Italienische Reise-Teil 1
by
Johann Wolfgang Goethe

Part 4 out of 7



nötig, und man muß erst lernen, um fragen zu können. Da hilft kein
Zaudern und Zögern, die Aufmerksamkeit auf diesen wichtigen Punkt ist
nun einmal rege, und jeder, dem es Ernst ist, sieht wohl ein, daß auch
in diesem Felde kein Urteil möglich ist, als wenn man es historisch
entwickeln kann.

Die zweite Betrachtung beschäftigt sich ausschließlich mit der Kunst
der Griechen und sucht zu erforschen, wie jene unvergleichlichen
Künstler verfuhren, um aus der menschlichen Gestalt den Kreis
göttlicher Bildung zu entwickeln, welcher vollkommen abgeschlossen ist
und worin kein Hauptcharakter so wenig als die übergänge und
Vermittlungen fehlen. Ich habe eine Vermutung, daß sie nach eben den
Gesetzen verfuhren, nach welchen die Natur verfährt und denen ich auf
der Spur bin. Nur ist noch etwas anders dabei, das ich nicht
auszusprechen wüßte.


Den 2. Februar 1787.

Von der Schönheit, im vollen Mondschein Rom zu durchgehen, hat man,
ohne es gesehen zu haben, keinen Begriff. Alles Einzelne wird von den
großen Massen des Lichts und Schattens verschlungen, und nur die
größten, allgemeinsten Bilder stellen sich dem Auge dar. Seit drei
Tagen haben wir die hellsten und herrlichsten Nächte wohl und
vollständig genossen. Einen vorzüglich schönen Anblick gewährt das
Coliseo. Es wird nachts zugeschlossen, ein Eremit wohnt darin an
einem Kirchelchen, und Bettler nisten in den verfallenen Gewölben.
Sie hatten auf flachem Boden ein Feuer angelegt, und eine stille Luft
trieb den Rauch erst auf der Arena hin, daß der untere Teil der Ruinen
bedeckt war und die ungeheuern Mauern oben drüber finster herausragten;
wir standen am Gitter und sahen dem Phänomen zu, der Mond stand hoch
und heiter. Nach und nach zog sich der Rauch durch die Wände, Lücken
und öffnungen, ihn beleuchtete der Mond wie einen Nebel. Der Anblick
war köstlich. So muß man das Pantheon, das Kapitol beleuchtet sehn,
den Vorhof der Peterskirche und andere große Straßen und Plätze. Und
so haben Sonne und Mond, eben wie der Menschengeist, hier ein ganz
anderes Geschäft als anderer Orten, hier, wo ihrem Blick ungeheure und
doch gebildete Massen entgegenstehn.



Das Pantheon in Rom. Radierung von Barbault.


Den 13. Februar.

Eines Glücksfalls muß ich erwähnen, obgleich eines geringen. Doch
alles Glück, groß oder klein, ist von einer Art und immer erfreulich.
Auf Trinità de' Monti wird der Grund zum neuen Obelisk gegraben, dort
oben ist alles aufgeschüttetes Erdreich von Ruinen der Gärten des
Lucullus, die nachher an die Kaiser kamen. Mein Perückenmacher geht
frühe dort vorbei und findet im Schutte ein flach Stück gebrannten Ton
mit einigen Figuren, wäscht's und zeigt es uns. Ich eigne es mir
gleich zu. Es ist nicht gar eine Hand groß und scheint von dem Rande
einer großen Schüssel zu sein. Es stehn zwei Greifen an einem
Opfertische, sie sind von der schönsten Arbeit und freuen mich
ungemein. Stünden sie auf einem geschnittenen Stein, wie gern würde
man damit siegeln!

Von vielen andern Sachen sammelt's sich auch um mich, und nichts
Vergebliches oder Leeres, welches hier unmöglich wäre; alles
unterrichtend und bedeutend. Am liebsten ist mir denn aber doch, was
ich in der Seele mitnehme, und was, immer wachsend, sich immer
vermehren kann.


Den 15. Februar.

Vor meiner Abreise nach Neapel konnte ich einer nochmaligen Vorlesung
meiner "Iphigenia" nicht entgehen. Madam Angelika und Hofrat
Reiffenstein waren die Zuhörer, und selbst Herr Zucchi hatte darauf
gedrungen, weil es der Wunsch seiner Gattin war; er arbeitete indes an
einer großen architektonischen Zeichnung, die er in Dekorationsart
vortrefflich zu machen versteht. Er war mit Clerisseau in Dalmatien,
hatte sich überhaupt mit ihm assoziiert, zeichnete die Figuren zu den
Gebäuden und Ruinen, die jener herausgab, und lernte dabei so viel
Perspektive und Effekt, daß er sich in seinen alten Tagen auf eine
würdige Weise auf dem Papier damit vergnügen kann.

Die zarte Seele Angelika nahm das Stück mit unglaublicher Innigkeit
auf; sie versprach mir, eine Zeichnung daraus aufzustellen, die ich
zum Andenken besitzen sollte. Und nun gerade, als ich mich von Rom zu
scheiden bereite, werde ich auf eine zarte Weise mit diesen
wohlwollenden Personen verbunden. Es ist mir zugleich ein angenehmes
und schmerzliches Gefühl, wenn ich mich überzeuge, daß man mich ungern
wegläßt.


Den 16. Februar 1787.

Die glückliche Ankunft der" Iphigenia" ward mir auf eine überraschende
und angenehme Weise verkündigt. Auf dem Wege nach der Oper brachte
man mir den Brief von wohlbekannter Hand, und diesmal doppelt
willkommen mit dem Löwchen gesiegelt, als vorläufiges Wahrzeichen des
glücklich angelangten Pakets. Ich drängte mich in das Opernhaus und
suchte mir mitten unter dem fremden Volk einen Platz unter dem großen
Lüster zu verschaffen. Hier fühlte ich mich nun so nah an die
Meinigen gerückt, daß ich hätte aufhüpfen und sie umarmen mögen.
Herzlich dank' ich, daß mir die nackte Ankunft gemeldet worden, möget
ihr euer Nächstes mit einem guten Worte des Beifalls begleiten!

Hier folgt das Verzeichnis, wie die Exemplare, die ich von Göschen zu
erwarten habe, unter die Freunde verteilt werden sollen, denn ob es
mir gleich ganz gleichgültig ist, wie das Publikum diese Sachen
betrachtet, so wünscht' ich doch, dadurch meinen Freunden einige
Freude bereitet zu haben.

Man unternimmt nur zuviel. Denke ich an meine vier letzten Bände im
ganzen, so möchte mir schwindelnd werden, ich muß sie einzeln
angreifen, und so wird es gehn.

Hätte ich nicht besser getan, nach meinem ersten Entschluß diese Dinge
fragmentarisch in die Welt zu schicken und neue Gegenstände, an denen
ich frischeren Anteil nehme, mit frischem Mut und Kräften zu
unternehmen? Tät' ich nicht besser, " Iphigenia auf Delphi" zu
schreiben, als mich mit den Grillen des "Tasso" herumzuschlagen? Und
doch habe ich auch dahinein schon zuviel von meinem Eignen gelegt, als
daß ich es fruchtlos aufgeben sollte.

Ich habe mich auf den Vorsaal ans Kamin gesetzt, und die Wärme eines
diesmal gut genährten Feuers gibt mir frischen Mut, ein neues Blatt
anzufangen; denn es ist doch gar zu schön, daß man mit seinen neusten
Gedanken soweit in die Ferne reichen, ja seine nächsten Umgebungen
durch Worte dorthin versetzen kann. Das Wetter ist ganz herrlich, die
Tage nehmen merklich zu, Lorbeeren und Buchsbäume blühen, auch die
Mandelbäume. Heute früh überraschte mich ein wundersamer Anblick, ich
sah von ferne hohe, stangenähnliche Bäume, über und über von dem
schönsten Violett bekleidet. Bei näherer Untersuchung war es der Baum,
in unsern Treibhäusern unter dem Namen Judenbaum bekannt, dem
Botaniker als cercis siliquastrum. Seine violetten
Schmetterlingsblumen bringt er unmittelbar aus dem Stamme hervor.
Abgeholzt den letzten Winter waren die Stangen, die ich vor mir sah,
aus deren Rinde die wohlgebildete und gefärbte Blume zu Tausenden
hervorbrach. Die Maßlieben dringen wie Ameisen aus dem Boden, Krokus
und Adonis erscheinen seltner, aber desto zierlicher und zierender.

Was wird mir nicht erst das mittägigere Land für Freuden und
Kenntnisse geben, aus denen für mich neue Resultate hervortreten! Es
ist mit natürlichen Dingen wie mit der Kunst; es ist so viel drüber
geschrieben, und jeder, der sie sieht, kann sie doch wieder in neue
Kombination setzen.

Denke ich an Neapel, ja gar nach Sizilien, so fällt es einem sowohl in
der Erzählung als in Bildern auf, daß in diesen Paradiesen der Welt
sich zugleich die vulkanische Hölle so gewaltsam auftut und seit
Jahrtausenden die Wohnenden und Genießenden aufschreckt und irremacht.

Doch schlage ich mir die Hoffnung jener vielbedeutenden Ansichten gern
aus dem Sinne, um vor meiner Abreise die alte Hauptstadt der Welt noch
recht zu benutzen.

Seit vierzehn Tagen bin ich von Morgen bis in die Nacht in Bewegung;
was ich noch nicht gesehn, such' ich auf. Das Vorzüglichste wird zum
zweiten--und drittenmal betrachtet, und nun ordnet sich's einigermaßen.
Denn indem die Hauptgegenstände an ihre rechte Stelle kommen, so ist
für viele mindere dazwischen Platz und Raum. Meine Liebschaften
reinigen und entscheiden sich, und nun erst kann mein Gemüt dem
Größeren und Echtesten mit gelassener Teilnahme sich entgegenheben.

Dabei findet man denn wohl den Künstler beneidenswert, der durch
Nachbildung und Nachahmung auf alle Weise jenen großen Intentionen
sich mehr nähert, sie besser begreift als der bloß Beschauende und
Denkende. Doch muß am Ende jeder tun, was er vermag, und so spanne
ich denn alle Segel meines Geistes auf, um diese Küsten zu umschiffen.

Das Kamin ist diesmal recht durchgewärmt und die schönsten Kohlen
aufgehäuft, welches bei uns selten geschieht, weil nicht leicht jemand
Lust und Zeit hat, dem Kaminfeuer ein paar Stunden Aufmerksamkeit zu
widmen, und so will ich denn dieses schöne Klima benutzen, um einige
Bemerkungen aus meiner Schreibtafel zu retten, die schon halb
verloschen sind.

Am zweiten Februar begaben wir uns in die Sixtinische Kapelle zur
Funktion, bei welcher die Kerzen geweiht werden. Ich fand mich gleich
sehr unbehaglich und zog mit den Freunden bald wieder hinaus. Denn
ich dachte: das sind ja grade die Kerzen, welche seit dreihundert
Jahren diese herrlichen Gemälde verdüstern, und das ist ja eben der
Weihrauch, der mit heiliger Unverschämtheit die einzige Kunstsonne
nicht nur umwölkt, sondern von Jahr zu Jahren mehr trübe macht und
zuletzt gar in Finsternis versenkt.

Darauf suchten wir das Freie und kamen nach einem großen Spaziergange
auf St. Onofrio, wo Tasso in einem Winkel begraben liegt. Auf der
Klosterbibliothek steht seine Büste. Das Gesicht ist von Wachs, und
ich glaube gern, daß es über seinen Leichnam abgeformt sei. Nicht
ganz scharf und hie und da verdorben, deutet es doch im ganzen mehr
als irgendein anderes seiner Bildnisse auf einen talentvollen, zarten,
feinen, in sich geschlossenen Mann.

Soviel für diesmal. Jetzt will ich an des ehrlichen Volkmanns zweiten
Teil, der Rom enthält, um auszuziehen, was ich noch nicht gesehn habe.
Ehe ich nach Neapel reise, muß die Ernte wenigstens niedergemäht sein;
sie in Garben zu binden, werden auch schon gute Tage kommen.


Den 17. Februar.

Das Wetter ist unglaublich und unsäglich schön, den ganzen Februar bis
auf vier Regentage ein reiner, heller Himmel, gegen Mittag fast zu
warm. Nun sucht man das Freie, und wenn man bisher sich nur mit
Göttern und Helden abgeben mochte, so tritt die Landschaft auf einmal
wieder in ihre Rechte, und man heftet sich an die Umgebungen, die der
herrlichste Tag belebt. Manchmal erinnere ich mich, wie der Künstler
in Norden den Strohdächern und verfallenen Schlössern etwas
abzugewinnen sucht, wie man sich an Bach und Busch und zerbröckeltem
Gestein herumdrückt, um eine malerische Wirkung zu erhaschen, und ich
komme mir ganz wunderbar vor, um so mehr, als jene Dinge nach so
langer Gewohnheit einem noch immer ankleben; nun habe ich mir aber
seit vierzehn Tagen einen Mut gefaßt und bin mit kleinen Blättern
hinausgegangen durch die Tiefen und Höhen der Villen und habe mir ohne
viel Besinnens kleine auffallende, wahrhaft südliche und römische
Gegenstände entworfen und suche nun mit Hülfe des guten Glücks ihnen
Licht und Schatten zu geben. Es ist ganz eigen, daß man deutlich
sehen und wissen kann, was gut und besser ist; will man sich's aber
zueignen, so schwindet's gleichsam unter den Händen, und wir greifen
nicht nach dem Rechten, sondern nach dem, was wir zu fassen gewohnt
sind. Nur durch geregelte übung könnte man vorwärts kommen, wo aber
sollte ich Zeit und Sammlung finden! Indessen fühle ich mich denn
doch durch das leidenschaftliche, vierzehntägige Streben um vieles
gebessert.

Die Künstler belehren mich gerne, denn ich fasse geschwind. Nun ist
aber das Gefaßte nicht gleich geleistet; etwas schnell zu begreifen,
ist ja ohnehin die Eigenschaft des Geistes, aber etwas recht zu tun,
dazu gehört die übung des ganzen Lebens.

Und doch soll der Liebhaber, so schwach er auch nachstrebt, sich nicht
abschrecken lassen. Die wenigen Linien, die ich aufs Papier ziehe,
oft übereilt, selten richtig, erleichtern mir jede Vorstellung von
sinnlichen Dingen, denn man erhebt sich ja eher zum Allgemeinen, wenn
man die Gegenstände genauer und schärfer betrachtet.

Mit dem Künstler nur muß man sich nicht vergleichen, sondern nach
seiner eigenen Art verfahren; denn die Natur hat für ihre Kinder
gesorgt, der Geringste wird nicht, auch durch das Dasein des
Trefflichsten, an seinem Dasein gehindert: "Ein kleiner Mann ist auch
ein Mann!" Und dabei wollen wir's denn bewenden lassen.

Ich habe zweimal das Meer gesehn, erst das adriatische, dann das
mittelländische, nur gleichsam zum Besuch. In Neapel wollen wir
bekannter werden. Es rückt alles auf einmal in mir herauf; warum
nicht früher, warum nicht wohlfeiler! Wie viele tausend Sachen,
manche ganz neu und von vornen, hätte ich mitzuteilen!


Den 17. Februar 1787. Abends nach verklungener Karnevalstorheit.

Ich lasse bei meiner Abreise Moritzen ungern allein. Er ist auf gutem
Wege, doch wie er für sich geht, so sucht er sich gleich beliebte
Schlupfwinkel. Ich habe ihn aufgemuntert, an Herdern zu schreiben,
der Brief liegt bei, ich wünsche eine Antwort, die etwas Dienliches
und Hülfreiches enthalte. Es ist ein sonderbar guter Mensch, er wäre
viel weiter, wenn er von Zeit zu Zeit Personen gefunden hätte, fähig
und liebevoll genug, ihn über seinen Zustand aufzuklären. Gegenwärtig
kann er kein gesegneteres Verhältnis anknüpfen, als wenn ihm Herder
erlaubt, manchmal zu schreiben. Er beschäftigt sich mit einem
lobenswürdigen antiquarischen Unternehmen, das wohl verdient,
gefördert zu werden. Freund Herder wird nicht leicht eine Mühe besser
angewendet und gute Lehre kaum in einen fruchtbarern Boden gelegt
haben.

Das große Porträt, welches Tischbein von mir unternommen, wächst schon
aus der Leinwand heraus. Der Künstler hat sich durch einen fertigen
Bildhauer ein kleines Modell von Ton machen lassen, welches gar
zierlich mit einem Mantel drapiert worden. Darnach malt er fleißig,
denn es sollte freilich vor unserer Abreise nach Neapel schon auf
einen gewissen Punkt gebracht sein, und es gehört schon Zeit dazu,
eine so große Leinwand mit Farben auch nur zu bedecken.



Goethe in der Campagna. Gemälde von Tischbein


Den 19. Februar.

Das Wetter fährt fort, über allen Ausdruck schön zu sein; heute war
ein Tag, den ich mit Schmerzen unter den Narren zubrachte. Mit
Anbruch der Nacht erholte ich mich auf der Villa Medicis; Neumond ist
eben vorbei, und neben der zarten Mondsichel konnte ich die ganze
dunkle Scheibe fast mit bloßen Augen, durchs Perspektiv ganz deutlich
sehn. Über der Erde schwebt ein Duft des Tags über, den man nur aus
Gemälden und Zeichnungen des Claude kennt, das Phänomen in der Natur
aber nicht leicht so schön sieht als hier. Nun kommen mir Blumen aus
der Erde, die ich noch nicht kenne, und neue Blüten von den Bäumen;
die Mandeln blühen und machen eine neue luftige Erscheinung zwischen
den dunkelgrünen Eichen; der Himmel ist wie ein hellblauer Taft, von
der Sonne beschienen. Wie wird es erst in Neapel sein! Wir finden
das meiste schon grün. Meine botanischen Grillen bekräftigen sich an
allem diesen, und ich bin auf dem Wege, neue schöne Verhältnisse zu
entdecken, wie die Natur, solch ein Ungeheueres, das wie nichts
aussieht, aus dem Einfachen das Mannigfaltigste entwickelt.

Der Vesuv wirft Steine und Asche aus, und bei Nacht sieht man den
Gipfel glühen. Gebe uns die wirkende Natur einen Lavafluß! Nun kann
ich kaum erwarten, bis auch diese großen Gegenstände mir eigen werden.


Den 20. Februar, Aschermittwoch.

Nun ist der Narrheit ein Ende. Die unzähligen Lichter gestern abend
waren noch ein toller Spektakel. Das Karnaval in Rom muß man gesehen
haben, um den Wunsch völlig loszuwerden, es je wieder zu sehen. Zu
schreiben ist davon gar nichts, bei einer mündlichen Darstellung
möchte es allenfalls unterhaltend sein. Was man dabei unangenehm
empfindet, daß die innere Fröhlichkeit den Menschen fehlt und es ihnen
an Gelde mangelt, das bißchen Lust, was sie noch haben mögen,
auszulassen. Die Großen sind ökonomisch und halten zurück, der
Mittelmann unvermögend, das Volk lahm. An den letzten Tagen war ein
unglaublicher Lärm, aber keine Herzensfreude. Der Himmel, so
unendlich rein und schön, blickte so edel und unschuldig auf diese
Possen.

Da man aber doch das Nachbilden hier nicht lassen kann, so sind zur
Lust der Kinder Masken des Karnavals und römische eigentümliche
Kleidungen gezeichnet, dann mit Farben angestrichen worden, da sie
denn ein fehlenden Kapitel des "Orbis pictus" den lieben Kleinen
ersetzen mögen.


Den 21. Februar 1787

Ich benutze die Augenblicke zwischen dem Einpacken, um noch einiges
nachzuholen. Morgen gehn wir nach Neapel. Ich freue mich auf das
Neue, das unaussprechlich schön sein soll, und hoffe, in jener
paradiesischen Natur wieder neue Freiheit und Lust zu gewinnen, hier
im ernsten Rom wieder an das Studium der Kunst zu gehen.

Das Einpacken wird mir leicht, ich tue es mit leichterem Herzen als
vor einem halben Jahre, da ich mich von allem loslöste, was mir so
lieb und wert war. Ja, es ist schon ein halbes Jahr, und von den vier
Monaten, in Rom zugebracht, habe ich keinen Augenblick verloren,
welches zwar viel heißen will, aber doch nicht zuviel gesagt ist.

Daß "Iphigenia" angekommen, weiß ich; möge ich am Fuße des Vesuvs
erfahren, daß ihr eine gute Aufnahme zuteil geworden.

Mit Tischbein, der so einen herrlichen Blick in Natur als Kunst hat,
diese Reise zu machen, ist für mich von der größten Wichtigkeit; doch
können wir als echte Deutsche uns doch nicht losmachen von Vorsätzen
und Aussichten auf Arbeit. Das schönste Papier ist gekauft, und wir
nehmen uns vor, darauf zu zeichnen, obgleich die Menge, die Schönheit
und der Glanz der Gegenstände höchst wahrscheinlich unserm guten
Willen Grenzen setzt.

Eins habe ich über mich gewonnen, daß ich von meinen poetischen
Arbeiten nichts mitnehme als "Tasso" allein, zu ihm habe ich die beste
Hoffnung. Wüßt' ich nun, was ihr zu "Iphigenien" sagt, so könnte mir
dies zur Leitung dienen, denn es ist doch eine ähnliche Arbeit, der
Gegenstand fast noch beschränkter als jener und will im einzelnen noch
mehr ausgearbeitet sein; doch weiß ich noch nicht, was es werden kann,
das Vorhandene muß ich ganz zerstören, das hat zu lange gelegen, und
weder die Personen, noch der Plan, noch der Ton haben mit meiner
jetzigen Ansicht die mindeste Verwandtschaft.

Beim Aufräumen fallen mir einige eurer lieben Briefe in die Hand, und
da treffe ich beim Durchlesen auf den Vorwurf, daß ich mir in meinen
Briefen widerspreche. Das kann ich zwar nicht merken, denn was ich
geschrieben habe, schicke ich gleich fort, es ist mir aber selbst sehr
wahrscheinlich, denn ich werde von ungeheuern Mächten hin und wider
geworfen, und da ist es wohl natürlich, daß ich nicht immer weiß, wo
ich stehe.

Man erzählt von einem Schiffer, der, von einer stürmischen Nacht auf
der See überfallen, nach Hause zu steuern trachtete. Sein Söhnchen,
in der Finsternis an ihn geschmiegt, fragte: "Vater, was ist denn das
für ein närrisches Lichtchen dort, das ich bald über uns, bald unter
uns sehe?" Der Vater versprach ihm die Erklärung des andern Tags, und
da fand es sich, daß es die Flamme des Leuchtturms gewesen, die einem
von wilden Wogen auf und nieder geschaukelten Auge bald unten, bald
oben erschien.

Auch ich steure auf einem leidenschaftlich bewegten Meere dem Hafen zu,
und halte ich die Glut des Leuchtturms nur scharf im Auge, wenn sie
mir auch den Platz zu verändern scheint, so werde ich doch zuletzt am
Ufer genesen.

Bei der Abreise fällt einem doch immer jedes frühere Scheiden und auch
das künftige letzte unwillkürlich in den Sinn, und mir drängt sich,
diesmal stärker als sonst, dabei die Bemerkung auf, daß wir viel zu
viel Voranstalten machen, um zu leben, denn so kehren auch wir,
Tischbein und ich, so vielen Herrlichkeiten, sogar unserm
wohlausgestatteten eignen Museum den Rücken. Da stehn nun drei
Junonen zur Vergleichung nebeneinander, und wir verlassen sie, als
wenn's keine wäre.




Neapel



Neapel. Kupferstich von Vernet


Velletri, den 22. Februar 1787

Bei guter Zeit sind wir hier angelangt.--Schon vorgestern verfinsterte
sich das Wetter, die schönen Tage hatten uns trübe gebracht, doch
deuteten einige Luftzeichen, daß es sich wieder zum Guten bequemen
werde, wie es denn auch eintraf. Die Wolken trennen sich nach und
nach, hier und da erschien der blaue Himmel, und endlich beleuchtete
die Sonne unsere Bahn. Wir kamen durch Albano, nachdem wir vor
Genzano an dem Eingang eines Parks gehalten hatten, den Prinz Chigi,
der Besitzer, auf eine wunderliche Weise hält, nicht unterhält,
deshalb auch nicht will, daß sich jemand darin umsehe. Hier bildet
sich eine wahre Wildnis: Bäume und Gesträuche, Kräuter und Ranken
wachsen, wie sie wollen, verdorren, stürzen um, verfaulen. Das ist
alles recht und nur desto besser. Der Platz vor dem Eingang ist
unsäglich schön. Eine hohe Mauer schließt das Tal, eine vergitterte
Pforte läßt hineinblicken, dann steigt der Hügel aufwärts, wo dann
oben das Schloß liegt. Es gäbe das größte Bild, wenn es ein rechter
Künstler unternähme.

Nun darf ich nicht weiter beschreiben und sage nur, daß, als wir von
der Höhe die Gebirge von Sezza, die pontinischen Sümpfe, das Meer und
die Inseln erblickten, daß in dem Moment ein starker Streifregen über
die Sümpfe nach dem Meer zog, Licht und Schatten, abwechselnd und
bewegt, die öde Fläche gar mannigfaltig belebten. Sehr schön wirkten
hiezu mehrere von der Sonne erleuchtete Rauchsäulen, die aus
zerstreuten, kaum sichtbaren Hütten emporstiegen.

Velletri liegt sehr angenehm auf einem vulkanischen Hügel, der nur
gegen Norden mit andern zusammenhängt, über drei Himmelsgegenden aber
den freisten Anblick gewährt.

Nun besahen wir das Kabinett des Cavaliere Borgia, welcher, begünstigt
durch die Verwandtschaft mit dem Kardinal und der Propaganda,
treffliche Altertümer und sonstige Merkwürdigkeiten hier
zusammenstellen konnte: ägyptische Götzen, aus dem härtesten Steine
gebildet, kleine Metallfiguren früherer und späterer Zeit; in der
Gegend ausgegrabene, aus Ton gebrannte, flach erhobene Bildwerke,
durch welche veranlaßt man den alten Volskern einen eignen Stil
zuschreiben will.

Von allerlei andern Raritäten besitzt das Museum mancherlei. Ich
merkte mir zwei chinesische Tuschkästchen, wo auf den Stücken des
einen die ganze Zucht der Seidenwürmer, auf dem andern der Reisbau
vorgestellt ist, beides höchst naiv genommen und ausführlich
gearbeitet. Das Kästchen sowie die Einwicklung desselben sind
ausnehmend schön und dürfen sich neben dem von mir schon gelobten Buch
auf der Bibliothek der Propaganda wohl sehen lassen.

Es ist freilich unverantwortlich, daß man diesen Schatz so nahe bei
Rom hat und denselben nicht öfter besucht. Doch mag die
Unbequemlichkeit einer jeden Ausflucht in diesen Gegenden und die
Gewalt des römischen Zauberkreises zur Entschuldigung dienen. Als wir
nach der Herberge gingen, riefen uns einige vor ihren Haustüren
sitzende Weiber an, ob wir nicht auch Altertümer zu kaufen Lust hätten,
und als wir uns darnach sehr begierig erwiesen, holten sie alte
Kessel, Feuerzangen nebst anderem schlechten Hausgeräte und wollten
sich zu Tod lachen, uns angeführt zu haben. Als wir uns deshalb
entrüsteten, brachte unser Führer die Sache wieder ins gleiche; denn
er versicherte, daß dieser Spaß hergebracht sei und daß alle Fremden
denselben Tribut entrichten müßten.

Dies schreib' ich in einer sehr übeln Herberge und fühle in mir weder
Kraft noch Behagen, weiter fortzufahren. Also die freundlichste gute
Nacht!


Fondi, den 23. Februar 1787

Schon früh um drei Uhr waren wir auf dem Wege. Als es tagte, fanden
wir uns in den pontinischen Sümpfen, welche kein so übles Ansehn haben,
als man sie in Rom gemeiniglich beschreibt. Man kann zwar ein so
großes und weitläufiges Unternehmen, als die beabsichtigte
Austrocknung ist, auf der Durchreise nicht beurteilen, allein es
scheint mir doch, daß die Arbeiten, welche der Papst angeordnet, die
gewünschten Endzwecke wenigstens zum größten Teil erreichen werden.
Man denke sich ein weites Tal, das sich von Norden nach Süden mit
wenigem Falle hinzieht, ostwärts gegen die Gebirge zu vertieft,
westwärts aber gegen das Meer zu erhöht liegt.

Der ganzen Länge nach in gerader Linie ist die alte Via Appia
wiederhergestellt, an der rechten Seite derselben der Hauptkanal
gezogen, und das Wasser fließt darin gelind hinab, dadurch ist das
Erdreich der rechten Seite nach dem Meere zu ausgetrocknet und dem
Feldbau überantwortet; soweit das Auge sehen kann, ist es bebaut oder
könnte es werden, wenn sich Pächter fänden, einige Flecke ausgenommen,
die allzutief liegen.

Die linke Seite nach dem Gebirg' zu ist schon schwerer zu behandeln.
Zwar gehen Querkanäle unter der Chaussee in den Hauptkanal; da jedoch
der Boden gegen die Berge zu abfällt, so kann er auf diese Weise nicht
vom Wasser befreit werden. Man will, sagt man, einen zweiten Kanal am
Gebirge herführen. Große Strecken, besonders gegen Terracina, sind
mit Weiden und Pappeln angeflogen.

Eine Poststation besteht aus einer bloßen langen Strohhütte.
Tischbein zeichnete sie und genoß zur Belohnung dafür ein Vergnügen,
das nur er völlig zu genießen weiß. Auf dem abgetrockneten Terrain
hatte sich ein Schimmel losgemacht, der, sich seiner Freiheit
bedienend, auf dem braunen Boden wie ein Lichtstrahl hin und wider
fuhr; wirklich war es ein herrlicher Anblick, durch Tischbeins
Entzücken erst recht bedeutend.

Da, wo sonst der Ort Meza stand, hat der Papst ein großes und schönes
Gebäude, als den Mittelpunkt der Fläche bezeichnend, aufrichten lassen.
Der Anblick desselben vermehrt Hoffnung und Zutrauen für das ganze
Unternehmen. Und so rückten wir immer fort, uns lebhaft unterhaltend,
wohl eingedenk der Warnung, daß man auf diesem Wege nicht einschlafen
dürfe, und freilich erinnerte uns der blaue Dunst, der schon in dieser
Jahrszeit in gewisser Höhe über dem Boden schwebte, an eine
gefährliche Luftschicht. Desto erfreulicher und erwünschter war uns
die Felsenlage von Terracina, und kaum hatten wir uns daran vergnügt,
als wir das Meer gleich davor erblickten. Kurz darauf ließ uns die
andere Seite des Stadtberges ein Schauspiel neuer Vegetation sehen.
Indianische Feigen trieben ihre großen, fetten Blätterkörper zwischen
niedrigen, graulichgrünen Myrten, unter gelbgrünen Granatbäumen und
fahlgrünen Olivenzweigen. Am Wege sahen wir neue, noch nie gesehene
Blumen und Sträuche. Narzissen und Adonis blühten auf den Wiesen.
Man behält das Meer eine Zeitlang rechts; die Kalkfelsen aber bleiben
links in der Nähe. Diese sind die Fortsetzung der Apenninen, welche
sich von Tivoli herziehen und ans Meer anschließen, wovon sie erst
durch die Campagna di Roma, dann durch die frascatanischen,
albanischen, velletrischen Vulkane und endlich durch die pontinischen
Sümpfe getrennt wurden. Der Monte Circello, das Vorgebirg Terracina
gegenüber, wo die pontinischen Sümpfe sich endigen, mag gleichfalls
aus gereihten Kalkfelsen bestehen.

Wir verließen das Meer und kamen bald in die reizende Ebene von Fondi.
Dieser kleine Raum fruchtbaren und bebauten Erdreichs, von einem
nicht allzu rauhen Gebirg' umschlossen, muß jedermann anlachen. Noch
hängt die Mehrzahl der Orangen an den Bäumen, die Saat steht grün,
durchaus Weizen; Oliven auf den Ackern, das Städtchen im Grunde. Ein
Palmbaum zeichnet sich aus und ward begrüßt. So viel für diesen Abend.
Verzeihung der laufenden Feder. Ich muß schreiben, ohne zu denken,
damit ich nur schreibe. Der Gegenstände sind zuviel, der Aufenthalt
zu schlecht und doch meine Begierde allzugroß, einiges dem Papiere
anzuvertrauen. Mit einbrechender Nacht kamen wir an, und es ist nun
Zeit, Ruhe zu suchen.


St. Agata, den 24. Februar 1787

In einer kalten Kammer muß ich Nachricht von einem schönen Tage geben.
Als wir aus Fondi herausfuhren, ward es eben helle, und wir wurden
sogleich durch die über die Mauern hängenden Pomeranzen auf beiden
Seiten des Wegs begrüßt. Die Bäume hängen so voll, als man sich's nur
denken kann. Obenher ist das junge Laub gelblich, unten aber und in
der Mitte von dem saftigsten Grün. Mignon hatte wohl recht, sich
dahin zu sehnen.

Dann fuhren wir durch wohlgeackerte und -bestellte Weizenfelder, in
schicklichen Räumen mit Oliven bepflanzt. Der Wind bewegte sie und
brachte die silberne Unterfläche der Blätter ans Licht, die äste bogen
sich leicht und zierlich. Es war ein grauer Morgen, ein starker
Nordwind versprach, alles Gewölk völlig zu vertreiben.

Dann zog der Weg im Tale hin, zwischen steinichten, aber gut gebauten
äckern, die Saat vom schönsten Grün. An einigen Orten sah man
geräumige, runde, gepflasterte Plätze, mit niedrigen Mäuerchen umgeben;
hier drischt man die Frucht sogleich aus, ohne sie in Garben nach
Hause zu fahren. Das Tal ward schmäler, der Weg ging bergan,
Kalkfelsen standen nackt an beiden Seiten. Der Sturm war heftiger
hinter uns her. Es fielen Graupeln, die sehr langsam tauten.

Einige Mauern antiker Gebäude mit netzförmiger Arbeit überraschten uns.
Auf der Höhe sind die Plätze felsig, doch mit Olivenbäumen bepflanzt,
wo nur das geringste Erdreich sie aufnehmen konnte. Nun über eine
Plaine mit Oliven, sodann durch ein Städtchen. Eingemauert fanden wir
nun Altäre, antike Grabsteine, Fragmente aller Art in den
Gartenumfriedigungen, dann trefflich gemauerte, jetzt aber mit
Erdreich ausgefüllte Untergeschosse alter Landhäuser, nunmehr von
Olivenwäldchen bewachsen. Dann erblickten wir den Vesuv, eine
Rauchwolke auf seinem Scheitel.

Mola di Gaeta begrüßte uns abermals mit den reichsten Pomeranzenbäumen.
Wir blieben einige Stunden. Die Bucht vor dem Städtchen gewährt
eine der schönsten Aussichten, das Meer spült bis heran. Folgt das
Auge dem rechten Ufer und erreicht es zuletzt das Hornende des halben
Mondes, so sieht man auf einem Felsen die Festung Gaeta in mäßiger
Ferne. Das linke Horn erstreckt sich viel weiter; erst sieht man eine
Reihe Gebirge, dann den Vesuv, dann die Inseln. Ischia liegt fast der
Mitte gegenüber.

Hier fand ich am Ufer die ersten Seesterne und Seeigel ausgespült.
Ein schönes grünes Blatt, wie das feinste Velinpapier, dann aber
merkwürdige Geschiebe: am häufigsten die gewöhnlichen Kalksteine,
sodann aber auch Serpentin, Jaspis, Quarze, Kieselbreccien, Granite,
Porphyre, Marmorarten, Glas von grüner und blauer Farbe. Die zuletzt
genannten Steinarten sind schwerlich in dieser Gegend erzeugt, sind
wahrscheinlich Trümmern alter Gebäude, und so sehen wir denn, wie die
Welle vor unsern Augen mit den Herrlichkeiten der Vorwelt spielen darf.
Wir verweilten gern und hatten unsere Lust an der Natur der Menschen,
die sich beinahe als Wilde betrugen. Von Mola sich entfernend, hat
man immer schöne Aussicht, wenn sich auch das Meer verliert. Der
letzte Blick darauf ist eine liebliche Seebucht, die gezeichnet ward.
Nun folgt gutes Fruchtfeld, mit Aloen eingezäunt. Wir erblickten eine
Wasserleitung, die sich vom Gebirg' her nach unkenntlichen,
verworrenen Ruinen zog.

Dann folgt die überfahrt über den Fluß Garigliano. Man wandert sodann
durch ziemlich fruchtbare Gegenden auf ein Gebirg' los. Nichts
Auffallendes. Endlich der erste vulkanische Aschenhügel. Hier
beginnt eine große, herrliche Gegend von Bergen und Gründen, über
welche zuletzt Schneegipfel hervorragen. Auf der nähern Höhe eine
lange, wohl in die Augen fallende Stadt. In dem Tal liegt St. Agata,
ein ansehnlicher Gasthof, wo ein lebhaftes Feuer in einem Kamin, das
als Kabinett angelegt ist, brannte. Indessen ist unsere Stube kalt,
keine Fenster, nur Läden, und ich eile, zu schließen.




Neapel, den 25. Februar 1787

Endlich auch hier glücklich und mit guten Vorbedeutungen angekommen.
Von der Tagesreise nur so viel: St. Agata verließen wir mit
Sonnenaufgang, der Wind blies heftig hinter uns her, und dieser
Nordost hielt den ganzen Tag an. Erst Nachmittag ward er Herr von den
Wolken; wir litten von Kälte.

Unser Weg ging wieder durch und über vulkanische Hügel, wo ich nur
noch wenige Kalkfelsen zu bemerken glaubte. Endlich erreichten wir
die Plaine von Capua, bald darnach Capua selbst, wo wir Mittag hielten.
Nachmittag tat sich ein schönes, flaches Feld vor uns auf. Die
Chaussee geht breit zwischen grünen Weizenfeldern durch, der Weizen
ist wie ein Teppich und wohl spannenhoch. Pappeln sind reihenweis auf
den Feldern gepflanzt, hoch ausgezweigt und Wein hinangezogen. So
geht es bis Neapel hinein. Ein klarer, herrlich lockerer Boden und
gut bearbeitet. Die Weinstöcke von ungewöhnlicher Stärke und Höhe,
die Ranken wie Netze von Pappel zu Pappel schwebend.



Der Vesuv. Zeichnung von Goethe

Der Vesuv blieb uns immer zur linken Seite, gewaltsam dampfend, und
ich war still für mich erfreut, daß ich diesen merkwürdigen Gegenstand
endlich auch mit Augen sah. Der Himmel ward immer klärer, und zuletzt
schien die Sonne recht heiß in unsere enge rollende Wohnung. Bei ganz
rein heller Atmosphäre kamen wir Neapel näher; und nun fanden wir uns
wirklich in einem andern Lande. Die Gebäude mit flachen Dächern
deuten auf eine andere Himmelsgegend, inwendig mögen sie nicht sehr
freundlich sein. Alles ist auf der Straße, sitzt in der Sonne, so
lange sie scheinen will. Der Neapolitaner glaubt, im Besitz des
Paradieses zu sein, und hat von den nördlichen Ländern einen sehr
traurigen Begriff: "Sempre neve, case di legno, gran ignoranza, ma
danari assai." Solch ein Bild machen sie sich von unserm Zustande.
Zur Erbauung sämtlicher deutschen Völkerschaften heißt diese
Charakteristik übersetzt: "Immer Schnee, hölzerne Häuser, große
Unwissenheit; aber Geld genug."

Neapel selbst kündigt sich froh, frei und lebhaft an, unzählige
Menschen rennen durcheinander, der König ist auf der Jagd, die Königin
guter Hoffnung, und so kann's nicht besser gehn.


Neapel, Montag, den 26. Februar.

"Alla Locanda del Sgr. Moriconi al Largo del Castello". Unter dieser
ebenso heiter als prächtig klingenden Aufschrift würden uns Briefe aus
allen vier Teilen der Welt nunmehr auffinden. In der Gegend des am
Meere liegenden großen Kastells erstreckt sich eine große Weitung, die
man, obgleich von allen vier Seiten mit Häusern umgeben, nicht Platz,
sondern Weite (largo) genannt hat, wahrscheinlicherweise von den
ersten Zeiten her, da dieses noch ein unbegrenztes Feld war. Hier nun
tritt an der einen Seite ein großes Eckhaus herein, und wir faßten Fuß
in einem geräumigen Ecksaale, der einen freien und frohen überblick
über die immer bewegte Fläche gewährt. Ein eiserner Balkon zieht sich
außen an mehrern Fenstern vorbei, selbst um die Ecke hin. Man würde
davon nicht wegkommen, wenn der scharfe Wind nicht äußerst fühlbar
wäre.

Der Saal ist munter dekoriert, besonders aber die Decke, deren
Arabesken in hundert Abteilungen schon die Nähe von Pompeji und
Herculanum verkünden. Das wäre nun alles schön und gut, aber keine
Feuerstätte, kein Kamin ist zu bemerken, und der Februar übt denn doch
auch hier seine Rechte. Ich sehnte mich nach einiger Erwärmung.

Man brachte mir einen Dreifuß, von der Erde dergestalt erhöht, daß man
die Hände bequem drüber halten konnte. Auf demselben war ein flaches
Becken befestigt, dieses enthielt ganz zarte glühende Kohlen, gar
glatt mit Asche bedeckt. Hier gilt es nun haushältig sein, wie wir es
in Rom schon gelernt. Mit dem Ohr eines Schlüssels zieht man von Zeit
zu Zeit die oberflächliche Asche behutsam weg, so daß von den Kohlen
wieder etwas an die freie Luft gelange. Wollte man jedoch ungeduldig
die Glut aufwühlen, so würde man einen Augenblick größere Wärme spüren,
aber sehr bald die ganze Glut erschöpft haben, da denn das Becken
abermals gegen Erlegung einer gewissen Summe zu füllen wäre.

Ich befand mich nicht ganz wohl und hätte freilich mehr Bequemlichkeit
gewünscht. Eine Schilfmatte diente gegen die Einflüsse des Estrichs;
Pelze sind nicht gewöhnlich, und ich entschloß mich, eine
Schifferkutte, die wir aus Scherz mitgenommen hatten, anzuziehen, die
mir gute Dienste leistete, besonders nachdem ich sie mit einem
Kofferstrick um den Leib befestigt hatte, da ich mir denn als
Mittelding zwischen Matrosen und Kapuziner sehr komisch vorkommen
mußte. Tischbein, der von Besuchen bei Freunden zurückkehrte, konnte
sich des Lachens nicht enthalten.


Neapel, den 27. Februar 1787

Gestern bracht' ich den Tag in Ruhe zu, um eine kleine körperliche
Unbequemlichkeit erst abzuwarten, heute ward geschwelgt und die Zeit
mit Anschauung der herrlichsten Gegenstände zugebracht. Man sage,
erzähle, male, was man will, hier ist mehr als alles. Die Ufer,
Buchten und Busen des Meeres, der Vesuv, die Stadt, die Vorstädte, die
Kastelle, die Lusträume!--Wir sind auch noch abends in die Grotte des
Posilipo gegangen, da eben die untergehende Sonne zur andern Seite
hereinschien. Ich verzieh es allen, die in Neapel von Sinnen kommen,
und erinnerte mich mit Rührung meines Vaters, der einen
unauslöschlichen Eindruck besonders von denen Gegenständen, die ich
heut zum erstenmal sah, erhalten hatte. Und wie man sagt, daß einer,
dem ein Gespenst erschienen, nicht wieder froh wird, so konnte man
umgekehrt von ihm sagen, daß er nie ganz unglücklich werden konnte,
weil er sich immer wieder nach Neapel dachte. Ich bin nun nach meiner
Art ganz stille und mache nur, wenn's gar zu toll wird, große, große
Augen.


Neapel, den 28. Februar 1787.

Heute besuchten wir Philipp Hackert, den berühmten Landschaftsmaler,
der eines besondern Vertrauens, einer vorzüglichen Gnade des Königs
und der Königin genießt. Man hat ihm einen Flügel des Palasts
Francavilla eingeräumt, den er mit Künstlergeschmack möblieren ließ
und mit Zufriedenheit bewohnt. Es ist ein sehr bestimmter, kluger
Mann, der bei unausgesetztem Fleiß das Leben zu genießen versteht.

Dann gingen wir ans Meer und sahen allerlei Fische und wunderliche
Gestalten aus den Wellen ziehen. Der Tag war herrlich, die Tramontane
leidlich.


Neapel, den 1. März.

Schon in Rom hatte man meinem eigensinnigen Einsiedlersinne, mehr als
mir lieb war, eine gesellige Seite abgewonnen. Freilich scheint es
ein wunderlich Beginnen, daß man in die Welt geht, um allein bleiben
zu wollen. So hatte ich denn auch dem Fürsten von Waldeck nicht
widerstehen können, der mich aufs freundlichste einlud und durch Rang
und Einfluß mir Teilnahme an manchem Guten verschaffte. Kaum waren
wir in Neapel angekommen, wo er sich schon eine Zeitlang aufhielt, als
er uns einladen ließ, mit ihm eine Fahrt nach Pozzuoli und der
anliegenden Gegend zu machen. Ich dachte heute schon auf den Vesuv,
Tischbein aber nötigt mich zu jener Fahrt, die, an und für sich
angenehm, bei dem schönsten Wetter in Gesellschaft eines so
vollkommenen und unterrichteten Fürsten sehr viel Freude und Nutzen
verspricht. Auch haben wir schon in Rom eine schöne Dame gesehen,
nebst ihrem Gemahl von dem Fürsten unzertrennlich; diese soll
gleichfalls von der Partie sein, und man hofft alles Erfreuliche.

Auch bin ich dieser edlen Gesellschaft durch frühere Unterhaltung
genauer bekannt. Der Fürst nämlich fragte bei unserer ersten
Bekanntschaft, womit ich mich jetzt beschäftige, und meine "Iphigenia"
war mir so gegenwärtig, daß ich sie einen Abend umständlich genug
erzählen konnte. Man ging drauf ein; aber ich glaubte doch zu merken,
daß man etwas Lebhafteres, Wilderes von mir erwartet hatte.


Abends.

Von dem heutigen Tage wäre schwerlich Rechenschaft zu geben. Wer hat
es nicht erfahren, daß die flüchtige Lesung eines Buchs, das ihn
unwiderstehlich fortriß, auf sein ganzes Leben den größten Einfluß
hatte und schon die Wirkung entschied, zu der Wiederlesen und
ernstliches Betrachten kaum in der Folge mehr hinzutun konnte. So
ging es mir einst mit "Sakontala", und geht es uns mit bedeutenden
Menschen nicht gleicherweise? Eine Wasserfahrt bis Pozzuoli, leichte
Landfahrten, heitere Spaziergänge durch die wundersamste Gegend von
der Welt. Unterm reinsten Himmel der unsicherste Boden. Trümmern
undenkbarer Wohlhäbigkeit, zerlästert und unerfreulich. Siedende
Wasser, Schwefel aushauchende Grüfte, dem Pflanzenleben widerstrebende
Schlackenberge, kahle, widerliche Räume und dann doch zuletzt eine
immer üppige Vegetation, eingreifend, wo sie nur irgend vermag, sich
über alles Ertötete erhebend, um Landseen und Bäche umher, ja, den
herrlichsten Eichwald an den Wänden eines alten Kraters behauptend.

Und so wird man zwischen Natur--und Völkerereignissen hin und wider
getrieben. Man wünscht zu denken und fühlt sich dazu zu ungeschickt.
Indessen lebt der Lebendige lustig fort, woran wir es denn auch nicht
fehlen ließen. Gebildete Personen, der Welt und ihrem Wesen
angehörend, aber auch, durch ernstes Geschick gewarnt, zu
Betrachtungen aufgelegt. Unbegrenzter Blick über Land, Meer und
Himmel, zurückgerufen in die Nähe einer liebenswürdigen jungen Dame,
Huldigung anzunehmen gewohnt und geneigt.

Unter allem diesem Taumel jedoch verfehlt' ich nicht, manches
anzumerken. Zu künftiger Redaktion wird die an Ort und Stelle
benutzte Karte und eine flüchtige Zeichnung von Tischbein die beste
Hülfe geben; heute ist mir nicht möglich, auch nur das mindeste
hinzuzufügen.


Den 2. März

bestieg ich den Vesuv, obgleich bei trübem Wetter und umwölktem Gipfel.
Fahrend gelangt' ich nach Resina, sodann auf einem Maultiere den
Berg zwischen Weingärten hinauf; nun zu Fuß über die Lava vom Jahre
Einundsiebenzig, die schon feines, aber festes Moos auf sich erzeugt
hatte; dann an der Seite der Lava her. Die Hütte des Einsiedlers
blieb mir links auf der Höhe. Ferner den Aschenberg hinauf, welches
eine sauere Arbeit ist. Zwei Dritteile dieses Gipfels waren mit
Wolken bedeckt. Endlich erreichten wir den alten, nun ausgefüllten
Krater, fanden die neuen Laven von zwei Monaten vierzehn Tagen, ja,
eine schwache von fünf Tagen schon erkaltet. Wir stiegen über sie an
einem erst aufgeworfenen vulkanischen Hügel hinauf, er dampfte aus
allen Enden. Der Rauch zog von uns weg, und ich wollte nach dem
Krater gehn. Wir waren ungefähr funfzig Schritte in den Dampf hinein,
als er so stark wurde, daß ich kaum meine Schuhe sehen konnte. Das
Schnupftuch vorgehalten half nichts, der Führer war mir auch
verschwunden, die Tritte auf den ausgeworfenen Lavabröckchen unsicher,
ich fand für gut, umzukehren und mir den gewünschten Anblick auf einen
heitern Tag und verminderten Rauch zu sparen. Indes weiß ich doch
auch, wie schlecht es sich in solcher Atmosphäre Atem holt.



Der Krater des Vesuvs. Radierung nach Fabris

übrigens war der Berg ganz still. Weder Flamme, noch Brausen, noch
Steinwurf, wie er doch die ganze Zeit her trieb. Ich habe ihn nun
rekognosziert, um ihn förmlich, sobald das Wetter gut werden will, zu
belagern.

Die Laven, die ich fand, waren mir meist bekannte Gegenstände. Ein
Phänomen hab' ich aber entdeckt, das mir sehr merkwürdig schien und
das ich näher untersuchen, nach welchem ich mich bei Kennern und
Sammlern erkundigen will. Es ist eine tropfsteinförmige Bekleidung
einer vulkanischen Esse, die ehemals zugewölbt war, jetzt aber
aufgeschlagen ist und aus dem alten, nun ausgefüllten Krater
herausragt. Dieses feste, grauliche, tropfsteinförmige Gestein
scheint mir durch Sublimation der allerfeinsten vulkanischen
Ausdünstungen ohne Mitwirkung von Feuchtigkeit und ohne Schmelzung
gebildet worden zu sein; es gibt zu weitern Gedanken Gelegenheit.

Heute, den dritten März, ist der Himmel bedeckt und ein Scirocco weht;
zum Posttage gutes Wetter.

Sehr gemischte Menschen, schöne Pferde und wunderliche Fische habe ich
hier übrigens schon genug gesehn.

Von der Lage der Stadt und ihren Herrlichkeiten, die so oft
beschrieben und belobt sind, kein Wort. "Vedi Napoli e poi muori!"
sagen sie hier. "Siehe Neapel und stirb!"



Neapel, den 3. März.

Daß kein Neapolitaner von seiner Stadt weichen will, daß ihre Dichter
von der Glückseligkeit der hiesigen Lage in gewaltigen Hyperbeln
singen, ist ihnen nicht zu verdenken, und wenn auch noch ein paar
Vesuve in der Nachbarschaft stünden. Man mag sich hier an Rom gar
nicht zurückerinnern; gegen die hiesige freie Lage kommt einem die
Hauptstadt der Welt im Tibergrunde wie ein altes, übelplaciertes
Kloster vor.

Das See--und Schiffwesen gewährt auch ganz neue Zustände. Die
Fregatte nach Palermo ging mit reiner, starker Tramontane gestern ab.
Diesmal hat sie gewiß nicht über sechsunddreißig Stunden auf der Fahrt
zugebracht. Mit welcher Sehnsucht sah ich den vollen Segeln nach, als
das Schiff zwischen Capri und Kap Minerva durchfuhr und endlich
verschwand. Wenn man jemand Geliebtes so fortfahren sähe, müßte man
vor Sehnsucht sterben! Jetzt weht der Scirocco; wenn der Wind stärker
wird, werden die Wellen um den Molo lustig genug sein.

Heute, als an einem Freitage, war die große Spazierfahrt des Adels, wo
jeder seine Equipagen, besonders Pferde, produziert. Man kann
unmöglich etwas Zierlicheres sehen als diese Geschöpfe hier; es ist
das erste Mal in meinem Leben, daß mir das Herz gegen sie aufgeht.


Neapel, den 3. März.

Hier schick' ich einige gedrängte Blätter als Nachricht von dem
Einstande, den ich hier gegeben. Auch ein an der Ecke angeschmauchtes
Kuvert eures letzten Briefes zum Zeugnis, daß er mit auf dem Vesuv
gewesen. Doch muß ich euch nicht, weder im Traume noch im Wachen, von
Gefahr umgeben erscheinen; seid versichert, da, wo ich gehe, ist nicht
mehr Gefahr als auf der Chaussee nach Belvedere. Die Erde ist überall
des Herrn! kann man wohl bei dieser Gelegenheit sagen. Ich suche
keine Abenteuer aus Vorwitz noch Sonderbarkeit, aber weil ich meist
klar bin und dem Gegenstand bald seine Eigentümlichkeit abgewinne, so
kann ich mehr tun und wagen als ein anderer. Nach Sizilien ist's
nichts weniger als gefährlich. Vor einigen Tagen fuhr die Fregatte
nach Palermo mit günstigem Nordostwind ab, sie ließ Capri rechts und
hat gewiß den Weg in sechsunddreißig Stunden zurückgelegt. Drüben
sieht es auch in der Wirklichkeit nicht so gefährlich aus, als man es
in der Ferne zu machen beliebt.

Vom Erdbeben spürt man jetzt im untern Teile von Italien gar nichts,
im obern ward neulich Rimini und naheliegende Orte beschädigt. Es hat
wunderliche Launen, man spricht hier davon wie von Wind und Wetter und
in Thüringen von Feuersbrünsten.

Mich freut, daß ihr nun mit der neuen Bearbeitung der "Iphigenia" euch
befreundet; noch lieber wäre mir's, wenn euch der Unterschied
fühlbarer geworden wäre. Ich weiß, was ich daran getan habe, und darf
davon reden, weil ich es noch weiter treiben könnte. Wenn es eine
Freude ist, das Gute zu genießen, so ist es eine größere, das Bessere
zu empfinden, und in der Kunst ist das Beste gut genug.


Neapel, den 5. März.

Den zweiten Fastensonntag benutzten wir, von Kirche zu Kirche zu
wandern. Wie in Rom alles höchst ernsthaft ist, so treibt sich hier
alles lustig und wohlgemut. Auch die neapolitanische Malerschule
begreift man nur zu Neapel. Hier sieht man mit Verwunderung die ganze
Vorderseite einer Kirche von unten bis oben gemalt, über der Türe
Christus, der die Käufer und Verkäufer zum Tempel hinaustreibt, welche
zu beiden Seiten, munter und zierlich erschreckt, die Treppen
herunterpurzeln. Innerhalb einer andern Kirche ist der Raum über dem
Eingang reichhaltig mit einem Freskogemälde geziert, die Vertreibung
Heliodors vorstellend. Luca Giordano mußte sich freilich sputen, um
solche Flächen auszufüllen. Auch die Kanzel ist nicht immer wie
anderwärts ein Katheder, Lehrstuhl für eine einzelne Person, sondern
eine Galerie, auf welcher ich einen Kapuziner hin und her schreiten
und bald von dem einen, bald von dem andern Ende dem Volk seine
Sündhaftigkeit vorhalten sah. Was wäre da nicht alles zu erzählen!

Aber weder zu erzählen noch zu beschreiben ist die Herrlichkeit einer
Vollmondnacht, wie wir sie genossen, durch die Straßen über die Plätze
wandelnd, auf der Chiaja, dem unermeßlichen Spaziergang, sodann am
Meeresufer hin und wider. Es übernimmt einen wirklich das Gefühl von
Unendlichkeit des Raums. So zu träumen ist denn doch der Mühe wert.


Neapel, den 5. März 1787.

Von einem trefflichen Manne, den ich diese Tage kennen gelernt, muß
ich kürzlich das Allgemeinste erwähnen. Es ist Ritter Filangieri,
bekannt durch sein Werk über die Gesetzgebung. Er gehört zu den
ehrwürdigen jungen Männern, welche das Glück der Menschen und eine
löbliche Freiheit derselben im Auge behalten. An seinem Betragen kann
man den Soldaten, den Ritter und Weltmann erkennen, gemildert ist
jedoch dieser Anstand durch den Ausdruck eines zarten sittlichen
Gefühls, welches, über die ganze Person verbreitet, aus Wort und Wesen
gar anmutig hervorleuchtet. Auch er ist seinem Könige und dessen
Königreich im Herzen verbündet, wenn er auch nicht alles billigt, was
geschieht; aber auch er ist gedrückt durch die Furcht vor Joseph dem
Zweiten. Das Bild eines Despoten, wenn es auch nur in der Luft
schwebt, ist edlen Menschen schon fürchterlich. Er sprach mit mir
ganz offen, was Neapel von jenem zu fürchten habe. Er unterhält sich
gern über Montesquieu, Beccaria, auch über seine eigenen Schriften,
alles in demselben Geiste des besten Wollens und einer herzlichen
jugendlichen Lust, das Gute zu wirken. Er mag noch in den Dreißigen
stehen.

Gar bald machte er mich mit einem alten Schriftsteller bekannt, an
dessen unergründlicher Tiefe sich diese neuern italienischen
Gesetzfreunde höchlich erquicken und erbauen, er heißt Johann Baptista
Vico, sie ziehen ihn dem Montesquieu vor. Bei einem flüchtigen
überblick des Buches, das sie mir als ein Heiligtum mitteilten, wollte
mir scheinen, hier seien sibyllinische Vorahnungen des Guten und
Rechten, das einst kommen soll oder sollte, gegründet auf ernste
Betrachtungen des überlieferten und des Lebens. Es ist gar schön,
wenn ein Volk solch einen ältervater besitzt; den Deutschen wird einst
Hamann ein ähnlicher Kodex werden.


Neapel, den 6. März 1787.

Obgleich ungern, doch aus treuer Geselligkeit, begleitete Tischbein
mich heute auf den Vesuv. Ihm, dem bildenden Künstler, der sich nur
immer mit den schönsten Menschen--und Tierformen beschäftigt, ja das
Ungeformte selbst, Felsen und Landschaften, durch Sinn und Geschmack
vermenschlicht, ihm wird eine solche furchtbare, ungestalte Aufhäufung,
die sich immer wieder selbst verzehrt und allem Schönheitsgefühl den
Krieg ankündigt, ganz abscheulich vorkommen.

Wir fuhren auf zwei Kalessen, weil wir uns als Selbstführer durch das
Gewühl der Stadt nicht durchzuwinden getrauten. Der Fahrende schreit
unaufhörlich: "Platz, Platz!", damit Esel, Holz oder Kehricht Tragende,
entgegenrollende Kalessen, lastschleppende oder frei wandelnde
Menschen, Kinder und Greise sich vorsehen, ausweichen, ungehindert
aber der scharfe Trab fortgesetzt werde.

Der Weg durch die äußersten Vorstädte und Gärten sollte schon auf
etwas Plutonisches hindeuten. Denn da es lange nicht geregnet, waren
von dickem, aschgrauem Staube die von Natur immergrünen Blätter
überdeckt, alle Dächer, Gurtgesimse und was nur irgend eine Fläche bot,
gleichfalls übergraut, so daß nur der herrliche blaue Himmel und die
hereinscheinende mächtige Sonne ein Zeugnis gab, daß man unter den
Lebendigen wandle.

Am Fuße des steilen Hanges empfingen uns zwei Führer, ein älterer und
ein jüngerer, beides tüchtige Leute. Der erste schleppte mich, der
zweite Tischbein den Berg hinauf. Sie schleppten, sage ich; denn ein
solcher Führer umgürtet sich mit einem ledernen Riemen, in welchen der
Reisende greift und, hinaufwärts gezogen, sich an einem Stabe auf
seinen eigenen Füßen desto leichter emporhilft.

So erlangten wir die Fläche, über welcher sich der Kegelberg erhebt,
gegen Norden die Trümmer der Somma.

Ein Blick westwärts über die Gegend nahm wie ein heilsames Bad alle
Schmerzen der Anstrengung und alle Müdigkeit hinweg, und wir
umkreisten nunmehr den immer qualmenden, Stein und Asche auswerfenden
Kegelberg. Solange der Raum gestattete, in gehöriger Entfernung zu
bleiben, war es ein großes, geisterhebendes Schauspiel. Erst ein
gewaltsamer Donner, der aus dem tiefsten Schlunde hervortönte, sodann
Steine, größere und kleinere, zu Tausenden in die Luft geschleudert,
von Aschenwolken eingehüllt. Der größte Teil fiel in den Schlund
zurück. Die andern, nach der Seite zu getriebenen Brocken, auf die
Außenseite des Kegels niederfallend, machten ein wunderbares Geräusch:
erst plumpten die schwereren und hupften mit dumpfem Getön an die
Kegelseite hinab, die geringeren klapperten hinterdrein, und zuletzt
rieselte die Asche nieder. Dieses alles geschah in regelmäßigen
Pausen, die wir durch ein ruhiges Zählen sehr wohl abmessen konnten.

Zwischen der Somma und dem Kegelberge ward aber der Raum enge genug,
schon fielen mehrere Steine um uns her und machten den Umgang
unerfreulich. Tischbein fühlte sich nunmehr auf dem Berge noch
verdrießlicher, da dieses Ungetüm, nicht zufrieden, häßlich zu sein,
auch noch gefährlich werden wollte.

Wie aber durchaus eine gegenwärtige Gefahr etwas Reizendes hat und den
Widerspruchsgeist im Menschen auffordert, ihr zu trotzen, so bedachte
ich, daß es möglich sein müsse, in der Zwischenzeit von zwei
Eruptionen den Kegelberg hinauf an den Schlund zu gelangen und auch in
diesem Zeitraum den Rückweg zu gewinnen. Ich ratschlagte hierüber mit
den Führern unter einem überhängenden Felsen der Somma, wo wir, in
Sicherheit gelagert, uns an den mitgebrachten Vorräten erquickten.
Der jüngere getraute sich, das Wagestück mit mir zu bestehen, unsere
Hutköpfe fütterten wir mit leinenen und seidenen Tüchern, wir stellten
uns bereit, die Stäbe in der Hand, ich seinen Gürtel fassend.

Noch klapperten die kleinen Steine um uns herum, noch rieselte die
Asche, als der rüstige Jüngling mich schon über das glühende Gerölle
hinaufriß. Hier standen wir an dem ungeheuren Rachen, dessen Rauch
eine leise Luft von uns ablenkte, aber zugleich das Innere des
Schlundes verhüllte, der ringsum aus tausend Ritzen dampfte. Durch
einen Zwischenraum des Qualmes erblickte man hie und da geborstene
Felsenwände. Der Anblick war weder unterrichtend noch erfreulich,
aber eben deswegen, weil man nichts sah, verweilte man, um etwas
herauszusehen. Das ruhige Zählen war versäumt, wir standen auf einem
scharfen Rande vor dem ungeheuern Abgrund. Auf einmal erscholl der
Donner, die furchtbare Ladung flog an uns vorbei, wir duckten uns
unwillkürlich, als wenn uns das vor den niederstürzenden Massen
gerettet hätte; die kleineren Steine klapperten schon, und wir, ohne
zu bedenken, daß wir abermals eine Pause vor uns hatten, froh, die
Gefahr überstanden zu haben, kamen mit der noch rieselnden Asche am
Fuße des Kegels an, Hüte und Schultern genugsam eingeäschert.

Von Tischbein aufs freundlichste empfangen, gescholten und erquickt,
konnte ich nun den älteren und neueren Laven eine besondere
Aufmerksamkeit widmen. Der betagte Führer wußte genau die Jahrgänge
zu bezeichnen. Ältere waren schon mit Asche bedeckt und ausgeglichen,
neuere, besonders die langsam geflossenen, boten einen seltsamen
Anblick; denn indem sie, fortschleichend, die auf ihrer Oberfläche
erstarrten Massen eine Zeitlang mit sich hinschleppen, so muß es doch
begegnen, daß diese von Zeit zu Zeit stocken, aber, von den
Glutströmen noch fortbewegt, übereinander geschoben, wunderbar zackig
erstarrt verharren, seltsamer als im ähnlichen Fall die übereinander
getriebenen Eisschollen. Unter diesem geschmolzenen wüsten Wesen
fanden sich auch große Blöcke, welche, angeschlagen, auf dem frischen
Bruch einer Urgebirgsart völlig ähnlich sehen. Die Führer behaupteten,
es seien alte Laven des tiefsten Grundes, welche der Berg manchmal
auswerfe.



Auf unserer Rückkehr nach Neapel wurden mir kleine Häuser merkwürdig,
einstöckig, sonderbar gebaut, ohne Fenster, die Zimmer nur durch die
auf die Straße gehende Türe erleuchtet. Von früher Tageszeit bis in
die Nacht sitzen die Bewohner davor, da sie sich denn zuletzt in ihre
Höhlen zurückziehen.



Die auf eine etwas verschiedene Weise am Abend tumultuierende Stadt
entlockte mir den Wunsch, einige Zeit hier verweilen zu können, um das
bewegliche Bild nach Kräften zu entwerfen. Es wird mir nicht so wohl
werden.



Neapel, Mittwoch, den 7. März 1787.

Und so hat mir diese Woche Tischbein redlich einen großen Teil der
Kunstschätze von Neapel gezeigt und ausgelegt. Er, ein trefflicher
Tierkenner und Zeichner, machte mich schon früher aufmerksam auf einen
Pferdekopf von Erz im Palast Colombrano. Wir gingen heute dahin.
Dieser Kunstrest steht gerade der Torfahrt gegenüber im Hofe in einer
Nische über einem Brunnen und setzt in Erstaunen; was muß das Haupt
erst mit den übrigen Gliedern, zu einem Ganzen verbunden, für Wirkung
getan haben! Das Pferd im ganzen war viel größer als die auf der
Markuskirche, auch läßt hier das Haupt, näher und einzeln beschaut,
Charakter und Kraft nur desto deutlicher erkennen und bewundern. Der
prächtige Stirnknochen, die schnaubende Nase, die aufmerkenden Ohren,
die starre Mähne! Ein mächtig aufgeregtes, kräftiges Geschöpf.

Wir kehrten uns um, eine weibliche Statue zu bemerken, die über dem
Torwege in einer Nische stand. Sie wird für die Nachbildung einer
Tänzerin schon von Winckelmann gehalten, wie denn solche Künstlerinnen
in lebendiger Bewegung auf das mannigfaltigste dasjenige vorstellen,
was die bildenden Meister uns als erstarrte Nymphen und Göttinnen
aufbewahren. Sie ist sehr leicht und schön, der Kopf war abgebrochen,
ist aber gut wieder aufgesetzt, übrigens nichts daran versehrt, und
verdiente wohl einen bessern Platz.


Neapel, den 9. März.

Heute erhalte ich die liebsten Briefe vom 16. Februar. Schreibet nur
immer fort. Ich habe meine Zwischenposten wohl bestellt und werde es
auch tun, wenn ich weitergehen sollte. Gar sonderbar kommt es mir vor,
in so großer Entfernung zu lesen, daß die Freunde nicht
zusammenkommen, und doch ist oft nichts natürlicher, als daß man nicht
zusammenkommt, wenn man so nahe beisammen ist.

Das Wetter hat sich verdunkelt, es ist im Wechseln, das Frühjahr tritt
ein, und wir werden Regentage haben. Noch ist der Gipfel des Vesuvs
nicht heiter geworden, seit ich droben war. Diese letzten Nächte sah
man ihn manchmal flammen, jetzt hält er wieder inne, man erwartet
stärkeren Ausbruch.

Die Stürme dieser Tage haben uns ein herrliches Meer gezeigt, da
ließen sich die Wellen in ihrer würdigen Art und Gestalt studieren;
die Natur ist doch das einzige Buch, das auf allen Blättern großen
Gehalt bietet. Dagegen gibt mir das Theater gar keine Freude mehr.
Sie spielen hier in den Fasten geistliche Opern, die sich von den
weltlichen in gar nichts unterscheiden, als daß keine Ballette
zwischen den Akten eingeschaltet sind; übrigens aber so bunt als
möglich. Im Theater St. Carlo führen sie auf: "Zerstörung von
Jerusalem durch Nebukadnezar". Mir ist es ein großer Guckkasten; es
scheint, ich bin für solche Dinge verdorben.

Heute waren wir mit dem Fürsten von Waldeck auf Capo di Monte, wo die
große Sammlung von Gemälden, Münzen u. d. g. sich befindet, nicht
angenehm aufgestellt, doch kostbare Sachen. Mir bestimmen und
bestätigen sich nunmehr so viele Traditionsbegriffe. Was von Münzen,
Gemmen, Vasen einzeln wie die gestutzten Zitronenbäume nach Norden
kommt, sieht in Masse hier ganz anders aus, da, wo diese Schätze
einheimisch sind. Denn wo Werke der Kunst rar sind, gibt auch die
Rarität ihnen einen Wert, hier lernt man nur das Würdige schätzen.

Sie bezahlen jetzt großes Geld für die etrurischen Vasen, und gewiß
finden sich schöne und treffliche Stücke darunter. Kein Reisender,
der nicht etwas davon besitzen wollte. Man schlägt sein Geld nicht so
hoch an als zu Hause, ich fürchte, selbst noch verführt zu werden.


Neapel, Freitag, den 9. März 1787.

Das ist das Angenehme auf Reisen, daß auch das Gewöhnliche durch
Neuheit und überraschung das Ansehen eines Abenteuers gewinnt. Als
ich von Capo di Monte zurückkam, machte ich noch einen Abendbesuch bei
Filangieri, wo ich auf dem Kanapee neben der Hausfrau ein Frauenzimmer
sitzend fand, deren äußeres mir nicht zu dem vertraulichen Betragen zu
passen schien, dem sie sich ganz ohne Zwang hingab. In einem leichten,
gestreiften, seidenen Fähnchen, den Kopf wunderlich aufgeputzt, sah
die kleine, niedliche Figur einer Putzmacherin ähnlich, die, für die
Zierde anderer sorgend, ihrem eigenen Aussehen wenig Aufmerksamkeit
schenkt. Sie sind so gewohnt, ihre Arbeit bezahlt zu sehen, daß sie
nicht begreifen, wie sie für sich selbst etwas gratis tun sollen.
Durch meinen Eintritt ließ sie sich in ihrem Plaudern nicht stören und
brachte eine Menge possierliche Geschichten vor, welche ihr dieser
Tage begegnet oder vielmehr durch ihre Strudeleien veranlaßt worden.

Die Dame vom Hause wollte mir auch zum Wort verhelfen, sprach über die
herrliche Lage von Capo di Monte und die Schätze daselbst. Das
muntere Weibchen dagegen sprang in die Höhe und war, auf ihren Füßen
stehend, noch artiger als zuvor. Sie empfahl sich, rannte nach der
Türe und sagte mir im Vorbeigehen: "Filangieris kommen diese Tage zu
mir zu Tische, ich hoffe, Sie auch zu sehen!" Fort war sie, ehe ich
noch zusagen konnte. Nun vernahm ich, es sei die Prinzessin ***, mit
dem Hause nah verwandt. Filangieris waren nicht reich und lebten in
anständiger Einschränkung. So dacht' ich mir das Prinzeßchen auch, da
ohnehin solche hohe Titel in Neapel nicht selten sind. Ich merkte mir
den Namen, Tag und Stunde und zweifelte nicht, mich am rechten Orte zu
gehöriger Zeit einzufinden.


Neapel, Sonntag, den 11. März 1787

Da mein Aufenthalt in Neapel nicht lange dauern wird, so nehme ich
gleich die entfernteren Punkte zuerst, das Nähere gibt sich. Mit
Tischbein fuhr ich nach Pompeji, da wir denn alle die herrlichen
Ansichten links und rechts neben uns liegen sahen, welche, durch so
manche landschaftliche Zeichnung uns wohlbekannt, nunmehr in ihrem
zusammenhängenden Glanze erschienen. Pompeji setzt jedermann wegen
seiner Enge und Kleinheit in Verwunderung. Schmale Straßen, obgleich
grade und an der Seite mit Schrittplatten versehen, kleine Häuser ohne
Fenster, aus den Höfen und offenen Galerien die Zimmer nur durch die
Türen erleuchtet. Selbst öffentliche Werke, die Bank am Tor, der
Tempel, sodann auch eine Villa in der Nähe, mehr Modell und
Puppenschrank als Gebäude. Diese Zimmer, Gänge und Galerien aber aufs
heiterste gemalt, die Wandflächen einförmig, in der Mitte ein
ausführliches Gemälde, jetzt meist ausgebrochen, an Kanten und Enden
leichte und geschmackvolle Arabesken, aus welchen sich auch wohl
niedliche Kinder--und Nymphengestalten entwickeln, wenn an einer
andern Stelle aus mächtigen Blumengewinden wilde und zahme Tiere
hervordringen. Und so deutet der jetzige ganz wüste Zustand einer
erst durch Steinund Aschenregen bedeckten, dann aber durch die
Aufgrabenden geplünderten Stadt auf eine Kunstund Bilderlust eines
ganzen Volkes, von der jetzo der eifrigste Liebhaber weder Begriff,
noch Gefühl, noch Bedürfnis hat.



Ausgrabung des Isistempels in Pompeji. Radierung nach Fabris

Bedenkt man die Entfernung dieses Orts vom Vesuv, so kann die
bedeckende vulkanische Masse weder durch ein Schleudern noch durch
einen Windstoß hierher getrieben sein; man muß sich vielmehr
vorstellen, daß diese Steine und Asche eine Zeitlang wolkenartig in
der Luft geschwebt, bis sie endlich über diesem unglücklichen Orte
niedergegangen.

Wenn man sich nun dieses Ereignis noch mehr versinnlichen will, so
denke man allenfalls ein eingeschneites Bergdorf. Die Räume zwischen
den Gebäuden, ja die zerdrückten Gebäude selbst wurden ausgefüllt,
allein Mauerwerk mochte hier und da noch herausstehen, als früher oder
später der Hügel zu Weinbergen und Gärten benutzt wurde. So hat nun
gewiß mancher Eigentümer, auf seinem Anteil niedergrabend, eine
bedeutende Vorlese gehalten. Mehrere Zimmer fand man leer und in der
Ecke des einen einen Haufen Asche, der mancherlei kleines Hausgeräte
und Kunstarbeiten versteckte.

Den wunderlichen, halb unangenehmen Eindruck dieser mumisierten Stadt
wuschen wir wieder aus den Gemütern, als wir, in der Laube zunächst
des Meeres in einem geringen Gasthof sitzend, ein frugales Mahl
verzehrten und uns an der Himmelsbläue, an des Meeres Glanz und Licht
ergötzten, in Hoffnung, wenn dieses Fleckchen mit Weinlaub bedeckt
sein würde, uns hier wiederzusehen und uns zusammen zu ergötzen.



Näher an der Stadt fielen mir die kleinen Häuser wieder auf, die als
vollkommene Nachbildungen der pompejanischen dastehen. Wir erbaten
uns die Erlaubnis, in eins hineinzutreten, und fanden es sehr reinlich
eingerichtet. Nett geflochtene Rohrstühle, eine Kommode ganz
vergoldet, mit bunten Blumen staffiert und lackiert, so daß nach so
vielen Jahrhunderten, nach unzähligen Veränderungen diese Gegend ihren
Bewohnern ähnliche Lebensart und Sitte, Neigungen und Liebhabereien
einflößt.


Neapel, Montag, den 12. März.

Heute schlich ich beobachtend meiner Weise nach durch die Stadt und
notierte mir viele Punkte zu dereinstiger Schilderung derselben, davon
ich leider gegenwärtig nichts mitteilen kann. Alles deutet dahin, daß
ein glückliches, die ersten Bedürfnisse reichlich anbietendes Land
auch Menschen von glücklichem Naturell erzeugt, die ohne Kümmernis
erwarten können, der morgende Tag werde bringen, was der heutige
gebracht, und deshalb sorgenlos dahin leben. Augenblickliche
Befriedigung, mäßiger Genuß, vorübergehender Leiden heiteres Dulden!
--Von dem letzteren ein artiges Beispiel.

Der Morgen war kalt und feuchtlich, es hatte wenig geregnet. Ich
gelangte auf einen Platz, wo die großen Quadern des Pflasters reinlich
gekehrt erschienen. Zu meiner großen Verwunderung sah ich auf diesem
völlig ebenen, gleichen Boden eine Anzahl zerlumpter Knaben im Kreise
kauzend, die Hände gegen den Boden gewendet, als wenn sie sich wärmten.
Erst hielt ich's für eine Posse, als ich aber ihre Mienen völlig
ernsthaft und beruhigt sah wie bei einem befriedigten Bedürfnis, so
strengte ich meinen Scharfsinn möglichst an, er wollte mich aber nicht
begünstigen. Ich mußte daher fragen, was denn diese äffchen zu der
sonderbaren Positur verleite und sie in diesen regelmäßigen Kreis
versammle.

Hierauf erfuhr ich, daß ein anwohnender Schmied auf dieser Stelle eine
Radschiene heiß gemacht, welches auf folgende Weise geschieht. Der
eiserne Reif wird auf den Boden gelegt und auf ihn im Kreise so viel
Eichenspäne gehäuft, als man nötig hält, ihn bis auf den
erforderlichen Grad zu erweichen. Das entzündete Holz brennt ab, die
Schiene wird ums Rad gelegt und die Asche sorgfältig weggekehrt. Die
dem Pflaster mitgeteilte Wärme benutzen sogleich die kleinen Huronen
und rühren sich nicht eher von der Stelle, als bis sie den letzten
warmen Hauch ausgezogen haben. Beispiele solcher Genügsamkeit und
aufmerksamen Benutzens dessen, was sonst verlorenginge, gibt es hier
unzählige. Ich finde in diesem Volk die lebhafteste und geistreichste
Industrie, nicht um reich zu werden, sondern um sorgenfrei zu leben.




Abends.

Damit ich ja zur bestimmten Zeit heute bei dem wunderlichen
Prinzeßchen wäre und das Haus nicht verfehlte, berief ich einen
Lohnbedienten. Er brachte mich vor das Hoftor eines großen Palastes,
und da ich ihr keine so prächtige Wohnung zutraute, buchstabierte ich
ihm noch einmal aufs deutlichste den Namen; er versicherte, daß ich
recht sei. Nun fand ich einen geräumigen Hof, einsam und still,
reinlich und leer, von Haupt--und Seitengebäuden umgeben. Bauart die
bekannte heitere neapolitanische, so auch die Färbung. Gegen mir über
ein großes Portal und eine breite, gelinde Treppe. An beiden Seiten
derselben hinaufwärts in kostbarer Livree Bedienten gereiht, die sich,
wie ich an ihnen vorbeistieg, aufs tiefste bückten. Ich schien mir
der Sultan in Wielands Feenmärchen und faßte mir nach dessen Beispiel
ein Herz. Nun empfingen mich die höheren Hausbedienten, bis endlich
der anständigste die Türe eines großen Saals eröffnete, da sich denn
ein Raum vor mir auftat, den ich ebenso heiter, aber auch so
menschenleer fand als das übrige. Beim Auf--und Abgehen erblickte ich
in einer Seitengalerie etwa für vierzig Personen prächtig, dem Ganzen
gemäß eine Tafel bereitet. Ein Weltgeistlicher trat herein; ohne mich
zu fragen, wer ich sei, noch woher ich komme, nahm er meine Gegenwart
als bekannt an und sprach von den allgemeinsten Dingen.

Ein Paar Flügeltüren taten sich auf, hinter einem ältlichen Herrn, der
hereintrat, gleich wieder verschlossen. Der Geistliche ging auf ihn
los, ich auch, wir begrüßten ihn mit wenigen höflichen Worten, die er
mit bellenden, stotternden Tönen erwiderte, so daß ich mir keine Silbe
des hottentottischen Dialekts enträtseln konnte. Als er sich ans
Kamin gestellt, zog sich der Geistliche zurück und ich mit ihm. Ein
stattlicher Benediktiner trat herein, begleitet von einem jüngeren
Gefährten; auch er begrüßte den Wirt, auch er wurde angebellt, worauf
er sich denn zu uns ans Fenster zurückzog. Die Ordensgeistlichen,
besonders die eleganter gekleideten, haben in der Gesellschaft die
größten Vorzüge; ihre Kleidung deutet auf Demut und Entsagung, indem
sie ihnen zugleich entschiedene Würde verleiht. In ihrem Betragen
können sie, ohne sich wegzuwerfen, unterwürfig erscheinen, und dann,
wenn sie wieder strack auf ihren Hüften stehen, kleidet sie eine
gewisse Selbstgefälligkeit sogar wohl, welche man allen übrigen
Ständen nicht zugute gehen ließe. So war dieser Mann. Ich fragte
nach Monte Cassino, er lud mich dahin und versprach mir die beste
Aufnahme. Indessen hatte sich der Saal bevölkert: Offiziere, Hofleute,
Weltgeistliche, ja sogar einige Kapuziner waren gegenwärtig.
Vergebens suchte ich nach einer Dame, und daran sollte es denn auch
nicht fehlen. Abermals ein Paar Flügeltüren taten sich auf und
schlossen sich. Eine alte Dame war hereingetreten, wohl noch älter
als der Herr, und nun gab mir die Gegenwart der Hausfrau die völlige
Versicherung, daß ich in einem fremden Palast, unbekannt völlig den
Bewohnern sei. Schon wurden die Speisen aufgetragen, und ich hielt
mich in der Nähe der geistlichen Herren, um mit ihnen in das Paradies
des Tafelzimmers zu schlüpfen, als auf einmal Filangieri mit seiner
Gemahlin hereintrat, sich entschuldigend, daß er verspätet habe. Kurz
darauf sprang Prinzeßchen auch in den Saal, fuhr unter Knicksen,
Beugungen, Kopfnicken an allen vorbei auf mich los. "Es ist recht
schön, daß Sie Wort halten!" rief sie, "setzen Sie sich bei Tafel zu
mir, Sie sollen die besten Bissen haben. Warten Sie nur! Ich muß mir
erst den rechten Platz aussuchen, dann setzen Sie sich gleich an mich."
So aufgefordert, folgte ich den verschiedenen Winkelzügen, die sie
machte, und wir gelangten endlich zum Sitze, die Benediktiner gerade
gegen uns über, Filangieri an meiner andern Seite.--"Das Essen ist
durchaus gut", sagte sie, "alles Fastenspeisen, aber ausgesucht, das
Beste will ich Ihnen andeuten. Jetzt muß ich aber die Pfaffen scheren.
Die Kerls kann ich nicht ausstehen; sie hucken unserm Hause
tagtäglich etwas ab. Was wir haben, sollten wir selbst mit Freunden
verzehren!"--Die Suppe war herumgegeben, der Benediktiner aß mit
Anstand.--"Bitte, sich nicht zu genieren, Hochwürden", rief sie aus,
"ist etwa der Löffel zu klein? Ich will einen größern holen lassen,
die Herren sind ein tüchtiges Maulvoll gewohnt." Der Pater versetzte,
es sei in ihrem fürstlichen Hause alles so vortrefflich eingerichtet,
daß ganz andere Gäste als er eine vollkommenste Zufriedenheit
empfinden würden.

Von den Pastetchen nahm sich der Pater nur eins, sie rief ihm zu, er
möchte doch ein halb Dutzend nehmen! Blätterteig, wisse er ja,
verdaue sich leicht genug. Der verständige Mann nahm noch ein
Pastetchen, für die gnädige Attention dankend, als habe er den
lästerlichen Scherz nicht vernommen. Und so mußte ihr auch bei einem
derbern Backwerk Gelegenheit werden, ihre Bosheit auszulassen; denn
als der Pater ein Stück anstach und es auf seinen Teller zog, rollte
ein zweites nach.--"Ein drittes", rief sie, "Herr Pater, Sie scheinen
einen guten Grund legen zu wollen!"--"Wenn so vortreffliche
Materialien gegeben sind, hat der Baumeister leicht arbeiten!"
versetzte der Pater.--Und so ging es immer fort, ohne daß sie eine
andere Pause gemacht hätte, als mir gewissenhaft die besten Bissen
zuzuteilen.

Ich sprach indessen mit meinem Nachbar von den ernstesten Dingen.
Überhaupt habe ich Filangieri nie ein gleichgültiges Wort reden hören.
Er gleicht darin wie in manchem andern unserm Freunde Georg Schlosser,
nur daß er als Neapolitaner und Weltmann eine weichere Natur und
einen bequemem Umgang hat.

Die ganze Zeit war den geistlichen Herren von dem Mutwillen meiner
Nachbarin keine Ruhe gegönnt, besonders gaben ihr die zur Fastenzeit
in Fleischgestalt verwandelten Fische unerschöpflichen Anlaß,
gott--und sittenlose Bemerkungen anzubringen, besonders aber auch die
Fleischeslust hervorzuheben und zu billigen, daß man sich wenigstens
an der Form ergötze, wenn auch das Wesen verboten sei.

Ich habe mir noch mehr solcher Scherze gemerkt, die ich jedoch
mitzuteilen nicht Mut habe. Dergleichen mag sich im Leben und aus
einem schönen Munde noch ganz erträglich ausnehmen, schwarz auf weiß
dagegen wollen sie mir selbst nicht mehr gefallen. Und dann hat
freche Verwegenheit das Eigene, daß sie in der Gegenwart erfreut, weil
sie in Erstaunen setzt, erzählt aber erscheint sie uns beleidigend und
widerlich.

Das Dessert war aufgetragen, und ich fürchtete, nun gehe es immer so
fort; unerwartet aber wandte sich meine Nachbarin ganz beruhigt zu mir
und sagte: "Den Syrakuser sollen die Pfaffen in Ruhe verschlucken, es
gelingt mir doch nicht, einen zu Tode zu ärgern, nicht einmal, daß ich
ihnen den Appetit verderben könnte. Nun lassen Sie uns ein
vernünftiges Wort reden! Denn was war das wieder für ein Gespräch mit
Filangieri! Der gute Mann! er macht sich viel zu schaffen. Schon oft
habe ich ihm gesagt: "Wenn ihr neue Gesetze macht, so müssen wir uns
wieder neue Mühe geben, um auszusinnen, wie wir auch die zunächst
übertreten können; bei den alten haben wir es schon weg." Sehen Sie
nur einmal, wie schön Neapel ist; die Menschen leben seit so vielen
Jahren sorglos und vergnügt, und wenn von Zeit zu Zeit einmal einer
gehängt wird, so geht alles übrige seinen herrlichen Gang." Sie tat
mir hierauf den Vorschlag, ich solle nach Sorrent gehen, wo sie ein
großes Gut habe, ihr Haushofmeister werde mich mit den besten Fischen
und dem köstlichsten Milchkalbfleisch (mungana) herausfüttern. Die
Bergluft und die himmlische Aussicht sollten mich von aller
Philosophie kurieren, dann wollte sie selbst kommen, und von den
sämtlichen Runzeln, die ich ohnehin zu früh einreißen lasse, solle
keine Spur übrigbleiben, wir wollten zusammen ein recht lustiges Leben
führen.


Neapel, den 13. März 1787.

Auch heute schreib' ich einige Worte, damit ein Brief den andern
treibe. Es geht mir gut, doch seh' ich weniger, als ich sollte. Der
Ort inspiriert Nachlässigkeit und gemächlich Leben, indessen wird mir
das Bild der Stadt nach und nach runder.

Sonntag waren wir in Pompeji.--Es ist viel Unheil in der Welt
geschehen, aber wenig, das den Nachkommen so viel Freude gemacht hätte.
Ich weiß nicht leicht etwas Interessanteres. Die Häuser sind klein
und eng, aber alle inwendig aufs zierlichste gemalt. Das Stadttor
merkwürdig, mit den Gräbern gleich daran. Das Grab einer Priesterin
als Bank im Halbzirkel mit steinerner Lehne, daran die Inschrift mit
großen Buchstaben eingegraben. Über die Lehne hinaus sieht man das
Meer und die untergehende Sonne. Ein herrlicher Platz, des schönen
Gedankens wert.

Wir fanden gute, muntere neapolitanische Gesellschaft daselbst. Die
Menschen sind durchaus natürlich und leicht gesinnt. Wir aßen zu
Torre dell' Annunziata, zunächst des Meeres tafelnd. Der Tag war
höchst schön, die Aussicht nach Castell a Mare und Sorrent nah und
köstlich. Die Gesellschaft fühlte sich so recht an ihrem Wohnplatz,
einige meinten, es müsse ohne den Anblick des Meers doch gar nicht zu
leben sein. Mir ist schon genug, daß ich das Bild in der Seele habe,
und mag nun wohl gelegentlich wieder in das Bergland zurückkehren.

Glücklicherweise ist ein sehr treuer Landschaftsmaler hier, der das
Gefühl der freien und reichen Umgebung seinen Blättern mitteilt. Er
hat schon einiges für mich gearbeitet.

Die vesuvianischen Produkte hab' ich auch nun gut studiert; es wird
doch alles anders, wenn man es in Verbindung sieht. Eigentlich sollt'
ich den Rest meines Lebens auf Beobachtung wenden, ich würde manches
auffinden, was die menschlichen Kenntnisse vermehren dürfte. Herdern
bitte zu melden, daß meine botanischen Aufklärungen weiter und weiter
gehen; es ist immer dasselbe Prinzip, aber es gehörte ein Leben dazu,
um es durchzuführen. Vielleicht bin ich noch imstande, die
Hauptlinien zu ziehen.

Nun freu' ich mich auf das Museum von Portici. Man sieht es sonst
zuerst, wir werden es zuletzt sehen. Noch weiß ich nicht, wie es
weiter mit mir werden wird: alles will mich auf Ostern nach Rom zurück
haben. Ich will es ganz gehen lassen. Angelika hat aus meiner
"Iphigenie" ein Bild zu malen unternommen; der Gedanke ist sehr
glücklich, und sie wird ihn trefflich ausführen. Den Moment, da sich
Orest in der Nähe der Schwester und des Freundes wiederfindet. Das,
was die drei Personen hintereinander sprechen, hat sie in eine
gleichzeitige Gruppe gebracht und jene Worte in Gebärden verwandelt.
Man sieht auch hieran, wie zart sie fühlt und wie sie sich zuzueignen
weiß, was in ihr Fach gehört. Und es ist wirklich die Achse des
Stücks.

Lebt wohl und liebt mich! Hier sind mir die Menschen alle gut, wenn
sie auch nichts mit mir anzufangen wissen; Tischbein dagegen
befriedigt sie besser, er malt ihnen abends gleich einige Köpfe in
Lebensgröße vor, wobei und worüber sie sich wie Neuseeländer bei
Erblickung eines Kriegsschiffes gebärden. Hievon sogleich die lustige
Geschichte:

Tischbein hat nämlich die große Gabe, Götter--und Heldengestalten in
Lebensgröße und drüber mit der Feder zu umreißen. Er schraffiert
wenig hinein und legt mit einem breiten Pinsel den Schatten tüchtig an,
so daß der Kopf rund und erhaben dasteht. Die Beiwohnenden schauten
mit Verwunderung, wie das so leicht ablief, und freuten sich recht
herzlich darüber. Nun kam es ihnen in die Finger, auch so malen zu
wollen; sie faßten die Pinsel und--malten sich Bärte wechselsweise und
besudelten sich die Gesichter. Ist darin nicht etwas Ursprüngliches
der Menschengattung? Und es war eine gebildete Gesellschaft in dem
Hause eines Mannes, der selbst recht wacker zeichnet und malt. Man
macht sich von diesem Geschlecht keine Begriffe, wenn man sie nicht
gesehen hat.


Caserta, Mittwoch, den 14. März.

Bei Hackert in seiner höchst behaglichen Wohnung, die ihm in dem alten
Schlosse gegönnt ist. Das neue, freilich ein ungeheurer Palast,
escurialartig, ins Viereck gebaut, mit mehrern Höfen; königlich genug.
Die Lage außerordentlich schön auf der fruchtbarsten Ebene von der
Welt, und doch erstrecken sich die Gartenanlagen bis ans Gebirge. Da
führt nun ein Aquädukt einen ganzen Strom heran, um Schloß und Gegend
zu tränken, und die ganze Wassermasse kann, auf künstlich angelegte
Felsen geworfen, zur herrlichsten Kaskade gebildet werden. Die
Gartenanlagen sind schön und gehören recht in eine Gegend, welche ganz
Garten ist.

Das Schloß, wahrhaft königlich, schien mir nicht genug belebt, und
unsereinem können die ungeheuern leeren Räume nicht behaglich
vorkommen. Der König mag ein ähnliches Gefühl haben, denn es ist im
Gebirge für eine Anlage gesorgt, die, enger an den Menschen sich
anschließend, zur Jagd--und Lebenslust geeignet ist.




Caserta, Donnerstag, den 15. März.

Hackert wohnt im alten Schlosse gar behaglich, es ist räumlich genug
für ihn und Gäste. Immerfort beschäftigt mit Zeichnen oder Malen,
bleibt er doch gesellig und weiß die Menschen an sich zu ziehen, indem
er einen jeden zu seinem Schüler macht. Auch mich hat er ganz
gewonnen, indem er mit meiner Schwäche Geduld hat, vor allen Dingen
auf Bestimmtheit der Zeichnung, sodann auf Sicherheit und Klarheit der
Haltung dringt. Drei Tinten stehen, wenn er tuscht, immer bereit, und
indem er von hinten hervorarbeitet und eine nach der andern braucht,
so entsteht ein Bild, man weiß nicht, woher es kommt. Wenn es nur so
leicht auszuführen wäre, als es aussieht. Er sagte zu mir mit seiner
gewöhnlichen bestimmten Aufrichtigkeit: "Sie haben Anlage, aber Sie
können nichts machen. Bleiben Sie achtzehn Monat bei mir, so sollen
Sie etwas hervorbringen, was Ihnen und andern Freude macht."--Ist das
nicht ein Text, über den man allen Dilettanten eine ewige Predigt
halten sollte? Was sie mir fruchtet, wollen wir erleben.

Von dem besondern Vertrauen, womit ihn die Königin beehrt, zeugt nicht
allein, daß er den Prinzessinnen praktischen Unterricht gibt, sondern
vorzüglich, daß er über Kunst und was daran grenzt abends öfters zu
belehrender Unterhaltung gerufen wird. Er legt dabei Sulzers
Wörterbuch zum Grunde, woraus er nach Belieben und überzeugung einen
oder den andern Artikel wählt.

Ich mußte das billigen und dabei über mich selbst lächeln. Welch ein
Unterschied ist nicht zwischen einem Menschen, der sich von innen aus
auferbauen, und einem, der auf die Welt wirken und sie zum
Hausgebrauch belehren will! Sulzers Theorie war mir wegen ihrer
falschen Grundmaxime immer verhaßt, und nun sah ich, daß dieses Werk
noch viel mehr enthielt, als die Leute brauchen. Die vielen
Kenntnisse, die hier mitgeteilt werden, die Denkart, in welcher ein so
wackrer Mann als Sulzer sich beruhigte, sollten die nicht für
Weltleute hinreichend sein?

Mehrere vergnügte und bedeutende Stunden brachten wir bei dem
Restaurator Andres zu, welcher, von Rom berufen, auch hier in dem
alten Schlosse wohnt und seine Arbeiten, für die sich der König
interessiert, emsig fortsetzt. Von seiner Gewandtheit, alte Bilder
wiederherzustellen, darf ich zu erzählen nicht anfangen, weil man
zugleich die schwere Aufgabe und die glückliche Lösung, womit sich
diese eigene Handwerkskunst beschäftigt, entwickeln müßte.


Caserta, den 16. März 1787.

Die lieben Briefe vom 19. Februar kommen heute mir zur Hand, und
gleich soll ein Wort dagegen abgehen. Wie gerne mag ich, an die
Freunde denkend, zur Besinnung kommen.

Neapel ist ein Paradies, jedermann lebt in einer Art von trunkner
Selbstvergessenheit. Mit geht es ebenso, ich erkenne mich kaum, ich
scheine mir ein ganz anderer Mensch. Gestern dacht' ich: "Entweder du
warst sonst toll, oder du bist es jetzt."

Die Reste des alten Capua und was sich daran knüpft, hab' ich nun von
hier aus auch besucht.

In dieser Gegend lernt man erst verstehen, was Vegetation ist und
warum man den Acker baut. Der Lein ist schon nah am Blühen und der
Weizen anderthalb Spannen hoch. Um Caserta das Land völlig eben, die
Acker so gleich und klar gearbeitet wie Gartenbeete. Alles mit
Pappeln besetzt, an denen sich die Rebe hinaufschlingt, und ungeachtet
solcher Beschattung trägt der Boden noch die vollkommenste Frucht.
Wenn nun erst das Frühjahr mit Gewalt eintritt! Bisher haben wir bei
schöner Sonne sehr kalte Winde gehabt, das macht der Schnee in den
Bergen.

In vierzehn Tagen muß sich's entscheiden, ob ich nach Sizilien gehe.
Noch nie bin ich so sonderbar in einem Entschluß hin und her gebogen
worden. Heute kommt etwas, das mir die Reise anrät, morgen ein
Umstand, der sie abrät. Es streiten sich zwei Geister um mich.

Im Vertrauen zu den Freundinnen allein, nicht daß es die Freunde
vernehmen! Ich merke wohl, daß es meiner "Iphigenie" wunderlich
gegangen ist, man war die erste Form so gewohnt, man kannte die
Ausdrücke, die man sich bei öfterm Hören und Lesen zugeeignet hatte;
nun klingt das alles anders, und ich sehe wohl, daß im Grunde mir
niemand für die unendlichen Bemühungen dankt. So eine Arbeit wird
eigentlich nie fertig, man muß sie für fertig erklären, wenn man nach
Zeit und Umständen das möglichste getan hat.

Doch das soll mich nicht abschrecken, mit "Tasso" eine ähnliche
Operation vorzunehmen. Lieber würf' ich ihn ins Feuer, aber ich will
bei meinem Entschluß beharren, und da es einmal nicht anders ist, so
wollen wir ein wunderlich Werk daraus machen. Deshalb ist mir's ganz
angenehm, daß es mit dem Abdruck meiner Schriften so langsam geht.
Und dann ist es doch wieder gut, sich in einiger Ferne vom Setzer
bedroht zu sehen. Wunderlich genug, daß man zu der freisten Handlung
doch einige Nötigung erwartet, ja fordert.


Caserta, den 16. März 1787

Wenn man in Rom gern studieren mag, so will man hier nur leben; man
vergißt sich und die Welt, und für mich ist es eine wunderliche
Empfindung, nur mit genießenden Menschen umzugehen. Der Ritter
Hamilton, der noch immer als englischer Gesandter hier lebt, hat nun
nach so langer Kunstliebhaberei, nach so langem Naturstudium den
Gipfel aller Natur--und Kunstfreude in einem schönen Mädchen gefunden.
Er hat sie bei sich, eine Engländerin von etwa zwanzig Jahren. Sie
ist sehr schön und wohl gebaut. Er hat ihr ein griechisch Gewand
machen lassen, das sie trefflich kleidet, dazu löst sie ihre Haare auf,
nimmt ein paar Schals und macht eine Abwechslung von Stellungen,
Gebärden, Mienen etc., daß man zuletzt wirklich meint, man träume.
Man schaut, was so viele tausend Künstler gerne geleistet hätten, hier
ganz fertig in Bewegung und überraschender Abwechslung. Stehend,
knieend, sitzend, liegend, ernst, traurig, neckisch, ausschweifend,
bußfertig, lockend, drohend, ängstlich etc., eins folgt aufs andere
und aus dem andern. Sie weiß zu jedem Ausdruck die Falten des
Schleiers zu wählen, zu wechseln, und macht sich hundert Arten von
Kopfputz mit denselben Tüchern. Der alte Ritter hält das Licht dazu
und hat mit ganzer Seele sich diesem Gegenstand ergeben. Er findet in
ihr alle Antiken, alle schönen Profile der sizilianischen Münzen, ja
den Belvederschen Apoll selbst. So viel ist gewiß, der Spaß ist
einzig! Wir haben ihn schon zwei Abende genossen. Heute früh malt
sie Tischbein.

Vom Personal des Hofs und den Verhältnissen, was ich erfahren und
kombiniert, muß erst geprüft und geordnet werden. Heute ist der König
auf die Wolfsjagd, man hofft, wenigstens fünfe zu erlegen.


Neapel, zum 17. März.

Wenn ich Worte schreiben will, so stehen mir immer Bilder vor Augen
des fruchtbaren Landes, des freien Meeres, der duftigen Inseln, des
rauchenden Berges, und mir fehlen die Organe, das alles darzustellen.

Hierzulande begreift man erst, wie es dem Menschen einfallen konnte,
das Feld zu bauen, hier, wo der Acker alles bringt, und wo man drei
bis fünf Ernten des Jahres hoffen kann. In den besten Jahren will man
auf demselben Acker dreimal Mais gebaut haben.

Ich habe viel gesehen und noch mehr gedacht: die Welt eröffnet sich
mehr und mehr, auch alles, was ich schon lange weiß, wird mir erst
eigen. Welch ein früh wissendes und spät übendes Geschöpf ist doch
der Mensch!

Nur schade, daß ich nicht in jedem Augenblick meine Beobachtungen
mitteilen kann; zwar ist Tischbein mit mir, aber als Mensch und
Künstler wird er von tausend Gedanken hin und her getrieben, von
hundert Personen in Anspruch genommen. Seine Lage ist eigen und
wunderbar, er kann nicht freien Teil an eines andern Existenz nehmen,
weil er sein eignes Bestreben so eingeengt fühlt.

Und doch ist die Welt nur ein einfach Rad, in dem ganzen Umkreise sich
gleich und gleich, das uns aber so wunderlich vorkommt, weil wir
selbst mit herumgetrieben werden.

Was ich mir immer sagte, ist eingetroffen: daß ich so manche Phänomene
der Natur und manche Verworrenheiten der Meinungen erst in diesem
Lande verstehen und entwickeln lerne. Ich fasse von allen Seiten
zusammen und bringe viel zurück, auch gewiß viel Vaterlandsliebe und
Freude am Leben mit wenigen Freunden.

über meine sizilianische Reise halten die Götter noch die Waage in
Händen; das Zünglein schlägt herüber und hinüber.

Wer mag der Freund sein, den man mir so geheimnisvoll ankündigt? Daß
ich ihn nur nicht über meiner Irr--und Inselfahrt versäume!

Die Fregatte von Palermo ist wieder zurück, heut über acht Tage geht
sie abermals von hier ab; ob ich noch mitsegele, zur Karwoche nach Rom
zurückkehre, weiß ich nicht. Noch nie bin ich so unentschieden
gewesen; ein Augenblick, eine Kleinigkeit mag entscheiden.

Mit den Menschen geht mir es schon besser, man muß sie nur mit dem
Krämergewicht, keineswegs mit der Goldwaage wiegen, wie es leider
sogar oft Freunde untereinander aus hypochondrischer Grille und
seltsamer Anforderung zu tun pflegen.

Hier wissen die Menschen gar nichts voneinander, sie merken kaum, daß
sie nebeneinander hin und her laufen; sie rennen den ganzen Tag in
einem Paradiese hin und wider, ohne sich viel umzusehen, und wenn der
benachbarte Höllenschlund zu toben anfängt, hilft man sich mit dem
Blute des heiligen Januarius, wie sich die übrige Welt gegen Tod und
Teufel auch wohl mit--Blute hilft oder helfen möchte.

Zwischen einer so unzählbaren und rastlos bewegten Menge durchzugehen,
ist gar merkwürdig und heilsam. Wie alles durcheinander strömt und
doch jeder einzelne Weg und Ziel findet. In so großer Gesellschaft
und Bewegung fühl' ich mich erst recht still und einsam; je mehr die
Straßen toben, desto ruhiger werd' ich.

Manchmal gedenke ich Rousseaus und seines hypochondrischen Jammers,
und doch wird mir begreiflich, wie eine so schöne Organisation
verschoben werden konnte. Fühlt' ich nicht solchen Anteil an den
natürlichen Dingen und säh' ich nicht, daß in der scheinbaren
Verwirrung hundert Beobachtungen sich vergleichen und ordnen lassen,
wie der Feldmesser mit einer durchgezogenen Linie viele einzelne
Messungen probiert, ich hielte mich oft selbst für toll.


Neapel, den 18. März 1787.

Nun durften wir nicht länger säumen, Herkulanum und die ausgegrabene
Sammlung in Portici zu sehen. Jene alte Stadt, am Fuße des Vesuvs
liegend, war vollkommen mit Lava bedeckt, die sich durch nachfolgende
Ausbrüche erhöhte, so daß die Gebäude jetzt sechzig Fuß unter der Erde
liegen. Man entdeckte sie, indem man einen Brunnen grub und auf
getäfelte Marmorfußböden traf. Jammerschade, daß die Ausgrabung nicht
durch deutsche Bergleute recht planmäßig geschehen; denn gewiß ist bei
einem zufällig räuberischen Nachwühlen manches edle Altertum vergeudet
worden. Man steigt sechzig Stufen hinunter in eine Gruft, wo man das
ehmals unter freiem Himmel stehende Theater bei Fackelschein anstaunt
und sich erzählen läßt, was alles da gefunden und hinaufgeschafft
worden.

In das Museum traten wir wohl empfohlen und wohl empfangen. Doch war
auch uns irgend etwas aufzuzeichnen nicht erlaubt. Vielleicht gaben
wir nur desto besser acht und versetzten uns desto lebhafter in die
verschwundene Zeit, wo alle diese Dinge zu lebendigem Gebrauch und
Genuß um die Eigentümer umherstanden. Jene kleinen Häuser und Zimmer
in Pompeji erschienen mir nun zugleich enger und weiter; enger, weil
ich sie mir von so viel würdigen Gegenständen vollgedrängt dachte,
weiter, weil gerade diese Gegenstände nicht bloß als notdürftig
vorhanden, sondern durch bildende Kunst aufs geistreichste und
anmutigste verziert und belebt den Sinn erfreuen und erweitern, wie es
die größte Hausgeräumigkeit nicht tun könnte.

Man sieht z. B. einen herrlich geformten Eimer, oben mit dem
zierlichsten Rande, näher beschaut schlägt sich dieser Rand von zwei
Seiten in die Höhe, man faßt die verbundenen Halbkreise als Handhabe
und trägt das Gefäß auf das bequemste. Die Lampen sind nach Anzahl
ihrer Dochte mit Masken und Rankenwerk verziert, so daß jede Flamme
ein wirkliches Kunstgebilde erleuchtet. Hohe, schlanke, eherne
Gestelle sind bestimmt, die Lampen zu tragen, aufzuhängende Lampen
hingegen mit allerlei geistreich gedachten Figuren behängt, welche die
Absicht, zu gefallen und zu ergötzen, sobald sie schaukeln und baumeln,
sogar übertreffen.

In Hoffnung, wiederzukehren, folgten wir den Vorzeigenden von Zimmer
zu Zimmer und haschten, wie es der Moment erlaubte, Ergötzung und
Belehrung weg, so gut es sich schicken wollte.




Neapel, Montag, den 19. März 1787.

In den letzten Tagen hat sich ein neues Verhältnis näher angeknüpft.
Nachdem in diesen vier Wochen Tischbein mir sein treues Geleit durch
Natur--und Kunstgegenstände förderlich geleistet und wir gestern noch
zusammen in Portici gewesen, ergab sich aus wechselseitiger
Betrachtung, daß seine Kunstzwecke sowohl als diejenigen Geschäfte,
die er, eine künftige Anstellung in Neapel hoffend, in der Stadt und
bei Hofe zu betreiben pflichtig ist, mit meinen Absichten, Wünschen
und Liebhabereien nicht zu verbinden seien. Er schlug mir daher,
immer für mich besorgt, einen jungen Mann vor als beständigen
Gesellschafter, den ich seit den ersten Tagen öfter sah, nicht ohne
Teilnahme und Neigung. Es ist Kniep, der sich eine Zeitlang in Rom
aufgehalten, sodann sich aber nach Neapel, in das eigentlichste
Element des Landschafters, begeben hatte. Schon in Rom hörte ich ihn
als einen geschickten Zeichner preisen, nur seiner Tätigkeit wollte
man nicht gleiches Lob erteilen. Ich habe ihn schon ziemlich kennen
gelernt und möchte diesen gerügten Mangel eher Unentschlossenheit
nennen, die gewiß zu überwinden ist, wenn wir eine Zeitlang beisammen
sind. Ein glücklicher Anfang bestätigt mir diese Hoffnung, und wenn
es mir nach geht, sollen wir auf geraume Zeit gute Gesellen bleiben.




Kniep in Neapel. Zeichnung von Tischbein


Neapel, zum 19. März.

Man darf nur auf der Straße wandeln und Augen haben, man sieht die
unnachahmlichsten Bilder.

Am Molo, einer Hauptlärmecke der Stadt, sah ich gestern einen
Pulcinell, der sich auf einem Brettergerüste mit einem kleinen Affen
stritt, drüber einen Balkon, auf dem ein recht artiges Mädchen ihre
Reize feilbot. Neben dem Affengerüste ein Wunderdoktor, der seine
Arkana gegen alle übel den bedrängten Gläubigen darbot; von Gerhard
Dow gemalt, hätte solch ein Bild verdient, Zeitgenossen und Nachwelt
zu ergötzen.

So war auch heute Fest des heiligen Josephs; er ist der Patron aller
Frittaruolen, d. h. Gebacknesmacher, versteht sich Gebacknes im
gröbsten Sinne. Weil nun immerfort starke Flammen unter schwarzem und
siedendem öl hervorschlagen, so gehört auch alle Feuerqual in ihr Fach;
deswegen hatten sie gestern abend vor den Häusern mit Gemälden zum
besten aufgeputzt: Seelen im Fegfeuer, Jüngste Gerichte glühten und
flammten umher. Große Pfannen standen vor der Türe auf leicht
gebauten Herden. Ein Gesell wirkte den Teig, ein anderer formte, zog
ihn zu Kringlen und warf sie in die siedende Fettigkeit. An der
Pfanne stand ein dritter, mit einem kleinen Bratspieße, er holte die
Kringlen, wie sie gar wurden, heraus, schob sie einem vierten auf ein
ander Spießchen, der sie den Umstehenden anbot; die beiden letzten
waren junge Burschen mit blonden und lockenreichen Perücken, welches
hier Engel bedeutet. Noch einige Figuren vollendeten die Gruppe,
reichten Wein den Beschäftigten, tranken selbst und schrieen, die Ware
zu loben; auch die Engel, die Köche, alle schrieen. Das Volk drängte
sich herzu; denn alles Gebackene wird diesen Abend wohlfeiler gegeben
und sogar ein Teil der Einnahme den Armen.

Dergleichen könnte man endlos erzählen; so geht es mit jedem Tage,
immer etwas Neues und Tolleres, nur die Mannigfaltigkeit von Kleidern,
die einem auf der Straße begegnet, die Menge Menschen in der einzigen
Straße Toledo!

Und so gibt es noch manche originale Unterhaltung, wenn man mit dem
Volke lebt; es ist so natürlich, daß man mit ihm natürlich werden
könnte. Da ist z. B. der Pulcinell, die eigentliche Nationalmaske,
der Harlekin, aus Bergamo, Hanswurst, aus Tirol gebürtig. Pulcinell
nun, ein wahrhaft gelassener, ruhiger, bis auf einen gewissen Grad
gleichgültiger, beinahe fauler und doch humoristischer Knecht. Und so
findet man überall Kellner und Hausknecht. Mit dem unsrigen macht'
ich mir heute eine besondere Lust, und es war weiter nichts, als daß
ich ihn schickte, Papier und Federn zu holen. Halber Mißverstand,
Zaudern, guter Wille und Schalkheit brachte die anmutigste Szene
hervor, die man auf jedem Theater mit Glück produzieren könnte.


Neapel, Dienstag, den 20. März 1787.

Die Kunde einer soeben ausbrechenden Lava, die, für Neapel unsichtbar,
nach Ottajano hinunterfließt, reizte mich, zum dritten Male den Vesuv
zu besuchen. Kaum war ich am Fuße desselben aus meinem zweirädrigen,
einpferdigen Fuhrwerk gesprungen, so zeigten sich schon jene beiden
Führer, die uns früher hinaufbegleitet hatten. Ich wollte keinen
missen und nahm den einen aus Gewohnheit und Dankbarkeit, den andern
aus Vertrauen, beide der mehreren Bequemlichkeit wegen mit mir.

Auf die Höhe gelangt, blieb der eine bei den Mänteln und Viktualien,
der jüngere folgte mir, und wir gingen mutig auf einen ungeheuren
Dampf los, der unterhalb des Kegelschlundes aus dem Berge brach;
sodann schritten wir an dessen Seite her gelind hinabwärts, bis wir
endlich unter klarem Himmel aus dem wilden Dampfgewölke die Lava
hervorquellen sahen.

Man habe auch tausendmal von einem Gegenstande gehört, das
Eigentümliche desselben spricht nur zu uns aus dem unmittelbaren
Anschauen. Die Lava war schmal, vielleicht nicht breiter als zehn Fuß,
allein die Art, wie sie eine sanfte, ziemlich ebene Fläche hinabfloß,
war auffallend genug; denn indem sie während des Fortfließens an den
Seiten und an der Oberfläche verkühlt, so bildet sich ein Kanal, der
sich immer erhöht, weil das geschmolzene Material auch unterhalb des
Feuerstroms erstarrt, welcher die auf der Oberfläche schwimmenden
Schlacken rechts und links gleichförmig hinunterwirft, wodurch sich
denn nach und nach ein Damm erhöht, auf welchem der Glutstrom ruhig
fortfließt wie ein Mühlbach. Wir gingen neben dem ansehnlich erhöhten
Damme her, die Schlacken rollten regelmäßig an den Seiten herunter bis
zu unsern Füßen. Durch einige Lücken des Kanals konnten wir den
Glutstrom von unten sehen und, wie er weiter hinabfloß, ihn von oben
beobachten.

Durch die hellste Sonne erschien die Glut verdüstert, nur ein mäßiger
Rauch stieg in die reine Luft. Ich hatte Verlangen, mich dem Punkte
zu nähern, wo sie aus dem Berge bricht; dort sollte sie, wie mein
Führer versicherte, sogleich Gewölb und Dach über sich her bilden, auf
welchem er öfters gestanden habe. Auch dieses zu sehen und zu
erfahren, stiegen wir den Berg wieder hinauf, um jenem Punkte von
hintenher beizukommen. Glücklicherweise fanden wir die Stelle durch
einen lebhaften Windzug entblößt, freilich nicht ganz, denn ringsum
qualmte der Dampf aus tausend Ritzen, und nun standen wir wirklich auf
der breiartig gewundenen, erstarrten Decke, die sich aber so weit
vorwärts erstreckte, daß wir die Lava nicht konnten herausquellen
sehen.

Wir versuchten noch ein paar Dutzend Schritte, aber der Boden ward
immer glühender; sonneverfinsternd und erstickend wirbelte ein
unüberwindlicher Qualm. Der vorausgegangene Führer kehrte bald um,
ergriff mich, und wir entwanden uns diesem Höllenbrudel.

Nachdem wir die Augen an der Aussicht, Gaumen und Brust aber am Weine
gelabt, gingen wir umher, noch andere Zufälligkeiten dieses mitten im
Paradies aufgetürmten Höllengipfels zu beobachten. Einige Schlünde,
die als vulkanische Essen keinen Rauch, aber eine glühende Luft
fortwährend gewaltsam ausstoßen, betrachtete ich wieder mit
Aufmerksamkeit. Ich sah sie durchaus mit einem tropfsteinartigen
Material tapeziert, welches zitzen--und zapfenartig die Schlünde bis
oben bekleidete. Bei der Ungleichheit der Essen fanden sich mehrere
dieser herabhängenden Dunstprodukte ziemlich zur Hand, so daß wir sie
mit unsern Stäben und einigen hakenartigen Vorrichtungen gar wohl
gewinnen konnten. Bei dem Lavahändler hatte ich schon dergleichen
Exemplare unter der Rubrik der wirklichen Laven gefunden, und ich
freute mich, entdeckt zu haben, daß es vulkanischer Ruß sei, abgesetzt
aus den heißen Schwaden, die darin enthaltenen verflüchtigten
mineralischen Teile offenbarend.

Der herrlichste Sonnenuntergang, ein himmlischer Abend erquickten mich
auf meiner Rückkehr; doch konnte ich empfinden, wie sinneverwirrend
ein ungeheurer Gegensatz sich erweise. Das Schreckliche zum Schönen,
das Schöne zum Schrecklichen, beides hebt einander auf und bringt eine
gleichgültige Empfindung hervor. Gewiß wäre der Neapolitaner ein
anderer Mensch, wenn er sich nicht zwischen Gott und Satan eingeklemmt
fühlte.


Neapel, den 22. März 1787.

Triebe mich nicht die deutsche Sinnesart und das Verlangen, mehr zu
lernen und zu tun als zu genießen, so sollte ich in dieser Schule des
leichten und lustigen Lebens noch einige Zeit verweilen und mehr zu
profitieren suchen. Es ist hier gar vergnüglich sein, wenn man sich
nur ein klein wenig einrichten könnte. Die Lage der Stadt, die Milde
des Klimas kann nie genug gerühmt werden, aber darauf ist auch der
Fremde fast allein angewiesen.

Freilich wer sich Zeit nimmt, Geschick und Vermögen hat, kann sich
auch hier breit und gut niederlassen. So hat sich Hamilton eine
schöne Existenz gemacht und genießt sie nun am Abend seines Lebens.
Die Zimmer, die er sich in englischem Geschmack einrichtete, sind
allerliebst, und die Aussicht aus dem Eckzimmer vielleicht einzig.
Unter uns das Meer, im Angesicht Capri, rechts der Posilipo, näher der
Spaziergang Villa Reale, links ein altes Jesuitengebäude, weiterhin
die Küste von Sorrent bis ans Kap Minerva. Dergleichen möcht' es wohl
in Europa schwerlich zum zweiten Male geben, wenigstens nicht im
Mittelpunkte einer großen, bevölkerten Stadt.

Hamilton ist ein Mann von allgemeinem Geschmack und, nachdem er alle
Reiche der Schöpfung durchwandert, an ein schönes Weib, das
Meisterstück des großen Künstlers, gelangt.

Und nun nach allem diesem und hundertfältigem Genuß locken mich die
Sirenen jenseits des Meeres, und wenn der Wind gut ist, geh' ich mit
diesem Briefe zugleich ab, er nordwärts, ich südwärts. Des Menschen
Sinn ist unbändig, ich besonders bedarf der Weite gar sehr. Nicht
sowohl das Beharren als ein schnelles Auffassen muß jetzt mein
Augenmerk sein. Hab' ich einem Gegenstande nur die Spitze des Fingers
abgewonnen, so kann ich mir die ganze Hand durch Hören und Denken wohl
zueignen.

Seltsamerweise erinnert mich ein Freund in diesen Tagen an "Wilhelm
Meister" und verlangt dessen Fortsetzung; unter diesem Himmel möchte
sie wohl nicht möglich sein, vielleicht läßt sich von dieser
Himmelsluft den letzten Büchern etwas mitteilen. Möge meine Existenz
sich dazu genugsam entwickeln, der Stengel mehr in die Länge rücken
und die Blumen reicher und schöner hervorbrechen. Gewiß, es wäre
besser ich käme gar nicht wieder, wenn ich nicht wiedergeboren
zurückkommen kann.


Neapel, zum 22. März.

Heute sahen wir ein Bild von Correggio, das verkäuflich ist, zwar
nicht vollkommen erhalten, das aber doch das glücklichste Gepräg des
Reizes unausgelöscht mit sich führt. Es stellt eine Mutter Gottes vor,
das Kind in dem Augenblicke, da es zwischen der Mutter Brust und
einigen Birnen, die ihm ein Engelchen darreicht, zweifelhaft ist.
Also eine "Entwöhnung Christi". Mir scheint die Idee äußerst zart,
die Komposition bewegt, natürlich und glücklich, höchst reizend
ausgeführt. Es erinnert sogleich an das "Verlöbnis der heiligen
Katharina" und scheint mir unbezweifelt von Correggios Hand.


Neapel, Freitag, den 23. März 1787.

Nun hat sich das Verhältnis zu Kniep auf eine recht praktische Weise
ausgebildet und befestigt. Wir waren zusammen in Pästum, woselbst er,
so wie auf der Hin--und Herreise, mit Zeichnen sich auf das tätigste
erwies. Die herrlichsten Umrisse sind gewonnen, ihn freut nun selbst
dieses bewegte, arbeitsame Leben, wodurch ein Talent aufgeregt wird,
das er sich selbst kaum zutraute. Hier gilt es resolut sein; aber
gerade hier zeigt sich seine genaue und reinliche Fertigkeit. Das
Papier, worauf gezeichnet werden soll, mit einem rechtwinkligen
Viereck zu umziehen, versäumt er niemals, die besten englischen
Bleistifte zu spitzen und immer wieder zu spitzen, ist ihm fast eine
ebenso große Lust als zu zeichnen; dafür sind aber auch seine Konture,
was man wünschen kann.



Paestum. Kupferstich nach Chatelet

Nun haben wir folgendes verabredet. Von heute an leben und reisen wir
zusammen, ohne daß er weiter für etwas sorgt als zu zeichnen, wie
diese Tage geschehen. Alle Konture gehören mein, damit aber nach
unserer Rückkehr daraus ein ferneres Wirken für ihn entspringe, so
führt er eine Anzahl auszuwählender Gegenstände bis auf eine gewisse
bestimmte Summe für mich aus; da sich denn indessen bei seiner
Geschicklichkeit, bei der Bedeutsamkeit der zu erobernden Aussichten
und sonst wohl das Weitere ergeben wird. Diese Einrichtung macht mich
ganz glücklich, und jetzt erst kann ich von unserer Fahrt kurze
Rechenschaft geben.

Auf dem zweirädrigen leichten Fuhrwerk sitzend und wechselsweise die
Zügel führend, einen gutmütigen rohen Knaben hintenauf, rollten wir
durch die herrliche Gegend, welche Kniep mit malerischem Auge begrüßte.
Nun erreichten wir die Gebirgsschlucht, die man auf dem glattesten
Fahrdamme durchrennend, an den köstlichsten Wald--und Felspartien
vorbeifliegt. Da konnte denn Kniep zuletzt sich nicht enthalten, in
der Gegend von Alla Cava einen prächtigen Berg, welcher sich gerade
vor uns scharf am Himmel abzeichnete, nicht weniger die Seiten sowie
den Fuß dieser Höhe reinlich und charakteristisch im Umriß aufs Papier
zu befestigen. Wir freuten uns beide daran als an dem Einstand
unserer Verbindung.

Ein gleicher Umriß ward abends aus den Fenstern von Salern genommen,
welcher mich aller Beschreibung überheben wird, einer ganz einzig
lieblichen und fruchtbaren Gegend. Wer wäre nicht geneigt gewesen, an
diesem Orte zu studieren, zur schönen Zeit der blühenden hohen Schule?
Beim frühsten Morgen fuhren wir auf ungebahnten, oft morastigen Wegen
einem Paar schön geformten Bergen zu, wir kamen durch Bach und
Gewässer, wo wir den nilpferdischen Büffeln in die blutroten wilden
Augen sahen.


 


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