Italienische Reise-Teil 2
by
Johann Wolfgang Goethe

Part 4 out of 5





Nebenstraßen

Das entsetzliche Gedränge, das wir unsern Lesern soviel als möglich zu
vergegenwärtigen gesucht haben, zwingt natürlicherweise eine Menge
Masken aus dem Korso hinaus in die benachbarten Straßen. Da gehen
verliebte Paare ruhiger und vertrauter zusammen, da finden lustige
Gesellen Platz, allerlei tolle Schauspiele vorzustellen.

Eine Gesellschaft Männer in der Sonntagstracht des gemeinen Volkes, in
kurzen Wämsern mit goldbesetzten Westen darunter, die Haare in ein
lang herunterhängendes Netz gebunden, gehen mit jungen Leuten, die
sich als Weiber verkleidet haben, hin und wider spazieren. Eine von
den Frauen scheint hochschwanger zu sein, sie gehen friedlich auf und
nieder. Auf einmal entzweien sich die Männer, es entstehet ein
lebhafter Wortwechsel, die Frauen mischen sich hinein, der Handel wird
immer ärger, endlich ziehen die Streitenden große Messer von
versilberter Pappe und fallen einander an. Die Weiber halten sie mit
gräßlichem Geschrei auseinander, man zieht den einen da-, den andern
dorthin, die Umstehenden nehmen teil, als wenn es Ernst wäre, man
sucht jede Partei zu besänftigen.

Indessen befindet sich die hochschwangere Frau durch den Schrecken
übel; es wird ein Stuhl herbeigebracht, die übrigen Weiber stehen ihr
bei, sie gebärdet sich jämmerlich, und ehe man sich's versieht, bringt
sie zu großer Erlustigung der Umstehenden irgendeine unförmliche
Gestalt zur Welt. Das Stück ist aus, und die Truppe zieht weiter, um
dasselbe oder ein ähnliches Stück an einem andern Platze vorzustellen.

So spielt der Römer, dem die Mordgeschichten immer vor der Seele
schweben, gern bei jedem Anlaß mit den Ideen von Ammazzieren. Sogar
die Kinder haben ein Spiel, das sie "Chiesa" nennen, welches mit
unserm "Frischauf in allen Ecken" übereinkommt, eigentlich aber einen
Mörder vorstellt, der sich auf die Stufe einer Kirche geflüchtet hat;
die übrigen stellen die Sbirren vor und suchen ihn auf allerlei Weise
zu fangen, ohne jedoch den Schutzort betreten zu dürfen.

So geht es denn in den Seitenstraßen, besonders der Strada Babuino und
auf dem Spanischen Platze, ganz lustig zu.

Auch kommen die Quacqueri zu Scharen, um ihre Galanterien freier
anzubringen.

Sie haben ein Manöver, welches jeden zu lachen macht. Sie kommen zu
zwölf Mann hoch ganz strack auf den Zehen mit kleinen und schnellen
Schritten anmarschiert, formieren eine sehr gerade Fronte; auf einmal,
wenn sie auf einen Platz kommen, bilden sie mit Rechts--oder Linksum
eine Kolonne und trippeln nun hintereinander weg. Auf einmal wird mit
Rechtsum die Fronte wiederhergestellt, und so geht's eine Straße
hinein; dann, ehe man sich's versieht, wieder linksum: die Kolonne ist
wie an einem Spieß zu einer Haustüre hineingeschoben, und die Toren
sind verschwunden. Abend

Nun geht es nach dem Abend zu, und alles drängt sich immer mehr in den
Korso hinein. Die Bewegung der Kutschen stockt schon lange, ja, es
kann geschehen, daß zwei Stunden vor Nacht schon kein Wagen mehr von
der Stelle kann.

Die Garde des Papstes und die Wachen zu Fuß sind nun beschäftigt, alle
Wagen, soweit es möglich, von der Mitte ab und in eine ganz gerade
Reihe zu bringen, und es gibt bei der Menge hier mancherlei Unordnung
und Verdruß. Da wird gehuft, geschoben, gehoben, und indem einer huft,
müssen alle hinter ihm auch zurückweichen, bis einer zuletzt so in
die Klemme kommt, daß er mit seinen Pferden in die Mitte hineinlenken
muß. Alsdann geht das Schelten der Garde, das Fluchen und Drohen der
Wache an.

Vergebens, daß der unglückliche Kutscher die augenscheinliche
Unmöglichkeit dartut; es wird auf ihn hineingescholten und gedroht,
und entweder es muß sich wieder fügen, oder wenn ein Nebengäßchen in
der Nähe ist, muß er ohne Verschulden aus der Reihe hinaus.
Gewöhnlich sind die Nebengäßchen auch mit haltenden Kutschen besetzt,
die zu spät kamen und, weil der Umgang der Wagen schon ins Stocken
geraten war, nicht mehr einrücken konnten. Vorbereitung zum
Wettrennen

Der Augenblick des Wettrennens der Pferde nähert sich nun immer mehr,
und auf diesen Augenblick ist das Interesse so vieler tausend Menschen
gespannt.

Die Verleiher der Stühle, die Unternehmer der Gerüste vermehren nun
ihr anbietendes Geschrei: "Luoghi! Luoghi avanti! Luoghi nobili!
Luoghi, Padroni!" Es ist darum zu tun, daß ihnen wenigstens in diesen
letzten Augenblicken, auch gegen ein geringeres Geld, alle Plätze
besetzt werden.

Und glücklich, daß hier und da noch Platz zu finden ist; denn der
General reitet nunmehr mit einem Teil der Garde den Korso zwischen den
beiden Reihen Kutschen herunter und verdrängt die Fußgänger von dem
einzigen Raum, der ihnen noch übrigblieb. Jeder sucht alsdann noch
einen Stuhl, einen Platz auf einem Gerüste, auf einer Kutsche,
zwischen den Wagen oder bei Bekannten an einem Fenster zu finden, die
denn nun alle von Zuschauern über und über strotzen.

Indessen ist der Platz vor dem Obelisk ganz vom Volke gereiniget
worden und gewährt vielleicht einen der schönsten Anblicke, welche in
der gegenwärtigen Welt gesehen werden können.

Die drei mit Teppichen behängten Fassaden der oben beschriebenen
Gerüste schließen den Platz ein. Viele tausend Köpfe schauen
übereinander hervor und geben das Bild eines alten Amphitheaters oder
Zirkus. Über dem mittelsten Gerüste steigt die ganze Länge des
Obelisken in die Luft; denn das Gerüste bedeckt nur sein Piedestal,
und man bemerkt nun erst seine ungeheure Höhe, da er der Maßstab einer
so großen Menschenmasse wird.

Der freie Platz läßt dem Auge eine schöne Ruhe, und man sieht die
leeren Schranken mit dem vorgespannten Seile voller Erwartung.

Nun kommt der General den Korso herab, zum Zeichen, daß er gereiniget
ist, und hinter ihm erlaubt die Wache niemanden, aus der Reihe der
Kutschen hervorzutreten. Er nimmt auf einer der Logen Platz.
Abrennen

Nun werden die Pferde nach geloseter Ordnung von geputzten
Stallknechten in die Schranken hinter das Seil geführt. Sie haben
kein Zeug noch sonst eine Bedeckung auf dem Leibe. Man heftet ihnen
hier und da Stachelkugeln mit Schnüren an den Leib und bedeckt die
Stelle, wo sie spornen sollen, bis zum Augenblicke mit Leder, auch
klebt man ihnen große Blätter Rauschgold an.

Sie sind meist schon wild und ungeduldig, wenn sie in die Schranken
gebracht werden, und die Reitknechte brauchen alle Gewalt und
Geschicklichkeit, um sie zurückzuhalten.

Die Begierde, den Lauf anzufangen, macht sie unbändig, die Gegenwart
so vieler Menschen macht sie scheu. Sie hauen oft in die benachbarte
Schranke hinüber, oft über das Seil, und diese Bewegung und Unordnung
vermehrt jeden Augenblick das Interesse der Erwartung.

Die Stallknechte sind im höchsten Grade gespannt und aufmerksam, weil
in dem Augenblicke des Abrennens die Geschicklichkeit des Loslassenden
sowie zufällige Umstände zum Vorteile des einen oder des andern
Pferdes entscheiden können.

Endlich fällt das Seil, und die Pferde rennen los.

Auf dem freien Platze suchen sie noch einander den Vorsprung
abzugewinnen, aber wenn sie einmal in den engen Raum zwischen die
beiden Reihen Kutschen hineinkommen, wird meist aller Wetteifer
vergebens.

Ein paar sind gewöhnlich voraus, die alle Kräfte anstrengen.
Ungeachtet der gestreuten Puzzolane gibt das Pflaster Feuer, die
Mähnen fliegen, das Rauschgold rauscht, und kaum daß man sie erblickt,
sind sie vorbei. Die übrige Herde hindert sich untereinander, indem
sie sich drängt und treibt; spät kommt manchmal noch eins
nachgesprengt, und die zerrissenen Stücke Rauschgold flattern einzeln
auf der verlassenen Spur. Bald sind die Pferde allem Nachschauen
verschwunden, das Volk drängt zu und füllt die Laufbahn wieder aus.

Schon warten andere Stallknechte am venezianischen Palaste auf die
Ankunft der Pferde. Man weiß sie in einem eingeschlossenen Bezirk auf
gute Art zu fangen und festzuhalten. Dem Sieger wird der Preis
zuerkannt.

So endigt sich diese Feierlichkeit mit einem gewaltsamen,
blitzschnellen, augenblicklichen Eindruck, auf den so viele tausend
Menschen eine ganze Weile gespannt waren, und wenige können sich
Rechenschaft geben, warum sie den Moment erwarteten, und warum sie
sich daran ergötzten.

Nach der Folge unserer Beschreibung sieht man leicht ein, daß dieses
Spiel den Tieren und Menschen gefährlich werden könne. Wir wollen nur
einige Fälle anführen: Bei dem engen Raume zwischen den Wagen darf nur
ein Hinterrad ein wenig herauswärts stehen und zufälligerweise hinter
diesem Wagen ein etwas breiterer Raum sein. Ein Pferd, das mit den
andern gedrängt herbeieilt, sucht den erweiterten Raum zu nutzen,
springt vor und trifft gerade auf das herausstehende Rad.

Wir haben selbst einen Fall gesehen, wo ein Pferd von einem solchen
Choc niederstürzte, drei der folgenden über das erste hinausfielen,
sich überschlugen und die letzten glücklich über die gefallenen
wegsprangen und ihre Reise fortsetzten.

Oft bleibt ein solches Pferd auf der Stelle tot, und mehrmals haben
Zuschauer unter solchen Umständen ihr Leben eingebüßt. Ebenso kann
ein großes Unheil entstehen, wenn die Pferde umkehren.

Es ist vorgekommen, daß boshafte, neidische Menschen einem Pferde, das
einen großen Vorsprung hatte, mit dem Mantel in die Augen schlugen und
es dadurch umzukehren und an die Seite zu rennen zwangen. Noch
schlimmer ist es, wenn die Pferde auf dem venezianischen Platze nicht
glücklich aufgefangen werden; sie kehren alsdann unaufhaltsam zurück,
und weil die Laufbahn vom Volke schon wieder ausgefüllt ist, richten
sie manches Unheil an, das man entweder nicht erfährt oder nicht
achtet. Aufgehobne Ordnung

Gewöhnlich laufen die Pferde mit einbrechender Nacht erst ab. Sobald
sie oben bei dem venezianischen Palast angelangt sind, werden kleine
Mörser gelöst; dieses Zeichen wird in der Mitte des Korso wiederholt
und in der Gegend des Obelisken das letzte Mal gegeben.

In diesem Augenblicke verläßt die Wache ihren Posten, die Ordnung der
Kutschenreihen wird nicht länger gehalten, und gewiß ist diese selbst
für den Zuschauer, der ruhig an seinem Fenster steht, ein ängstlicher
und verdrießlicher Zeitpunkt, und es ist wert, daß man einige
Bemerkungen darüber mache.

Wir haben schon oben gesehen, daß die Epoche der einbrechenden Nacht,
welche so vieles in Italien entscheidet, auch die gewöhnlichen
sonn--und festtägigen Spazierfahrten auflöset. Dort sind keine Wachen
und keine Garden, es ist ein altes Herkommen, eine allgemeine
Konvention, daß man in gebührender Ordnung auf--und abfahre; aber
sobald Ave Maria geläutet wird, läßt sich niemand sein Recht nehmen,
umzukehren, wann und wie er will. Da nun die Umfahrt im Karneval in
derselben Straße und nach ähnlichen Gesetzen geschieht, obgleich hier
die Menge und andere Umstände einen großen Unterschied machen, so will
sich doch niemand sein Recht nehmen lassen, mit einbrechender Nacht
aus der Ordnung zu lenken.

Wenn wir nun auf das ungeheure Gedränge in dem Korso zurückblicken und
die für einen Augenblick nur gereinigte Rennbahn gleich wieder mit
Volk überschwemmt sehen, so scheinet uns Vernunft und Billigkeit das
Gesetz einzugeben, daß eine jede Equipage nur suchen solle, in ihrer
Ordnung das nächste ihr bequeme Gäßchen zu erreichen und so nach Hause
zu eilen.

Allein es lenken gleich nach abgeschossenen Signalen einige Wagen in
die Mitte hinein, hemmen und verwirren das Fußvolk, und weil in dem
engen Mittelraume es einem einfällt, hinunter-, dem andern,
hinaufzufahren, so können beide nicht von der Stelle und hindern oft
die Vernünftigern, die in der Reihe geblieben sind, auch vom Platze zu
kommen.

Wenn nun gar ein zurückkehrendes Pferd auf einen solchen Knoten trifft,
so vermehrt sich Gefahr, Unheil und Verdruß von allen Seiten.




Nacht

Und doch entwickelt sich diese Verwirrung, zwar später, aber meistens
glücklich. Die Nacht ist eingetreten, und ein jedes wünscht sich zu
einiger Ruhe Glück. Theater

Alle Gesichtsmasken sind von dem Augenblick an abgelegt, und ein
großer Teil des Publikums eilt nach dem Theater. Nur in den Logen
sieht man allenfalls noch Tabarros und Damen in Maskenkleidern; das
ganze Parterre zeigt sich wieder in bürgerlicher Tracht.

Die Theater Aliberti und Argentina geben ernsthafte Opern mit
eingeschobenen Balletten; Valle und Capranica Komödien und Tragödien
mit komischen Opern als Intermezzo; Pace ahmt ihnen, wiewohl
unvollkommen, nach, und so gibt es bis zum Puppenspiel und zur
Seiltänzerbude herunter noch manche subordinierte Schauspiele.

Das große Theater Tordenone, das einmal abbrannte, und, da man es
wieder aufgebauet hatte, gleich zusammenstürzte, unterhält nun leider
das Volk nicht mehr mit seinen Haupt--und Staatsaktionen und andern
wunderbaren Vorstellungen.

Die Leidenschaft der Römer für das Theater ist groß und war ehemals in
der Karnevalszeit noch heftiger, weil sie in dieser einzigen Epoche
befriedigt werden konnte. Gegenwärtig ist wenigstens ein
Schauspielhaus auch im Sommer und Herbst offen, und das Publikum kann
seine Lust den größten Teil des Jahres durch einigermaßen befriedigen.

Es würde uns hier zu sehr von unserm Zwecke abführen, wenn wir uns in
eine umständliche Beschreibung der Theater, und was die römischen
allenfalls Besonderes haben möchten, hier einlassen wollten. Unsre
Leser erinnern sich, daß an andern Orten von diesem Gegenstande
gehandelt worden. Festine

Gleichfalls werden wir von den sogenannten Festinen wenig zu erzählen
haben; es sind dieses große maskierte Bälle, welche in dem schön
erleuchteten Theater Aliberti einigemal gegeben werden.

Auch hier werden Tabarros sowohl von den Herren als Damen für die
anständigste Maske gehalten, und der ganze Saal ist mit schwarzen
Figuren angefüllt; wenige bunte Charaktermasken mischen sich drunter.

Desto größer ist die Neugierde, wenn sich einige edle Gestalten zeigen,
die, wiewohl seltener, aus den verschiedenen Kunstepochen ihre Masken
erwählen und verschiedene Statuen, welche sich in Rom befinden,
meisterlich nachahmen.

So zeigen sich hier ägyptische Gottheiten, Priesterinnen, Bacchus und
Ariadne, die tragische Muse, die Muse der Geschichte, eine Stadt,
Vestalinnen, ein Konsul, mehr oder weniger gut und nach dem Kostüme
ausgeführt. Tanz

Die Tänze bei diesen Festen werden gewöhnlich in langen Reihen nach
Art der englischen getanzt; nur unterscheiden sie sich dadurch, daß
sie in ihren wenigen Touren meistenteils etwas Charakteristisches
pantomimisch ausdrücken; zum Beispiel, es entzweien und versöhnen sich
zwei Liebende, sie scheiden und finden sich wieder.

Die Römer sind durch die pantomimischen Ballette an stark gezeichnete
Gestikulation gewöhnt; sie lieben auch in ihren gesellschaftlichen
Tänzen einen Ausdruck, der uns übertrieben und affektiert scheinen
würde. Niemand wagt leicht zu tanzen, als wer es kunstmäßig gelernt
hat; besonders wird der Menuett ganz eigentlich als ein Kunstwerk
betrachtet und nur von wenigen Paaren gleichsam aufgeführt. Ein
solches Paar wird dann von der übrigen Gesellschaft in einen Kreis
eingeschlossen, bewundert und am Ende applaudiert. Morgen

Wenn die galante Welt sich auf diese Weise bis an den Morgen
erlustiget, so ist man bei anbrechendem Tage schon wieder in dem Korso
beschäftigst, denselben zu reinigen und in Ordnung zu bringen.
Besonders sorgt man, daß die Puzzolane in der Mitte der Straße gleich
und reinlich ausgebreitet werde.

Nicht lange, so bringen die Stallknechte das Rennpferd, das sich
gestern am schlechtesten gehalten, vor den Obelisk. Man setzt einen
kleinen Knaben darauf, und ein anderer Reiter mit einer Peitsche
treibt es vor sich her, so daß es alle seine Kräfte anstrengt, um
seine Bahn so geschwind als möglich zurückzulegen.

Ungefähr zwei Uhr Nachmittag nach dem gegebenen Glockenzeichen beginnt
jeden Tag der schon beschriebene Zirkel des Festes. Die Spaziergänger
finden sich ein, die Wache zieht auf, Balkone, Fenster, Gerüste werden
mit Teppichen behängt, die Masken vermehren sich und treiben ihre
Torheiten, die Kutschen fahren auf und nieder, und die Straße ist mehr
oder weniger gedrängt, je nachdem die Witterung oder andere Umstände
günstig oder ungünstig ihren Einfluß zeigen. Gegen das Ende des
Karnevals vermehren sich, wie natürlich, die Zuschauer, die Masken,
die Wagen, der Putz und der Lärm. Nichts aber reicht an das Gedränge,
an die Ausschweifungen des letzten Tages und Abends. Letzter Tag

Meist halten die Kutschenreihen schon zwei Stunden vor Nacht stille,
kein Wagen kann mehr von der Stelle, keiner aus den Seitengassen mehr
hereinrücken. Die Gerüste und Stühle sind früher besetzt, obgleich
die Plätze teuer gehalten werden; jeder sucht aufs baldigste
unterzukommen, und man erwartet das Ablaufen der Pferde mit mehrerer
Sehnsucht als jemals.

Endlich rauscht auch dieser Augenblick vorbei, die Zeichen werden
gegeben, daß das Fest geendigt sei; allein weder Wagen, noch Masken,
noch Zuschauer weichen aus der Stelle.

Alles ist ruhig, alles still, indem die Dämmerung sachte zunimmt.
Moccoli

Kaum wird es in der engen und hohen Straße düster, so siehet man hie
und da Lichter erscheinen, an den Fenstern, auf den Gerüsten sich
bewegen und in kurzer Zeit die Zirkulation des Feuers dergestalt sich
verbreiten, daß die ganze Straße von brennenden Wachskerzen erleuchtet
ist.

Die Balkone sind mit durchscheinenden Papierlaternen verziert, jeder
hält seine Kerze zum Fenster heraus, alle Gerüste sind erhellt, und es
sieht sich gar artig in die Kutschen hinein, an deren Decken oft
kleine kristallne Armleuchter die Gesellschaft erhellen; indessen in
einem andern Wagen die Damen mit bunten Kerzen in den Händen zur
Betrachtung ihrer Schönheit gleichsam einzuladen scheinen.

Die Bedienten bekleben den Rand des Kutschendeckels mit Kerzchen,
offne Wagen mit bunten Papierlaternen zeigen sich, unter den
Fußgängern erscheinen manche mit hohen Lichterpyramiden auf den Köpfen,
andere haben ihr Licht auf zusammengebundene Rohre gesteckt und
erreichen mit einer solchen Rute oft die Höhe von zwei, drei
Stockwerken.

Nun wird es für einen jeden Pflicht, ein angezündetes Kerzchen in der
Hand zu tragen, und die Favoritverwünschung der Römer "Sia ammazzato"
hört man von allen Ecken und Enden wiederholen.

"Sia ammazzato chi non porta moccolo!" "Ermordet werde, der kein
Lichtstümpfchen trägt!" ruft einer dem andern zu, indem er ihm das
Licht auszublasen sucht. Anzünden und ausblasen und ein unbändiges
Geschrei: "Sia ammazzato", bringt nun bald Leben und Bewegung und
wechselseitiges Interesse unter die ungeheure Menge.

Ohne Unterschied, ob man Bekannte oder Unbekannte vor sich habe, sucht
man nur immer das nächste Licht auszublasen oder das seinige wieder
anzuzünden und bei dieser Gelegenheit das Licht des Anzündenden
auszulöschen. Und je stärker das Gebrüll "Sia ammazzato" von allen
Enden widerhallt, desto mehr verliert das Wort von seinem
fürchterlichen Sinn, desto mehr vergißt man, daß man in Rom sei, wo
diese Verwünschung um einer Kleinigkeit willen in kurzem an einem und
dem andern erfüllt werden kann.

Die Bedeutung des Ausdrucks verliert sich nach und nach gänzlich. Und
wie wir in andern Sprachen oft Flüche und unanständige Worte zum
Zeichen der Bewunderung und Freude gebrauchen hören, so wird "Sia
ammazzato" diesen Abend zum Losungswort, zum Freudengeschrei, zum
Refrain aller Scherze, Neckereien und Komplimente.

So hören wir spotten: "Sia ammazzato il Signore Abbate che fa l'amore."
Oder einen vorbeigehenden guten Freund anrufen: "Sia ammazzato il
Signore Filippo." Oder Schmeichelei und Kompliment damit verbinden:
"Sia ammazzata la bella Principessa! Sia ammazzata la Signora
Angelica, la prima pittrice del secolo."

Alle diese Phrasen werden heftig und schnell mit einem langen
haltenden Ton auf der vorletzten oder drittletzten Silbe ausgerufen.
Unter diesem unaufhörlichen Geschrei geht das Ausblasen und Anzünden
der Kerzen immer fort. Man begegne jemanden im Haus, auf der Treppe,
es sei eine Gesellschaft im Zimmer beisammen, aus einem Fenster ans
benachbarte, überall sucht man über den andern zu gewinnen und ihm das
Licht auszulöschen.

Alle Stände und Alter toben gegeneinander, man steigt auf die Tritte
der Kutschen, kein Hängeleuchter, kaum die Laternen sind sicher, der
Knabe löscht dem Vater das Licht aus und hört nicht auf zu schreien:
"Sia ammazzato il Signore Padre!" Vergebens, daß ihm der Alte diese
Unanständigkeit verweist; der Knabe behauptet die Freiheit dieses
Abends und verwünscht nur seinen Vater desto ärger. Wie nun an beiden
Enden des Korso sich bald das Getümmel verliert, desto unbändiger
häuft sich's nach der Mitte zu, und dort entsteht ein Gedränge, das
alle Begriffe übersteigt, ja, das selbst die lebhafteste
Erinnerungskraft sich nicht wieder vergegenwärtigen kann.

Niemand vermag sich mehr von dem Platze, wo er steht oder sitzt, zu
rühren; die Wärme so vieler Menschen, so vieler Lichter, der Dampf so
vieler immer wieder ausgeblasenen Kerzen, das Geschrei so vieler
Menschen, die nur um desto heftiger brüllen, je weniger sie ein Glied
rühren können, machen zuletzt selbst den gesundesten Sinn schwindeln;
es scheint unmöglich, daß nicht manches Unglück geschehen, daß die
Kutschpferde nicht wild, nicht manche gequetscht, gedrückt oder sonst
beschädigt werden sollten.

Und doch weil sich endlich jeder weniger oder mehr hinweg sehnt, jeder
ein Gäßchen, an das er gelangen kann, einschlägt oder auf dem nächsten
Platze freie Luft und Erholung sucht, löst sich diese Masse auch auf,
schmilzt von den Enden nach der Mitte zu, und dieses Fest allgemeiner
Freiheit und Losgebundenheit, dieses moderne Saturnal endigt sich mit
einer allgemeinen Betäubung.

Das Volk eilt nun, sich bei einem wohlbereiteten Schmause an dem bald
verbotenen Fleische bis Mitternacht zu ergötzen, die feinere Welt nach
den Schauspielhäusern, um dort von den sehr abgekürzten Theaterstücken
Abschied zu nehmen, und auch diesen Freuden macht die herannahende
Mitternachtsstunde ein Ende. Aschermittwoch

So ist denn ein ausschweifendes Fest wie ein Traum, wie ein Märchen
vorüber, und es bleibt dem Teilnehmer vielleicht weniger davon in der
Seele zurück als unsern Lesern, vor deren Einbildungskraft und
Verstand wir das Ganze in seinem Zusammenhange gebracht haben.

Wenn uns während des Laufs dieser Torheiten der rohe Pulcinell
ungebührlich an die Freuden der Liebe erinnert, denen wir unser Dasein
zu danken haben, wenn eine Baubo auf öffentlichem Platze die
Geheimnisse der Gebärerin entweiht, wenn so viele nächtlich
angezündete Kerzen uns an die letzte Feierlichkeit erinnern, so werden
wir mitten unter dem Unsinne auf die wichtigsten Szenen unsers Lebens
aufmerksam gemacht.

Noch mehr erinnert uns die schmale, lange, gedrängt volle Straße an
die Wege des Weltlebens, wo jeder Zuschauer und Teilnehmer mit freiem
Gesicht oder unter der Maske vom Balkon oder vom Gerüste nur einen
geringen Raum vor und neben sich übersieht, in der Kutsche oder zu
Fuße nur Schritt vor Schritt vorwärts kommt, mehr geschoben wird als
geht, mehr aufgehalten wird als willig stille steht, nur eifriger
dahin zu gelangen sucht, wo es besser und froher zugeht, und dann auch
da wieder in die Enge kommt und zuletzt verdrängt wird.

Dürfen wir fortfahren, ernsthafter zu sprechen, als es der Gegenstand
zu erlauben scheint, so bemerken wir, daß die lebhaftesten und
höchsten Vergnügen, wie die vorbeifliegenden Pferde, nur einen
Augenblick uns erscheinen, uns rühren und kaum eine Spur in der Seele
zurücklassen, daß Freiheit und Gleichheit nur in dem Taumel des
Wahnsinns genossen werden können, und daß die größte Lust nur dann am
höchsten reizt, wenn sie sich ganz nahe an die Gefahr drängt und
lüstern ängstlich-süße Empfindungen in ihrer Nähe genießet.

Und so hätten wir, ohne selbst daran zu denken, auch unser Karneval
mit einer Aschermittwochsbetrachtung geschlossen, wodurch wir keinen
unsrer Leser traurig zu machen fürchten. Vielmehr wünschen wir, daß
jeder mit uns, da das Leben im ganzen wie das Römische Karneval
unübersehlich, ungenießbar, ja bedenklich bleibt, durch diese
unbekümmerte Maskengesellschaft an die Wichtigkeit jedes
augenblicklichen, oft gering scheinenden Lebensgenusses erinnert
werden möge.




Februar

Korrespondenz

Rom, den 1. Februar.

Wie froh will ich sein, wenn die Narren künftigen Dienstag abend zur
Ruhe gebracht werden. Es ist eine entsetzliche Sekkatur, andere toll
zu sehen, wenn man nicht selbst angesteckt ist.

Soviel als möglich war, habe ich meine Studien fortgesetzt, auch ist
"Claudine" gerückt, und wenn nicht alle Genii ihre Hülfe versagen, so
geht heute über acht Tage der dritte Akt an Herdern ab, und so wäre
ich den fünften Band los. Dann geht eine neue Not an, worin mir
niemand raten noch helfen kann. "Tasso" muß umgearbeitet werden, was
da steht, ist zu nichts zu brauchen, ich kann weder so endigen noch
alles wegwerfen. Solche Mühe hat Gott den Menschen gegeben!

Der sechste Band enthält wahrscheinlich "Tasso", "Lila", "Jery und
Bätely", alles um--und ausgearbeitet, daß man es nicht mehr kennen
soll.

Zugleich habe ich meine kleinen Gedichte durchgesehen und an den
achten Band gedacht, den ich vielleicht vor dem siebenten herausgebe.
Es ist ein wunderlich Ding, so ein Summa Summarum seines Lebens zu
ziehen. Wie wenig Spur bleibt doch von einer Existenz zurück!

Hier sekkieren sie mich mit den übersetzungen meines "Werthers" und
zeigen mir sie und fragen, welches die beste sei und ob auch alles
wahr sei! Das ist nun ein Unheil, was mich bis nach Indien verfolgen
würde.


Rom, den 6. Februar.

Hier ist der dritte Akt" Claudinens"; ich wünsche, daß er dir nur die
Hälfte so wohl gefallen möge, als ich vergnügt bin, ihn geendigt zu
haben. Da ich nun die Bedürfnisse des lyrischen Theaters genauer
kenne, habe ich gesucht, durch manche Aufopferungen dem Komponisten
und Akteur entgegenzuarbeiten. Das Zeug, worauf gestickt werden soll,
muß weite Fäden haben, und zu einer komischen Oper muß es absolut wie
Marli gewoben sein. Doch hab' ich bei dieser wie bei "Erwin" auch
fürs Lesen gesorgt. Genug, ich habe getan, was ich konnte.

Ich bin recht still und rein und, wie ich euch schon versichert habe,
jedem Ruf bereit und ergeben. Zur bildenden Kunst bin ich zu alt, ob
ich also ein bißchen mehr oder weniger pfusche, ist eins. Mein Durst
ist gestillt, auf dem rechten Wege bin ich der Betrachtung und des
Studiums, mein Genuß ist friedlich und genügsam. Zu dem allen gebt
mir euern Segen. Ich habe nichts Näheres nun, als meine drei letzten
Teile zu endigen. Dann soll's an "Wilhelm" u. s. w.


Rom, den 9. Februar.

Die Narren haben noch Montag und Dienstag was Rechts gelärmt.
Besonders Dienstag abends, wo die Raserei mit den Moccoli in völligem
Flor war. Mittwochs dankte man Gott und der Kirche für die Fasten.
Auf kein Festin (so nennen sie die Redouten) bin ich gekommen, ich bin
fleißig, was nur mein Kopf halten will. Da der fünfte Band absolviert
ist, will ich nur einige Kunststudien durcharbeiten, dann gleich an
den sechsten gehn. Ich habe diese Tage das Buch Leonards da Vinci
über die Malerei gelesen und begreife jetzt, warum ich nie etwas darin
habe begreifen können.

O wie finde ich die Zuschauer so glücklich! die dünken sich so klug,
sie finden sich was Rechts. So auch die Liebhaber, die Kenner. Du
glaubst nicht, was das ein behägliches Volk, indes der gute Künstler
immer kleinlaut bleibt. Ich habe aber auch neuerdings einen Ekel,
jemanden urteilen zu hören, der nicht selbst arbeitet, daß ich es
nicht ausdrücken kann. Wie der Tabaksdampf macht mich eine solche
Rede auf der Stelle unbehaglich.

Angelika hat sich das Vergnügen gemacht und zwei Gemälde gekauft.
Eins von Tizian, das andere von Paris Bourdon. Beide um einen hohen
Preis. Da sie so reich ist, daß sie ihre Renten nicht verzehrt und
jährlich mehr dazu verdient, so ist es lobenswürdig, daß sie etwas
anschafft, das ihr Freude macht, und solche Sachen, die ihren
Kunsteifer erhöhen. Gleich sobald sie die Bilder im Hause hatte, fing
sie an, in einer neuen Manier zu malen, um zu versuchen, wie man
gewisse Vorteile jener Meister sich eigen machen könne. Sie ist
unermüdet, nicht allein zu arbeiten, sondern auch zu studieren. Mit
ihr ist's eine große Freude, Kunstsachen zu sehen.

Kayser geht auch als ein wackrer Künstler zu Werke. Seine Musik zu
"Egmont" avanciert stark. Noch habe ich nicht alles gehört. Mir
scheint jedes dem Endzweck sehr angemessen.

Er wird auch: "Cupido kleiner loser" etc. komponieren. Ich schicke
dir's gleich, damit es oft zu meinem Andenken gesungen werde. Es ist
auch mein Leibliedchen.

Der Kopf ist mir wüste vom vielen Schreiben, Treiben und Denken. Ich
werde nicht klüger, fordere zuviel von mir und lege mir zuviel auf.


Rom, den 16. Februar.

Mit dem preußischen Kurier erhielt ich vor einiger Zeit einen Brief
von unserm Herzog, der so freundlich, lieb, gut und erfreulich war,
als ich nicht leicht einen erhalten. Da er ohne Rückhalt schreiben
konnte, so beschrieb er mir die ganze politische Lage, die seinige und
so weiter. Über mich selbst erklärte er sich auf das liebreichste.


Rom, den 22. Februar.

Wir haben diese Woche einen Fall gehabt, der das ganze Chor der
Künstler in Betrübnis setzt. Ein Franzose namens Drouais, ein junger
Mensch von etwa 25 Jahren, einziger Sohn einer zärtlichen Mutter,
reich und schön gebildet, der unter allen studierenden Künstlern für
den hoffnungsvollsten gehalten ward, ist an den Blattern gestorben.
Es ist eine allgemeine Trauer und Bestürzung. Ich habe in seinem
verlassenen Studio die lebensgroße Figur eines Philoktets gesehen,
welcher mit einem Flügel eines erlegten Raubvogels den Schmerz seiner
Wunde wehend kühlt. Ein schön gedachtes Bild, das in der Ausführung
viel Verdienste hat, aber nicht fertig geworden.

Ich bin fleißig und vergnügt und erwarte so die Zukunft. Täglich wird
mir's deutlicher, daß ich eigentlich zur Dichtkunst geboren bin, und
daß ich die nächsten zehen Jahre, die ich höchstens noch arbeiten darf,
dieses Talent exkolieren und noch etwas Gutes machen sollte, da mir
das Feuer der Jugend manches ohne großes Studium gelingen ließ. Von
meinem längern Aufenthalt in Rom werde ich den Vorteil haben, daß ich
auf das Ausüben der bildenden Kunst Verzicht tue.

Angelika macht mir das Kompliment, daß sie wenige in Rom kenne, die
besser in der Kunst sähen als ich. Ich weiß recht gut, wo und was ich
noch nicht sehe, und fühle wohl, daß ich immer zunehme, und was zu tun
wäre, um immer weiter zu sehn. Genug, ich habe schon jetzt meinen
Wunsch erreicht: in einer Sache, zu der ich mich leidenschaftlich
getragen fühle, nicht mehr blind zu tappen.

Ein Gedicht, "Amor als Landschaftsmaler", schick' ich dir ehstens und
wünsche ihm gut Glück. Meine kleinen Gedichte hab' ich gesucht in
eine gewisse Ordnung zu bringen, sie nehmen sich wunderlich aus. Die
Gedichte auf Hans Sachs und auf Miedings Tod schließen den achten Band
und so meine Schriften für diesmal. Wenn sie mich indessen bei der
Pyramide zur Ruhe bringen, so können diese beiden Gedichte statt
Personalien und Parentation gelten.

Morgen frühe ist päpstliche Kapelle, und die famosen alten Musiken
fangen an, die nachher in der Karwoche auf den höchsten Grad des
Interesse steigen. Ich will nun jeden Sonntag frühe hin, um mit dem
Stil bekannt zu werden. Kayser, der diese Sachen eigentlich studiert,
wird mir den Sinn wohl darüber aufschließen. Wir erwarten mit jeder
Post ein gedrucktes Exemplar der Gründonnerstagsmusik von Zürich, wo
sie Kayser zurückließ. Sie wird alsdann erst am Klavier gespielt und
dann in der Kapelle gehört.






Bericht

Februar

Wenn man einmal zum Künstler geboren ist und gar mancher Gegenstand
der Kunstanschauung zusagt, so kam diese mir auch mitten unter dem
Gewühl der Fastnachtstorheiten und Absurditäten zu Gunsten. Es war
das zweite Mal, daß ich das Karneval sah, und es mußte mir bald
auffallen, daß dieses Volksfest wie ein anderes wiederkehrendes Leben
und Weben seinen entschiedenen Verlauf hatte.

Dadurch ward ich nun mit dem Getümmel versöhnt, ich sah es an als ein
anderes bedeutendes Naturerzeugnis und Nationalereignis; ich
interessierte mich dafür in diesem Sinne, bemerkte genau den Gang der
Torheiten und wie das alles doch in einer gewissen Form und
Schicklichkeit ablief. Hierauf notierte ich mir die einzelnen
Vorkommnisse der Reihe nach, welche Vorarbeit ich später zu dem soeben
eingeschalteten Aufsatz benutzte, bat auch zugleich unsern
Hausgenossen, Georg Schütz, die einzelnen Masken flüchtig zu zeichnen
und zu kolorieren, welches er mit seiner gewohnten Gefälligkeit
durchführte.

Diese Zeichnungen wurden nachher durch Melchior Krause von Frankfurt
am Main, Direktor des freien Zeicheninstituts zu Weimar, in Quarto
radiert und nach den Originalen illuminiert zur ersten Ausgabe bei
Unger, welche sich selten macht.

Zu vorgemeldeten Zwecken mußte man sich denn mehr, als sonst geschehen
wären unter die verkappte Menge hinunter drängen, welche denn trotz
aller künstlerischen Ansicht oft einen widerwärtigen unheimlichen
Eindruck machte. Der Geist, an die würdigen Gegenstände gewöhnt, mit
denen man das ganze Jahr in Rom sich beschäftigte, schien immer einmal
gewahr zu werden, daß er nicht recht an seinem Platze sei.



Aber für den innern bessern Sinn sollte doch das Erquicklichste
bereitet sein. Auf dem venezianischen Platz, wo manche Kutschen, eh'
sie sich den bewegten Reihen wieder anschließen, die Vorbeiwallenden
sich zu beschauen pflegen, sah ich den Wagen der Mad. Angelika und
trat an den Schlag, sie zu begrüßen. Sie hatte sich kaum freundlich
zu mir herausgeneigt, als sie sich zurückbog, um die neben ihr
sitzende, wieder genesene Mailänderin mir sehen zulassen. Ich fand
sie nicht verändert; denn wie sollte sich eine gesunde Jugend nicht
schnell wiederherstellen; ja, ihre Augen schienen frischer und
glänzender mich anzusehen, mit einer Freudigkeit, die mich bis ins
Innerste durchdrang. So blieben wir eine Zeitlang ohne Sprache, als
Mad. Angelika das Wort nahm und, indessen jene sich vorbog, zu mir
sagte: "Ich muß nur den Dolmetscher machen, denn ich sehe, meine junge
Freundin kommt nicht dazu, auszusprechen, was sie so lange gewünscht,
sich vorgesetzt und mir öfters wiederholt hat, wie sehr sie Ihnen
verpflichtet ist für den Anteil, den Sie an ihrer Krankheit, ihrem
Schicksal genommen. Das erste, was ihr beim Wiedereintritt in das
Leben tröstlich geworden, heilsam und wiederherstellend auf sie
gewirkt, sei die Teilnahme ihrer Freunde und besonders die Ihrige
gewesen, sie habe sich auf einmal wieder aus der tiefsten Einsamkeit
unter so vielen guten Menschen in dem schönsten Kreise gefunden."

"Das ist alles wahr", sagte jene, indem sie über die Freundin her mir
die Hand reichte, die ich wohl mit der meinigen, aber nicht mit meinen
Lippen berühren konnte.

Mit stiller Zufriedenheit entfernt' ich mich wieder in das Gedräng der
Toren, mit dem zartesten Gefühl von Dankbarkeit gegen Angelika, die
sich des guten Mädchens gleich nach dem Unfalle tröstend anzunehmen
gewußt und, was in Rom selten ist, ein bisher fremdes Frauenzimmer in
ihren edlen Kreis aufgenommen hatte, welches mich um so mehr rührte,
als ich mir schmeicheln durfte, mein Anteil an dem guten Kinde habe
hierauf nicht wenig eingewirkt.



Der Senator von Rom, Graf Rezzonico, war schon früher, aus Deutschland
zurückkehrend, mich zu besuchen gekommen. Er hatte eine innige
Freundschaft mit Herrn und Frau von Diede errichtet und brachte mir
angelegentliche Grüße von diesen werten Gönnern und Freunden; aber ich
lehnte, wie herkömmlich, ein näheres Verhältnis ab, sollte aber doch
endlich unausweichlich in diesen Kreis gezogen werden.

Jene genannten Freunde, Herr und Frau von Diede, machten ihrem werten
Lebensgenossen einen Gegenbesuch, und ich konnte mich um so weniger
entbrechen, mancherlei Art von Einladungen anzunehmen, als die Dame,
wegen des Flügelspiels berühmt, in einem Konzerte auf der
kapitolinischen Wohnung des Senators sich hören zu lassen willig war
und man unsern Genossen Kayser, dessen Geschicklichkeit ruchbar
geworden, zu einer Teilnahme an jenen Exhibitionen schmeichelhaft
eingeladen hatte. Die unvergleichliche Aussicht bei Sonnenuntergang
aus den Zimmern des Senators nach dem Coliseo zu mit allem dem, was
sich von den andern Seiten anschließt, verlieh freilich unserm
Künstlerblick das herrlichste Schauspiel, dem man sich aber nicht
hingeben durfte, um es gegen die Gesellschaft an Achtung und Artigkeit
nicht fehlen zu lassen. Frau von Diede spielte sodann, sehr große
Vorzüge entwickelnd, ein bedeutendes Konzert, und man bot bald darauf
unserm Freunde den Platz an, dessen er sich denn auch ganz würdig zu
machen schien, wenn man dem Lobe trauen darf, das er einerntete.
Abwechselnd ging es eine Weile fort, auch wurde von einer Dame eine
Lieblingsarie vorgetragen, endlich aber, als die Reihe wieder an
Kaysern kam, legte er ein anmutiges Thema zum Grunde und variierte
solches auf die mannigfaltigste Weise.

Alles war gut vonstatten gegangen, als der Senator mir im Gespräch
manches Freundliche sagte, doch aber nicht bergen konnte und mit jener
weichen venezianischen Art halb bedauernd versicherte, er sei
eigentlich von solchen Variationen kein Freund, werde hingegen von den
ausdrucksvollen Adagios seiner Dame jederzeit ganz entzückt.

Nun will ich gerade nicht behaupten, daß mir jene sehnsüchtigen Töne,
die man im Adagio und Largo hinzuziehen pflegt, jemals seien zuwider
gewesen, doch aber liebt' ich in der Musik immer mehr das Aufregende,
da unsere eigenen Gefühle, unser Nachdenken über Verlust und Mißlingen
uns nur allzuoft herabzuziehen und zu überwältigen drohen.

Unserm Senator dagegen konnt' ich keineswegs verargen, ja ich mußte
ihm aufs freundlichste gönnen, daß er solchen Tönen gern sein Ohr lieh,
die ihn vergewisserten, er bewirte in dem herrlichsten Aufenthalte
der Welt eine so sehr geliebte und hochverehrte Freundin.

Für uns andere, besonders deutsche Zuhörer blieb es ein unschätzbarer
Genuß, in dem Augenblicke, wo wir eine treffliche, längst gekannte
verehrte Dame, in den zartesten Tönen sich auf dem Flügel ergehend,
vernehmen, zugleich hinab vom Fenster in die einzigste Gegend von der
Welt zu schauen und in dem Abendglanz der Sonne mit weniger Wendung
des Hauptes das große Bild zu überblicken, das sich linker Hand vom
Bogen des Septimius Severus das Campo Vaccino entlang bis zum
Minerven--und Friedenstempel erstreckte, um dahinter das Koliseum
hervorschauen zu lassen, in dessen Gefolge man dann das Auge rechts
wendend, an den Bogen des Titus vorbeigleitend in dem Labyrinthe der
palatinischen Trümmer und ihrer durch Gartenkultur und wilde
Vegetation geschmückten Einöde sich zu verwirren und zu verweilen
hatte.

(Eine im Jahre 1824 von Fries und Thürmer gezeichnete und gestochene
nordwestliche übersicht von Rom, genommen von dem Turme des Kapitols,
bitten wir hiernächst zu überschauen; sie ist einige Stockwerke höher
und nach den neueren Ausgrabungen gefaßt, aber im Abendlichte und
Beschattung, wie wir sie damals gesehen, wobei denn freilich die
glühende Farbe mit ihren schattig-blauen Gegensätzen und allem dem
Zauber, der daraus entspringt, hinzuzudenken wäre.)

Sodann hatten wir in diesen Stunden als Glück zu schätzen, das
herrlichste Bild, welches Mengs vielleicht je gemalt hat, das Porträt
Clemens' XIII. Rezzonico, der unsern Gönner, den Senator, als Nepoten
an diesen Posten gesetzt, mit Ruhe zu beschauen, von dessen Wert ich
zum Schluß eine Stelle aus dem Tagebuch unseres Freundes anführe:

"Unter den von Mengs gemalten Bildnissen, da, wo seine Kunst sich am
tüchtigsten bewährte, ist das Bildnis des Papstes Rezzonico. Der
Künstler hat in diesem Werk die Venezianer im Kolorit und in der
Behandlung nachgeahmt und sich eines glücklichen Erfolgs zu erfreuen;
der Ton des Kolorits ist wahr und warm und der Ausdruck des Gesichtes
belebt und geistreich; der Vorhang von Goldstoff, auf dem sich der
Kopf und das übrige der Figur schön abheben, gilt für ein gewagtes
Kunststück in der Malerei, gelang aber vortrefflich, indem das Bild
dadurch ein reiches harmonisches, unser Auge angenehm rührendes Ansehn
erhält."






März

Korrespondenz

Rom, den 1. März.

Sonntags gingen wir in die Sixtinische Kapelle, wo der Papst mit den
Kardinälen der Messe beiwohnte. Da die letzteren wegen der Fastenzeit
nicht rot, sondern violett gekleidet waren, gab es ein neues
Schauspiel. Einige Tage vorher hatte ich Gemälde von Albert Dürer
gesehen und freute mich nun, so etwas im Leben anzutreffen. Das Ganze
zusammen war einzig groß und doch simpel, und ich wundere mich nicht,
wenn Fremde, die eben in der Karwoche, wo alles zusammentrifft,
hereinkommen, sich kaum fassen können. Die Kapelle selbst kenne ich
recht gut, ich habe vorigen Sommer drin zu Mittag gegessen und auf des
Papstes Thron Mittagsruhe gehalten und kann die Gemälde fast auswendig,
und doch, wenn alles beisammen ist, was zur Funktion gehört, so ist
es wieder was anders, und man findet sich kaum wieder.

Es ward ein altes Motett, von einem Spanier Morales komponiert,
gesungen, und wir hatten den Vorschmack von dem, was nun kommen wird.
Kayser ist auch der Meinung, daß man diese Musik nur hier hören kann
und sollte, teils weil nirgends Sänger ohne Orgel und Instrument auf
einen solchen Gesang geübt sein könnten, teils weil er zum antiken
Inventario der päpstlichen Kapelle und zu dem Ensemble der
Michelangelos, des jüngsten Gerichts, der Propheten und biblischen
Geschichte einzig passe. Kayser wird dereinst über alles dieses
bestimmte Rechnung ablegen. Er ist ein großer Verehrer der alten
Musik und studiert sehr fleißig alles, was dazu gehört.

So haben wir eine merkwürdige Sammlung Psalmen im Hause; sie sind in
italienische Verse gebracht und von einem venezianischen Nobile,
Benedetto Marcello, zu Anfang dieses Jahrhunderts in Musik gesetzt.
Er hat bei vielen die Intonation der Juden, teils der spanischen,
teils der deutschen, als Motiv angenommen, zu andern hat er alte
griechische Melodien zugrunde gelegt und sie mit großem Verstand,
Kunstkenntnis und Mäßigkeit ausgeführt. Sie sind teils als Solo,
Duett, Chor gesetzt und unglaublich original, ob man gleich sich erst
einen Sinn dazu machen muß. Kayser schätzt sie sehr und wird einige
daraus abschreiben. Vielleicht kann man einmal das ganze Werk haben,
das Venedig 1724 gedruckt ist und die ersten fünfzig Psalmen enthält.
Herder soll doch aufstellen, er sieht vielleicht in einem Katalogus
dies interessante Werk.

Ich habe den Mut gehabt, meine drei letzten Bände auf einmal zu
überdenken, und ich weiß nun genau, was ich machen will; gebe nun der
Himmel Stimmung und Glück, es zu machen.

Es war eine reichhaltige Woche, die mir in der Erinnerung wie ein
Monat vorkommt.

Zuerst ward der Plan zu "Faust" gemacht, und ich hoffe, diese
Operation soll mir geglückt sein. Natürlich ist es ein ander Ding,
das Stück jetzt oder vor funfzehn Jahren ausschreiben, ich denke, es
soll nichts dabei verlieren, besonders da ich jetzt glaube, den Faden
wieder gefunden zu haben. Auch was den Ton des Ganzen betrifft, bin
ich getröstet; ich habe schon eine neue Szene ausgeführt, und wenn ich
das Papier räuchre, so, dächt' ich, sollte sie mir niemand aus den
alten herausfinden. Da ich durch die lange Ruhe und Abgeschiedenheit
ganz auf das Niveau meiner eignen Existenz zurückgebracht bin, so ist
es merkwürdig, wie sehr ich mir gleiche und wie wenig mein Innres
durch Jahre und Begebenheiten gelitten hat. Das alte Manuskript macht
mir manchmal zu denken, wenn ich es vor mir sehe. Es ist noch das
erste, ja in den Hauptszenen gleich so ohne Konzept hingeschrieben,
nun ist es so gelb von der Zeit, so vergriffen (die Lagen waren nie
geheftet), so mürbe und an den Rändern zerstoßen, daß es wirklich wie
das Fragment eines alten Kodex aussieht, so daß ich, wie ich damals in
eine frühere Welt mich mit Sinnen und Ahnden versetzte, ich mich jetzt
in eine selbst gelebte Vorzeit wieder versetzen muß.

Auch ist der Plan von "Tasso" in Ordnung und die vermischten Gedichte
zum letzten Bande meist ins Reine geschrieben. "Des Künstlers
Erdewallen" soll neu ausgeführt und dessen "Apotheose" hinzugetan
werden. Zu diesen Jugendeinfällen habe ich nun erst die Studien
gemacht, und alles Detail ist mir nun recht lebendig. Ich freue mich
auch darauf und habe die beste Hoffnung zu den drei letzten Bänden,
ich sehe sie im ganzen schon vor mir stehen und wünsche mir nur Muße
und Gemütsruhe, um nun Schritt vor Schritt das Gedachte auszuführen.

Zur Stellung der verschiedenen kleinen Gedichte habe ich mir deine
Sammlungen der "Zerstreuten Blätter" zum Muster dienen lassen und
hoffe zur Verbindung so disparater Dinge gute Mittel gefunden zu haben,
wie auch eine Art, die allzu individuellen und momentanen Stücke
einigermaßen genießbar zu machen.

Nach diesen Betrachtungen ist die neue Ausgabe von Mengsens Schriften
ins Haus gekommen, ein Buch, das mir jetzt unendlich interessant ist,
weil ich die sinnlichen Begriffe besitze, die notwendig vorausgehen
müssen, um nur eine Zeile des Werks recht zu verstehen. Es ist in
allem Sinne ein trefflich Buch, man liest keine Seite ohne
entschiedenen Nutzen. Auch seinen "Fragmenten über die Schönheit",
welche manchem so dunkel scheinen, habe ich glückliche Erleuchtungen
zu danken.

Ferner habe ich allerlei Spekulationen über Farben gemacht, welche mir
sehr anliegen, weil das der Teil ist, von dem ich bisher am wenigsten
begriff. Ich sehe, daß ich mit einiger übung und anhaltendem
Nachdenken auch diesen schönen Genuß der Weltoberfläche mir werde
zueignen können.

Ich war einen Morgen in der Galerie Borghese, welche ich in einem Jahr
nicht gesehen hatte, und fand zu meiner Freude, daß ich sie mit viel
verständigern Augen sah. Es sind unsägliche Kunstschätze in dem
Besitz des Fürsten.


Rom, den 7. März.

Eine gute, reiche und stille Woche ist wieder vorbei. Sonntags
versäumten wir die päpstliche Kapelle, dagegen sah' ich mit Angelika
ein sehr schönes Gemälde, das billig für Correggio gehalten wird.

Ich sah die Sammlung der Akademie St. Luca, wo Raffaels Schädel ist.
Diese Reliquie scheint mir ungezweifelt. Ein trefflicher Knochenbau,
in welchem eine schöne Seele bequem spazieren konnte. Der Herzog
verlangt einen Abguß davon, den ich wahrscheinlich werde verschaffen
können. Das Bild, das von ihm gemalt ist und in gleichem Saale hängt,
ist seiner wert.



Aufgang zum Kapitol. Zeichnung von Verschaffelt

Auch habe ich das Kapitol wieder gesehen und einige andere Sachen, die
mir zurückblieben, vorzüglich Cavaceppis Haus, das ich immer versäumt
hatte zu sehen. Unter vielen köstlichen Sachen haben mich vorzüglich
ergötzt zwei Abgüsse der Köpfe von den Kolossalstatuen auf dem Monte
Cavallo. Man kann sie bei Cavaceppi in der Nähe in ihrer ganzen Größe
und Schönheit sehn. Leider daß der beste durch Zeit und Witterung
fast einen Strohhalm dick der glatten Oberfläche des Gesichts verloren
hat und in der Nähe wie von Pocken übel zugerichtet aussieht.

Heute waren die Exequien des Kardinal Visconti in der Kirche St. Carlo.
Da die päpstliche Kapelle zum Hochamt sang, gingen wir hin, die
Ohren auf morgen recht auszuwaschen. Es ward ein Requiem gesungen zu
zwei Sopranen, das Seltsamste, was man hören kann. NB. Auch dabei war
weder Orgel noch andere Musik.

Welch ein leidig Instrument die Orgel sei, ist mir gestern abend in
dem Chor von St. Peter recht aufgefallen, man begleitete damit den
Gesang bei der Vesper; es verbindet sich so gar nicht mit der
Menschenstimme und ist so gewaltig. Wie reizend dagegen in der
Sixtinischen Kapelle, wo die Stimmen allein sind.

Das Wetter ist seit einigen Tagen trübe und gelind. Der Mandelbaum
hat größtenteils verblüht und grünt jetzt, nur wenige Blüten sind auf
den Gipfeln noch zu sehen. Nun folgt der Pfirsichbaum, der mit seiner
schönen Farbe die Gärten ziert. Viburnum Tinus blüht auf allen Ruinen,
die Attichbüsche in den Hecken sind alle ausgeschlagen und andere,
die ich nicht kenne. Die Mauern und Dächer werden nun grüner, auf
einigen zeigen sich Blumen. In meinem neuen Kabinett, wohin ich zog,
weil wir Tischbein von Neapel erwarten, habe ich eine mannigfaltige
Aussicht in unzählige Gärtchen und auf die hinteren Galerien vieler
Häuser. Es ist gar zu lustig.

Ich habe angefangen, ein wenig zu modellieren. Was den
Erkenntnispunkt betrifft, gehe ich sehr rein und sicher fort, in
Anwendung der tätigen Kraft bin ich ein wenig konfus. So geht es mir
wie allen meinen Brüdern.


Rom, den 14. März.

Die nächste Woche ist hier nichts zu denken noch zu tun, man muß dem
Schwall der Feierlichkeiten folgen. Nach Ostern werde ich noch
einiges sehen, was mir zurückblieb, meinen Faden ablösen, meine
Rechnung machen, meinen Bündel packen und mit Kaysern davonziehn.
Wenn alles geht, wie ich wünsche und vorhabe, bin ich Ende Aprils in
Florenz. Inzwischen hört ihr noch von mir.

Sonderbar war es, daß ich auf äußere Veranlassung verschiedene
Maßregeln nehmen mußte, welche mich in neue Verhältnisse setzten,
wodurch mein Aufenthalt in Rom immer schöner, nützlicher und
glücklicher ward. Ja, ich kann sagen, daß ich die höchste
Zufriedenheit meines Lebens in diesen letzten acht Wochen genossen
habe und nun wenigstens einen äußersten Punkt kenne, nach welchem ich
das Thermometer meiner Existenz künftig abmessen kann.

Diese Woche hat sich ungeachtet des üblen Wetters gut gehalten.
Sonntags hörten wir in der Sixtinischen Kapelle ein Motett von
Palestrina. Dienstag wollte uns das Glück, daß man zu Ehren einer
Fremden verschiedene Teile der Karwochsmusik in einem Saale sang. Wir
hörten sie also mit größter Bequemlichkeit und konnten uns, da wir sie
so oft am Klavier durchsangen, einen vorläufigen Begriff davon machen.
Es ist ein unglaublich großes simples Kunstwerk, dessen immer
erneuerte Darstellung sich wohl nirgends als an diesem Orte und unter
diesen Umständen erhalten konnte. Bei näherer Betrachtung fallen
freilich mancherlei Handwerksburschentraditionen, welche die Sache
wunderbar und unerhört machen, weg, mit allem dem bleibt es etwas
Außerordentliches und ist ein ganz neuer Begriff. Kayser wird
dereinst Rechenschaft davon ablegen können. Er wird die Vergünstigung
erhalten, eine Probe in der Kapelle anzuhören, wozu sonst niemand
gelassen wird.

Ferner habe ich diese Woche einen Fuß modelliert nach vorgängigem
Studio der Knochen und Muskeln und werde von meinem Meister gelobt.
Wer den ganzen Körper so durchgearbeitet hätte, wäre um ein gutes Teil
klüger; versteht sich in Rom, mit allen Hülfsmitteln und dem
mannigfaltigen Rat der Verständigen. Ich habe einen Skelettfuß, eine
schöne auf die Natur gegossene Anatomie, ein halb Dutzend der
schönsten antiken Füße, einige schlechte, jene zur Nachahmung, diese
zur Warnung, und die Natur kann ich auch zu Rate ziehen, in jeder
Villa, in die ich trete, finde ich Gelegenheit, nach diesen Teilen zu
sehen, Gemälde zeigen mir, was Maler gedacht und gemacht haben. Drei,
vier Künstler kommen täglich auf mein Zimmer, deren Rat und Anmerkung
ich nutze, unter welchen jedoch, genau besehen, Heinrich Meyers Rat
und Nachhülfe mich am meisten fördert. Wenn mit diesem Winde auf
diesem Elemente ein Schiff nicht von der Stelle käme, so müßte es
keine Segel oder einen wahnsinnigen Steuermann haben. Bei der
allgemeinen übersicht der Kunst, die ich mir gemacht habe, war es mir
sehr notwendig, nun mit Aufmerksamkeit und Fleiß an einzelne Teile zu
gehn. Es ist angenehm, auch im Unendlichen vorwärts zu kommen.

Ich fahre fort, überall herumzugehen und vernachlässigte Gegenstände
zu betrachten. So war ich gestern zum erstenmal in Raffaels Villa, wo
er an der Seite seiner Geliebten den Genuß des Lebens aller Kunst und
allem Ruhm vorzog. Es ist ein heilig Monument. Der Fürst Doria hat
sie akquiriert und scheint sie behandeln zu wollen, wie sie es
verdient. Raffael hat seine Geliebte achtundzwanzigmal auf die Wand
porträtiert in allerlei Arten von Kleidern und Kostüme; selbst in den
historischen Kompositionen gleichen ihr die Weiber. Die Lage des
Hauses ist sehr schön. Es wird sich artiger davon erzählen lassen,
als sich's schreibt. Man muß das ganze Detail bemerken.

Dann ging ich in die Villa Albani und sah mich nur im allgemeinen
darin um. Es war ein herrlicher Tag. Heute nacht hat es sehr
geregnet, jetzt scheint die Sonne wieder, und vor meinem Fenster ist
ein Paradies. Der Mandelbaum ist ganz grün, die Pfirsichblüten fangen
schon an abzufallen, und die Zitronenblüten brechen auf dem Gipfel des
Baumes auf.

Mein Abschied von hier betrübt drei Personen innigst. Sie werden nie
wieder finden, was sie an mir gehabt haben, ich verlasse sie mit
Schmerzen. In Rom hab' ich mich selbst zuerst gefunden, ich bin
zuerst übereinstimmend mit mir selbst glücklich und vernünftig
geworden, und als einen solchen haben mich diese dreie in
verschiedenem Sinne und Grade gekannt, besessen und genossen.


Rom, den 22. März.

Heute geh' ich nicht nach St. Peter und will ein Blättchen schreiben.
Nun ist auch die heilige Woche mit ihren Wundern und Beschwerden
vorüber, morgen nehmen wir noch eine Benediktion auf uns, und dann
wendet sich das Gemüt ganz zu einem andern Leben.

Ich habe durch Gunst und Mühe guter Freunde alles gesehen und gehört,
besonders ist die Fußwaschung und die Speisung der Pilger nur durch
großes Drängen und Drücken zu erkaufen.

Die Kapellmusik ist undenkbar schön. Besonders das "Miserere" von
Allegri und die sogenannten "Improperien", die Vorwürfe, welche der
gekreuzigte Gott seinem Volke macht. Sie werden Karfreitags frühe
gesungen. Der Augenblick, wenn der aller seiner Pracht entkleidete
Papst vom Thron steigt, um das Kreuz anzubeten, und alles übrige an
seiner Stelle bleibt, jedermann still ist, und das Chor anfängt:
"Populus meus, quid feci tibi?", ist eine der schönsten unter allen
merkwürdigen Funktionen. Das soll nun alles mündlich ausgeführt
werden, und was von Musik transportabel ist, bringt Kayser mit. Ich
habe nach meinem Wunsch alles, was an den Funktionen genießbar war,
genossen und über das übrige meine stillen Betrachtungen angestellt.
Effekt, wie man zu sagen pflegt, hat nichts auf mich gemacht, nichts
hat mir eigentlich imponiert, aber bewundert hab' ich alles, denn das
muß man ihnen nachsagen, daß sie die christlichen überlieferungen
vollkommen durchgearbeitet haben. Bei den päpstlichen Funktionen,
besonders in der Sixtinischen Kapelle, geschieht alles, was am
katholischen Gottesdienste sonst unerfreulich erscheint, mit großem
Geschmack und vollkommner Würde. Es kann aber auch nur da geschehen,
wo seit Jahrhunderten alle Künste zu Gebote standen.

Das Einzelne davon würde jetzt nicht zu erzählen sein. Hätte ich
nicht in der Zwischenzeit auf jene Veranlassung wieder stille gehalten
und an ein längeres Bleiben geglaubt, so könnt' ich nächste Woche fort.
Doch auch das gereicht mir zum besten. Ich habe diese Zeit wieder
viel studiert, und die Epoche, auf die ich hoffte, hat sich
geschlossen und geründet. Es ist zwar immer eine sonderbare
Empfindung, eine Bahn, auf der man mit starken Schritten fortgeht, auf
einmal zu verlassen, doch muß man sich darein finden und nicht viel
Wesens machen. In jeder großen Trennung liegt ein Keim von Wahnsinn,
man muß sich hüten, ihn nachdenklich auszubrüten und zu pflegen.

Schöne Zeichnungen hab' ich von Neapel erhalten, von Kniep, dem Maler,
der mich nach Sizilien begleitet hat. Es sind schöne liebliche
Früchte meiner Reise und für euch die angenehmsten; denn was man einem
vor die Augen bringen kann, gibt man ihm am sichersten. Einige
drunter sind, dem Ton der Farbe nach, ganz köstlich geraten, und ihr
werdet kaum glauben, daß jene Welt so schön ist.

Soviel kann ich sagen, daß ich in Rom immer glücklicher geworden bin,
daß noch mit jedem Tage mein Vergnügen wächst; und wenn es traurig
scheinen möchte, daß ich eben scheiden soll, da ich am meisten
verdiente, zu bleiben, so ist es doch wieder eine große Beruhigung,
daß ich so lang habe bleiben können, um auf den Punkt zu gelangen.

Soeben steht der Herr Christus mit entsetzlichem Lärm auf. Das
Kastell feuert ab, alle Glocken läuten, und an allen Ecken und Enden
hört man Petarden, Schwärmer und Lauffeuer. Um eilf Uhr morgens.






Bericht März

Es ist uns erinnerlich, wie Philippus Neri den Besuch der sieben
Hauptkirchen Roms sich öfters zur Pflicht gemacht und dadurch von der
Inbrunst seiner Andacht einen deutlichen Beweis gegeben. Hier nun
aber ist zu bemerken, daß eine Wallfahrt zu gedachten Kirchen von
jedem Pilger, der zum Jubiläum herankommt, notwendig gefordert wird
und wirklich wegen der weitentfernten Lage dieser Stationen, insofern
der Weg an einem Tage zurückgelegt werden soll, einer abermaligen
anstrengenden Reise wohl gleichzuachten ist.

Jene sieben Kirchen aber sind: St. Peter, Santa Maria Maggiore, San
Lorenzo außer den Mauern, San Sebastian, San Johann im Lateran, Santa
Croce in Jerusalem, San Paul vor den Mauern.

Einen solchen Umgang nun vollführen auch einheimische fromme Seelen in
der Karwoche, besonders am Karfreitag. Da man aber zu dem geistlichen
Vorteil, welchen die Seelen durch den damit verknüpften Ablaß erwerben
und genießen, noch einen leiblichen Genuß hinzugetan, so wird in
solcher Hinsicht Ziel und Zweck noch reizender.

Wer nämlich nach vollbrachter Wallfahrt mit gehörigen Zeugnissen zum
Tore von San Paul endlich wieder hereintritt, erhält daselbst ein
Billet, um an einem frommen Volksfeste in der Villa Mattei an
bestimmten Tagen teilnehmen zu können. Dort erhalten die
Eingelassenen eine Kollation von Brot, Wein, etwas Käse oder Eiern;
die Genießenden sind dabei im Garten umher gelagert, vornehmlich in
dem kleinen daselbst befindlichen Amphitheater. Gegenüber in dem
Kasino der Villa findet sich die höhere Gesellschaft zusammen;
Kardinäle, Prälaten, Fürsten und Herren, um sich an dem Anblick zu
ergötzen und somit auch ihren Teil an der Spende, von der Familie
Mattei gestiftet, hinzunehmen.



Wir sahen eine Prozession von etwa zehn--bis zwölfjährigen Knaben
herankommen, nicht im geistlichen Gewand, sondern wie es etwa
Handwerkslehrlingen am Festtage zu erscheinen geziemen möchte, in
Kleidern gleicher Farbe, gleichen Schnitts, paarweise, es konnten
ihrer vierzig sein. Sie sangen und sprachen ihre Litaneien fromm vor
sich hin und wandelten still und züchtig.

Ein alter Mann von kräftigem handwerksmäßigen Ansehn ging an ihnen her
und schien das Ganze zu ordnen und zu leiten. Auffallend war es, die
vorüberziehende wohlgekleidete Reihe durch ein halb Dutzend
bettelhafte, barfuß und zerlumpt einhergehende Kinder geschlossen zu
sehen welche jedoch in gleicher Zucht und Sitte dahinwandelten.
Erkundigung deshalb gab uns zu vernehmen: Dieser Mann, ein Schuster
von Profession und kinderlos, habe sich früher bewogen gefühlt, einen
armen Knaben auf--und in die Lehre zu nehmen, mit Beistand von
Wohlwollenden ihn zu kleiden und weiterzubringen. Durch ein solches
gegebenes Beispiel sei es ihm gelungen, andere Meister zu gleicher
Aufnahme von Kindern zu bewegen, die er ebenfalls zu befördern alsdann
besorgt gewesen. Auf diese Weise habe sich ein kleines Häuflein
gesammelt, welches er zu gottesfürchtigen Handlungen, um den
schädlichen Müßiggang an Sonn--und Feiertagen zu verhüten,
ununterbrochen angehalten, ja sogar den Besuch der weit auseinander
liegenden Hauptkirchen an einem Tage von ihnen gefordert. Auf diese
Weise nun sei diese fromme Anstalt immer gewachsen; er verrichte seine
verdienstlichen Wanderungen nach wie vor, und weil sich zu einer so
augenfällig nutzbaren Anstalt immer mehr hinzudrängen, als aufgenommen
werden könnten, so bediene er sich des Mittels, um die allgemeine
Wohltätigkeit zu erregen, daß er die noch zu versorgenden, zu
bekleidenden Kinder seinem Zuge anschließe, da es ihm denn jedesmal
gelinge, zur Versorgung eines und des andern hinreichende Spende zu
erhalten.

Während wir uns hievon unterrichteten, war einer der älteren und
bekleideten Knaben auch in unsere Nähe gekommen, bot uns einen Teller
und verlangte mit gutgesetzten Worten für die nackten und sohlenlosen
bescheiden eine Gabe. Er empfing sie nicht nur von uns gerührten
Fremden reichlich, sondern auch von den anstehenden sonst
pfennigkargen Römern und Römerinnen, die einer mäßigen Spende mit viel
Worten segnender Anerkennung jenes Verdienstes noch ein frommes
Gewicht beizufügen nicht unterließen.

Man wollte wissen, daß der fromme Kindervater jedesmal seine Pupillen
an jener Spende teilnehmen lasse, nachdem sie sich durch
vorhergegangene Wanderung erbaut, wobei es denn niemals an leidlicher
Einnahme zu seinem edlen Zwecke fehlen kann.

Italienische Reise / 2. Röm. Aufenthalt / Nachahmung des Schönen




über die bildende Nachahmung des Schönen

von Karl Philipp Moritz. Braunschweig 1788.

Unter diesem Titel ward ein Heft von kaum vier Bogen gedruckt, wozu
Moritz das Manuskript nach Deutschland geschickt hatte, um seinen
Verleger über den Vorschuß einer Reisebeschreibung nach Italien
einigermaßen zu beschwichtigen. Freilich war eine solche nicht so
leicht als die einer abenteuerlichen Fußwanderung durch England
niederzuschreiben.

Gedachtes Heft aber darf ich nicht unerwähnt lassen; es war aus unsern
Unterhaltungen hervorgegangen, welche Moritz nach seiner Art benutzt
und ausgebildet. Wie es nun damit auch sei, so kann es geschichtlich
einiges Interesse haben, um daraus zu ersehen, was für Gedanken sich
in jener Zeit vor uns auftaten, welche, späterhin entwickelt, geprüft,
angewendet und verbreitet, mit der Denkweise des Jahrhunderts
glücklich zusammentrafen.

Einige Blätter aus der Mitte des Vortrags mögen hier eingeschaltet
stehen, vielleicht nimmt man hievon Veranlassung, das Ganze wieder
abzudrucken.



"Der Horizont der tätigen Kraft aber muß bei dem bildenden Genie so
weit wie die Natur selber sein: das heißt, die Organisation muß so
fein gewebt sein und so unendlich viele Berührungspunkte der
allumströmenden Natur darbieten, daß gleichsam die äußersten Enden von
allen Verhältnissen der Natur im großen, hier im kleinen sich
nebeneinander stellend, Raum genug haben, um sich einander nicht
verdrängen zu dürfen.

Wenn nun eine Organisation von diesem feinern Gewebe bei ihrer
völligen Entwicklung auf einmal in der dunklen Ahndung ihrer tätigen
Kraft ein Ganzes faßt, das weder in ihr Auge noch in ihr Ohr, weder in
ihre Einbildungskraft noch in ihre Gedanken kam, so muß notwendig eine
Unruhe, ein Mißverhältnis zwischen den sich wägenden Kräften so lange
entstehen, bis sie wieder in ihr Gleichgewicht kommen.

Bei einer Seele, deren bloß tätige Kraft schon das edle große Ganze
der Natur in dunkler Ahndung faßt, kann die deutlich erkennende
Denkkraft, die noch lebhafter darstellende Einbildungskraft und der am
hellsten spiegelnde äußre Sinn mit der Betrachtung des einzelnen im
Zusammenhange der Natur sich nicht mehr begnügen.

Alle die in der tätigen Kraft bloß dunkel geahndeten Verhältnisse
jenes großen Ganzen müssen notwendig auf irgendeine Weise entweder
sichtbar, hörbar oder doch der Einbildungskraft faßbar werden; und um
dies zu werden, muß die Tatkraft, worin sie schlummern, sie nach sich
selber, aus sich selber bilden.--Sie muß alle jene Verhältnisse des
großen Ganzen und in ihnen das höchste Schöne wie an den Spitzen
seiner Strahlen in einen Brennpunkt fassen.--Aus diesem Brennpunkte
muß sich nach des Auges gemessener Weite ein zartes und doch getreues
Bild des höchsten Schönen ründen, das die vollkommensten Verhältnisse
des großen Ganzen der Natur ebenso wahr und richtig wie sie selbst in
seinem kleinen Umfang faßt.

Weil nun aber dieser Abdruck des höchsten Schönen notwendig an etwas
haften muß, so wählt die bildende Kraft, durch ihre Individualität
bestimmt, irgendeinen sichtbaren, hörbaren oder doch der
Einbildungskraft faßbaren Gegenstand, auf den sie den Abglanz des
höchsten Schönen im verjüngenden Maßstabe überträgt.--Und weil dieser
Gegenstand wiederum, wenn er wirklich, was er darstellt, wäre, mit dem
Zusammenhange der Natur, die außer sich selber kein wirklich
eigenmächtiges Ganze duldet, nicht ferner bestehen könnte, so führet
uns dies auf den Punkt, wo wir schon einmal waren: daß jedesmal das
innre Wesen erst in die Erscheinung sich verwandeln müsse, ehe es
durch die Kunst zu einem für sich bestehenden Ganzen gebildet werden
und ungehindert die Verhältnisse des großen Ganzen der Natur in ihrem
völligen Umfange spiegeln kann.

Da nun aber jene großen Verhältnisse, in deren völligem Umfange eben
das Schöne liegt, nicht mehr unter das Gebiet der Denkkraft fallen, so
kann auch der lebendige Begriff von der bildenden Nachahmung des
Schönen nur im Gefühl der tätigen Kraft, die es hervorbringt, im
ersten Augenblick der Entstehung stattfinden, wo das Werk, als schon
vollendet, durch alle Grade seines allmählichen Werdens in dunkler
Ahndung auf einmal vor die Seele tritt und in diesem Moment der ersten
Erzeugung gleichsam vor seinem wirklichen Dasein da ist; wodurch
alsdann auch jener unnennbare Reiz entsteht, welcher das schaffende
Genie zur immerwährenden Bildung treibt.

Durch unser Nachdenken über die bildende Nachahmung des Schönen, mit
dem reinen Genuß der schönen Kunstwerke selbst vereint, kann zwar
etwas jenem lebendigen Begriff Näherkommendes in uns entstehen, das
den Genuß der schönen Kunstwerke uns erhöht.--Allein da unser höchster
Genuß des Schönen dennoch sein Werden auf unsrer eignen Kraft
unmöglich mit in sich fassen kann, so bleibt der einzige höchste Genuß
desselben immer dem schaffenden Genie, das es hervorbringt, selber,
und das Schöne hat daher seinen höchsten Zweck in seiner Entstehung,
in seinem Werden schon erreicht; unser Nachgenuß desselben ist nur
eine Folge seines Daseins--und das bildende Genie ist daher im großen
Plane der Natur zuerst um sein selbst, und dann erst um unsertwillen
da; weil es nun einmal außer ihm noch Wesen gibt, die selbst nicht
schaffen und bilden, aber doch das Gebildete, wenn es einmal
hervorgebracht ist, mit ihrer Einbildungskraft umfassen können.

Die Natur des Schönen besteht ja eben darin, daß sein innres Wesen
außer den Grenzen der Denkkraft, in seiner Entstehung, in seinem
eignen Werden liegt. Eben darum, weil die Denkkraft beim Schönen
nicht mehr fragen kann, warum es schön sei, ist es schön.--Denn es
mangelt ja der Denkkraft völlig an einem Vergleichungspunkte, wornach
sie das Schöne beurteilen und betrachten könnte. Was gibt es noch für
einen Vergleichungspunkt für das echte Schöne, als mit dem Inbegriff
aller harmonischen Verhältnisse des großen Ganzen der Natur, die keine
Denkkraft umfassen kann? Alles einzelne, hin und her in der Natur
zerstreute Schöne ist ja nur insofern schön, als sich dieser Inbegriff
aller Verhältnisse jenes großen Ganzen mehr oder weniger darin
offenbart. Es kann also nie zum Vergleichungspunkte für das Schöne
der bildenden Künste, ebensowenig als der wahren Nachahmung des
Schönen zum Vorbilde dienen; weil das höchste Schöne im Einzelnen der
Natur immer noch nicht schön genug für die stolze Nachahmung der
großen und majestätischen Verhältnisse des allumfassenden Ganzen der
Natur ist. Das Schöne kann daher nicht erkannt, es muß
hervorgebracht--oder empfunden werden.

Denn weil in gänzlicher Ermangelung eines Vergleichungspunktes einmal
das Schöne kein Gegenstand der Denkkraft ist, so würden wir, insofern
wir es nicht selbst hervorbringen können, auch seines Genusses ganz
entbehren müssen, indem wir uns nie an etwas halten könnten, dem das
Schöne näher käme als das Minderschöne--wenn nicht etwas die Stelle
der hervorbringenden Kraft in uns ersetzte, das ihr so nahe wie
möglich kömmt, ohne doch sie selbst zu sein:--dies ist nun, was wir
Geschmack oder Empfindungsfähigkeit für das Schöne nennen, die, wenn
sie in ihren Grenzen bleibt, den Mangel des höhern Genusses bei der
Hervorbringung des Schönen durch die ungestörte Ruhe der stillen
Betrachtung ersetzen kann.

Wenn nämlich das Organ nicht fein genug gewebt ist, um dem
einströmenden Ganzen der Natur so viele Berührungspunkte darzubieten,
als nötig sind, um alle ihre großen Verhältnisse vollständig im
kleinen abzuspiegeln, und uns noch ein Punkt zum völligen Schluß des
Zirkels fehlt, so können wir statt der Bildungskraft nur
Empfindungsfähigkeit für das Schöne haben: jeder Versuch, es außer uns
wieder darzustellen, würde uns mißlingen und uns desto unzufriedner
mit uns selber machen, je näher unser Empfindungsvermögen für das
Schöne an das uns mangelnde Bildungsvermögen grenzt.

Weil nämlich das Wesen des Schönen eben in seiner Vollendung in sich
selbst besteht, so schadet ihm der letzte fehlende Punkt so viel als
tausend, denn er verrückt alle übrigen Punkte aus der Stelle, in
welche sie gehören.--Und ist dieser Vollendungspunkt einmal verfehlt,
so verlohnt ein Werk der Kunst nicht der Mühe des Anfangs und der Zeit
seines Werdens; es fällt unter das Schlechte bis zum Unnützen herab,
und sein Dasein muß notwendig durch die Vergessenheit, worin es sinkt,
sich wieder aufheben.

Ebenso schadet auch dem in das feinere Gewebe der Organisation
gepflanzten Bildungsvermögen der letzte zu seiner Vollständigkeit
fehlende Punkt so viel als tausend. Der höchste Wert, den es als
Empfindungsvermögen haben könnte, kömmt bei ihm als Bildungskraft
ebensowenig wie der geringste in Betrachtung. Auf dem Punkte, wo das
Empfindungsvermögen seine Grenzen überschreitet, muß es notwendig
unter sich selber sinken, sich aufheben und vernichten.

Je vollkommener das Empfindungsvermögen für eine gewisse Gattung des
Schönen ist, um desto mehr ist es in Gefahr, sich zu täuschen, sich
selbst für Bildungskraft zu nehmen und auf die Weise durch tausend
mißlungene Versuche seinen Frieden mit sich selbst zu stören.

Es blickt z. B. beim Genuß des Schönen in irgendeinem Werke der Kunst
zugleich durch das Werden desselben in die bildende Kraft, die es
schuf, hindurch; und ahndet dunkel den höhern Grad des Genusses eben
dieses Schönen im Gefühl dieser Kraft, die mächtig genug war, es aus
sich selbst hervorzubringen.

Um sich nun diesen höhern Grad des Genusses, welchen sie an einem
Werke, das einmal schon da ist, unmöglich haben kann, auch zu
verschaffen, strebt die einmal zu lebhaft gerührte Empfindung
vergebens, etwas ähnliches aus sich selbst hervorzubringen, haßt ihr
eignes Werk, verwirft es und verleidet sich zugleich den Genuß alle
des Schönen, das außer ihr schon da ist, und woran sie nun eben
deswegen, weil es ohne ihr Zutun da ist, keine Freude findet.

Ihr einziger Wunsch und Streben ist, des ihr versagten höhern Genusses,
den sie nur dunkel ahndet, teilhaftig zu werden: in einem schönen
Werke, das ihr sein Dasein dankt, mit dem Bewußtsein von eigner
Bildungskraft sich selbst zu spiegeln.-Allein sie wird ihres Wunsches
ewig nicht gewährt, weil Eigennutz ihn erzeugte und das Schöne sich
nur um sein selbst willen von der Hand des Künstlers greifen und
willig und folgsam von ihm sich bilden läßt.

Wo sich nun in den schaffenwollenden Bildungstrieb sogleich die
Vorstellung vom Genuß des Schönen mischt, den es, wenn es vollendet
ist, gewähren soll; und wo diese Vorstellung der erste und stärkste
Antrieb unsrer Tatkraft wird, die sich zu dem, was sie beginnt, nicht
in und durch sich selbst gedrungen fühlt, da ist der Bildungstrieb
gewiß nicht rein: der Brennpunkt oder Vollendungspunkt des Schönen
fällt in die Wirkung über das Werk hinaus; die Strahlen gehen
auseinander; das Werk kann sich nicht in sich selber ründen.

Dem höchsten Genuß des aus sich selbst hervorgebrachten Schönen sich
so nah zu dünken und doch darauf Verzicht zu tun, scheint freilich ein
harter Kampf--der dennoch äußerst leicht wird, wenn wir aus diesem
Bildungstriebe, den wir uns einmal zu besitzen schmeicheln, um doch
sein Wesen zu veredeln, jede Spur des Eigennutzes, die wir noch finden,
tilgen und jede Vorstellung des Genusses, den uns das Schöne, das wir
hervorbringen wollen, wenn es nun da sein wird, durch das Gefühl
unsrer eignen Kraft gewähren soll, soviel wie möglich zu verbannen
suchen, so daß, wenn wir auch mit dem letzten Atemzuge es erst
vollenden könnten, es dennoch zu vollenden strebten.-Behält alsdann
das Schöne, das wir ahnden, bloß an und für sich selbst, in seiner
Hervorbringung, noch Reiz genug, unsre Tatkraft zu bewegen, so dürfen
wir getrost unserm Bildungstriebe folgen, weil er echt und rein ist.
-Verliert sich aber mit der gänzlichen Hinwegdenkung des Genusses und
der Wirkung auch der Reiz, so bedarf es ja keines Kampfes weiter, der
Frieden in uns ist hergestellt, und das nun wieder in seine Rechte
getretene Empfindungsvermögen eröffnet sich zum Lohne für sein
bescheidnes Zurücktreten in seine Grenzen dem reinsten Genuß des
Schönen, der mit der Natur seines Wesens bestehen kann.

Freilich kann nun der Punkt, wo Bildungs--und Empfindungskraft sich
scheidet, so äußerst leicht verfehlt und überschritten werden, daß es
gar nicht zu verwundern ist, wenn immer tausend falsche, angemaßte
Abdrücke des höchsten Schönen gegen einen echten durch den falschen
Bildungstrieb in den Werken der Kunst entstehen.

Denn da die echte Bildungskraft sogleich bei der ersten Entstehung
ihres Werks auch schon den ersten, höchsten Genuß desselben als ihren
sichern Lohn in sich selber trägt und sich nur dadurch von dem
falschen Bildungstriebe unterscheidet, daß sie den allerersten Moment
ihres Anstoßes durch sich selber und nicht durch die Ahndung des
Genusses von ihrem Werke erhält; und weil in diesem Moment der
Leidenschaft die Denkkraft selbst kein richtiges Urteil fällen kann,
so ist es fast unmöglich, ohne eine Anzahl mißlungner Versuche dieser
Selbsttäuschung zu entkommen.

Und selbst auch diese mißlungnen Versuche sind noch nicht immer ein
Beweis von Mangel an Bildungskraft, weil diese selbst da, wo sie echt
ist, oft eine ganz falsche Richtung nimmt, indem sie vor ihre
Einbildungskraft stellen will, was vor ihr Auge, oder vor ihr Auge,
was vor ihr Ohr gehört.

Eben weil die Natur die inwohnende Bildungskraft nicht immer zur
völligen Reife und Entwicklung kommen oder sie einen falschen Weg
einschlagen läßt, auf dem sie sich nie entwickeln kann, so bleibt das
echte Schöne selten.

Und weil sie auch aus dem angemaßten Bildungstriebe das Gemeine und
Schlechte ungehindert entstehen läßt, so unterscheidet sich eben
dadurch das echte Schöne und Edle durch seinen seltenen Wert vom
Schlechten und Gemeinen.

In dem Empfindungsvermögen bleibt also stets die Lücke, welche nur
durch das Resultat der Bildungskraft sich ausfüllt.--Bildungskraft und
Empfindungsfähigkeit verhalten sich zueinander wie Mann und Weib.
Denn auch die Bildungskraft ist bei der ersten Entstehung ihres Werks
im Moment des höchsten Genusses zugleich Empfindungsfähigkeit und
erzeugt wie die Natur den Abdruck ihres Wesens aus sich selber.

Empfindungsvermögen sowohl als Bildungskraft sind also in dem feinern
Gewebe der Organisation gegründet, insofern dieselbe in allen ihren
Berührungspunkten von den Verhältnissen des großen Ganzen der Natur
ein vollständiger oder doch fast vollständiger Abdruck ist.

Empfindungskraft sowohl als Bildungskraft umfassen mehr als Denkkraft,
und die tätige Kraft, worin sich beide gründen, faßt zugleich auch
alles, was die Denkkraft faßt, weil sie von allen Begriffen, die wir
je haben können, die ersten Anlässe, stets sie aus sich herausspinnend,
in sich trägt.

Insofern nun diese tätige Kraft alles, was nicht unter das Gebiet der
Denkkraft fällt, hervorbringend in sich faßt, heißet sie Bildungskraft:
und insofern sie das, was außer den Grenzen der Denkkraft liegt, der
Hervorbringung sich entgegenneigend, in sich begreift, heißt sie
Empfindungskraft.

Bildungskraft kann nicht ohne Empfindung und tätige Kraft, die bloß
tätige Kraft hingegen kann ohne eigentliche Empfindungs--und
Bildungskraft, wovon sie nur die Grundlage ist, für sich allein
stattfinden.

Insofern nun diese bloß tätige Kraft ebenfalls in dem feinern Gewebe
der Organisation sich gründet, darf das Organ nur überhaupt in allen
seinen Berührungspunkten ein Abdruck der Verhältnisse des großen
Ganzen sein, ohne daß eben der Grad der Vollständigkeit erfordert
würde, welche die Empfindungs--und Bildungskraft voraussetzt.

Von den Verhältnissen des großen Ganzen, das uns umgibt, treffen
nämlich immer so viele in allen Berührungspunkten unsres Organs
zusammen, daß wir dies große Ganze dunkel in uns fühlen, ohne es doch
selbst zu sein. Die in unser Wesen hineingesponnenen Verhältnisse
jenes Ganzen streben, sich nach allen Seiten wieder auszudehnen; das
Organ wünscht sich nach allen Seiten bis ins Unendliche fortzusetzen.
Es will das umgebende Ganze nicht nur in sich spiegeln, sondern,
soweit es kann, selbst dies umgebende Ganze sein.

Daher ergreift jede höhere Organisation ihrer Natur nach die ihr
untergeordnete und trägt sie in ihr Wesen über. Die Pflanze den
unorganisierten Stoff durch bloßes Werden und Wachsen; das Tier die
Pflanzen durch Werden, Wachsen und Genuß; der Mensch verwandelt nicht
nur Tier und Pflanze durch Werden, Wachsen und Genuß in sein innres
Wesen, sondern faßt zugleich alles, was seiner Organisation sich
unterordnet, durch die unter allen am hellsten geschliffne, spiegelnde
Oberfläche seines Wesens, in den Umfang seines Daseins auf und stellt
es, wenn sein Organ sich bildend in sich selbst vollendet, verschönert
außer sich wieder dar.

Wo nicht, so muß er das, was um ihn her ist, durch Zerstörung in den
Umfang seines wirklichen Daseins ziehn und verheerend um sich greifen,
so weit er kann, da einmal die reine unschuldige Beschauung seinen
Durst nach ausgedehntem wirklichem Dasein nicht ersetzen kann."






April

Korrespondenz

Rom, den 10. April.

Noch bin ich in Rom mit dem Leibe, nicht mit der Seele. Sobald der
Entschluß fest war, abzugehen, hatte ich auch kein Interesse mehr, und
ich wäre lieber schon vierzehn Tage fort. Eigentlich bleibe ich noch
um Kaysers willen und um Burys willen. Ersterer muß noch einige
Studien absolvieren, die er nur hier in Rom machen kann, noch einige
Musikalien sammeln; der andere muß noch die Zeichnung zu einem Gemälde
nach meiner Erfindung ins reine bringen, dabei er meines Rats bedarf.

Doch hab' ich den 21. oder 22. April zur Abreise festgesetzt.


Rom den 11. April.

Die Tage vergehn, und ich kann nichts mehr tun. Kaum mag ich noch
etwas sehen; mein ehrlicher Meyer steht mir noch bei, und ich genieße
noch zuletzt seines unterrichtenden Umgangs. Hätte ich Kaysern nicht
bei mir, so hätte ich jenen mitgebracht. Wenn wir ihn nur ein Jahr
gehabt hätten, so wären wir weit genug gekommen. Besonders hätte er
bald über alle Skrupel im Köpfezeichnen hinausgeholfen.

Ich war mit meinem guten Meyer diesen Morgen in der französischen
Akademie, wo die Abgüsse der besten Statuen des Altertums
beisammenstehn. Wie könnt' ich ausdrücken, was ich hier wie zum
Abschied empfand? In solcher Gegenwart wird man mehr, als man ist;
man fühlt, das Würdigste, womit man sich beschäftigen sollte, sei die
menschliche Gestalt, die man hier in aller mannigfaltigen Herrlichkeit
gewahr wird. Doch wer fühlt bei einem solchen Anblick nicht alsobald,
wie unzulänglich er sei; selbst vorbereitet steht man wie vernichtet.
Hatte ich doch Proportion, Anatomie, Regelmäßigkeit der Bewegung mir
einigermaßen zu verdeutlichen gesucht, hier aber fiel mir nur zu sehr
auf, daß die Form zuletzt alles einschließe, der Glieder
Zweckmäßigkeit, Verhältnis, Charakter und Schönheit.


Rom, den 14. April.

Die Verwirrung kann wohl nicht größer werden! Indem ich nicht abließ,
an jenem Fuß fortzumodellieren, ging mir auf, daß ich nunmehr "Tasso"
unmittelbar angreifen müßte, zu dem sich denn auch meine Gedanken
hinwendeten, ein willkommener Gefährte zur bevorstehenden Reise.
Dazwischen wird eingepackt, und man sieht in solchem Augenblicke erst,
was man alles um sich versammelt und zusammengeschleppt hat.






Bericht

April

Meine Korrespondenz der letzten Wochen bietet wenig Bedeutendes; meine
Lage war zu verwickelt zwischen Kunst und Freundschaft, zwischen
Besitz und Bestreben, zwischen einer gewohnten Gegenwart und einer
wieder neu anzugewöhnenden Zukunft. In diesen Zuständen konnten meine
Briefe wenig enthalten; die Freude, meine alten geprüften Freunde
wiederzusehen, war nur mäßig ausgesprochen, der Schmerz des Loslösens
dagegen kaum verheimlicht. Ich fasse daher in gegenwärtigen
nachträglichen Bericht manches zusammen und nehme nur das auf, was aus
jener Zeit mir teils durch andere Papiere und Denkmale bewahrt, teils
in der Erinnerung wieder hervorzurufen ist.



Tischbein verweilte noch immer in Neapel, ob er schon seine
Zurückkunft im Frühling wiederholt angekündigt hatte. Es war sonst
mit ihm gut leben, nur ein gewisser Tik ward auf die Länge
beschwerlich. Er ließ nämlich alles, was er zu tun vorhatte, in einer
Art Unbestimmtheit, wodurch er oft ohne eigentlich bösen Willen andere
zu Schaden und Unlust brachte. So erging es mir nun auch in diesem
Falle; ich mußte, wenn er zurückkehrte, um uns alle bequem logiert zu
sehen, das Quartier verändern, und da die obere Etage unsers Hauses
eben leer ward, säumte ich nicht, sie zu mieten und sie zu beziehen,
damit er bei seiner Ankunft in der untern alles bereit fände.

Die oberen Räume waren den unteren gleich, die hintere Seite jedoch
hatte den Vorteil einer allerliebsten Aussicht über den Hausgarten und
die Gärten der Nachbarschaft, welche, da unser Haus ein Eckhaus war,
sich nach allen Seiten ausdehnte.

Hier sah man nun die verschiedensten Gärten, regelmäßig durch Mauern
getrennt, in unendlicher Mannigfaltigkeit gehalten und bepflanzt;
dieses grünende und blühende Paradies zu verherrlichen, trat überall
die einfach edle Baukunst hervor: Gartensäle, Balkone, Terrassen, auch
auf den höhern Hinterhäuschen eine offne Loge, dazwischen alle
Baum--und Pflanzenarten der Gegend.

In unserm Hausgarten versorgte ein alter Weltgeistlicher eine Anzahl
wohlgehaltener Zitronenbäume von mäßiger Höhe in verzierten Vasen von
gebrannter Erde, welche im Sommer der freien Luft genossen, im Winter
jedoch im Gartensaale verwahrt standen. Nach vollkommen geprüfter
Reife wurden die Früchte sorgfältig abgenommen, jede einzeln in
weiches Papier gewickelt, so zusammengepackt und versendet. Sie sind
wegen besonderer Vorzüge im Handel beliebt. Eine solche Orangerie
wird als ein kleines Kapital in bürgerlichen Familien betrachtet,
wovon man alle Jahre die gewissen Interessen zieht.

Dieselbigen Fenster, aus welchen man so viel Anmut beim klarsten
Himmel ungestört betrachtete, gaben auch ein vortreffliches Licht zu
Beschauung malerischer Kunstwerke. Soeben hatte Kniep verschiedene
Aquarellzeichnungen, ausgeführt nach Umrissen, die er auf unsrer Reise
durch Sizilien sorgfältig zog, verabredetermaßen eingesendet, die
nunmehr bei dem günstigsten Licht allen Teilnehmenden zu Freude und
Bewunderung gereichten. Klarheit und luftige Haltung ist vielleicht
in dieser Art keinem besser gelungen als ihm, der sich mit Neigung
gerade hierauf geworfen hatte. Die Ansicht dieser Blätter bezauberte
wirklich, denn man glaubte, die Feuchte des Meers, die blauen Schatten
der Felsen, die gelbrötlichen Töne der Gebirge, das Verschweben der
Ferne in dem glanzreichsten Himmel wieder zu sehen, wieder zu
empfinden. Aber nicht allein diese Blätter erschienen in solchem
Grade günstig, jedes Gemälde, auf dieselbe Staffelei, an denselben Ort
gestellt, erschien wirksamer und auffallender; ich erinnere mich, daß
einigemal, als ich ins Zimmer trat, mir ein solches Bild wie
zauberisch entgegenwirkte.

Das Geheimnis einer günstigen oder ungünstigen, direkten oder
indirekten atmosphärischen Beleuchtung war damals noch nicht entdeckt,
sie selbst aber durchaus gefühlt, angestaunt und als nur zufällig und
unerklärbar betrachtet.



Diese neue Wohnung gab nun Gelegenheit, eine Anzahl von Gipsabgüssen,
die sich nach und nach um uns gesammelt hatten, in freundlicher
Ordnung und gutem Lichte aufzustellen, und man genoß jetzt erst eines
höchst würdigen Besitzes. Wenn man, wie in Rom der Fall ist, sich
immerfort in Gegenwart plastischer Kunstwerke der Alten befindet, so
fühlt man sich wie in Gegenwart der Natur vor einem Unendlichen,
Unerforschlichen. Der Eindruck des Erhabenen, des Schönen, so
wohltätig er auch sein mag, beunruhigt uns, wir wünschen unsre Gefühle,
unsre Anschauung in Worte zu fassen: dazu müßten wir aber erst
erkennen, einsehen, begreifen; wir fangen an zu sondern, zu
unterscheiden, zu ordnen, und auch dieses finden wir, wo nicht
unmöglich, doch höchst schwierig, und so kehren wir endlich zu einer
schauenden und genießenden Bewunderung zurück.

überhaupt aber ist dies die entschiedenste Wirkung aller Kunstwerke,
daß sie uns in den Zustand der Zeit und der Individuen versetzen, die
sie hervorbrachten. Umgeben von antiken Statuen, empfindet man sich
in einem bewegten Naturleben, man wird die Mannigfaltigkeit der
Menschengestaltung gewahr und durchaus auf den Menschen in seinem
reinsten Zustande zurückgeführt, wodurch denn der Beschauer selbst
lebendig und rein menschlich wird. Selbst die Bekleidung, der Natur
angemessen, die Gestalt gewissermaßen noch hervorhebend, tut im
allgemeinen Sinne wohl. Kann man dergleichen Umgebung in Rom
tagtäglich genießen, so wird man zugleich habsüchtig darnach; man
verlangt, solche Gebilde neben sich aufzustellen, und gute Gipsabgüsse
als die eigentlichsten Faksimiles geben hiezu die beste Gelegenheit.
Wenn man des Morgens die Augen aufschlägt, fühlt man sich von dem
Vortrefflichsten gerührt; alles unser Denken und Sinnen ist von
solchen Gestalten begleitet, und es wird dadurch unmöglich, in
Barbarei zurückzufallen.

Den ersten Platz bei uns behauptete Juno Ludovisi, um desto höher
geschätzt und verehrt, als man das Original nur selten, nur zufällig
zu sehen bekam und man es für ein Glück achten mußte, sie immerwährend
vor Augen zu haben; denn keiner unsrer Zeitgenossen, der zum erstenmal
vor sie hintritt, darf behaupten, diesem Anblick gewachsen zu sein.

Noch einige kleinere Junonen standen zur Vergleichung neben ihr,
vorzüglich Büsten Jupiters und, um anderes zu übergehen, ein guter
alter Abguß der Medusa Rondanini; ein wundersames Werk, das, den
Zwiespalt zwischen Tod und Leben, zwischen Schmerz und Wollust
ausdrückend, einen unnennbaren Reiz wie irgendein anderes Problem über
uns ausübt.

Doch erwähn' ich noch eines Herkules Anax, so kräftig und groß, als
verständig und mild; sodann eines allerliebsten Merkur, deren beider
Originale sich jetzt in England befinden.

Halberhobene Arbeiten, Abgüsse von manchen schönen Werken gebrannter
Erde, auch die ägyptischen, von dem Gipfel des großen Obelisk genommen,
und was nicht sonst an Fragmenten, worunter einige marmorne waren,
standen wohl eingereiht umher.

Ich spreche von diesen Schätzen, welche nur wenige Wochen in die neue
Wohnung gereiht standen, wie einer, der sein Testament überdenkt, den
ihn umgebenden Besitz mit Fassung, aber doch gerührt ansehen wird.
Die Umständlichkeit, die Bemühung und Kosten und eine gewisse
Unbehülflichkeit in solchen Dingen hielten mich ab, das Vorzüglichste
sogleich nach Deutschland zu bestimmen. Juno Ludovisi war der edlen
Angelika zugedacht, weniges andere den nächsten Künstlern, manches
gehörte noch zu den Tischbeinischen Besitzungen, anderes sollte
unangetastet bleiben und von Bury, der das Quartier nach mir bezog,
nach seiner Weise benutzt werden.

Indem ich dieses niederschreibe, werden meine Gedanken in die frühsten
Zeiten hingeführt und die Gelegenheiten hervorgerufen, die mich
anfänglich mit solchen Gegenständen bekannt machten, meinen Anteil
erregten, bei einem völlig ungenügenden Denken einen überschwenglichen
Enthusiasmus hervorriefen und die grenzenlose Sehnsucht nach Italien
zur Folge hatten.

In meiner frühsten Jugend ward ich nichts Plastisches in meiner
Vaterstadt gewahr; in Leipzig machte zuerst der gleichsam tanzend
auftretende, die Zimbeln schlagende Faun einen tiefen Eindruck, so daß
ich mir den Abguß noch jetzt in seiner Individualität und Umgebung
denken kann. Nach einer langen Pause ward ich auf einmal in das volle
Meer gestürzt, als ich mich von der Mannheimer Sammlung in dem von
oben wohlbeleuchteten Saale plötzlich umgeben sah.

Nachher fanden sich Gipsgießer in Frankfurt ein, sie hatten sich mit
manchen Originalabgüssen über die Alpen begeben, welche sie sodann
abformten und die Originale für einen leidlichen Preis abließen. So
erhielt ich einen ziemlich guten Laokoons-Kopf, Niobes Töchter, ein
Köpfchen, später für eine Sappho angesprochen, und noch sonst einiges.
Diese edlen Gestalten waren eine Art von heimlichem Gegengift, wenn
das Schwache, Falsche, Manierierte über mich zu gewinnen drohte.
Eigentlich aber empfand ich immer innerliche Schmerzen eines
unbefriedigten, sich aufs Unbekannte beziehenden, oft gedämpften und
immer wieder auflebenden Verlangens. Groß war der Schmerz daher, als
ich, aus Rom scheidend, von dem Besitz des endlich Erlangten,
sehnlichst Gehofften mich lostrennen sollte.



Die Gesetzlichkeit der Pflanzenorganisation, die ich in Sizilien
gewahr worden, beschäftigte mich zwischen allem durch, wie es
Neigungen zu tun pflegen, die sich unsres Innern bemächtigen und sich
zugleich unsern Fähigkeiten angemessen erzeigen. Ich besuchte den
botanischen Garten, welcher, wenn man will, in seinem veralteten
Zustande geringen Reiz ausübte, auf mich aber doch, dem vieles, was er
dort vorfand, neu und unerwartet schien, einen günstigen Einfluß hatte.
Ich nahm daher Gelegenheit, manche seltenere Pflanzen um mich zu
versammeln und meine Betrachtungen darüber fortzusetzen, sowie die von
mir aus Samen und Kernen erzogenen fernerhin pflegend zu beobachten.

In diese letzten besonders wollten bei meiner Abreise mehrere Freunde
sich teilen. Ich pflanzte den schon einigermaßen erwachsenen
Piniensprößling, Vorbildchen eines künftigen Baumes, bei Angelika in
den Hausgarten, wo er durch manche Jahre zu einer ansehnlichen Höhe
gedieh, wovon mir teilnehmende Reisende zu wechselseitigem Vergnügen,
wie auch von meinem Andenken an jenem Platze, gar manches zu erzählen
wußten. Leider fand der nach dem Ableben jener unschätzbaren Freundin
eintretende neue Besitzer es unpassend, auf seinen Blumenbeeten ganz
unörtlich Pinien hervorwachsen zu sehen. Späterhin fanden
wohlwollende, darnach forschende Reisende die Stelle leer und hier
wenigstens die Spur eines anmutigen Daseins ausgelöscht.

Glücklicher waren einige Dattelpflanzen, die ich aus Kernen gezogen
hatte. Wie ich denn überhaupt die merkwürdige Entwicklung derselben
durch Aufopferung mehrerer Exemplare von Zeit zu Zeit beobachtete; die
überbliebenen, frisch aufgeschossenen übergab ich einem römischen
Freunde, der sie in einen Garten der Sixtinischen Straße pflanzte, wo
sie noch am Leben sind, und zwar bis zur Manneshöhe herangewachsen,
wie ein erhabener Reisende mir zu versichern die Gnade hatte. Mögen
sie den Besitzern nicht unbequem werden und fernerhin zu meinem
Andenken grünen, wachsen und gedeihen!



Auf dem Verzeichnisse, was vor der Abreise von Rom allenfalls
nachzuholen sein möchte, fanden sich zuletzt sehr disparate
Gegenstände, die Cloaca Massima und die Katakomben bei St. Sebastian.
Die erste erhöhte wohl noch den kolossalen Begriff, wozu uns Piranesi
vorbereitet hatte; der Besuch des zweiten Lokals geriet jedoch nicht
zum besten, denn die ersten Schritte in diese dumpfigen Räume erregten
mir alsobald ein solches Mißbehagen, daß ich sogleich wieder ans
Tageslicht hervorstieg und dort im Freien in einer ohnehin unbekannten,
fernen Gegend der Stadt die Rückkunft der übrigen Gesellschaft
abwartete, welche, gefaßter als ich, die dortigen Zustände getrost
beschauen mochte.

In dem großen Werke "Roma sotterranea, di Antonio Bosio Romano"
belehrt' ich mich lange Zeit nachher umständlich von allem dem, was
ich dort gesehen oder auch wohl nicht gesehen hätte, und glaubte mich
dadurch hinlänglich entschädigt.

Eine andere Wallfahrt wurde dagegen mit mehr Nutzen und Folge
unternommen: es war zu der Akademie S. Luca, dem Schädel Raffaels
unsre Verehrung zu bezeigen, welcher dort als ein Heiligtum aufbewahrt
wird, seitdem er aus dem Grabe dieses außerordentlichen Mannes, das
man bei einer baulichen Angelegenheit eröffnet hatte, daselbst
entfernt und hierher gebracht worden.

Ein wahrhaft wundersamer Anblick! Eine so schön als nur denkbar
zusammengefaßte und abgerundete Schale, ohne eine Spur von jenen
Erhöhungen, Beulen und Buckeln, welche, später an andern Schädeln
bemerkt, in der Gallischen Lehre zu so mannigfaltiger Bedeutung
geworden sind. Ich konnte mich von dem Anblick nicht losreißen und
bemerkte beim Weggehen, wie bedeutend es für Natur--und Kunstfreunde
sein müßte, einen Abguß davon zu haben, wenn es irgend möglich wäre.
Hofrat Reiffenstein, dieser einflußreiche Freund, gab mir Hoffnung und
erfüllte sie nach einiger Zeit, indem er mir wirklich einen solchen
Abguß nach Deutschland sendete, dessen Anblick mich noch oft zu den
mannigfaltigsten Betrachtungen aufruft.

Das liebenswürdige Bild von des Künstlers Hand, St. Lucas, dem die
Mutter Gottes erscheint, damit er sie in ihrer vollen göttlichen
Hoheit und Anmut wahr und natürlich darstellen möge, gewährte den
heitersten Anblick. Raffael selbst, noch jung, steht in einiger
Entfernung und sieht dem Evangelisten bei der Arbeit zu. Anmutiger
kann man wohl nicht einen Beruf, zu dem man sich entschieden
hingezogen fühlt, ausdrücken und bekennen.

Peter von Cortona war ehmals der Besitzer dieses Werks und hat solches
der Akademie vermacht. Es ist freilich an manchen Stellen beschädigt
und restauriert, aber doch immer ein Gemälde von bedeutendem Wert.



In diesen Tagen jedoch ward ich durch eine ganz eigene Versuchung
geprüft, die meine Reise zu verhindern und mich in Rom aufs neue zu
fesseln drohte. Es kam nämlich von Neapel Herr Antonio Rega, Künstler
und ebenfalls Kunsthändler, zu Freund Meyer, ihm vertraulich
ankündigend, er sei mit einem Schiffe hier angekommen, welches draußen
an Ripa grande liege, wohin er ihn mitzugehen hiedurch einlade, denn
er habe auf demselben eine bedeutende antike Statue, jene Tänzerin
oder Muse, welche in Neapel im Hofe des Palasts Caraffa Colombrano
nebst andern in einer Nische seit undenklichen Jahren gestanden und
durchaus für ein gutes Werk gehalten worden sei. Er wünsche diese zu
verkaufen, aber in der Stille, und frage deshalb an, ob nicht etwa
Herr Meyer selbst oder einer seiner vertrauten Freunde sich zu diesem
Handel entschließen könnte. Er biete das edle Kunstwerk zu einem auf
alle Fälle höchst mäßigen Preise von dreihundert Zechinen, welche
Forderung sich ohne Frage erhöhen möchte, wenn man nicht in Betracht
der Verkäufer und des Käufers mit Vorsicht zu verfahren Ursache hätte.

Mir ward die Sache sogleich mitgeteilt, und wir eilten selbdritte zu
dem von unsrer Wohnung ziemlich entfernten Landungsplatz. Rega hub
sogleich ein Brett von der Kiste, die auf dem Verdeck stand, und wir
sahen ein allerliebstes Köpfchen, das noch nie vom Rumpfe getrennt
gewesen, unter freien Haarlocken hervorblickend, und nach und nach
aufgedeckt eine lieblich bewegte Gestalt, im anständigsten Gewande,
übrigens wenig versehrt und die eine Hand vollkommen gut erhalten.

Sogleich erinnerten wir uns recht gut, sie an Ort und Stelle gesehen
zu haben, ohne zu ahnen, daß sie uns je so nah kommen könnte.

Hier nun fiel uns ein, und wem hätte es nicht einfallen sollen:
"Gewiß", sagten wir, "wenn man ein ganzes Jahr mit bedeutenden Kosten
gegraben hätte und zuletzt auf einen solchen Schatz gestoßen wäre, man
hätte sich höchst glücklich gefunden." Wir konnten uns kaum von der
Betrachtung losreißen, denn ein so reines, wohlerhaltenes Altertum in
einem leicht zu restaurierenden Zustande kam uns wohl niemals zu
Gesicht. Doch schieden wir zuletzt mit Vorsatz und Zusage, baldigste
Antwort vernehmen zu lassen.






Wir waren beiderseits in einem wahrhaften Kampf begriffen, es schien
uns in mancher Betrachtung unrätlich, diesen Ankauf zu machen; wir
entschlossen uns daher, den Fall der guten Frau Angelika zu melden,
als wohl vermögend zum Ankauf und durch ihre Verbindung zu
Restauration und sonstigen Vorkommenheiten hinlänglich geeignet.
Meyer übernahm die Meldung, wie früher die wegen des Bildes von Daniel
von Volterra, und wir hofften deshalb das beste Gelingen. Allein die
umsichtige Frau, mehr aber noch der ökonomische Gemahl lehnten das
Geschäft ab, indem sie wohl auf Malereien bedeutende Summen
verwendeten, sich aber auf Statuen einzulassen keineswegs den
Entschluß fassen könnten.

Nach dieser ablehnenden Antwort wurden wir nun wieder zu neuer
überlegung aufgeregt; die Gunst des Glückes schien ganz eigen; Meyer
betrachtete den Schatz noch einmal und überzeugte sich, daß das
Bildwerk nach seinen Gesamtzeichen wohl als griechische Arbeit
anzuerkennen sei, und zwar geraume Zeit vor Augustus hinauf,
vielleicht bis an Hiero II. geordnet werden könnte.

Den Kredit hatte ich wohl, dieses bedeutende Kunstwerk anzuschaffen,
Rega schien sogar auf Stückzahlung eingehen zu wollen, und es war ein
Augenblick, wo wir uns schon im Besitz des Bildnisses und solches in
unserm großen Saal wohlbeleuchtet aufgestellt zu sehen glaubten.

Wie aber denn doch zwischen einer leidenschaftlichen Liebesneigung und
einem abzuschließenden Heiratskontrakt noch manche Gedanken sich
einzudringen pflegen, so war es auch hier, und wir durften ohne Rat
und Zustimmung unsrer edlen Kunstverwandten, des Herrn Zucchi und
seiner wohlmeinenden Gattin, eine solche Verbindung nicht unternehmen,
denn eine Verbindung war es im ideell-pygmalionischen Sinne, und ich
leugne nicht, daß der Gedanke, dieses Wesen zu besitzen, bei mir tiefe
Wurzel gefaßt hatte. Ja, als ein Beweis, wie sehr ich mir hierin
schmeichelte, mag das Bekenntnis gelten, daß ich dieses Ereignis als
einen Wink höherer Dämonen ansah, die mich in Rom festzuhalten und
alle Gründe, die mich zum Entschluß der Abreise vermocht, auf das
tätigste niederzuschlagen gedächten.

Glücklicherweise waren wir schon in den Jahren, wo die Vernunft dem
Verstand in solchen Fällen zu Hülfe zu kommen pflegt, und so mußte
denn Kunstneigung, Besitzeslust und was ihnen sonst beistand,
Dialektik und Aberglaube, vor den guten Gesinnungen weichen, welche
die edle Freundin Angelika mit Sinn und Wohlwollen an uns zu wenden
die Geneigtheit hatte. Bei ihren Vorstellungen traten daher aufs
klarste die sämtlichen Schwierigkeiten und Bedenklichkeiten an den Tag,
die sich einem solchen Unternehmen entgegenstellten. Ruhige, bisher
den Kunst--und Altertumstudien sich widmende Männer griffen auf einmal
in den Kunsthandel ein und erregten die Eifersucht der zu solchem
Geschäft herkömmlich Berechtigten. Die Schwierigkeiten der
Restauration seien mannigfaltig, und es frage sich, inwiefern man
dabei werde billig und redlich bedient werden. Wenn ferner bei der
Absendung auch alles in möglichster Ordnung gehe, so könnten doch
wegen der Erlaubnis der Ausfuhr eines solchen Kunstwerkes am Schluß
noch Hindernisse entstehen, und was alsdann noch wegen der überfahrt
und des Anlandens und Ankommens zu Hause alles noch für
Widerwärtigkeiten zu befürchten seien. Über solche Betrachtungen,
hieß es, gehe der Handelsmann hinaus, sowohl Mühe als Gefahr setze
sich in einem großen Ganzen ins Gleichgewicht, dagegen sei ein
einzelnes Unternehmen dieser Art auf jede Weise bedenklich.

Durch solche Vorstellungen wurde denn nach und nach Begierde, Wunsch
und Vorsatz gemildert, geschwächt, doch niemals ganz ausgelöscht,
besonders da sie endlich zu großen Ehren gelangte; denn sie steht
gegenwärtig im Museo Pio-Clementino in einem kleinen angebauten, aber
mit dem Museum in Verbindung stehenden Kabinett, wo im Fußboden die
wunderschönen Mosaiken von Masken und Laubgewinden eingesetzt sind.
Die übrige Gesellschaft von Statuen in jenem Kabinett besteht 1) aus
der auf der Ferse sitzenden Venus, an deren Base der Name des Bupalus
eingegraben steht; 2) ein sehr schöner kleiner Ganymedes; 3) die
schöne Statue eines Jünglings, dem, ich weiß nicht ob mit Recht, der
Name Adonis beigelegt wird; 4) ein Faun aus Rosso Antico; 5) der ruhig
stehende Discobolus.

Visconti hat im dritten, gedachtem Museum gewidmeten Bande dieses
Denkmal beschrieben, nach seiner Weise erklärt und auf der dreißigsten
Tafel abbilden lassen; da denn jeder Kunstfreund mit uns bedauern kann,
daß es uns nicht gelungen, sie nach Deutschland zu schaffen und sie
irgendeiner vaterländischen großen Sammlung hinzuzugesellen.



Man wird es natürlich finden, daß ich bei meinen Abschiedsbesuchen
jene anmutige Mailänderin nicht vergaß. Ich hatte die Zeit her von
ihr manches Vergnügliche gehört: wie sie mit Angelika immer vertrauter
geworden und sich in der höhern Gesellschaft, wohin sie dadurch
gelangt, gar gut zu benehmen wisse. Auch konnte ich die Vermutung
nähren und den Wunsch, daß ein wohlhabender junger Mann, welcher mit
Zucchis im besten Vernehmen stand, gegen ihre Anmut nicht
unempfindlich und ernstere Absichten durchzuführen nicht abgeneigt sei.


Nun fand ich sie im reinlichen Morgenkleide, wie ich sie zuerst in
Castel Gandolfo gesehen; sie empfing mich mit offner Anmut und drückte
mit natürlicher Zierlichkeit den wiederholten Dank für meine Teilnahme
gar liebenswürdig aus. "Ich werd' es nie vergessen", sagte sie, "daß
ich, aus Verwirrung mich wieder erholend, unter den anfragenden
geliebten und verehrten Namen auch den Eurigen nennen hörte; ich
forschte mehrmals, ob es denn auch wahr sei. Ihr setztet Eure
Erkundigungen durch mehrere Wochen fort, bis endlich mein Bruder Euch
besuchend für uns beide danken konnte. Ich weiß nicht, ob er's
ausgerichtet hat, wie ich's ihm auftrug, ich wäre gern mitgegangen,
wenn sich's geziemte." Sie fragte nach dem Weg, den ich nehmen wollte,
und als ich ihr meinen Reiseplan vorerzählte, versetzte sie: "Ihr
seid glücklich, so reich zu sein, daß Ihr Euch dies nicht zu versagen
braucht; wir andern müssen uns in die Stelle finden, welche Gott und
seine Heiligen uns angewiesen. Schon lange seh' ich vor meinem
Fenster Schiffe kommen und abgehen, ausladen und einladen; das ist
unterhaltend, und ich denke manchmal, woher und wohin das alles?" Die
Fenster gingen gerade auf die Treppen von Ripetta, die Bewegung war
eben sehr lebhaft.

Sie sprach von ihrem Bruder mit Zärtlichkeit, freute sich, seine
Haushaltung ordentlich zu führen, ihm möglich zu machen, daß er bei
mäßiger Besoldung noch immer etwas zurück in einem vorteilhaften
Handel anlegen könne; genug, sie ließ mich zunächst mit ihren
Zuständen durchaus vertraut werden. Ich freute mich ihrer
Gesprächigkeit; denn eigentlich macht' ich eine gar wunderliche Figur,
indem ich schnell alle Momente unsres zarten Verhältnisses vom ersten
Augenblick an bis zum letzten mir wieder vorzurollen gedrängt war.
Nun trat der Bruder herein, und der Abschied schloß sich in
freundlicher, mäßiger Prosa.

Als ich vor die Türe kam, fand ich meinen Wagen ohne den Kutscher, den
ein geschäftiger Knabe zu holen lief. Sie sah heraus zum Fenster des
Entresols, den sie in einem stattlichen Gebäude bewohnten; es war
nicht gar hoch, man hätte geglaubt, sich die Hand reichen zu können.

"Man will mich nicht von Euch wegführen, seht Ihr", rief ich aus, "man
weiß, so scheint es, daß ich ungern von Euch scheide."

Was sie darauf erwiderte, was ich versetzte, den Gang des anmutigsten
Gespräches, das, von allen Fesseln frei, das Innere zweier sich nur
halbbewußt Liebenden offenbarte, will ich nicht entweihen durch
Wiederholung und Erzählung; es war ein wunderbares, zufällig
eingeleitetes, durch innern Drang abgenötigtes lakonisches
Schlußbekenntnis der unschuldigsten und zartesten wechselseitigen
Gewogenheit, das mir auch deshalb nie aus Sinn und Seele gekommen ist.



Auf eine besonders feierliche Weise sollte jedoch mein Abschied aus
Rom vorbereitet werden; drei Nächte vorher stand der volle Mond am
klarsten Himmel, und ein Zauber, der sich dadurch über die ungeheure
Stadt verbreitet, so oft empfunden, ward nun aufs eindringlichste
fühlbar. Die großen Lichtmassen, klar, wie von einem milden Tage
beleuchtet, mit ihren Gegensätzen von tiefen Schatten, durch Reflexe
manchmal erhellt, zur Ahnung des Einzelnen, setzen uns in einen
Zustand wie von einer andern, einfachern, größern Welt.

Nach zerstreuenden, mitunter peinlich zugebrachten Tagen macht' ich
den Umgang mit wenigen Freunden einmal ganz allein. Nachdem ich den
langen Korso, wohl zum letztenmal, durchwandert hatte, bestieg ich das
Kapitol, das wie ein Feenpalast in der Wüste dastand. Die Statue Mark
Aurels rief den Kommandeur in "Don Juan" zur Erinnerung und gab dem
Wanderer zu verstehen, daß er etwas Ungewöhnliches unternehme.
Dessenungeachtet ging ich die hintere Treppe hinab. Ganz finster,
finstern Schatten werfend, stand mir der Triumphbogen des Septimius
Severus entgegen; in der Einsamkeit der Via Sacra erschienen die sonst
so bekannten Gegenstände fremdartig und geisterhaft. Als ich aber den
erhabenen Resten des Koliseums mich näherte und in dessen
verschlossenes Innere durchs Gitter hineinsah, darf ich nicht leugnen,
daß mich ein Schauer überfiel und meine Rückkehr beschleunigte.

Alles Massenhafte macht einen eignen Eindruck zugleich als erhaben und
faßlich, und in solchen Umgängen zog ich gleichsam ein unübersehbares
Summa Summarum meines ganzen Aufenthaltes. Dieses, in aufgeregter


 


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