Italienische Reise-Teil 2
by
Johann Wolfgang Goethe

Part 1 out of 5








Italienische Reise
Johann Wolfgang Goethe




Zweiter Römischer Aufenthalt vom Juni 1787 bis April 1788

Juni 1787

Korrespondenz
Nachtrag: Päpstliche Teppiche

Juli 1787

Korrespondenz
Bericht
Störende Naturbetrachtungen

August 1787

Korrespondenz
Bericht

September 1787

Korrespondenz
Bericht

Oktober 1787

Korrespondenz
Bericht

November 1787

Korrespondenz
Bericht

Dezember 1787

Korrespondenz
Bericht
Moritz als Etymologe

Philipp Neri,der humoristische Heilige
Januar 1788

Korrespondenz
Bericht
Aufnahme in die Gesellschaft der Arkadier

Das Römische Karneval
Februar 1788

Korrespondenz
Bericht

März 1788

Korrespondenz
Bericht

über die bildende Nachahmungdes Schönen. Von Karl Philipp Moritz
April 1788

Korrespondenz
Bericht





Zweiter Römischer Aufenthalt

vom Juni 1787 bis April 1788

"Longa sit huic aetas dominaeque potentia terrae,
Sitque sub hac oriens occiduusque dies."





Juni

Korrespondenz

Rom, den 8. Juni 1787

Vorgestern bin ich glücklich wieder hier angelangt, und gestern hat
der feierliche Fronleichnamstag mich sogleich wieder zum Römer
eingeweiht. Gern will ich gestehen, meine Abreise von Neapel machte
mir einige Pein; nicht sowohl die herrliche Gegend als eine gewaltige
Lava hinter mir lassend, die von dem Gipfel aus ihren Weg nach dem
Meere zu nahm, die ich wohl hätte in der Nähe betrachten, deren Art
und Weise, von der man so viel gelesen und erzählt hat, ich in meine
Erfahrungen hätte mit aufnehmen sollen.



Goethe auf zurückgelehntem Stuhl. Zeichnung von Tischbein

Heute jedoch ist meine Sehnsucht nach dieser großen Naturszene schon
wieder ins gleiche gebracht; nicht sowohl das fromme Festgewirre, das
bei einem imposanten Ganzen doch hie und da durch abgeschmacktes
Einzelne den innern Sinn verletzt, sondern die Anschauung der Teppiche
nach Raffaels Kartonen hat mich wieder in den Kreis höherer
Betrachtungen zurückgeführt. Die vorzüglichsten, die ihm am
gewissesten ihren Ursprung verdanken, sind zusammen ausgebreitet,
andere, wahrscheinlich von Schülern, Zeit--und Kunstgenossen erfundene,
schließen sich nicht unwürdig an und bedecken die grenzenlosen Räume.


Rom, den 16. Juni.

Laßt mich auch wieder, meine Lieben, ein Wort zu euch reden. Mir geht
es sehr wohl, ich finde mich immer mehr in mich zurück und lerne
unterscheiden, was mir eigen und was mir fremd ist. Ich bin fleißig
und nehme von allen Seiten ein und wachse von innen heraus. Diese
Tage war ich in Tivoli und habe eins der ersten Naturschauspiele
gesehen. Es gehören die Wasserfälle dort mit den Ruinen und dem
ganzen Komplex der Landschaft zu denen Gegenständen, deren
Bekanntschaft uns im tiefsten Grunde reicher macht.

Am letzten Posttage habe ich versäumt zu schreiben. In Tivoli war ich
sehr müde vom Spazierengehen und vom Zeichnen in der Hitze. Ich war
mit Herrn Hackert draußen, der eine unglaubliche Meisterschaft hat,
die Natur abzuschreiben und der Zeichnung gleich eine Gestalt zu geben.
Ich habe in diesen wenigen Tagen viel von ihm gelernt.



Die Maecenasvilla in Tivoli. Zeichnung von Hackert

Weiter mag ich gar nichts sagen. Das ist wieder ein Gipfel irdischer
Dinge. Ein sehr komplizierter Fall in der Gegend bringt die
herrlichsten Wirkungen hervor.

Herr Hackert hat mich gelobt und getadelt und mir weiter geholfen. Er
tat mir halb im Scherz, halb im Ernst den Vorschlag, achtzehn Monate
in Italien zu bleiben und mich nach guten Grundsätzen zu üben; nach
dieser Zeit, versprach er mir, sollte ich Freude an meinen Arbeiten
haben. Ich sehe auch wohl, was und wie man studieren muß, um über
gewisse Schwierigkeiten hinauszukommen, unter deren Last man sonst
sein ganzes Leben hinkriecht.

Noch eine Bemerkung. Jetzt fangen erst die Bäume, die Felsen, ja Rom
selbst an, mir lieb zu werden; bisher hab' ich sie immer nur als fremd
gefühlt; dagegen freuten mich geringe Gegenstände, die mit denen
ähnlichkeit hatten, die ich in der Jugend sah. Nun muß ich auch erst
hier zu Hause werden, und doch kann ich's nie so innig sein als mit
jenen ersten Gegenständen des Lebens. Ich habe verschiednes bezüglich
auf Kunst und Nachahmung bei dieser Gelegenheit gedacht.

Während meiner Abwesenheit hatte Tischbein ein Gemälde von Daniel von
Volterra im Kloster an der Porta del Popolo entdeckt; die Geistlichen
wollten es für tausend Skudi hergeben, welche Tischbein als Künstler
nicht aufzutreiben wußte. Er machte daher an Madame Angelika durch
Meyer den Vorschlag, in den sie willigte, gedachte Summe auszahlte,
das Bild zu sich nahm und später Tischbein die ihm kontraktmäßige
Hälfte um ein Namhaftes abkaufte. Es war ein vortreffliches Bild, die
Grablegung vorstellend, mit vielen Figuren. Eine von Meyer darnach
sorgfältig hergestellte Zeichnung ist noch vorhanden.


Rom, den 20. Juni.

Nun hab' ich hier schon wieder treffliche Kunstwerke gesehen, und mein
Geist reinigt und bestimmt sich. Doch brauchte ich wenigstens noch
ein Jahr allein in Rom, um nach meiner Art den Aufenthalt nutzen zu
können, und ihr wißt, ich kann nichts auf andre Art. Jetzt, wenn ich
scheide, werde ich nur wissen, welcher Sinn mir noch nicht aufgegangen
ist, und so sei es denn eine Weile genug.

Der Herkules Farnese ist fort, ich hab' ihn noch auf seinen echten
Beinen gesehen, die man ihm nach so langer Zeit wiedergab. Nun
begreift man nicht, wie man die ersten, von Porta, hat so lange gut
finden können. Es ist nun eins der vollkommensten Werke alter Zeit.
In Neapel wird der König ein Museum bauen lassen, wo alles, was er von
Kunstsachen besitzt, das Herkulanische Museum, die Gemälde von Pompeji,
die Gemälde von Capo di Monte, die ganze farnesische Erbschaft,
vereinigt aufgestellt werden sollen. Es ist ein großes und schönes
Unternehmen. Unser Landsmann Hackert ist die erste Triebfeder dieses
Werks. Sogar der Toro Farnese soll nach Neapel wandern und dort auf
der Promenade aufgestellt werden. Könnten sie die Carraccische
Galerie aus dem Palaste mitnehmen, sie täten's auch.


Rom, den 27. Juni.

Ich war mit Hackert in der Galerie Colonna, wo Poussins, Claudes,
Salvator Rosas Arbeiten zusammen hängen. Er sagte mir viel Gutes und
gründlich Gedachtes über diese Bilder, er hat einige davon kopiert und
die andern recht aus dem Fundament studiert. Es freute mich, daß ich
im allgemeinen bei den ersten Besuchen in der Galerie eben dieselbe
Vorstellung gehabt hatte. Alles, was er mir sagte, hat meine Begriffe
nicht geändert, sondern nur erweitert und bestimmt. Wenn man nun
gleich wieder die Natur ansehn und wieder finden und lesen kann, was
jene gefunden und mehr oder weniger nachgeahmt haben, das muß die
Seele erweitern, reinigen und ihr zuletzt den höchsten anschauenden
Begriff von Natur und Kunst geben. Ich will auch nicht mehr ruhen,
bis mir nichts mehr Wort und Tradition, sondern lebendiger Begriff ist.
Von Jugend auf war mit dieses mein Trieb und meine Plage, jetzt, da
das Alter kommt, will ich wenigstens das Erreichbare erreichen und das
Tunliche tun, da ich so lange verdient und unverdient das Schicksal
des Sisyphus und Tantalus erduldet habe.

Bleibt in der Liebe und Glauben an mich. Mit den Menschen hab' ich
jetzt ein leidlich Leben und eine gute Art Offenheit, ich bin wohl und
freue mich meiner Tage.

Tischbein ist sehr brav, doch fürchte ich, er wird nie in einen
solchen Zustand kommen, in welchem er mit Freude und Freiheit arbeiten
kann. Mündlich mehr von diesem auch wunderbaren Menschen. Mein
Porträt wird glücklich, es gleicht sehr, und der Gedanke gefällt
jedermann; Angelika malt mich auch, daraus wird aber nichts. Es
verdrießt sie sehr, daß es nicht gleichen und werden will. Es ist
immer ein hübscher Bursche, aber keine Spur von mir.


Rom, den 30. Juni.

Das große Fest St. Peter und Paul ist endlich auch herangekommen;
gestern haben wir die Erleuchtung der Kuppel und das Feuerwerk vom
Kastell gesehn. Die Erleuchtung ist ein Anblick wie ein ungeheures
Märchen, man traut seinen Augen nicht. Da ich neuerdings nur die
Sachen und nicht wie sonst bei und mit den Sachen sehe, was nicht da
ist, so müssen mir so große Schauspiele kommen, wenn ich mich freuen
soll. Ich habe auf meiner Reise etwa ein halb Dutzend gezählt, und
dieses darf allerdings unter den ersten stehn. Die schöne Form der
Kolonnade, der Kirche und besonders der Kuppel erst in einem feurigen
Umrisse und, wenn die Stunde vorbei ist, in einer glühenden Masse zu
sehn, ist einzig und herrlich. Wenn man bedenkt, daß das ungeheure
Gebäude in diesem Augenblick nur zum Gerüste dient, so wird man wohl
begreifen, daß etwas ähnliches in der Welt nicht sein kann. Der
Himmel war rein und hell, der Mond schien und dämpfte das Feuer der
Lampen zum angenehmen Schein, zuletzt aber, wie alles durch die zweite
Erleuchtung in Glut gesetzt wurde, ward das Licht des Mondes
ausgelöscht. Das Feuerwerk ist wegen des Ortes schön, doch lange
nicht verhältnismäßig zur Erleuchtung. Heute abend sehen wir beides
noch einmal.



Auch das ist vorüber. Es war ein schöner klarer Himmel und der Mond
voll, dadurch ward die Erleuchtung sanfter, und es sah ganz aus wie
ein Märchen. Die schöne Form der Kirche und der Kuppel gleichsam in
einem feurigen Aufriß zu sehen, ist ein großer und reizender Anblick.


Rom, Ende Juni.

Ich habe mich in eine zu große Schule begeben, als daß ich geschwind
wieder aus der Lehre gehen dürfte. Meine Kunstkenntnisse, meine
kleinen Talente müssen hier ganz durchgearbeitet, ganz reif werden,
sonst bring' ich wieder euch einen halben Freund zurück, und das
Sehnen, Bemühen, Krabbeln und Schleichen geht von neuem an. Ich würde
nicht fertig werden, wenn ich euch erzählen sollte, wie mir auch
wieder alles diesen Monat hier geglückt ist, ja, wie mir alles auf
einem Teller ist präsentiert worden, was ich nur gewünscht habe. Ich
habe ein schönes Quartier, gute Hausleute. Tischbein geht nach Neapel,
und ich beziehe sein Studium, einen großen kühlen Saal. Wenn ihr
mein gedenkt, so denkt an mich als an einen Glücklichen; ich will oft
schreiben, und so sind und bleiben wir zusammen.

Auch neue Gedanken und Einfälle hab' ich genug, ich finde meine erste
Jugend bis auf Kleinigkeiten wieder, indem ich mir selbst überlassen
bin, und dann trägt mich die Höhe und Würde der Gegenstände wieder so
hoch und weit, als meine letzte Existenz nur reicht. Mein Auge bildet
sich unglaublich, und meine Hand soll nicht ganz zurückbleiben. Es
ist nur ein Rom in der Welt, und ich befinde mich hier wie der Fisch
im Wasser und schwimme oben wie eine Stückkugel im Quecksilber, die in
jedem andern Fluidum untergeht. Nichts trübt die Atmosphäre meiner
Gedanken, als daß ich mein Glück nicht mit meinen Geliebten teilen
kann. Der Himmel ist jetzt herrlich heiter, so daß Rom nur morgens
und abends einigen Nebel hat. Auf den Gebirgen aber, Albano, Castello,
Frascati, wo ich vergangene Woche drei Tage zubrachte, ist eine immer
heitre reine Luft. Da ist eine Natur zu studieren.



Blick vom Pincio in Rom. Zeichnung von Goethe




Bemerkung

Indem ich nun meine Mitteilungen den damaligen Zuständen, Eindrücken
und Gefühlen gemäß einrichten möchte und daher aus eigenen Briefen,
welche freilich mehr als irgendeine spätere Erzählung das
Eigentümliche des Augenblicks darstellen, die allgemein interessanten
Stellen auszuziehen anfange, so find' ich auch Freundesbriefe mir
unter der Hand, welche hiezu noch vorzüglicher dienen möchten.
Deshalb ich denn solche briefliche Dokumente hie und da einzuschalten
mich entschließe und hier sogleich damit beginne, von dem aus Rom
scheidenden, in Neapel anlangenden Tischbein die lebhaftesten
Erzählungen einzuführen. Sie gewähren den Vorteil, den Leser sogleich
in jene Gegenden und in die unmittelbarsten Verhältnisse der Personen
zu versetzen, besonders auch den Charakter des Künstlers aufzuklären,
der so lange bedeutend gewirkt, und, wenn er auch mitunter gar
wunderlich erscheinen mochte, doch immer so in seinem Bestreben als in
seinem Leisten ein dankbares Erinnern verdient.

Tischbein an Goethe

Neapel, den 10. Juli 1787.

Unsere Reise von Rom bis Capua war sehr glücklich und angenehm. In
Albano kam Hackert zu uns; in Velletri speisten wir bei Kardinal
Borgia und besahen dessen Museum, zu meinem besondern Vergnügen, weil
ich manches bemerkte, das ich im ersten Mal übergangen hatte. Um drei
Uhr nachmittags reisten wir wieder ab, durch die pontinischen Sümpfe,
die mir dieses Mal auch viel besser gefielen als im Winter, weil die
grünen Bäume und Hecken diesen großen Ebenen eine anmutige
Verschiedenheit geben. Wir fanden uns kurz vor der Abenddämmerung in
Mitte der Sümpfe, wo die Post wechselt. Während der Zeit aber, als
die Postillons alle Beredsamkeit anwendeten, uns Geld abzunötigen,
fand ein mutiger Schimmelhengst Gelegenheit, sich loszureißen und
fortzurennen; das gab ein Schauspiel, welches uns viel Vergnügen
machte. Es war ein schneeweißes schönes Pferd von prächtiger Gestalt;
er zerriß die Zügel, womit er angebunden war, hackte mit den
Vorderfüßen nach dem, der ihn aufhalten wollte, schlug hinten aus und
machte ein solches Geschrei mit Wiehern, daß alles aus Furcht
beiseitetrat. Nun sprang er übern Graben und galoppierte über das
Feld, beständig schnaubend und wiehernd. Schweif und Mähnen
flatterten hoch in die Luft auf, und seine Gestalt in freier Bewegung
war so schön, daß alles ausrief: "O che bellezze! che bellezze!" Dann
lief er nah an einem andern Graben hin und wider und suchte eine
schmale Stelle, um überzuspringen und zu den Fohlen und Stuten zu
kommen, deren viele hundert jenseits weideten. Endlich gelang es ihm,
hinüberzuspringen, und nun setzte er unter die Stuten, die ruhig
graseten. Die erschraken vor seiner Wildheit und seinem Geschrei,
liefen in langer Reihe und flohen über das flache Feld vor ihm hin; er
aber immer hintendrein, indem er aufzuspringen versuchte.

Endlich trieb er eine Stute abseits; die eilte nun auf ein ander Feld
zu einer andern zahlreichen Versammlung von Stuten. Auch diese, von
Schrecken ergriffen, schlugen hinüber zu dem ersten Haufen. Nun war
das Feld schwarz von Pferden, wo der weiße Hengst immer drunter
herumsprang, alles in Schrecken und Wildheit. Die Herde lief in
langen Reihen auf dem Felde hin und her, es sauste die Luft und
donnerte die Erde, wo die Kraft der schweren Pferde überhinflog. Wir
sahen lange mit Vergnügen zu, wie der Trupp von so vielen Hunderten
auf dem Feld herumgaloppierte, bald in einem Klump, bald geteilt,
jetzt zerstreut einzeln umherlaufend, bald in langen Reihen über den
Boden hinrennend.

Endlich beraubte uns die Dunkelheit der einbrechenden Nacht dieses
einzigen Schauspiels, und als der klarste Mond hinter den Bergen
aufstieg, verlosch das Licht unsrer angezündeten Laternen. Doch da
ich mich lange an seinem sanften Schein vergnügt hatte, konnte ich
mich des Schlafs nicht mehr erwehren, und mit aller Furcht vor der
ungesunden Luft schlief ich länger als eine Stunde und erwachte nicht
eher, bis wir zu Terracina ankamen, wo wir die Pferde wechselten.

Hier waren die Postillons sehr artig, wegen der Furcht, welche ihnen
der Marchese Lucchesini eingejagt hatte; sie gaben uns die besten
Pferde und Führer, weil der Weg zwischen den großen Klippen und dem
Meer gefährlich ist. Hier sind schon manche Unglücke geschehen,
besonders nachts, wo die Pferde leicht scheu werden. Während des
Anspannens und indessen man den Paß an die letzte römische Wache
vorzeigte, ging ich zwischen den hohen Felsen und dem Meer spazieren
und erblickte den größten Effekt: der dunkle Fels vom Mond glänzend
erleuchtet, der eine lebhaft flimmernde Säule in das blaue Meer warf
und bis auf die am Ufer schwankenden Wellen heranflimmerte.

Da oben auf der Zinne des Berges im dämmernden Blau lagen die Trümmer
von Genserichs zerfallener Burg; sie machte mich an vergangene Zeiten
denken, ich fühlte des unglücklichen Konradins Sehnsucht, sich zu
retten, wie des Cicero und des Marius, die sich alle in dieser Gegend
geängstigt hatten.

Schön war es nun fernerhin an dem Berg, zwischen den großen
herabgerollten Felsenklumpen am Saume des Meers im Mondenlicht
herzufahren. Deutlich beleuchtet waren die Gruppen der Olivenbäume,
Palmen und Pinien bei Fondi; aber die Vorzüge der Zitronenwälder
vermißte man, sie stehen nur in ihrer ganzen Pracht, wenn die Sonne
auf die goldglänzenden Früchte scheint. Nun ging es über den Berg, wo
die vielen Oliven--und Johannisbrotbäume stehen, und es war schon Tag
geworden, als wir bei den Ruinen der antiken Stadt, wo die vielen
überbleibsel von Grabmälern sind, ankamen. Das größte darunter soll
dem Cicero errichtet worden sein, eben an dem Ort, wo er ermordet
worden. Es war schon einige Stunden Tag, als wir an den erfreulichen
Meerbusen zu Mola di Gaeta ankamen. Die Fischer mit ihrer Beute
kehrten schon wieder zurück, das machte den Strand sehr lebhaft.
Einige trugen die Fische und Meerfrüchte in Körben weg, die andern
bereiteten die Garne schon wieder auf einen künftigen Fang. Von da
fuhren wir nach Garigliano, wo Cavaliere Venuti graben läßt. Hier
verließ uns Hackert, denn er eilte nach Caserta, und wir gingen
abwärts von der Straße herunter an das Meer, wo ein Frühstück für uns
bereitet war, welches wohl für ein Mittagessen gelten konnte. Hier
waren die ausgegrabenen Antiken aufgehoben, die aber jämmerlich
zerschlagen sind. Unter andern schönen Sachen findet sich ein Bein
von einer Statue, die dem Apoll von Belvedere nicht viel nachgeben mag.
Es wär' ein Glück, wenn man das übrige dazu fände.

Wir hatten uns aus Müdigkeit etwas schlafen gelegt, und da wir wieder
erwachten, fanden wir uns in Gesellschaft einer angenehmen Familie,
die in dieser Gegend wohnt und hierher gekommen war, um uns ein
Mittagsmahl zu geben; welche Aufmerksamkeit wir freilich Herrn Hackert
schuldig sein mochten, der sich aber schon entfernt hatte. Es stand
also wieder aufs neue ein Tisch bereitet; ich aber konnte nicht essen
noch sitzenbleiben, so gut auch die Gesellschaft war, sondern ging am
Meer spazieren zwischen den Steinen, worunter sich sehr wunderliche
befanden, besonders vieles durch Meerinsekten durchlöchert, deren
einige aussahen wie ein Schwamm.

Hier begegnete mir auch etwas recht Vergnügliches: ein Ziegenhirt
trieb an den Strand des Meeres; die Ziegen kamen in das Wasser und
kühlten sich ab. Nun kam auch der Schweinehirt dazu, und unter der
Zeit, daß die beiden Herden sich in den Wellen erfrischten, setzten
sich beide Hirten in den Schatten und machten Musik; der Schweinehirt
auf einer Flöte, der Ziegenhirt auf dem Dudelsack. Endlich ritt ein
erwachsener Knabe nackend heran und ging so tief in das Wasser, so
tief, daß das Pferd mit ihm schwamm. Das sah nun gar schön aus, wenn
der wohlgewachsene Junge so nah ans Ufer kam, daß man seine ganze
Gestalt sah, und er sodann wieder in das tiefe Meer zurückkehrte, wo
man nichts weiter sah als den Kopf des schwimmenden Pferdes, ihn aber
bis an die Schultern.

Um drei Uhr nachmittags fuhren wir weiter, und als wir Capua drei
Meilen hinter uns gelassen hatten, es war schon eine Stunde in der
Nacht, zerbrachen wir das Hinterrad unsres Wagens. Das hielt uns
einige Stunden auf, um ein andres an die Stelle zu nehmen. Da aber
dieses geschehen war und wir abermals einige Meilen zurückgelegt
hatten, brach die Achse. Hierüber wurden wir sehr verdrießlich; wir
waren so nah bei Neapel und konnten doch unsre Freunde nicht sprechen.
Endlich langten wir einige Stunden nach Mitternacht daselbst an, wo
wir noch so viele Menschen auf der Straße fanden, als man in einer
andern Stadt kaum um Mittag findet.

Hier hab' ich nun alle unsre Freunde gesund und wohl angetroffen, die
sich alle freuten, dasselbe von Ihnen zu hören. Ich wohne bei Herrn
Hackert im Hause; vorgestern war ich mit Ritter Hamilton zu Pausilipo
auf seinem Lusthause. Da kann man denn freilich nichts Herrlicheres
auf Gottes Erdboden schauen. Nach Tische schwammen ein Dutzend Jungen
in dem Meere, das war schön anzusehen. Die vielen Gruppen und
Stellungen, welche sie in ihren Spielen machten! Er bezahlt sie dafür,
damit er jeden Nachmittag diese Lust habe. Hamilton gefällt mir
außerordentlich wohl; ich sprach vieles mit ihm, sowohl hier im Haus,
als auch da wir auf dem Meer spazierenfuhren. Es freute mich
außerordentlich, so viel von ihm zu erfahren, und hoffe noch viel
Gutes von diesem Manne. Schreiben Sie mir doch die Namen Ihrer
übrigen hiesigen Freunde, damit ich auch sie kennen lernen und grüßen
kann. Bald sollen Sie mehreres von hier vernehmen. Grüßen Sie alle
Freunde, besonders Angelika und Reiffenstein.

N. S. Ich finde es in Neapel sehr viel heißer als in Rom, nur mit dem
Unterschied, daß die Luft gesünder ist und auch beständig etwas
frischer Wind weht, aber die Sonne hat viel mehr Kraft; die ersten
Tage war es mir fast unerträglich. Ich habe bloß von Eis--und
Schneewasser gelebt.


Später, ohne Datum.

Gestern hätt' ich Sie in Neapel gewünscht: einen solchen Lärmen, eine
solche Volksmenge, die nur da war, um Eßwaren einzukaufen, hab' ich in
meinem Leben nicht gesehen; aber auch so viele dieser Eßwaren sieht
man nie wieder beisammen. Von allen Sorten war die große Straße
Toledo fast bedeckt. Hier bekommt man erst eine Idee von einem Volk,
das in einer so glücklichen Gegend wohnt, wo die Jahreszeit täglich
Früchte wachsen läßt. Denken Sie sich, daß heute 500 000 Menschen im
Schmausen begriffen sind und das auf Neapolitaner Art. Gestern und
heute war ich an einer Tafel, wo gefressen ist worden, daß ich
erstaunt bin; ein sündiger überfluß war da. Kniep saß auch dabei und
übernahm sich so, von allen den leckern Speisen zu essen, daß ich
fürchtete, er platze; aber ihn rührte es nicht, und er erzählte dabei
immer von dem Appetit, den er auf dem Schiff und in Sizilien gehabt
habe, indessen Sie für Ihr gutes Geld, teils aus übelbefinden, teils
aus Vorsatz, gefastet und so gut als gehungert.

Heute ist schon alles aufgefressen worden, was gestern verkauft wurde,
und man sagt, morgen sei die Straße wieder so voll, als sie gestern
war. Toledo scheint ein Theater, wo man den überfluß zeigen will.
Die Butiken sind alle ausgeziert mit Eßwaren, die sogar über die
Straße in Girlanden hinüberhängen, die Würstchen zum Teil vergoldet
und mit roten Bändern gebunden; die welschen Hahnen haben alle eine
rote Fahne im Hintern stecken, deren sind gestern dreißigtausend
verkauft worden, dazu rechne man die, welche die Leute im Hause fett
machen. Die Zahl der Esel mit Kapaunen beladen sowie der andern mit
kleinen Pomeranzen belastet, die großen auf dem Pflaster
aufgeschütteten Haufen solcher Goldfrüchte erschreckten einen. Aber
am schönsten möchten doch die Butiken sein, wo grüne Sachen verkauft
werden, und die, wo Rosinentrauben, Feigen und Melonen ausgesetzt sind:
alles so zierlich zur Schau geordnet, daß es Auge und Herz erfreut.
Neapel ist ein Ort, wo Gott häufig seinen Segen gibt für alle Sinne.


Später, ohne Datum.

Hier haben Sie eine Zeichnung von den Türken, die hier gefangen liegen.
Der "Herkules", wie es erst hieß, hat sie nicht genommen, sondern
ein Schiff, welches die Korallenfischer begleitete. Die Türken sahen
dieses christliche Fahrzeug und machten sich dran, um es wegzunehmen,
aber sie fanden sich betrogen; denn die Christen waren stärker, und so
wurden sie überwältigt und gefangen hierher geführt. Es waren dreißig
Mann auf dem christlichen Schiffe, vierundzwanzig auf dem türkischen;
sechs Türken blieben im Gefechte, einer ist verwundet. Von den
Christen ist kein einziger geblieben, die Madonna hat sie beschützt.

Der Schiffer hat eine große Beute gemacht; er fand sehr viel Geld und
Waren, Seidenzeug und Kaffee, auch einen reichen Schmuck, welcher
einer jungen Mohrin gehörte.

Es war merkwürdig, die vielen tausend Menschen zu sehen, welche Kahn
an Kahn dahinfuhren, um die Gefangenen zu beschauen, besonders die
Mohrin. Es fanden sich verschiedene Liebhaber, die sie kaufen wollten
und viel Geld boten, aber der Kapitän will sie nicht weggeben.

Ich fuhr alle Tage hin und fand einmal den Ritter Hamilton und Miß
Hart, die sehr gerührt war und weinte. Da das die Mohrin sah, fing
sie auch an zu weinen; die Miß wollte sie kaufen, der Kapitän aber
hartnäckig sie nicht hergeben. Jetzo sind sie nicht mehr hier; die
Zeichnung besagt das Weitere.






Nachtrag

Päpstliche Teppiche

Die große Aufopferung, zu der ich mich entschloß, eine von dem Gipfel
des Bergs bis beinahe ans Meer herabströmende Lava hinter mir zu
lassen, ward mir durch den erreichten Zweck reichlich vergolten, durch
den Anblick der Teppiche, welche, am Fronleichnamstag aufgehängt, uns
an Raffael, seine Schüler, seine Zeit auf das glänzendste erinnerten.

In den Niederlanden hatte das Teppichwirken mit stehendem Zettel,
Hautelisse genannt, sich schon auf den höchsten Grad erhoben. Es ist
mir nicht bekannt geworden, wie sich nach und nach die Fertigung der
Teppiche entwickelt und gesteigert hat. In dem zwölften Jahrhundert
mag man noch die einzelnen Figuren durch Stickerei oder auf sonst eine
Weise fertig gemacht und sodann durch besonders gearbeitete
Zwischenstücke zusammengesetzt haben. Dergleichen finden wir noch
über den Chorstühlen alter Domkirchen, und hat die Arbeit etwas
ähnliches mit den bunten Fensterscheiben, welche auch zuerst aus ganz
kleinen farbigen Glasstückchen ihre Bilder zusammengesetzt haben. Bei
den Teppichen vertrat Nadel und Faden das Lot und die Zinnstäbchen.
Alle frühen Anfänge der Kunst und Technik sind von dieser Art; wir
haben kostbare chinesische Teppiche, auf gleiche Weise gefertigt, vor
Augen gehabt.

Wahrscheinlich durch orientalische Muster veranlaßt, hatte man in den
handels--und prachtreichen Niederlanden zu Anfang des sechzehnten
Jahrhunderts diese kunstreiche Technik schon aufs Höchste getrieben;
dergleichen Arbeiten gingen schon wieder nach dem Orient zurück und
waren gewiß auch in Rom bekannt, wahrscheinlich nach unvollkommenen,
in byzantinischem Sinne gemodelten Mustern und Zeichnungen. Der große
und in manchem, besonders auch ästhetischem Sinn freie Geist Leo X.
mochte nun auch, was er auf Wänden abgebildet sah, gleichmäßig frei
und groß in seiner Umgebung auf Teppichen erblicken, und auf seine
Veranlassung fertigte Raffael die Kartone: glücklicherweise solche
Gegenstände, welche Christi Bezug zu seinen Aposteln, sodann aber die
Wirkungen solcher begabten Männer nach dem Heimgange des Meisters
vorstellten.

Am Fronleichnamstage nun lernte man erst die wahre Bestimmung der
Teppiche kennen, hier machten sie Kolonnaden und offene Räume zu
prächtigen Sälen und Wandelgängen, und zwar indem sie das Vermögen des
begabtesten Mannes uns entschieden vor Augen stellen und uns das
glücklichste Beispiel geben, wo Kunst und Handwerk in beiderseitiger
Vollendung sich auf ihrem höchsten Punkte lebendig begegnen.

Die Raffaelischen Kartone, wie sie bis jetzt in England verwahrt sind,
bleiben noch immer die Bewunderung der Welt; einige rühren gewiß von
dem Meister allein her, andere mögen nach seinen Zeichnungen, seiner
Angabe, andere sogar erst nachdem er abgeschieden war, gefertigt sein.
Alles bezeugte große übereintreffende Kunstbestimmung, und die
Künstler aller Nationen strömten hier zusammen, um ihren Geist zu
erheben und ihre Fähigkeiten zu steigern.

Dies gibt uns Veranlassung, über die Tendenz der deutschen Künstler zu
denken, welche Hochschätzung und Neigung gegen seine ersten Werke
hinzog und wovon schon damals leise Spuren sich bemerken ließen.

Mit einem talentreichen zarten Jüngling, der im Sanften, Anmutigen,
Natürlichen verweilt, fühlt man sich in jeder Kunst näher verwandt,
man wagt es zwar nicht, sich mit ihm zu vergleichen, doch im stillen
mit ihm zu wetteifern, von sich zu hoffen, was er geleistet hat.

Nicht mit gleichem Behagen wenden wir uns an den vollendeten Mann;
denn wir ahnen die furchtbaren Bedingungen, unter welchen allein sich
selbst das entschiedenste Naturell zum Letztmöglichen des Gelingens
erheben kann, und wollen wir nicht verzweifeln, so müssen wir uns
zurückwenden und uns mit dem Strebenden, dem Werdenden vergleichen.

Dies ist die Ursache, warum die deutschen Künstler Neigung, Verehrung,
Zutrauen zu dem älteren, Unvollkommenen wendeten, weil sie sich
daneben auch für etwas halten konnten und sich mit der Hoffnung
schmeicheln durften, das in ihrer Person zu leisten, wozu dennoch eine
Folge von Jahrhunderten erforderlich gewesen.

Kehren wir zu Raffaels Kartonen zurück und sprechen aus, daß sie alle
männlich gedacht sind; sittlicher Ernst, ahnungsvolle Größe walten
überall, und obgleich hie und da geheimnisvoll, werden sie doch
denjenigen durchaus klar, welche von dem Abschiede des Erlösers und
den wundervollen Gaben, die er seinen Jüngern hinterließ, aus den
heiligen Schriften genugsam unterrichtet sind.

Nehmen wir vor allen die Beschämung und Bestrafung des Ananias vor
Augen, da uns denn jederzeit der kleine, dem Mark Anton nicht unbillig
zugeschriebene Kupferstich, nach einer ausführlichen Zeichnung
Raffaels, die Nachbildung der Kartone von Dorigny und die Vergleichung
beider hinlänglichen Dienst leisten.

Wenig Kompositionen wird man dieser an die Seite setzen können; hier
ist ein großer Begriff, eine in ihrer Eigentümlichkeit höchst wichtige
Handlung in ihrer vollkommensten Mannigfaltigkeit auf das klarste
dargestellt.

Die Apostel als fromme Gabe das Eigentum eines jeden, in den
allgemeinen Besitz dargebracht, erwartend; die heranbringenden
Gläubigen auf der einen, die empfangenden Dürftigen auf der andern
Seite, und in der Mitte der Defraudierende gräßlich bestraft: eine
Anordnung, deren Symmetrie aus dem Gegebenen hervorgeht und welche
wieder durch die Erfordernisse des Darzustellenden nicht sowohl
verborgen als belebt wird; wie ja die unerläßliche symmetrische
Proportion des menschlichen Körpers erst durch mannigfaltige
Lebensbewegung eindringliches Interesse gewinnt.

Wenn nun bei Anschauung dieses Kunstwerkes der Bemerkungen kein Ende
sein würde, so wollen wir hier nur noch ein wichtiges Verdienst dieser
Darstellung auszeichnen. Zwei männliche Personen, welche herankommend
zusammengepackte Kleidungsstücke tragen, gehören notwendig zu Ananias;
aber wie will man hieraus erkennen, daß ein Teil davon zurückgeblieben
und dem Gemeingut unterschlagen worden? Hier werden wir aber auf eine
junge hübsche Weibsperson aufmerksam gemacht, welche mit einem heitern
Gesichte aus der rechten Hand Geld in die linke zählt; und sogleich
erinnern wir uns an das edle Wort: "Die Linke soll nicht wissen, was
die Rechte gibt", und zweifeln nicht, daß hier Saphira gemeint sei,
welche das den Aposteln einzureichende Geld abzählt, um noch einiges
zurückzubehalten, welches ihre heiter listige Miene anzudeuten scheint.
Dieser Gedanke ist erstaunenswürdig und furchtbar, wenn man sich ihm
hingibt. Vor uns der Gatte, schon verrenkt und bestraft am Boden in
gräßlicher Zuckung sich windend; wenig hinterwärts, das Vorgehende
nicht gewahr werdend, die Gattin, sicher arglistig sinnend, die
Göttlichen zu bevorteilen, ohne Ahnung, welchem Schicksal sie
entgegengeht. Überhaupt steht dieses Bild als ein ewiges Problem vor
uns da, welches wir immer mehr bewundern, je mehr uns dessen Auflösung
möglich und klar wird. Die Vergleichung des Mark-Antonischen Kupfers,
nach einer gleich großen Zeichnung Raffaels, und des größeren von
Dorigny, nach dem Karton, führt uns abermals in die Tiefe der
Betrachtung, mit welcher Weisheit ein solches Talent bei einer zweiten
Behandlung derselben Komposition Veränderungen und Steigerungen zu
bewirken gewußt hat. Bekennen wir gern, daß ein solches Studium uns
zu den schönsten Freuden eines langen Lebens gedient hat.






Juli

Korrespondenz

Rom, den 5. Juli 1787

Mein jetziges Leben sieht einem Jugendtraume völlig ähnlich, wir
wollen sehen, ob ich bestimmt bin, ihn zu genießen, oder zu erfahren,
daß auch dieses, wie so vieles andre, nur eitel ist. Tischbein ist
fort, sein Studium aufgeräumt, ausgestäubt und ausgewaschen, so daß
ich nun gerne drin sein mag. Wie nötig ist's, in der jetzigen Zeit
ein angenehmes Zuhause zu haben. Die Hitze ist gewaltig. Morgens mit
Sonnenaufgang steh' ich auf und gehe nach der Acqua acetosa, einem
Sauerbrunnen, ungefähr eine halbe Stunde von dem Tor, an dem ich wohne,
trinke das Wasser, das wie ein schwacher Schwalbacher schmeckt, in
diesem Klima aber schon sehr wirksam ist. Gegen acht Uhr bin ich
wieder zu Hause und bin fleißig auf alle Weise, wie es die Stimmung
nur geben will. Ich bin recht wohl. Die Hitze schafft alles
Flußartige weg und treibt, was Schärfe im Körper ist, nach der Haut,
und es ist besser, daß ein übel jückt, als daß es reißt und zieht. Im
Zeichnen fahr' ich fort, Geschmack und Hand zu bilden, ich habe
Architektur angefangen ernstlicher zu treiben, es wird mir alles
erstaunend leicht (das heißt der Begriff, denn die Ausübung erfordert
ein Leben). Was das Beste war: ich hatte keinen Eigendünkel und keine
Prätension, ich hatte nichts zu verlangen, als ich herkam. Und nun
dringe ich nur drauf, daß mir nichts Name, nichts Wort bleibe. Was
schön, groß, ehrwürdig gehalten wird, will ich mit eignen Augen sehn
und erkennen. Ohne Nachahmung ist dies nicht möglich. Nun muß ich
mich an die Gipsköpfe setzen. (Die rechte Methode wird mir von
Künstlern angedeutet. Ich halte mich zusammen, was möglich ist.) Am
Anfang der Woche konnt' ich's nicht absagen, hier und da zu essen.
Nun wollen sie mich hier--und dahin haben; ich lasse es vorübergehn
und bleibe in meiner Stille. Moritz, einige Landsleute im Hause, ein
wackerer Schweizer sind mein gewöhnlicher Umgang. Zu Angelika und Rat
Reiffenstein geh' ich auch; überall mit meiner nachdenklichen Art, und
niemand ist, dem ich mich eröffnete. Lucchesini ist wieder hier, der
alle Welt sieht und den man sieht wie alle Welt. Ein Mann, der sein
Metier recht macht, wenn ich mich nicht sehr irre. Nächstens schreib'
ich dir von einigen Personen, die ich bald zu kennen hoffe.

"Egmont" ist in der Arbeit, und ich hoffe, er wird geraten.
Wenigstens hab' ich immer unter dem Machen Symptome gehabt, die mich
nicht betrogen haben. Es ist recht sonderbar, daß ich so oft bin
abgehalten worden, das Stück zu endigen, und daß es nun in Rom fertig
werden soll. Der erste Akt ist ins Reine und zur Reife, es sind ganze
Szenen im Stücke, an die ich nicht zu rühren brauche.

Ich habe über allerlei Kunst so viel Gelegenheit zu denken, daß mein
"Wilhelm Meister" recht anschwillt. Nun sollen aber die alten Sachen
voraus weg; ich bin alt genug, und wenn ich noch etwas machen will,
darf ich mich nicht säumen. Wie du dir leicht denken kannst, hab' ich
hundert neue Dinge im Kopfe, und es kommt nicht aufs Denken, es kommt
aufs Machen an; das ist ein verwünschtes Ding, die Gegenstände
hinzusetzen, daß sie nun einmal so und nicht anders dastehen. Ich
möchte nun recht viel von der Kunst sprechen, doch ohne die Kunstwerke
was will man sagen? Ich hoffe, über manche Kleinheit wegzurücken,
drum gönnt mit meine Zeit, die ich hier so wunderbar und sonderbar
zubringe, gönnt mir sie durch den Beifall eurer Liebe.

Ich muß diesmal schließen und wider Willen eine leere Seite schicken.
Die Hitze des Tages war groß, und gegen Abend bin ich eingeschlafen.


Rom, den 9. Juli.

Ich will künftig einiges die Woche über schreiben, daß nicht die Hitze
des Posttags oder ein andrer Zufall mich hindre, euch ein vernünftiges
Wort zu sagen. Gestern hab' ich vieles gesehen und wieder gesehen,
ich bin vielleicht in zwölf Kirchen gewesen, wo die schönsten
Altarblätter sind.

Dann war ich mit Angelika bei dem Engländer Moore, einem
Landschaftsmaler, dessen Bilder meist trefflich gedacht sind. Unter
andern hat er eine Sündflut gemalt, das etwas Einziges ist. Anstatt
daß andere ein offnes Meer genommen haben, das immer nur die Idee von
einem weiten, aber nicht hohen Wasser gibt, hat er ein geschlossenes
hohes Bergtal vorgestellt, in welches die immer steigenden Wasser
endlich auch hereinstürzen. Man sieht an der Form der Felsen, daß der
Wasserstand sich dem Gipfel nähert, und dadurch, daß es hinten quervor
zugeschlossen ist, die Klippen alle steil sind, macht es einen
fürchterlichen Effekt. Es ist gleichsam nur grau in grau gemalt, das
schmutzige aufgewühlte Wasser, der triefende Regen verbinden sich aufs
innigste, das Wasser stürzt und trieft von den Felsen, als wenn die
ungeheuren Massen sich auch in dem allgemeinen Elemente auflösen
wollten, und die Sonne blickt wie ein trüber Mond durch den Wasserflor
durch, ohne zu erleuchten, und doch ist es nicht Nacht. In der Mitte
des Vordergrundes ist eine flache isolierte Felsenplatte, auf die sich
einige hülflose Menschen retten in dem Augenblick, daß die Flut
heranschwillt und sie bedecken will. Das Ganze ist unglaublich gut
gedacht. Das Bild ist groß. Es kann 7-8 Fuß lang und 5-6 Fuß hoch
sein. Von den andern Bildern, einem herrlich schönen Morgen, einer
trefflichen Nacht, sag' ich gar nichts.

Drei volle Tage war Fest auf Ara coeli wegen der Beatifikation zweier
Heiligen aus dem Orden des heiligen Franziskus. Die Dekoration der
Kirche, Musik, Illumination und Feuerwerk des Nachts zog eine große
Menge Volks dahin. Das nah gelegene Kapitol war mit erleuchtet und
die Feuerwerke auf dem Platz des Kapitols abgebrannt. Das Ganze
zusammen machte sich sehr schön, obgleich es nur ein Nachspiel von St.
Peter war. Die Römerinnen zeigen sich bei dieser Gelegenheit, von
ihren Männern oder Freunden begleitet, des Nachts weiß gekleidet mit
einem schwarzen Gürtel und sind schön und artig. Auch ist im Korso
jetzt des Nachts häufiger Spaziergang und Fahrt, da man des Tags nicht
aus dem Hause geht. Die Hitze ist sehr leidlich und diese Tage her
immer ein kühles Windchen wehend. Ich halte mich in meinem kühlen
Saale und bin still und vergnügt.

Ich bin fleißig, mein "Egmont" rückt sehr vor. Sonderbar ist's, daß
sie eben jetzt in Brüssel die Szene spielen, wie ich sie vor zwölf
Jahren aufschrieb, man wird vieles jetzt für Pasquill halten.


Rom, den 16. Juli.

Es ist schon weit in der Nacht, und man merkt es nicht, denn die
Straße ist voll Menschen, die singend, auf Zithern und Violinen
spielend, miteinander wechselnd, auf und ab gehn. Die Nächte sind
kühl und erquickend, die Tage nicht unleidlich heiß.

Gestern war ich mit Angelika in der Farnesina, wo die Fabel der Psyche
gemalt ist. Wie oft und unter wie manchen Situationen hab' ich die
bunten Kopien dieser Bilder in meinen Zimmern mit euch angesehn! Es
fiel mir recht auf, da ich sie eben durch jene Kopien fast auswendig
weiß. Dieser Saal oder vielmehr Galerie ist das Schönste, was ich von
Dekoration kenne, so viel auch jetzt dran verdorben und restauriert
ist.

Heute war Tierhetze in dem Grabmal des August. Dieses große, inwendig
leere, oben offene, ganz runde Gebäude ist jetzt zu einem Kampfplatz,
zu einer Ochsenhetze eingerichtet wie eine Art Amphitheater. Es wird
vier--bis fünftausend Menschen fassen können. Das Schauspiel selbst
hat mich nicht sehr erbaut.

Dienstag, den 17. Juli, war ich abends bei Albacini, dem Restaurator
antiker Statuen, um einen Torso zu sehen, den sie unter den
farnesinischen Besitzungen, die nach Neapel gehen, gefunden haben. Es
ist ein Torso eines sitzenden Apolls und hat an Schönheit vielleicht
nicht seinesgleichen, wenigstens kann er unter die ersten Sachen
gesetzt werden, die vom Altertum übrig sind.

Ich speiste bei Graf Fries; Abbate Casti, der mit ihm reist,
rezitierte eine seiner Novellen, "Der Erzbischof von Prag", die nicht
sehr ehrbar, aber außerordentlich schön, in Ottave rime, geschrieben
ist. Ich schätzte ihn schon als den Verfasser meines beliebten "Re
Teodoro in Venezia". Er hat nun einen "Re Teodoro in Corsica"
geschrieben, wovon ich den ersten Akt gelesen habe, auch ein ganz
allerliebstes Werk.

Graf Fries kauft viel und hat unter andern eine Madonna von Andrea del
Sarto für 600 Zechinen gekauft. Im vergangenen März hatte Angelika
schon 450 drauf geboten, hätte auch das Ganze dafür gegeben, wenn ihr
attenter Gemahl nicht etwas einzuwenden gehabt hätte. Nun reut sie's
beide. Es ist ein unglaublich schön Bild, man hat keine Idee von so
etwas, ohne es gesehn zu haben.

Und so kommt tagtäglich etwas Neues zum Vorschein, was, zu dem Alten
und Bleibenden gesellt, ein großes Vergnügen gewährt. Mein Auge
bildet sich gut aus, mit der Zeit könnte ich Kenner werden.

Tischbein beschwert sich in einem Briefe über die entsetzliche Hitze
in Neapel. Hier ist sie auch stark genug. Am Dienstag soll es so
heiß gewesen sein, als Fremde es nicht in Spanien und Portugal
empfunden.

"Egmont" ist schon bis in den vierten Akt gediehen, ich hoffe, er soll
euch Freude machen. In drei Wochen denke ich fertig zu sein, und ich
schicke ihn gleich an Herdern ab.

Gezeichnet und illuminiert wird auch fleißig. Man kann s nicht aus
dem Hause gehn, nicht die kleinste Promenade machen, ohne die
würdigsten Gegenstände zutreffen. Meine Vorstellung, mein Gedächtnis
füllt sich voll unendlich schöner Gegenstände.






Rom, den 20. Juli. 20

Ich habe recht diese Zeit her zwei meiner Kapitalfehler, die mich mein
ganzes Leben verfolgt und gepeinigt haben, entdecken können. Einer
ist, daß ich nie das Handwerk einer Sache, die ich treiben wollte oder
sollte, lernen mochte. Daher ist gekommen, daß ich mit so viel
natürlicher Anlage so wenig gemacht und getan habe. Entweder es war
durch die Kraft des Geistes gezwungen, gelang oder mißlang, wie Glück
und Zufall es wollten, oder wenn ich eine Sache gut und mit überlegung
machen wollte, war ich furchtsam und konnte nicht fertig werden. Der
andere, nah verwandte Fehler ist, daß ich nie so viel Zeit auf eine
Arbeit oder Geschäft wenden mochte, als dazu erfordert wird. Da ich
die Glückseligkeit genieße, sehr viel in kurzer Zeit denken und
kombinieren zu können, so ist mir eine schrittweise Ausführung nojos
und unerträglich. Nun, dächt' ich, wäre Zeit und Stunde da, sich zu
korrigieren. Ich bin im Land der Künste, laßt uns das Fach
durcharbeiten, damit wir für unser übriges Leben Ruh' und Freude haben
und an was anders gehen können.

Rom ist ein herrlicher Ort dazu. Nicht allein die Gegenstände aller
Art sind hier, sondern auch Menschen aller Art, denen es Ernst ist,
die auf den rechten Wegen gehen, mit denen man sich unterhaltend gar
bequem und schleunig weiter bringen kann. Gott sei Dank, ich fange an,
von andern lernen und annehmen zu können.

Und so befinde ich mich an Leib und Seele wohler als jemals! Möchtet
ihr es an meinen Produktionen sehen und meine Abwesenheit preisen.
Durch das, was ich mache und denke, häng' ich mit euch zusammen,
übrigens bin ich freilich sehr allein und muß meine Gespräche
modifizieren. Doch das ist hier leichter als irgendwo, weil man mit
jedem etwas Interessantes zu reden hat.

Mengs sagt irgendwo vom Apoll von Belvedere, daß eine Statue, die zu
gleich großem Stil mehr Wahrheit des Fleisches gesellte, das Größte
wäre, was der Mensch sich denken könnte. Und durch jenen Torso eines
Apolls oder Bacchus, dessen ich schon gedacht, scheint sein Wunsch,
seine Prophezeiung erfüllt zu sein. Mein Auge ist nicht genug
gebildet, um in einer so delikaten Materie zu entscheiden; aber ich
bin selbst geneigt, diesen Rest für das Schönste zu halten, was ich je
gesehn habe. Leider ist es nicht allein nur Torso, sondern auch die
Epiderm ist an vielen Orten weggewaschen, er muß unter einer Traufe
gestanden haben.


Sonntags, den 22. Juli,

aß ich bei Angelika; es ist nun schon hergebracht, daß ich ihr
Sonntagsgast bin. Vorher fuhren wir nach dem Palast Barberini, den
trefflichen Leonard da Vinci und die Geliebte des Raffaels, von ihm
selbst gemalt, zu sehen. Mit Angelika ist es gar angenehm, Gemälde zu
betrachten, da ihr Auge sehr gebildet und ihre mechanische
Kunstkenntnis so groß ist. Dabei ist sie sehr für alles Schöne, Wahre,
Zarte empfindlich und unglaublich bescheiden.



Angelika Kauffmann, Selbstbildnis. Zeichnung

Nachmittags war ich beim Chevalier d'Agincourt, einem reichen
Franzosen, der seine Zeit und sein Geld anwendet, eine Geschichte der
Kunst von ihrem Verfall bis zur Auflebung zu schreiben. Die
Sammlungen, die er gemacht hat, sind höchst interessant. Man sieht,
wie der Menschengeist während der trüben und dunkeln Zeit immer
geschäftig war. Wenn das Werk zusammenkommt, wird es sehr merkwürdig
sein.

Jetzt habe ich etwas vor, daran ich viel lerne; ich habe eine
Landschaft erfunden und gezeichnet, die ein geschickter Künstler, Dies,
in meiner Gegenwart koloriert; dadurch gewöhnt sich Auge und Geist
immer mehr an Farbe und Harmonie. Überhaupt geht es gut. Fort, ich
treibe nur, wie immer, zuviel. Meine größte Freude ist, daß mein Auge
sich an sichern Formen bildet und sich an Gestalt und Verhältnis
leicht gewöhnt und dabei mein alt Gefühl für Haltung und Ganzes recht
lebhaft wiederkehrt. Auf übung käme nun alles an.


Montag, den 23. Juli,

bestieg ich abends die Trajanische Säule, um des unschätzbaren
Anblicks zu genießen. Von dort oben herab, bei untergehender Sonne,
nimmt sich das Koliseum ganz herrlich aus, das Kapitol ganz nahe, der
Palatin dahinter, die Stadt, die sich anschließt. Ich ging erst spät
und langsam durch die Straßen zurück. Ein merkwürdiger Gegenstand ist
der Platz von Monte Cavallo mit dem Obelisk.


Dienstag, den 24. Juli

Nach der Villa Patrizzi, um die Sonne untergehen zu sehen, der
frischen Luft zu genießen, meinen Geist recht mit dem Bilde der großen
Stadt anzufüllen, durch die langen Linien meinen Gesichtskreis
auszuweiten und zu vereinfachen, durch die vielen schönen und
mannigfaltigen Gegenstände zu bereichern. Diesen Abend sah ich den
Platz der Antoninischen Säule, den Palast Chigi vom Mond erleuchtet,
und die Säule, von Alter schwarz, vor dem helleren Nachthimmel, mit
einem weißen glänzenden Piedestal. Und wie viel andere unzählige
schöne einzelne Gegenstände trifft man auf so einer Promenade an.
Aber wie viel dazu gehört, sich nur einen geringen Teil von allem
diesem zuzueignen! Es gehört ein Menschenleben dazu, ja das Leben
vieler Menschen, die immer stufenweis voneinander lernen.



Eingang zur Villa Chigi in Ariccia. Zeichnung von Goethe


Mittwoch, den 25. Juli

Ich war mit dem Grafen Fries, die Gemmensammlung des Prinzen von
Piombino zu sehen.


Freitag, den 27sten.

Übrigens helfen mir alle Künstler, alt und jung, um mein Talentchen
zuzustutzen und zu erweitern. In der Perspektiv und Baukunst bin ich
vorgerückt, auch in der Komposition der Landschaft. An den lebendigen
Kreaturen hängt's noch, da ist ein Abgrund, doch wäre mit Ernst und
Applikation hier auch weiterzukommen.

Ich weiß nicht, ob ich ein Wort von dem Konzert sagte, das ich zu Ende
voriger Woche gab. Ich lud diejenigen Personen dazu, die mir hier
manches Vergnügen verschafft haben, und ließ durch die Sänger der
komischen Oper die besten Stücke der letzten Intermezzen aufführen.
Jedermann war vergnügt und zufrieden.

Nun ist mein Saal schön aufgeräumt und aufgeputzt; es lebt sich bei
der großen Wärme aufs angenehmste darin. Wir haben einen trüben,
einen Regentag, ein Donnerwetter, nun einige heitere, nicht sehr heiße
Tage gehabt.


Sonntag, den 29. Juli 1787,

war ich mit Angelika in dem Palast Rondanini. Ihr werdet euch aus
meinen ersten römischen Briefen einer Meduse erinnern, die mir damals
schon so sehr einleuchtete, jetzt nun aber mir die größte Freude gibt.
Nur einen Begriff zu haben, daß so etwas in der Welt ist, daß so
etwas zu machen möglich war, macht einen zum doppelten Menschen. Wie
gern sagt' ich etwas drüber, wenn nicht alles, was man über so ein
Werk sagen kann, leerer Windhauch wäre. Die Kunst ist deshalb da, daß
man sie sehe, nicht davon spreche, als höchstens in ihrer Gegenwart.
Wie schäme ich mich alles Kunstgeschwätzes, in das ich ehmals
einstimmte. Wenn es möglich ist, einen guten Gipsabguß von dieser
Meduse zu haben, so bring' ich ihn mit, doch sie müßte neu geformt
werden. Es sind einige hier zu Kaufe, die ich nicht möchte; denn sie
verderben mehr die Idee, als daß sie uns den Begriff gäben und
erhielten. Besonders ist der Mund unaussprechlich und unnachahmlich
groß.


Montag, den 30sten,

blieb ich den ganzen Tag zu Hause und war fleißig. "Egmont" rückt zum
Ende, der vierte Akt ist so gut wie fertig. Sobald er abgeschrieben
ist, schick' ich ihn mit der reitenden Post. Welche Freude wird mir's
sein, von euch zu hören, daß ihr dieser Produktion einigen Beifall
gebt! Ich fühle mich recht jung wieder, da ich das Stück schreibe;
möchte es auch auf den Leser einen frischen Eindruck machen. Abends
war ein kleiner Ball in dem Garten hinter dem Hause, wozu wir auch
eingeladen wurden. Ungeachtet jetzt keine Jahrszeit des Tanzes ist,
so war man doch ganz lustig. Die italienischen Mäuschen haben ihre
Eigentümlichkeiten, vor zehn Jahren hätten einige passieren können,
nun ist diese Ader vertrocknet, und es gab mir diese kleine
Feierlichkeit kaum so viel Interesse, um sie bis ans Ende auszuhalten.
Die Mondnächte sind ganz unglaublich schön; der Aufgang, eh' sich der
Mond durch die Dünste heraufgearbeitet hat, ganz gelb und warm, come
il sole d'Inghilterra, die übrige Nacht klar und freundlich. Ein
kühler Wind, und alles fängt an zu leben. Bis gegen Morgen sind immer
Partien auf der Straße, die singen und spielen, man hört mancherlei
Duette, so schön und schöner als in einer Oper oder Konzert.


Dienstag, den 31. Juli,

wurden einige Mondscheine aufs Papier gebracht, dann sonst allerlei
gute Kunst getrieben. Abends ging ich mit einem Landsmann spazieren,
und wir stritten über den Vorzug von Michelangelo und Raffael; ich
hielt die Partie des ersten, er des andern, und wir schlossen zuletzt
mit einem gemeinschaftlichen Lob auf Leonard da Vinci. Wie glücklich
bin ich, daß nun alle diese Namen aufhören, Namen zu sein, und
lebendige Begriffe des Wertes dieser trefflichen Menschen nach und
nach vollständig werden.

Nachts in die komische Oper. Ein neues Intermezz, "L'Impresario in
angustie", ist ganz vortrefflich und wird uns manche Nacht unterhalten,
so heiß es auch im Schauspiele sein mag. Ein Quintett, da der Poeta
sein Stück vorliest, der Impresar und die prima donna auf der einen
Seite ihm Beifall geben, der Komponist und die seconda donna auf der
andern ihn tadeln, worüber sie zuletzt in einen allgemeinen Streit
geraten, ist gar glücklich. Die als Frauenzimmer verkleideten
Kastraten machen ihre Rollen immer besser und gefallen immer mehr.
Wirklich für eine kleine Sommertruppe, die sich nur so
zusammengefunden hat, ist sie recht artig. Sie spielen mit einer
großen Natürlichkeit und gutem Humor. Von der Hitze stehen die armen
Teufel erbärmlich aus.




Bericht

Juli

Um Nachstehendes, welches ich nunmehr einzuführen gedenke,
schicklicherweise vorzubereiten, halte für nötig, einige Stellen aus
dem vorigen Bande, welche dort, im Lauf der Ereignisse, der
Aufmerksamkeit möchten entgangen sein, hier einzuschalten und die mir
so wichtige Angelegenheit den Freunden der Naturwissenschaft dadurch
abermals zu empfehlen.


Palermo, Dienstag, den 17. April 1787.

Es ist ein wahres Unglück, wenn man von vielerlei Geistern verfolgt
und versucht wird! Heute früh ging ich mit dem festen, ruhigen
Vorsatz, meine dichterischen Träume fortzusetzen, nach dem
öffentlichen Garten, allein eh' ich mich's versah, erhaschte mich ein
anderes Gespenst, das mir schon diese Tage nachgeschlichen. Die
vielen Pflanzen, die ich sonst nur in Kübeln und Töpfen, ja die größte
Zeit des Jahres nur hinter Glasfenstern zu sehen gewohnt war, stehen
hier froh und frisch unter freiem Himmel, und indem sie ihre
Bestimmung vollkommen erfüllen, werden sie uns deutlicher. Im
Angesicht so vielerlei neuen und erneuten Gebildes fiel mir die alte
Grille wieder ein, ob ich nicht unter dieser Schar die Urpflanze
entdecken könnte. Eine solche muß es denn doch geben! Woran würde
ich sonst erkennen, daß dieses oder jenes Gebilde eine Pflanze sei,
wenn sie nicht alle nach einem Muster gebildet wären?

Ich bemühte mich, zu untersuchen, worin denn die vielen abweichenden
Gestalten voneinander unterschieden seien. Und ich fand sie immer
mehr ähnlich als verschieden, und wollte ich meine botanische
Terminologie anbringen, so ging das wohl, aber es fruchtete nicht, es
machte mich unruhig, ohne daß es mir weiterhalf. Gestört war mein
guter poetischer Vorsatz, der Garten des Alcinous war verschwunden,
ein Weltgarten hatte sich aufgetan. Warum sind wir Neueren doch so
zerstreut, warum gereizt zu Forderungen, die wir nicht erreichen noch
erfüllen können!


Neapel, den 17. Mai 1787.

Ferner muß ich dir vertrauen, daß ich dem Geheimnis der
Pflanzenzeugung und -organisation ganz nahe bin, und daß es das
Einfachste ist, was nur gedacht werden kann. Unter diesem Himmel kann
man die schönsten Beobachtungen machen. Den Hauptpunkt, wo der Keim
steckt, habe ich ganz klar und zweifellos gefunden, alles übrige seh'
ich auch schon im ganzen, und nur noch einige Punkte müssen bestimmter
werden. Die Urpflanze wird das wunderlichste Geschöpf von der Welt,
um welches mich die Natur selbst beneiden soll. Mit diesem Modell und
dem Schlüssel dazu kann man alsdann noch Pflanzen ins Unendliche
erfinden, die konsequent sein müssen, das heißt: die, wenn sie auch
nicht existieren, doch existieren könnten und nicht etwa malerische
oder dichterische Schatten und Scheine sind, sondern eine innerliche
Wahrheit und Notwendigkeit haben. Dasselbe Gesetz wird sich auf alles
übrige Lebendige anwenden lassen.



So viel aber sei hier, ferneres Verständnis vorzubereiten, kürzlich
ausgesprochen: Es war mir nämlich aufgegangen, daß in demjenigen Organ
der Pflanze, welches wir als Blatt gewöhnlich anzusprechen pflegen,
der wahre Proteus verborgen liege, der sich in allen Gestaltungen
verstecken und offenbaren könne. Vorwärts und rückwärts ist die
Pflanze immer nur Blatt, mit dem künftigen Keime so unzertrennlich
vereint, daß man eins ohne das andere nicht denken darf. Einen
solchen Begriff zu fassen, zu ertragen, ihn in der Natur aufzufinden,
ist eine Aufgabe, die uns in einen peinlich süßen Zustand versetzt.




Störende Naturbetrachtungen

Wer an sich erfahren hat, was ein reichhaltiger Gedanke heißen will,
er sei nun aus uns selbst entsprungen oder von andern mitgeteilt und
eingeimpft, wird gestehen, was dadurch für eine leidenschaftliche
Bewegung in unserm Geiste hervorgebracht werde, wie wir uns begeistert
fühlen, indem wir alles dasjenige in Gesamtheit vorausahnen, was in
der Folge sich mehr und mehr entwickeln, wozu das Entwickelte weiter
führen soll. Dieses bedenkend, wird man mir zugestehen, daß ich von
einem solchen Gewahrwerden wie von einer Leidenschaft eingenommen und
getrieben worden, und, wo nicht ausschließlich, doch durch alles
übrige Leben hindurch mich damit beschäftigen müssen.

So sehr nun auch diese Neigung mich innerlichst ergriffen hatte, so
war doch an kein geregeltes Studium nach meiner Rückkehr in Rom zu
denken; Poesie, Kunst und Altertum, jedes forderte mich gewissermaßen
ganz, und ich habe in meinem Leben nicht leicht operosere, mühsamer
beschäftigte Tage zugebracht. Männern vom Fach wird es vielleicht gar
zu naiv vorkommen, wenn ich erzähle, wie ich tagtäglich in einem jeden
Garten, auf Spaziergängen, kleinen Lustfahrten mich der neben mir
bemerkten Pflanzen bemächtigte. Besonders bei der eintretenden
Samenreife war es mir wichtig, zu beobachten, wie manche davon an das
Tageslicht hervortraten. So wendete ich meine Aufmerksamkeit auf das
Keimen des während seines Wachstums unförmlichen Cactus opuntia und
sah mit Vergnügen, daß er ganz unschuldig dikotyledonisch sich in zwei
zarten Blättchen enthüllte, sodann aber bei fernerem Wuchse sich die
künftige Unform entwickelte.

Auch mit Samenkapseln begegnete mir etwas Auffallendes; ich hatte
derselben mehrere von Acanthus mollis nach Hause getragen und in einem
offenen Kästchen niedergelegt; nun geschah es in einer Nacht, daß ich
ein Knistern hörte und bald darauf das Umherspringen an Decke und
Wände, wie von kleinen Körpern. Ich erklärte mir's nicht gleich, fand
aber nachher meine Schoten aufgesprungen und die Samen umher zerstreut.
Die Trockne des Zimmers hatte die Reife bis zu solcher Elastizität
in wenigen Tagen vollendet.

Unter den vielen Samen, die ich auf diese Weise beobachtete, muß ich
einiger noch erwähnen, weil sie zu meinem Andenken kürzer oder länger
in dem alten Rom fortwuchsen. Pinienkerne gingen gar merkwürdig auf,
sie huben sich wie in einem Ei eingeschlossen empor, warfen aber diese
Haube bald ab und zeigten in einem Kranze von grünen Nadeln schon die
Anfänge ihrer künftigen Bestimmung.

Galt das Bisherige der Fortpflanzung durch Samen, so ward ich auf die
Fortpflanzung durch Augen nicht weniger aufmerksam gemacht, und zwar
durch Rat Reiffenstein, der auf allen Spaziergängen, hier und dort
einen Zweig abreißend, bis zur Pedanterie behauptete, in die Erde
gesteckt, müsse jeder sogleich fortwachsen. Zum entscheidenden Beweis
zeigte er dergleichen Stecklinge gar wohl angeschlagen in seinem
Garten. Und wie bedeutend ist nicht in der Folgezeit eine solche
allgemein versuchte Vermehrung für die botanische Gärtnerei geworden,
die ich ihm wohl zu erleben gewünscht hätte.

Am auffallendsten war mir jedoch ein strauchartig in die Höhe
gewachsener Nelkenstock. Man kennt die gewaltige Lebens--und
Vermehrungskraft dieser Pflanze; Auge ist über Auge an ihren Zweigen
gedrängt, Knoten in Knoten hineingetrichtert; dieses wird nun hier
durch Dauer gesteigert und die Augen aus unerforschlicher Enge zur
höchstmöglichen Entwickelung getrieben, so daß selbst die vollendete
Blume wieder vier vollendete Blumen aus ihrem Busen hervorbrachte.

Zur Aufbewahrung dieser Wundergestalt kein Mittel vor mir sehend,
unternahm ich es, sie genau zu zeichnen, wobei ich immer zu mehrerer
Einsicht in den Grundbegriff der Metamorphose gelangte. Allein die
Zerstreuung durch so vielerlei Obliegenheiten ward nur desto
zudringlicher, und mein Aufenthalt in Rom, dessen Ende ich voraussah,
immer peinlicher und belasteter.



Nachdem ich mich nun so geraume Zeit ganz im stillen gehalten und von
aller höheren zerstreuenden Gesellschaft fern geblieben, begingen wir
einen Fehler, der die Aufmerksamkeit des ganzen Quartiers, nicht
weniger der nach neuen und seltsamen Vorfällen sich umschauenden
Sozietät auf uns richtete. Die Sache verhielt sich aber also:
Angelika kam nie ins Theater, wir untersuchten nicht, aus welcher
Ursache; aber da wir als leidenschaftliche Bühnenfreunde in ihrer
Gegenwart die Anmut und Gewandtheit der Sänger sowie die Wirksamkeit
der Musik unseres Cimarosa nicht genugsam zu rühmen wußten und nichts
sehnlicher wünschten, als sie solcher Genüsse teilhaftig zu machen, so
ergab sich eins aus dem andern, daß nämlich unsere jungen Leute,
besonders Bury, der mit den Sängern und Musikverwandten in dem besten
Vernehmen stand, es dahin brachte, daß diese sich in heiterer
Gesinnung erboten, auch vor uns, ihren leidenschaftlichen Freunden und
entschieden Beifall Gebenden, gelegentlich einmal in unserm Saale
Musik machen und singen zu wollen. Dergleichen Vorhaben, öfters
besprochen, vorgeschlagen und verzögert, gelangte doch endlich nach
dem Wunsche der jüngern Teilnehmer zur fröhlichen Wirklichkeit.
Konzertmeister Kranz, ein geübter Violinist, in herzogl. weimarischen
Diensten, der sich in Italien auszubilden Urlaub hatte, gab zuletzt
durch seine unvermutete Ankunft eine baldige Entscheidung. Sein
Talent legte sich auf die Waage der Musiklustigen, und wir sahen uns
in den Fall versetzt, Madam Angelika, ihren Gemahl, Hofrat
Reiffenstein, die Herren Jenkins, Volpato und wem wir sonst eine
Artigkeit schuldig waren, zu einem anständigen Feste einladen zu
können. Juden und Tapezier hatten den Saal geschmückt, der nächste
Kaffeewirt die Erfrischungen übernommen, und so ward ein glänzendes
Konzert aufgeführt in der schönsten Sommernacht, wo sich große Massen
von Menschen unter den Fenstern versammelten und, als wären sie im
Theater gegenwärtig, die Gesänge gehörig beklatschten.

Ja, was das Auffallendste war, ein großer mit einem Orchester von
Musikfreunden besetzter Gesellschaftswagen, der soeben durch die
nächtliche Stadt seine Lustrunde zu machen beliebte, hielt unter
unsern Fenstern stille, und nachdem er den obern Bemühungen lebhaften
Beifall geschenkt hatte, ließ sich eine wackre Baßstimme vernehmen,
die eine der beliebtesten Arien eben der Oper, welche wir stückweise
vortrugen, von allen Instrumenten begleitet, hinzugesellte. Wir
erwiderten den vollsten Beifall, das Volk klatschte mit drein, und
jedermann versicherte, an so mancher Nachtlust, niemals aber an einer
so vollkommenen, zufällig gelungenen teilgenommen zu haben.

Auf einmal nun zog unsere zwar anständige, aber doch stille Wohnung
dem Palast Rondanini gegenüber die Aufmerksamkeit des Korso auf sich.
Ein reicher Mylordo, hieß es, müsse da eingezogen sein, niemand aber
wußte ihn unter den bekannten Persönlichkeiten zu finden und zu
entziffern. Freilich, hätte ein dergleichen Fest sollen mit barem
Gelde geleistet werden, so würde dasjenige, was hier von Künstlern
Künstlern zuliebe geschah und mit mäßigem Aufwand zur Ausführung zu
bringen war, bedeutende Kosten verursacht haben. Wir setzten nun zwar
unser voriges stilles Leben fort, konnten aber das Vorurteil von
Reichtum und vornehmer Geburt nicht mehr von uns ablehnen.



Zu einer lebhaftern Geselligkeit gab die Ankunft des Grafen Fries
jedoch neuen Anlaß. Er hatte den Abbate Casti bei sich, welcher durch
Vorlesung seiner damals noch ungedruckten galanten Erzählungen große
Lust erregte; sein heiterer freier Vortrag schien jene geistreichen,
übermäßig genialen Darstellungen vollkommen ins Leben zu bringen. Wir
bedauerten nur, daß ein so gutgesinnter reicher Kunstliebhaber nicht
immer von den zuverlässigsten Menschen bedient werde. Der Ankauf
eines untergeschobenen geschnittenen Steines machte viel Reden und
Verdruß. Er konnte sich indessen über den Ankauf einer schönen Statue
gar wohl erfreuen, die einen Paris, nach der Auslegung anderer einen
Mithras, vorstellte. Das Gegenbild steht jetzt im Museo
Pio-Clementino, beide waren zusammen in einer Sandgrube gefunden
worden. Doch waren es nicht die Unterhändler in Kunstgeschäften
allein, die ihm auflauerten, er hatte manches Abenteuer zu bestehen;
und da er sich überhaupt in der heißen Jahrszeit nicht zu schonen
wußte, so konnt' es nicht fehlen, daß er von mancherlei übeln
angefallen wurde, welche die letzten Tage seines Aufenthalts
verbitterten. Mir aber war es um so schmerzlicher, als ich seiner
Gefälligkeit gar manches schuldig geworden; wie ich denn auch die
treffliche Gemmensammlung des Prinzen von Piombino mit ihm zu
betrachten günstige Gelegenheit fand.



Beim Grafen Fries fanden sich außer den Kunsthändlern auch wohl derart
Literatoren, wie sie hier in Abbétracht herumwandern. Mit diesen war
kein angenehmes Gespräch. Kaum hatte man von nationaler Dichtung zu
sprechen angefangen und sich über ein und andern Punkt zu belehren
gesucht, so mußte man unmittelbar und ohne weiteres die Frage
vernehmen, ob man Ariost oder Tasso, welchen von beiden man für den
größten Dichter halte. Antwortete man: Gott und der Natur sei zu
danken, daß sie zwei solche vorzügliche Männer einer Nation gegönnt,
deren jeder uns nach Zeit und Umständen, nach Lagen und Empfindungen
die herrlichsten Augenblicke verliehen, uns beruhigt und
entzückt--dies vernünftige Wort ließ niemand gelten. Nun wurde
derjenige, für den man sich entschieden hatte, hoch und höher gehoben,
der andere tief und tiefer dagegen herabgesetzt. Die ersten Male
sucht' ich die Verteidigung des Herabgesetzten zu übernehmen und seine
Vorzüge geltend zu machen; dies aber verfing nicht, man hatte Partei
ergriffen und blieb auf seinem Sinne. Da nun ebendasselbe immerfort
und fort sich wiederholte und es mir zu ernst war, um dialektisch über
dergleichen Gegenstände zu kontroversieren, so vermied ich ein solches
Gespräch, besonders da ich merkte, daß es nur Phrasen waren, die man,
ohne eigentliches Interesse an dem Gegenstande zu finden, aussprach
und behauptete.

Viel schlimmer aber war es, wenn Dante zur Sprache kam. Ein junger
Mann von Stande und Geist und wirklichem Anteil an jenem
außerordentlichen Manne nahm meinen Beifall und Billigung nicht zum
besten auf, indem er ganz unbewunden versicherte, jeder Ausländer
müsse Verzicht tun auf das Verständnis eines so außerordentlichen
Geistes, dem ja selbst die Italiener nicht in allem folgen könnten.
Nach einigen Hin--und Widerreden verdroß es mich denn doch zuletzt,
und ich sagte, ich müsse bekennen, daß ich geneigt sei, seinen
äußerungen Beifall zu geben; denn ich habe nie begreifen können, wie
man sich mit diesen Gedichten beschäftigen möge. Mir komme die
"Hölle" ganz abscheulich vor, das "Fegefeuer" zweideutig und das
"Paradies" langweilig; womit er sehr zufrieden war, indem er daraus
ein Argument für seine Behauptung zog: dies eben beweise, daß ich
nicht die Tiefe und Höhe dieser Gedichte zum Verständnis bringen könne.
Wir schieden als die besten Freunde; er versprach mit sogar einige
schwere Stellen, über die er lange nachgedacht und über deren Sinn er
endlich mit sich einig geworden sei, mitzuteilen und zu erklären.

Leider war die Unterhaltung mit Künstlern und Kunstfreunden nicht
erbaulicher. Man verzieh jedoch endlich andern den Fehler, den man an
sich bekennen mußte. Bald war es Raffael, bald Michelangelo, dem man
den Vorzug gab, woraus denn am Schluß nur hervorging, der Mensch sei
ein so beschränktes Wesen, daß, wenn sein Geist sich auch dem Großen
geöffnet habe, er doch niemals die Großheiten verschiedener Art
ebenmäßig zu würdigen und anzuerkennen Fähigkeit erlange.



Wenn wir Tischbeins Gegenwart und Einfluß vermißten, so hielt er uns
dagegen durch sehr lebendige Briefe möglichst schadlos. Außer manchen
geistreich aufgefaßten wunderlichen Vorfällen und genialen Ansichten
erfuhren wir das Nähere durch Zeichnung und Skizze von einem Gemälde
mit welchem er sich daselbst hervortat. In halben Figuren sah man
darauf Oresten, wie er am Opferaltar von Iphigenien erkannt wird und
die ihn bisher verfolgenden Furien soeben entweichen. Iphigenie war
das wohlgetroffene Bildnis der Lady Hamilton, welche damals auf dem
höchsten Gipfel der Schönheit und des Ansehens glänzte. Auch eine der
Furien war durch die ähnlichkeit mit ihr veredelt, wie sie denn
überhaupt als Typus für alle Heroinen, Musen und Halbgöttinnen gelten
mußte. Ein Künstler, der dergleichen vermochte, war in dem
bedeutenden geselligen Kreise eines Ritter Hamilton sehr wohl
aufgenommen.






August

Korrespondenz

Den 1. August 1787.

Den ganzen Tag fleißig und still wegen der Hitze. Meine beste Freude
bei der großen Wärme ist die überzeugung, daß ihr auch einen guten
Sommer in Deutschland haben werdet. Hier das Heu einführen zu sehen,
ist die größte Lust, da es in dieser Zeit gar nicht regnet und so der
Feldbau nach Willkür behandelt werden kann, wenn sie nur Feldbau
hätten.

Abends ward in der Tiber gebadet, in wohlangelegten sichern
Badhäuschen; dann auf Trinità de' Monti spaziert und frische Luft im
Mondschein genossen. Die Mondscheine sind hier, wie man sie sich
denkt oder fabelt.

Der vierte Akt von "Egmont" ist fertig, im nächsten Brief hoff' ich
dir den Schluß des Stückes anzukündigen.


Den 11. August.

Ich bleibe noch bis künftige Ostern in Italien. Ich kann jetzt nicht
aus der Lehre laufen. Wenn ich aushalte, komme ich gewiß so weit, daß
ich meinen Freunden mit mir Freude machen kann. Ihr sollt immer
Briefe von mir haben, meine Schriften kommen nach und nach, so habt
ihr den Begriff von mir als eines abwesend Lebenden, da ihr mich so
oft als einen gegenwärtig Toten bedauert habt.

"Egmont" ist fertig und wird zu Ende dieses Monats abgehen können.
Alsdann erwarte ich mit Schmerzen euer Urteil.

Kein Tag vergeht, daß ich nicht in Kenntnis und Ausübung der Kunst
zunehme. Wie eine Flasche sich leicht füllt, die man oben offen unter
das Wasser stößt, so kann man hier leicht sich ausfüllen, wenn man
empfänglich und bereitet ist; es drängt das Kunstelement von allen
Seiten zu.

Den guten Sommer, den ihr habt, konnte ich hier voraussagen. Wir
haben ganz gleichen reinen Himmel und am hohen Tag entsetzliche Hitze,
der ich in meinem kühlen Saale ziemlich entgehe. September und
Oktober will ich auf dem Lande zubringen und nach der Natur zeichnen.
Vielleicht geh' ich wieder nach Neapel, um Hackerts Unterricht zu
genießen. Er hat mich in vierzehn Tagen, die ich mit ihm auf dem
Lande war, weiter gebracht, als ich in Jahren für mich würde
vorgerückt sein. Noch schicke ich dir nichts und halte ein Dutzend
kleine Skizzchen zurück, um dir auf mal etwas Gutes zu senden.

Diese Woche ist still und fleißig hingegangen. Besonders hab' ich in
der Perspektiv manches gelernt. Verschaffelt, ein Sohn des Mannheimer
Direktors, hat diese Lehre recht durchgedacht und teilt mir seine
Kunststücke mit. Auch sind einige Mondscheine aufs Brett gekommen und
ausgetuscht worden, nebst einigen andern Ideen, die fast zu toll sind,
als daß man sie mitteilen sollte.


Rom, den 11. August 1787.

Ich habe der Herzogin einen langen Brief geschrieben und ihr geraten,
die Reise nach Italien noch ein Jahr zu verschieben. Geht sie im
Oktober, so kommt sie gerade zur Zeit in dies schöne Land, wenn sich
das Wetter umkehrt, und sie hat einen bösen Spaß. Folgt sie mir in
diesem und andrem, so kann sie Freude haben, wenn das Glück gut ist.
Ich gönne ihr herzlich diese Reise.

Es ist sowohl für mich als für andere gesorgt, und die Zukunft wollen
wir geruhig erwarten. Niemand kann sich umprägen und niemand seinem
Schicksale entgehn. Aus eben diesem Briefe wirst du meinen Plan sehn
und ihn hoffentlich billigen. Ich wiederhole hier nichts.

Ich werde oft schreiben und den Winter durch immer im Geiste unter
euch sein. Tasso kommt nach dem neuen Jahre. Faust soll auf seinem
Mantel als Kurier meine Ankunft melden. Ich habe alsdann eine
Hauptepoche zurückgelegt, rein geendigt, und kann wieder anfangen und
eingreifen, wo es nötig ist. Ich fühle mir einen leichtern Sinn und
bin fast ein andrer Mensch als vorm Jahr.

Ich lebe in Reichtum und überfluß alles dessen, was mir eigens lieb
und wert ist, und habe erst diese paar Monate meine Zeit hier recht
genossen. Denn es legt sich nun auseinander, und die Kunst wird mir
wie eine zweite Natur, die gleich der Minerva aus dem Haupte Jupiters,
so aus dem Haupte der größten Menschen geboren worden. Davon sollt
ihr in der Folge tagelang, wohl jahrelang unterhalten werden.

Ich wünsche euch allen einen guten September. Am Ende Augusts, wo
alle unsre Geburtstage zusammentreffen, will ich eurer fleißig
gedenken. Wie die Hitze abnimmt, geh' ich aufs Land, dort zu zeichnen,
indes tu' ich, was in der Stube zu tun ist, und muß oft pausieren.
Abends besonders muß man sich vor Verkältung in acht nehmen.


Rom, den 18. August 1787.

Diese Woche hab' ich einigermaßen von meiner nordischen Geschäftigkeit
nachlassen müssen, die ersten Tage waren gar zu heiß. Ich habe also
nicht so viel getan, als ich wünschte. Nun haben wir seit zwei Tagen
die schönste Tramontane und eine gar freie Luft. September und
Oktober müssen ein paar himmlische Monate werden.

Gestern fuhr ich vor Sonnenaufgang nach Acqua acetosa; es ist wirklich
zum Närrischwerden, wenn man die Klarheit, die Mannigfaltigkeit,
duftige Durchsichtigkeit und himmlische Färbung der Landschaft,
besonders der Fernen ansieht.

Moritz studiert jetzt die Antiquitäten und wird sie zum Gebrauch der
Jugend und zum Gebrauch eines jeden Denkenden vermenschlichen und von
allem Büchermoder und Schulstaub reinigen. Er hat eine gar glückliche
richtige Art, die Sachen anzusehn, ich hoffe, daß er sich auch Zeit
nehmen wird, gründlich zu sein. Wir gehen des Abends spazieren, und
er erzählt mir, welchen Teil er des Tags durchgedacht, was er in den
Autoren gelesen, und so füllt sich auch diese Lücke aus, die ich bei
meinen übrigen Beschäftigungen lassen mußte und nur spät und mit Mühe
nachholen könnte. Ich sehe indes Gebäude, Straßen, Gegend, Monumente
an, und wenn ich abends nach Hause komme, wird ein Bild, das mir
besonders aufgefallen, unterm Plaudern aufs Papier gescherzt. Ich
lege dir eine solche Skizze von gestern abend bei. Es ist die
ungefähre Idee, wenn man von hinten das Kapitol heraufkommt.

Mit der guten Angelika war ich Sonntags die Gemälde des Prinzen
Aldobrandini, besonders einen trefflichen Leonard da Vinci zu sehen.
Sie ist nicht glücklich, wie sie es zu sein verdiente bei dem wirklich
großen Talent und bei dem Vermögen, das sich täglich mehrt. Sie ist
müde, auf den Kauf zu malen, und doch findet ihr alter Gatte es gar zu
schön, daß so schweres Geld für oft leichte Arbeit einkommt. Sie
möchte nun sich selbst zur Freude, mit mehr Muße, Sorgfalt und Studium
arbeiten und könnte es. Sie haben keine Kinder, können ihre
Interessen nicht verzehren, und sie verdient täglich auch mit mäßiger
Arbeit noch genug hinzu. Das ist nun aber nicht und wird nicht. Sie
spricht sehr aufrichtig mit mir, ich hab' ihr meine Meinung gesagt,
hab' ihr meinen Rat gegeben und muntre sie auf, wenn ich bei ihr bin.
Man rede von Mangel und Unglück, wenn die, welche genug besitzen, es
nicht brauchen und genießen können! Sie hat ein unglaubliches und als
Weib wirklich ungeheures Talent. Man muß sehen und schätzen, was sie
macht, nicht das, was sie zurückläßt. Wie vieler Künstler Arbeiten
halten Stich, wenn man rechnen will, was fehlt!

Und so, meine Lieben, wird mir Rom, das römische Wesen, Kunst und
Künstler immer bekannter, und ich sehe die Verhältnisse ein, sie
werden mir nah und natürlich, durchs Mitleben und Hin--und Herwandeln.
Jeder bloße Besuch gibt falsche Begriffe. Sie möchten mich auch hier
aus meiner Stille und Ordnung bringen und in die Welt ziehen, ich
wahre mich, so gut ich kann. Verspreche, verzögre, weiche aus,
versprach wieder und spiele den Italiener mit den Italienern. Der
Kardinal Staatssekretär, Buoncompagni, hat mir es gar zu nahe legen
lassen, ich werde aber ausweichen, bis ich halb September aufs Land
gehe. Ich scheue mich vor den Herren und Damen wie vor einer bösen
Krankheit, es wird mir schon weh, wenn ich sie fahren sehe.


Rom, den 23. August 1787

Euren lieben Brief Nr. 24 erhielt ich vorgestern, eben als ich nach
dem Vatikan ging, und habe ihn unterwegs und in der Sixtinischen
Kapelle aber--und abermals gelesen, sooft ich ausruhte von dem Sehen
und Aufmerken. Ich kann euch nicht ausdrücken, wie sehr ich euch zu
mir gewünscht habe, damit ihr nur einen Begriff hättet, was ein
einziger und ganzer Mensch machen und ausrichten kann; ohne die
Sixtinische Kapelle gesehen zu haben, kann man sich keinen
anschauenden Begriff machen, was ein Mensch vermag. Man hört und
liest von viel großen und braven Leuten, aber hier hat man es noch
ganz lebendig über dem Haupte, vor den Augen. Ich habe mich viel mit
euch unterhalten und wollte, es stünde alles auf dem Blatte. Ihr
wollt von mir wissen! Wie vieles könnt' ich sagen! Denn ich bin
wirklich umgeboren und erneuert und ausgefüllt. Ich fühle, daß sich
die Summe meiner Kräfte zusammenschließt, und hoffe noch etwas zu tun.
Über Landschaft und Architektur habe ich diese Zeit her ernstlich
nachgedacht, auch einiges versucht und sehe nun, wo es damit hinaus
will, auch wie weit es zu bringen wäre.

Nun hat mich zuletzt das A und O aller uns bekannten Dinge, die
menschliche Figur, angefaßt, und ich sie, und ich sage: "Herr, ich
lasse dich nicht, du segnest mich denn, und sollt' ich mich lahm
ringen." Mit dem Zeichnen geht es gar nicht, und ich habe also mich
zum Modellieren entschlossen, und das scheint rücken zu wollen.
Wenigstens bin ich auf einen Gedanken gekommen, der mir vieles
erleichtert. Es wäre zu weitläufig, es zu detaillieren, und es ist
besser zu tun als zu reden. Genug, es läuft darauf hinaus, daß mich
nun mein hartnäckig Studium der Natur, meine Sorgfalt, mit der ich in
der komparierenden Anatomie zu Werke gegangen bin, nunmehr in den
Stand setzen, in der Natur und den Antiken manches im ganzen zu sehen,
was den Künstlern im einzelnen aufzusuchen schwer wird, und das sie,
wenn sie es endlich erlangen, nur für sich besitzen und andern nicht
mitteilen können.

Ich habe alle meine physiognomischen Kunststückchen, die ich aus Pik
auf den Propheten in den Winkel geworfen, wieder hervorgesucht, und
sie kommen mir gut zu passe. Ein Herkuleskopf ist angefangen; wenn
dieser glückt, wollen wir weitergehen.

So entfernt bin ich jetzt von der Welt und allen weltlichen Dingen, es
kommt mir recht wunderbar vor, wenn ich eine Zeitung lese. Die
Gestalt dieser Welt vergeht, ich möchte mich nur mit dem beschäftigen,
was bleibende Verhältnisse sind, und so nach der Lehre des *** meinem
Geiste erst die Ewigkeit verschaffen.

Gestern sah ich bei Ch. v. Worthley, der eine Reise nach Griechenland,
ägypten etc. gemacht hat, viele Zeichnungen. Was mich am meisten
interessierte, waren Zeichnungen nach Basreliefs, welche im Fries des
Tempels der Minerva zu Athen sind, Arbeiten des Phidias. Man kann
sich nichts Schöneres denken als die wenigen einfachen Figuren.
Übrigens war wenig Reizendes an den vielen gezeichneten Gegenständen;
die Gegenden waren nicht glücklich, die Architektur besser.

Lebe wohl für heute. Es wird meine Büste gemacht, und das hat mir
drei Morgen dieser Woche gekostet.


Den 28. August 1787.

Mir ist diese Tage manches Gute begegnet, und heute zum Feste kam mir
Herders Büchlein voll würdiger Gottesgedanken. Es war mir tröstlich
und erquicklich, sie in diesem Babel, der Mutter so vieles Betrugs und
Irrtums, so rein und schön zu lesen, und zu denken, daß doch jetzt die
Zeit ist, wo sich solche Gesinnungen, solche Denkarten verbreiten
können und dürfen. Ich werde das Büchlein in meiner Einsamkeit noch
oft lesen und beherzigen, auch Anmerkungen dazu machen, welche Anlaß
zu künftigen Unterredungen geben können.

Ich habe diese Tage immer weiter um mich gegriffen in Betrachtung der
Kunst, und übersehe nun fast das ganze Pensum, das mir zu absolvieren
bleibt; und wenn es absolviert ist, ist noch nichts getan. Vielleicht
gibt's andern Anlaß, dasjenige leichter und besser zu tun, wozu Talent
und Geschick bestimmt.

Die französische Akademie hat ihre Arbeiten ausgestellt; es sind
interessante Sachen drunter. Pindar, der die Götter um ein
glückliches Ende bittet, fällt in die Arme eines Knaben, den er sehr
liebt, und stirbt. Es ist viel Verdienst in dem Bilde. Ein Architekt
hat eine gar artige Idee ausgeführt, er hat das jetzige Rom von einer
Seite gezeichnet, wo es sich mit allen seinen Teilen gut ausnimmt.
Dann hat er auf einem andern Blatte das alte Rom vorgestellt, als wenn
man es aus demselben Standpunkt sähe. Die Orte, wo die alten
Monumente gestanden, weiß man, ihre Form auch meistens, von vielen
stehen noch die Ruinen. Nun hat er alles Neue weggetan und das Alte
wiederhergestellt, wie es etwa zu Zeiten Diokletians ausgesehen haben
mag, und mit ebensoviel Geschmack als Studium, und allerliebst gefärbt.


Was ich tun kann, tu' ich, und häufe so viel von allen diesen
Begriffen und Talenten auf mich, als ich schleppen kann, und bringe
auf diese Weise doch das Reellste mit.

Hab' ich dir schon gesagt, daß Trippel meine Büste arbeitet? Der
Fürst von Waldeck hat sie bei ihm bestellt. Er ist schon meist fertig,
und es macht ein gutes Ganze. Sie ist in einem sehr soliden Stil
gearbeitet. Wenn das Modell fertig ist, wird er eine Gipsform darüber
machen und dann gleich den Marmor anfangen, welchen er dann zuletzt
nach dem Leben auszuarbeiten wünscht; denn was sich in dieser Materie
tun läßt, kann man in keiner andern erreichen.

Angelika malt jetzt ein Bild, das sehr glücken wird: die Mutter der
Gracchen, wie sie einer Freundin, welche ihre Juwelen auskramte, ihre
Kinder als die besten Schätze zeigt. Es ist eine natürliche und sehr
glückliche Komposition.

Wie schön ist es, zu säen, damit geerntet werde! Ich habe hier
durchaus verschwiegen, daß heute mein Geburtstag sei, und dachte beim
Aufstehen: sollte mir denn von Hause nichts zur Feier kommen? Und
siehe, da wird mir euer Paket gebracht, das mich unsäglich erfreut.
Gleich setzte ich mich hin, es zu lesen, und bin nun zu Ende und
schreibe gleich meinen herzlichsten Dank nieder.

Nun möchte ich denn erst bei euch sein, da sollte es an ein Gespräch
gehen, zu Ausführung einiger angedeuteten Punkte. Genug, das wird uns
auch werden, und ich danke herzlich, daß eine Säule gesetzt ist, von
welcher an wir nun unsre Meilen zählen können. Ich wandle starken
Schrittes in den Gefilden der Natur und Kunst herum und werde dir mit
Freuden von da aus entgegenkommen.

Ich habe es heute nach Empfang deines Briefes noch einmal durchgedacht
und muß darauf beharren: mein Kunststudium, mein Autorwesen, alles
fordert noch diese Zeit. In der Kunst muß ich es so weit bringen, daß
alles anschauende Kenntnis werde, nichts Tradition und Name bleibe,
und ich zwinge es in diesem halben Jahre, auch ist es nirgends als in
Rom zu zwingen. Meine Sächelchen (denn sie kommen mir sehr im
Diminutiv vor) muß ich wenigstens mit Sammlung und Freudigkeit enden.

Dann zieht mich alles nach dem Vaterlande zurück. Und wenn ich auch
ein isoliertes, privates Leben führen sollte, habe ich so viel
nachzuholen und zu vereinigen, daß ich für zehn Jahre keine Ruhe sehe.

In der Naturgeschichte bring' ich dir Sachen mit, die du nicht
erwartest. Ich glaube dem Wie der Organisation sehr nahe zu rücken.
Du sollst diese Manifestationen (nicht Fulgurationen) unsres Gottes
mit Freuden beschauen und mich belehren, wer in der alten und neuen
Zeit dasselbe gefunden, gedacht, es von eben der Seite oder aus einem
wenig abweichenden Standpunkte betrachtet.






Bericht

August

Zu Anfang dieses Monats reifte bei mir der Vorsatz, noch den nächsten
Winter in Rom zu bleiben; Gefühl und Einsicht, daß ich aus diesem
Zustande noch völlig unreif mich entfernen, auch daß ich nirgends
solchen Raum und solche Ruhe für den Abschluß meiner Werke finden
würde, bestimmten mich endlich; und nun, als ich solches nach Hause
gemeldet hatte, begann ein Zeitraum neuer Art.

Die große Hitze, welche sich nach und nach steigerte und einer allzu
raschen Tätigkeit Ziel und Maß gab, machte solche Räume angenehm und
wünschenswert, wo man seine Zeit nützlich in Ruh' und Kühlung
zubringen konnte. Die Sixtinische Kapelle gab hiezu die schönste
Gelegenheit. Gerade zu dieser Zeit hatte Michelangelo aufs neue die
Verehrung der Künstler gewonnen; neben seinen übrigen großen
Eigenschaften sollt' er sogar auch im Kolorit nicht übertroffen worden
sein, und es wurde Mode, zu streiten, ob er oder Raffael mehr Genie
gehabt. Die Transfiguration des letzteren wurde mitunter sehr strenge
getadelt und die Disputa das beste seiner Werke genannt; wodurch sich
denn schon die später aufgekommene Vorliebe für Werke der alten Schule
ankündigte, welche der stille Beobachter nur für ein Symptom halber
und unfreier Talente betrachten und sich niemals damit befreunden
konnte.

Es ist so schwer, ein großes Talent zu fassen, geschweige denn zwei
zugleich. Wir erleichtern uns dieses durch Parteilichkeit; deshalb
denn die Schätzung von Künstlern und Schriftstellern immer schwankt
und einer oder der andere immer ausschließlich den Tag beherrscht.
Mich konnten dergleichen Streitigkeiten nicht irremachen, da ich sie
auf sich beruhen ließ und mich mit unmittelbarer Betrachtung alles
Werten und Würdigen beschäftigte. Diese Vorliebe für den großen
Florentiner teilte sich von den Künstlern gar bald auch den Liebhabern
mit, da denn auch gerade zu jener Zeit Bury und Lips Aquarellkopien in
der Sixtinischen Kapelle für Grafen Fries zu fertigen hatten. Der
Kustode ward gut bezahlt, er ließ uns durch die Hintertür neben dem
Altar hinein, und wir hauseten darin nach Belieben. Es fehlte nicht
an einiger Nahrung, und ich erinnere mich, ermüdet von großer
Tageshitze, auf dem päpstlichen Stuhle einem Mittagsschlaf nachgegeben
zu haben.

Sorgfältige Durchzeichnungen der unteren Köpfe und Figuren des
Altarbildes, die man mit der Leiter erreichen konnte, wurden gefertigt,
erst mit weißer Kreide auf schwarze Florrahmen, dann mit Rötel auf
große Papierbogen durchgezeichnet.

Ebnermaßen ward denn auch, indem man sich nach dem Altern hinwendete,
Leonard da Vinci berühmt, dessen hochgeschätztes Bild, Christus unter
den Pharisäern, in der Galerie Aldobrandini ich mit Angelika besuchte.
Es war herkömmlich geworden, daß sie Sonntag um Mittag mit ihrem
Gemahl und Rat Reiffenstein bei mir vorfuhr und wir sodann mit
möglichster Gemütsruhe uns durch eine Backofenhitze in irgendeine
Sammlung begaben, dort einige Stunden verweilten und sodann zu einer
wohlbesetzten Mittagstafel bei ihr einkehrten. Es war vorzüglich
belehrend, mit diesen drei Personen, deren eine jede in ihrer Art
theoretisch, praktisch, ästhetisch und technisch gebildet war, sich in
Gegenwart so bedeutender Kunstwerke zu besprechen.

Ritter Worthley, der aus Griechenland zurückgekommen war, ließ uns
wohlwollend seine mitgebrachten Zeichnungen sehen, unter welchen die
Nachbildungen der Arbeiten des Phidias im Fronton der Akropolis einen
entschiedenen und unauslöschlichen Eindruck in mir zurückließen, der
um desto stärker war, als ich, durch die mächtigen Gestalten des
Michelangelo veranlaßt, dem menschlichen Körper mehr als bisher
Aufmerksamkeit und Studium zugewendet hatte.

Eine bedeutende Epoche jedoch in dem regsamen Kunstleben machte die
Ausstellung der französischen Akademie zu Ende des Monats. Durch
Davids "Horatier" hatte sich das übergewicht auf die Seite der
Franzosen hingeneigt. Tischbein wurde dadurch veranlaßt, seinen
"Hektor, der den Paris in Gegenwart der Helena auffordert", lebensgroß
anzufangen. Durch Drouais, Gagneraux, Desmarais, Gauffier, St. Ours
erhält sich nunmehr der Ruhm der Franzosen, und Boquet erwirbt als
Landschaftsmaler im Sinne Poussins einen guten Namen.

Indessen hatte Moritz sich um die alte Mythologie bemüht; er war nach
Rom gekommen, um nach früherer Art durch eine Reisebeschreibung sich
die Mittel einer Reise zu verschaffen. Ein Buchhändler hatte ihm
Vorschuß geleistet; aber bei seinem Aufenthalt in Rom wurde er bald
gewahr, daß ein leichtes loses Tagebuch nicht ungestraft verfaßt
werden könne. Durch tagtägliche Gespräche, durch Anschauen so vieler
wichtiger Kunstwerke regte sich in ihm der Gedanke, eine Götterlehre
der Alten in rein menschlichem Sinne zu schreiben und solche mit
belehrenden Umrissen nach geschnittenen Steinen künftig herauszugeben
Er arbeitete fleißig daran, und unser Verein ermangelte nicht, sich
mit demselben einwirkend darüber zu unterhalten.

Eine höchst angenehme, belehrende Unterhaltung, mit meinen Wünschen
und Zwecken unmittelbar zusammentreffend, knüpfte ich mit dem
Bildhauer Trippel in seiner Werkstatt an, als er meine Büste
modellierte, welche er für den Fürsten von Waldeck in Marmor
ausarbeiten sollte. Gerade zum Studium der menschlichen Gestalt, und
um über ihre Proportionen als Kanon und als abweichender Charakter
aufgeklärt zu werden, war nicht wohl unter andern Bedingungen zu
kommen. Dieser Augenblick ward auch doppelt interessant dadurch, daß
Trippel von einem Apollokopf Kenntnis erhielt, der sich in der
Sammlung des Palasts Giustiniani bisher unbeachtet befunden hatte. Er
hielt denselben für eins der edelsten Kunstwerke und hegte Hoffnung,
ihn zu kaufen, welches jedoch nicht gelang. Diese Antike ist seitdem
berühmt geworden und später an Herrn von Pourtalès nach Neufchatel
gekommen.

Aber wie derjenige, der sich einmal zur See wagt, durch Wind und
Wetter bestimmt wird, seinen Lauf bald dahin, bald dorthin zu nehmen,
so erging es auch mir. Verschaffelt eröffnete einen Kurs der
Perspektive, wo wir uns des Abends versammelten und eine zahlreiche
Gesellschaft auf seine Lehren horchte und sie unmittelbar ausübte.
Das Vorzüglichste war dabei, daß man gerade das Hinreichende und nicht
zuviel lernte.

Aus dieser kontemplativ tätigen, geschäftigen Ruhe hätte man mich
gerne herausgerissen. Das unglückliche Konzert war in Rom, wo das
Hin--und Widerreden des Tags wie an kleinen Orten herkömmlich ist,
vielfach besprochen; man war auf mich und meine schriftstellerischen
Arbeiten aufmerksam geworden; ich hatte die "Iphigenie" und sonstiges
unter Freunden vorgelesen, worüber man sich gleichfalls besprach.
Kardinal Buoncompagni verlangte, mich zu sehen, ich aber hielt fest in
meiner wohlbekannten Einsiedelei, und ich konnte dies um so eher, als
Rat Reiffenstein fest und eigensinnig behauptete, da ich mich durch
ihn nicht habe präsentieren lassen, so könne es kein anderer tun.
Dies gereichte mir sehr zum Vorteil, und ich benutzte immer sein
Ansehn, um mich in einmal gewählter und ausgesprochener
Abgeschiedenheit zu erhalten.






September

Korrespondenz

Den 1. September 1787

Heute, kann ich sagen, ist "Egmont" fertig geworden; ich habe diese
Zeit her immer noch hier und da daran gearbeitet. Ich schicke ihn
über Zürich, denn ich wünsche, daß Kayser Zwischenakte dazu und was
sonst von Musik nötig ist, komponieren möge. Dann wünsch' ich euch
Freude daran.

Meine Kunststudien gehen sehr vorwärts, mein Prinzip paßt überall und
schließt mir alles auf. Alles, was Künstler nur einzeln mühsam
zusammensuchen müssen, liegt nun zusammen offen und frei vor mir. Ich
sehe jetzt, wie viel ich nicht weiß, und der Weg ist offen, alles zu
wissen und zu begreifen.

Moritzen hat Herders Gotteslehre sehr wohl getan, er zählt gewiß
Epoche seines Lebens davon, er hat sein Gemüt dahin geneigt und war
durch meinen Umgang vorbereitet, er schlug gleich wie wohl getrocknet
Holz in lichte Flammen.


Rom, den 3. September.

Heute ist es jährig, daß ich mich aus Karlsbad entfernte. Welch ein
Jahr! und welch eine sonderbare Epoche für mich dieser Tag, des
Herzogs Geburtstag und ein Geburtstag für mich zu einem neuen Leben.
Wie ich dieses Jahr genutzt, kann ich jetzt weder mir noch andern
berechnen; ich hoffe, es wird die Zeit kommen, die schöne Stunde, da
ich mit euch alles werde summieren können.

Jetzt gehn hier erst meine Studien an, und ich hätte Rom gar nicht
gesehen, wenn ich früher weggegangen wäre. Man denkt sich gar nicht,
was hier zu sehen und zu lernen ist; auswärts kann man keinen Begriff
davon haben.

Ich bin wieder in die ägyptischen Sachen gekommen. Diese Tage war ich
einigemal bei dem großen Obelisk, der noch zerbrochen zwischen Schutt
und Kot in einem Hofe liegt. Es war der Obelisk des Sesostris, in Rom
zu Ehren des Augusts aufgerichtet, und stand als Zeiger der großen
Sonnenuhr, die auf dem Boden des Campus Martius gezeichnet war.
Dieses älteste und herrlichste vieler Monumente liegt nun da
zerbrochen, einige Seiten (wahrscheinlich durchs Feuer) verunstaltet.
Und doch liegt es noch da, und die unzerstörten Seiten sind noch
frisch, wie gestern gemacht und von der schönsten Arbeit (in ihrer
Art). Ich lasse jetzt eine Sphinx der Spitze und die Gesichter von
Sphinxen, Menschen, Vögeln abformen und in Gips gießen. Diese
unschätzbaren Sachen muß man besitzen, besonders da man sagt, der
Papst wolle ihn aufrichten lassen, da man denn die Meroglyphen nicht
mehr erreichen kann. So will ich es auch mit den besten hetrurischen
Sachen tun u. s. w. Nun modelliere ich nach diesen Bildungen in Ton,
um mir alles recht eigen zu machen.


Den 5. September.

Ich muß an einem Morgen schreiben, der ein festlicher Morgen für mich
wird. Denn heute ist "Egmont" eigentlich recht völlig fertig geworden.
Der Titel und die Personen sind geschrieben und einige Lücken, die
ich gelassen hatte, ausgefüllt worden; nun freu' ich mich schon zum
voraus auf die Stunde, in welcher ihr ihn erhalten und lesen werdet.
Es sollen auch einige Zeichnungen beigelegt werden.


Den 6. September.

Ich hatte mir vorgenommen, euch recht viel zu schreiben und auf den
letzten Brief allerlei zu sagen, nun bin ich unterbrochen worden, und
morgen geh' ich nach Frascati. Dieser Brief muß Sonnabends fort, und
nun sag' ich nur noch zum Abschied wenige Worte. Wahrscheinlich habt
ihr jetzt auch schönes Wetter, wie wir es unter diesem freieren Himmel
genießen. Ich habe immer neue Gedanken, und da die Gegenstände um
mich tausendfach sind, so wecken sie mich bald zu dieser, bald zu
jener Idee. Von vielen Wegen rückt alles gleichsam auf einen Punkt
zusammen, ja, ich kann sagen, daß ich nun Licht sehe, wo es mit mir
und meinen Fähigkeiten hinaus will; so alt muß man werden, um nur
einen leidlichen Begriff von seinem Zustande zu haben. Es sind also
die Schwaben nicht allein, die vierzig Jahre brauchen, um klug zu
werden.

Ich höre, daß Herder nicht wohl ist, und bin darüber in Sorge, ich
hoffe bald bessere Nachrichten zu vernehmen.

Mir geht es immer an Leib und Seele gut, und fast kann ich hoffen,
radikaliter kuriert zu werden; alles geht mir leicht von der Hand, und
manchmal kommt ein Hauch der Jugendzeit, mich anzuwehen. "Egmont"
geht mit diesem Brief ab, wird aber später kommen, weil ich ihn auf
die fahrende Post gebe. Recht neugierig und verlangend bin ich, was
ihr dazu sagen werdet.

Vielleicht wäre gut, mit dem Druck bald anzufangen. Es würde mich
freuen, wenn das Stück so frisch ins Publikum käme. Seht, wie ihr das
einrichtet, ich will mit dem Rest des Bandes nicht zurückbleiben.

Der "Gott" leistet mir die beste Gesellschaft. Moritz ist dadurch
wirklich aufgebaut worden, es fehlte gleichsam nur an diesem Werke,
das nun als Schlußstein seine Gedanken schließt, die immer auseinander
fallen wollten. Es wird recht brav. Mich hat er aufgemuntert, in
natürlichen Dingen weiter vorzudringen, wo ich denn, besonders in der
Botanik, auf ein en kai pan gekommen bin, das mich in Erstaunen setzt;
wie weit es um sich greift, kann ich selbst noch nicht sehn.

Mein Prinzip, die Kunstwerke zu erklären und das auf einmal
aufzuschließen, woran Künstler und Kenner sich schon seit der
Wiederherstellung der Kunst zersuchen und zerstudieren, find' ich bei
jeder Anwendung richtiger. Eigentlich ist's auch ein Kolumbisches Ei.
Ohne zu sagen, daß ich einen solchen Kapitalschlüssel besitze,
sprech' ich nun die Teile zweckmäßig mit den Künstlern durch und sehe,
wie weit sie gekommen sind, was sie haben und wo es widerstößt. Die
Türe hab' ich offen und stehe auf der Schwelle und werde leider mich
von da aus nur im Tempel umsehen können und wieder scheiden.

So viel ist gewiß, die alten Künstler haben ebenso große Kenntnis der
Natur und einen ebenso sichern Begriff von dem, was sich vorstellen
läßt und wie es vorgestellt werden muß, gehabt als Homer. Leider ist
die Anzahl der Kunstwerke der ersten Klasse gar zu klein. Wenn man
aber auch diese sieht, so hat man nichts zu wünschen, als sie recht zu
erkennen und dann in Friede hinzufahren. Diese hohen Kunstwerke sind
zugleich als die höchsten Naturwerke von Menschen nach wahren und
natürlichen Gesetzen hervorgebracht worden. Alles Willkürliche,
Eingebildete fällt zusammen, da ist die Notwendigkeit, da ist Gott.

In einigen Tagen werde ich die Arbeiten eines geschickten Architekten
sehen, der selbst in Palmyra war und die Gegenstände mit großem
Verstand und Geschmack gezeichnet hat. Ich gebe gleich Nachricht
davon und erwarte mit Verlangen eure Gedanken über diese wichtigen
Ruinen.

Freut euch mit mir, daß ich glücklich bin, ja, ich kann wohl sagen,
ich war es nie in dem Maße: mit der größten Ruhe und Reinheit eine
eingeborne Leidenschaft befriedigen zu können und von einem
anhaltenden Vergnügen einen dauernden Nutzen sich versprechen zu
dürfen, ist wohl nichts Geringes. Könnte ich meinen Geliebten nur
etwas von meinem Genuß und meiner Empfindung mitteilen.

Ich hoffe, die trüben Wolken am politischen Himmel sollen sich
zerstreuen. Unsre modernen Kriege machen viele unglücklich, indessen
sie dauern, und niemand glücklich, wenn sie vorbei sind.


Den 17. September 1787

Es bleibt wohl dabei, meine Lieben, daß ich ein Mensch bin, der von
der Mühe lebt. Diese Tage her habe ich wieder mehr gearbeitet als
genossen. Nun geht die Woche zu Ende und ihr sollt ein Blatt haben.

Es ist ein Leid, daß die Aloe in Belvedere eben das Jahr meiner
Abwesenheit wählt, um zu blühen. In Sizilien war ich zu früh, hier
blüht dies Jahr nur eine, nicht groß, und sie steht so hoch, daß man
nicht dazu kann. Es ist allerdings ein indianisch Gewächs auch in
diesen Gegenden nicht recht zu Hause.

Des Engländers Beschreibungen machen mir wenig Freude. Die
Geistlichen müssen sich in England sehr in acht nehmen, dagegen haben
sie auch das übrige Publikum in der Flucht. Der freie Engländer muß
in sittlichen Schriften sehr eingeschränkt einhergehn.

Die Schwanzmenschen wundern mich nicht, nach der Beschreibung ist es
etwas sehr Natürliches. Es stehen weit wunderbarere Sachen täglich
vor unsern Augen, die wir nicht achten, weil sie nicht so nah mit uns
verwandt sind.

Daß B. wie mehr Menschen, die kein Gefühl echter Gottesverehrung
während ihres Lebens gehabt haben, in ihrem Alter fromm werden, wie
man's heißt, ist auch recht gut, wenn man nur sich nicht mit ihnen
erbauen soll.

Einige Tage war ich in Frascati mit Rat Reiffenstein, Angelika kam
Sonntags, uns abzuholen. Es ist ein Paradies.

"Erwin und Elmire" ist zur Hälfte schon umgeschrieben. Ich habe
gesucht dem Stückchen mehr Interesse und Leben zu verschaffen und habe
den äußerst platten Dialog ganz weggeschmissen. Es ist Schülerarbeit
oder vielmehr Sudelei. Die artigen Gesänge, worauf sich alles dreht,
bleiben alle, wie natürlich.

Die Künste werden auch fortgetrieben, daß es saust und braust.

Meine Büste ist sehr gut geraten; jedermann ist damit zufrieden.
Gewiß ist sie in einem schönen und edlen Stil gearbeitet, und ich habe
nichts dagegen, daß die Idee, als hätte ich so ausgesehen, in der Welt
bleibt. Sie wird nun gleich in Marmor angefangen und zuletzt auch in
den Marmor nach der Natur gearbeitet. Der Transport ist so lästig,
sonst schickte ich gleich einen Abguß; vielleicht einmal mit einem
Schiffstransport, denn einige Kisten werd' ich doch zuletzt
zusammenpacken.

Ist denn Kranz noch nicht angekommen, dem ich eine Schachtel für die
Kinder mitgab?

Sie haben jetzt wieder eine gar graziose Operette auf dem Theater in
Valle, nachdem zwei jämmerlich verunglückt waren. Die Leute spielen
mit viel Lust, und es harmoniert alles zusammen. Nun wird es bald
aufs Land gehen. Es hat einigemal geregnet, das Wetter ist abgekühlt,
und die Gegend macht sich wieder grün.

Von der großen Eruption des ätna werden euch die Zeitungen gesagt
haben oder sagen.


Den 15. September.

Nun hab' ich auch Trencks Leben gelesen. Es ist interessant genug,
und lassen sich Reflexionen genug darüber machen.

Mein nächster Brief wird meine Bekanntschaft mit einem merkwürdigen
Reisenden erzählen, die ich morgen machen soll.

Freuet euch übrigens meines hiesigen Aufenthalts! Rom ist mir nun
ganz familiär, und ich habe fast nichts mehr drin, was mich
überspannte. Die Gegenstände haben mich nach und nach zu sich
hinaufgehoben. Ich genieße immer reiner, immer mit mehr Kenntnis, das
gute Glück wird immer weiter helfen.

Hier liegt ein Blatt bei, das ich, abgeschrieben, den Freunden
mitzuteilen bitte. Auch darum ist der Aufenthalt in Rom so
interessant, weil es ein Mittelpunkt ist, nach dem sich so vieles
hinzieht. Die Sachen des Cassas sind außerordentlich schön. Ich habe
ihm manches in Gedanken gestohlen, das ich euch mitbringen will.

Ich bin immer fleißig. Nun hab' ich ein Köpfchen nach Gips gezeichnet,
um zu sehen, ob mein Prinzipium Stich hält. Ich finde, es paßt
vollkommen und erleichtert erstaunend das Machen. Man wollte nicht
glauben, daß ich's gemacht habe, und doch ist es noch nichts. Ich
sehe nun wohl, wie weit sich's mit Applikation bringen ließe.

Montag geht es wieder nach Frascati. Ich will sorgen, daß doch heute
über acht Tage ein Brief abgehen kann. Dann werd' ich wohl nach
Albano gehen. Es wird recht fleißig nach der Natur gezeichnet werden.
Ich mag nun von gar nichts mehr wissen, als etwas hervorzubringen und
meinen Sinn recht zu üben. Ich liege an dieser Krankheit von Jugend
auf krank, und gebe Gott, daß sie sich einmal auflöse.


Den 22. September.

Gestern war eine Prozession, wo sie das Blut des heiligen Franziskus
herumtrugen; ich spekulierte auf Köpfe und Gesichter, indes die Reihen
von Ordensgeistlichen vorbeizogen.



 


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