erscheinung des Prinzen war ihr aber so heilig rein, wie der Körper des
Allerheiligsten in der Messe, vorübergegangen, zu schnell, um ihre
Betrachtung zu wecken. In solchem Mädchen, das so mächtig von der
Phantasie in allen Segeln angehaucht wird, soll gleichzeitig der
übermännliche Mut wohnen, nachts in der eilften Stunde mit einem schwarzen
Hunde unter den Galgen zu gehen, wo ein unschuldig Gehenkter seine Tränen
aufs Gras hat fallen lassen; da soll sie ihre Ohren mit Baumwolle wohl
verstopfen und mit den Händen suchen, bis sie die Wurzel erreicht, und
trotz allem Geschrei dieser Wurzel, die keineswegs natürlicher Art,
sondern ein Kind der unschuldigen Tränen des Erhenkten ist, ihr das Haupt
entblößen, einen Strick aus ihren eignen Haaren umlegen, den schwarzen
Hund daran spannen, dann fortlaufen, so daß der Hund, im Wunsche ihr zu
folgen, die Wurzel aus der Erde zieht, wobei er von einer erblitzenden
Erschütterung des Bodens unfehlbar erschlagen wird. Wer in diesem
Augenblicke, dem entscheidendsten, seine Ohren nicht wohl verstopft hat,
kann von dem Geschrei auf der Stelle unsinnig werden. Bella war wiederum
die einzige seit Jahrtausenden, bei der sich alle diese Erfordernisse
vereinigten; wer war unschuldiger, als das teure Haupt ihres Vaters
Michael, der in rastloser Tat für sein armes Volk, in steter Mühe und Not
für die Seinen, um das Unbedeutendste einem Reichen zu entfremden, allzu
ehrlich und stolz gewesen war. Welches Mädchen hätte Mut gehabt, in der
Mitternacht einen solchen Weg mit Überlegung zu machen, als Bella, die nun
schon seit vier Jahren, wo ihre Mutter gestorben, ein verstecktes,
nächtliches Leben geführt hatte und mit dem Laufe des Mondes, mit den
Sternen zu vertraulich bekannt war, um in der Nacht noch eine besondre
Einsamkeit und Traurigkeit wahrzunehmen. Welches Mädchen hatte wie sie
einen schwarzen Hund, aus dessen Augen mehr blickte, als sein Mund
ausbellen konnte, und wiederum welchem Mädchen war dieser einzige
Gesellschafter so verhaßt, wie ihr, die ihn seit früher Zeit, wo er sie
gebissen, nicht leiden konnte und ihn jetzt noch mehr verachtete, nun er
ihr mit einer widrigen Demut diente und sie doch auf allen Wegen belauerte
und, wenn sie recht zärtlich mit einer Puppe aus alten Kleidern wie mit
dem Prinzen sprach, sie auslachte; auch hatte der Vater immer behauptet,
es stecke der böse Feind in dem Hunde. Welches Mädchen hatte endlich so
langes Haar, wie Bella, um es zu Stricken flechten zu können, und welche
mochte es, wie sie, ruhig zu dem Versuche hingeben; sie aber wußte nichts
von ihren Schönheiten, es war ihr lieb, daß sie künftig nicht so lange an
ihren Haaren zu kämmen hätte, und so sank ihr Haar, in dessen glatten
Locken sich oft die Sterne wie im Haupthaar der Berenize gespiegelt hatten,
im raschen Schnitt einer Schere wie ein schwarzer Schleier auf den Boden
rings um sie her, ihrem Hund Simson eine Kette daraus zu flechten, die ihm
den Tod brächte. Sie merkte bald, daß er alles, was sie gesprochen,
vernommen habe, denn statt daß er sich sonst kleine Vorräte an Knochen und
Brot im Garten vergrub, so öffnete er jetzt nach und nach alle diese
vergrabenen Schätze und fraß unersättlich. Hätte jenes sie rühren können,
so empörte sie dies noch mehr; übrigens schien er nicht traurig, aber er
sah sie spöttisch an, und als der erste Freitag kam, denn ein Freitag wird
zur Ausführung gefordert, durchkroch er das ganze Haus noch einmal, beroch
alle Winkel und führte sich in seinem Lager gegen seine Art unreinlich auf,
welches sie ihm aber diesmal lieber verzieh als ihrer Alten die
Langweiligkeit, mit der sie in unendlichen Erzählungen von "hat er gesagt",
"hab ich gesagt", ihre ganze verfluchte erste Liebschaft erzählte, die
Bella leicht um eine der Hauptbedingungen bei der Aufsuchung der
Alraunenwurzel hätte bringen können, wenn diese nicht aus Ungeduld über
ihre lange Anwesenheit im Zählen der Minuten sie und die Stunden überzählt
hätte, bis es zwölfe geschlagen: da sprang endlich Bella aus Ungeduld auf
und fing mit der Alten aus Ärger, daß sie alles noch eine Woche
aufschieben müsse, den Kranichtanz der Zigeuner an, daß diese endlich ohne
Atem in einen Sessel fiel und hustete und schwur, so lustig habe sie auf
ihrem Hochzeittage nicht einmal getanzt; dabei nahm sie ein Stück
Lakritzensaft in den Mund, um den Husten zu dämpfen, und trabte endlich
mit großem Bedauern fort, daß sie schon weggehen müsse. Etwas Angst hatte
Bella doch gespürt; nun die Woche versäumt war, schien es ihr doch besser,
daß sie sich noch vorbereiten könne, und der schwarze Hund schien nicht
minder diese Frist zu wünschen, um noch recht essen zu können; sie
gewährte ihm gerne die leckersten Bissen, weil sie wußte, was er für sie
tun müsse, ja zuweilen, ungeachtet ihres Widerwillens gegen das Tier,
kamen ihr bei seinem Anblicke Tränen in die Augen, doch tröstete sie sich
immer mit dem Zusatze im Zauberbuche, daß treue Hundeseelen, die in
solchem Geschäfte blieben, zur Seele ihrer Herren gelangen, und sie war
gewiß, daß sich der Hund beim Vater Michael besser als bei ihr gefallen
müsse.

Endlich kam der zweite Freitag, es war schon kalt geworden, die ruhigen
Gewässer waren dünn befroren, und die Alte hatte sich bei ihr entschuldigt,
daß sie in den nächsten Tagen nicht herauskommen könne: ihr Husten sei
aber so stark, sie müsse sich heimhalten. Alles schien erwünscht, die
Nachbarn waren alle nach der Stadt gezogen, die Nacht war dunkel, und der
Wind führte die ersten Schneeflocken über die trockene Erde. Bella
durchlief noch einmal das Zauberbuch, ihr Herz schlug heftig, als es
langsam eilf schlug, der schwarze Hund schleppte ihre Puppe, in der sie
ihren Prinzen sah und verehrte, herbei, zerrte und biß darin: das brachte
sie zum Entschluß; diesen Schimpf, den er ihrem Liebling angetan, mußte er
büßen; schnell nahm sie die Stricke, die sie aus ihren Haaren geflochten
und die sie bisher, um der Alten keinen Argwohn zu geben, auf ihrem Kopf
getragen, und schlug auf ihn. Er wollte zur Türe hinaus, sie öffnete die
Türe, und beide waren in die zauberhafte Winterwelt hinausversetzt und
gingen dem Winde nach ihren Weg, ohne ihn zu kennen, bloß nach der
Richtung, um den Berg zu erreichen, auf welchem das Hochgericht gehalten
wurde. Diese Straße war leer von Menschen, aber mehrere Hunde kamen mit
großem Lärmen unter den Gartentüren hervorgesprungen, liefen auf den
schwarzen Simson los, aber im Augenblicke, wo sich diese Philister ihm
naheten, sah er sie an, zeigte seine Zähne, und die größten wie die
kleinsten Hunde flüchteten mit einer Angst, den Schwanz zwischen den
Beinen, in die Gärten zurück, daß sie sich selbst unter den Türen
einklemmten und erbärmlich schrien. Gleiche Angst zeigten ein paar
Stachelschweine, die ihre Stacheln voll Äpfel und Birnen, die sie sich in
den Gärten angewälzt und angestachelt hatten, quer über den Weg zogen,
sich aber bei dem Anblicke des Hundes zusammenkugelten, daß dieser ihnen
ihre Beute sehr behaglich abnahm und verzehrte. Bella hatte sich dabei
ausgeruht, nun war es ihr aber sonderbar, daß, wie sie jetzt aufstand und
sich dem Berge näherte, ein anderer immer in ihre Fußtapfen zu schreiten
schien, und zwar mit solcher Sorgfalt, daß er mit der Spitze seines Fußes
jedesmal die Ferse des ihren anrührte, sie wagte nicht umzusehen und lief
immer hastiger zu, bis ein Schlag vor den Kopf sie niederstreckte. Der
Schlag war indessen nur wenig betäubend, sie faßte Mut, als alles umher
still war; sie faßte um sich, als niemand sie anfaßte, und fühlte, daß sie
gegen einen herabgelassenen Schlagbaum angerannt war; was aber in ihre
Schritte so eilfertig getreten, war ein Dornstrauch, der sich an ihr Kleid
gehängt hatte. Sie mußte sich über ihre Furcht verwundern und nahm sich
vor, jetzt aufmerksamer und besonnener zu sein, und vergaß es doch bald
wieder, als eine Zahl von Pferden, die in einer Koppel lagen, bei ihrer
Annäherung aufsprangen und über Busch und Hecken fortjagten. Jetzt war
sie oben, und sie sah über die reiche Stadt hin, wo noch manches Licht
brannte ein Haus war aber hell erleuchtet, und da, meinte sie, müsse der
Prinz wohnen: so hatte ihr die Alte sein Haus beschrieben, und sie wußte,
daß sein Geburtstag gefeiert wurde. Sie hätte alles bei dem Anblicke
vergessen, selbst die trocknen Gehenkten über sich, die einander fragend
anzustoßen schienen, hätte nicht der schwarze Hund aus eigener Lust unter
dem Dreifuße gegraben. Sie fühlte, was er gefunden, und hatte eine kleine,
menschliche Gestalt in Händen, die aber mit beiden Beinen noch in der
Erde wurzelte; sie war's, sie war's, die geheimnisvolle Mandragora, das
Galgenmännlein, sie hatte es gefunden ohne Mühe, und in einem Halsumdrehen
war der Strick ihrer Haare umgelegt und um den Hals des schwarzen Hundes
angeschirrt; dann lief sie in Angst wegen des Geschreis der Wurzel fort.
Sie hatte vergessen, ihre Ohren zu verstopfen, lief nun, so schnell sie
vermochte, und der Hund ihr nach; er riß die Wurzel aus dem Boden, und ein
erschrecklicher Donnerschlag stürzte ihn und Bella nieder; doch hatte ihr
sichrer, schnellfüßiger Lauf sie schon funfzig Schritte entfernt.

Das hatte Bellas Leben errettet; doch blieb sie lange ohnmächtig und
erwachte erst, als schon die beglückten Liebhaber von ihrem Glücke lässig
heimkehrten, einer von diesen sang ein jauchzendes Lied von seinem feinen
Liebchen und von den falschen Zungen, die heimliche Liebe ausschwätzen;
halb hatte er dabei Schlummer in den Augen, und so kam es, daß er sie
übersah. Als sie davon erwachte, wußte sie nicht, wie sie an diesen Ort
gekommen, den sie nicht mehr erkannte; schwach richtete sie sich auf und
sah im ersten Morgenschimmer ihren toten Simson. Sie erkannte ihn,
erinnerte sich auch allmählich, warum sie hergekommen, und fand an den
Haarflechten, die sie jetzt dem Hunde abnahm, ein menschenähnliches Wesen,
gleichsam einen beweglichen Umriß, aus welchem die edlen Sinne noch nicht
hervorgetreten sind, ähnlich einer Schmetterlingslarve: so war der Alraun,
und wunderbar ist es zu nennen, wie sie auf der einen Seite des Prinzen
gar nicht mehr denken konnte, der eigentlichen Ursache, warum sie den
Alraun aufgesucht, ganz vergessen hatte, so liebte sie diesen auf der
andern Seite mit jener ersten Zärtlichkeit, welche zart durchdringend seit
jener Nacht, wo sie den Prinzen gesehen, in ihr zur Erscheinung gelangt
war. Zärtlicher kann eine Mutter ihr Kind, das sie bei einem Erdbeben
verschüttet glaubt, nicht wieder begrüßen, nicht vertrauter, nicht
bekannter, als Bella den kleinen Alraun aus dem letzten Erdenstaube an
ihre Brust hob und ihn von allem Anflug reinigte. Er schien von dem allen
nichts zu wissen, sein Atem strömte aus kaum bemerkbaren Öffnungen des
Kopfes, nur als sie ihn eine Zeitlang auf ihren Armen gewiegt hatte,
bemerkte sie an einem ungeduldigen Stoß seines Armes gegen ihre Brust, daß
er diese Bewegung liebe; auch beruhigte er Arme und Beine nicht eher, bis
sie ihn wieder mit schaukelnder Bewegung erfreulich einschläferte. So
eilte sie mit ihm in ihre Wohnung zurück; sie achtete nicht des
Hundegebells, nicht einzelner Marktleute, die sich früh vor den Toren der
Stadt sammelten, um die ersten bei der Eröffnung der Tore zu sein; sie sah
nur auf den Kleinen, den sie sorgsam in ihren Überrock eingeschlagen hatte.
Endlich war sie in ihrem Zimmer, hatte ihr Licht angezündet und besah
das kleine Ungeheuer. Es tat ihr leid, daß er nicht einen Mund zum Küssen,
nicht eine Nase habe, die ein göttlicher Atem herrschend und sanft
geformt, daß keine Augen sein Inneres kund machten und daß keine Haare den
zarten Sitz seiner Gedanken umsicherten; aber ihre Liebe minderte das
nicht. Sie ging sorgsam zu ihrem Zauberbuche, um sich wieder zu erinnern,
was mit dieser gegliederten und beweglichen Rübe anzufangen sei, um ihre
Kräfte, ihre Bildung zu entfalten, und sie fand es bald. Zuerst sollte
sie den Alraun waschen, das vollbrachte sie, dann sollte sie ihm Hirse auf
den rauhen Kopf säen, und wie diese aufginge in Haaren, so würden sich
seine übrigen Gliedmaßen von selbst entwickeln, nur müsse sie an jede
Stelle, wo ein Auge entstehen sollte, ein Wacholderkorn eindrücken, wo
aber der Mund werden sollte, eine Hagebutte. Zum Glück konnte sie diese
Sämereien alle herbeischaffen, die Alte hatte ihr neulich einige gestohlne
Hirse gebracht, Wacholderbeeren brauchte ihr Vater häufig zum Räuchern in
seinem Zimmer; sie hatte den Geruch nie leiden können, jetzt war er ihr
lieb, denn es war noch eine Handvoll übriggeblieben; eine
Hagebuttenstrauch hing im Garten noch voll roter Früchte als die letzte
Pracht des Jahres. Alles wurde herbeigeschafft, zuerst die Hagebutte an
den rechten Ort eingedrückt, sie merkte aber nicht, daß sie ihm diese bald
aus Liebe schief küßte; dann drückte sie ihm zwei Wacholderbeerkerne ein,
es schien ihr, als sähe der Kleine sie an, das gefiel ihr so wohl, daß sie
ihm gerne ein Dutzend eingesetzt hätte, wenn sie nur einen schicklichen
Platz dazu hätte ausfinden können; aber wo sie ihm am liebsten Augen
eingesetzt hätte, hinten, da fürchtete sie, möchte er sich oft wehe daran
tun; zuletzt brachte sie noch ein Paar Augen in seinem Nacken an, und wir
müssen ihr eingestehn, daß diese Erfindung nicht ganz zu verachten gewesen
sei. So fröhlich und ernstlich zugleich begann sie dies Werk, ein Wesen
zu schaffen, das, wie der Mensch seinen Schöpfer, bis an sein Ende sie
betrüben sollte; selbstzufrieden wie ein junger Künstler, dem alles über
Erwartung glückt, besah sie ihr kleines, unförmliches Ungeheuer und
verbarg es in einer zierlichen Wiege, die sie im Hause vorgefunden,
wohlbedeckt mit Betten, entschlossen, selbst gegen die alte Braka dies als
das erste Geheimnis ihres Lebens zu bewahren.

Braka, die sich am andern Abende durch ihr verabredetes Katzengeschrei
kund machte, merkte doch an ihr eine Veränderung und fragte listig nach
allen Seiten, insbesondre als sie den schwarzen Hund nicht mehr bemerkte:
"Gott sei gelobt, ist der Hund fort! wie ist's gekommen? Ich hätte den
infamen Köter längst tot gemacht, wenn ich gedurft hätte; aber da er vom
Vater hinterlassen war, so durft' ich nicht; einmal hatte ich ihn doch
schon im Sack und wollte ihn ersäufen, da biß er mich aber beim Aufheben
des Sacks so scharf in die Hände, daß ich ihn mit dem Sack laufen ließ:
nun sag, Kind, wie hast du es angefangen, ihn über die Seite zu schaffen?"

Bella sah seitwärts auf ihre Arbeit nieder, sie schälte Äpfel und erzählte
recht umständlich, wie sie nachts im Garten gewesen, wie ein schäumender
Hund dort gegen sie angerannt sei, wie sich ihr schwarzer Simson auf ihn
gestürzt und beide einander so grausam zerzaust und herumgerissen, bis der
fremde Hund sich geflüchtet hätte, worauf der Simson lahm und blutend ihm
nachgelaufen und seit der Zeit von ihr nicht wieder gesehen worden sei,
vielleicht weil er gefühlt, daß er toll werde, und sie nicht habe
verletzen wollen. Eine recht rührende Erfindung! Bella hatte sie so
wahrscheinlich vorgetragen, ungeachtet es ihre erste Lüge war, daß Braka
beruhigt war und sich in Verwunderung über das treue Tier und über das
große Unglück, dem sie entgangen, ausließ. Nun hatte Bella Mut, ihr alles
einzubilden, was sie künftig von ihrem Wurzelmännchen zu sagen nötig
finden würde; doch wartete sie ungeduldig, daß die Alte ginge, denn sie
fühlte eine rechte Unruhe, ob noch nichts Lebendiges an ihm wahrzunehmen
sei.

Nachdem die Alte ihr Zwiebelgericht, das sie sich bereitet, ausgetunkt
hatte, ging sie endlich von dannen. Bella schloß die Türe und eilte zu
ihrer heimlichen Wiege; zagend deckte sie auf und freudig sah sie schon
die keimende Hirse auf dem Scheitel des Wurzelmännleins, auch die
Wacholderkerne hatten sich schon angezogen; es war überhaupt ein Bewegen
innerlich in dem kleinen Wesen, wie frühlings im Acker beim ersten heißen
Sonnenscheine nach dem Regen, es wächst noch nichts, aber die Erde trennt
sich und lockert sich, und wie die Sonnenblicke alles fördernd umgehen, so
regte sie küssend alle Kräfte der geheimnisvollen Natur auf. Erst nach
später Ermüdung entschloß sie sich, neben ihrem Kleinod schlafen zu gehen,
ihre Hand aber ließ sie auf der Wiege ruhen, daß es ihr nicht entführt
werden könnte. Was wundern wir uns über ihre sonderbare Neigung zu der
halbmenschlichen Gestalt, nachdem sie zu dem schönen Fürstensohne so
ausschließliche Neigung gezeigt hatte; es ist das Heiligste, diese
Anhänglichkeit an alles, was wir schaffen, und ruft uns, während wir vor
den Häßlichkeiten der Welt und unsren eignen erschrecken, die Worte der
Bibel in die Seele: Also hat Gott die von ihm geschaffene Welt geliebet,
daß er ihr seinen eingebornen Sohn gesendet hat. O Welt, bilde dich
schöner aus, daß du dieser Gnade würdig werdest. Vergessen war in ihr
aller Eigennutz, wie sie sich durch den kleinen Wundermann zu ihrem
geliebten Prinzen wollte hintragen lassen; dieses Wunderkind, in Gefahr
errungen, füllte jetzt alle ihre Gedanken, von ihm träumte sie, aber ihre
Träume waren nicht glücklich; sie sah den vergessenen Fürstensohn vor sich,
wie er im Wettstreite mit andern das zierliche Pfeilspiel der Spanier
übte, worin sie durch die Stärke und Schnelligkeit des Wurfs sowohl wie
durch die geschickte Wendung der Pferde einander zu necken und zu
übervorteilen suchen, aber der Prinz siegte über alle, seine Pferde rissen
Sterne vom Himmel und warfen sie wie zierlichen Schmuck ihr auf die Brust.
Die meisten dieser Sterne verlöschen, einer aber bebte in tiefem Lichte
auf der Mitte ihrer Brust; und sie sah immer tiefer hinein, unendlich
tiefer und konnte sich nicht satt sehen, und darüber erwachte sie. Kaum
war sie erwacht, so wußte sie nicht mehr, nach wem sie sich so eifrig
gesehnt hatte; ihr war es, als sei es der kleine Wurzelmann gewesen, den
sie mit lautem Jubel begrüßte, als er ihr ganz vernehmlich wie ein kleines
Kind entgegenwimmerte, mit runden schwarzen Augen sie ansah, als wollten
sie ihm aus dem Kopf herausfallen; sein gelbfaltiges Gesicht schien
entgegengesetzte Menschenalter zu vereinigen, und die Hirse auf seinem
Kopfe hatte sich schon zu borstigen Locken vereinigt, so auch, was auf
seinen Körper von den Hirsekörnern heruntergefallen war. Bella meinte, er
schreie nach Essen, und war in großer Verlegenheit, was sie ihm geben
sollte, wo sollte sie Milch hernehmen? Sie bedachte sich lange; endlich
gedachte sie der Katze, die auf dem Boden gejungt hatte, ein Jubel war ihr
diese Erfindung; die Jungen wurden heruntergeholt und zu dem
Wurzelmännlein, das sie schon spöttisch ansah, in die Wiege gelegt; die
Katze ernährte jetzt willig ihn mit den übrigen Jungen, und die kleinen
Blindgebornen duldeten es, daß der nach allen Seiten sehende Fremdling
ihnen voraus, ohne daß es die Alte merkte, die mütterliche Vorsehung
aussog. Bald kniend, bald auf den Knien hockend konnte Bella stundenlang
diesen Listen ihres Männleins zusehen; wo er die andern überlistete,
schien es ihr hohe Überlegenheit, wo er sich feig vor ihren Tatzen
zurückzog, Schonung und Klugheit; nichts machte aber dem Mädchen so viel
Freude an ihm wie die Augen im Nacken. Schon verstand er sie damit, wenn
sie ihm winkte, wo eines der Kätzchen von dem Zitzen heruntergefallen war,
und legte sich vor, bis er auch daran kommen konnte. Ihre Zuneigung wuchs
so schnell, daß sie sich aber jeden Tropfen Milch kränkte, der von den
eingebornen Jungen dem Fremdlinge entzogen wurde, daß sie lange mit sich
kämpfte, aber endlich nicht widerstehen konnte, eines dieser Jungen
heimlich fortzutragen und nahe am Bach ins Gras zu legen. Dann floh sie
schnell, damit es ihr nicht folgte, sie war aber kaum einige Schritte
gelaufen, so hörte sie etwas ins Wasser einplumpen, sie mußte ihre Augen
hinwenden und sah, wie der Strom die kleine, blinde Katze forttrug. Das
jammerte ihr, sie gedachte ihres unschuldigen Vaters, der denselben Weg
gezogen, sie hätte nachspringen mögen, doch blieb sie am Ufer stehen und
fühlte, daß sie gesündigt; der Himmel ward dunkel über ihr, die Erde
frostig unter ihr und die Luft unstet um sie her; sie schlich ins Haus und
weinte. Und als der kleine Wurzelmann mit den Augen im Nacken dies ersah,
fing er an der Brust der Katze laut zu lachen an, daß die Katze aufsprang
und eins der Jungen mit sich fortzog, das sich ihr in Angst angebissen
hatte. Jetzt war das Wurzelmännchen auch so mutwillig geworden, daß es
sich nicht viel um die milde Nahrung der Milch kümmerte, zwar sah es schon
aus wie ein altes Männlein, das zum Kinde zusammengeschrumpft war, aber es
hatte noch alle Unarten der kleinsten Kinder dabei. Gerade weil es sah,
daß Bella über den kleinen Mord mit ihm zürnte, drängte es sich immer mehr
zu ihr, und schlagen konnte sie es nicht, und was sollte sie da tun, als
es küssen und ihm den Willen lassen, der sich durch Hingreifen nach
allerlei Wurzeln zeigte, die nicht von ihrem Vater her im Zimmer so
umherlagen, sondern von der alten Braka bei ihrer Mauserei aus Unkenntnis
weggeworfen waren. Kaum hatte das Männlein eine Springwurzel genossen, so
fing es an so lächerlich über Tisch und Stuhl, kopfüber, kopfunter zu
springen, daß Bella in Angst die Augen wegwenden mußte und ihm ängstlich
wie ein Huhn dem ausgebrüteten Entchen nachlief und nachsah, wie sie ihn
nirgend fassen und erreichen konnte. Listig wußte er bald an allen Ecken
aufzusuchen, was ihm diente, so fand er bald auch die Sprechwurzel, welche
die grünen Papageien vom höchsten Gipfel des Chimborasso in die Ebenen
bringen, wo sie die Baumschlangen von ihnen gegen Äpfel eintauschen, die
am verbotnen Baume gewachsen; wer sie aber den Schlangen abjagt, das kann
allein der Teufel, und sie von dem zu bekommen, ist schwer und hat schon
manchen ehrlichen Erzieher in Verlegenheit gesetzt. Als er diese
ekelhafte Wurzel gierig genossen, sprang er auf einen Ofen, und wie ein
Vogel, dem die beschnittnen Flügel wiedergewachsen, zur Verwunderung
seines Herrn plötzlich empor auf den Baum vor dem Fenster fliegt und erst
spottend sein Lied pfeift, das er von ihm gelernt, eh er sich von ihm fort
im wilden Natursang durch die Luft schwingt, so waren die ersten Worte des
Männleins ein spottendes Wiederholen ihrer Lehren: "Sei artig, sei gut,
sei stille!"

Er konnte nicht aufhören, ihr das vorzusagen; sie hätte ihn gern
gezüchtigt, aber er saß ihr zu hoch. Zuletzt, um ihre Geduld ganz zu
erschöpfen, setzte er sich eine alte, verrostete Brille auf und fabelte in
leeren, spottenden Einfällen von allerlei Neckerei, die er der Welt antun
möchte, um sich zu unterhalten. Da mußte sie laut weinen und konnte nicht
mehr hinaufsehen, denn das Vertraulichste am Menschen sind die Augen, und
es ist wohl zum Verzweifeln, wenn die Schwäche der Natur solchen harten,
fühllosen Glasglanz zwischen dem geliebten Menschen und uns notwendig
macht, und das kann den Scharfsehenden schwindlig machen, wenn er sehen
muß, wie der Sinn, der sonst seine Freude nur in Luft und Licht sucht,
jetzt die harte Gewalt der Erde zu seiner Hilfe brauchen muß, die ihn
notwendig mit sich herabzieht und vernichtet. Eine Brille ist das
schrecklichste Gefängnis, aus welchem die ganze Welt verändert erscheint,
und nur die Gewohnheit kann den Schreck vor dieser Welt, wie sie dadurch
erscheint, aufheben. Wirklich erschrak jetzt Bella bis im tiefsten Herzen
vor dem Liebling, der im Luftraume ihrer Schöpfung vergöttert gewesen, sie
sah ein, daß sie auf ein Mittel denken müsse, den Alraun zu bezwingen, und
nahm sich vor, darüber mit Braka zu reden. Als sie das still in sich
beschlossen hatte, rief ihr das Männlein vom Gesimse des Zimmers zu: "Hör,
Bella, ich habe dich eben mit den Augen in meinem Nacken angesehen, da
ahndet mir, du hast mich nicht mehr so lieb wie im Anfange, und wenn ich
das gewiß weiß, so ist's um dich geschehen!"

Bella erschrak wie eine überwiesene Sünderin, diese Allwissenheit oder
vielmehr dieses ahndende Augenpaar in dem Kleinen setzte sie in
Verzweifelung, die Angst befestigte in ihr den Entschluß, sich des kleinen,
furchtbaren Teufels zu entledigen. Er rief dabei vom Gesimse: "Mir
ahndet, du hast etwas Böses mit mir vor, aber ich will dich schon wieder
gut machen."

Zugleich stieg er herunter, sprang zu ihr auf den Schoß und küßte sie so
herzhaft, daß er ihr fast die Haut aufriß mit seiner harten Barthirse,
dennoch fühlte sie eine sonderbare Bewegung ihres Blutes, die sie nicht
verstand, über die sie auch nicht nachdachte; doch war ihr der Kleine im
Augenblicke so lieb, und sie erwartete und wußte nicht, was, von ihm.

Eine Woche später, und der Alraun war in seiner Art völlig ausgewachsen,
etwa dreieinenhalben Fuß hoch; Braka hatte schon etwas von ihm gemerkt,
auch hatte er nicht Lust, sich länger einsperren zu lassen, wenn sie kam,
vielmehr wollte er sich der Alten recht glänzend zeigen, zog ein
silbergesticktes, altes Faltenkleid von Bellas Mutter an, das ihm Bella
nach allen Seiten aufnähen mußte: so saß er eines Abends ganz ruhig in der
Ecke und schien zu lesen, als Braka eingelassen wurde. Bella sagte, es
sei ihre Base, ein sehr reiches Mädchen, die sie zu sich nehme, die auch
Braka beschenken wolle. Braka, die ihr Kompliment auch zu machen verstand,
wo sie es nötig glaubte, griff der vermeinten Base nach der Hand, um sie
zu küssen, war aber doch etwas verwundert über die harte, trockene,
haarige Wurzelhand und zögerte mit dem Kusse. Darüber wurde der
Wurzelmann böse und gab ihr eine derbe Maulschelle. Braka konnte sich in
solchem Falle nicht mäßigen, sie stemmte beide Hände in die Seite und fing
so heftig an zu schimpfen, daß die lachende Bella sie kaum mit der
Vorstellung beruhigen konnte, die Nachbarn möchten sie hören, und dann
wäre ihr Zufluchtsort auf einmal verraten. Der Alraun hatte sich aber
durch die Schimpfreden nicht weniger in der guten Meinung gestört gefunden,
er sprang sehr geschickt auf und rings um Braka her und verfolgte sie mit
unzähligen Fußtritten; dabei fiel ihm der Schleier herunter, sie erkannte
ihn gleich für das, was er war, und demütigte sich erschrocken vor ihm.
Als er sie in Ruhe ließ, setzte sie sich ganz zerschlagen auf einen Sessel
und rief einmal über das andre: "Ach, Bella, was hast du für ein Glück,
solch ein Männlein zu haben, das alle Schätze finden und heben kann, ja da
hatte mein Schwager einen, den nannte er Cornelius Nepos."

"So will ich auch heißen", rief der Kleine, "wo ist der geblieben?"

"Ach", sagte Braka, "mein Schwager wurde erstochen, das Männlein wurde in
seiner Tasche gefunden und den Kindern zum Spielen gegeben, die brachten
es einem Schweine, das hat's aufgefressen und ist davon krepiert."

Der kleine Herr Cornelius wurde darüber sehr aufgebracht, er verbot es
sehr strenge, ihn nicht den Schweinen vorzuwerfen, und ließ sich erklären,
was dies für ein Tier sei. Braka wollte ihm erst beweisen, daß er sich um
die Welt und was darin fresse, gefressen werde und sonst vorgehe, gar
nicht zu bekümmern habe, er müsse Schätze graben und sich um weiter gar
nichts bekümmern; als aber der kleine Cornelius wieder sehr grimmig wurde,
suchte sie ihn zu besänftigen, indem sie ihm allerlei hohe Ämter vorschlug,
die er verwalten könnte. Es war, als wenn er schon einmal gelebt hätte,
so schnell wurde er durch eine kurze Erinnerung mit allen menschlichen
Verhältnissen bekannt. Bei verwachsenen Kindern findet sich häufig ein
Ansatz zu dieser fatalen Gescheitheit. Nichts unter allem, was Braka ihm
von dem schönen Leben eines Kuchenbäckers oder Kellermeisters vorschwatzte,
reizte ihn so mächtig als ein Kommandostab, wenn er in glänzender Rüstung,
wie in dem Schlosse ein Feldmarschall abgebildet war, vor tausend Rittern
an dem Hause vorüberreiten würde und ihren Gruß annehmen, ja er befahl,
ihn im Hause nicht anders als Marschall Cornelius zu nennen und ihm dazu
eine Rüstung zu schaffen. "Dazu gehört Geld", sprach die listige Braka,
"umsonst ist der Tod, Geld, Geld schreit die ganze Welt."

"Dafür laßt mich sorgen", sagte der Kleine, "ich sitze hier so unruhig, es
muß hier in der Ecke der Mauer ein Schatz versteckt sein."

Mit ihren Nägeln hätte Braka die Steine ausgerissen, wenn sie kein ander
Werkzeug hätte finden können, jetzt aber lag die eiserne Ofengabel ihr
recht angenehm zur Hand vor der Türe, sie war im Augenblicke damit bei der
Arbeit; ein Glück, daß der Schatz nur mit einem Stein vermauert war, alle
Fußtritte des Marschalls hätten sie nicht abgehalten, das Haus zu
durchbohren; auch ließ sie sich durch das Kratzen und Beißen des Männleins
nicht abhalten, den Kasten voll guter Gold- und Silbermünzen in Beschlag
zu nehmen. Sie setzte sich darauf und hielt dann ihren feierlichen
Vortrag: "Liebe Kinder, Jugend hat keine Tugend, Kinder-und Kälbermaß
wissen alte Leute, ihr wißt beide noch nicht mit Gelde umzugehen, ihr
wäret verloren und kämet gleich in die Hände der argwöhnischen Gerichte,
wenn ich euch nicht mit Rat zur Hand ginge; darum hört meine Meinung, was
ihr tun müßt, damit wir in aller Sicherheit des Schatzes froh werden. Hör,
Bella, du hast mich oft Mutter genannt, das will ich nun in der Welt
vorstellen, in die ich dich einführe; du aber, Cornelius, mußt dich als
mein Neffe, als Vetter meiner lieben Bella, artig aufführen, so kannst du
mit uns vertraulich zusammenwohnen, wir können dich einem vornehmen Kaiser
irgendwo empfehlen, daß er dich zu seinem Marschall macht; eine Rüstung
können wir dir gleich kaufen, auch einen Degen und Helm und einen
Streithengst, da wirst du eine rechte Freude an dir haben, da werden die
Leute auf der Straße mit Fingern auf dich weisen und sprechen: Das ist der
herrliche junge Ritter, der Feldmarschall, der kühne Haudegen. Die
Mädchen werden niedersehen, und du wirst dir den Schnauzbart in die Höhe
streichen und mit einem gewognen Nickkopfe vorbeireiten."

Hätte Cornelius sich umgewendet, so hätte er ihre Falschheit wohl sehen
können, aber ihm war, seit er lebte, noch nicht so wohl geworden, als in
diesen Worten der Alten; er sprang ihr auf den Schoß und herzte und küßte
sie, daß Bella aus Eifersucht ihn packte und, statt zu küssen, ihn biß.
Er verstand keinen Spaß in so etwas, es hätte viel Streit geben können,
wenn nicht die Alte mit Beratschlagung, was nun anzufangen, hervorgetreten
wäre: "Schlagt euch ein andermal, wenn mehr Zeit dazu ist, heute muß ein
Entschluß gefaßt werden, wohin wir gehen, um mit Ansehen in Gent
einzufahren! Da habe ich eine alte Diebshehlerin in Buik gekannt, die
schafft am ersten Rat und was wir brauchen, eine Staatskutsche, worin wir
den Herrn Cornelius fahren, als ob er in einem Zweikampfe verwundet worden
sei und nur allmählich genese."


"Nein", sagte das Männlein, "das will ich nicht spielen, es könnte mir
wirklich so gehen, und warum soll ich mich nicht sehen lassen?"

"Ach", seufzte Braka heimlich, "der ist auch einer von den Bucklichten,
die nicht begreifen können, womit sie ihre Hemden zerreiben"; laut aber
sprach sie: "Seht nur, Herr, so auf einem Dorfe sind nicht gleich
ritterliche Kleider zu bekommen, die Eurer würdig sind, auch müßt Ihr Haar
und Bart sorgsam beschneiden lassen, die Leute meinen sonst, ihr wärt der
Bärnhäuter."

"Vielleicht bin ich auch von den Seinen", sagte Cornelius, "wer ist es, wo
lebt er?"

"Erzähl uns von ihm", bat Bella, "diese Nacht ist fast vergangen, heut
können wir noch nicht scheiden, und morgen will ich noch Abschied nehmen
von allem, was mir im Hause lieb."

"Erzähl", sagte der Kleine, "oder ich schlage dich." Braka hub also an,
indem sie die Öllampe zur Seite stellte und ihr Schnupftuch immer aus
einer ihrer Hände in die andre strich:




Geschichte des ersten Bärnhäuters

"Als Sigismund, der Ungersche König, von dem Türken geschlagen worden, ist
ein deutscher Landsknecht aus der Schlacht in einen Wald entronnen; da er
nun keinen Weg fand, keinen Herren, kein Geld hatte, an keinen Gott
glaubte, so erschien ihm ein Geist und sagte ihm, wenn er ihm dienen
wollte, so wollte er ihm Gelds genug geben und ihn selbst zu einem Herren
machen. Der Landsknecht sagte: "O ja, er sei es zufrieden." Nun wollte
aber der Geist wissen, ob er wohl einen rechten Heldenmut habe, damit er
sein Geld nicht umsonst ausgebe, und führte ihn an das Lager einer Bärin,
die Junge hatte, und als diese gegen sie ansprang, befahl er dem
Landsknecht, ihr auf die Nase zu schießen. Der Landsknecht vollführte das
treulich, schoß ihr in die Naselöcher zwei Posten hinein, daß sie stürzte.
Da solches geschehen war, fing der Geist an mit ihm zu unterhandlen:
"Zieh die Haut der Bärin dir ab, du wirst sie brauchen, gut für dich, daß
du kein Loch hineingeschossen, denn soll ich dich reich machen, so mußt du
mir sieben Jahre darin, als in meiner Livrei, dienen, mußt in den sieben
Jahren alle Nacht eine Stunde um Mitternacht bei meinem Schlosse
Schildwach stehen, mußt in den sieben Jahren dir niemals Haar und Bart und
Nägel weder abschneiden noch reinigen, dich auch nie waschen, abreiben,
abstäuben und einsalben; in den sieben Jahren sollst du bei Tage frei
Licht, bei Nacht mit Abwechseln Mondschein, Sternenschein und nichts haben
als guten Wein zum Trinken, Kommisbrot zum Essen; auch sollst du in der
Zeit kein Vaterunser beten." Der Landsknecht ging alles ein und sagte zum
Geist: "Alles, was du mir zu unterlassen befiehlst, habe ich mein Lebtage
nicht gern getan, weder Kämmen, Waschen noch Beten; was du mir zu tun
befiehlst, soll mir bei einem guten Glase Wein nicht schwer werden."
Darauf zog er seine Bärenhaut über, und der Geist führte ihn durch die
Luft auf sein wüstes Schloß, das mitten im Meere liegt, woselbst er gleich
seinen Dienst antrat. Sechs und ein halbes Jahr versah der Landsknecht in
seiner Bärnhaut, wovon er den Namen des Bärnhäuters bekommen, seinen
Wachtdienst; Haar und Bart waren ihm dermaßen gewachsen und verfilzt, daß
er von Gottes Ebenbildlichkeit wenig mehr übrig behielt; Petersilie war
ihm auf seiner Haut gewachsen, das sah gar erschrecklich aus."

Mit einem Schauder sah Bella bei diesen Worten die Hirse auf dem Kopfe des
Alrauns, der sehr wohlzufrieden sie durch den Finger gehen ließ, seiner
Schönheit gegen den unsaubern Landsknecht gewiß.

"Als nun sechseinhalb Jahr um waren", fuhr Braka fort, "trat der Geist zu
ihm, freute sich über sein Ansehen, sagte ihm, er brauche ihn nicht mehr,
er wolle ihn wieder unter Menschen bringen, doch mit der Bedingung, daß er
sich noch ein halbes Jahr in dieser seiner Verwilderung unter ihnen sehen
lasse, zugleich wolle er aber mit ihm abrechnen und ihm den verdienten
Geldschatz überantworten, er möchte sich damit lustig machen, so gut er
könnte. Dem Landsknecht war es doch lieb, wieder unter Menschen zu kommen,
weil er das Sprechen fast verlernt hatte, er ließ sich vom Geist recht
vergnügt übers Meer nach Deutschland führen, nach Graubünden, weil es dort
in damaliger Zeit am schmutzigsten auf dem ganzen Erdboden war. Dennoch
wollte ihn da kein Wirt aufnehmen, bis er eine Handvoll Dublonen und eine
Handvoll Piaster einem ins Gesichte warf; der räumte ihm seine besten
Zimmer ein, daß er die gewöhnlichen Gäste von dem Hause nicht
zurückschrecken möchte. Als aber der Papst, der mit gemalten Bildern die
ganze Christenheit regiert, durch Graubünden kam, von dem Konzilio nach
Rom zurückzureisen, da trat der Geist zu dem Bärnhäuter und malte sein
Zimmer mit allen merkwürdigen Menschen der Welt, sowohl denen, die gelebt,
als die künftig noch leben werden, wie den Antichristen und das jüngste
Gericht, worüber der Wirt sich nicht wenig verwunderte, aber dennoch den
Bärnhäuter zwang, die Nacht, wo der Papst bei ihm einkehrte, seine Zimmer
einzuräumen und im Schweinestall zu schlafen, den Papst aber legte er in
das vom Bärnhäuter schön gemalte Zimmer. Als der Papst am andern Morgen
aufwachte, war das erste, daß er sich nach dem wunderbaren Maler
erkundigte, der das Zimmer so künstlich verziert habe. Der Wirt erzählte
ihm, was er von ihm wußte, und mußte ihn dann aus dem Schweinestall
heraufkommen lassen. Der Papst aber grüßte ihn freundlich, fragte ihn,
wer er wäre, und der Landsknecht nannte sich Bärnhäuter; darauf fragte ihn
der Papst, ob er diese herrlichen Bilder gemalt? "Wer sonst?" sprach der
Bärnhäuter. Da rühmte ihn der Papst als den ersten Maler der Welt und
sagte ihm, er habe drei natürliche Töchter, die er sehr liebe, die älteste
heiße Vergangenheit, die andre Gegenwart, die dritte Zukunft, wenn er ihm
die so malen könnte, daß er wüßte, wie jede nach einer Reihe von Jahren
aussähe, so wolle er ihm die zur Frau geben, welche ihm am besten gefalle.
Der Bärnhäuter versprach alles in Hoffnung auf seinen Geist. Der Papst
redete darauf weiter: "Du könntest mir aber leicht einbilden, daß sie sich
also verwandeln möchten, und wenn es nicht zuträfe, hättest du doch
inzwischen meiner Tochter Liebe genossen, darum stelle ich dich auf eine
Probe. Ich zeige dir nur meine jüngste Tochter Zukunft, und du mußt aus
ihrem Anblicke die beiden älteren, Gegenwart und Vergangenheit, malen;
bestehst du diese, so ist das Mädchen dein, bestehst du sie nicht, so
verfällt mir dein großes Vermögen, wovon mir der Wirt erzählt hat."
Bärnhäuter ging alles ein, lief neben dem Wagen des Papstes her und hielt
ihn, wenn er umfallen wollte, und so kamen beide ohne Schaden nach Rom.
Gleich am Abend stellte ihm der Papst seine Tochter Zukunft vor, die sehr
schön war, aber zweierlei Farbe von Haaren auf ihrem Kopfe trug;
Bärnhäuter verliebte sich gleich, sie aber entsetzte sich über seinen
Anblick. Als sie fort war, rief er seinen Geist, der mit einem
Farbentopfe und einem Pinsel geflogen kam und die Bilder der beiden ältern
Schwestern sogleich anfertigte. Als Bärnhäuter das Bild der Gegenwart
gemalt sah, vergaß er darüber der geliebten Zukunft und weinte, daß er
diese nicht bekommen könnte. Der Geist tröstete ihn und sprach: In einem
halben Jahre würde seine Braut dieser ähnlich und gleich sein, und so
hätte er in diesem Bilde auch das vom Papste verlangte Bild, wie die
Tochter in einer gewissen Zeit aussehen werde; in dem Bilde der
Vergangenheit werde er aber gleich sehen, wie die Gegenwart künftig
aussehen müsse.

Der Geist malte dieses Bild der Vergangenheit, und es gefiel dem
Bärnhäuter nicht. Als dieser nun aber vom Geiste verlangte, er solle ihm
das Bild der Vergangenheit malen, wie sie künftig aussehe, da wischte der
Geist seinen Pinsel auf der Wand aus und sagte: "Entweder so wie die
Wolken, daß nichts zu erkennen, oder wie das Bild der Zukunft, das du im
Herzen trägst, und das ich dir niemals gut genug malen würde!" Hier
verschwand der Geist. Am Morgen zeigte der Bärnhäuter die Bilder dem
Papst, der sehr nachdenklich dabei wurde, ihn umarmte und seiner jüngsten
Tochter als Bräutigam vorstellte. Bärnhäuter war so voll Freude, daß er
nicht sah, wie seine Braut weinte, als er seinen Ring, der
auseinandergeschroben werden konnte, mit ihr teilte und ihr die Hälfte an
den Finger steckte. Darauf nahm er Abschied, denn so hatte ihm der Geist
in der Nacht befohlen

ich hatte es zu erzählen vergessen -, und ritt nach Deutschland zurück, um
dort in Graubünden sein siebentes Jahr noch auszuwarten; dann ging er nach
Baden ins Bad, wo er zu seiner Reinigung über ein halbes Jahr beständig im
Wasser lag und mit groben Besen abgebürstet wurde; ein Dutzend Messer
wurden stumpf, eh ihm der Bart und das Haar abgeschoren waren. Als das
beendigt, schaffte er sich die kostbarsten Kleider an und eilte zu seiner
Geliebten zurück.

Diese war unterdessen in das Aussehen gerückt, was die Gegenwart damals
hatte, sie war sehr schön, aber immer traurig, weil sie sich vor ihrem
Bräutigam fürchtete und weil sie von den Schwestern, die keinen Mann
bekommen, beständig seinetwegen geneckt wurde. Eines Tages rief ein
heller Trompetenschall alle drei Schwestern ans Fenster; es zog ein
schöner, fremder Ritter mit vielen Knechten in die Stadt, den sich die
beiden ältesten sogleich zum Mann wünschten, und, o Wunder, der Ritter
hielt vor dem Hause still, ließ auch um Erlaubnis bitten, ihnen
aufzuwarten. Sie bewilligten es gern, und er gab sich für einen
entfernten Verwandten von ihnen aus, der eine von ihnen zu heiraten
begehre und sich deswegen durch einige Gaben empfehlen wolle. Die beiden
ältesten griffen begierig nach den Geschenken, die jüngste aber blieb
einsam wie ein Turteltäubchen; die beiden ältesten bemühten sich um seine
Gunst; sie gefielen ihm aber gar nicht mehr, die Gegenwart sah aus wie
damals die Vergangenheit, und die Vergangenheit hatte ein vermischtes
Gesicht wie eine Alabasterstatue, die lange unter der Traufe gestanden,
die liebe Zukunft aber blühte in höchster Schönheit, ihre Haare glänzten
in gleicher heller Farbe. Dennoch stellte er sich erst den beiden älteren
geneigt, um die Sinnesart der jüngeren zu prüfen; als diese aber still und
sittig blieb, während jene stolzierten, erklärte er sie für seine Braut,
indem er ihr die andre Hälfte des Ringes am Finger anschraubte. Da war
große Freude in der Verlassenen angezündet; der Papst erschien und segnete
beide ein. Als aber die Brautleute zu Bette gebracht worden, ergriff die
beiden älteren Schwestern eine Verzweifelung, daß sich die eine erhenkte
und die andre in den Brunnen stürzte. In der Nacht trat der Geist, die
beiden toten Mädchen im Arm, zum letztenmal zum Bärnhäuter und sagte: "Du
hast alles erfüllt, was du mir gesollt, ich bin im Vorteil, ich habe mir
zwei, du dir eine Tochter geholt. Lebe wohl und bewahre deinen Schatz."

"Aber", unterbrach sie der Alraun, "warum haben sich denn die Schwestern
so geärgert, daß sie zu Bette gegangen sind?"

"Weil sich die beiden geheiratet", antwortete die Braka.

"Was ist denn heiraten?" fragte der Alraun.

"Das kannst du nicht begreifen", sagte die Alte.

Der Alraun wollte sich umdrehen, um mit seinen ahndenden Augen sie zu
erforschen, aber im Augenblicke schrie er entsetzlich auf und sprang unter
den Tisch, der Alten unter den vielgeflickten Rock. "Was ist dir,
Scheusal?" rief die Alte, sah auch hin, wohin er gesehen, und warf sich
schreiend über den Geldkasten, und Bella legte den Kopf ängstlich in den
Schoß und wagte nicht aufzublicken.

"Lebende Menschen", sagte eine rauhe Stimme, "sind doch rechte Toren, da
hören sie mit großer Freude meine schreckliche Geschichte an, und mich
selbst mögen sie nicht sehen. Wacht auf aus eurem Schrecken, oder ich
schreie, daß die Balken unter und über euch biegen und brechen."

"Nun", sagte der Alraun unter dem Rocke der Alten, "was will er,
Bärnhäuter? ich will ihm zuhören."

"In welchem Mauseloche steckst du, kleiner Knirps?" fragte der Bärnhäuter.


"Wo du großer Tölpel nicht stecken kannst", sagte der Alraun; "mach
schnell, es wird mir sonst zu heiß hier, auch beißen mich die
Schmetterlinge, was willst du von uns, unsaubrer Gast?"

"Ach", sagte der Bärnhäuter, "ich habe mich bei Lebzeiten so sehr in mein
Geld verliebt, daß ich den Rest hier vermauerte und dabei nach meinem Tode
Wache stehen muß, gebt mir mein einziges Vergnügen wieder heraus."

"Gib ihn hin", flüsterte die Alte, "so dreht er uns nicht das Genick um."

"Nein", rief der Kleine, "du kriegst keinen Heller heraus, du mußt ihn
abverdienen, du bist aber ein starker Kerl, der uns nützlich sein kann,
insofern du deinen Körper noch gehörig instand setzen, ausputzen und
beschlagen kannst, um damit auf Erden als unser Knecht zu erscheinen."

"Ach", sagte der Bärnhäuter, "was den Körper anbetrifft, es sind bloß ein
paar Verknöcherungen in den Adern gewesen, woran ich gestorben, die putz
ich mit einem scharfen Messer leicht weg, es ist mir nur eine verfluchte
Arbeit, so einem kleinen Stehauf, wie du bist, auf der Welt zu dienen: das
ist auch noch eine harte Strafe für meinen Geiz."

"Ei was", sagte der Alraun und kam unter dem Rocke der Alten hervor, "ich
bin nicht eben zu klein, aber du bist zu groß, und ich weiß nicht, was mir
lieber wäre; ein Kleiner kann sich einschmiegen und einkriechen, wo ein
Großer nicht einmal hinriechen darf; kurz und gut, willst du mir treu
dienen, so zahl ich dir reichlich alle Woche einen Dukaten, bis dein
Schatz wieder beisammen."

"Ich geh den Vertrag ein", sagte der Bärnhäuter, "morgen Nacht komm ich
mit meinem wirklichen Körper, wenn ich ihn in der Zeit fertig kriege,
zurück, neben mir an ist der Diener eines vornehmen Herren begraben, mit
dem will ich Kleider tauschen, so macht mein seidner Wams kein Aufsehen,
und dem armen Teufel gönn ich die kleine Freude wohl, sich so stattlich
begraben zu finden, wenn er am jüngsten Tage aufsteht, er hat sich immer
still und ordentlich bis auf ein bißchen Schnarchen neben mir aufgeführt."

"Es ist gut", sagte der Alraun, "das Weibsvolk hier hört dich noch gar
nicht sonderlich gerne, drück dich, Mensch!"

"Nun adies", sagte der Bärnhäuter, "es bleibt dabei, aber einen Dukaten
Mietsgeld würde ich mir wohl ausbitten, ich habe den Totenwürmern allerlei
Kleinigkeiten versetzt, die ich wieder einlösen möchte."

"Da hast du", sagte der Alraun und zog mit Gewalt einen Dukaten aus dem
Haufen, worauf die Alte lag (die ihm heimlich zuflüsterte: gib ihm die
Hälfte, es ist auch genug), "da hast du den Dukaten, führ dich ordentlich
bei mir auf, es soll dein Schaden nicht sein."

Der Bärnhäuter verschwand, es dauerte aber noch eine Weile, ehe Braka und
Bella aufzusehen wagten. Der kleine Cornelius lachte sie aus, und sie
konnten sich einer gewissen Hochachtung gegen ihn nicht erwehren. "Wenn
uns der große Kerl nur nicht einmal mit all unserm Hophei davonläuft",
sagte Braka.

"Wie kann er denn", sagte der Alraun, "es ist ja eben seine große Not, daß
er als ein Geist sein Wort halten muß; ihr Menschen braucht das nicht,
wenn ihr euch nicht eurer Seele wegen nach dem Tode fürchtet."

"Bist du denn ein Geist oder ein Mensch, lieber Cornelius?" fragte Bella.

"Ich", stammelte der Alraun, "das ist eine dumme Frage, ich bin ich, und
ihr seid nicht ich, und ich werde Feldmarschall, und ihr bleibt, was ihr
waret, mit solchen verfluchten, spitzfindigen Fragen bleibt mir vom Halse,
wenn man darüber nachdenkt, so zieht es einem Blasen im Gehirn, wie der
Meerrettich auf der Haut."

"Woher weißt du denn das vom Meerrettich?" fragte Braka.

"Als ich da oben stand unterm Galgen, da stand eine Meerrettichpflanze
neben mir, die tat sich immer viel darauf zugute, daß sie Blasen ziehen
könnte und daß die Augen bei ihr übergingen, das nannte sie ihre tragische
Wirkung. Gute Nacht", rief er zuletzt, "Braka, auf Wiedersehn! mach dich
fort und besorg mir nur recht bald den Kommandostab." Als er fortgegangen,
beredete Braka alles, was noch zu ihrer Wanderung nötig, die auf die
nächste Nacht unabänderlich festgesetzt wurde.

Am andern Abende ging Bella noch einmal in den kleinen Garten; was sie
erlebt, drängte sich ihr zusammen, jeder Zweig schien ihr bedeutend. Der
Nacht, wo sie den Erzherzog gesehen, erinnerte sie sich, er selbst war ihr
aber ganz entfallen, sie konnte sich nicht denken, wie er ausgesehn habe,
auch schien ihr das wenig wert; sie freute sich in die Welt einzutreten,
aber sie fürchtete, die sie umgaben, und das Gefühl, daß sie ihr zu
schlecht wären, überraschte sie sehr schmerzlich; sie schämte sich ihrer,
weil sie ihren Vater gekannt hatte, und alle Dankbarkeit gegen Braka, alle
Freude, die sie über das Gedeihen des kühn und glücklich erschaffenen
Wurzelmännchens hegte, konnte diese Scham nicht unterdrücken. Es lag ihr
die Hoheit ihres ägyptischen Stammes im Blute, und sie sah zu den Sternen
zutraulich als zu ihren Ahnen und fühlte den Sommer ihres Landes jetzt in
dem kalten Oktober, wo der Nil sinkt und alles sich zur Arbeit regt, aber
sie wußte auch das alte Verbrechen ihres Volks, daß sie der heiligen
Mutter Maria auf ihrer Flucht nach Ägypten kein Obdach geben wollten, als
sie mit ihrem seligmachenden Kinde im starken Regen einritt; da erhob aber
dieses seine Hand im Kreise, und über ihnen stand ein Regenbogen, der
keinen Tropfen auf sie niederfallen ließ. "Ist unsre Schuld noch nicht
gebüßt!" seufzte Bella, und rings um den Mond erblickte sie einen
wunderbaren farbigen Kreis, daß ihr Herz aufjauchzte und ohne Worte betete.
"Mit welcher Sehnsucht hat mein geliebter Vater Michael", dachte Bella,
"nach jenen Hügeln geblickt, den ersten Gruß der Morgensonne zu erwarten,
und ich soll sie hier in der Stille nie wiedersehen. Was haben sie mit
mir vor, die mich umgeben, soll ich fliehen in die Weite, so weit meine
Füße mich tragen, die Welt ist ja nirgend verschlossen!"

Die Sehnsucht nach der Freiheit bewegte sie, da flüsterte ihr Braka leise
zu, die sich ihr genähert: "Der Bärnhäuter hat schon alles aufgesackt, der
Cornelius reitet auf seinem Nacken, hast du noch was mitzunehmen?"

"Ei freilich", sagte Bella, "da sind noch meine Puppen und das Zauberbuch."

"Ach, liebes Kind", sagte die Alte, "das hat der grobe Bärnhäuter aus
Unvernunft alles in den Ofen geworfen; sei nur nicht böse, tröste dich."

Bella sah nieder: "So muß ich auch das alles verlassen, womit ich gespielt
habe."

"Ja, liebes Mädchen", sprach Braka und umarmte sie, "ich habe es dir schon
seit ein paar Wochen sagen wollen, du bist nun erwachsen, kannst auch alle
Tage einen Mann nehmen; freust du dich nicht, Blitzmädchen? Wie ist dein
Busen hervorgetreten wie eine Frucht unter Blättern, und du hast es nicht
bemerkt, sieh, der Mond hat Platz, seine Strahlen hinüberzurollen."

"Alte, bist du unsinnig?" fragte Bella.

"Ach laß mich", sagte Braka, "es ist Nacht, und ich mag auch einmal
vergessen, wie ich mich in aller Welt gleich einem Rauchbesen
herumgetrieben, alle Spinnweben, allen Schmutz ausgekehrt habe, daß ich
schmutzig bin und bleibe. War auch einmal jung und artig, sang mit unsern
schönen Jünglingen und reimte Lieder, und nun ich dich so sehe und du von
allem nichts weißt, was mit dir geschehen, da denke ich für dich und freue
mich für dich. Sieh, du bist nun ein großes Mädchen, und alle Lust geht
dir auf, und wo du hinblickst, jeder fühlt und will was bei dir, und wenn
du nur eine Hand ausstreckst, wird es ihnen heiß in den Adern, sie
stammeln und scheuen sich und rasen und hetzen, und blickest du einen an
und dann den andern, so schlagen sie sich und rechnen ihr Blut für nichts
gegen dein Blut und vergießen es für dich."

"Ach Gott", rief Bella, "welch ein Unglück steht mir bevor, lieber lauf
ich davon und verberg mich aller Welt!"

Braka hielt sie und sagte: "Fliehen willst du, unartiges Kind? Wenn du
dir das je unterstehst, ich will dich schon wiederkriegen, da peitsche ich
dich mit Brennesseln. Du bist doch noch dumm wie ein Klotz; wenn man der
dummen Gans alles Liebe sagt und tut, sie versteht kein Wort; kommt jetzt
herein, wir haben keine Zeit übrig, ein andermal sag ich dir mehr!"

Sie schob Bella ins Haus, die wunderlich bewegt von dem, was sie gehört,
noch mehr von dem, was sie erwarten sollte, sich über den Verlust ihrer
Bücher und Puppen tröstete und den Bärnhäuter kaum anstaunte, der in
seiner braunen Livrei einem Bären glich, auf welchem der Alraun wie ein
menschlich angezogener Affe ritt, um sich auf einer Kirmes sehen zu lassen.
Braka ging voran, Bella folgte ihr, der Bärnhäuter schlug die Tür zu;
alle waren still, nur Braka brummelte vor sich, wenn sie den verschneiten
Weg nicht recht erkennen konnte. Auf dem Galgenberge sahen sie großen
Tanz, sie kehrten sich nicht daran; ein paarmal wurden sie durch
Feldhühner erschreckt, die aus dem Schnee aufflogen. Endlich sahen sie
das Dorf Buik in einer Vertiefung liegen, und Braka erkannte die Lampe
ihrer alten Diebsschwester, der Nietken.

Sie näherten sich leise einer Gartentür, und Braka machte ihre Gegenwart
durch Wachtelgeschrei kund. Es kam ein kleines Mädchen, die sah sie an,
machte die Türe auf und führte sie in einen Keller und durch den Keller
die Treppen hinauf in ein Bodenzimmer, das durch die Türe eines
Nebenzimmers erleuchtet wurde. Braka ging unverzagt in dieses zweite
erhellte Zimmer, wo eine dicke, alte Frau, die in einem schönen, grünen,
seidnen Kleide einer Platznelke glich, weil sie dasselbe hin und wieder
teils mit ihrem roten Gesicht und Händen, teils mit ihrem rotwollenen
Unterrocke durchschimmern ließ, vor einem kleinen Hausaltare kniete, der
mit einem schönen Bilde der Mutter Maria und vielen bunten Wachskerzen
geheiligt war.

"Nun, du alter Sausack", sprach Braka, "betest du wieder, weil du viel
getrunken hast und der Schluckauf dir nicht vergehen will?"

Frau Nietken, denn das war die Betende, sah sich um, winkte mit der Hand
und betete ihren Rosenkranz emsig fort. Der Bärnhäuter fand sich auch zur
Andacht gestimmt, er kniete nieder, auch Bella, die recht schöne Gebete
wußte; aber Braka, die alle Schlüssel und Gelegenheiten des Hauses kannte,
nahm eine große Kanne schwer Bier aus einem Wandschranke und trank für
alle.

Unterdessen war der Alraun über allen lächerlichen Kram im Zimmer, wo alte
Tressen, Lappen, Küchengeschirre, Leinenzeug in abgesonderten Haufen lag,
so verwundert, daß er sich nicht satt daran sehen konnte; alles war ihm
neu, aber er wußte sich bald alles zu deuten. Frau Nietken, die eine
Trödlerin von sehr ausgebreitetem Handelsverkehr war, versammelte die
seltensten Vorräte von Altertümern aller Art; da war im Hause auch das
kleinste Hausgerät nicht in der Art zusammenhängend und dem Hause gemäß,
wie man es sonst allerorten findet; sondern aus einer sehr natürlichen
Auswahl der Leute, die sich immer das Brauchbare aus ihren Ankäufen
herausgesucht hatten, war ihr zum Gebrauche nur das Abenteuerlichste
geblieben, was die Laune irgendeiner Zeit oder eines Reichen für einen
besondern Fall geschaffen hatte. Die Stühle zum Beispiel in der
Dachkammer waren von hölzernen Mohren getragen, über jedem ein bunter
Sonnenschirm, sie stammten aus dem Garten eines reichen Genter Kaufmanns,
der viel Geschäfte in Afrika gemacht hatte. In der Mitte des Zimmers hing
eine wunderliche gedrehte Messingkrone, sie hatte sonst die aufgehobene
jüdische Synagoge zu Gent beleuchtet, jetzt steckte ein gewundenes buntes
Wachslicht zu Ehren der Mutter Gottes darauf. Der Altar war eigentlich
ein abgedankter Spieltisch, an welchem die ledernen Geldsäcke ausgerissen
und eine gewesene Salzmäste, mit Weihwasser gefüllt, eingesetzt war. An
den Wänden hingen gewirkte Tapeten, welche alte Turniere darstellten, die
Ritter und die eisernen Harnische hingen in Plundern herunter.

Die gute Frau Nietken, die zu ihrem Geschäft, das sich auch gelegentlich
über gestohlne Sachen ausbreitete, die sich in dem Hause gar leicht
verstecken ließen, alles Gaunervolk der Gegend brauchte, war eine
Herzensfreundin von Braka, die ihr sehr gut nach dem Maule schwatzen
konnte. Kaum hatte sie ihr letztes Ave gebetet, so erhob sie sich im
Verhältnis zu ihrem dicken Leibe mit großer Rüstigkeit, stellte sich mit
eingestemmten Armen vor Braka hin und sprach: "Nun, du alte Vettel, kannst
wohl gar nicht mehr beten, hat es dir dein Herrgöttchen, der Teufel,
verboten? Wann wird er dich holen? Du altes Weib, wirst ja alle Tage
runzlichter. Pfui Teufel, wenn ich so aussähe wie du, ich ginge nicht
über Feld!"

"Du bist schön jung", kreischte Braka, "Siehst aus wie mein alter dicker
Spitz, wenn ich ihn frisch geschoren; die weißen Haare wachsen strichweis
aus dem roten Gesichte heraus; hast sicher heut zuviel Pfefferwasser
getrunken. Kannst du noch russisch tanzen, du tolles altes
Trompetergesichte?"

"Heida, das geht noch!" trompetete Frau Nietken und tanzte zu aller
Erstaunen, als wollte sie die Beine sich ausschlenkern, rutschte dann auf
den Knien, klatschte an ihr Fleisch, bis alle in ein entsetzliches
Gelächter ausbrachen, und sie schwur, daß ihr alle Knochen im Leibe
zerbrochen wären, und daß sie ein Glas spanischen Wein trinken müsse.

Nun sah sie erst beim Wein die übrigen an. Als sie Bella erblickte, sagte
sie zu Braka: "Laß mir die, die soll mir zur Hand gehen; was hast du für
Schlechtigkeit mit der im Sinn, soll dir die Geld verdienen?" Braka
versicherte ihr mit recht ehrerbietiger Stimme, dies sei ihre Herrschaft.

"Wer ist denn die Kröte da?" fragte Frau Nietken weiter und wies auf
Cornelius.

"Ich bin der Feldmarschall Cornelius", antwortete der Alraun, "hab sie
mehr Achtung gegen mich, alter Hahnenkamm!"

"Nun", fuhr sie fort, "der muß wohl Feldmarschall bei den Unterirdischen
sein; wer aber bist denn du, alter Zeiselbär, hast ja eine Livrei, die ich
kennen sollte? Ei ja, ich hab sie dem Herren von Floris für eine neue
gebracht, die er seinem alten Bedienten im Grabe nicht gönnte. Am Ende
ist die zum Stehlen auch nicht zu schlecht gewesen; hast du sie aus dem
Grabe geholt, du siehst darnach aus!"

Der Bärnhäuter, den sie also anredete, ohne ihr zu antworten, reichte ihr
eine derbe Maulschelle, worauf das alte Weib sogleich ganz nüchtern wurde
und fragte, was sie beföhlen.

Braka konnte ihr jetzt alles deutlich machen, was sie an guten Kleidern
und Schmuck brauchten, und daß sie in aller Frühe in ihrem besten
Staatswagen nach Gent gefahren sein wollten, um dort irgendein mietfreies
Ritterhaus zu bewohnen.

Die treffliche Frau Nietken hatte es gleich weg, daß viel bei diesem
Handel zu verdienen sei; also weckte sie im Augenblicke ihre Leute und
lief treppauf, treppab, um das Schönste ihnen aufzusuchen. Arme voll
Kleider warf sie ins Zimmer, da wurde ausgesucht und zwei Koffer damit
gefüllt, mit Wäsche konnten sie nur sparsamer versorgt werden, denn die
Niederländer verkaufen lieber ihr Kleid als ihr Hemde. Nachdem für den
Anzug gesorgt war, sprang Frau Nietken herbei mit Kohlen und einem
Brenneisen, um die Haare nach damaliger Sitte zu locken. Da half es nicht,
daß Bella ihr die natürlichen Locken ihrer Haare zeigte, die waren ihrem
feinen Geschmacke nicht gut genug; es war dem armen Kinde wie eine
Teufelsklaue, die sie gepackt, als sie die Haare um das heiße Eisen
gewickelt ihr heiß an die Stirn drückte. Bellas Hinterhaare waren trotz
des Abschneidens noch lang genug zur damaligen Lockentracht. Bellas
fürstliches Ansehen hielt Frau Nietken in gewissen Schranken; auch Braka,
als sie gewaschen und frisiert war, hatte sich veredelt, sie erschien wie
eine sehr ehrwürdige alte Hofmeisterin, denn als Mutter der schönen Bella
hätte man sie wohl nicht durch den Anblick anerkennen mögen. Die
Eitelkeit erwachte in Braka wie in Bella nicht schlecht, und als sie erst
ihre seidnen Kleider angezogen, stolzierten beide stillschweigend vor den
Spiegeln herum.

Aus dem Feldmarschall konnte Frau Nietken am wenigsten machen. Umsonst
hatte sie ihm sein grobes Haar gestutzt, er war und blieb nach der ganzen
zusammengedrückten Gesichtsform, den hohen Schultern und der beengten
Sprache ein Zwerg. "Hör, Kleiner", sagte sie, "wenn du kein Zwerg bist,
so bin ich keine ehrliche Frau!"

"Was", sagte Cornelius, "ich bin ein Mensch, und du nennst mich einen
Zwerg? Was ist denn ein Zwerg?"

"Ich weiß es wahrhaftig nicht", sagte Frau Nietken, "aber du kamst mir vor
wie ein Zwerg, ich glaub, du könntest dich für Geld sehen lassen!"

"Das wäre mir lieb", sagte Cornelius, "vielleicht!" und meinte in seiner
geldbringenden Natur, alles was mit Gelde bezahlt würde, sei auch
ehrenvoll, und das sei eine Artigkeit der guten Frau.

Am Morgen waren alle ausstaffiert, Cornelius wurde im Schlafrock in die
schöne, vergoldete Kutsche getragen, seinen Kopf hielt die Frau von Braka,
Fräulein Braka seine Beine, der Bärnhäuter saß auf dem Bocke: so fuhren
sie mit ziemlichem Herzklopfen aus, teils von der Furcht, teils von den
Kleidern eingeklemmt, denn der neue Staat wollte keinem recht passen; aber
freilich war er auch ziemlich zusammengetrödelt und doch so teuer, daß der
Bärnhäuter über die Anwendung seines Schatzes heimlich geseufzt hatte.
Als sie eine halbe Stunde gefahren waren, fing Cornelius heftig an zu
lachen und sagte: "Die alte Katze meinte, daß sie uns recht geprellt hätte,
ich hab sie aber angeführt: in den alten Stiefeln, die sie mir angezogen
hat, ist ein schöner Schmuck von kostbaren Steinen eingenäht, wer weiß es,
wie sie dazu gekommen, sie hat's aber nicht gewußt, trennt einmal die Naht
ganz zierlich mit diesem Messerchen auf."

Braka machte sich darüber, schnitt die Stulpen auf und fand die
kostbarsten Diamantketten zum Halsschmuck; sie griff sich aus Vergnügen
nach alter Gewohnheit in die Haare und verdarb sich damit ihren halben
Kopfputz: "Ach, wie prächtig wird mir der kleiden!" sagte sie und machte
Anstalten, ihn um ihren gelben Hals zu legen. Cornelius aber verlangte,
daß Bella ihn tragen sollte, und es wäre darüber vielleicht zum Streit
gekommen, wenn die Nähe der Stadt die Aufmerksamkeit der Alten nicht
gefesselt hätte. Cornelius hing der schönen Bella die Halskette ungestört
um, die ihr künftig so wichtig wurde. "Seht euch doch um, ihr Kinder",
rief jetzt Braka, "euch ist es was Neues und ihr achtet nicht darauf: seht
den lieben Reichtum rings an der Stadt, die Frachtwagen ziehen so breit,
daß wir ihnen kaum ausweichen können." Aber Cornelius und Bella sahen nur
nach den zierlichen Reitern, die ihre Pferde tummelten; nach den Schafen,
die von den Metzgern zur Schlachtbank getrieben wurden; ein Wagen voll
Kälber, die jämmerlich aufeinanderliegend blökten, erschreckte Bella, so
auch das Lärmen in den Wirtshäusern der Vorstädte, wo der tägliche Erwerb
schon so früh Zank und Schlägerei erweckt hatte.

Endlich kamen sie an die Torwache; ein Bürger trat mit der Hellebarde
heran und fragte, woher sie kämen. "Aus dem Lande Hadeln!" antwortete
Braka in der Verlegenheit, "ich bin Frau von Braka, dies ist meine Tochter
und dies mein Neffe, der Herr von Cornelius."

"Fahr zu", rief die Schildwache, und der Kutscher brachte sie, während sie
zitternd triumphierten, daß ihnen von der Wache kein Einwurf gemacht
worden, nach dem Hause am Markte, das Frau Nietken zu vermieten den
Auftrag hatte, wo sie ohne alle besorgliche Ereignisse abstiegen und sich
einrichteten.

Die ersten beiden Monate wurden darauf verwendet, ein vornehmes Wesen zu
erlernen; es wurden Lehrer und Lehrerinnen angenommen, und was sich im
Betragen der alten gnädigen Frau nicht schickte, wurde immer dem Lande
Hadeln zur Last gelegt, wo das Adeln noch nicht recht tief eingedrungen
sei. Bella erschien bald in allen ihren Sitten der feinsten Gesellschaft
gleich; sie sprach spanisch mit Fertigkeit. So verborgen sie sich hielt,
war sie doch schon das Gespräch der jungen Leute, die alle Tage vor dem
Hause vorüberritten, um sie zu sehen und ihre Aufmerksamkeit auf sich zu
ziehen. Der Herr Cornelius befand sich am schlechtesten bei seinem neuen
Stande, die enge Kleidung wollte ihm gar nicht behagen, und das
Fechtenlernen machte ihn zum Umsinken müde. Auf der Reitbahn konnte er es
mit allem grimmigen Gesichterschneiden durchaus nicht vermeiden, daß nicht
über ihn als über ein Wundertier gelacht wurde, die zahmsten Pferde wurden
bei seiner ewigen Unruhe wild und warfen ihn herunter. Er aber war nicht
abzuschrecken, er stieg gleich wieder auf, und das wiederholte sich oft
zehnmal in einer Stunde, kein andrer Mensch hätte diese Stöße aushalten
können. Glücklicher war er in seiner übrigen Ausbildung; seinen Lehrer
der Rhetorik beschämte er oft mit seiner Beredsamkeit und ärgerte ihn mit
seinen Späßen. Er konnte den meisten Leuten in ihrer Sprache geschickt
nachreden, hatte aber keine eigne Sprache; dennoch machte ihm sein
boshafter Wille, der manches Versteckte mit ahndendem Auge auffassen
konnte, eine Menge Bekannte, die ihn in Schutz nahmen und alle Leute auf
den Fuß mit ihm setzten, daß dem Kleinen nichts übel zu nehmen sei; ihm
wurde jede Stadtgeschichte vorgetragen, und er mußte sie vermehren und mit
Einfällen spicken, so wurde sie weiter in Umlauf gesetzt, daß eine Art von
Reibung in der Stadt entstand, die endlich auch den Erzherzog berührte.
Der Erzherzog hatte die Nachricht bekommen, daß er wegen eines im Briefe
an seinen Großvater Ferdinand ausgelassenen Titels von demselben enterbt
worden sei, als er eben ärgerlich nach Hause kam, weil er ein tragendes
Reh, das er für einen Rehbock angesehen, geschossen hatte. Beide
Ereignisse hatte der kleine Cornelius gleich in Verbindung gesetzt und bat
einen Pagen, er möchte dem Erzherzog raten, statt beim Großvater lieber im
Walde einen Bock zu schießen.

Der Erzherzog erfuhr die Worte, und da er leichten Blutes war, so mußte
der Edelknabe den Spötter zum Essen laden. Der kleine Cornelius trat
innerlich mit einem Beben, aber um so frecher und unverschämter ins Zimmer;
Karl war in der Blüte seines Lebens, und sein Mitleid beschwichtigte den
lächerlichen Eindruck, den ihm der kleine stramme Kerl machte. Karl
fragte ihn über sein Land aus, der Kleine war unerschöpflich in
lächerlichen Beschreibungen von den Bauern im Lande Hadeln, und jedermann
hätte geschworen, es sei wahr. Über das ihm reichlich wie Zuckerwerk
zugeworfene Lob stieg ihm der Mut immer mehr in der Eitelkeit, wie ein
Tauchermännlein, wenn der Druck der großen Hand über ihm nachläßt; er fing
an von seinem Zweikampfe zu prahlen, den er zur Ehre seiner Damen gegen
zwei fremde Ritter bestanden, die er tödlich verwundet hätte, wobei er
aber selbst an der Brust durchstoßen, so daß er halbtot nach Gent gefahren
sei. Als einige nach dem Wundarzte fragten, der ihn behandelt, und seiner
Zuversicht mit zweifelndem Blick begegneten, riß er sich die Weste auf und
zeigte seine eingekerbte Wurzelhaut, die jedermann für vernarbt ansah.
Nach diesem Hauptschlag rühmte er seine Reichtümer und seine Familie; die
Tante Braka wurde eine so altadelige herrliche Hofdame, voll Erfahrung und
Charakter, Herzensgüte, Zartgefühl und feiner Lebensart, wie Gent noch
keine aufzuweisen hätte. Bellas Schönheit übertraf nach seiner
Beschreibung die Helena; dabei erzählte er von ihrer Unschuld eine Menge
Anekdoten, die allerdings wahr waren, die ihm aber niemand glauben wollte,
weil sie ihre wunderliche Erziehung und Natur hätten kennen müssen.
Zuletzt gab er zu verstehen, daß er sie heiraten werde. Der Erzherzog
bekam einen eignen Anfall von Sehnsucht nach ihr, wie er aber schon früh
sich zu verbergen wußte, so suchte er nur durch Spott den Kleinen dahin zu
bringen, daß er einmal öffentlich mit seiner Braut erschiene, und dazu
schlug er ihm die nächste Kirmes in Buik vor, die von allen vornehmen und
geringen Gentern gleich zahlreich besucht werde. Der Kleine ließ sich
fangen und gab das Haus der Frau Nietken an, wo er mit den Seinen
erscheinen wollte. Nach dieser Verabredung gingen sie auseinander, aber
der Erzherzog, der noch kein Mädchen näher kennen gelernt hatte und die
meisten nicht der Mühe wert gehalten, empfand ein solches
unwiderstehliches Vorgefühl, daß er auch ohne Bellas täglich herrlicher
sich entfaltenden Schönheit sich wahrscheinlich in ihr unschuldiges und
heimliches Wesen verliebt hätte. Er sprach mit Cenrio, der sein Vertrauen
durch Aufopferung seiner Pflicht oft schon bei unbedeutenderem Anlaß
erkauft hatte, wie sie der strengen Aufsicht des Adrian von Utrecht, des
Oberhofmeisters, entgehen könnten. Cenrio versprach ein altes Buch mit
einem falschen Titel einzurichten, daß Adrian glauben könne, es sei ein
ihm unbekannter Anhang zu den Sentenzen des Petrus Lombardus, über die er
einen Kommentar schrieb, das solle bei Frau Nietken zum Verkauf liegen,
und so werde er sich gleich darüber machen, es zu durchlaufen, und ließe
sie laufen, wohin ihr Lusten sie treibe. Der Erzherzog war des Vorschlags
sehr froh. Nichts schmeichelt einem jungen Fürsten mehr, als in der
Befriedigung seiner Leidenschaft die Klugheit lächerlich zu machen, und
nichts verdirbt schneller.

Als die Begeisterung des Wurzelmännchens über alle Ehre, die er beim
Erzherzog genossen, etwas nachgelassen mit dem Weindunste, der seinen
kleinen Kopf eingenommen hatte, so gingen ihm alle einzelnen Reden
hindurch, die er mit ihm geführt, daß er sich als Bräutigam ausgegeben,
daß er Bella auf der Kirmes ihm zeigen wollte. In eitlem Vergnügen rieb
er sich die Hände und konnte sich nicht enthalten, alles dem alten
Bärnhäuter zu sagen, der wie alle Bedienten klug genug war, so dumm er in
seinem Dienste sein mochte, seinem Herren den Kutzen zu streichen, aus
welchem ihm schon manches Trinkgeld gefallen. Dies vollendete, wozu der
Kleine aus Nachahmerei seiner Bekannten schon vorgereift, eine feste
Überzeugung in ihm, er sei in Bella verliebt, und bei der vielen
Zärtlichkeit, die sie aus einer Art mütterlichen Gefühls ihm bezeugte,
glaubte er in ihr ein gleiches Gefühl voraussetzen zu dürfen und hielt
seinen Vorteil für so gewiß, daß er nicht einmal die ahndenden Augen auf
sie zu werfen nötig fand, um zu unterscheiden, wie sich alles in ihr
verwandelt hatte, wie sie nicht bloß mit ihren Augen die Frühlingssonne,
sondern auch mit ihrem Herzen die Liebe gesucht habe. Er kannte nicht die
Macht des Frühlings, der aus dem Himmel in alle Fenster ruft: "Ihr Mädchen
schaut euch um nach einem, der mir gleicht."

Auch Bella hatte die Frühlingsstimme gehört und lief unzähligemal von
ihrer Arbeit ans Fenster, und so kam es, daß seit ein paar Tagen mit ihr
eine so gerechte und natürliche Veränderung vorgegangen war. Sie hatte in
der Abwesenheit des Kleinen, der die Zimmer nach der Straße bewohnte,
einmal gerade zu der Stunde durch die Teppiche der dichtverhängten Fenster
nur mit einem Auge gesehen, als der Erzherzog mit seinem Gefolge
vorbeiritt, aber ein Schlag, mächtig wie jener, der sie auf dem
Galgenberge betäubte, doch ohne jenes Schrecken, hatte ihre Erinnerung
aufgeklärt, und wie das goldne Vlies an einer starken, unauflöslichen
Kette um seinen Hals hing, so war sie an seinen Blicken hängen geblieben,
das sanfte, liebe Lamm, mit ganzer Seele; und das alles, was sie vor dem
Zauberschlage am Galgenberge in ihrer Seele für ihn gefühlt hatte, das war
in der Einwirkung seiner hellen Augen ihr wieder ganz gegenwärtig geworden.
Ja, als er vorbei war, schlug sie die Hände über den Kopf zusammen und
weinte so heftig, weil ihr alles verhaßt war, was sie erlebt, was sie
umgab, daß Braka herbeieilte und lange kein Wort ihr entlocken konnte und
endlich selbst mit ihrem Troste in ein geselliges Heulen ausartete. Bella
mußte sich einem in der Welt vertrauen, sie bekannte ihr endlich, wer ihr
wieder erschienen, wie verhaßt ihr nun dieses Lernen im Stadtleben sei,
wie froh sie jetzt im kleinen Hause vor der Stadt an den Bodenfenstern
Frühling und Sommer in Nähe und Ferne überschauen könne, der jetzt kaum in
einzelnen Baumspitzen und abgebrochenen Blumensträußen zu ihnen dringe.
"Mutter", seufzte sie, "wie möchte ich still ungestört in einsamen Nächten
durch die Fluren schauen und beten."

Als Braka das gehört, schlug sie lustig in beide Hände und sprach: "Sieh,
verstehst du nun, was ich dir im Garten sagte, ehe wir nach Buik gingen?
Nun, wenn's weiter nichts ist, da will ich dir schon Mittel schaffen, die
dir besser helfen als Seufzen und Beten. Du sollst ihn haben, du mußt ihn
haben, denn sieh, liebes Kind, das ist schon lange mein versteckter Plan
mit dir, den auch die Oberhäupter unsres Volks billigen. Du mußt von
diesem künftigen Erben der halben Welt ein Kind bekommen, das durch die
Liebe seines mächtigen Vaters den zerstreuten Überbleib deines Volkes in
Europa sammelt und in die heiligen Wohnplätze unseres Ägypterlandes
zurückführt. Also weine nicht, das macht dir die Augen trübe, ich will ja
nichts andres, als was dir lieb ist."

"Aber wie soll ich von ihm ein Kind kriegen?" fragte Bella. "Wird er es
mir gleich ohne Umstände aus dem Brunnen holen, von dem mir der Vater
erzählte, wo eines immer muß die Leiter halten, während das andre
heruntersteigt?"

"Liebes Kind", sagte Braka mit verschmitzter Bosheit, "wenn du mit ihm
allein bist, mußt du ihn recht dringend darum bitten; wenn er gerade in
recht gnädiger Stimmung, so gewährt er es dir vielleicht im Augenblicke,
und du wirst immer stark genug sein, ihm dabei die Leiter zu halten!"

"Ach, mein Karl ist gewiß gut, das sagte mir sein Auge, seine Stirn, als
er im Vorbeireiten das Barett vor einem alten einbeinigen Kriegsknecht
abnahm, er tut's mir gewiß zu Gefallen", rief Bella, "wir wollen es ihm
durch den Kleinen sagen lassen."

"Um unsrer lieben Jungfrau harte Haut am Fuße bitte ich dich", sprach
Braka und hielt ihr den Mund, "sage dem kein Wort, denn sieh, der würde es
dir in seiner Bosheit nicht vergeben, daß du dich bisher stelltest, als
sei er dein Schatz."

"Mein Schatz, nein, das war er nie", sagte Bella, "aber er war mir bis zu
dieser Stunde lieb; jetzt wollte ich, wir hätten ihn oben stehen lassen
beim Meerrettich, er scheint mir jetzt recht unmenschlich, ich weiß nicht,
warum?"

"Nun, Kind", fuhr Braka fort, "darin kann ich dir nicht unrecht geben; ich
hab mich lange gewundert, wie du so schmeichelnd zuweilen den garstigen
Kniehoch auf deinen Knien reiten ließest, während er dir alles gebrannte
Herzeleid antat, deine Zeichenbücher zu Papierknallen zerriß, Suppe auf
deine Kleider schüttete. Aber sei klug, folge mir, laß dir nichts merken,
wenn ich ihm die verfluchten Augen hinten einmal packen kann, reiß ich
sie ihm aus, daß er das nicht entdeckt. Er muß uns Geld und Gelegenheit
schaffen, daß wir den Erzherzog sehen; schmeichle ihm recht, daß du ihn
liebst."

"Aber ist das nicht unrecht?" fragte Bella.

"Wie dumm", rief Braka, "wenn es ein Mensch wäre, ei nun, aber eine alte
Wurzel, was kann man da für Unrecht tun, eine andre wird mir nichts, dir
nichts klein geschnitten und gekocht; Ehre genug für diese, daß wir mit
ihr wie mit einer Puppe zuweilen umgehen. Nun weiß ich wohl, es wird uns
nicht leicht werden, seiner los zu werden, aber da hab ich mein Plänchen
mit dem Bärnhäuter, der ist des Dienens zum Verzweifeln satt und müde und
möchte sich gern wieder zu Grabe legen, der mag ihn mit dem Schatze nehmen.
Hat dich der Erzherzog lieb, so brauchen wir keine solche Schätze, der
wird uns nicht Hungers sterben lassen."

Bella, in ihrer Ungeduld nach dem Erzherzoge, ging alles ein, sie wollte
sich gegen den Kleinen zärtlich stellen, und sie hatte in den nächsten
Tagen schon Gelegenheit dazu, als er von dem Erzherzoge heimgekehrt war
und ihr zum erstenmal von der Zukunft redete, wie sie sich in Gent
vermählen und niederlassen wollten. Braka war gegenwärtig und fragte ihn
listig, wie es denn mit seinem Kriegshandwerk jetzt stehe, ob er bald
General oder Korporal sein würde.

Er lächelte selbstzufrieden und gab zu verstehen: seine Anstellung sei
ziemlich unfehlbar, er vermochte alles über den Erzherzog; dann erzählte
er ihnen, wie er mit diesem eine Zusammenkunft in Buik zur Kirmes
verabredet hätte, sie möchten sich doch bei Frau Nietken einige artige
Zimmer bestellen.

Braka war heimlich erfreut, wandte aber scheinbar ein, daß die Frau sie
kenne und sie verraten möchte, doch freilich sei dies in Gent ebenso
möglich, und mit Geld ließe sie sich leicht in ihr Interesse ziehen. Die
Lustfahrt wurde also beschlossen und gleich die Schneiderinnen zu einem
rechten Feststaate in Bewegung gesetzt; es entstand ein Geschicke nach
allen Seiten, daß selbst der arme Bärnhäuter, trotz seiner kalten
Leichennatur, schwitzen mußte. Dieser gute Kerl tat wirklich alles, was
man nur von einem lebenden Menschen erwarten konnte, dabei aß er aber so
gewaltig, daß seine irdische Natur ein frisches Leben gewann und er sich
immer mehr überzeugte, er werde sie nicht mehr so geruhig zu Grabe bringen,
wie sie sonst darin gelegen, auch erhob sich zuweilen ein solcher Streit
zwischen dem lebenden und verstorbenen Körper in ihm, daß es ihm über der
ganzen Haut zuckte und juckte. Ebensolcher Zwiespalt war in seiner
Meinung von der Herrschaft: sein verstorbener Leib rechnete sich zu Herren
Cornelius, sein neulebender war ganz der Frau Braka und der schönen Bella
ergeben und achtete den Herren nicht mehr als einen Glückspilz. Wie nun
die eine oder die andre dieser Seiten hervortritt, werden wir ihn bald für
den einen, bald für den andern tätig sehen; doch verriet er keinen dem
andern.

Alles war endlich zur Fahrt bereit. Der Wagen hatte dreifach bezahlt
werden müssen, solch eine Menge Leute, die sonst im stillen Gewerbe lebten,
hatten diesen Tag zum Auslüften sich erwählt. Da traten so viele
verlegne Kleider ans Licht, da lärmten die Kinder so früh im Hause; aber
nur die wenigsten konnten sich der Bequemlichkeit eines Wagens erfreuen,
die meisten mußten sich in langen Reihen einen Weg durch das Korn drängen,
um nicht im Staube des Fuhrweges zu ersticken; doch zogen andre diesen vor,
weil viele die reichen, geputzten Kaufleute und den Adel nicht früh genug
zu sehen meinten, wenn sie dort alle versammelt wären, sondern sie einzeln
auf dem Wege dahin zu mustern wünschten. Insbesondere war aber die
Schaulust durch die allgemein verbreitete Nachricht gespannt worden, daß
selbst der Erzherzog im großen Staate des Vliesordens mit allen seinen
Edelknaben und allen Rittern die Lustbarkeit der Buiker Kirmes mit seiner
Gegenwart beehren werde, eine Herablassung, die ohne Beispiel war und die
Vorsteher des Orts zu der gewaltigsten Anstrengung an Reden und
Ordnungsgesetzen, Ehrenpforten und Blumenopfern begeistert hatte. Von
einem sichtbaren Punkte zum andern waren Bauern mit Fahnen ausgestellt,
durch deren Wink der Ausritt des Erzherzogs kundgetan werden konnte; bei
jeder Fahne hatte sich ein Haufe Wanderer gesammelt. Dieser Prinz, der
weniger mit dem Feste als mit seiner Liebe beschäftigt sein wollte,
täuschte aber die allgemeine Neugierde, indem er sich ganz einsam mit
Cenrio und Adrian in einer bedeckten Gondel einschiffte, um unmittelbar am
Hause der Frau Nietken, wo Cenrio ihnen Zimmer bestellt hatte, abzutreten.
Unterweges nahm er zum erstenmal einigen willigen Unterricht in der
Dialektik bei Adrian, dem es eine Freude war, als der Prinz den Schluß
erfunden hatte: Alle junge Männer sind verliebt, Cajus ist ein junger Mann,
also ist Cajus verliebt. Der genannte Cajus war aber unser Erzherzog
selbst, der dabei heimlich mit Cenrio lachte. Der Erzherzog war in den
bloßen Gedanken an die schöne Unbekannte, die er an dem Tage sehen sollte,
so verliebt, daß es ihm wie eine Überfahrt auf dem langsamen Styx zu einem
neuen Leben schien, wo alles freier, wunderbarer, lieblicher und
schrecklicher ihm erscheinen sollte. Adrian dachte heimlich an das Buch
des Petrus Lombardus, wovon ihm Cenrio erzählt, daß er es bei einer
Trödlerin gesehen, Cenrio an die künftige Gunst, die seiner warte, wenn
der Erzherzog zur Regierung gekommen.

In solchen Gedanken landeten sie im Hofe von Frau Nietken, die, ungeachtet
sie von Cenrio wohl unterrichtet war, doch sich stellte, als kennte sie
ihre hohen Gäste nicht, und es bedauerte, daß ein paar Familien aus Gent
ihr Haus in Beschlag genommen hätten. Adrian fragte, ob sie nicht in der
Bibliothek unterkommen könnten, aber Frau Nietken lachte, daß ihr der
Kader schwoll, sie hätte nur ein paar alte, wurmstichige Schwarten, die
lägen in einer Bodenkammer, wo sich knapp ein Mensch umdrehen könnte.
Adrian ließ nicht nach, bis sie dahin geführt wurden; erst dort sagte er
ihr, daß ihrem Hause die Gnade heut geworden sei, den Erzherzog zu
beherbergen, die Familien aus Gent würden wohl aus Achtung gegen ihn ein
paar Zimmer nach der Straße frei machen. Das dicke Weib schien beinahe in
die Knie zu fallen aus Verwunderung und Demut, küßte die Zipfel der
erzherzoglichen Feldbinde und eilte in das Zimmer der Frau von Braka, um
ihr anzuzeigen, daß der Erzherzog gekommen, daß sie ihm die benachbarten
Zimmer einräumen und die Türen offen lassen wolle.

Der Kleine war in der Zwischenzeit mit dem Bärnhäuter schon auf den
Jubelplatz in der Mitte des Orts gegangen, um den Erzherzog zu erwarten,
von dem er sich recht viel Ehre versprach. Zu seinem Leid mußte er dessen
Abwesenheit von Edelknaben des Prinzen erfahren, die vor dem Rathause,
dessen prachtvoller alter Bau mit großen Fenstern und Türmen der einzige
Rest von der ehemaligen Größe des Ortes war, alle Reden der
Gemeindevorsteher, die auf den Prinzen berechnet waren, abhörten. Er
wollte gleich nach Hause, um die fehlgeschlagene Erwartung mit dem Prinzen
seinen Frauen anzukündigen; aber ein paar Vertraute Cenrios, die ihn auch
kannten, nahmen ihn beiseite und sprachen ihm vor, warum er sich jetzt
keine ansehnliche Stelle unter dem neuerrichteten Fähnlein vom Prinzen
erbitte, den er so gut kenne und der ihm so gewogen. Der Kleine wurde
ganz heiß vor eitler Lust bei diesem erwünschten Vortrage, der seinen
Lieblingsgedanken zutage förderte, er ließ sich wohlgefällig mit den
beiden in ein Gespräch ein, und als sie ihn auf ein Glas Wein in ein
nahgelegenes Haus nötigten, schickte er den treuen Bärnhäuter an seine
Frauen mit der Nachricht zurück, daß sie den Erzherzog nicht unnütz
erwarten möchten, er sei ausgeblieben, einige wichtige Geschäfte hielten
ihn mit Edelleuten des Hofes zurück, nachher wollte er ihnen die Zeit
vertreiben. Die Zeit verging dem Kleinen sehr schnell, denn außer den
schmeichelnden Freunden und dem guten Weine wirkte auf ihn der Rausch
einer unendlichen Volksmenge, die sich mit Leib und Seele diesen drei
lustigen Tagen aufopfern wollte und deswegen auch nicht die kleinste Zeit
in dem angefangenen Werke zu verlieren strebte. Welche Vorräte an
Fleisch, Kuchen und Brot wurden da teils von den Ankommenden ausgepackt,
teils aus den Wirtshäusern geholt; es war ein Frühstück, wie sonst ein
erstes Mittagsbrot nach dem Fasten, und sicher wäre den Heißhungrigen
mancher der ungeheuren Bissen im Halse stecken geblieben, wenn sie nicht
eine künstliche Schleuseneinrichtung mit Wein und Bier gemacht hätten,
wodurch alles glücklich an seinen Ort hinuntergeschwemmt wurde. Die
Niederländer verstehen so etwas vortrefflich, und die Städter waren in
dieser Zeit so übermächtig reich durch Handel und Wandel mit aller Welt,
daß ihnen alles einländische, unmittelbare Landeserzeugnis fast
unbedeutend wenig kostete. Einem Reichen war es eine Kleinigkeit,
Tausende durch Wohltaten zu sättigen, darum gab es eigentlich keine
Notleidende in den Städten und nur Bettler, die in dem müßigen Leben ihre
Freude fanden. Aber auch diese entzogen sich zu solchen öffentlichen
Festen ihren Lumpen und trieben als Schauspieler in Königstracht ihren
Mutwillen vor der Welt, deren Mitleid sie sonst anflehten. Einige Fässer,
die mit Brettern überlegt waren, dienten ihnen zum Theater, ein
Platzknecht, ein langes, ausgestopftes Kissen an der Peitsche, hieb auf
die Kinder, die in ihrer Neugierde an das Theater heranklettern wollten;
zugleich hatte er eine Schellenkappe mit Eselsohren auf dem Kopfe, sprach
als Narr im Stücke und mit den Zuschauern. Unser Kleiner war ganz
entzückt von dem Schauspiele. Die Geschichte des Menschen, der, von
seiner Frau in einen Hund verwandelt, soviel vergebliche Versuche macht,
sich den Leuten als ein vernünftiger Mensch zu beweisen, zog ihn so an,
daß er so nahe kletterte, bis ihm der Platzknecht einen derben Schlag über
den Rücken zog. Unser Kleiner glaubte sich vor den Augen aller Welt
grimmig beschimpft, er zog seinen Degen und ging gegen den Schalksnarren
an, der sich sehr lächerlich mit seiner ausgestopften Wurst gegen ihn
verteidigte; alles schrie vor Vergnügen. Viele, weil sie den Spaß
zwischen dem kleinen und dem großen Manne für eine verabredete Posse
hielten, munterten beide auf; die Kinder kletterten auf die Schultern der
Erwachsenen, andre stiegen auf Tische und auf die eisernen Stangen
zwischen den Bogen des Rathauses, auf die Bäume, woran sie wie seltsame
Früchte hingen. Die beiden Edelleute sahen diesem Ritterzug ihres
Schutzempfohlnen eine Zeitlang mit ungemeiner Freude zu, als er aber dem
Narren ein kleines Loch in die Wade mit seinem Degen gestochen, da
fürchteten sie für ihn, denn die Zuhörer waren mit dieser Störung gar
nicht mehr zufrieden, und ein Bauer sprach schon davon, ihm Nase und Ohren
abschneiden zu wollen. Sie griffen ihn deswegen, steckten ihn unter ihre
Mäntel und trugen ihn, so heftig er sich sträuben mochte, in das erste
beste Haus, was sich ihnen öffnete. Der Zufall wollte, daß es das Haus
der guten Frau Nietken war, die wegen einer Zahl feiler Stadtjungfern, die
ein paar Zimmer gemietet hatten, diese Türe stets offen lassen mußte,
damit die Menschen so unbemerkt wie möglich einschlüpfen konnten. Welch
eine Freude dieser Jungfern über die beiden schönen Edelleute und über den
kleinen Zwerg, denn so nannten sie ihn, bis er grimmig auf sie einging und
sich als einen jungen Offizier ihnen kund gab. Es gab tausend Spaß mit
ihm, wir wollen ihn nicht wiederholen; aber der Mutwille der Edelleute,
die Frechheit der Weiber und der Hochmut des Kleinen trieb sich wie
Kreisel und Peitsche, und wurde der Kleine ungeduldig und wollte ausreißen,
da schrien ein paar, als stände der Narr mit den Bauern noch vor der Türe
und wollte ihm die Ohren abschneiden.

Wie benutzten diese Zeit die Verliebten? Der Erzherzog hatte kaum sein
Zimmer betreten, so horchte er an der Türe und merkte, daß die beiden
Frauen im Nebenzimmer wären; er bat Cenrio, ihm einen Bohrer zu
verschaffen. Dieser holte in aller Eile den Anbrechbohrer eines
Weinküpers, der im Hofe ein Ohmfaß abgezogen hatte: das ging vortrefflich;
ganz leise konnte er durch die Türe dringen, bis der erste feine Punkt der
Spitze hindurch sah, während sein Auge sich in die breite Höhlung einlegen
konnte. Schade war's, daß die Mühe unnütz, denn die Türe war seinetwegen
offen gelassen. Wie pochte sein Herz, und er wußte doch nichts davon, als
er nun zum erstenmal hindurchblickte, und wie fuhr er zurück und fühlte
sich an den Kopf, als ihm das verschönerte Bild desselben Geistes, der ihn
damals im Landhause geneckt hatte, vorüberschwebte. "Cenrio", sagte er,
"Wir sind in den Händen von wunderbaren Geistern, wir glaubten mit ihnen
zu spielen, und sie spielen mit uns; ich möchte fliehen, aber ich kann
nicht, sie ist zu schön!"

Cenrio war verwirrt.

"Es ist derselbe Geist, der mich schon damals im Anfange des Winters im
Landhause verjagte, aber er ist menschlich gewachsen, und ich widerstehe
ihm nicht mehr; schaff Rat, wie ich sie sprechen kann, ich könnte ihr
jetzt alles sagen."

"Ich hab es wohl gedacht ", sprach Cenrio, "zum Glück können wir frei
schalten mit der Zeit; Adrian sitzt eben in der hitzigsten Arbeit, um zu
beweisen, daß der von mir geschmiedete Anhang zum Lombardus nicht echt sei;
zum Überfluß habe ich noch die Türe seines Vorzimmers zugeschlossen, so
daß er uns nicht überraschen kann. Nun will ich Euch, mein Prinz, meinen
Vorschlag sagen: das junge Mädchen leidet an Kopfweh, Ihr müßt den Arzt
vorstellen, so seid Ihr allein bei ihr, und die Worte werden sich im
Pulsfühlen schon finden."

Wirklich war Bella durch die Vorbereitungen zur Fahrt, durch die
schlaflose Nacht und die Hitze unwohl geworden, und Frau Nietken hatte
eigentlich diese Erfindung gemacht, die beiden Sehnsüchtigen zusammen zu
bringen. Der Erzherzog hatte sehr bald einen großen, schwarzen
Doktormantel und darüber Aderlaßkram, Pflasterzeug und Klistierspritze
gehängt, so trat er zagend in das Zimmer, von Frau Nietken geführt, die
ihn für einen spanischen Doktor ausgab. Bella erkannte ihn beim ersten
Blicke, und Neigung und Beschämung drückten sie ebenso nieder, wie Braka
die Einwirkung der fürstlichen Gegenwart; jene verbarg ihr Angesicht im
Schleier, diese schlüpfte mit einer tiefen Verbeugung in ein Nebenzimmer.
Die beiden Liebenden waren nun allein, und alles konnte sich schnell und
glücklich erklären und entscheiden; der Erzherzog, welcher aber mit keinem
Mädchen vertraulich geworden, brachte kein andres Wort als Pulsfühlen
heraus, "Pulsfühlen" wiederholte er, "Pulsfühlen" sagte er zum drittenmal.
Bella reichte ihm den weißen, runden Arm, er fühlte an einer Fingerspitze,
dann spielte er mit dieser, wollte wieder etwas sagen, wahrscheinlich von
der Erscheinung in dem Landhause, brachte aber nichts heraus als: "Geist,
Geist gesehen"; dabei schob er ihr einen Ring an den Finger, welches wir
als den Triumph seiner Überlegung ansehen müssen. Hier endete sein
ruhiges Glück, denn mit großem Gepolter brach der verfluchte kleine
Wurzelmann, der sich bei den Mädchen bespitzt hatte und der Aufsicht der
Offiziere entflohen war, ins Zimmer, sprach verwirrt von seinem künftigen
Regiment und erkannte nicht Bella, die auf dem Sofa lag. Der Erzherzog
bekam aber im Augenblicke seine ganze Fassung wieder, er bat ihn, daß er
eine Kranke nicht stören möchte, insbesondre da sein Aussehen verriete, er
werde nicht lange mehr zu den Lebendigen gehören. Der Kleine stutzte, die
Edelleute traten herein und bestätigten ihm, er sei sehr verändert und
müsse wohl von der Pest angesteckt sein, weil er sich heute unter so
mancherlei Leuten umhergetrieben habe. Bei dieser Vermutung wurde er ganz
hinfällig, die Kraft des Weines und seine Beine wollten ihn nicht mehr
halten; der Erzherzog warf ihm geschickt ein großes Pflaster, das er in
seinem Doktorapparate fand, über das Gesicht; der Kleine behauptete, ihm
werde ganz dunkel vor den Augen. Die Edelleute versprachen ihm in
geheucheltem Mitleiden, ihn nach Hause zu tragen, denn bis jetzt hatte er
weder das Zimmer noch seine Geliebte erkannt, und schleppten ihn wirklich
aus dem Zimmer.

Braka war in der Zeit auf der Folter gespannt gewesen. Die Liebe des
Erzherzogs hatte sich noch nicht erklärt und seine Freigebigkeit war nicht
so weltkundig, im Gegenteil hatte sie von Frau Nietken erfahren, daß er
etwas im Rufe der Knauserei stehe; der Alraun dagegen konnte so viel
Schätze entdecken, als irgend in der Welt verborgen wären, er kümmerte
sich durchaus nicht, wie das Geld verwendet würde, solange es ihm selbst
nicht fehlte. Störten die beiden Liebhaber einander gegenseitig, so
entgingen ihr vielleicht alle Hoffnungen für die Bequemlichkeit ihres
künftigen Lebens, und die großen Absichten für ihr Volk wurden auch nicht
erfüllt. Der Erzherzog war jetzt wieder allein mit Bella, er hatte mehr
Mut gewonnen, sie aber war besorgt und erzürnt, wie es ihrem Kleinen gehen
möchte; sie äußerte das, und er nahm es nicht ohne eine kleine Eifersucht
auf. Er fragte mit einem gewissen Stolze, ob es ihr Bräutigam wirklich
sei, und verlor in Erwartung ihrer zögernden Antwort so gänzlich alle
Haltung, daß er seine vergebliche Doktorrolle aufgab und sich ihr als
Erzherzog darstellte. Sie konnte sich zu wenig verstellen, um sich
darüber zu verwundern, und so waren sie miteinander in einem Vertrauen,
ehe sie einander etwas vertraut hatten. Endlich sagte Bella, daß die
Vermählung mit ihrem Vetter nur ihrer Mutter, nicht ihr Wille sei. Der
Erzherzog beschwor sie jetzt, dem Willen ihrer Mutter nicht so gänzlich
nachzugeben, daß sie Lebensglück und Schönheit der Trauer einer
unglücklichen Verbindung hingebe; von seiner Liebe schwieg er. Bella
stotterte, wie es ihr vorgeschrieben war, daß ihr Vermögen ganz in der
Gewalt dieses reichen Vetters sei, daß sie dem Wunsche ihrer Verwandten
sich ergeben müsse, insbesondre da sie niemand in der Welt kenne, der sie
gegen den Zwang derselben schützen möchte. Der Erzherzog versicherte ihr
jetzt, daß jede Kränkung, die sie erfahren würde, unerbittlich von ihm
bestraft und gerächt werden sollte. Diese Worte führten eine
Liebeserklärung herbei, die nicht nur die beiden Verklärten, sondern auch
die horchende Braka von einer schweren Last befreite. Wie schwer fiel es
aber plötzlich auf das Herz der Alten, als Bella, die von der Liebe zum
Erzherzog durchdrungen, jede Falschheit verfluchte, ihm zu Füßen fiel und
ihn bei seiner Liebe beschwor, sie nicht zu verachten, wenn sie ihn
betrogen, sie sei nicht, wofür sie sich ausgegeben, die Tochter ihrer
Begleiterin, sie sei die Tochter--hier erstickte die Stimme in einem
Tränenstrom. Einer der Edelleute, die den Kleinen begleitet hatten, trat
herein und meldete dem Erzherzog, er möchte sich in sein Zimmer
zurückziehen, der Kleine lasse sich nicht mehr halten; sie führten ihn
durch Umwege in dasselbe Haus zurück, woraus sie ihn fortgeführt, er halte
sich für todkrank. Der Erzherzog sprang fort, entrüstet, in seiner ersten
Neigung betrogen zu sein. Bella ging in das Nebenzimmer, weil es in ihrem
Gemüte noch von den Blättern nachregnete, nachdem der erste
Gewitterschauer verzogen.

Der Kleine ließ sich die Treppe vom Bärnhäuter hinauftragen, der ängstlich
nach der gnädigen Frau rief, weil er das Ende seines guten Dienstes
fürchtete. Als Braka kam, rief der Kleine ihr mit schwacher Stimme
entgegen, er sei von der Pest so schwach, daß er auf seinen Füßen nicht
mehr zu stehen vermöge, alles gehe mit ihm herum, er sehe gar nichts mehr,
und seinen Gedanken hinke er mit der Zunge so weit nach, daß er es fast
aus den Augen verloren, was er eben sagen wolle. Braka stellte sich sehr
mitleidig und erschrocken; Bella hatte bei seiner sichtbaren Blässe
einiges Bedauern.

"Ach", seufzte der Kleine, "wenn ich nur den Doktor festgehalten hätte,
der mir die Pest gleich angesehen, vielleicht weiß er auch ein Mittel
dagegen."

"O", sprach Braka, "die Pest habe ich oft schon kuriert, ich lege ein
Kraut in lauwarmes Wasser, und davon trinkst du alle fünf Minuten eine
Tasse, so wird alles glücklich vorübergehen."

"Schnell, schnell", sprach er und versank in einen dumpfen Rausch,
währenddessen ihn der Bärnhäuter auszog und auf den Sofa legte, mit Decken
wohl verhüllt. Braka flößte ihm von Zeit zu Zeit eine Tasse heißes
Fenchelwasser ein, wie die kleinen Kinder zu bekommen pflegen.
Entsetzliche Übelkeiten erweckten ihn, endlich erleichterte sich die Natur
von dem Überflusse des Weines, womit die Ehre des Zutrinkens sie überfüllt
hatte; schluchzend und stöhnend sprach er: "Wo mag der Doktor jetzt sein,
den ich im anderen Hause sah, wäre der Mann nur zu finden, er könnte mir
wohl noch helfen, ich habe so ein Zutrauen zu ihm, da er mir die Krankheit
gleich angesehen; macht doch die Türe auf", fuhr er fort, "es wird hier so
heiß."

"Die Türe ist verschlossen", sagte Bella, "der Erzherzog ist dort
eingezogen."

"Der Erzherzog!" Bei diesem Worte sprang der Kleine, wie er war, aus dem
Bette, konnte sich aber taumelnd nicht halten, sondern sank in das
Waschbecken.

"Der Erzherzog ist hier, und ich kann ihn nicht um meine Hauptmannsstelle
ansprechen, ich versäume mein ganzes Glück, wenn ich sterbe."

Der Bärnhäuter rollte ihn wieder ins Bette, aber der Kleine weinte
bitterlich und jammerte nach dem Arzte, den er unterwegs gesehen. Braka
entschloß sich endlich, indem sie ihm versprach, alle Sorgfalt anzuwenden,
den Mann zu entdecken, zu Frau Nietken zu gehen und durch diese den
Prinzen noch einmal als Arzt kommen zu lassen. Der Erzherzog zog aber
sein Messer gegen diese Frau und befahl ihr mit drohender Stimme, ihm zu
sagen, was sie von den Fremden wüßte, die vielleicht von einem Feinde
seines Hauses zu seinem Verderben gesendet wären. Frau Nietken ließ ohne
Rückhalt alle Geheimnisse von sich gehen; sie sagte, daß Braka eine alte
Zigeunerin sei, die sie lange gekannt, daß diese in einer Nacht mit der
schönen Bella und dem Kleinen zu ihr gekommen und sich nach Gent habe
fahren lassen, wo sie bekanntlich viel Geld ausgegeben. ihr Kind sei
Bella gewiß nicht, dafür wolle sie stehen, ob aber das Mädchen aus einem
hohen Hause, dafür wolle sie nicht einstehen, doch sei es so ihre
Philosophie. Geraubt sei das Mädchen aber nicht, denn sie habe mit der
Alten zugleich befehlend und doch mit Liebe gesprochen, unter sich in
einer fremden Sprache, die sie für französisch gehalten.

Dies verwandelte die ganze Ansicht des Prinzen, erst glaubte er sich in
der Falle einer Buhlerin, jetzt meinte er ernstlich, daß es die
französische Prinzeß sein könnte, deren Heirat mit ihm von dem
französischen Hofe gegen den Willen seines Großvaters betrieben wurde. Es
ist bekannt, daß sein späteres politisches Talent in seinen früheren
Jahren, die sich ganz zur körperlichen Ausbildung hinneigten, wenig
durchschien, er hielt so manches für möglich, was ein andrer bezweifelt
hätte, und Cenrio war eben mit Adrian zu beschäftigt, um ihm zu raten, er
nahm also die Bitte, als Arzt wieder zu erscheinen, mit einer gewissen
Ehrfurcht an, welche die zitternde Frau Nietken sehr überraschte.

Er machte sich jetzt durch einige Züge mit Kohle in den Augenbrauen und
vor der Stirn unkenntlicher und ließ sich in das Krankenzimmer führen.
Der Kleine war entzückt, ihn zu hören; der Erzherzog befragte ihn sehr
ernstlich nach allen Kennzeichen. Der Kleine erzählte von dem wüsten
Kopfschmerz, von der Übligkeit, vom Aufstoßen, von der gänzlichen
Dunkelheit seiner Augen und wie er über sein ganzes Gesicht einen
Ausschlag spüre (seine Augen im Nacken hervorzubringen schämte er sich vor
den Leuten, auch hatte er sich ihrer in der guten Gesellschaft längst
entwöhnt; endlich sagte er, daß er sein ganzes Glück versäume, wenn er
nicht bald hergestellt wäre, weil der Erzherzog im Nebenzimmer seinetwegen


 


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