Italienische Reise-Teil 1
by
Johann Wolfgang Goethe

Part 6 out of 7



wechselsweise, dazwischen das Allium, Galegagesträuche. Und durch
diesen bunten Teppich wand man sich reitend hindurch, denen sich
kreuzenden unzähligen schmalen Pfaden nachfolgend. Dazwischen weidet
schönes rotbraunes Vieh, nicht groß, sehr nett gebaut, besonders
zierliche Gestalt der kleinen Hörner.

Die Gebirge in Nordost stehen alle reihenweis, ein einziger Gipfel,
Cuniglione, ragt aus der Mitte hervor. Die Kieshügel zeigen wenig
Wasser, auch müssen wenig Regengüsse hier niedergehen, man findet
keine Wasserrisse, noch sonst Verschwemmtes.

In der Nacht begegnete mir ein eignes Abenteuer. Wir hatten uns in
einem freilich nicht sehr zierlichen Lokal sehr müde auf die Betten
geworfen, zu Mitternacht wach' ich auf und erblicke über mir die
angenehmste Erscheinung--einen Stern, so schön, als ich ihn nie
glaubte gesehen zu haben. Ich erquicke mich an dem lieblichen, alles
Gute weissagenden Anblick, bald aber verschwindet mein holdes Licht
und läßt mich in der Finsternis allein. Bei Tagesanbruch bemerkte ich
erst die Veranlassung dieses Wunders; es war eine Lücke im Dach, und
einer der schönsten Sterne des Himmels war in jenem Augenblick durch
meinen Meridian gegangen. Dieses natürliche Ereignis jedoch legten
die Reisenden mit Sicherheit zu ihren Gunsten aus.


Sciacca, den 22. April 1787.

Der Weg hieher, mineralogisch uninteressant, geht immerfort über
Kieshügel. Man gelangt ans Ufer des Meers, dort ragen mitunter
Kalkfelsen hervor. Alles flache Erdreich unendlich fruchtbar, Gerste
und Hafer von dem schönsten Stande; Salsola Kali gepflanzt; die Aloen
haben schon höhere Fruchtstämme getrieben als gestern und ehegestern.
Die vielerlei Kleearten verließen uns nicht. Endlich kamen wir an ein
Wäldchen, buschig, die höheren Bäume nur einzeln; endlich auch
Pantoffelholz!


Girgenti, den 23. April. Abends.

Von Sciacca hieher starke Tagereise. Gleich vor genanntem Orte
betrachteten wir die Bäder; ein heißer Quell dringt aus dem Felsen mit
sehr starkem Schwefelgeruch, das Wasser schmeckt sehr salzig, aber
nicht faul. Sollte der Schwefeldunst nicht im Augenblick des
Hervorbrechens sich erzeugen? Etwas höher ist ein Brunnen, kühl, ohne
Geruch. Ganz oben liegt das Kloster, wo die Schwitzbäder sind, ein
starker Dampf steigt davon in die reine Luft.

Das Meer rollt hier nur Kalkgeschiebe, Quarz und Hornstein sind
abgeschnitten. Ich beobachtete die kleinen Flüsse; Calata Bellotta
und Macasoli bringen auch nur Kalkgeschiebe, Platani gelben Marmor und
Feuersteine, die ewigen Begleiter dieses edlern Kalkgesteins. Wenige
Stückchen Lava machten mich aufmerksam, allein ich vermute hier in der
Gegend nichts Vulkanisches, ich denke vielmehr, es sind Trümmer von
Mühlsteinen, oder zu welchem Gebrauch man solche Stücke aus der Ferne
geholt hat. Bei Monte allegro ist alles Gips: dichter Gips und
Fraueneis, ganze Felsen vor und zwischen dem Kalk. Die wunderliche
Felsenlage von Calata Bellotta!


Girgenti, Dienstag, den 24. April 1787

So ein herrlicher Frühlingsblick wie der heutige bei aufgehender Sonne
ward uns freilich nie durchs ganze Leben. Auf dem hohen, uralten
Burgraume liegt das neue Girgenti, in einem Umfang, groß genug, um
Einwohner zu fassen. Aus unsern Fenstern erblicken wir den weiten und
breiten sanften Abhang der ehemaligen Stadt, ganz von Gärten und
Weinbergen bedeckt, unter deren Grün man kaum eine Spur ehemaliger
großer bevölkerten Stadtquartiere vermuten dürfte. Nur gegen das
mittägige Ende dieser grünenden und blühenden Fläche sieht man den
Tempel der Konkordia hervorragen, in Osten die wenigen Trümmer des
Junotempels; die übrigen, mit den genannten in grader Linie gelegenen
Trümmer anderer heiliger Gebäude bemerkt das Auge nicht von oben,
sondern eilt weiter südwärts nach der Strandfläche, die sich noch eine
halbe Stunde bis gegen das Meer erstreckt. Versagt ward heute, uns in
jene so herrlich grünenden, blühenden, fruchtversprechenden Räume
zwischen Zweige und Ranken hinabzubegeben, denn unser Führer, ein
kleiner guter Weltgeistlicher, ersuchte uns, vor allen Dingen diesen
Tag der Stadt zu widmen.

Erst ließ er uns die ganz wohlgebauten Straßen beschauen, dann führte
er uns auf höhere Punkte, wo sich der Anblick durch größere Weite und
Breite noch mehr verherrlichte, sodann zum Kunstgenuß in die
Hauptkirche. Diese enthält einen wohlerhaltenen Sarkophag, zum Altar
gerettet: Hippolyt mit seinen Jagdgesellen und Pferden wird von der
Amme Phädras aufgehalten, die ihm ein Täfelchen zustellen will. Hier
war die Hauptabsicht, schöne Jünglinge darzustellen, deswegen auch die
Alte, ganz klein und zwergenhaft, als ein Nebenwerk, das nicht stören
soll, dazwischen gebildet ist. Mich dünkt, von halberhabener Arbeit
nichts Herrlichers gesehen zu haben, zugleich vollkommen erhalten. Es
soll mir einstweilen als ein Beispiel der anmutigsten Zeit
griechischer Kunst gelten.



Der Phädrasarkophag von Agrigent. Aquatinta von Houel

In frühere Epochen wurden wir zurückgeführt durch Betrachtung einer
köstlichen Vase von bedeutender Größe und vollkommener Erhaltung.
Ferner schienen sich manche Reste der Baukunst in der neuen Kirche hie
und da untergesteckt zu haben.

Da es hier keine Gasthöfe gibt, so hatte uns eine freundliche Familie
Platz gemacht und einen erhöhten Alkoven an einem großen Zimmer
eingeräumt. Ein grüner Vorhang trennte uns und unser Gepäck von den
Hausgliedern, welche in dem großen Zimmer Nudeln fabrizierten, und
zwar von der feinsten, weitesten und kleinsten Sorte, davon diejenigen
am teuersten bezahlt werden, die, nachdem sie erst in die Gestalt von
gliedslangen Stiften gebracht sind, noch von spitzen Mädchenfingern
einmal in sich selbst gedreht, eine schneckenhafte Gestalt annehmen.
Wir setzten uns zu den hübschen Kindern, ließen uns die Behandlung
erklären und vernahmen, daß sie aus dem besten und schwersten Weizen,
Grano forte genannt, fabriziert würden. Dabei kommt viel mehr
Handarbeit als Maschinen--und Formwesen vor. Und so hatten sie uns
denn auch das trefflichste Nudelgericht bereitet, bedauerten jedoch,
daß grade von der allervollkommensten Sorte, die außer Girgent, ja,
außer ihrem Hause nicht gefertigt werden könnte, nicht einmal ein
Gericht vorrätig sei. An Weiße und Zartheit schienen diese
ihresgleichen nicht zu haben.

Auch den ganzen Abend wußte unser Führer die Ungeduld zu besänftigen,
die uns hinabwärts trieb, indem er uns abermals auf die Höhe zu
herrlichen Aussichtspunkten führte und uns dabei die übersicht der
Lage gab alle der Merkwürdigkeiten, die wir morgen in der Nähe sehen
sollten.


Girgenti, Mittwoch, den 25. April 1787

Mit Sonnenaufgang wandelten wir nun hinunter, wo sich bei jedem
Schritt die Umgebung malerischer anließ. Mt dem Bewußtsein, daß es zu
unserm Besten gereiche, führte uns der kleine Mann unaufhaltsam quer
durch die reiche Vegetation an tausend Einzelheiten vorüber, wovon
jede das Lokal zu idyllischen Szenen darbot. Hierzu trägt die
Ungleichheit des Bodens gar vieles bei, der sich wellenförmig über
verborgene Ruinen hinbewegt, die um so eher mit fruchtbarer Erde
überdeckt werden konnten, als die vormaligen Gebäude aus einem
leichten Muscheltuff bestanden. Und so gelangten wir an das östliche
Ende der Stadt, wo die Trümmer des Junotempels jährlich mehr verfallen,
weil eben der lockre Stein von Luft und Witterung aufgezehrt wird.
Heute sollte nur eine kursorische Beschauung angestellt werden, aber
schon wählte sich Kniep die Punkte, von welchen aus er morgen zeichnen
wollte.

Der Tempel steht gegenwärtig auf einem verwitterten Felsen; von hier
aus erstreckten sich die Stadtmauern gerade ostwärts auf einem
Kalklager hin, welches senkrecht über dem flachen Strande, den das
Meer früher und später, nachdem es diese Felsen gebildet und ihren Fuß
bespült, verlassen hatte. Teils aus den Felsen gehauen, teils aus
denselben erbaut waren die Mauern, hinter welchen die Reihe der Tempel
hervorragte. Kein Wunder also, daß der untere, der aufsteigende und
der höchste Teil von Girgenti zusammen von dem Meere her einen
bedeutenden Anblick gewährte.

Der Tempel der Konkordia hat so vielen Jahrhunderten widerstanden;
seine schlanke Baukunst nähert ihn schon unserm Maßstabe des Schönen
und Gefälligen, er verhält sich zu denen von Pästum wie Göttergestalt
zum Riesenbilde. Ich will mich nicht beklagen, daß der neuere
löbliche Vorsatz, diese Monumente zu erhalten, geschmacklos ausgeführt
worden, indem man die Lücken mit blendend weißem Gips ausbesserte;
dadurch steht dieses Monument auch auf gewisse Weise zertrümmert vor
dem Auge; wie leicht wäre es gewesen, dem Gips die Farbe des
verwitterten Steins zu geben! Sieht man freilich den so leicht sich
bröckelnden Muschelkalk der Säulen und Mauern, so wundert man sich daß
er noch so lange gehalten. Aber die Erbauer, hoffend auf eine
ähnliche Nachkommenschaft, hatten deshalb Vorkehrung getroffen: man
findet noch überreste eines feinen Tünchs an den Säulen, der zugleich
dem Auge schmeicheln und die Dauer verbergen sollte.



Gebälkfragment vom Zeustempel in Agrigent (Girgenti). Gouache von
Houel

Die nächste Station ward Godann bei den Ruinen des Jupitertempels
gehalten. Dieser liegt weit gestreckt, wie die Knochenmasse eines
Riesengerippes inner--und unterhalb mehrerer kleinen Besitzungen, von
Zäunen durchschnitten, von höhern und niedern Pflanzen durchwachsen.
Alles Gebildete ist aus diesen Schutthaufen verschwunden außer einem
ungeheueren Triglyph und einem Stück einer demselben proportionierten
Halbsäule. Jenen maß ich mit ausgespannten Armen und konnte ihn nicht
erklaftern, von der Kannelierung der Säule hingegen kann dies einen
Begriff geben, daß ich, darin stehend, dieselbe als eine kleine Nische
ausfüllte, mit beiden Schultern anstoßend. Zweiundzwanzig Männer, im
Kreise nebeneinander gestellt, würden ungefähr die Peripherie einer
solchen Säule bilden. Wir schieden mit dem unangenehmen Gefühle, daß
hier für den Zeichner gar nichts zu tun sei.

Der Tempel des Herkules hingegen ließ noch Spuren vormaliger Symmetrie
entdecken. Die zwei Säulenreihen, die den Tempel hüben und drüben
begleiteten, lagen in gleicher Richtung wie auf einmal zusammen
hingelegt, von Norden nach Süden; jene einen Hügel hinaufwärts, diese
hinabwärts. Der Hügel mochte aus der zerfallenen Zelle entstanden
sein. Die Säulen, wahrscheinlich durch das Gebälk zusammengehalten,
stürzten auf einmal, vielleicht durch Sturmwut niedergestreckt, und
sie liegen noch regelmäßig, in die Stücke, aus denen sie
zusammengesetzt waren, zerfallen. Dieses merkwürdige Vorkommen genau
zu zeichnen, spitzte Kniep schon in Gedanken seine Stifte.

Der Tempel des äskulap, von dem schönsten Johannisbrotbaum beschattet
und in ein kleines feldwirtschaftliches Haus beinahe eingemauert,
bietet ein freundliches Bild.

Nun stiegen wir zum Grabmal Therons hinab und erfreuten uns der
Gegenwart dieses so oft nachgebildet gesehenen Monuments, besonders da
es uns zum Vordergrunde diente einer wundersamen Ansicht; denn man
schaute von Westen nach Osten an dem Felslager hin, auf welchem die
lückenhaften Stadtmauern sowie durch sie und über ihnen die Reste der
Tempel zu sehen waren. Unter Hackerts kunstreicher Hand ist diese
Ansicht zum erfreulichen Bilde geworden; Kniep wird einen Umriß auch
hier nicht fehlen lassen.




Girgenti, Donnerstag, den 26. April 1787.

Als ich erwachte, war Kniep schon bereit, mit einem Knaben, der ihm
den Weg zeigen und die Pappen tragen sollte, seine zeichnerische Reise
anzutreten. Ich genoß des herrlichsten Morgens am Fenster, meinen
geheimen, stillen, aber nicht stummen Freund an der Seite. Aus
frommer Scheu habe ich bisher den Namen nicht genannt des Mentors, auf
den ich von Zeit zu Zeit hinblicke und hinhorche; es ist der
treffliche von Riedesel, dessen Büchlein ich wie ein Brevier oder
Talisman am Busen trage. Sehr gern habe ich mich immer in solchen
Wesen bespiegelt, die das besitzen, was mir abgeht, und so ist es
grade hier: ruhiger Vorsatz, Sicherheit des Zwecks, reinliche,
schickliche Mittel, Vorbereitung und Kenntnis, inniges Verhältnis zu
einem meisterhaft Belehrenden, zu Winckelmann; dies alles geht mir ab
und alles übrige, was daraus entspringt. Und doch kann ich mir nicht
feind sein, daß ich das zu erschleichen, zu erstürmen, zu erlisten
suche, was mir während meines Lebens auf dem gewöhnlichen Wege versagt
war. Möge jener treffliche Mann in diesem Augenblick mitten in dem
Weltgetümmel empfinden, wie ein dankbarer Nachfahr seine Verdienste
feiert, einsam in dem einsamen Orte, der auch für ihn so viel Reize
hatte, daß er sogar hier, vergessen von den Seinigen und ihrer
vergessend, seine Tage zuzubringen wünschte.

Nun durchzog ich die gestrigen Wege mit meinem kleinen geistlichen
Führer, die Gegenstände von mehrern Seiten betrachtend und meinen
fleißigen Freund hie und da besuchend.

Auf eine schöne Anstalt der alten mächtigen Stadt machte mich mein
Führer aufmerksam. In den Felsen und Gemäuermassen, welche Girgenti
zum Bollwerk dienten, finden sich Gräber, wahrscheinlich den Tapfern
und Guten zur Ruhestätte bestimmt. Wo konnten diese schöner, zu
eigener Glorie und zu ewig lebendiger Nacheiferung, beigesetzt werden!

In dem weiten Raume zwischen den Mauern und dem Meere finden sich noch
die Reste eines kleinen Tempels, als christliche Kapelle erhalten.
Auch hier sind Halbsäulen mit den Quaderstücken der Mauer aufs
schönste verbunden, und beides, ineinander gearbeitet, höchst
erfreulich dem Auge. Man glaubt genau den Punkt zu fühlen, wo die
dorische Ordnung ihr vollendetes Maß erhalten hat.

Manches unscheinbare Denkmal des Altertums ward obenhin angesehen,
sodann mit mehr Aufmerksamkeit die jetzige Art, den Weizen unter der
Erde in großen ausgemauerten Gewölben zu verwahren. Über den
bürgerlichen und kirchlichen Zustand erzählte mir der gute Alte gar
manches. Ich hörte von nichts, was nur einigermaßen in Aufnahme wäre.
Das Gespräch schickte sich recht gut zu den unaufhaltsam
verwitternden Trümmern.

Die Schichten des Muschelkalks fallen alle gegen das Meer. Wundersam
von unten und hinten ausgefressene Felsbänke, deren Oberes und
Vorderes sich teilweise erhalten, so daß sie wie herunterhängende
Fransen aussehen. Haß auf die Franzosen, weil sie mit den Barbaresken
Frieden haben und man ihnen schuld gibt, sie verrieten die Christen an
die Ungläubigen.

Vom Meere her war ein antikes Tor in Felsen gehauen. Die noch
bestehenden Mauern stufenweis auf den Felsen gegründet. Unser
Cicerone hieß Don Michael Vella, Antiquar, wohnhaft bei Meister Gerio
in der Nähe von St. Maria.

Die Puffbohnen zu pflanzen, verfahren sie folgendermaßen: Sie machen
in gehöriger Weite voneinander Löcher in die Erde, darein tun sie eine
Handvoll Mist, sie erwarten Regen, und dann stecken sie die Bohnen.
Das Bohnenstroh verbrennen sie, mit der daraus entstehenden Asche
waschen sie die Leinwand. Sie bedienen sich keiner Seife. Auch die
äußern Mandelschalen verbrennen sie und bedienen sich derselben statt
Soda. Erst waschen sie die Wäsche mit Wasser und dann mit solcher
Lauge.



Die Folge ihres Fruchtbaus ist Bohnen, Weizen, Tumenia, das vierte
Jahr lassen sie es zur Wiese liegen. Unter Bohnen werden hier die
Puffbohnen verstanden. Ihr Weizen ist unendlich schön. Tumenia,
deren Namen sich von "bimenia" oder "trimenia" herschreiben soll, ist
eine herrliche Gabe der Ceres: es ist eine Art von Sommerkorn, das in
drei Monaten reif wird. Sie säen es vom ersten Januar bis zum Juni,
wo es denn immer zur bestimmten Zeit reif ist. Sie braucht nicht viel
Regen, aber starke Wärme; anfangs hat sie ein sehr zartes Blatt, aber
sie wächst dem Weizen nach und macht sich zuletzt sehr stark. Das
Korn säen sie im Oktober und November, es reift im Juni. Die im
November gesäte Gerste ist den ersten Juni reif, an der Küste
schneller, in Gebirgen langsamer.



Der Lein ist schon reif. Der Akanth hat seine prächtigen Blätter
entfaltet. Salsola fruticosa wächst üppig.

Auf unbebauten Hügeln wächst reichlicher Esparsett. Er wird teilweis
verpachtet und bündelweis in die Stadt gebracht. Ebenso verkaufen sie
bündelweis den Hafer, den sie aus dem Weizen ausgäten.

Sie machen artige Einteilungen mit Rändchen in dem Erdreich, wo sie
Kohl pflanzen wollen, zum Behuf der Wässerung.

An den Feigen waren alle Blätter heraus, und die Früchte hatten
angesetzt. Sie werden zu Johanni reif, dann setzt der Baum noch
einmal an. Die Mandeln hingen sehr voll; ein gestutzter Karubenbaum
trug unendliche Schoten. Die Trauben zum Essen werden an Lauben
gezogen, durch hohe Pfeiler unterstützt. Melonen legen sie im März,
die im Juni reifen. In den Ruinen des Jupitertempels wachsen sie
munter ohne eine Spur von Feuchtigkeit.

Der Vetturin aß mit größtem Appetit rohe Artischocken und Kohlrabi;
freilich muß man gestehen, daß sie viel zärter und saftiger sind als
wie bei uns. Wenn man durch äcker kommt, so lassen die Bauern z. B.
junge Puffbohnen essen, soviel man will.

Als ich auf schwarze, feste Steine aufmerksam ward, die einer Lava
glichen, sagte mir der Antiquar, sie seien vom ätna, auch am Hafen
oder vielmehr Landungsplatz stünden solche.

Der Vögel gibt's hierzulande nicht viel: Wachteln. Die Zugvögel sind:
Nachtigallen, Lerchen und Schwalben. Rinnine, kleine schwarze Vögel,
die aus der Levante kommen, in Sizilien hecken und weiter gehen oder
zurück. Ridene, kommen im Dezember und Januar aus Afrika, fallen auf
dem Akragas nieder, und dann ziehen sie sich in die Berge.

Von der Vase des Doms noch ein Wort. Auf derselben steht ein Held in
völliger Rüstung gleichsam als Ankömmling vor einem sitzenden Alten,
der durch Kranz und Szepter als König bezeichnet ist. Hinter diesem
steht ein Weib, das Haupt gesenkt, die linke Hand unter dem Kinn;
aufmerksam nachdenkende Stellung. Gegenüber hinter dem Helden ein
Alter, gleichfalls bekränzt, er spricht mit einem spießtragenden Manne,
der von der Leibwache sein mag. Der Alte scheint den Helden
eingeführt zu haben und zu der Wache zu sagen: "Laßt ihn nur mit dem
König reden, es ist ein braver Mann."

Das Rote scheint der Grund dieser Vase, das Schwarze darauf gesetzt.
Nur an dem Frauengewande scheint Rot auf Schwarz zu sitzen.




Girgenti, Freitag, den 27. April 1787.

Wenn Kniep alle Vorsätze ausführen will, muß er unablässig zeichnen,
indes ich mit meinem alten kleinen Führer umherziehe. Wir spazierten
gegen das Meer, von woher sich Girgenti, wie uns die Alten versichern,
sehr gut ausgenommen habe. Der Blick ward in die Wellenweite gezogen,
und mein Führer machte mich aufmerksam auf einen langen Wolkenstreif,
der südwärts, einem Bergrücken gleich, auf der Horizontallinie
aufzuliegen schien: dies sei die Andeutung der Küste von Afrika, sagte
er. Mir fiel indes ein anderes Phänomen als seltsam auf; es war aus
leichtem Gewölk ein schmaler Bogen, welcher, mit dem einen Fuß auf
Sizilien aufstehend, sich hoch am blauen, übrigens ganz reinen Himmel
hinwölbte und mit dem andern Ende in Süden auf dem Meer zu ruhen
schien. Von der niedergehenden Sonne gar schön gefärbt und wenig
Bewegung zeigend, war er dem Auge eine so seltsame als erfreuliche
Erscheinung. Es stehe dieser Bogen, versicherte man mir, gerade in
der Richtung nach Malta und möge wohl auf dieser Insel seinen andern
Fuß niedergelassen haben, das Phänomen komme manchmal vor. Sonderbar
genug wäre es, wenn die Anziehungskraft der beiden Inseln
gegeneinander sich in der Atmosphäre auf diese Art kundtäte.

Durch dieses Gespräch ward bei mir die Frage wieder rege, ob ich den
Vorsatz, Malta zu besuchen, aufgeben sollte. Allein die schon früher
überdachten Schwierigkeiten und Gefahren blieben noch immer dieselben,
und wir nahmen uns vor, unsern Vetturin bis Messina zu dingen.

Dabei aber sollte wieder nach einer gewissen eigensinnigen Grille
gehandelt werden. Ich hatte nämlich auf dem bisherigen Wege in
Sizilien wenig kornreiche Gegenden gesehen, sodann war der Horizont
überall von nahen und fernen Bergen beschränkt, so daß es der Insel
ganz an Flächen zu fehlen schien und man nicht begriff, wie Ceres
dieses Land so vorzüglich begünstigt haben sollte. Als ich mich
darnach erkundigte, erwiderte man mir, daß ich, um dieses einzusehen,
statt über Syrakus, quer durchs Land gehen müsse, wo ich denn der
Weizenstriche genug antreffen würde. Wir folgten dieser Lockung,
Syrakus aufzugeben, indem uns nicht unbekannt war, daß von dieser
herrlichen Stadt wenig mehr als der prächtige Name geblieben sei.
Allenfalls war sie von Catania aus leicht zu besuchen.




Caltanisetta, Sonnabend, den 28. April 1787

Heute können wir denn endlich sagen, daß uns ein anschaulicher Begriff
geworden, wie Sizilien den Ehrennamen einer Kornkammer Italiens
erlangen können. Eine Strecke, nachdem wir Girgent verlassen, fing
der fruchtbare Boden an. Es sind keine großen Flächen, aber sanft
gegeneinander laufende Berg--und Hügelrücken, durchgängig mit Weizen
und Gerste bestellt, die eine ununterbrochene Masse von Fruchtbarkeit
dem Auge darbieten. Der diesen Pflanzen geeignete Boden wird so
genutzt und so geschont, daß man nirgends einen Baum sieht, ja, alle
die kleinen Ortschaften und Wohnungen liegen auf Rücken der Hügel, wo
eine hinstreichende Reihe Kalkfelsen den Boden ohnehin unbrauchbar
macht. Dort wohnen die Weiber das ganze Jahr, mit Spinnen und Weben
beschäftigt, die Männer hingegen bringen zur eigentlichen Epoche der
Feldarbeit nur Sonnabend und Sonntag bei ihnen zu, die übrigen Tage
bleiben sie unten und ziehen sich nachts in Rohrhütten zurück. Und so
war denn unser Wunsch bis zum überdruß erfüllt, wir hätten uns
Triptolems Flügelwagen gewünscht, um dieser Einförmigkeit zu
entfliehen.

Nun ritten wir bei heißem Sonnenschein durch diese wüste Fruchtbarkeit
und freuten uns, in dem wohlgelegenen und wohlgebauten Caltanisetta
zuletzt anzukommen, wo wir jedoch abermals vergeblich um eine
leidliche Herberge bemüht waren. Die Maultiere stehen in prächtig
gewölbten Ställen, die Knechte schlafen auf dem Klee, der den Tieren
bestimmt ist, der Fremde aber muß seine Haushaltung von vorn anfangen.
Ein allenfalls zu beziehendes Zimmer muß erst gereinigt werden.
Stühle und Bänke gibt es nicht, man sitzt auf niedrigen Böcken von
starkem Holz, Tische sind auch nicht zu finden.

Will man jene Böcke in Bettfüße verwandeln, so geht man zum Tischler
und borgt so viel Bretter, als nötig sind, gegen eine gewisse Miete.
Der große Juchtensack, den uns Hackert geliehen, kam diesmal sehr
zugute und ward vorläufig mit Häckerling angefüllt.

Vor allem aber mußte wegen des Essens Anstalt getroffen werden. Wir
hatten unterwegs eine Henne gekauft, der Vetturin war gegangen, Reis,
Salz und Spezereien anzuschaffen, weil er aber nie hier gewesen, so
blieb lange unerörtert, wo denn eigentlich gekocht werden sollte, wozu
in der Herberge selbst keine Gelegenheit war. Endlich bequemte sich
ein ältlicher Bürger, Herd und Holz, Küchen--und Tischgeräte gegen ein
billiges herzugeben und uns, indessen gekocht würde, in der Stadt
herumzuführen, endlich auf den Markt, wo die angesehensten Einwohner
nach antiker Weise umhersaßen, sich unterhielten und von uns
unterhalten sein wollten.

Wir mußten von Friederich dem Zweiten erzählen, und ihre Teilnahme an
diesem großen Könige war so lebhaft, daß wir seinen Tod verhehlten, um
nicht durch eine so unselige Nachricht unsern Wirten verhaßt zu werden.



Caltanisetta, Sonnabend, den 28. April 1787.

Geologisches, nachträglich. Von Girgent die Muschelkalkfelsen hinab
zeigt sich ein weißliches Erdreich, das sich nachher erklärt: man
findet den älteren Kalk wieder und Gips unmittelbar daran. Weite
flache Täler, Fruchtbau bis an die Gipfel, oft darüberweg; älterer
Kalk mit verwittertem Gips gemischt. Nun zeigt sich ein loseres,
gelbliches, leicht verwitterndes neues Kalkgestein: in den geackerten
Feldern kann man dessen Farbe deutlich erkennen, die oft ins Dunklere,
ja ins Violette zieht. Etwas über halben Weg tritt der Gips wieder
hervor. Auf demselben wächst häufig ein schön violettes, fast
rosenrotes Sedum und an den Kalkfelsen ein schönes gelbes Moos.

Jenes verwitterliche Kalkgestein zeigt sich öfters wieder, am
stärksten gegen Caltanisetta, wo es in Lagern liegt, die einzelne
Muscheln enthalten; dann zeigt sich's rötlich, beinahe wie Mennige,
mit wenigem Violett, wie oben bei San Martino bemerkt worden.

Quarzgeschiebe habe ich nur etwa auf halbem Wege in einem Tälchen
gefunden, das, an drei Seiten geschlossen, gegen Morgen und also gegen
das Meer zu offenstand.

Links in der Ferne war der hohe Berg bei Camerata merkwürdig und ein
anderer wie ein gestutzter Kegel. Die große Hälfte des Wegs kein Baum
zu sehen. Die Frucht stand herrlich, obgleich nicht so hoch wie zu
Girgent und am Meeresufer, jedoch so rein als möglich; in den
unabsehbaren Weizenäckern kein Unkraut. Erst sahen wir nichts als
grünende Felder, dann gepflügte, an feuchtlichen örtern ein Stückchen
Wiese. Hier kommen auch Pappeln vor. Gleich hinter Girgent fanden
wir äpfel und Birnen, übrigens an den Höhen und in der Nähe der
wenigen Ortschaften etwas Feigen.

Diese dreißig Miglien, nebst allem, was ich rechts und links erkennen
konnte, ist älterer und neuerer Kalk, dazwischen Gips. Der
Verwitterung und Verarbeitung dieser drei untereinander hat das
Erdreich seine Fruchtbarkeit zu verdanken. Wenig Sand mag es
enthalten, es knirscht unter den Zähnen. Eine Vermutung wegen des
Flusses Achates wird sich morgen bestätigen.

Die Täler haben eine schöne Form, und ob sie gleich nicht ganz flach
sind, so bemerkt man doch keine Spur von Regengüssen, nur kleine Bäche,
kaum merklich, rieseln hin, denn alles fließt gleich unmittelbar nach
dem Meere. Wenig roter Klee ist zu sehen, die niedrige Palme
verschwindet auch sowie alle Blumen und Sträuche der südwestlichen
Seite. Den Disteln ist nur erlaubt, sich der Wege zu bemächtigen,
alles andere gehört der Ceres an. Übrigens hat die Gegend viel
ähnliches mit deutschen hügeligen und fruchtbaren Gegenden, z. B. mit
der zwischen Erfurt und Gotha, besonders wenn man nach den Gleichen
hinsieht. Sehr vieles mußte zusammenkommen, um Sizilien zu einem der
fruchtbarsten Länder der Welt zu machen.

Man sieht wenig Pferde auf der ganzen Tour, sie pflügen mit Ochsen,
und es besteht ein Verbot, keine Kühe und Kälber zu schlachten.
Ziegen, Esel und Maultiere begegneten uns viele. Die Pferde sind
meist Apfelschimmel mit schwarzen Füßen und Mähnen, man findet die
prächtigsten Stallräume mit gemauerten Bettstellen. Das Land wird zu
Bohnen und Linsen gedüngt, die übrigen Feldfrüchte wachsen nach dieser
Sömmerung. In ähren geschoßte, noch grüne Gerste in Bündeln, roter
Klee desgleichen werden dem Vorbeireitenden zu Kauf angeboten.

Auf dem Berg über Caltanisetta fand sich fester Kalkstein mit
Versteinerungen: die großen Muscheln lagen unten, die kleinen obenauf.
Im Pflaster des Städtchens fanden wir Kalkstein mit Pektiniten.


Zum 28. April 1787.

Hinter Caltanisetta senken sich die Hügel jäh herunter in mancherlei
Täler, die ihre Wasser in den Fluß Salso ergießen. Das Erdreich ist
rötlich, sehr tonig, vieles lag unbestellt, auf dem bestellten die
Früchte ziemlich gut, doch, mit den vorigen Gegenden verglichen, noch
zurück.


Castro Giovanni, Sonntag, den 29. April 1787.

Noch größere Fruchtbarkeit und Menschenöde hatten wir heute zu
bemerken. Regenwetter war eingefallen und machte den Reisezustand
sehr unangenehm, da wir durch mehrere stark angeschwollene Gewässer
hindurch mußten. Am Fiume Salso, wo man sich nach einer Brücke
vergeblich umsieht, überraschte uns eine wunderliche Anstalt.
Kräftige Männer waren bereit, wovon immer zwei und zwei das Maultier
mit Reiter und Gepäck in die Mitte faßten und so durch einen tiefen
Stromteil hindurch bis auf eine große Kiesfläche führten; war nun die
sämtliche Gesellschaft hier beisammen, so ging es auf eben diese Weise
durch den zweiten Arm des Flusses, wo die Männer denn abermals durch
Stemmen und Drängen das Tier auf dem rechten Pfade und im Stromzug
aufrecht erhielten. An dem Wasser her ist etwas Buschwerk, das sich
aber landeinwärts gleich wieder verliert. Der Fiume Salso bringt
Granit, einen übergang in Gneis, breccierten und einfarbigen Marmor.

Nun sahen wir den einzeln stehenden Bergrücken vor uns, worauf Castro
Giovanni liegt und welcher der Gegend einen ernsten, sonderbaren
Charakter erteilt. Als wir den langen, an der Seite sich
hinanziehenden Weg ritten, fanden wir den Berg aus Muschelkalk
bestehend; große, nur kalzinierte Schalen wurden aufgepackt. Man
sieht Castro Giovanni nicht eher, als bis man ganz oben auf den
Bergrücken gelangt; denn es liegt am Felsabhang gegen Norden. Das
wunderliche Städtchen selbst, der Turm, links in einiger Entfernung
das örtchen Caltascibetta stehen gar ernsthaft gegeneinander. In der
Plaine sah man die Bohnen in voller Blüte, wer hätte sich aber dieses
Anblicks erfreuen können! Die Wege waren entsetzlich, noch
schrecklicher, weil sie ehemals gepflastert gewesen, und es regnete
immer fort. Das alte Enna empfing uns sehr unfreundlich: ein
Estrichzimmer mit Läden ohne Fenster, so daß wir entweder im Dunkeln
sitzen, oder den Sprühregen, dem wir soeben entgangen waren, wieder
erdulden mußten. Einige überreste unseres Reisevorrats wurden
verzehrt, die Nacht kläglich zugebracht. Wir taten ein feierliches
Gelübde, nie wieder nach einem mythologischen Namen unser Wegeziel zu
richten.


Montag, den 30. April 1787.

Von Castro Giovanni herab führt ein rauher, unbequemer Stieg, wir
mußten die Pferde führen. Die Atmosphäre vor uns tief herab mit
Wolken bedeckt, wobei sich ein wunderbar Phänomen in der größten Höhe
sehen ließ. Es war weiß und grau gestreift und schien etwas
Körperliches zu sein; aber wie käme das Körperliche in den Himmel!
Unser Führer belehrte uns, diese unsere Verwunderung gelte einer Seite
des ätna, welche durch die zerrissenen Wolken durchsehe: Schnee und
Bergrücken abwechselnd bildeten die Streifen, es sei nicht einmal der
höchste Gipfel.

Des alten Enna steiler Felsen lag nun hinter uns, wir zogen durch
lange, lange, einsame Täler; unbebaut und unbewohnt lagen sie da, dem
weidenden Vieh überlassen, das wir schön braun fanden, nicht groß, mit
kleinen Hörnern, gar nett, schlank und munter wie die Hirschchen.
Diese guten Geschöpfe hatten zwar Weide genug, sie war ihnen aber doch
durch ungeheure Distelmassen beengt und nach und nach verkümmert.
Diese Pflanzen finden hier die schönste Gelegenheit, sich zu besamen
und ihr Geschlecht auszubreiten, sie nehmen einen unglaublichen Raum
ein, der zur Weide von ein paar großen Landgütern hinreichte. Da sie
nicht perennieren, so wären sie jetzt, vor der Blüte niedergemäht, gar
wohl zu vertilgen.

Indessen wir nun diese landwirtlichen Kriegsplane gegen die Disteln
ernstlich durchdachten, mußten wir zu unserer Beschämung bemerken, daß
sie doch nicht ganz unnütz seien. Auf einem einsam stehenden Gasthofe,
wo wir fütterten, waren zugleich ein Paar sizilianische Edelleute
angekommen, welche quer durch das Land eines Prozesses wegen nach
Palermo zogen. Mit Verwundrung sahen wir diese beiden ernsthaften
Männer mit scharfen Taschenmessern vor einer solchen Distelgruppe
stehen und die obersten Teile dieser emporstrebenden Gewächse
niederhauen; sie faßten alsdann diesen stachligen Gewinn mit spitzen
Fingern, schälten den Stengel und verzehrten das Innere desselben mit
Wohlgefallen. Damit beschäftigten sie sich eine lange Zeit, indessen
wir uns an Wein, diesmal ungemischt, und gutem Brot erquickten. Der
Vetturin bereitete uns dergleichen Stengelmark und versicherte, es sei
eine gesunde, kühlende Speise, sie wollte uns aber so wenig schmecken
als der rohe Kohlrabi zu Segeste.


Unterwegs, den 30. April.

In das Tal gelangt, wodurch der Fluß St. Paolo sich schlängelt, fanden
wir das Erdreich rötlich schwarz und verwitterlichen Kalk; viel Brache,
sehr weite Felder, schönes Tal, durch das Flüßchen sehr angenehm.
Der gemischte gute Lehmboden ist mitunter zwanzig Fuß tief und
meistens gleich. Die Aloen hatten stark getrieben. Die Frucht stand
schön, doch mitunter unrein und, gegen die Mittagseite berechnet, weit
zurück. Hie und da kleine Wohnungen; kein Baum als unmittelbar unter
Castro Giovanni. Am Ufer des Flusses viel Weide, durch ungeheure
Distelmassen eingeschränkt. Im Flußgeschiebe das Quarzgestein wieder,
teils einfach, teils breccienartig.

Molimenti, ein neues örtchen, sehr klug in der Mitte schöner Felder
angelegt, am Flüßchen St. Paolo. Der Weizen stand in der Nähe ganz
unvergleichlich, schon den zwanzigsten Mai zu schneiden. Die ganze
Gegend zeigt noch keine Spur von vulkanischem Wesen, auch selbst der
Fluß führt keine dergleichen Geschiebe. Der Boden, gut gemischt, eher
schwer als leicht, ist im ganzen kaffeebraun-violettlich anzusehen.
Alle Gebirge links, die den Fluß einschließen, sind Kalk--und
Sandstein, deren Abwechselung ich nicht beobachten konnte, welche
jedoch, verwitternd, die große, durchaus gleiche Fruchtbarkeit des
untern Tals bereitet haben.


Dienstag, den 1. Mai 1787

Durch ein so ungleich angebautes, obwohl von der Natur zu
durchgängiger Fruchtbarkeit bestimmtes Tal ritten wir einigermaßen
verdrießlich herunter, weil nach so viel ausgestandenen Unbilden
unsern malerischen Zwecken gar nichts entgegenkam. Kniep hatte eine
recht bedeutende Ferne umrissen, weil aber der Mittel--und Vordergrund
gar zu abscheulich war, setzte er, geschmackvoll scherzend, ein
Poussinsches Vorderteil daran, welches ihm nichts kostete und das
Blatt zu einem ganz hübschen Bildchen machte. Wieviel malerische
Reisen mögen dergleichen Halbwahrheiten enthalten.

Unser Reitmann versprach, um unser mürrisches Wesen zu begütigen, für
den Abend eine gute Herberge, brachte uns auch wirklich in einen vor
wenig Jahren gebauten Gasthof, der auf diesem Wege, gerade in
gehöriger Entfernung von Catania gelegen, dem Reisenden willkommen
sein mußte, und wir ließen es uns bei einer leidlichen Einrichtung
seit zwölf Tagen wieder einigermaßen bequem werden. Merkwürdig aber
war uns eine Inschrift, an die Wand bleistiftlich mit schönen
englischen Schriftzügen geschrieben; sie enthielt folgendes: "Reisende,
wer ihr auch seid, hütet euch in Catania vor dem Wirtshause zum
goldenen Löwen; es ist schlimmer, als wenn ihr Kyklopen, Sirenen und
Skyllen zugleich in die Klauen fielet." Ob wir nun schon dachten, der
wohlmeinende Warner möchte die Gefahr etwas mythologisch vergrößert
haben, so setzten wir uns doch fest vor, den Goldenen Löwen zu
vermeiden, der uns als ein so grimmiges Tier angekündigt war. Als uns
daher der Maultiertreibende befragte, wo wir in Catania einkehren
wollten, so versetzten wir: "überall, nur nicht im Löwen!", worauf er
den Vorschlag tat, da vorliebzunehmen, wo er seine Tiere unterstelle,
nur müßten wir uns daselbst auch verköstigen, wie wir es schon bisher
getan. Wir waren alle zufrieden: dem Rachen des Löwen zu entgehen,
war unser einziger Wunsch.



Gegen Ibla Major melden sich Lavageschiebe, welche das Wasser von
Norden herunterbringt. Über der Fähre findet man Kalkstein, welcher
allerlei Arten Geschiebe, Hornstein, Lava und Kalk verbunden hat, dann
verhärtete vulkanische Asche, mit Kalktuff überzogen. Die gemischten
Kieshügel dauern immer fort bis gegen Catania, bis an dieselben und
über dieselben finden sich Lavaströme des ätna. Einen
wahrscheinlichen Krater läßt man links. (Gleich unter Molimenti
rauften die Bauern den Flachs.) Wie die Natur das Bunte liebt, läßt
sie hier sehen, wo sie sich an der schwarzblaugrauen Lava erlustigt;
hochgelbes Moos überzieht sie, ein schön rotes Sedum wächst üppig
darauf, andere schöne violette Blumen. Eine sorgsame Kultur beweist
sich an den Kaktuspflanzungen und Weinranken. Nun drängen sich
ungeheure Lavaflüsse heran. Motta ist ein schöner, bedeutender Fels.
Hier stehen die Bohnen als sehr hohe Stauden. Die äcker sind
veränderlich, bald sehr kiesig, bald besser gemischt.

Der Vetturin, der diese Frühlingsvegetation der Südostseite lange
nicht gesehen haben mochte, verfiel in großes Ausrufen über die
Schönheit der Frucht und fragte uns mit selbstgefälligem Patriotismus,
ob es in unsern Landen auch wohl solche gäbe. Ihr ist hier alles
aufgeopfert, man sieht wenig, ja gar keine Bäume. Allerliebst war ein
Mädchen von prächtiger, schlanker Gestalt, eine ältere Bekanntschaft
unseres Vetturins, die seinem Maultiere gleich lief, schwatzte und
dabei mit solcher Zierlichkeit als möglich ihren Faden spann. Nun
fingen gelbe Blumen zu herrschen an. Gegen Misterbianco standen die
Kaktus schon wieder in Zäunen; Zäune aber, ganz von diesen wundersam
gebildeten Gewächsen, werden in der Nähe von Catania immer
regelmäßiger und schöner.



Catania, Mittwoch, den 2. Mai 1787.

In unserer Herberge befanden wir uns freilich sehr übel. Die Kost,
wie sie der Maultierknecht bereiten konnte, war nicht die beste. Eine
Henne, in Reis gekocht, wäre dennoch nicht zu verachten gewesen, hätte
sie nicht ein unmäßiger Safran so gelb als ungenießbar gemacht. Das
unbequemste Nachtlager hätte uns beinahe genötigt, Hackerts
Juchtensack wieder hervorzuholen, deshalb sprachen wir morgens zeitig
mit dem freundlichen Wirte. Er bedauerte, daß er uns nicht besser
versorgen könne: "Da drüben aber ist ein Haus, wo Fremde gut
aufgehoben sind und alle Ursache haben zufrieden zu sein."--Er zeigte
uns ein großes Eckhaus, von welchem die uns zugekehrte Seite viel
Gutes versprach. Wir eilten sogleich hinüber, fanden einen rührigen
Mann, der sich als Lohnbedienter angab und in Abwesenheit des Wirts
uns ein schönes Zimmer neben einem Saal anwies, auch zugleich
versicherte, daß wir aufs billigste bedient werden sollten. Wir
erkundigten uns ungesäumt hergebrachterweise, was für Quartier, Tisch,
Wein, Frühstück und sonstiges Bestimmbare zu bezahlen sei. Das war
alles billig, und wir schafften eilig unsere Wenigkeiten herüber, sie
in die weitläufigen vergoldeten Kommoden einzuordnen. Kniep fand zum
ersten Male Gelegenheit, seine Pappe auszubreiten; er ordnete seine
Zeichnungen, ich mein Bemerktes. Sodann, vergnügt über die schönen
Räume, traten wir auf den Balkon des Saals, der Aussicht zu genießen.
Nachdem wir diese genugsam betrachtet und gelobt, kehrten wir um nach
unsern Geschäften, und siehe! Da droben über unserm Haupte ein großer
goldener Löwe. Wir sahen einander bedenklich an, lächelten und
lachten. Von nun an aber blickten wir umher, ob nicht irgendwo eins
der Homerischen Schreckbilder hervorschauen möchte.

Nichts dergleichen war zu sehen, dagegen fanden wir im Saal eine
hübsche junge Frau, die mit einem Kinde von etwa zwei Jahren
herumtändelte, aber sogleich von dem beweglichen Halbwirt derb
ausgescholten dastand: sie solle sich hinweg verfügen! hieß es, sie
habe hier nichts zu tun.--"Es ist doch hart, daß du mich fortjagst",
sagte sie, "das Kind ist zu Hause nicht zu begütigen, wenn du weg bist,
und die Herren erlauben mir gewiß, in deiner Gegenwart das Kleine zu
beruhigen." Der Gemahl ließ es dabei nicht bewenden, sondern suchte
sie fortzuschaffen, das Kind schrie in der Türe ganz erbärmlich, und
wir mußten zuletzt ernstlich verlangen, daß das hübsche Madamchen
dabliebe.

Durch den Engländer gewarnt, war es keine Kunst, die Komödie zu
durchschauen, wir spielten die Neulinge, die Unschuldigen, er aber
machte seine liebreiche Vaterschaft auf das beste gelten. Das Kind
wirklich war am freundlichsten mit ihm, wahrscheinlich hatte es die
angebliche Mutter unter der Türe gekneipt.

Und so war sie auch in der größten Unschuld dageblieben, als der Mann
wegging, ein Empfehlungsschreiben an den Hausgeistlichen des Prinzen
Biscaris zu überbringen. Sie dahlte fort, bis er zurückkam und
anzeigte, der Abbé würde selbst erscheinen, uns von dem Näheren zu
unterrichten.


Catania, Donnerstag, den 3. Mai 1787

Der Abbé, der uns gestern abend schon begrüßt hatte, erschien heute
zeitig und führte uns in den Palast, welcher auf einem hohen Sockel
einstöckig gebaut ist, und zwar sahen wir zuerst das Museum, wo
marmorne und eherne Bilder, Vasen und alle Arten solcher Altertümer
beisammenstehen. Wir hatten abermals Gelegenheit, unsere Kenntnisse
zu erweitern, besonders aber fesselte uns der Sturz eines Jupiters,
dessen Abguß ich schon aus Tischbeins Werkstatt kannte und welcher
größere Vorzüge besitzt, als wir zu beurteilen vermochten. Ein
Hausgenosse gab die nötigste historische Auskunft, und nun gelangten
wir in einen großen, hohen Saal. Die vielen Stühle an den Wänden
umher zeugten, daß große Gesellschaft sich manchmal hier versammle.
Wir setzten uns in Erwartung einer günstigen Aufnahme. Da kamen ein
Paar Frauenzimmer herein und gingen der Länge nach auf und ab. Sie
sprachen angelegentlich miteinander. Als sie uns gewahrten, stand der
Abbé auf, ich desgleichen, wir neigten uns. Ich fragte, wer sie seien,
und erfuhr, die jüngere sei die Prinzessin, die ältere eine edle
Catanierin. Wir hatten uns wieder gesetzt, sie gingen auf und ab, wie
man auf einem Marktplatze tun würde.

Wir wurden zum Prinzen geführt, der, wie man mir schon bemerkt hatte,
uns seine Münzsammlung aus besonderem Vertrauen vorwies, da wohl
früher seinem Herrn Vater und auch ihm nachher bei solchem Vorzeigen
manches abhanden gekommen und seine gewöhnliche Bereitwilligkeit
dadurch einigermaßen vermindert worden. Hier konnte ich nun schon
etwas kenntnisreicher scheinen, indem ich mich bei Betrachtung der
Sammlung des Prinzen Torremuzza belehrt hatte. Ich lernte wieder und
half mir an jenem dauerhaften Winckelmannischen Faden, der uns durch
die verschiedenen Kunstepochen durchleitet, so ziemlich hin. Der
Prinz, von diesen Dingen völlig unterrichtet, da er keine Kenner, aber
aufmerksame Liebhaber vor sich sah, mochte uns gern in allem, wornach
wir forschten, belehren.

Nach dem wir diesen Betrachtungen geraume Zeit, aber doch noch immer
zu wenig gewidmet, standen wir im Begriff, uns zu beurlauben, als er
uns zu seiner Frau Mutter führte, woselbst die übrigen kleineren
Kunstwerke zu sehen waren.

Wir fanden eine ansehnliche, natürlich edle Frau, die uns mit den
Worten empfing:" Sehen Sie sich bei mir um, meine Herren, Sie finden
hier alles noch, wie es mein seliger Gemahl gesammelt und geordnet hat.
Dies danke ich der Frömmigkeit meines Sohnes, der mich in seinen
besten Zimmern nicht nur wohnen, sondern auch hier nicht das geringste
entfernen oder verrücken läßt, was sein seliger Herr Vater anschaffte
und aufstellte; wodurch ich den doppelten Vorteil habe, sowohl auf die
so lange Jahre her gewohnte Weise zu leben, als auch wie von jeher die
trefflichen Fremden zu sehen und näher zu kennen, die, unsere Schätze
zu betrachten, von so weiten Orten herkommen."

Sie schloß uns darauf selbst den Glasschrank auf, worin die Arbeiten
in Bernstein aufbewahrt standen. Der sizilianische unterscheidet sich
von dem nordischen darin, daß er von der durchsichtigen und
undurchsichtigen Wachs--und Honigfarbe durch alle Abschattungen eines
gesättigten Gelbs bis zum schönsten Hyazinthrot hinansteigt. Urnen,
Becher und andere Dinge waren daraus geschnitten, wozu man große,
bewundernswürdige Stücke des Materials mitunter voraussetzen mußte.
An diesen Gegenständen sowie an geschnittenen Muscheln, wie sie in
Trapani gefertigt werden, ferner an ausgesuchten Elfenbeinarbeiten
hatte die Dame ihre besondere Freude und wußte dabei manche heitere
Geschichte zu erzählen. Der Fürst machte uns auf die ernsteren
Gegenstände aufmerksam, und so flossen einige Stunden vergnügt und
belehrend vorüber.

Indessen hatte die Fürstin vernommen, daß wir Deutsche seien, sie
fragte daher nach Herrn von Riedesel, Bartels, Münter, welche sie
sämtlich gekannt und, ihren Charakter und Betragen gar wohl
unterscheidend, zu würdigen wußte. Wir trennten uns ungern von ihr,
und sie schien uns ungern wegzulassen. Dieser Inselzustand hat doch
immer etwas Einsames, nur durch vorübergehende Teilnahme aufgefrischt
und erhalten.

Uns führte der Geistliche alsdann in das Benediktinerkloster, in die
Zelle eines Bruders, dessen bei mäßigem Alter trauriges und in sich
zurückgezogenes Ansehn wenig frohe Unterhaltung versprach. Er war
jedoch der kunstreiche Mann, der die ungeheure Orgel dieser Kirche
allein zu bändigen wußte. Als er unsere Wünsche mehr erraten als
vernommen, erfüllte er sie schweigend; wir begaben uns in die sehr
geräumige Kirche, die er, das herrliche Instrument bearbeitend, bis in
den letzten Winkel mit leisestem Hauch sowohl als gewaltsamsten Tönen
durchsäuselte und durchschmetterte.

Wer den Mann nicht vorher gesehen, hätte glauben müssen, es sei ein
Riese, der solche Gewalt ausübe; da wir aber seine Persönlichkeit
schon kannten, bewunderten wir nur, daß er in diesem Kampf nicht schon
längst aufgerieben sei.


Catania, Freitag, den 4. Mai 1787.

Bald nach Tische kam der Abbé mit einem Wagen, da er uns den
entferntern Teil der Stadt zeigen sollte. Beim Einsteigen ereignete
sich ein wundersamer Rangstreit. Ich war zuerst eingestiegen und
hätte ihm zur linken Hand gesessen, er, einsteigend, verlangte
ausdrücklich, daß ich herumrücken und ihn zu meiner Linken nehmen
sollte; ich bat ihn, dergleichen Zeremonien zu unterlassen.
"Verzeiht", sagte er, "daß wir also sitzen, denn wenn ich meinen Platz
zu Eurer Rechten nehme, so glaubt jedermann, daß ich mit Euch fahre,
sitze ich aber zur Linken, so ist es ausgesprochen, daß Ihr mit mir
fahrt, mit mir nämlich, der ich Euch im Namen des Fürsten die Stadt
zeige." Dagegen war freilich nichts einzuwenden, und also geschah es.

Wir fuhren die Straßen hinaufwärts, wo die Lava, welche 1669 einen
großen Teil dieser Stadt zerstörte, noch bis auf unsere Tage sichtbar
blieb. Der starre Feuerstrom ward bearbeitet wie ein anderer Fels,
selbst auf ihm waren Straßen vorgezeichnet und teilweise gebaut. Ich
schlug ein unbezweifeltes Stück des Geschmolzenen herunter, bedenkend,
daß vor meiner Abreise aus Deutschland schon der Streit über die
Vulkanität der Basalte sich entzündet hatte. Und so tat ich's an
mehrern Stellen, um zu mancherlei Abänderungen zu gelangen.

Wären jedoch Einheimische nicht selbst Freunde ihrer Gegend, nicht
selbst bemüht, entweder eines Vorteils oder der Wissenschaft willen,
das, was in ihrem Revier merkwürdig ist, zusammenzustellen, so müßte
der Reisende sich lang vergebens quälen. Schon in Neapel hatte mich
der Lavenhändler sehr gefördert, hier in einem weit höheren Sinne der
Ritter Gioeni. Ich fand in seiner reichen, sehr galant aufgestellten
Sammlung die Laven des ätna, die Basalte am Fuß desselben, verändertes
Gestein, mehr oder weniger zu erkennen; alles wurde freundlichst
vorgezeigt. Am meisten hatte ich Zeolithe zu bewundern aus den
schroffen, im Meere stehenden Felsen unter Jaci.

Als wir den Ritter um die Mittel befragten, wie man sich benehmen
müsse, um den ätna zu besteigen, wollte er von einer Wagnis nach dem
Gipfel, besonders in der gegenwärtigen Jahreszeit, gar nichts hören.
"Überhaupt", sagte er, nachdem er uns um Verzeihung gebeten, "die hier
ankommenden Fremden sehen die Sache für allzu leicht an; wir andern
Nachbarn des Berges sind schon zufrieden, wenn wir ein paarmal in
unserm Leben die beste Gelegenheit abgepaßt und den Gipfel erreicht
haben. Brydone, der zuerst durch seine Beschreibung die Lust nach
diesem Feuergipfel entzündet, ist gar nicht hinaufgekommen; Graf Borch
läßt den Leser in Ungewißheit, aber auch er ist nur bis auf eine
gewisse Höhe gelangt, und so könnte ich von mehrern sagen. Für jetzt
erstreckt sich der Schnee noch allzuweit herunter und breitet
unüberwindliche Hindernisse entgegen. Wenn Sie meinem Rate folgen
mögen, so reiten Sie morgen bei guter Zeit bis an den Fuß des Monte
Rosso, besteigen Sie diese Höhe; Sie werden von da des herrlichsten
Anblicks genießen und zugleich die alte Lava bemerken, welche dort,
1669 entsprungen, unglücklicherweise sich nach der Stadt hereinwälzte.
Die Aussicht ist herrlich und deutlich; man tut besser, sich das
übrige erzählen zu lassen."


Catania, Sonnabend, den 5. Mai 1787.

Folgsam dem guten Rate, machten wir ans zeitig auf den Weg und
erreichten, auf unsern Maultieren immer rückwärts schauend, die Region
der durch die Zeit noch ungebändigten Laven. Zackige Klumpen und
Tafeln starrten uns entgegen, durch welche nur ein zufälliger Pfad von
den Tieren gefunden wurde. Auf der ersten bedeutenden Höhe hielten
wir still. Kniep zeichnete mit großer Präzision, was hinaufwärts vor
uns lag: die Lavenmassen im Vordergrunde, den Doppelgipfel des Monte
Rosso links, gerade über uns die Wälder von Nicolosi, aus denen der
beschneite, wenig rauchende Gipfel hervorstieg. Wir rückten dem roten
Berge näher, ich stieg hinauf: er ist ganz aus rotem vulkanischem Grus,
Asche und Steinen zusammengehäuft. Um die Mündung hätte sich bequem
herumgehen lassen, hätte nicht ein gewaltsam stürmender Morgenwind
jeden Schritt unsicher gemacht; wollte ich nur einigermaßen fortkommen,
so mußte ich den Mantel ablegen, nun aber war der Hut jeden
Augenblick in Gefahr, in den Krater getrieben zu werden und ich
hintendrein. Deshalb setzte ich mich nieder, um mich zu fassen und
die Gegend zu überschauen; aber auch diese Lage half mir nichts: der
Sturm kam gerade von Osten her über das herrliche Land, das nah und
fern bis ans Meer unter mir lag. Den ausgedehnten Strand von Messina
bis Syrakus mit seinen Krümmungen und Buchten sah ich vor Augen,
entweder ganz frei oder durch Felsen des Ufers nur wenig bedeckt. Als
ich ganz betäubt wieder herunterkam, hatte Kniep im Schauer seine Zeit
gut angewendet und mit zarten Linien auf dem Papier gesichert, was der
wilde Sturm mich kaum sehen, viel weniger festhalten ließ.



Die Monti Rossi am Aetna. Aquatinta von Houel

In dem Rachen des Goldenen Löwen wieder angelangt, fanden wir den
Lohnbedienten, den wir nur mit Mühe uns zu begleiten abgehalten hatten.
Er lobte, daß wir den Gipfel aufgegeben, schlug aber für morgen eine
Spazierfahrt auf dem Meere zu den Felsen von Jaci andringlich vor: das
sei die schönste Lustpartie, die man von Catania aus machen könne!
Man nehme Trank und Speise mit, auch wohl Gerätschaften, um etwas zu
wärmen. Seine Frau erbiete sich, dieses Geschäft zu übernehmen.
Ferner erinnerte er sich des Jubels, wie Engländer wohl gar einen Kahn
mit Musik zur Begleitung genommen hätten, welche Lust über alle
Vorstellung sei.

Die Felsen von Jaci zogen mich heftig an, ich hatte großes Verlangen,
mir so schöne Zeolithe herauszuschlagen, als ich bei Gioeni gesehen.
Man konnte ja die Sache kurz fassen, die Begleitung der Frau ablehnen.
Aber der warnende Geist des Engländers behielt die Oberhand, wir
taten auf die Zeolithe Verzicht und dünkten uns nicht wenig wegen
dieser Enthaltsamkeit.


Catania, Sonntag, den 6. Mai 1787

Unser geistlicher Begleiter blieb nicht aus. Er führte uns, die Reste
alter Baukunst zu sehen, zu welchen der Beschauer freilich ein starkes
Restaurationstalent mitbringen muß. Man zeigte die Reste von
Wasserbehältern, einer Naumachie und andere dergleichen Ruinen, die
aber bei der vielfachen Zerstörung der Stadt durch Laven, Erdbeben und
Krieg dergestalt verschüttet und versenkt sind, daß Freude und
Belehrung nur dem genauesten Kenner altertümlicher Baukunst daraus
entspringen kann.

Eine nochmalige Aufwartung beim Prinzen lehnte der Pater ab, und wir
schieden beiderseits mit lebhaften Ausdrücken der Dankbarkeit und des
Wohlwollens.


Taormina, Montag, den 7. Mai 1787

Gott sei Dank, daß alles, was wir heute gesehen, schon genugsam
beschrieben ist, mehr aber noch, daß Kniep sich vorgenommen hat,
morgen den ganzen Tag oben zu zeichnen. Wenn man die Höhe der
Felsenwände erstiegen hat, welche unfern des Meeresstrandes in die
Höhe steilen, findet man zwei Gipfel durch ein Halbrund verbunden.
Was dies auch von Natur für eine Gestalt gehabt haben mag, die Kunst
hat nachgeholfen und daraus den amphitheatralischen Halbzirkel für
Zuschauer gebildet; Mauern und andere Angebäude von Ziegelsteinen,
sich anschließend, supplierten die nötigen Gänge und Hallen. Am Fuße
des stufenartigen Halbzirkels erbaute man die Szene quer vor, verband
dadurch die beiden Felsen und vollendete das ungeheuerste Natur--und
Kunstwerk.

Setzt man sich nun dahin, wo ehmals die obersten Zuschauer saßen, so
muß man gestehen, daß wohl nie ein Publikum im Theater solche
Gegenstände vor sich gehabt. Rechts zur Seite auf höheren Felsen
erheben sich Kastelle, weiter unten liegt die Stadt, und obschon diese
Baulichkeiten aus neueren Zeiten sind, so standen doch vor alters wohl
eben dergleichen auf derselben Stelle. Nun sieht man an dem ganzen
langen Gebirgsrücken des ätna hin, links das Meerufer bis nach Catania,
ja Syrakus; dann schließt der ungeheure, dampfende Feuerberg das
weite, breite Bild, aber nicht schrecklich, denn die mildernde
Atmosphäre zeigt ihn entfernter und sanfter, als er ist.

Wendet man sich von diesem Anblick in die an der Rückseite der
Zuschauer angebrachten Gänge, so hat man die sämtlichen Felswände
links, zwischen denen und dem Meere sich der Weg nach Messina
hinschlingt. Felsgruppen und Felsrücken im Meere selbst, die Küste
von Kalabrien in der weitesten Ferne, nur mit Aufmerksamkeit von
gelind sich erhebenden Wolken zu unterscheiden.

Wir stiegen gegen das Theater hinab, verweilten in dessen Ruinen, an
welchen ein geschickter Architekt seine Restaurationsgabe wenigstens
auf dem Papier versuchen sollte, unternahmen sodann, uns durch die
Gärten eine Bahn nach der Stadt zu brechen. Allein hier erfuhren wir,
was ein Zaun von nebeneinander gepflanzten Agaven für ein
undurchdringliches Bollwerk sei: durch die verschränkten Blätter sieht
man durch und glaubt auch hindurchdringen zu können, allein die
kräftigen Stacheln der Blattränder sind empfindliche Hindernisse;
tritt man auf ein solches kolossales Blatt, in Hoffnung, es werde uns
tragen, so bricht es zusammen, und anstatt hinüber ins Freie zu kommen,
fallen wir einer Nachbarpflanze in die Arme. Zuletzt entwickelten
wir uns doch diesem Labyrinthe, genossen weniges in der Stadt, konnten
aber vor Sonnenuntergang von der Gegend nicht scheiden. Unendlich
schön war es zu beobachten, wie diese in allen Punkten bedeutende
Gegend nach und nach in Finsternis versank.


Unter Taormina, am Meer, Dienstag, den 8. Mai 1787

Kniepen, mir vom Glück zugeführt, kann ich nicht genug preisen, da er
mich einer Bürde entledigt, die mir unerträglich wäre, und mich meiner
eigenen Natur wiedergibt. Er ist hinausgegangen, im einzelnen zu
zeichnen, was wir obenhin betrachtet. Er wird seine Bleistifte
manchmal spitzen, und ich sehe nicht, wie er fertig werden will. Das
hätte ich nun auch alles wiedersehen können! Erst wollte ich mit
hinaufgehen, dann aber reizte mich's, hier zu bleiben, die Enge sucht'
ich wie der Vogel, der sein Nest bauen möchte. In einem schlechten,
verwahrlosten Bauergarten habe ich mich auf Orangenäste gesetzt und
mich in Grillen vertieft. Orangenäste, worauf der Reisende sitzt,
klingt etwas wunderbar, wird aber ganz natürlich, wenn man weiß, daß
der Orangenbaum, seiner Natur überlassen, sich bald über der Wurzel in
Zweige trennt, die mit der Zeit zu entschiedenen ästen werden.

Und so saß ich, den Plan zu "Nausikaa" weiter denkend, eine
dramatische Konzentration der "Odyssee". Ich halte sie nicht für
unmöglich, nur müßte man den Grundunterschied des Drama und der Epopöe
recht ins Auge fassen.

Kniep ist herabgekommen und hat zwei ungeheure Blätter, reinlichst
gezeichnet, zufrieden und vergnügt zurückgebracht. Beide wird er zum
ewigen Gedächtnis an diesen herrlichen Tag für mich ausführen.

Zu vergessen ist nicht, daß wir auf dieses schöne Ufer unter dem
reinsten Himmel von einem kleinen Altan herabschauten, Rosen
erblickten und Nachtigallen hörten. Diese singen hier, wie man uns
versichert, sechs Monate hindurch.

Aus der Erinnerung

War ich nun durch die Gegenwart und Tätigkeit eines geschickten
Künstlers und durch eigne, obgleich nur einzelne und schwächere
Bemühungen gewiß, daß mir von den interessantesten Gegenden und ihren
Teilen feste, wohlgewählte Bilder, im Umriß und nach Belieben auch
ausgeführt, bleiben würden, so gab ich um so mehr einem nach und nach
auflebenden Drange nach: die gegenwärtige herrliche Umgebung, das Meer,
die Inseln, die Häfen, durch poetische würdige Gestalten zu beleben
und mir auf und aus diesem Lokal eine Komposition zu bilden, in einem
Sinne und in einem Ton, wie ich sie noch nicht hervorgebracht. Die
Klarheit des Himmels, der Hauch des Meeres, die Düfte, wodurch die
Gebirge mit Himmel und Meer gleichsam in ein Element aufgelöst wurden,
alles dies gab Nahrung meinen Vorsätzen; und indem ich in jenem
schönen öffentlichen Garten zwischen blühenden Hecken von Oleander,
durch Lauben von fruchttragenden Orangen--und Zitronenbäumen wandelte
und zwischen andern Bäumen und Sträuchen, die mir unbekannt waren,
verweilte, fühlte ich den fremden Einfluß auf das allerangenehmste.

Ich hatte mir, überzeugt, daß es für mich keinen bessern Kommentar zur
"Odyssee" geben könne als eben gerade diese lebendige Umgebung, ein
Exemplar verschafft und las es nach meiner Art mit unglaublichem
Anteil. Doch wurde ich gar bald zu eigner Produktion angeregt, die,
so seltsam sie auch im ersten Augenblicke schien, mir doch immer
lieber ward und mich endlich ganz beschäftigte. Ich ergriff nämlich
den Gedanken, den Gegenstand der Nausikaa als Tragödie zu behandeln.

Es ist mir selbst nicht möglich, abzusehen, was ich daraus würde
gemacht haben, aber ich war über den Plan bald mit mir einig. Der
Hauptsinn war der: in der Nausikaa eine treffliche, von vielen
umworbene Jungfrau darzustellen, die, sich keiner Neigung bewußt, alle
Freier bisher ablehnend behandelt, durch einen seltsamen Fremdling
aber gerührt, aus ihrem Zustand heraustritt und durch eine voreilige
äußerung ihrer Neigung sich kompromittiert, was die Situation
vollkommen tragisch macht. Diese einfache Fabel sollte durch den
Reichtum der subordinierten Motive und besonders durch das Meer--und
Inselhafte der eigentlichen Ausführung und des besondern Tons
erfreulich werden.

Der erste Akt begann mit dem Ballspiel. Die unerwartete Bekanntschaft
wird gemacht, und die Bedenklichkeit, den Fremden nicht selbst in die
Stadt zu führen, wird schon ein Vorbote der Neigung.

Der zweite Akt exponierte das Haus des Alcinous, die Charaktere der
Freier, und endigte mit Eintritt des Ulysses.

Der dritte war ganz der Bedeutsamkeit des Abenteurers gewidmet, und
ich hoffte, in der dialogierten Erzählung seiner Abenteuer, die von
den verschiedenen Zuhörern sehr verschieden aufgenommen werden, etwas
Künstliches und Erfreuliches zu leisten. Während der Erzählung
erhöhen sich die Leidenschaften, und der lebhafte Anteil Nausikaas an
dem Fremdling wird durch Wirkung und Gegenwirkung endlich
hervorgeschlagen.

Im vierten Akte betätigt Ulysses außer der Szene seine Tapferkeit,
indessen die Frauen zurückbleiben und der Neigung, der Hoffnung und
allen zarten Gefühlen Raum lassen. Bei den großen Vorteilen, welche
der Fremdling davonträgt, hält sich Nausikaa noch weniger zusammen und
kompromittiert sich unwiderruflich mit ihren Landsleuten. Ulyß, der,
halb schuldig, halb unschuldig, dieses alles veranlaßt, muß sich
zuletzt als einen Scheidenden erklären, und es bleibt dem guten
Mädchen nichts übrig, als im fünften Akte den Tod zu suchen.

Es war in dieser Komposition nichts, was ich nicht aus eignen
Erfahrungen nach der Natur hätte ausmalen können. Selbst auf der
Reise, selbst in Gefahr, Neigungen zu erregen, die, wenn sie auch kein
tragisches Ende nehmen, doch schmerzlich genug, gefährlich und
schädlich werden können; selbst in dem Falle, in einer so großen
Entfernung von der Heimat abgelegne Gegenstände, Reiseabenteuer,
Lebensvorfälle zu Unterhaltung der Gesellschaft mit lebhaften Farben
auszumalen, von der Jugend für einen Halbgott, von gesetztern Personen
für einen Aufschneider gehalten zu werden, manche unverdiente Gunst,
manches unerwartete Hindernis zu erfahren; das alles gab mir ein
solches Attachement an diesen Plan, an diesen Vorsatz, daß ich darüber
meinen Aufenthalt zu Palermo, ja den größten Teil meiner übrigen
sizilianischen Reise verträumte. Weshalb ich denn auch von allen
Unbequemlichkeiten wenig empfand, da ich mich auf dem überklassischen
Boden in einer poetischen Stimmung fühlte, in der ich das, was ich
erfuhr, was ich sah, was ich bemerkte, was mir entgegenkam, alles
auffassen und in einem erfreulichen Gefäß bewahren konnte.

Nach meiner löblichen oder unlöblichen Gewohnheit schrieb ich wenig
oder nichts davon auf, arbeitete aber den größten Teil bis aufs letzte
Detail im Geiste durch, wo es denn, durch nachfolgende Zerstreuungen
zurückgedrängt, liegengeblieben, bis ich gegenwärtig nur eine
flüchtige Erinnerung davon zurückrufe.


Den 8. Mai. Auf dem Wege nach Messina.

Man hat hohe Kalkfelsen links. Sie werden farbiger und machen schöne
Meerbusen; dann folgt eine Art Gestein, das man Tonschiefer oder
Grauwacke nennen möchte. In den Bächen finden sich schon
Granitgeschiebe. Die gelben äpfel des Solanum, die roten Blüten des
Oleanders machen die Landschaft lustig. Der Fiume Nisi bringt
Glimmerschiefer sowie auch die folgenden Bäche.


Mittwoch, den 9. Mai 1787.

Vom Ostwinde bestürmt, ritten wir zwischen dem rechter Hand wogenden
Meere und den Felswänden hin, an denen wir vorgestern oben herab
gesehen hatten, diesen Tag beständig mit dem Wasser im Kampfe; wir
kamen über unzählige Bäche, unter welchen ein größerer, Nisi, den
Ehrentitel eines Flusses führt; doch diese Gewässer sowie das Gerölle,
das sie mitbringen, waren leichter zu überwinden als das Meer, das
heftig stürmte und an vielen Stellen über den Weg hinweg bis an die
Felsen schlug und zurück auf die Wanderer spritzte. Herrlich war das
anzusehen, und die seltsame Begebenheit ließ uns das Unbequeme
übertragen.

Zugleich sollte es nicht an mineralogischer Betrachtung fehlen. Die
ungeheuren Kalkfelsen, verwitternd, stürzen herunter, deren weiche
Teile, durch die Bewegung der Wellen aufgerieben, die zugemischten,
festeren übriglassen, und so ist der ganze Strand mit bunten,
hornsteinartigen Feuersteinen überdeckt, wovon mehrere Muster
aufgepackt worden.


Messina, Donnerstag, den 10. Mai 1787.

Und so gelangten wir nach Messina, bequemten uns, weil wir keine
Gelegenheit kannten, die erste Nacht in dem Quartier des Vetturins
zuzubringen, um uns den andern Morgen nach einem bessern Wohnort
umzusehen. Dieser Entschluß gab gleich beim Eintritt den
fürchterlichsten Begriff einer zerstörten Stadt; denn wir ritten eine
Viertelstunde lang an Trümmern nach Trümmern vorbei, ehe wir zur
Herberge kamen, die, in diesem ganzen Revier allein wieder aufgebaut,
aus den Fenstern des obern Stocks nur eine zackige Ruinenwüste
übersehen ließ. Außer dem Bezirk dieses Gehöftes spürte man weder
Mensch noch Tier, es war nachts eine furchtbare Stille. Die Türen
ließen sich weder verschließen noch verriegeln, auf menschliche Gäste
war man hier so wenig eingerichtet als in ähnlichen Pferdewohnungen,
und doch schliefen wir ruhig auf einer Matratze, welche der
dienstfertige Vetturin dem Wirte unter dem Leibe weggeschwatzt hatte.


Freitag, den 11. Mai 1787.

Heute trennten wir uns von dem wackern Führer, ein gutes Trinkgeld
belohnte seine sorgfältigen Dienste. Wir schieden freundlich, nachdem
er uns vorher noch einen Lohnbedienten verschafft, der uns gleich in
die beste Herberge bringen und alles Merkwürdige von Messina vorzeigen
sollte. Der Wirt, um seinen Wunsch, uns loszuwerden, schleunigst
erfüllt zu sehen, half Koffer und sämtliches Gepäck auf das schnellste
in eine angenehme Wohnung schaffen, näher dem belebten Teile der Stadt,
das heißt, außerhalb der Stadt selbst. Damit aber verhält es sich
folgendermaßen. Nach dem ungeheuren Unglück, das Messina betraf,
blieb nach zwölftausend umgekommenen Einwohnern für die übrigen
dreißigtausend keine Wohnung: die meisten Gebäude waren niedergestürzt,
die zerrissenen Mauern der übrigen gaben einen unsichern Aufenthalt;
man errichtete daher eiligst im Norden von Messina auf einer großen
Wiese eine Bretterstadt, von der sich am schnellsten derjenige einen
Begriff macht, der zu Meßzeiten den Römerberg zu Frankfurt, den Markt
zu Leipzig durchwanderte, denn alle Kramläden und Werkstätte sind
gegen die Straße geöffnet, vieles ereignet sich außerhalb. Daher sind
nur wenig größere Gebäude, auch nicht sonderlich gegen das öffentliche
verschlossen, indem die Bewohner manche Zeit unter freiem Himmel
zubringen. So wohnen sie nun schon drei Jahre, und diese Buden-,
Hütten-, ja Zeltwirtschaft hat auf den Charakter der Einwohner
entschiedenen Einfluß. Das Entsetzen über jenes ungeheure Ereignis,
die Furcht vor einem ähnlichen treibt sie, der Freuden des Augenblicks
mit gutmütigem Frohsinn zu genießen. Die Sorge vor neuem Unheil ward
am einundzwanzigsten April, also ungefähr vor zwanzig Tagen, erneuert,
ein merklicher Erdstoß erschütterte den Boden abermals. Man zeigte
uns eine kleine Kirche, wo eine Masse Menschen, gerade in dem
Augenblick zusammengedrängt, diese Erschütterung empfanden. Einige
Personen, die darin gewesen, schienen sich von ihrem Schrecken noch
nicht erholt zu haben.

Beim Aufsuchen und Betrachten dieser Gegenstände leitete uns ein
freundlicher Konsul, der, unaufgefordert, vielfache Sorge für uns
trug--in dieser Trümmerwüste mehr als irgendwo dankbar anzuerkennen.
Zugleich auch, da er vernahm, daß wir bald abzureisen wünschten,
machte er uns einem französischen Kauffahrer bekannt, der im Begriff
stehe, nach Neapel zu segeln. Doppelt erwünscht, da die weiße Flagge
vor den Seeräubern sichert.

Eben hatten wir unserm gütigen Führer den Wunsch zu erkennen gegeben,
eine der größern, obgleich auch nur einstöckigen Hütten inwendig, ihre
Einrichtung und extemporierte Haushaltung zu sehen, als ein
freundlicher Mann sich an uns anschloß, der sich bald als
französischer Sprachmeister bezeichnete, welchem der Konsul nach
vollbrachtem Spaziergange unsern Wunsch, solch ein Gebäude zu sehen,
eröffnete, mit dem Ersuchen, uns bei sich einzuführen und mit den
Seinigen bekannt zu machen.

Wir traten in die mit Brettern beschlagene und gedeckte Hütte. Der
Eindruck war völlig wie der jener Meßbuden, wo man wilde Tiere oder
sonstige Abenteuer für Geld sehen läßt: das Zimmerwerk an den Wänden
wie am Dache sichtbar, ein grüner Vorhang sonderte den vordern Raum,
der, nicht gedielt, tennenartig geschlagen schien. Stühle und Tische
befanden sich da, nichts weiter von Hausgeräte. Erleuchtet war der
Platz von oben durch zufällige öffnungen der Bretter. Wir
diskutierten eine Zeitlang, und ich betrachtete mir die grüne Hülle
und das darüber sichtbare innere Dachgebälke, als auf einmal hüben und
drüben des Vorhangs ein paar allerliebste Mädchenköpfchen neugierig
herausguckten, schwarzäugig, schwarzlockig, die aber, sobald sie sich
bemerkt sahen, wie der Blitz verschwanden, auf Ansuchen des Konsuls
jedoch nach so viel verflossener Zeit, als nötig war, sich anzuziehen,
auf wohlgeputzten und niedlichen Körperchen wieder hervortraten und
sich mit ihren bunten Kleidern gar zierlich vor dem grünen Teppich
ausnahmen. Aus ihren Fragen konnten wir wohl merken, daß sie uns für
fabelhafte Wesen aus einer andern Welt hielten, in welchem
liebenswürdigen Irrtum sie unsere Antworten nur mehr bestärken mußten.
Auf eine heitere Weise malte der Konsul unsere märchenhafte
Erscheinung aus; die Unterhaltung war sehr angenehm, schwer, sich zu
trennen. Vor der Tür erst fiel uns auf, daß wir die innern Räume
nicht gesehen und die Hauskonstruktion über die Bewohnerinnen
vergessen hatten.


Messina, Sonnabend, den 12. Mai 1787.

Der Konsul unter andern sagte, daß es, wo nicht unumgänglich nötig,
doch wohlgetan sei, dem Gouverneur aufzuwarten, der, ein wunderlicher
alter Mann, nach Laune und Vorurteil ebensogut schaden als nutzen
könne; dem Konsul werde es zu Gunsten gerechnet, wenn er bedeutende
Fremde vorstelle, auch wisse der Ankömmling nie, ob er dieses Mannes
auf eine oder andere Weise bedürfe. Dem Freunde zu Gefallen ging ich
mit.

Ins Vorzimmer tretend, hörten wir drinne ganz entsetzlichen Lärm, ein
Laufer mit Pulcinellgebärden raunte dem Konsul ins Ohr: "Böser Tag!
gefährliche Stunde!" Doch traten wir hinein und fanden den uralten
Gouverneur, uns den Rücken zugewandt, zunächst des Fensters an einem
Tische sitzen. Große Haufen vergelbter alter Briefschaften lagen vor
ihm, von denen er die unbeschriebenen Blätter mit größter Gelassenheit
abschnitt und seinen haushältischen Charakter dadurch zu erkennen gab.
Während dieser friedlichen Beschäftigung schalt und fluchte er
fürchterlich auf einen anständigen Mann los, der seiner Kleidung nach
mit Malta verwandt sein konnte und sich mit vieler Gemütsruhe und
Präzision verteidigte, wozu ihm jedoch wenig Raum blieb. Der
Gescholtene und Angeschriene suchte mit Fassung einen Verdacht
abzulehnen, den der Gouverneur, so schien es, auf ihn als einen ohne
Befugnis mehrmals An--und Abreisenden mochte geworfen haben, der Mann
berief sich auf seine Pässe und bekannten Verhältnisse in Neapel.
Dies aber half alles nichts, der Gouverneur zerschnitt seine alten
Briefschaften, sonderte das weiße Papier sorgfältig und tobte
fortwährend.

Außer uns beiden standen noch etwa zwölf Personen in einem weiten
Kreise, dieses Tiergefechtes Zeugen, uns wahrscheinlich den Platz an
der Türe beneidend, als gute Gelegenheit, wenn der Erzürnte allenfalls
den Krückenstock erheben und dreinschlagen sollte. Die Gesichtszüge
des Konsuls hatten sich bei dieser Szene merklich verlängert; mich
tröstete des Laufers possenhafte Nähe, der draußen vor der Schwelle
hinter mir allerlei Faxen schnitt, mich, wenn ich manchmal umblickte,
zu beruhigen, als habe das so viel nicht zu bedeuten.

Auch entwirrte sich der gräßliche Handel noch ganz gelinde, der
Gouverneur schloß damit, es halte ihn zwar nichts ab, den Betretenen
einzustecken und in Verwahrung zappeln zu lassen, allein es möge
diesmal hingehen, er solle die paar bestimmten Tage in Messina bleiben,
alsdann aber sich fortpacken und niemals wiederkehren. Ganz ruhig,
ohne die Miene zu verändern, beurlaubte sich der Mann, grüßte
anständig die Versammlung und uns besonders, die er durchschneiden
mußte, um zur Türe zu gelangen. Als der Gouverneur, ihm noch etwas
nachzuschelten, sich ingrimmig umkehrte, erblickte er uns, faßte sich
sogleich, winkte dem Konsul, und wir traten an ihn heran.

Ein Mann von sehr hohem Alter, gebückten Hauptes, unter grauen,
struppigen Augenbrauen schwarze, tiefliegende Blicke hervorsendend;
nun ein ganz anderer als kurz zuvor. Er hieß mich zu sich sitzen,
fragte, in seinem Geschäft ununterbrochen fortfahrend, nach mancherlei,
worüber ich ihm Bescheid gab, zuletzt fügte er hinzu, ich sei, so
lange ich hier bliebe, zu seiner Tafel geladen. Der Konsul, zufrieden
wie ich, ja noch zufriedener, weil er die Gefahr, der wir entronnen,
besser kannte, flog die Treppe hinunter, und mir war alle Lust
vergangen, dieser Löwenhöhle je wieder nah zu treten.


Messina, Sonntag, den 13. Mai 1787

Zwar bei hellstem Sonnenschein in einer angenehmem Wohnung erwachend,
fanden wir uns doch immer in dem unseligen Messina. Einzig unangenehm
ist der Anblick der sogenannten Palazzata, einer sichelförmigen Reihe
von wahrhaften Palästen, die wohl in der Länge einer Viertelstunde die
Reede einschließen und bezeichnen. Alles waren steinerne,
vierstockige Gebäude, von welchen mehrere Vorderseiten bis aufs
Hauptgesims noch völlig stehen, andere bis auf den dritten, zweiten,
ersten Stock heruntergebrochen sind, so daß diese ehemalige
Prachtreihe nun aufs widerlichste zahnlückig erscheint und auch
durchlöchert; denn der blaue Himmel schaut beinahe durch alle Fenster.
Die inneren eigentlichen Wohnungen sind sämtlich zusammengestürzt.

An diesem seltsamen Phänomen ist Ursache, daß nach der von Reichen
begonnenen architektonischen Prachtanlage weniger begüterte Nachbarn,
mit dem Scheine wetteifernd, ihre alten, aus größern und kleinern
Flußgeschieben und vielem Kalk zusammengekneteten Häuser hinter neuen,
aus Quaderstücken aufgeführten Vorderseiten versteckten. Jenes an
sich schon unsichere Gefüge mußte, von der ungeheuern Erschütterung
aufgelöst und zerbröckelt, zusammenstürzen; wie man denn unter manchen
bei so großem Unglück vorgekommenen wunderbaren Rettungen auch
folgendes erzählt: der Bewohner eines solchen Gebäudes sei im
furchtbaren Augenblick gerade in die Mauervertiefung eines Fensters
getreten, das Haus aber hinter ihm völlig zusammengestürzt; und so
habe er, in der Höhe gerettet, den Augenblick seiner Befreiung aus
diesem luftigen Kerker beruhigt abgewartet. Daß jene aus Mangel naher
Bruchsteine so schlechte Bauart hauptsächlich schuld an dem völligen
Ruin der Stadt gewesen, zeigt die Beharrlichkeit solider Gebäude. Der
Jesuiten Kollegium und Kirche, von tüchtigen Quadern aufgeführt,
stehen noch unverletzt in ihrer anfänglichen Tüchtigkeit. Dem sei
aber, wie ihm wolle, Messinas Anblick ist äußerst verdrießlich und
erinnert an die Urzeiten, wo Sikaner und Sikuler diesen unruhigen
Erdboden verließen und die westliche Küste Siziliens bebauten.

Und so brachten wir unsern Morgen zu, gingen dann, im Gasthof ein
frugales Mahl zu verzehren. Wir saßen noch ganz vergnügt beisammen,
als der Bediente des Konsuls atemlos hereinsprang und mir verkündigte,
der Gouverneur lasse mich in der ganzen Stadt suchen; er habe mich zur
Tafel geladen, und nun bleibe ich aus. Der Konsul lasse mich aufs
anständigste bitten, auf der Stelle hinzugeben, ich möchte gespeist
haben oder nicht, möchte aus Vergessenheit oder aus Vorsatz die Stunde
versäumt haben. Nun fühlte ich erst den unglaublichen Leichtsinn,
womit ich die Einladung des Zyklopen aus dem Sinne geschlagen, froh,
daß ich das erste Mal entwischt. Der Bediente ließ mich nicht zaudern,
seine Vorstellungen waren die dringendsten und triftigsten: der
Konsul riskiere, hieß es, daß jener wütende Despot ihn und die ganze
Nation auf den Kopf stelle.

Indessen ich nun Haare und Kleider zurechte putzte, faßte ich mir ein
Herz und folgte mit heiterm Sinne meinem Führer, Odysseus, den Patron,
anrufend und mir seine Vorsprache bei Pallas Athene erbittend.

In der Höhle des Löwen angelangt, ward ich vom lustigen Laufer in
einen großen Speisesaal geführt, wo etwa vierzig Personen, ohne daß
man einen Laut vernommen hätte, an einer länglichrunden Tafel saßen.
Der Platz zur Rechten des Gouverneurs war offen, wohin mich der Laufer
geleitete.

Nachdem ich den Hausherrn und die Gäste mit einer Verbeugung gegrüßt,
setzte ich mich neben ihn, entschuldigte mein Außenbleiben mit der
Weitläuftigkeit der Stadt und dem Irrtum, in welchen mich die
ungewöhnliche Stundenzahl schon mehrmals geführt. Er versetzte mit
glühendem Blick, man habe sich in fremden Landen nach den jedesmaligen
Gewohnheiten zu erkundigen und zu richten. Ich erwiderte, dies sei
jederzeit mein Bestreben, nur hätte ich gefunden, daß bei den besten
Vorsätzen man gewöhnlich die ersten Tage, wo uns ein Ort noch neu und
die Verhältnisse unbekannt seien, in gewisse Fehler verfalle, welche
unverzeihlich scheinen müßten, wenn man nicht die Ermüdung der Reise,
die Zerstreuung durch Gegenstände, die Sorge für ein leidliches
Unterkommen, ja sogar für eine weitere Reise als Gründe der
Entschuldigung möchte gelten lassen.

Er fragte darauf, wie lange ich hier zu bleiben gedächte. Ich
versetzte, daß ich mir einen recht langen Aufenthalt wünsche, damit
ich ihm die Dankbarkeit für die mir erwiesene Gunst durch die
genaueste Befolgung seiner Befehle und Anordnungen betätigen könnte.
Nach einer Pause fragte er sodann, was ich in Messina gesehen habe.
Ich erzählte kürzlich meinen Morgen mit einigen Bemerkungen und fügte
hinzu, daß ich am meisten bewundert die Reinlichkeit und Ordnung in
den Straßen dieser zerstörten Stadt. Und wirklich war
bewunderungswürdig, wie man die sämtlichen Straßen von Trümmern
gereinigt, indem man den Schutt in die zerfallenen Mauerstätten selbst
geworfen, die Steine dagegen an die Häuser angereiht und dadurch die
Mitte der Straßen frei, dem Handel und Wandel offen wieder übergeben.
Hiebei konnte ich dem Ehrenmanne mit der Wahrheit schmeicheln, indem
ich ihm versicherte, daß alle Messineser dankbar erkannten, diese
Wohltat seiner Vorsorge schuldig zu sein.--"Erkennen sie es", brummte
er, "haben sie doch früher genug über die Härte geschrien, mit der man
sie zu ihrem Vorteile nötigen mußte." Ich sprach von weisen Absichten
der Regierung, von höhern Zwecken, die erst später eingesehen und
geschätzt werden könnten, und dergleichen. Er fragte, ob ich die
Jesuitenkirche gesehen habe, welches ich verneinte; worauf er mir denn
zusagte, daß er mir sie wolle zeigen lassen, und zwar mit allem
Zubehör.

Während diesem durch wenige Pausen unterbrochenen Gespräche sah ich
die übrige Gesellschaft in dem tiefsten Stillschweigen, nicht mehr
sich bewegen als nötig, die Bissen zum Munde zu bringen. Und so
standen sie, als die Tafel aufgehoben und der Kaffee gereicht war, wie
Wachspuppen rings an den Wänden. Ich ging auf den Hausgeistlichen los,
der mir die Kirche zeigen sollte, ihm zum voraus für seine Bemühungen
zu danken; er wich zur Seite, indem er demütig versicherte, die
Befehle Ihro Exzellenz habe er ganz allein vor Augen. Ich redete
darauf einen jungen, nebenstehenden Fremden an, dem es auch, ob er
gleich ein Franzose war, nicht ganz wohl in seiner Haut zu sein schien;
denn auch er war verstummt und erstarrt wie die ganze Gesellschaft,
worunter ich mehrere Gesichter sah, die der gestrigen Szene mit dem
Malteserritter bedenklich beigewohnt hatten.

Der Gouverneur entfernte sich, und nach einiger Zeit sagte mir der
Geistliche, es sei nun an der Stunde, zu gehen. Ich folgte ihm, die
übrige Gesellschaft hatte sich stille, stille verloren. Er führte
mich an das Portal der Jesuitenkirche, das nach der bekannten
Architektur dieser Väter prunkhaft und wirklich imposant in die Luft
steht. Ein Schließer kam uns schon entgegen und lud zum Eintritt, der
Geistliche hingegen hielt mich zurück mit der Weisung, daß wir zuvor
auf den Gouverneur zu warten hätten. Dieser fuhr auch bald heran,
hielt auf dem Platze unfern der Kirche und winkte, worauf wir drei
ganz nah an seinem Kutschenschlag uns vereinigten. Er gebot dem
Schließer, daß er mir nicht allein die Kirche in allen ihren Teilen
zeigen, sondern auch die Geschichte der Altäre und anderer Stiftungen
umständlich erzählen solle; ferner habe er auch die Sakristeien
aufzuschließen und mich auf alles das darin enthaltene Merkwürdige
aufmerksam zu machen. Ich sei ein Mann, den er ehren wolle, der alle
Ursache haben solle, in seinem Vaterlande rühmlich von Messina zu
sprechen. "Versäumen Sie nicht", sagte er darauf, zu mir gewandt, mit
einem Lächeln, insofern seine Züge dessen fähig waren, "versäumen Sie
nicht, so lange Sie hier sind, zur rechten Stunde an Tafel zu kommen,
Sie sollen immer wohl empfangen sein." Ich hatte kaum Zeit, ihm
hierauf verehrlich zu erwidern. Der Wagen bewegte sich fort.

Von diesem Augenblick an ward auch der Geistliche heiterer, wir traten
in die Kirche. Der Kastellan, wie man ihn wohl in diesem
entgottesdiensteten Zauberpalaste nennen dürfte, schickte sich an, die
ihm scharf empfohlene Pflicht zu erfüllen, als der Konsul und Kniep in
das leere Heiligtum hereinstürzten, mich umarmten und eine
leidenschaftliche Freude ausdrückten, mich, den sie schon in Gewahrsam
geglaubt, wiederzusehen. Sie hatten in Höllenangst gesessen, bis der
gewandte Laufer, wahrscheinlich vom Konsul gut pensioniert, einen
glücklichen Ausgang des Abenteuers unter hundert Possen erzählte,
worauf denn ein erheiternder Frohsinn sich über die beiden ergoß, die
mich sogleich aufsuchten, als die Aufmerksamkeit des Gouverneurs wegen
der Kirche ihnen bekannt geworden.

Indessen standen wir vor dem Hochaltare, die Auslegung alter
Kostbarkeiten vernehmend. Säulen von Lapislazuli, durch bronzene,
vergoldete Stäbe gleichsam kanneliert, nach florentinischer Art
eingelegte Pilaster und Füllungen; die prächtigen sizilianischen
Achate in überfluß, Erz und Vergoldung sich wiederholend und alles
verbindend.

Nun war es aber eine wunderbare kontrapunktische Fuge, wenn Kniep und
der Konsul die Verlegenheit des Abenteuers, der Vorzeiger dagegen die
Kostbarkeiten der noch wohl erhaltenen Pracht verschränkt vortrugen,
beide von ihrem Gegenstand durchdrungen; wobei ich denn das doppelte
Vergnügen hatte, den Wert meines glücklichen Entkommens zu fühlen und
zugleich die sizilianischen Gebirgsprodukte, um die ich mir schon
manche Mühe gegeben, architektonisch angewendet zu sehen.

Die genaue Kenntnis der einzelnen Teile, woraus dieser Prunk
zusammengesetzt war, verhalf mir zur Entdeckung, daß der sogenannte
Lapislazuli jener Säulen eigentlich nur Calcara sei, aber freilich von
so schöner Farbe, als ich sie noch nicht gesehn, und herrlich
zusammengefügt. Aber auch so blieben diese Säulen noch immer
ehrwürdig; denn es setzt eine ungeheure Menge jenes Materials voraus,
um Stücke von so schöner und gleicher Farbe aussuchen zu können, und
dann ist die Bemühung des Schneidens, Schleifens und Polierens höchst
bedeutend. Doch was war jenen Vätern unüberwindlich?

Der Konsul hatte indessen nicht aufgehört, mich über mein bedrohliches
Schicksal aufzuklären. Der Gouverneur nämlich, mit sich selbst
unzufrieden, daß ich von seinem gewaltsamen Betragen gegen den
Quasi-Malteser gleich beim ersten Eintritt Zeuge gewesen, habe sich
vorgenommen, mich besonders zu ehren, und sich darüber einen Plan
festgesetzt, dieser habe durch mein Außenbleiben gleich zu Anfang der
Ausführung einen Strich erlitten. Nach langem Warten sich endlich zur
Tafel setzend, habe der Despot sein ungeduldiges Mißvergnügen nicht
verbergen können, und die Gesellschaft sei in Furcht gestanden,
entweder bei meinem Kommen oder nach aufgehobener Tafel eine Szene zu
erleben.

Indessen suchte der Küster immer wieder das Wort zu erhaschen, öffnete
die geheimen Räume, nach schönen Verhältnissen gebaut, anständig, ja
prächtig verziert, auch war darin noch manches bewegliche
Kirchengeräte übriggeblieben, dem Ganzen gemäß geformt und geputzt.
Von edeln Metallen sah ich nichts, so wenig als von ältern und neuern
echten Kunstwerken.

Unsere italienisch-deutsche Fuge, denn Pater und Küster psalmodierten
in der ersten, Kniep und Konsul in der zweiten Sprache, neigte sich zu
Ende, als ein Offizier sich zu uns gesellte, den ich bei Tafel gesehen.
Er gehörte zum Gefolge des Gouverneurs. Dies konnte wieder einige
Besorgnis erregen, besonders da er sich erbot, mich an den Hafen zu
führen, wo er mich an Punkte bringen wolle, die Fremden sonst
unzugänglich seien. Meine Freunde sahen sich an, ich ließ mich jedoch
nicht abhalten, allein mit ihm zu gehen. Nach einigen gleichgültigen
Gesprächen begann ich, ihn zutraulich anzureden, und gestand, bei
Tafel gar wohl bemerkt zu haben, daß mehrere stille Beisitzer mir
durch ein freundliches Zeichen zu verstehen gegeben, daß ich nicht
unter weltfremden Menschen allein, sondern unter Freunden, ja Brüdern
mich befinde und deshalb nichts zu besorgen habe. Ich halte für
Pflicht, ihm zu danken und um Erstattung gleichen Danks an die übrigen
Freunde zu ersuchen. Hierauf erwiderte derselbe, daß sie mich um so
mehr zu beruhigen gesucht, als sie bei Kenntnis der Gemütsart ihres
Vorgesetzten für mich eigentlich nichts befürchtet hätten; denn eine
Explosion wie die gegen den Malteser sei nur selten, und gerade wegen
einer solchen mache sich der würdige Greis selbst Vorwürfe, hüte sich
lange, lebe dann eine Weile in einer sorglosen Sicherheit seiner
Pflicht, bis er denn endlich, durch einen unerwarteten Vorfall
überrascht, wieder zu neuen Heftigkeiten hingerissen werde. Der
wackere Freund setzte hinzu, daß ihm und seinen Genossen nichts
wünschenswerter wäre, als mit mir sich genauer zu verbinden, weshalb
ich die Gefälligkeit haben möchte, mich näher zu bezeichnen, wozu sich
heute nacht die beste Gelegenheit finden werde. Ich wich diesem
Verlangen höflich aus, indem ich ihn bat, mir eine Grille zu verzeihen:
ich wünsche nämlich, auf Reisen bloß als Mensch angesehen zu werden,
könne ich als ein solcher Vertrauen erregen und Teilnahme erlangen, so
sei es mir angenehm und erwünscht; in andere Verhältnisse einzugehen,
verböten mir mancherlei Gründe.

überzeugen wollt' ich ihn nicht, denn ich durfte ja nicht sagen, was
eigentlich mein Grund war. Merkwürdig genug aber schien mir's, wie
schön und unschuldig die wohldenkenden Männer unter einem despotischen
Regiment sich zu eignem und zu der Fremdlinge Schutz verbündet hatten.
Ich verhehlte ihm nicht, daß ich ihre Verhältnisse zu andern
deutschen Reisenden recht wohl kenne, verbreitete mich über die
löblichen Zwecke, die erreicht werden sollten, und setzte ihn immer
mehr in Erstaunen über meine vertrauliche Hartnäckigkeit. Er
versuchte alles mögliche, mich aus meinem Inkognito hervorzuziehen,
welches ihm nicht gelang, teils weil ich, einer Gefahr entronnen, mich
nicht zwecklos in eine andere begeben konnte, teils weil ich gar wohl
bemerkte, die Ansichten dieser wackern Insulaner seien von den
meinigen so sehr verschieden, daß ihnen mein näherer Umgang weder
Freude noch Trost bringen könne.

Dagegen wurden abends mit dem teilnehmenden und tätigen Konsul noch
einige Stunden verbracht, der denn auch die Szene mit dem Malteser
aufklärte. Es sei dieser zwar kein eigentlicher Abenteurer, aber ein
unruhiger Ortswechsler. Der Gouverneur, aus einer großen Familie,
wegen Ernst und Tüchtigkeit verehrt, wegen bedeutender Dienste
geschätzt, stehe doch im Rufe unbegrenzten Eigenwillens, zaumloser
Heftigkeit und ehernen Starrsinns. Argwöhnisch als Greis und Despot,
mehr besorgt als überzeugt, daß er Feinde bei Hofe habe, hasse er
solche hin und wider ziehende Figuren, die er durchaus für Spione
halte. Diesmal sei ihm der Rotrock in die Quer gekommen, da er nach
einer ziemlichen Pause sich wieder einmal im Zorn habe ergehen müssen,
um die Leber zu befreien.


Messina und auf der See, Montag, den 13. Mai 1787.

Beide erwachten wir mit gleicher Empfindung, verdrießlich, daß wir,
durch den ersten wüsten Anblick von Messina zur Ungeduld gereizt, uns
entschlossen hatten, mit dem französischen Kauffahrer die Rückfahrt
abzuschließen. Nach dem glücklich beendigten Abenteuer mit dem
Gouverneur, bei dem Verhältnis zu wackern Männern, denen ich mich nur
näher zu bezeichnen brauchte, aus dem Besuch bei meinem Bankier, der
auf dem Lande in der angenehmsten Gegend wohnte, ließ sich für einen
längern Aufenthalt in Messina das Angenehmste hoffen. Kniep, von ein
paar hübschen Kindern wohl unterhalten, wünschte nichts mehr als die
längere Dauer des sonst verhaßten Gegenwindes. Indessen war die Lage
unangenehm, alles mußte gepackt bleiben und wir jeden Augenblick
bereit sein, zu scheiden.

So geschah denn auch dieser Aufruf gegen Mittag, wir eilten an Bord
und fanden unter der am Ufer versammelten Menge auch unsern guten
Konsul, von dem wir dankbar Abschied nahmen. Der gelbe Laufer drängte
sich auch herbei, seine Ergötzlichkeiten abzuholen. Dieser ward nun
belohnt und beauftragt, seinem Herrn unsere Abreise zu melden und mein
Außenbleiben von Tafel zu entschuldigen.--"Wer absegelt, ist
entschuldigt!" rief er aus; sodann mit einem seltsamen Sprung sich
umkehrend, war er verschwunden.

Im Schiffe selbst sah es nun anders aus als auf der neapolitanischen
Korvette; doch beschäftigte uns bei allmählicher Entfernung vom Ufer
die herrliche Ansicht des Palastzirkels, der Zitadelle, der hinter der
Stadt aufsteigenden Berge. Kalabrien an der andern Seite. Nun der
freie Blick in die Meerenge nord--und südwärts, bei einer ausgedehnten,
an beiden Seiten schön beuferten Breite. Als wir dieses nach und
nach anstaunten, ließ man uns links in ziemlicher Ferne einige
Bewegung im Wasser, rechts aber etwas näher einen vom Ufer sich
auszeichnenden Felsen bemerken, jene als Charybdis, diesen als Scylla.
Man hat sich bei Gelegenheit beider in der Natur so weit auseinander
stehenden, von dem Dichter so nah zusammengerückten Merkwürdigkeiten
über die Fabelei der Poeten beschwert und nicht bedacht, daß die
Einbildungskraft aller Menschen durchaus Gegenstände, wenn sie sich
solche bedeutend vorstellen will, höher als breit imaginiert und
dadurch dem Bilde mehr Charakter, Ernst und Würde verschafft.
Tausendmal habe ich klagen hören, daß ein durch Erzählung gekannter
Gegenstand in der Gegenwart nicht mehr befriedige; die Ursache hievon
ist immer dieselbe: Einbildung und Gegenwart verhalten sich wie Poesie
und Prosa, jene wird die Gegenstände mächtig und steil denken, diese
sich immer in die Fläche verbreiten. Landschaftsmaler des sechzehnten
Jahrhunderts, gegen die unsrigen gehalten, geben das auffallendste
Beispiel. Eine Zeichnung von Jodocus Momper neben einem Kniepschen
Kontur würde den ganzen Kontrast sichtbar machen.

Mit solchen und ähnlichen Gesprächen unterhielten wir uns, indem
selbst für Kniep die Küsten, welche zu zeichnen er schon Anstalt
getroffen hatte, nicht reizend genug waren.

Mich aber befiel abermals die unangenehme Empfindung der Seekrankheit,
und hier war dieser Zustand nicht wie bei der überfahrt durch bequeme
Absonderung gemildert; doch fand sich die Kajüte groß genug, um
mehrere Personen einzunehmen, auch an guten Matratzen war kein Mangel.
Ich nahm die horizontale Stellung wieder an, in welcher mich Kniep
gar vorsorglich mit rotem Wein und gutem Brot ernährte. In dieser
Lage wollte mir unsere ganze sizilianische Reise in keinem angenehmen
Lichte erscheinen. Wir hatten doch eigentlich nichts gesehen, als
durchaus eitle Bemühungen des Menschengeschlechts, sich gegen die
Gewaltsamkeit der Natur, gegen die hämische Tücke der Zeit und gegen
den Groll ihrer eigenen feindseligen Spaltungen zu erhalten. Die
Karthager, Griechen und Römer und so viele nachfolgende Völkerschaften
haben gebaut und zerstört. Selinunt liegt methodisch umgeworfen; die
Tempel von Girgenti niederzulegen, waren zwei Jahrtausende nicht
hinreichend, Catania und Messina zu verderben, wenige Stunden, wo
nicht gar Augenblicke. Diese wahrhaft seekranken Betrachtungen eines
auf der Woge des Lebens hin und wider Geschaukelten ließ ich nicht
Herrschaft gewinnen.


Auf der See, Dienstag, den 13. Mai 1787.

Meine Hoffnung, diesmal schneller nach Neapel zu gelangen, oder von
der Seekrankheit eher befreit zu sein, war nicht eingetroffen.
Verschiedenemal versuchte ich, durch Kniep angeregt, auf das Verdeck
zu treten, allein der Genuß eines so mannigfaltigen Schönen war mit
versagt, nur einige Vorfälle ließen mich meinen Schwindel vergessen.
Der ganze Himmel war mit einem weißlichen Wolkendunst umzogen, durch
welchen die Sonne, ohne daß man ihr Bild hätte unterscheiden können,
das Meer überleuchtete, welches die schönste Himmelsbläue zeigte, die
man nur sehen kann. Eine Schar Delphine begleitete das Schiff,
schwimmend und springend blieben sie ihm immer gleich. Mich deucht,
sie hatten das aus der Tiefe und Ferne ihnen als ein schwarzer Punkt
erscheinende Schwimmgebäude für irgendeinen Raub und willkommene
Zehrung gehalten. Vom Schiff aus wenigstens behandelte man sie nicht
als Geleitsmänner, sondern wie Feinde: einer ward mit dem Harpun
getroffen, aber nicht herangebracht.

Der Wind blieb ungünstig, den unser Schiff, in verschiedenen
Richtungen fortstreichend, nur überlisten konnte. Die Ungeduld
hierüber ward vermehrt, als einige erfahrne Reisende versicherten,
weder Hauptmann noch Steurer verstünden ihr Handwerk, jener möge wohl
als Kaufmann, dieser als Matrose gelten, für den Wert so vieler
Menschen und Güter seien sie nicht geeignet einzustehen.

Ich ersuchte diese übrigens braven Personen, ihre Besorgnisse
geheimzuhalten. Die Anzahl der Passagiere war groß, darunter Weiber
und Kinder von verschiedenem Alter, denn alles hatte sich auf das
französische Fahrzeug gedrängt, die Sicherheit der weißen Flagge vor
Seeräubern, sonst nichts weiter bedenkend. Ich stellte vor, daß
Mißtrauen und Sorge jeden in die peinlichste Lage versetzen würde, da
bis jetzt alle in der farb--und wappenlosen Leinwand ihr Heil gesehen.

Und wirklich ist zwischen Himmel und Meer dieser weiße Zipfel als
entscheidender Talisman merkwürdig genug. Wie sich Abfahrende und
Zurückbleibende noch mit geschwungenen weißen Taschentüchern begrüßen
und dadurch wechselseitig ein sonst nie zu empfindendes Gefühl der
scheidenden Freundschaft und Neigung erregen, so ist hier in dieser
einfachen Fahne der Ursprung geheiligt; eben als wenn einer sein
Taschentuch an eine Stange befestigte, um der ganzen Welt anzukündigen,
es komme ein Freund über Meer.

Mit Wein und Brot von Zeit zu Zeit erquickt zum Verdruß des Hauptmanns,
welcher verlangte, daß ich essen sollte, was ich bezahlt hatte,
konnte ich doch auf dem Verdeck sitzen und an mancher Unterhaltung
teilnehmen. Kniep wußte mich zu erheitern, indem er nicht wie auf der
Korvette, über die vortreffliche Kost triumphierend, meinen Neid zu
erregen suchte, mich vielmehr diesmal glücklich pries, daß ich keinen
Appetit habe.


Montag, den 14. Mai 1787.

Und so war der Nachmittag vorbeigegangen, ohne daß wir unsern Wünschen
gemäß in den Golf von Neapel eingefahren wären. Wir wurden vielmehr
immer westwärts getrieben, und das Schiff, indem es sich der Insel
Capri näherte, entfernte sich immer mehr von dem Kap Minerva.
Jedermann war verdrießlich und ungeduldig, wir beiden aber, die wir
die Welt mit malerischen Augen betrachteten, konnten damit sehr
zufrieden sein; denn bei Sonnenuntergang genossen wir des herrlichsten
Anblicks, den uns die ganze Reise gewährt hatte. In dem glänzendsten
Farbenschmuck lag Kap Minerva mit den daranstoßenden Gebirgen vor
unsern Augen, indes die Felsen, die sich südwärts hinabziehen, schon
einen blaulichen Ton angenommen hatten. Vom Kap an zog sich die ganze
erleuchtete Küste bis Sorrent hin. Der Vesuv war uns sichtbar, eine
ungeheure Dampfwolke über ihm aufgetürmt, von der sich ostwärts ein
langer Streif weit hinzog, so daß wir den stärksten Ausbruch vermuten
konnten. Links lag Capri, steil in die Höhe strebend; die Formen
seiner Felswände konnten wir durch den durchsichtigen bläulichen Dunst
vollkommen unterscheiden. Unter einem ganz reinen, wolkenlosen Himmel
glänzte das ruhige, kaum bewegte Meer, das bei einer völligen
Windstille endlich wie ein klarer Teich vor uns lag. Wir entzückten
uns an dem Anblick, Kniep trauerte, daß alle Farbenkunst nicht
hinreiche, diese Harmonie wiederzugeben, so wie der feinste englische
Bleistift die geübteste Hand nicht in den Stand setze, diese Linien
nachzuziehen. Ich dagegen, überzeugt, daß ein weit geringeres
Andenken, als dieser geschickte Künstler zu erhalten vermochte, in der
Zukunft höchst wünschenswert sein würde, ich ermunterte ihn, Hand und
Auge zum letztenmal anzustrengen; er ließ sich bereden und lieferte
eine der genausten Zeichnungen, die er nachher kolorierte und ein
Beispiel zurückließ, daß bildlicher Darstellung das Unmögliche möglich
wird. Den übergang vorn Abend zur Nacht verfolgten wir mit ebenso
begierigen Augen. Capri lag nun ganz finster vor uns, und zu unserm
Erstaunen entzündete sich die vesuvische Wolke sowie auch der
Wolkenstreif, je länger, je mehr, und wir sahen zuletzt einen
ansehnlichen Strich der Atmosphäre im Grunde unseres Bildes erleuchtet,
ja, wetterleuchten.

über diese uns so willkommenen Szenen hatten wir unbemerkt gelassen,
daß uns ein großes Unheil bedrohe; doch ließ uns die Bewegung unter
den Passagieren nicht lange in Ungewißheit. Sie, der Meeresereignisse
kundiger als wir, machten dem Schiffsherrn und seinem Steuermanne
bittre Vorwürfe; daß über ihre Ungeschicklichkeit nicht allein die
Meerenge verfehlt sei, sondern auch die ihnen anvertraute Personenzahl,
Güter und alles umzukommen in Gefahr schwebe. Wir erkundigten uns
nach der Ursache dieser Unruhe, indem wir nicht begriffen, daß bei
völliger Windstille irgendein Unheil zu befürchten sei. Aber eben
diese Windstille machte jene Männer trostlos. "Wir befinden uns",
sagten sie, "schon in der Strömung, die sich um die Insel bewegt und
durch einen sonderbaren Wellenschlag so langsam als unwiderstehlich
nach dem schroffen Felsen hinzieht, wo uns auch nicht ein Fußbreit
Vorsprung oder Bucht zur Rettung gegeben ist."

Aufmerksam durch diese Reden, betrachteten wir nun unser Schicksal mit
Grauen; denn obgleich die Nacht die zunehmende Gefahr nicht
unterscheiden ließ, so bemerkten wir doch, daß das Schiff, schwankend
und schwippend, sich den Felsen näherte, die immer finsterer vor uns
standen, während über das Meer hin noch ein leichter Abendschimmer
verbreitet lag. Nicht die geringste Bewegung war in der Luft zu
bemerken: Schnupftücher und leichte Bänder wurden von jedem in die
Höhe und ins Freie gehalten, aber keine Andeutung eines erwünschten
Hauches zeigte sich. Die Menge ward immer lauter und wilder. Nicht
etwa betend knieten die Weiber mit ihren Kindern auf dem Verdeck,
sondern weil der Raum zu eng war, sich darauf zu bewegen, lagen sie
gedrängt aneinander. Sie noch mehr als die Männer, welche besonnen
auf Hülfe und Rettung dachten, schalten und tobten gegen den Kapitän.
Nun ward ihm alles vorgeworfen, was man auf der ganzen Reise
schweigend zu erinnern gehabt: für teures Geld einen schlechten
Schiffsraum, geringe Kost, ein zwar nicht unfreundliches, aber doch
stummes Betragen. Er hatte niemand von seinen Handlungen Rechenschaft
gegeben, ja, selbst noch den letzten Abend ein hartnäckiges
Stillschweigen über seine Manoeuvres beobachtet. Nun hieß er und der
Steuermann hergelaufene Krämer, die ohne Kenntnis der Schiffskunst
sich aus bloßem Eigennutz den Besitz eines Fahrzeuges zu verschaffen
gewußt und nun durch Unfähigkeit und Ungeschicklichkeit alle, die
ihnen anvertraut, zugrunde richteten. Der Hauptmann schwieg und
schien immer noch auf Rettung zu sinnen; mir aber, dem von Jugend auf
Anarchie verdrießlicher gewesen als der Tod selbst, war es unmöglich,
länger zu schweigen. Ich trat vor sie hin und redete ihnen zu, mit
ungefähr ebensoviel Gemütsruhe als den Vögeln von Malcesine. Ich
stellte ihnen vor, daß gerade in diesem Augenblick ihr Lärmen und
Schreien denen, von welchen noch allein Rettung zu hoffen sei, Ohr und
Kopf verwirrten, so daß sie weder denken noch sich untereinander
verständigen könnten. "Was euch betrifft", rief ich aus, "kehrt in
euch selbst zurück und dann wendet euer brünstiges Gebet zur Mutter
Gottes, auf die es ganz allein ankommt, ob sie sich bei ihrem Sohne
verwenden mag, daß er für euch tue, was er damals für seine Apostel
getan, als auf dem stürmenden See Tiberias die Wellen schon in das
Schiff schlugen, der Herr aber schlief, der jedoch, als ihn die
Trost--und Hülflosen aufweckten, sogleich dem Winde zu ruhen gebot,
wie er jetzt der Luft gebieten kann, sich zu regen, wenn es anders
sein heiliger Wille ist."

Diese Worte taten die beste Wirkung. Eine unter den Frauen, mit der
ich mich schon früher über sittliche und geistliche Gegenstände
unterhalten hatte, rief aus: "Ah! il Barlamé! benedetto il Barlamé!"
und wirklich fingen sie, da sie ohnehin schon auf den Knieen lagen,
ihre Litaneien mit mehr als herkömmlicher Inbrunst leidenschaftlich zu
beten an. Sie konnten dies mit desto größerer Beruhigung tun, als die
Schiffsleute noch ein Rettungsmittel versuchten, das wenigstens in die
Augen fallend war: sie ließen das Boot hinunter, das freilich nur
sechs bis acht Männer fassen konnte, befestigten es durch ein langes
Seil an das Schiff, welches die Matrosen durch Ruderschläge nach sich
zu ziehen kräftig bemüht waren. Auch glaubte man einen Augenblick,
daß sie es innerhalb der Strömung bewegten, und hoffte es bald aus
derselben herausgerettet zu sehen. Ob aber gerade diese Bemühungen
die Gegengewalt der Strömung vermehrt, oder wie es damit beschaffen
sein mochte, so ward mit einmal an dem langen Seile das Boot und seine
Mannschaft im Bogen rückwärts nach dem Schiffe geschleudert, wie die
Schmitze einer Peitsche, wenn der Fuhrmann einen Zug tut. Auch diese
Hoffnung ward aufgegeben!--Gebet und Klagen wechselten ab, und der
Zustand wuchs um so schauerlicher, da nun oben auf den Felsen die
Ziegenhirten, deren Feuer man schon längst gesehen hatte, hohl
aufschrien, da unten strande das Schiff! Sie riefen einander noch
viel unverständliche Töne zu, in welchen einige, mit der Sprache
bekannt, zu vernehmen glaubten, als freuten sie sich auf manche Beute,
die sie am andern Morgen aufzufischen gedächten. Sogar der tröstliche
Zweifel, ob denn auch wirklich das Schiff dem Felsen sich so drohend
nähere, war leider nur zu bald gehoben, indem die Mannschaft zu großen
Stangen griff, um das Fahrzeug, wenn es zum äußersten käme, damit von
den Felsen abzuhalten, bis denn endlich auch diese brächen und alles
verloren sei. Immer stärker schwankte das Schiff, die Brandung schien
sich zu vermehren, und meine durch alles dieses wiederkehrende
Seekrankheit drängte mir den Entschluß auf, hinunter in die Kajüte zu
steigen. Ich legte mich halb betäubt auf meine Matratze, doch aber
mit einer gewissen angenehmen Empfindung, die sich vom See Tiberias
herzuschreiben schien; denn ganz deutlich schwebte mir das Bild aus
Merians Kupferbibel vor Augen. Und so bewährt sich die Kraft aller
sinnlich-sittlichen Eindrücke jedesmal am stärksten, wenn der Mensch
ganz auf sich selbst zurückgewiesen ist. Wie lange ich so in halbem
Schlafe gelegen, wüßte ich nicht zu sagen, aufgeweckt aber ward ich
durch ein gewaltsames Getöse über mir; ich konnte deutlich vernehmen,
daß es die großen Seile waren, die man auf dem Verdeck hin und wider
schleppte, dies gab mir Hoffnung, daß man von den Segeln Gebrauch
mache. Nach einer kleinen Weile sprang Kniep herunter und kündigte
mir an, daß man gerettet sei, der gelindeste Windshauch habe sich
erhoben; in dem Augenblick sei man bemüht gewesen, die Segel
aufzuziehen, er selbst habe nicht versäumt, Hand anzulegen. Man
entferne sich schon sichtbar vom Felsen, und obgleich noch nicht
völlig außer der Strömung, hoffe man nun doch, sie zu überwinden.
Oben war alles stille; sodann kamen mehrere der Passagiere,
verkündigten den glücklichen Ausgang und legten sich nieder.

Als ich früh am vierten Tage unserer Fahrt erwachte, befand ich mich
frisch und gesund, so wie ich auch bei der überfahrt zu eben dieser
Epoche gewesen war; so daß ich also auf einer längern Seereise
wahrscheinlich mit einer dreitägigen Unpäßlichkeit meinen Tribut würde
bezahlt haben.

Vom Verdeck sah ich mit Vergnügen die Insel Capri in ziemlicher
Entfernung zur Seite liegen und unser Schiff in solcher Richtung, daß
wir hoffen konnten, in den Golf hineinzufahren, welches denn auch bald
geschah. Nun hatten wir die Freude, nach einer ausgestandenen harten
Nacht dieselben Gegenstände, die uns abends vorher entzückt hatten, in
entgegengesetztem Lichte zu bewundern. Bald ließen wir jene
gefährliche Felseninsel hinter uns. Hatten wir gestern die rechte
Seite des Golfs von weitem bewundert, so erschienen nun auch die
Kastelle und die Stadt gerade vor uns, sodann links der Posilipo und
die Erdzungen, die sich bis gegen Procida und Ischia erstreckten.
Alles war auf dem Verdeck, voran ein für seinen Orient sehr
eingenommener griechischer Priester, der den Landesbewohnern, die ihr
herrliches Vaterland mit Entzücken begrüßten, auf ihre Frage, wie sich
denn Neapel zu Konstantinopel verhalte, sehr pathetisch antwortete:
"Anche questa è una città!"--"Auch dieses ist eine Stadt!"--Wir
langten zur rechten Zeit im Hafen an, umsummt von Menschen; es war der
lebhafteste Augenblick des Tages. Kaum waren unsere Koffer und
sonstigen Gerätschaften ausgeladen und standen am Ufer, als gleich
zwei Lastträger sich derselben bemächtigten, und kaum hatten wir
ausgesprochen, daß wir bei Moriconi logieren würden, so liefen sie mit
dieser Last wie mit einer Beute davon, so daß wir ihnen durch die
menschenreichen Straßen und über den bewegten Platz nicht mit den
Augen folgen konnten. Kniep hatte das Portefeuille unter dem Arm, und
wir hätten wenigstens die Zeichnungen gerettet, wenn jene Träger,
weniger ehrlich als die neapolitanischen armen Teufel, uns um
dasjenige gebracht hätten, was die Brandung verschont hatte.




Neapel

An Herder

Neapel, den 17. Mai 1787.

Hier bin ich wieder, meine Lieben, frisch und gesund. Ich habe die
Reise durch Sizilien leicht und schnell getrieben, wenn ich
wiederkomme, sollt Ihr beurteilen, wie ich gesehen habe. Daß ich
sonst so an den Gegenständen klebte und haftete, hat mir nun eine
unglaubliche Fertigkeit verschafft, alles gleichsam vom Blatt
wegzuspielen, und ich finde mich recht glücklich, den großen, schönen,
unvergleichbaren Gedanken von Sizilien so klar, ganz und lauter in der
Seele zu haben. Nun bleibt meiner Sehnsucht kein Gegenstand mehr im
Mittag, da ich auch gestern von Pästum zurückgekommen bin. Das Meer
und die Inseln haben mir Genuß und Leiden gegeben, und ich kehre
befriedigt zurück. Laßt mich jedes Detail bis zu meiner Wiederkehr
aufsparen. Auch ist hier in Neapel kein Besinnens; diesen Ort werde
ich Euch nun besser schildern, als es meine ersten Briefe taten. Den
ersten Juni reise ich nach Rom, wenn mich nicht eine höhere Macht
hindert, und Anfangs Juli denke ich von dort wieder abzugehen. Ich
muß Euch so bald als möglich wiedersehen, es sollen gute Tage werden.
Ich habe unsäglich aufgeladen und brauche Ruhe, es wieder zu
verarbeiten.

Für alles, was Du Liebes und Gutes an meinen Schriften tust, danke ich
Dir tausendmal, ich wünschte immer, etwas Besseres auch Dir zur Freude
zu machen. Was mir auch von Dir begegnen wird und wo, soll mir
willkommen sein, wir sind so nah in unsern Vorstellungsarten, als es
möglich ist, ohne eins zu sein, und in den Hauptpunkten am nächsten.
Wenn Du diese Zeit her viel aus Dir selbst geschöpft hast, so hab' ich
viel erworben, und ich kann einen guten Tausch hoffen.

Ich bin freilich, wie Du sagst, mit meiner Vorstellung sehr ans
Gegenwärtige geheftet, und je mehr ich die Welt sehe, desto weniger
kann ich hoffen, daß die Menschheit je eine weise, kluge, glückliche
Masse werden könne. Vielleicht ist unter den Millionen Welten eine,
die sich dieses Vorzugs rühmen kann; bei der Konstitution der unsrigen
bleibt mit so wenig für sie, als für Sizilien bei der seinigen zu
hoffen.

In einem beiliegenden Blatte sag' ich etwas über den Weg nach Salerno
und über Pästum selbst; es ist die letzte und, fast möcht' ich sagen,
herrlichste Idee, die ich nun nordwärts vollständig mitnehme. Auch
ist der mittlere Tempel nach meiner Meinung allem vorzuziehen, was man
noch in Sizilien sieht.

Was den Homer betrifft, ist mir wie eine Decke von den Augen gefallen.
Die Beschreibungen, die Gleichnisse etc. kommen uns poetisch vor und
sind doch unsäglich natürlich, aber freilich mit einer Reinheit und
Innigkeit gezeichnet, vor der man erschrickt. Selbst die
sonderbarsten erlogenen Begebenheiten haben eine Natürlichkeit, die
ich nie so gefühlt habe als in der Nähe der beschriebenen Gegenstände.
Laß mich meinen Gedanken kurz so ausdrücken: sie stellten die
Existenz dar, wir gewöhnlich den Effekt; sie schilderten das
Fürchterliche, wir schildern fürchterlich; sie das Angenehme, wir
angenehm u.s.w. Daher kommt alles übertriebene, alles Manierierte,
alle falsche Grazie, aller Schwulst. Denn wenn man den Effekt und auf
den Effekt arbeitet, so glaubt man ihn nicht fühlbar genug machen zu
können. Wenn, was ich sage, nicht neu ist, so hab' ich es doch bei
neuem Anlaß recht lebhaft gefühlt. Nun ich alle diese Küsten und
Vorgebirge, Golfe und Buchten, Inseln und Erdzungen, Felsen und
Sandstreifen, buschige Hügel, sanfte Weiden, fruchtbare Felder,
geschmückte Gärten, gepflegte Bäume, hängende Reben, Wolkenberge und
immer heitere Ebnen, Klippen und Bänke und das alles umgebende Meer
mit so vielen Abwechselungen und Mannigfaltigkeiten im Geiste
gegenwärtig habe, nun ist mir erst die Odyssee ein lebendiges Wort.

Ferner muß ich Dir vertrauen, daß ich dem Geheimnis der
Pflanzenzeugung und -organisation ganz nahe bin und daß es das
einfachste ist, was nur gedacht werden kann. Unter diesem Himmel kann
man die schönsten Beobachtungen machen. Den Hauptpunkt, wo der Keim
steckt, habe ich ganz klar und zweifellos gefunden; alles übrige seh'
ich auch schon im ganzen, und nur noch einige Punkte müssen bestimmter
werden. Die Urpflanze wird das wunderlichste Geschöpf von der Welt,
um welches mich die Natur selbst beneiden soll. Mit diesem Modell und
dem Schlüssel dazu kann man alsdann noch Pflanzen ins Unendliche
erfinden, die konsequent sein müssen, das heißt, die, wenn sie auch
nicht existieren, doch existieren könnten und nicht etwa malerische
oder dichterische Schatten und Scheine sind, sondern eine innerliche
Wahrheit und Notwendigkeit haben. Dasselbe Gesetz wird sich auf alles
übrige Lebendige anwenden lassen.


Neapel, den 18. Mai 1787.

Tischbein, der nach Rom wieder zurückgekehrt ist, hat, wie wir merken,
hier in der Zwischenzeit so für uns gearbeitet, daß wir seine
Abwesenheit nicht empfinden sollen. Er scheint seinen sämtlichen
hiesigen Freunden so viel Zutrauen zu uns eingeflößt zu haben, daß sie
sich alle offen, freundlich und tätig gegen uns erweisen, welches ich
besonders in meiner gegenwärtigen Lage sehr bedarf, weil kein Tag
vergeht, wo ich nicht jemand um irgendeine Gefälligkeit und Beistand
anzurufen hätte. Soeben bin ich im Begriff, ein summarisches
Verzeichnis aufzusetzen von dem, was ich noch zu sehen wünschte; da
denn die Kürze der Zeit Meisterin bleiben und andeuten wird, was denn
auch wirklich nachgeholt werden könne.


Neapel, den 22. Mai 1787.

Heute begegnete mir ein angenehmes Abenteuer, welches mich wohl zu
einigem Nachdenken bewegen konnte und des Erzählens wert ist.

Eine Dame, die mich schon bei meinem ersten Aufenthalt vielfach
begünstigt, ersuchte mich, abends Punkt fünf Uhr bei ihr einzutreffen:
es wolle mich ein Engländer sprechen, der mir über meinen "Werther"
etwas zu sagen habe.

Vor einem halben Jahre würde hierauf, und wäre sie mir doppelt wert
gewesen, gewiß eine abschlägige Antwort erfolgt sein; aber daran, daß
ich zusagte, konnte ich wohl merken, meine sizilianische Reise habe
glücklich auf mich gewirkt, und ich versprach zu kommen.

Leider aber ist die Stadt zu groß und der Gegenstände so viel, daß ich
eine Viertelstunde zu spät die Treppe hinaufstieg und eben an der
verschlossenen Türe auf der Schilfmatte stand, um zu klingeln, als die
Türe schon aufging und ein schöner Mann in mittlern Jahren heraustrat,
den ich sogleich für den Engländer erkannte. Er hatte mich kaum
angesehen, als er sagte: "Sie sind der Verfasser des "Werther"!" Ich
bekannte mich dazu und entschuldigte mich, nicht früher gekommen zu
sein.

"Ich konnte nicht einen Augenblick länger warten", versetzte derselbe,
"was ich Ihnen zu sagen habe, ist ganz kurz und kann ebensogut hier
auf der Schilfmatte geschehen. Ich will nicht wiederholen, was Sie
von Tausenden gehört, auch hat das Werk nicht so heftig auf mich
gewirkt als auf andere; sooft ich aber daran denke, was dazu gehörte,
um es zu schreiben, so muß ich mich immer aufs neue verwundern."

Ich wollte irgend etwas dankbar dagegen erwidern, als er mir ins Wort
fiel und ausrief: "Ich darf keinen Augenblick länger säumen, mein
Verlangen ist erfüllt, Ihnen dies selbst gesagt zu haben, leben Sie
recht wohl und glücklich!" Und so fuhr er die Treppe hinunter. Ich
stand einige Zeit über diesen ehrenvollen Text nachdenkend und
klingelte endlich. Die Dame vernahm mit Vergnügen unser
Zusammentreffen und erzählte manches Vorteilhafte von diesem seltenen
und seltsamen Manne.


Neapel, Freitag, den 25. Mai 1787

Mein lockeres Prinzeßchen werde ich wohl nicht wiedersehen; sie ist
wirklich nach Sorrent und hat mir die Ehre angetan, vor ihrer Abreise
auf mich zu schelten, daß ich das steinichte und wüste Sizilien ihr
habe vorziehen können. Einige Freunde gaben mir Auskunft über diese
sonderbare Erscheinung. Aus einem guten, doch unvermögenden Hause
geboren, im Kloster erzogen, entschloß sie sich, einen alten und


 


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