Mein Leben und Streben
by
Karl May

Part 5 out of 6



war ich nach einiger Zeit gezwungen, ihm meine
Mitarbeiterschaft zum zweiten Male aufzusagen. Das erste
Mal hatte ich es getan, als Heinrich Keiter noch lebte.
Dieser hatte mir eine meiner Arbeiten ganz bedeutend
gekuerzt, ohne mich um Erlaubnis zu fragen. Ich habe
Korrekturen und Kuerzungen nie geduldet. Der Leser soll
mich so kennen lernen, wie ich bin, mit allen Fehlern
und Schwaechen, nicht aber wie der Redakteur mich
zustutzt. Darum teilte ich Pustet mit, dass er von mir
kein Manuskript mehr zu erwarten habe. Er versuchte,
mich brieflich umzustimmen, doch vergeblich. Da kam er,
der alte Herr, persoenlich nach Radebeul. Das war
ruehrend, hatte aber auch keinen Erfolg. Er schickte dann
seinen Neffen, ganz selbstverstaendlich mit demselben
negativen Resultate, denn sie beide waren es doch nicht, die
sich an meinen Rechten vergriffen hatten. Da kam der
Richtige, Heinrich Keiter selbst. Er versprach mir, dass
es nie wieder geschehen solle, und daraufhin nahm ich
meine Absage zurueck. Man hat mir das von gewisser
Seite bis heut noch nicht vergessen. Man drueckt das
folgendermassen aus: "Heinrich Keiter hat Kotau vor
Karl May machen muessen." Ich besitze hierueber
Zuschriften aus nicht gewoehnlichen Haenden. Aber er trug
selbst die Schuld, nicht ich. Ich habe Heinrich Keiter
geachtet, wie Jedermann ihn achtete. Ich erkenne alle
seine Verdienste an, und es tut mir noch leid, dass ich
damals gezwungen war, Charakter zu zeigen. Es ging
nicht anders. Ich musste die Buchform meiner
"Reiseerzaehlungen" nach dem Texte des "Hausschatzes" drucken
lassen und durfte darum nicht zugeben, dass an meinen
Manuskripten herumgeaendert wurde.

Spaeter schrieb ich fuer Pustet meinen vierbaendigen
Roman "Im Reiche des silbernen Loewen". Ich war
grad bis zum Schluss des zweiten Bandes gelangt, da
bekam ich von befreundeten Redaktionen einen Waschzettel
des "Hausschatzes" geschickt, dessen Inhalt mich
veranlasste, meine damalige Absage zu wiederholen. Ich
telegraphierte Pustet, dass ich mitten in der Arbeit
aufhoeren muesse und kein Wort weiter fuer ihn schreiben
werde. Er musste mir sogar das in seinen Haenden befindliche,
noch ungedruckte Manuskript wieder senden, wofuer
ich ihm das darauf entfallende Honorar wiederschickte.
Ich wuerde hierueber kein Wort verlieren, wenn
mir nicht vor kurzer Zeit, allerdings von sehr unmassgeblicher
Seite, mit Enthuellungen aus jener Zeit gedroht
worden waere. Ich habe darum die Gelegenheit wahrgenommen,
hier die Wahrheit festzustellen. Und ich stelle
zugleich noch weiter fest, dass ich mit Herrn Kommerzienrat
Pustet niemals persoenlich gebrochen habe und eine
aufrichtige Freude und Genugtuung empfand, als er
nach einer Reihe von ungefaehr zehn Jahren seinen jetzigen
Hausschatzredakteur, Herrn Koeniglichen Wirklichen Rat
Dr. Otto Denk, zu mir nach Hotel Leinfelder in Muenchen
sandte, um mich zu veranlassen, wieder Mitarbeiter des
"Hausschatzes" zu werden. Ich habe ihm daraufhin den
"Mir von Dschinnistan" geschrieben.

Damit bin ich den mir gemachten Vorwuerfen der
Cardaunsschen "abgrundtiefen Unsittlichkeit" vorausgeeilt
und kehre nun zu ihnen zurueck, um dieser Angelegenheit
auf Grund und Wurzel zu gehen. Der Grund heisst
Muenchmeyer, und die Wurzel heisst ebenso. Die hierher
gehoerigen Tatsachen bilden eine ueber dreissig Jahre lange
Kette, deren Ringe logisch, geschaeftlich und juristisch
innig ineinander greifen. Das Meiste von ihnen ist
erwiesen. Einiges liegt noch in den Akten, um an das
Tageslicht gezogen zu werden. Ich bin nicht gewillt,
den laufenden Prozessen vorzugreifen, und werde also
nur diejenigen Punkte besprechen, ueber die volle Klarheit
herrscht.

Ich habe bereits gesagt, dass Muenchmeyer meine
Vorstrafen kannte. Er wusste sogar Alles, was man
hinzugelogen hatte. Er wuenschte sehr, dass ich einen
Roman hierueber schreiben moechte; ich lehnte das aber
entschieden ab. Ich habe im Kreise seiner Familie und
Bekannten meine Vergangenheit nicht verheimlicht, sondern
ganz unbefangen davon erzaehlt und meine Ansichten
ueber Verbrecher und Verbrechen, Schuld, Strafe und
Strafvollzug ausfuehrlich dargelegt. Kein einziges Glied
der Muenchmeyerschen Familie darf behaupten, nicht
davon gewusst zu haben. Auch die Arbeiter der Firma
erfuhren es, Setzer, Drucker und alle Andern, ebenso die
mitarbeitenden Schriftsteller. "May ist bestraft; er hat
gesessen," das drang bald leiser, bald lauter, aber ueberall
durch. Es ist also grundfalsch, jetzt nun von ploetzlichen
"Enthuellungen" oder gar von meiner "Entlarvung" zu
sprechen. Wer behauptet, er habe mich entlarvt, der luegt.

Wichtig ist, dass Muenchmeyer eine ganz ausgesprochene
geschaeftliche Vorliebe grad fuer bestrafte Mitarbeiter
hatte. Geht man die Schriftsteller und Schriftstellerinnen
durch, die fuer ihn geschrieben haben, so bilden die
Bestraften einen ganz bedeutenden Prozentsatz von ihnen.
Das bemerkte ich schon bald, nachdem ich bei ihm
eingetreten war. Auch Walter, sein Hauptfaktotum, von
dem er alles tun liess, was Niemand wissen durfte, war
vorbestraft. Gleich nach meiner Uebernahme der Redaktion
brachte er mir einen Wiener Postbeamten, der sich
an der Kasse vergriffen hatte, als Mitarbeiter. Als sich
aehnliche Faelle wiederholten und ich ihn nach seinen
Gruenden fragte, antwortete er: "Mit einem Schriftsteller,
der bestraft worden ist, kann man machen, was
man will, denn er fuerchtet, dass seine Vorstrafen verraten
werden." "Also auch ich?!" rief ich aus, erstaunt
ueber diese Aufrichtigkeit. "Unsinn!" entgegnete er. "Mit
Ihnen ist das etwas ganz Anderes. Wir sind Freunde!
Und Sie sind doch kein gewoehnlicher Mensch, der mit
sich machen laesst, was man will! Selbst wenn ich Sie
nicht aufrichtig lieb haette, bei Ihnen zoege man den
Kuerzern!" Er gab sich Muehe, das in mir erwachte
Misstrauen zu beseitigen, aber es wollte doch nicht ganz
verschwinden und trug auch mit dazu bei, dass ich kuendigte
und wegen des Heiratsangebotes die Redaktion aufgab.
Auch spaeter, als ich nach sechs Jahren das "Waldroeschen"
fuer ihn zu schreiben begann, tauchte dieses Bedenken
gegen ihn wieder in mir auf. Aber die Ausnahmestellung,
die er mir persoenlich und geschaeftlich bei sich
einraeumte, das Ausnahmehonorar, welches er mir zahlte,
und vor allen Dingen die Einwuerfe, die mir meine Frau
bei jeder Gelegenheit gegen mein Misstrauen machte, das
alles wirkte dahin, dass ich schliesslich zu meinem frueheren
Vertrauen zurueckkehrte.

Dass ich von meinen Muenchmeyerschen Romanen
keine Korrekturen zu lesen und also auch meine Manuskripte
nicht mehr zurueckbekam, habe ich bereits erwaehnt.
Ich konnte also nicht kontrollieren, ob der Druck mit
meinem Originalmanuskript uebereinstimmte. Doch war
mir hier so bestimmt Ehrlichkeit versprochen worden, dass
ich einen Betrug fuer ausgeschlossen hielt. Auch dass
Muenchmeyer spaeter einmal behaupten koenne, meine Romane mit
allen Rechten nicht bloss bis zum zwanzigtausendsten
Abonnenten, sondern fuer immer erworben zu haben, erschien
mir als unmoeglich, denn erstens hatte ich mir alle seine
Briefe aufgehoben, in denen er Alles, was wir schriftlich
miteinander ausgemacht hatten, nach und nach wiederholte,
und zweitens hatte ich auch noch einen andern vollgueltigen
Beweis in der Hand, dass er diese Rechte nicht fuer immer
besass. Er hatte naemlich den schriftlichen Versuch gemacht,
diese Rechte noch nachtraeglich zu erwerben. Er hatte das
durch einen Revers getan, den er mir durch jenes
vorbestrafte Faktotum Walter schickte und zur Unterschrift
vorlegen liess. Ich wies aber diesen ausserordentlich
pfiffigen Boten mit seinem Revers zurueck. Dieser Walter
war es auch, durch den ich auf meine Anfragen immer
die schriftliche oder muendliche Versicherung bekam, dass
die Zwanzigtausend noch nicht erreicht sei. Uebrigens
hatte ich nicht die geringste Sorge, weder um meine Rechte
noch um meine "feinen Gratifikationen". Meine Rechte
waren mir sicher, und Muenchmeyers standen sich jetzt in
pekuniaerer Beziehung so, dass sie, wie ich glaubte, mehr
als bloss zahlungsfaehig waren. Dass er mit schlechtgehenden
Romanen wieder verlor, was er an gutgehenden
verdiente, und dass er sich auf Wechselreitereien eingelassen
hatte, durch welche seine Kapitalkraft arg geschaedigt wurde,
davon wusste ich nichts. Ich war also ueberzeugt, ruhig
warten zu koennen und gar keine Veranlassung zu haben,
verfruehte und darum beleidigende Forderungen zu stellen.
Uebrigens war meine Frau so vollstaendig gegen alles
geschaeftliche Draengen und Treiben, dass ich nun auch um
den aeusseren haeuslichen Frieden besorgt sein musste, falls
ich gegen Muenchmeyer nicht so nachsichtig war, wie sie
wuenschte. Auch behaupten die Kolportageverleger, dass
es in ihrer Buchfuehrung viel schwieriger sei und viel
laengere Zeit erfordere, als bei andern Verlegern,
nachzuweisen, wieviel feste Abonnenten man habe. Es springen
bestaendig welche ab, und es kommen bestaendig welche
hinzu, darum hatte ich Geduld.

Im Jahre 1891 lernte ich meinen jetzigen Verleger
F. E. Fehsenfeld, Freiburg, Breisgau, kennen. Ich
uebergab ihm den Buchverlag der bei Pustet in Regensburg
erschienenen Werke und vereinbarte mit ihm, nach diesen
dann auch die Muenchmeyerschen herauszugeben. Er nahm
die ersten sofort in Angriff, und sie gingen ausgezeichnet.
Wir waren beide ueberzeugt, dass wir mit den Muenchmeyerschen
nicht weniger Erfolg haben wuerden, stellten
die letzteren aber bis zur Vollendung der Pustetschen
Serie zurueck. Jede der beiden Serien sollte dreissig
Baende umfassen. Was daran fehlte, hatte ich noch
hinzuzuschreiben. Das ergab fuer die Pustetsche Serie ungefaehr
zehn Baende, die ich noch zu liefern hatte. Das war eine
Arbeit, die mir keine Zeit liess, mich jetzt um meine
Muenchmeyerschen Sachen zu bekuemmern. Darum musste mich
auch die unerwartete Nachricht, dass Muenchmeyer ploetzlich
gestorben sei, geschaeftlich vollstaendig gleichgueltig lassen.
Ich erkundigte mich nur nach seiner Nachfolge, und als
ich hoerte, dass seine Witwe das Geschaeft im Namen der
Erben weiterfuehre, war ich fuer mich beruhigt.

Da geschah etwas Ueberraschendes. Frau Pauline
Muenchmeyer schickte mir einen Boten, der den Auftrag
hatte, mich auszuforschen, ob ich vielleicht geneigt sein
werde, ihr einen neuen Roman zu schreiben. Dieser Bote
war auch ein "Vorbestrafter". Ich liess ihn unverrichteter
Sache wieder gehen, ohne ueber die Ursache seiner Sendung
besonders nachzudenken. Ich wusste damals nicht, was
ich erst viel spaeter erfuhr, naemlich dass es mit
Muenchmeyers nicht so glaenzend stand, wie ich dachte. Man
hatte einen Familienrat gehalten und war zu dem
Entschlusse gelangt, durch einen neuen Roman von Karl
May die Lage zu verbessern. Ich hatte weder Zeit
noch Lust, ihn zu schreiben, beschloss aber fuer den Fall,
dass man den Versuch erneuern werde, trotzdem in Verhandlungen
einzutreten, um ueber die Erfolge meiner bisherigen
Romane etwas Bestimmtes zu erfahren. Und die
Wiederholung des Versuches kam. Frau Muenchmeyer
stellte sich selbst und persoenlich bei uns ein. Sie besuchte
uns wiederholt. Sie bat. Sie bot sogar Vorausbezahlung
des Honorars. Sie schickte auch das Faktotum Walter
und liess Briefe durch ihn schreiben. Ich gab den Bescheid,
dass ich nicht eher etwas Neues liefern koenne, als
bis ueber das Alte volle Klarheit geschafft worden sei.
Ich muesse unbedingt erst wissen, wie es mit der
Abonnentenzahl meiner fuenf Romane stehe; die Zwanzigtausend
muesse doch schon laengst erreicht worden sein. Frau
Muenchmeyer versprach Bescheid. Sie lud mich und meine Frau
zum Essen zu sich ein, um da diesen Bescheid zu erteilen.
Wir stellten uns ein. Sie gestand ein, dass die Zwanzigtausend
erreicht seien, und zwar bei allen Romanen, nicht
nur bei einem; nur muesse es erst noch genau berechnet
werden, und das sei in der Kolportage so ungemein
schwierig und zeitraubend. Ich moege mich also in Geduld
fassen. Was meine Rechte betreffe, so fallen diese mir
hiermit wieder zu, ich koenne die Romane nun ganz fuer
mich verwenden. Da forderte ich sie auf, mir meine
Manuskripte zu schicken, nach denen ich setzen und drucken
lassen werde. Sie sagte, die seien verbrannt; sie werde
mir an ihrer Stelle die gedruckten Romane senden und
sie vorher extra fuer mich in Leder binden lassen. Das
geschah. Nach kurzer Zeit kamen die Buecher durch die
Post; ich war wieder Herr meiner Werke -- -- -- so
glaubte ich! Freilich war es mir unmoeglich, sie sofort
herauszugeben, weil die Pustetschen vorher zu erscheinen
hatten. Ich legte die Buecher also fuer einstweilen zurueck,
ohne mich mit der Pruefung ihres Inhaltes befassen
zu koennen. Ich hatte meinen Zweck erreicht, und von
der Abfassung eines neuen Romanes war keine Rede
mehr. Frau Muenchmeyer liess nichts mehr von sich hoeren.
Ich schrieb das auf Rechnung des Umstandes, dass nun
doch die "feinen Gratifikationen" faellig waren, deren
Zahlung man mit Schweigen zu umgehen suchte. Ich
aber draengte nicht; ich hatte mehr zu tun und brauchte
das Geld nicht zur Not. Ich will den Umstand nicht
uebergehen, dass meine Frau waehrend dieser ganzen Zeit
sich alle Muehe gab, mich von geschaeftlicher Strenge gegen
Frau Muenchmeyer abzuhalten. Diese ihre Vorliebe fuer
Muenchmeyer und seine Witwe bilden den Hauptgrund
der sonst unbegreiflichen Nachsicht, die ich uebte.

Ich stand grad im Begriff, eine laengere Reise nach
dem Orient anzutreten, als ich erfuhr, dass Frau Muenchmeyer
ihr Geschaeft verkaufen wollte. Ich schrieb ihr sofort
einen Brief, in dem ich sie warnte, etwa meine Romane
mit zu verkaufen. Ich legte ihr alles hierauf Bezuegliche
dar und ging zunaechst nach Oberaegypten. Von dort nach
Kairo zurueckgekehrt, fand ich Briefe vor, aus denen ich
erfuhr, dass der Verkauf trotz meiner Warnung geschehen
sei; der Verkaeufer [sic] heisse Fischer. Ich zoegerte nicht, an
diesen Herrn zu schreiben. Er antwortete mir im
Kolportageton, dass er das Muenchmeyersche Geschaeft nur wegen
der Romane von Karl May gekauft habe. Alles Andere
sei nichts wert. Er werde diese meine Sachen so
ausbeuten, wie es nur moeglich sei, und mich, falls ich ihn
daran hindere, auf Schadenersatz verklagen. Dieser Ton
fiel mir auf. In dieser Weise pflegt man nur mit sehr
minderwertigen Menschen zu sprechen. Ich musste diesem
mir vollstaendig unbekannten Herrn Fischer in einer Art
geschildert worden sein, die ihn zu dieser Achtungslosigkeit
verleitete. Ich forderte meine Frau auf, mir ueber diesen
Fall sofort und so ausfuehrlich wie moeglich zu berichten.
Ich gab ihr zu diesem Zwecke meine Reiseroute genau an.
Ich wartete in Kairo sechs Wochen, in Beirut vierzehn
Tage, in Jerusalem mehrere Wochen. Ich schrieb und
telegrafierte, doch vergebens; es kam kein Bericht. Endlich
erhielt ich einige Zeilen, in denen sie mir sagte, dass
sie in Paris gewesen sei, aber weiter nichts. Als in
Massaua, der Hauptstadt von Erythraea am roten Meere, mein
arabischer Diener mir die Post brachte, quoll mir eine
Menge deutscher Zeitungen entgegen, aus denen ich, der
gar nichts Ahnende, ersah, was sich in der Heimat
inzwischen gegen mich ereignet hatte. Fischer hatte meine
Abwesenheit benutzt, mit einer illustrierten Ausgabe meiner
Muenchmeyerschen Romane zu beginnen, und zwar mit
derartigen Reklametrompetenstoessen, dass alle Welt auf
dieses Unternehmen aufmerksam werden musste. Mein
Name war genannt, obgleich ich diese Romane, nur einen
ausgenommen, pseudonym geschrieben und Muenchmeyer
verpflichtet hatte, diese Pseudonymitaet auf keinen Fall
zu brechen. Zugleich stellte sich heraus, dass mit den
Romanen eine Umarbeitung vorgenommen werden sollte.
Mir wurde himmelangst. Ich schrieb heim und beauftragte
einen dortigen Freund, dem ich vollstaendig vertrauen
konnte, sich einen Rechtsanwalt zu Hilfe zu nehmen
und meine Sache bis zu meiner Heimkehr zu fuehren, wenn
noetig sogar gerichtlich.

Dieser Freund hiess Richard Ploehn und war der
Besitzer der "Saechsischen Verbandstoffabrik" in Radebeul,
die er gegruendet hatte. Man wird bald sehen, warum
ich fuer kurze Zeit bei ihm verweile. Er war ausserordentlich
gluecklich verheiratet. Seine Familie bestand nur aus
ihm, seiner Frau und seiner Schwiegermutter. Wir waren
so innig mit einander befreundet, dass wir einander Du
nannten und, sozusagen, eine einzige Familie bildeten.
Aber ausser zu mir auch noch zu meiner Frau Du zu
sagen, das brachte Ploehn nicht fertig. Er versicherte, dass
ihm dies unmoeglich sei. Frau Ploehn ist jetzt meine Frau.
Es ist mir also nicht erlaubt, von ihren Eigenschaften oder
gar Vorzuegen zu sprechen. Die letzteren waren rein seelische.
Meine damalige Frau hat nie in einem meiner Buecher
gelesen. Der Zweck und Inhalt meiner Schriften war ihr
ebenso unbekannt und gleichgueltig wie meine Ziele und
Ideale ueberhaupt. Frau Ploehn aber war begeisterte Leserin
von mir und besass ein sehr ernstes und tiefes Verstaendnis
fuer all mein Hoffen, Wuenschen und Wollen. Ihr Mann
freute sich darueber. Er sah mein Ringen, mein angestrengtes
Arbeiten, oft dreimal woechentlich die ganze Nacht
hindurch, keine helfende Hand, kein warmer Blick, kein
aufmunterndes Wort; ich stand innerlich allein, allein,
allein, wie stets und allezeit. Das tat ihm wehe. Er
versuchte, durch seine Frau auf die meinige einzuwirken,
damit diese mir wenigstens die stoerende Korrespondenz
abnahm, vergeblich. Da bat er mich, seiner Frau zu
erlauben, dass diese es tue; das werde fuer sie und ihn
eine grosse Freude sein. Ich gestattete es den beiden
guten Menschen. Von da an lag mein Briefwechsel in
der Hand von Frau Ploehn. Tausenden von Leserinnen
und Lesern ist ueber der Unterschrift von "Emma May"
geantwortet worden, ohne dass sie wussten, dass es nicht
meine Frau, sondern eine schwesterliche Helferin war,
die mir meine Last erleichterte. Sie arbeitete sich mehr
und mehr in meine Gedankenwelt und meinen Briefwechsel
ein, so dass ich ihr schliesslich die ganze, umfangreiche
Korrespondenz getrost ueberlassen konnte. Ihr Mann
war stolz darauf. Noch stolzer fast war ihre Mutter,
eine einfach gewoehnte, sehr arbeitsame, praktische Frau,
die gar zu gern auch mitgeholfen haette, wenn es moeglich
gewesen waere, denn auch sie besass eine Seele, die nicht
unten bleiben wollte, sondern nach oben strebte.

Also diesen Freund beauftragte ich, meine Angelegenheit
so kraeftig wie moeglich in die Hand zu nehmen, und
er tat es, so gut er konnte. Er uebergab die prozessuale
Durchfuehrung einem Dresdener Rechtsanwalt und
benachrichtigte die gesamte deutsche Presse davon, dass ich
augenblicklich in Asien sei, nach meiner Heimkehr aber
nicht zoegern werde, mich bei der beabsichtigten
Vergewaltigung zu erwehren. Mehr konnte fuer den Augenblick
nicht getan werden, weil es mir unmoeglich war, meine
Reise abzubrechen. Von meiner Frau bekam ich keine
Nachricht. Es war ihr unmoeglich, sich um so ernste,
geschaeftliche Angelegenheiten zu bekuemmern. Ploehns aber
schrieben, doch konnten mich diese Briefe erst in Padang
auf der Insel Sumatra erreichen. Sie lauteten
aufregend. Die Presse hatte begonnen, sich mit meinen
Muenchmeyerschen Romanen zu beschaeftigen, und zwar in
einer fuer mich unguenstigen Weise. Es wurden Geruechte
ueber mich verbreitet, die teils laecherlich, teils gewissenlos
waren. Man las in den Zeitungen, dass ich mich gar
nicht im Orient befinde, sondern mich wegen einer
boesartigen Krankheit im Jodbad Toelz, Oberbayern, versteckt
habe. Haette ich geahnt, dass das in dieser luegenhaften,
gehaessigen und boeswilligen Weise ein ganzes Jahrzehnt
weitergehen werde, so wuerde ich meine Reise doch
unterbrochen und schleunigst nach Hause zurueckgekehrt sein.
Haette ich das getan, so waeren mir alle die unmenschlichen
Martern und Qualen, die ich waehrend dieser langen
Zeit ausgestanden habe, erspart geblieben. Leider aber
wusste ich damals noch nicht, was mit meinen Romanen
vorgegangen war und welche Leitgedanken im Muenchmeyerschen
Geschaeft ueber mich kursiert hatten und heute
noch kursierten. Ich glaubte, die Sache noch aus der
Ferne beilegen zu koennen und hielt nichts weiter fuer
noetig, als eine genaue Information, aus der sich die
einzuschlagenden Schritte zu ergeben haetten. Ich schrieb
also heim, dass meine Frau mit Ploehns nach Aegypten
kommen moechte, wo ich in Kairo mit ihnen zusammentreffen
wuerde. Sie kamen, aber sehr verspaetet, weil
Ploehn unterwegs krank geworden war. Was ich von
ihnen erfuhr, lautete keineswegs guenstig und klang
ausserdem sehr unbestimmt. Der Rechtsanwalt stand immer
noch erst bei den Vorbereitungen. Fischer hatte erklaert,
sich auf das Aeusserste wehren zu wollen; meine Romane
habe er von Frau Muenchmeyer gekauft; sie seien sein
wohlerworbenes, bar bezahltes Eigentum, mit dem er
machen koenne, was er wolle. Die Zeitungen waren
gegen mich eingenommen. Meine Muenchmeyerschen
Romane wurden als Schundromane bezeichnet. Ich sah
ein, dass ein Prozess mit Muenchmeyers nicht zu umgehen
war, und fragte meine Frau nach den fuer mich hierzu
noetigen Dokumenten.

Ich habe bereits gesagt, dass ich mir Muenchmeyers
Briefe aufgehoben hatte. Ihr Inhalt war fuer einen
Prozess gegen Muenchmeyer derart beweiskraeftig, dass ich
ihn glattweg gewinnen musste. Diese Briefe waren nebst
andern gleichwichtigen Sachen in einem bestimmten
Schreibtischkasten aufbewahrt. Ich hatte vor meiner
Abreise meine Frau auf diesen Kasten und seinen Inhalt
ganz besonders aufmerksam gemacht, ihr den Zweck der
Briefe ganz besonders erklaert und sie aufgefordert, dafuer
zu sorgen, dass ja nicht das geringste Blaettchen davon
verloren gehe. Als ich sie jetzt in Kairo nach diesen
Dokumenten fragte, versicherte sie mir, dass sie noch genau
so laegen, wie ich sie ihr uebergeben habe. Kein Mensch
habe sie beruehrt. Das beruhigte mich, denn das bedeutete
den sicher gewonnenen Prozess. Als meine Frau mir
diese Versicherung gab, stand Frau Ploehn dabei und
hoerte es. Sie sah sie gross an, sagte aber nichts. Das
fiel mir damals nicht auf; spaeter aber, als ich mich
dieses grossen, erstaunten, missbilligenden Blickes erinnerte,
wusste ich nur allzu gut, was er hatte sagen sollen.
Meine Frau war naemlich eines Abends zu Frau Ploehn
gekommen und hatte ihr mitgeteilt, dass sie soeben unsern
Trauschein verbrannt habe, der Vorbedeutung wegen,
die sich damit verbinde. Und einige Zeit spaeter hatte
sie ihr in derselben lachenden Weise gesagt, dass sie nun
auch die Dokumente aus dem Schreibtischkasten genommen
und verbrannt habe; sie wolle dadurch verhindern, dass ich
Muenchmeyers verklage. Frau Ploehn war hierueber entsetzt
gewesen, hatte aber die vollendete Tatsache nicht zu
aendern vermocht. Jetzt, als sie die Versicherung meiner
Frau mit anhoeren musste, dass die Briefe noch unberuehrt
vorhanden seien, gab es in ihr den ersten Riss zu jener
innern Scheidung, die erst dann auch aeusserlich zu Tage
trat, als nichts mehr verheimlicht werden konnte. Wir
reisten nach Aegypten, Palaestina, Syrien, ueber
Konstantinopel, Griechenland und Italien nach Hause. Waehrend
dieser Zeit ist meine Frau auf wiederholte Anfragen
immer dabei geblieben, dass die Dokumente voellig
unverletzt noch in dem betreffenden Kasten laegen. Sie
wurde schliesslich zornig und verbat sich jede weitere
Erwaehnung. Aber als ich nach Hause kam und mein erster
Schritt nach dem Schreibtisch war, fand ich den Kasten
-- -- -- leer! Hierueber zur Verantwortung gezogen,
erklaerte sie, dass sie die Briefe allerdings verbrannt und
vernichtet habe. Sie sei stets eine Freundin Muenchmeyers
gewesen und sei es auch noch heute. Sie wisse zwar,
dass ich recht habe, aber sie dulde nicht, dass ich
Muenchmeyers verklage. Darum habe sie die Papiere
verbrannt. Man kann sich denken, wie mir zu Mute war,
aber ich beherrschte mich und tat, was ich schon jahrelang
in solchen Faellen zu tun gewohnt war, ich war still,
nahm den Hut und ging.

Inzwischen waren die Presseangriffe gegen mich
immer zahlreicher und deutlicher geworden. Man
beschuldigte mich, zu gleicher Zeit fromm und unsittlich
geschrieben zu haben. Ich nahm die Romane her, die mir
Frau Muenchmeyer hatte einbinden lassen, und fand, dass
man von meinen Originalmanuskripten abgewichen war
und sie veraendert hatte. Also darum hatte man die
Manuskripte verbrannt, anstatt sie fuer mich aufzuheben!
Ich sollte die Aenderungen nicht nachweisen koennen!
Das Erste, was ich tat, war, dass ich die Presse hiervon
benachrichtigte und sie bat, die gerichtliche Entscheidung
abzuwarten. Sodann stellte ich schleunigst Klage. Ich
wollte die Sache nicht auf dem Wege des Zivil-, sondern
des Strafprozesses verfolgen, stiess dabei aber auf solchen
Widerstand bei meiner Frau, dass ich darauf verzichtete.
Ich befragte mich bei verschiedenen Rechtsanwaelten,
nicht nur in Dresden, sondern auch in Berlin und
anderswo. Ich haette so gern gleich direkt wegen der
"abgrundtiefen Unsittlichkeiten", die mir vorgeworfen
wurden, verklagt, doch wurde mir einstimmig versichert,
dass dies unmoeglich sei. Eine Klage koenne nicht auf
ideale Dinge gerichtet, sondern muesse materiell begruendet
sein. Ich muesse vor allen Dingen beweisen, dass ich der
rechtmaessige Eigentuemer der betreffenden Romane sei,
und also das Recht besitze, zu verklagen. Am Besten sei
es, die Klage auf "Rechnungslegung" zu richten. Das
geschah.

Um diese Zeit war es, dass sich der Kaeufer des
Muenchmeyerschen Geschaeftes, Herr Fischer, bei mir
meldete. Ich hatte keinen vernuenftigen Grund, ihn
abzuweisen; er wurde angenommen. Die Unterredung war
eine hochinteressante, sowohl psychologisch als auch
prozessual. Fischer machte gar kein Hehl daraus, dass er
wisse, ich sei vorbestraft. Er meinte, wer solches Werg
am Rocken habe, der solle sich wohl sehr hueten, zu
prozessieren, sonst koenne die Sache sehr leicht ein anderes
Ende nehmen, als man denke. Meine Romane seien jetzt
sein Eigentum. Man habe sie schon frueher veraendert,
und nun lasse er sie von Neuem umarbeiten, ganz so,
wie es ihm gefalle. Wenn ich gegen ihn prozessiere, so
koenne das laenger als zehn Jahre dauern; aber bis dahin
sei ich laengst kaput. Er sei aber gekommen, mir die
Hand zu bieten, all diesem Aerger zu entgehen. Ich
solle ihm siebzigtausend Mark zahlen, so verzichte er auf
meine Romane und liefere sie mir mit allen Rechten aus.
Dann sei es mir leicht, die ganze Aufregung der Presse
gegen mich mit einem einzigen Schlage zum Schweigen
zu bringen. Er biete mir seine Hilfe dazu an. Er wisse
mehr, als ich ahne. Er kenne die ganze Muenchmeyerei.
Man habe ihm Alles gesagt. Aber unter siebzigtausend
Mark koenne er nicht verzichten, denn er habe
hundertfuenfundsiebzigtausend Mark bezahlt.

Es ist ganz selbstverstaendlich, dass ich auf diesen
Vorschlag nicht einging. Ich erklaerte ihm, dass ich keinen
Pfennig geben werde und zur Klage fest entschlossen sei.
Da wollte er wissen, gegen wen ich diese Klage richten
werde, ob gegen ihn oder gegen Muenchmeyers Witwe.
Er rate mir zu dem Letzteren, weil er mir da wahrscheinlich
als Zeuge dienen koenne, denn er sei mit dieser
Frau keineswegs zufrieden, sondern stehe in
immerwaehrendem Streit mit ihr. Hierauf entfernte er sich
mit der Warnung, mich ja mit meinen Vorstrafen in
Acht zu nehmen.

Ich war gewillt, Frau Muenchmeyer zu verklagen.
Aber meine Frau und, wohl infolgedessen, auch mein
Rechtsanwalt bestimmten mich, hiervon abzusehen. So
wurde also Fischer verklagt. Aber die Witwe schien
keine Lust zu haben, sich von diesem Rechtshandel
ausscheiden zu lassen. Sie trat als Nebenintervenientin bei
und ist bis heut meine Gegnerin geblieben. Es gelang
mir, gegen Fischer eine einstweilige Verfuegung zu
erreichen, welche ihm verbot, meine Romane weiterzudrucken.
Er durfte nur noch komplettieren. In dieser fuer ihn
sehr heiklen Lage kam er mit meinem Rechtsanwalt zu
sprechen und klagte ueber den Verlust, der ihm dadurch
entstehe; dieser betrage schon vierzigtausend Mark. Wenn
das nicht aufhoere, muesse er sich noch ganz anders wehren
als bisher und mich durch die Veroeffentlichung meiner
Vorstrafen in allen Zeitungen vor ganz Deutschland
kaput machen. Als mein Rechtsanwalt mir diese Drohung
mitteilte, ging mir ein Licht auf; ich begann zu begreifen
und fuehlte mich verpflichtet, dieses Terrain zu sondieren.
Es kam eine Unterredung zwischen Fischer und mir zustande,
in einer separierten Weinstube, unter vier Augen.
Da wurde er offenherzig. Er sagte mir Alles, was er
waehrend der Verkaufsverhandlungen von Muenchmeyers
ueber mich und meine Romane erfahren hatte. Ich erfuhr
den ganzen Feldzugsplan, von dem ich bisher keine
Ahnung gehabt hatte. Es war ihm weisgemacht worden,
ich sei vorbestraft, und zwar mit Zuchthaus, weil ich als
Lehrer Umgang mit Schulmaedchen gepflogen habe. Das
passe ausserordentlich zu dem Vorwurf der Zeitungen,
dass ich unsittliche Romane geschrieben habe. Man brauche
das nur zu veroeffentlichen, so sei ich fuer immer kaput.
Ich sei jetzt ein beruehmter Mann und habe mich vor
solchen Veroeffentlichungen zu hueten; das wisse man ebenso
gut wie ich selbst. Was ich mit Muenchmeyer ueber meine
Romane ausgemacht habe, sei gleichgueltig. Muenchmeyer
sei tot. Es komme darauf an, wer zu schwoeren habe.
Und dass May den Eid nicht bekomme, dafuer werde man
zu sorgen wissen. Seine Vorstrafen seien die beste Hilfe,
die es gebe. Man brauche ihm nur mit der Veroeffentlichung
zu drohen, so nehme er gewiss jeden Prozess zurueck.
Es genuegen zwei Zeilen an ihn, so ist er still.
"Den haben wir in der Hand!"

In dieser Weise hatte man zu Fischer gesprochen,
und daraufhin hatte er das Geschaeft gekauft. So
versicherte er mir. Dass meine Romane veraendert worden
seien, das wisse er. Nur wisse er nicht genau, von wem.
Wahrscheinlich von Walter. Der habe ja weiter gar
nichts Anderes als solche Sachen zu machen und
dann die Korrekturen zu lesen gehabt. Und das sei gar
nicht schwer und gehe sehr schnell. Man braucht nur
ein Wort zu aendern oder einige Worte hinzuzufuegen, so
ist die "Unsittlichkeit" da, ohne die es bei solchen
Romanen nun einmal nicht abgehen will. Ich koenne diese
Aenderungen sehr leicht nachweisen; ich brauche nur
meine Originalmanuskripte vorzulegen.

"Aber die sind ja verbrannt!" fiel ich ein.

Das stellte Fischer aber ganz entschieden in Abrede.
Er behauptete, sie seien noch da. Er koenne sie mir
verschaffen, aber freilich unter den jetzigen Verhaeltnissen
nicht, wo ich sein Prozessgegner sei und ihn mit meiner
einstweiligen Verfuegung zugrunde richte. Er koenne nur
dann mein Helfer sein und als Zeuge fuer mich eintreten,
wenn ich diese Verfuegung fallen lasse und mich mit ihm
vergleiche.

Diese Unterredung war fuer mich von unendlicher
Wichtigkeit. Es galt, vorsichtig zu sein. Ich fragte
mich, ob ich trauen duerfe. Waren die Originalmanuskripte
wirklich noch da, so konnte ich allerdings alle
gegen mich gerichteten Vorwuerfe, wie Fischer gesagt
hatte, mit einem Schlage verstummen machen. Aber er
konnte mich taeuschen wollen oder auch selbst getaeuscht
worden sein. Ich durfte nicht vorschnell entscheiden; ich
musste beobachten und ueberlegen, zumal diese Wendung
meiner Angelegenheit in eine Zeit fiel, in der mich
schwere, innerliche Kaempfe derart beschaeftigten, dass ich
fuer Anderes weder Zeit noch Raum zu finden vermochte.
Das war die Zeit meiner Ehescheidung.

Aufrichtig gestanden, neige ich sehr zu der katholischen
Betrachtung der Ehe, dass diese ein Sakrament
sei. Wenn ich nicht dieser Ansicht waere, so haette ich
diesen Schritt schon laengst getan und nicht erst dann,
als es meine Gesundheit, mein Leben und meine ganze
innere und aeussere Existenz zu retten galt. Man hat
mir diesen Schritt in hohem Grade uebelgenommen, sehr
mit Unrecht. Katholische Kritiker, die anstatt auf
sachlichem Gebiete zu bleiben, ihre Angriffe auf das
persoenliche hinueberspielten, haben mir in einem Atem
vorgeworfen, dass ich Protestant sei und mich von meiner
Frau habe scheiden lassen. Wie unlogisch! Grad weil
ich als Protestant gelte, hat kein Mensch das Recht, mir
den zweiten Vorwurf zu machen. Fuer jeden nur einigermassen
anstaendigen Menschen ist die Ehescheidung eine
Angelegenheit von selbstverstaendlichster Diskretion. Die
meinige aber hat man in den Zeitungen herumgetragen,
mit den widerlichsten Randglossen versehen und zu den
ungeheuerlichsten Verdaechtigungen ausgenutzt. Ich will
das Alles hier uebergehen, um meine Bemerkungen, falls
ich zu ihnen gezwungen werde, an anderer Stelle zu
machen. Diese Zeit war nicht nur fuer mich, sondern
auch fuer Frau Ploehn eine beinahe toedliche, weil sie ihr
den Mann raubte, den sie mit einer Aufopferung liebte,
wie selten ein Mann geliebt worden ist. Ich habe
bereits gesagt, dass Ploehn auf der Reise nach Aegypten
krank geworden sei. Er erholte sich nur scheinbar
wieder. Das Uebel repetierte, nachdem er in die Heimat
zurueckgekehrt war. Ein Jahr spaeter kam der Tod. Frau
Ploehn brach fast zusammen. Waere ihre Mutter nicht
gewesen, so waere sie ihrem Manne sicher nachgestorben.
Gluecklicherweise bot ihr auch die Korrespondenz, die sie
fuer mich mit meinen Lesern fuehrte, die seelische Erleichterung
und Unterstuetzung, deren sie bedurfte. Sie besass
zwei Zinshaeuser in Dresden, die sie gern gegen ein ihr
angebotenes Landgrundstueck verkaufen wollte, welches zu
dem Dorfe Niedersedlitz gehoerte. Dorthin hatte Fischer
seine Buchdruckerei verlegt. Auch seine Privatwohnung
lag da. Frau Ploehn bat mich, sie zur Besichtigung
dieses Grundstueckes zu begleiten, und als wir uns nun
einmal in Niedersedlitz befanden, lag der Gedanke nahe,
dies Fischer wissen zu lassen. Er lud uns nach seiner
Privatwohnung ein, und es entspann sich da eine
Verhandlung, welche am naechsten Tage zu einem Vergleiche
fuehrte.

Ich will so kurz wie moeglich sein. Fischer klagte
darueber, dass er sich durch den Kauf des Muenchmeyerschen
Geschaeftes zum "Schundverleger" degradiert habe;
er versicherte, dass er sich heraussehne, und er behauptete,
dass ich ihm dazu behilflich sein koenne wie kein Anderer.
Dieses Letztere war auch ich ueberzeugt. Er hatte die
veraenderten Romane erworben, ohne dass Frau Muenchmeyer
das Recht besass, sie ihm zu verkaufen. Wenn er
dafuer sorgte, dass ich meine Originalmanuskripte
zurueckerhielt, konnte er die Schundarbeiten fallen lassen und
an ihrer Statt meine Originale herausgeben; da war
ihm und zugleich auch mir geholfen; er war kein
Schundverleger mehr, und ich konnte beweisen, dass ich nichts
Unsittliches geschrieben hatte. Das war der Grundgedanke
des Vergleiches, und als wir ihn unterschrieben,
war ich ueberzeugt, dass aller Streit gehoben sei. Fischer
bezeugte mir damals oeffentlich in den Zeitungen, dass die
unsittlichen Stellen meiner Muenchmeyerromane _nicht_aus_
_meiner_Feder_stammen,_sondern_von_dritter_
_Hand_hineingetragen_worden_seien._

Leider aber erwiesen sich meine Hoffnungen als truegerisch.
Fischer konnte meine Originalmanuskripte nicht
bekommen; sie waren nicht mehr da; sie waren wirklich
vernichtet. Es war ihm also unmoeglich, sich aus einem
"Schundverleger", wie er sich in einem Briefe an mich
bezeichnete, in einen Buchverleger zu verwandeln. Er
machte zwar den Versuch, auch ohne meine
Originalmanuskripte zu einem Originalroman zu kommen, um
den Schund dann fallenlassen zu koennen, aber ich musste
ihm dabei die Hilfe, die er von mir forderte, versagen.
Er verlangte naemlich von mir, dass ich den Schund aus
dem Gedaechtnisse in seine fruehere, einwandfreie Fassung
zurueckveraendere; das aber war bei einer Fuelle von
ungefaehr dreissigtausend engbeschriebenen Seiten ein Ding
der absolutesten Unmoeglichkeit. Er bestand aber auf
seinen [sic] Schein, auf unsern [sic] Vergleich, und obgleich er das
nicht leisten konnte, was er versprochen hatte, sollte ich
doch Alles tun, was grad seinetwegen unmoeglich war.
Daraus ergab sich ein neuer Zwist und ein neues Kaempfen,
welches sich ueber seinen Tod hinaus erstreckte und
erst von seinen Erben zum friedlichen Ende gefuehrt worden
ist. Diese sahen klarer als er, und sie waren ruhigen,
unbefangenen Gemuetes. Sie waren Fachleute, naemlich
Rechtsanwaelte, Kaufleute, Buchdruckerei- und
Buchbindereibesitzer. Sie vereinigten sich zu folgender
Erklaerung:

| "In einem zwischen Herrn Karl May und |
| den Erben des Herrn Adalbert Fischer anhaengig |
| gewesenen Rechtsstreite haben die Fischerschen |
| Erben erklaert, dass die im Verlage der Firma |
| H. G. Muenchmeyer erschienenen Romane des |
| Schriftstellers Karl May im Laufe der Zeit |
| durch Einschiebungen und Abaenderungen von |
| dritter Hand eine derartige Veraenderung erlitten |
| haben, dass sie in ihrer jetzigen Form nicht mehr |
| als von Karl May verfasst gelten koennen. Herr |
| May ist zur Veroeffentlichung dieser Erklaerung |
| ermaechtigt worden. |

| Dresden, im Oktober 1907. |

Unterzeichnet ist diese Erklaerung von Frau Elisabeth
verw. Fischer durch Kaufmann Arthur Schubert,
Buchdruckereibesitzer Otto Fischer, Buchbindereibesitzer Alfred
Sperling, Rechtsanwalt Trummler, Rechtsanwalt Bernstein,
Rechtsanwalt Dr. Elb. Leichtfertige Menschen
haben behauptet, dass diese Erklaerung nur von Kindern
und unmuendigen Personen abgegeben worden sei. Man
sieht auch hieraus, mit welchen Waffen man gegen mich
kaempft. Fuer mich aber ist die Abteilung Fischer meines
Muenchmeyerprozesses hiermit abgetan. Die Abteilung
Pauline Muenchmeyer aber besteht nach wie vor. Ihr
habe ich mich in Folgendem nun zuzuwenden.

Ich scheue mich nicht, dieser Abteilung das Programm,
welches ich von Fischer erfuhr, voranzusetzen,
naemlich:

| "May ist vorbestraft. Er hat das zu |
| verheimlichen. Wir haben ihn in der Hand. Zwei |
| Zeilen genuegen, so ist er still. Wenn er uns |
| verklagt, so machen wir ihn durch Veroeffentlichung |
| seiner Vorstrafen in allen Zeitungen |
| durch ganz Deutschland kaput. Was May mit |
| Muenchmeyer ausgemacht hat, ist gleichgueltig. |
| Hauptsache ist, wer den Eid bekommt. Und dass |
| May ihn nicht bekommt, dafuer wird man zu |
| sorgen wissen." |

Fischer hat dieses Programm nicht etwa nur privatim
geaeussert, sondern auch durch seine Aussage in den Akten
festgelegt, und es ist im Verlaufe des nun neunjaehrigen
Rechtsstreites ununterbrochen bestaetigt worden. Von dem,
was Rechtsanwalt Dr. Gerlach im Namen seiner Klientin
Pauline Muenchmeyer alles unrichtiger Weise behauptet
oder abgeleugnet hat, will ich hier nicht sprechen. Mich
aber hat er gleich von allem Anfang an als einen Menschen
hingestellt, der in hoechstem Grade eidesunwuerdig
ist. Es ist mir unmoeglich, alle die beleidigenden Schimpfworte
hier aufzuzaehlen, mit denen er mich nun schon seit
neun Jahren ueberschuettet, ohne dass ich ihn dafuer bestrafen
lassen kann, weil er als Anwalt unter dem Schutz
grad jenes Paragraphen steht, welcher mich zwingt, von
ihm zu dulden, was sich kein Anderer jemals erlaubt.
Von den Richtern wiederholt zurechtgewiesen und von
andern Anwaelten zur Rede gestellt, bleibt er dieser seiner
Spezialitaet doch treu. Zur Ausfuehrung des Muenchmeyerschen
Programms war es zunaechst noetig, zu meiner
Strafliste zu gelangen. Zu diesem Zweck wurde eine
Beleidigungsklage fingiert, die man sofort zuruecknahm,
als der Zweck erreicht war. Von da an tauchten in den
Zeitungen mehr oder weniger verbluemte Notizen ueber
meine Vergangenheit auf. "Ich weiss noch mehr!" schrieb
der Eine; "Sie wissen wohl, was ich meine, Herr May?"
fragte der Andere. Das "Kaputmachen" begann. Aber
der Spiritus rector, der eigentliche Taeter, blieb stets
schlau hinter dem Busch; er zeigte sich nie; er wirkte
stets durch Andere. Sein Arbeitsfeld ist weit ueber seine
Berufspflichten hinaus ausgedehnt, sein Briefwechsel ein
sehr umfangreicher, fast nur Karl May betreffend. Er
steht mit allen meinen literarischen Gegnern in inniger
Beziehung, und wo in einem Blatt von mir die Rede
ist, da pflegt ein Brief von ihm oder von einem seiner
Vertrauten sich einzustellen. Und man glaubt ihm fast
ueberall. Man glaubt ihm, wie Cardauns seinerzeit dem
Luegner glaubte, der ihm weismachte, dass ich die
Muenchmeyerromane genau so geschrieben habe, wie sie im Druck
erschienen sind.

Dieser Herr Dr. Hermann Cardauns ist von dem
sehr dunklen und sehr haesslichen Punkte, den man in der
zeitgenoessischen Literaturgeschichte als Karl May-Hetze
bezeichnet, unzertrennlich. Er hat es nicht anders
gewollt. Er steht da eng vereint mit Leuten, zu denen er
eigentlich nicht gehoert. Er hat auch das gewollt. Sein
niederschmetternder Stil, seine infallible Ausdrucksweise,
seine "abgrundtiefen" oder "evidenten" Verdoppelungsworte
haben Schule gemacht, besonders bei denen, welche
mir Stricke drehen, um mich "aus der deutschen Kunst
hinauszupeitschen." Aber alles, was er in Vortraegen
und Zeitungen gegen mich zusammengesprochen und
zusammengeschrieben hat, bildet nicht etwa eine feste Saeule,
an der niemand zu ruetteln vermag, sondern einen aus
lauter vagen Indizien zusammengeleimten Papierdrachen,
dessen Schnur niemand mehr halten will, es sei denn
Herr Cardauns selbst. Es ist gewiss sehr viel blinder
Glaube dazu noetig, gleich ihm zu denken, dass meine
"Unsittlichkeiten" auch noch in anderer Weise bewiesen
werden koennen, als nur durch Vorlegung meiner
Originalmanuskripte. Der Wortschwall tut es nicht; auch
Behauptungen bleiben ohne Erfolg, wenn sie nicht bewiesen
werden. Man liest in den Cardaunsschen Aufsaetzen
gegen mich zwar viel von Akten, Dokumenten und sonstigen
Beweisen, die er ueber meine Schuld besitze; aber
bis jetzt habe ich noch kein einziges Aktenstueck und kein
einziges Dokument zu sehen bekommen. Es scheint, dieser
Herr besitzt einen aelteren Muenchmeyerschen Druck und
eine spaetere Fischersche Ausgabe und haelt den ersteren
fuer gleichlautend mit meinem Originale. Es ist fuer mich
aber wirklich unmoeglich, dass einem "Haupt- oder
Chefredakteur" solche Irrungen passieren koennen. Ich gebe
ja gern zu, dass er keine Ahnung davon hat, wie es in
einem beruechtigten Schund- und Kolportageverlag zugeht
und was fuer Schwindel da getrieben wird, aber das ist
keine Entschuldigung, sondern eine Belastung fuer ihn,
denn wenn er das nicht weiss, so sollte er sich auch nicht
gestatten, Schluesse mit der Logik des Kolportageschmutzes
zu ziehen, die man nur mit der Logik ehrenhafter Leute
ziehen darf. Die ungeheuren Erfolge der umgearbeiteten
Schundromane hatte Fischer nur den ueberlauten Trommel-
und Paukenschlaegen des Herrn Cardauns zu verdanken.
Selbst der unfaehigste Politikus weiss, dass man solche
Dinge durch Schweigen toetet, nicht aber durch Gongs
und Tamtams. Mir aber, der ich durch diese Tamtams,
diese Vortraege und Zeitungsartikel erschlagen werden
sollte, wurde es durch sie unmoeglich gemacht, den Schund
so, wie ich wollte, gaenzlich aus der Welt zu schaffen.
Mein Wollen war gut; da aber der Herr Cardauns meine
Gegner foerderte, indem er mich hinderte, hat er sich um
die Muenchmeyersche Kolportage ein Verdienst erworben,
welches man ihm nie vergessen wird. Er ist waehrend
der ganzen, langen Zeit bis hierher ihr treuer Champion
gewesen, ob gewollt oder ungewollt, ist in Beziehung auf
die Wirkung gleich.

Der zweite, den ersten auch geistig hoch ueberragende
Champion fuer die Muenchmeyersache ist der aus der
christlichen Kirche ausgetretene Sozialdemokrat a. D.
Herr Rudolf Lebius in Charlottenburg. Ich gebe ueber
ihn einen Auszug meines Schriftsatzes an die vierte
Strafkammer des Koeniglichen Landgerichtes III in Berlin:

"Ich reiste im Jahre 1902 im Sueden und wurde
am Gardasee von einer heimatlichen Postsendung erreicht,
bei der sich auch eine Zuschrift eines gewissen Lebius
befand, der sich in ganz ueberschwenglicher Weise als einen
grossen Kenner und Bewunderer meiner Werke bezeichnete
und die Bitte aussprach, mich einmal besuchen zu duerfen.
Diese Ueberschwaenglichkeit erregte sofort meinen Verdacht.
"Der will Geld, weiter nichts," sagte ich mir.
Ich antwortete ihm, dass ich nicht daheim sei und ihn
also nicht empfangen koenne. Hierauf schrieb er mir am
7. April 1904:

"Sehr geehrter Herr!

Schon vor anderthalb Jahren versuchte ich, mich
Ihnen zu naehern, wovon die inliegende Karte ein
Beweis ist. Inzwischen habe ich hier eine neue Zeitung
herausgegeben, die grossen Anklang findet. Koennen
Sie mir vielleicht etwas fuer mein Blatt schreiben?
Vielleicht etwas Biographisches, die Art, nach der Sie
arbeiten, oder ueber derartige Einzelheiten, fuer die sich
die deutsche May-Gemeinde interessiert. Ich wuerde
Sie auch gern interviewen.

_Mit_vorzueglicher_Verehrung_
Rudolf Lebius,
Verleger und Herausgeber."

Lebius hatte also meine damalige Karte sorgfaeltig
aufgehoben, um sich Eingang bei mir zu verschaffen. Er
unterschrieb sich "mit vorzueglicher Verehrung." Ich sagte
mir wieder: "der will nur Geld." Die Behauptung, dass
seine neue Zeitung "grossen Anklang finde", entsprach
der Wahrheit nicht. Ich sollte damit gekoedert werden.
Man darf den Besuch solcher Leute nicht abweisen, zumal
wenn sie mit einer wenn auch noch so kleinen Zeitung
bewaffnet sind, sonst raechen sie sich. Ich schrieb ihm also,
dass er kommen duerfe, und er antwortete am 28. April:

"Vielen Dank fuer Ihr liebenswuerdiges Schreiben.
Ihrer freundlichen Einladung leiste ich natuerlich gern
Folge. Falls Sie mir nicht eine andere Zeit angeben,
komme ich am Montag, den 2. Mai 3 Uhr zu Ihnen
(Abfahrt 3,31).

_Mit_grosser_Hochachtung_und_Verehrung_
Rudolf Lebius."

Er kam. Doch durfte er mich nicht interviewen.
Ich duldete das nicht. Er wurde von meiner Frau, die
ihn empfing, nur unter den Bedingung zu mir gelassen,
dass absolut nichts veroeffentlicht werde. Er gab erst ihr
und dann auch mir sein Wort darauf. Er blieb zum
Kaffee, und er blieb bis nach dem Abendessen. Er sprach
sehr viel; er sprach fast immerfort. Ich war absichtlich
schweigsam. Ich sagte nur, was unbedingt noetig war.
Ich traute ihm nicht und hatte, um spaeter einen Schutzzeugen
zu haben, zugleich mit ihm den Militaerschriftsteller
und Redakteur Max Dittrich eingeladen, der an meiner
Stelle die Unterhaltung leitete.

Lebius trank viel Wein, waehrend ich nur nippte.
Er wurde um so lebhafter, je ruhiger und waegsamer ich
blieb. Er gab sich alle Muehe, mich und meine Frau
davon zu ueberzeugen, dass er "ein ganzer Kerl" sei. So
lautete sein Lieblingsausdruck, den er oft gebrauchte. Er
sprach unablaessig von seinen Grundsaetzen, seinen Ansichten,
seinen Plaenen, von seiner grossen Geschicklichkeit, seinen
reichen Erfahrungen und seinen ausgezeichneten Erfolgen
als Journalist und Redakteur, Herausgeber und Verleger,
Herdenfuehrer und Volkstribun.

Der Versuch dieses Mannes, uns zu imponieren,
geschah in einer Weise eines ganz gewoehnlichen, unvorsichtigen
Menschen, der so von seinen eigenen Vorzuegen ueberzeugt
ist, dass er gar nicht daran denkt, andere koennten darueber
lachen. Als er sah, dass nichts bei mir verfing, wurden
seine Anstrengungen krampfhafter. Ich musste von seiner
Vortrefflichkeit ueberzeugt werden, um jeden Preis! Denn
er brauchte Geld, viel Geld! Und die Hoffnung, die er
auf mich gesetzt hatte, schien seine letzte zu sein! Darum
offenbarte er uns in seiner Geldangst seine verborgensten
Geschaefts- und Lebensgrundsaetze. Er glaubte infolge des
vielen Weines, uns dadurch zu gewinnen, stiess uns dadurch
aber um so sicherer ab. Da ich mich hier kurz zu fassen
habe, gebe ich von diesen seinen Grundsaetzen nur die drei
wichtigsten wieder. Naemlich:

1. Wir Redakteure und Journalisten haben gewoehnlich
kein Geld. Darum duerfen wir uns auch keine eigene
Meinung gestatten. Wir wollen leben. Darum
verkaufen wir uns. _Wer_am_meisten_zahlt,_
_der_hat_uns!

2. Jeder Mensch hat dunkle Punkte in seinem Charakter
und in seinem Leben. _Auch_jeder_Arbeitgeber,_
_jeder_Beamte,_jeder_Polizist,_jeder_
_Richter_oder_Staatsanwalt_hat_solches_Werg_
_an_seinem_Rocken._ Das muss man klug und
heimlich zu erfahren suchen. Keine Muehe darf dabei
verdriessen. Und ist es erforscht, so hat man
gewonnenes Spiel. Man bringt in seinem Blatte
eine Bemerkung, die dem Betreffenden sagt, dass
man alles weiss, doch so, dass er nicht verklagen
kann. Dann hat man ihn in der Hand und kann
mit ihm machen, was man will. Er gibt klein
bei. In dieser Weise habe ich meinen Lesern schon
ausserordentlich viel genuetzt!

3. Die Menschen zerfallen in sozialer Beziehung in
Schafe und Boecke, in Herren und Knechte, in
Gebietende und Gehorchende. Wer aufhoeren will,
Herdenmensch zu sein, _der_hat_das_
_Herdengewissen_bei_Seite_zu_legen._ Wenn er das
tut, dann laufen alle, die dieses Gewissen noch mit
sich schleppen, hinter ihm her. Es ist ganz gleich,
zu welcher Herde er gehoeren will. Er kann von
einer zur anderen uebertreten, kann wechseln. Das
schadet ihm nichts. Nur hat er dafuer zu sorgen,
dass es mit der noetigen Waerme und Ueberzeugung
geschieht, denn das begeistert. Laufen ihm die
Sozialdemokraten nicht nach, so laufen ihm die Anderen
nach!

Als wir drei diese erstaunlichen Belehrungen hoerten,
brauste Max Dittrich einige Male zornig auf; meine Frau
war still vor Erstaunen; ich aber ging hinaus, um den
Ekel zu verwinden! Lebius bekam infolge dessen weder
Geld noch sonst etwas von mir. Da sah er ein, dass
diese beispiellose Selbstentlarvung nicht nur ganz umsonst
gewesen sei, sondern dass er sich durch sie in unsere Haende
geliefert hatte. Wir drei waren nun die gefaehrlichsten
Menschen, die es fuer ihn gab. _Er_durfte_uns_nie_
_vor_Gericht_zu_Worte_kommen_lassen,_ sondern musste
alles tun, _uns_als_unglaubhafte,_eidesunwuerdige_
_Personen_hinzustellen._ Ich lege grossen Wert darauf,
dies ganz besonders zu betonen, denn
| es ist der einzig richtige Schluessel zu seinem |
| ganzen spaeteren Verhalten, welches man |
| ohne diesen Schluessel wohl kaum begreifen |
| koennte, weil der Hass dieses Mannes gegen |
| uns drei fast unmenschlich erscheint. |

Noch ehe er sich an diesem Abend mit Max Dittrich
entfernte, beklagte ich mich absichtlich ueber die vielen
Zuschriften, in denen man mich, den gar nicht reichen Mann,
mit Bitten um Geld ueberschuettet, und tat dies in einer
Weise, die jeden gebildeten, ehrenhaften Mann abhalten
musste, mir mit aehnlichen Wuenschen zu kommen. Schon
gleich am naechsten Tag schrieb er mir folgenden Brief:

"Dresden-A., den 3. 5. 04.

Sehr geehrter Herr Doktor!

Indem ich Ihnen herzlich fuer den freundlichen
Empfang und die erwiesene Gastfreundschaft danke,
bitte ich Sie, wenn Sie die Kunstausstellung besuchen
oder sonst einmal nach Dresden kommen, bei uns zu
Mittag essen oder den Kaffee einnehmen zu wollen.

In einem Punkte muss ich unser gestriges Abkommen
widerrufen. Ihre unentgeltliche Mitarbeit kann
ich nicht annehmen. Wir zahlen zehn Pfennig fuer die
Zeile, was wohl derselbe Preis sein wird, den Sie
von anderen Blaettern erhalten haben.

Was Sie mir gestern erzaehlt haben, habe ich heute
noch einmal ueberdacht. Es will mir scheinen, als ob
trotz des kolossalen Absatzes Ihrer Werke der Umsatz
noch erheblich gesteigert werden koennte. Meine
Buchhaendler- und Verlagserfahrungen haben mich gelehrt,
dass der Wert einer richtig geleiteten Propaganda
und direkten Reklame gar nicht ueberschaetzt werden kann.

Meine Frau und ich empfehlen sich Ihrer werten
Frau Gemahlin und Ihnen in _Verehrung_ und
_Dankbarkeit_ ergebenst

Rudolf Lebius."

Ich mache darauf aufmerksam, dass er mich "Doktor"
titulierte, obgleich ich ihm waehrend seines Besuches bedeutet
hatte, und zwar wiederholt, hiervon abzusehen. Er tat
dies aber nicht, denn dieser Doktor sollte ihm ja als
Waffe gegen mich dienen!

Um diese Zeit schrieb Max Dittrich eine Broschuere
ueber mich und meine Werke. Er war so unvorsichtig,
das Manuskript Lebius zu zeigen. Dieser kam sofort
nach Radebeul geeilt, um mich zu bitten, mich bei Dittrich
dafuer zu verwenden, dass dieser ihm, Herrn Lebius, das
Werk in Verlag gebe. Er wurde ganz selbstverstaendlich
mit dieser Bitte abgewiesen, und ich schrieb Herrn Max
Dittrich, dass ich niemals wieder mit ihm verkehren wuerde,
wenn es ihm einfalle, diesem Manne die Broschuere zu
ueberlassen.

Dieser zweite Besuch des Herrn Lebius dauerte hoechstens
zehn Minuten lang. Als er fort war, fehlte mir eine
Photographie, die er mir entwendet hatte. Er durfte
nie wiederkommen. Trotzdem hat er wiederholt behauptet,
in meinem Hause vielfach verkehrt zu sein und mich sehr
genau studiert zu haben.

Am folgenden Tage schrieb er mir:

"Dresden-A., 12. 7. 04.
Fuerstenstrasse 34.

Sehr geehrter Herr Doktor!

_Ich_moechte_sehr_gern_die_Dittrichsche_
_Broschuere_verlegen_und_wuerde_mir_auch_die_groesste_
_Muehe_geben,_sie_zu_vertreiben._ Durch den Ruecktritt
von der "Sachsenstimme" -- offiziell scheide ich
erst am 1. Oktober d. J. aus -- bin ich aber etwas
kapitalschwach geworden.

_Wuerden_Sie_mir_vielleicht_ein_auf_drei_
_Jahre_laufendes,_5prozentiges_Darlehen_ gewaehren?
Ich zahle Ihnen die Schuld vielleicht schon
in einem Jahre zurueck.

| Als Dank dafuer wuerde ich die Broschuere |
| so lancieren, dass alle Welt von dem Buche |
| spricht. Ich habe ja auf diesem Gebiete |
| besonders grosse Erfahrung. |

Meine Zeitung kommt zu Stande und zwar auf
ganz solider Basis. Nun heisst es arbeiten und zeigen,
_dass_man_ein_ganzer_Kerl_ist_ usw. usw. Beste
Empfehlung an Ihre Frau Gemahlin

Ihr Ihnen ergebener
Rudolf Lebius."

Ich antwortete nicht. Ich war der Ansicht, dass
jemand, der Ehre besitzt, auf ein solches Schweigen nicht
weitergehen koenne, zumal ich Herrn Lebius _mit_der_
_Broschuere_total_abgewiesen_hatte._ Aber am 8. August
schrieb er trotzdem wieder:

"Die "Sachsenstimme" ist am 4. d. zu vorteilhaften
Bedingungen an mich allein uebergegangen. Ich kann
jetzt schalten und walten, wie ich will. Um mich von
dem Drucker etwas unabhaengig zu machen, _wuerde_
_ich_gern_einige_tausend_Mark_(3--6)_auf_ein_
_halbes_Jahr_als_Darlehen_aufnehmen._ Ein
Risiko ist ausgeschlossen. Hinter mir stehen die juedischen
Interessentenfirmen, die mich, wie die letzte Saison
bewiesen hat, in weitgehendem Masse unterstuetzten. Das
Weihnachtsgeschaeft bringt wieder alles ein. _Wuerden_
_Sie_mir_das_Darlehen_gewaehren?__Zu_Gegenleistungen_
_bin_ich_gern_bereit._ Die grosse Zahl
von akademischen Mitarbeitern erhebt mein Blatt ueber
die Mehrzahl der saechsischen Zeitungen. Wir koennen
ausserdem die Artikel, auf die Sie Wert legen, an 300
oder mehr deutsche und oesterreichische Zeitungen versenden
und den betreffenden Artikel blau anstreichen. So etwas
wirkt unfehlbar. In Dresden lasse ich mein Blatt
allen Wirtschaften (1760) zugehen. Mit vorzueglicher
Hochachtung Rudolf Lebius."

Zu derselben Zeit erfuhr ich, dass Lebius gar nichts
besass, sondern den Offenbarungseid geleistet hatte, dass
er den Drucker seines Blattes nicht bezahle, dass er
ueberhaupt nur Schulden habe und dass er sogar Honorar
schuldig bleibe. Dass seine Zeitung eine solide Basis habe,
war unwahr, ebenso die "grosse Zahl der akademischen
Mitarbeiter" und Anderes. Dergleichen absichtliche
Taeuschungen gehoeren eigentlich vor den Staatsanwalt.
Ich mache auf seine Ueber- und Unterschriften aufmerksam:
"Sehr geehrter Herr . . . . Mit vorzueglicher
Verehrung!" "Mit grosser Hochachtung und Verehrung!"
"Sehr geehrter Herr Doktor . . . . In Verehrung
und Dankbarkeit." Als er sah, dass diese Hoeflichkeiten
nicht zogen, schrieb er nicht mehr an mich, sondern
an Dittrich. So am 15. August 1904:

"Werter Herr Dittrich!

Ich gebe Ihnen fuer die Vermittlung ein Prozent.
_Mehr_als_10_000_Mk._brauche_ich_nicht._ Ich
wuerde aber auch mit weniger vorlieb nehmen. Das
Honorar sende ich am 20. d. wie verabredet.

Koennen Sie nicht Dr. May _b_e_a_r_b_e_i_t_e_n,_ dass
er mir Geld vorschiesst?

Freundlichen Gruss R. Lebius."

Dann am 27. August:

"Werter Herr Dittrich!

Meine Frau kommt am 1. September zu Herrn
Dr. Klenke, einen kleinen Betrag zu kassieren. Bei
dieser Gelegenheit gibt sie Ihnen Ihr Honorar. Sie
haben meine schriftliche Zusage, dass ich Ihnen 1 Prozent
von dem Gelde gebe, welches Sie mir von H. V.
oder Dr. M. (May) vermitteln. Sie erhalten das
Geld sofort . . . .

Freundlichen Gruss Lebius."

Er war naemlich Herrn Max Dittrich ein Honorar
von 37 Mark 45 Pfennigen schuldig, welches er trotz
der Kleinheit dieses Betrages nicht bezahlen konnte. Es
wurde ihm daraufhin ein Spiegel gerichtlich abgepfaendet.
Als er von Dittrich, anstatt der 10 000 Mark von mir,
eine Mahnung um diese 37 Mark 45 Pfennig bekam,
schrieb er ihm am 3. September:

"Geehrter Herr Dittrich!

Ich habe Herrn Dr. med. Klenke ersucht, Ihnen
40 Mk. zu meinen Lasten gutzuschreiben. Ihr Verhalten
mir gegenueber finde ich hoechst sonderbar, um
nicht zu sagen beleidigend.

Achtungsvoll
R. Lebius."

Diesem Dr. Klenke fiel es aber auch nicht ein, die
Schulden des Herrn Lebius zu bezahlen, und so kam in
logischer Folgerichtigkeit am 7. September in Form einer
Postkarte folgende Drohung bei mir an:

"Werter Herr!

Ein gewisser Herr Lebius, Redakteur der "Sachsenstimme",
erzaehlte einem Herrn, dass er einen Artikel
gegen Sie schreibt. Ich habe es im Lokal gerade
gehoert. Es warnt Sie ein Freund vor dem Manne.

B."

Ueber den Verfasser und den Zweck dieser Karte
war ich mir natuerlich sofort im Klaren. Auch das
Gutachten der _vereideten_Sachverstaendigen_ lautet dahin,
_dass_sie_unbedingt_von_Lebius_selbst_geschrieben_
_ist._ Jedenfalls erwartete er ganz bestimmt, dass ich auf
diese Erpressung hin die 10 000 Mark zahlen werde.
Gab ich sie nicht, so waren mir nicht nur der jetzt
angedrohte, sondern noch weitere Racheartikel sicher und
auch noch anderes dazu, was mich in Besorgnis setzen
musste. Aber ich liess auch jetzt nichts von mir hoeren
und sah mit gutem Gewissen dem unvermeidlichen Artikel
entgegen, der am 11. September 1904 in Nummer 33
des Lebiusschen Blattes, der "Sachsenstimme" erschien
und die dreifache Ueberschrift hatte:

| "Mehr Licht ueber Karl May |
| 160 000 Mark Schriftstellereinkommen |
| Ein beruehmter Dresdner Kolportageschriftsteller." |

Dieser Mann hatte meiner Frau und mir sein Wort
gegeben, nichts zu veroeffentlichen. Er war sogar nur
unter diesem Versprechen bei uns hereingelassen worden,
und nun veroeffentlichte er doch, und zwar in welcher
Weise und aus welchen Gruenden! Er stellte alles auf
den Kopf; er drehte alles um! Er legte uns alles, was
ihm beliebte, in den Mund, und was wir wirklich gesagt
hatten, das verschwieg er, um sich nicht zu blamieren.
Dieser Aufsatz enthaelt ueber 70 moralische Unsauberkeiten,
Verdrehungen und direkte Unwahrheiten. Aber das war
nur der Anfang; die Fortsetzungen folgten baldigst nach.
Dieser Artikel in Nr. 33 der "Sachsenstimme" war so
gehalten, dass Lebius wieder umlenken konnte, falls ich
das Geld nun endlich noch gab. Und schon in Nr. 34
kam ein sehr deutlicher Wink, der mir sagte, was
geschehen werde, falls ich mich nicht zum Zahlen bewegen
lasse. Dieser Wink bestand in einer Muenchmeyerschen
Annonce, die ganze Baende zu mir sprach. Der Besitzer
der Firma Muenchmeyer hatte naemlich zu mir gesagt:
"Die Veroeffentlichung der andern Romane tut Ihnen
noch gar nicht viel; aber sobald ich mit dem "Verlorenen
Sohn" fertig bin und ihn annonciere, sind Sie verloren!
Der wird so happig, dass es Ihnen dann unmoeglich ist,
als Schriftsteller weiter zu existieren!" Und dieser
"Verlorene Sohn" wurde jetzt in Nr. 34 der "Sachsenstimme"
annonciert. Das war genau so, als ob mir mit
Riesenbuchstaben geschrieben worden waere: "Nun aber endlich
Geld her, sonst geht es in diesem Tone weiter!" Der
gefaehrlichste Erpresser ist der, welcher es in dieser
raffinierten Weise anfaengt, die noch deutlicher ist, als das
gesprochene Wort, aber von keinem Staatsanwalt verfolgt
werden kann. Ich gab aber trotzdem nichts. Da
kam in Nr. 44 ein zweites Elaborat, in Nr. 46 ein
drittes und in Nr. 47 ein viertes. In Nr. 46 wurde
mir die Verbindung des Herrn Lebius mit der Firma
Muenchmeyer schon deutlicher gezeigt, denn es wurde da
gesagt, der Inhaber dieser Firma habe einen ganzen
Haufen alter Briefe von mir in der Hand und koenne
also ganz genaue Auskunft ueber mich geben, wenn er
nur wolle. In Wahrheit aber besass er nicht einen
einzigen alten Brief von mir, doch wusste ich nun genau,
dass Lebius die Ausfuehrung des Muenchmeyerschen Programms,
mich durch meine Vorstrafen "in den Zeitungen
vor ganz Deutschland kaput zu machen", uebernommen
hatte. Ich war ueberzeugt, dass die Zahlung der 10 000
Mark ihn sofort zum Schweigen bringen wuerde, haette
mich aber vor mir selbst geschaemt, ihm auch nur einen
einzigen Pfennig zu geben.

Wie ich gedacht hatte, so geschah es: Schon die
Nr. 48 brachte die ohne alle Veranlassung frei aus der
Luft niederfallende Verkuendigung: "Die vier Jahre, die
Herr Karl May in Waldheim verbuesste, waren nach
unserer Information die Folge eines Einbruchdiebstahls
in einem Uhrenladen." Ich habe aber niemals einen
Einbruch veruebt. Man sieht, dass es nicht auf die Wahrheit
ankam, sondern nur auf das "Kaputmachen". Diese
Nr. 48 erschien am Weihnachtsheiligenabend. Da hingen
an den Fenstern der Dresdener Buchhandlungen Plakate
aus, auf denen die "Sachsenstimme" mit den grossen
roten Buchstaben _"Die_Vorstrafen_Karl_Mays"_
angekuendigt wurde. Einen schreienderen Beweis, dass es
sich nicht um eine literarische Tat, sondern nur um die
Ausfuehrung ganz niedriger Absichten handelt, kann es
wohl kaum geben! Daher mag es hier genug sein des
grausamen Spiels. Es widerstrebt mir, die Heldentaten
des Herrn Lebius einzeln aufzuzaehlen. Ich will nur in
Summa sagen, dass er in dieser Weise fortfuhr, bis er
nach einiger Zeit aus Dresden verschwinden musste. Ich
habe die Unwahrheiten, die er in seinen Dresdener
Artikeln ueber mich verbreitete, zusammengestellt, um sie
gerichtlich zu beweisen. Es sind ihrer trotz der Kuerze der
Zeit nicht weniger als hundertzweiundvierzig. Mehr hat
bisher wohl noch kein Mensch geleistet! Ich betone aber
ausdruecklich, dass diese Aufstellung nicht etwa alles, sondern
nur eine Auswahl enthaelt. Ich koennte diese Ziffer trotz
ihrer Hoehe gut verdoppeln. Ich habe lange dazu
geschwiegen, bis es nicht mehr zum Aushalten war. Da
musste ich mich endlich wehren. Ich erstattete bei der
Staatsanwaltschaft Anzeige wegen Erpressung. Ich legte
seine Briefe bei. Auch die drohende Karte vom 7. September
1904. Die Sachverstaendigen erklaerten, dass Lebius
sie unbedingt geschrieben habe. Die erwaehnte Behoerde
aber war der Ansicht, dass dies nicht zureiche, eine
Untersuchung zu eroeffnen. Und Lebius gab sich bei seinen
Auskuenften die groesste Muehe, mich als einen Menschen
hinzustellen, dem man nicht glauben duerfe. Das Meisterstueck
hat er dabei abgelegt, indem er der Koeniglichen
Staatsanwaltschaft in Dresden berichtete, dass der Wirt
des Hotels auf dem Berge Sinai in Dresden gewesen
sei und sich sehr schlecht ueber mich ausgesprochen habe.
Nun weiss aber Jedermann, dass es auf dem Berg Sinai
bis heutigen Tages noch nie ein Hotel gegeben hat! Ich
zeige damit wohl zur Genuege, was man von der
Erfindungsgabe des Herrn Lebius alles erwarten kann.
Ich erhob zweimal Privatklage gegen ihn. Die eine zog
ich waehrend der Verhandlung aus reinem Ekel vor dem
Schmutz, in dem ich da waten sollte, zurueck. Die andere
brachte ihm in der ersten Instanz eine Geldstrafe von
30 Mark; in der zweiten Instanz aber wurde er
freigesprochen, weil mein Anwalt krank geworden war und
einen Vertreter stellte, der die Sache fuehrte, ohne
orientiert zu sein.

Das ist alles, was ich gegen die ebenso zahlreichen
wie unausgesetzten Angriffe des Herrn Lebius getan habe.
Gewiss wenig genug! Dass ich Berichterstattern Auskunft
gab, wenn sie kamen, mich zu fragen, versteht sich ganz
von selbst. Es kann mir niemand zumuten, diesen Herren
aus Angst vor Herrn Lebius die Unwahrheit zu sagen.
Dennoch behauptet er noch heute, dass nicht ich von ihm,
sondern er von mir verfolgt und angegriffen werde.

Selbst als er aus Dresden mit Hinterlassung einer
ganz bedeutenden Schuldenlast verschwunden war, hoerten
seine Angriffe gegen mich nicht auf. Ich erwaehne da
nur den Aufsatz in der oesterreichischen Lehrerzeitung, durch
den er ca. 40 000 Lehrer auf mich hetzte. Ich schwieg.
Ich schwieg selbst dann, als er in der Wilhelm Bruhnschen
"Wahrheit" in Berlin einen geradezu empoerenden
Angriff gegen mich brachte, in dem er mich als "atavistischen
Verbrecher" brandmarkte, der wegen "fortgesetzter
Einbruchdiebstaehle" fast ein Jahrzehnt im Gefaengnis
und Zuchthaus gesessen habe! Er behauptete da, dass
ich eine schwere, chronische Krankheit durchgemacht habe,
die "offenbar kulturhemmend" gewirkt habe. Hiermit
hatte er begonnen, sein in Dresden unterbrochenes Werk
in Berlin gegen mich fortzusetzen. Leider war ich
gezwungen, ihn dort persoenlich aufzusuchen, weil ich in dem
grossen Muenchmeyerprozess eine Frage an ihn zu richten
hatte, die nicht zu umgehen war. Ich fuhr zu diesem
Zwecke mit meiner Frau nach Berlin. Wir entdeckten
seine Wohnung. Wir hoerten, dass er ein neues Blatt
herausgab, der "Bund" genannt. Wir telefonierten
ihm. Er bestellte uns nach Cafe Bauer. Wir folgten
dieser seiner Weisung. Er kam mit seiner Frau und
deren Schwester. Er beantwortete meine Frage nicht.
Er leugnete alles. Ich sagte ihm, dass ich sein neues
Blatt sehen moechte. Das war ganz ehrlich und gut
gemeint, ohne alle boese Absicht. Er aber begehrte sofort
zornig auf und fragte drohend: "Haben Sie etwas vor?
Dann gehe ich auf der Stelle von neuem gegen Sie los!
Hier in Berlin gibt es ueber zwanzig Blaetter wie die
"Dresdener Rundschau". Die stehen mir alle zu Gebote,
wenn ich Sie totmachen will! Hier dauert das gar
nicht lang!"

Ich antwortete, dass es mir gar nicht einfalle, wieder
in den alten Sumpf zu steigen. Meine Frau sagte zu
seiner Frau in ruhiger, freundlicher Weise, dass es die
schoenste Aufgabe verheirateter Frauen sei, versoehnend zu
wirken und die Haerten des Lebens zu mildern; dann
entfernten wir uns.

Das war am 2. oder 3. September. _Einen_Monat_
_spaeter,_ am 1. Oktober, kam folgender Brief aus Berlin;
ich war verreist:

Geehrter Herr!

Obwohl voellig unbekannt, erlaube ich mir, bei
Ihnen einmal anzufragen, ob Sie mir naehere Mitteilungen
ueber einen Herrn Lebius, seinerzeit in Dresden,
machen koennten. Genannter Herr, ehemaliger
Sozialdemokrat, hat gegen mich als den seinerzeit
verantwortlich zeichnenden Redakteur des "Vorwaerts"
die Privatbeleidigungsklage angestrengt. Es wird vor
Gericht meine Aufgabe sein muessen, Herr Lebius als
"Ehrenmann" zu kennzeichnen. Auf den Rat eines
Dresdener Kollegen wende ich mich vertrauensvoll an
Sie, ob Sie mir ueber diesen Herrn vielleicht einige
Auskunft geben koennten. Sollte dies der Fall sein,
so sehe ich Ihrer Freundlichkeit sehr verbunden
entgegen.

Mit groesster Hochachtung
Carl Wermuth,
Redakteur des "Vorwaerts".

Ich wiederhole, dass ich verreist war und also auf
dessen Wunsch, selbst wenn ich gewollt haette, nicht
eingehen konnte. Am 5. April 1908, also
| ein volles halbes Jahr spaeter, |
erhielt ich von der Redaktion des "Vorwaerts" eine weitere
Zuschrift:

_"Zu_unserem_Bedauern_haben_Sie_es_bisher_
_unterlassen,_sich_ ueber die gegen Sie gerichteten
Angriffe des Lebius _zu_aeussern_ resp. _uns_die_
_notwendigen_Beweismittel_ der ehrenabschneiderischen
Taetigkeit des Lebius in Bezug auf Ihre Person _zur_
_Verfuegung_zu_stellen._ Wie ich von meinem Kollegen
Wermuth erfuhr, hat Ihre Frau mitgeteilt, dass
Sie sich zur Zeit auf Reisen befinden und _nicht_in_
_der_Lage_seien,_uns_mit_dem_gewuenschten_
_Material_gegen_Lebius_zu_versehen._ Ich hoffe,
dass Sie inzwischen von der Reise zurueckgekehrt sind
und nunmehr . . . ."

Hiermit ist wohl zur vollsten Genuege bewiesen, _dass_
_nicht_ich_Herrn_Lebius_verfolge,_sondern_er_mich._
Herr Lebius behauptet, dass ich mich damals, am Sedanstage,
an ihn gemacht habe, um dem "Vorwaerts" beizustehen.
Hier beweise ich, dass ich damals von jener
Beleidigungsklage noch gar nichts gewusst habe, sondern
dass der "Vorwaerts" es mir erst einen Monat spaeter
mitteilte und dann aber nach wieder sechs Monaten
_noch_gar_keine_Antwort_bekommen_hat!_ Ich hatte
also Herrn Lebius volle sechs Monate geschont, wo es
mir doch durch die Sozialdemokratie so bequem und leicht
gemacht worden war, mich an ihm zu raechen. _Dass_ich_
_ihn_nicht_verfolge,_sondern_von_ihm_fort_und_
_fort_zur_Notwehr_gezwungen_werde,_ ist uebrigens
auch schon dadurch erwiesen, dass ich es bis heut
umgangen habe, als Zeuge gegen ihn auszusagen. Mit
dieser Zeugenschaft fuer den "Vorwaerts"-Redakteur hatte
es damals folgende Bewandtnis:

Lebius hatte den "Vorwaerts" wegen Beleidigung
verklagt, und der "Vorwaerts" hatte mich, natuerlich ohne
erst viel zu fragen, als Zeugen angegeben. Das
Gewissen des Lebius sagte ihm, dass er von diesem Zeugen
wohl nicht viel freundliches zu erwarten habe. Ja, es
kam ihm sogar der Gedanke, dass ich von dieser Zeugenschaft
schon im Cafe Bauer gewusst habe. Das erzuernte
ihn. Er schickte seine Frau zu meiner Frau nach
Radebeul, um mir zu drohen. Meine Frau wuenschte diese
Zusammenkunft in meinem Hause; aber darauf ging Frau
Lebius nicht ein. Die beiden Frauen trafen sich im
Restaurant unseres Bahnhofes. Dort wollte Frau Lebius
uns im Auftrage ihres Mannes vorschreiben, was und
wie ich als Zeuge auszusagen habe. Insonderheit sollte
ich vor Gericht erklaeren, dass er jene drohende Postkarte
vom 7. September in Dresden nicht geschrieben habe.
Tue ich das nicht, so muesse er den alten Kampf gegen
mich von Neuem beginnen. Meine Frau lehnte das ganz
entschieden ab, denn wir waren jetzt mehr als je ueberzeugt,
dass er der Verfasser sei. Seine Frau kehrte also
unverrichteter Sache nach Berlin zurueck.

Als Lebius diesen Versuch misslungen sah, beschloss
er, mich eidesunwuerdig zu machen, und zwar durch eine
Broschuere, die noch vor dem Termin, an dem ich als Zeuge
aufzutreten hatte, herausgegeben werden musste. Da aber
diese Broschuere, wenn sie wirken sollte, derart abzufassen
war, dass sie ganz unbedingt eine Bestrafung des
Verfassers nach sich zog, die Lebius von sich abwenden
wollte, so sah er sich nach einem Strohmanne um, der
ihn und Karl May noch nicht kannte und unerfahren,
vertrauensselig und beduerftig genug war, sich fuer einige
Hundert Mark _voellig_ungeahnt_ in die ganz sicher zu
erwartende _Gefaengnisstrafe_stuerzen_zu lassen._ Er
fand ihn in einem gewissen Herrn F. W. Kahl aus
Basel, zog ihn in sein Netz und umspann ihn derart mit
Selbstvergoetterungs- und Luegenfaeden, dass der junge,
voellig ehrliche Mann es fast fuer eine Ehre hielt, sich in
den Dienst eines so bedeutenden, geistig, sozial und auch
juristisch hervorragenden Mannes stellen zu duerfen.

Lebius ging, wie ueberhaupt und immer, auch hierbei
ausserordentlich schlau und raffiniert zu Werke. Er
verschwieg anfaenglich, dass es sich _nur_ um eine Broschuere
gegen _mich_ handle. Er machte dem jungen Manne
weis, dass er ein w i s s e n s ch a f t l i c h e s Werk ueber
beruehmte resp. beruechtigte Maenner schreiben solle. Er
nannte ihm die Namen derselben; darunter befand sich
auch der meinige. Aber als Kahl sich an das Werk
machte und taeglich seine Instruktionen erhielt, lauteten
diese so, dass nach und nach alle diese "Beruehmten und
Beruechtigten" verschwanden und nur Karl May allein
uebrig blieb. Aus dem "wissenschaftlichen" Werke aber
sollte ein Pamphlet allerniedrigsten und allergefaehrlichsten
Ranges werden. Kahl erkannte das von Tag zu Tag
immer deutlicher. Er begann zu ahnen, dass er mit aller
Liebenswuerdigkeit in das Verderben gefuehrt werden solle.
Als er das Herrn Lebius zu verstehen gab, hielt dieser
es fuer geraten, ihm den ganzen Zweck der Broschuere
einzugestehen. Er gab folgendes zu:

| Lebius hat den Redakteur des "Vorwaerts" |
| wegen Beleidigung verklagt. |

| Der "Vorwaerts" hat Karl May als Zeugen |
| gegen Lebius angegeben. |

| Darum ist es fuer Lebius notwendig, Karl |
| May kaput zu machen. |

| Um das zu erreichen, gibt er die hier in |
| Arbeit liegende Broschuere heraus. |

| Der Termin, in dem Karl May als Zeuge |
| verhoert wird, findet anfangs April statt. |

| Darum muss die Broschuere ganz unbedingt |
| bis zum 1. April fertig zum Versenden sein. |

| Wenn die Broschuere erst spaeter fertig wird, |
| hat sie keinen Zweck; dann braucht man sie |
| ueberhaupt gar nicht erst zu schreiben. |

| Sie wird an die Zeitungen versandt, die |
| darueber berichten. Das soll auf die Richter |
| wirken. |

| Sie wird auch den Richtern direkt vorgelegt. |
| Sobald dies geschieht, ist May als Zeuge kaput. |

Als der ehrliche, junge Mann das hoerte, wurden
seine Bedenken noch groesser, als sie vorher gewesen waren.
Als er diese aeusserste und seiner Besorgnis, gerichtlich
bestraft zu werden, Ausdruck gab, stellte Lebius ihm
folgendes vor:

| Wir Schriftsteller stehen ueberhaupt und stets |
| mit einem Fusse im Gefaengnisse. |

| Bestraft zu sein ist fuer uns eine gute |
| Reklame. Auch ich bin schon oft vorbestraft. |

| Sie brauchen sich vor dem Gericht gar nicht |
| zu fuerchten. Sie sind noch nicht vorbestraft, Sie |
| duerfen schwoeren. May aber darf nicht schwoeren. |

| May steht unter Polizeiaufsicht. Es ist ihm |
| verboten, in einer Stadt zu wohnen. Darum |
| wohnt er in Radebeul. |

| I ch b i n e i n g r o ss e s, f o r e n s i s ch e s |
| T a l e n t. W e n n i ch a n f a n g e z u s p r e ch e n, |
| s i n d d i e R i ch t e r a l l e m e i n! |

| W e n n m a n i n e i n e m P r o z e s s e st e ck t |
| u n d m a n s ch r e i b t e i n e s o l ch e B r o s ch ue r e, |
| d a s w i r k t u n g e h e u e r b e i d e n R i ch t e r n! |

| Die Frau May hat mich mit Traenen in den |
| Augen um Gnade fuer ihren Mann gebeten. |

| May muss durch die Broschuere totgemacht |
| werden. Alles uebrige ist Beiwerk, u m d e n |
| w a h r e n Z w e ck z u v e r s ch l e i e r n! |

Die Folge von diesen und aehnlichen sonderbaren
Expektorationen war, dass Kahl beschloss, sich von dieser
Sache zurueckzuziehen. Er verbot Lebius, etwas von ihm
zu drucken oder gar etwa seinen Namen fuer diese Broschuere
zu missbrauchen. Er richtete ganz dasselbe Verbot
auch an den Verleger. Er glaubte, damit ganz sicher
aus diesem Sumpfe wieder herausgestiegen zu sein. Aber
er kannte Lebius und dessen Unverfrorenheit noch nicht.
Die Broschuere erschien, und zwar genau am ersten April.
Ihr Titel war:

| K a r l M a y, |
| ein Verderber der deutschen Jugend |
von
| F. W. Kahl-Basel. |

Kahl erfuhr erst durch eine Schweizer Zeitung, dass
die Broschuere doch noch erschienen sei, und zwar unter
seinem Namen. Er tat sofort die geeigneten Schritte.
Der von Lebius gefuerchtete Termin, an dem ich als
Zeuge vernommen werden sollte, hat nicht stattgefunden.
Ob er den Herren Richtern die Broschuere dennoch vorgelegt
hat oder nicht, ist mir unbekannt. Aber an die
Zeitungen versandt hat er sie schleunigst, und zwar mit
Waschzetteln, Begleitworten usw., von deren verleumderischer
Natur man eine Ahnung bekommt, wenn man nur
folgende Zeilen liest, die er an die "Neue Zuericher
Zeitung" schickte:

"Herr May hat sich an mir dadurch geraecht, dass
er durch Verleumdungen meine wirtschaftliche Stellung
untergrub und mich in den Bankrott trieb. Sobald ich
in einer andern Stadt festen Fuss gefasst hatte, erschien
er wieder auf der Bildflaeche, um dasselbe Manoever zu
wiederholen. Dabei liebt er es, bevor er zu einem neuen
Schlage gegen mich ausholt, mich jeweils in meiner
Wohnung aufzusuchen und mit traenenden Augen um Frieden
zu bitten."

Ueber den Inhalt dieser Broschuere habe ich hier
nicht zu sprechen. Ganz selbstverstaendlich waren meine
Vorstrafen aufgezaehlt und auch noch etwas mehr dazu.
Das schickte er in alle Welt hinaus, um mich nach
Muenchmeyerschem Rezept "kaput" zu machen. Ich erlangte
eine einstweilige Verfuegung gegen sie. Sie durfte
nicht weitergedruckt und weiterverarbeitet werden. Und
ich erhob Privatanklage wegen Beleidigung gegen ihn.
Diese Privatklage konnte nicht zur Verhandlung kommen,
weil mein Rechtsanwalt alle meine Beweise, und deren
waren weit ueber hundert, verloren hatte. Sie fanden
sich erst dann, als es zu spaet war, bei ihm wieder. Ich
war also gezwungen, auf die Vergleichsvorschlaege, welche
der Vorsitzende machte, einzugehen. Lebius nahm alle
seine Anwuerfe gegen mich, materielle wie formelle, zurueck,
drueckte sein Bedauern aus, mich angegriffen zu haben,
und versprach, mich von nun an in Ruhe zu lassen. Das
tat er durch seine Unterschrift. Es war mir unmoeglich,
einem solchen, vor Gericht gegebenen Versprechen nicht
zu glauben. Und doch war es eine Untreue und
Gewissenlosigkeit sondergleichen, dass er mir dieses
Versprechen gab, denn er konnte es mir nicht anders geben,
als _in_der_Absicht,_es_nicht_zu_halten._ Er hatte
sich naemlich mit meiner geschiedenen Frau in Verbindung
gesetzt. Sie fuehlte, wie meist alle geschiedenen Frauen,
eine unverstaendige Schaerfe gegen ihren geschiedenen Mann;
die trachtete er, fuer sich auszunutzen. Er suchte sie in
Weimar auf, wo sie wohnte. Sie lebte da ruhig und
zufrieden von einer Rente von 3000 Mark, die ich ihr
gab, obgleich ich ihr nichts zu geben brauchte, weil sie
die Alleinschuldige war. Auch hatte ich sie in jeder Weise
reichlich ausgestattet. Da kam dieser Mann zu ihr und
entlockte ihr alle ihre Selbsterbitterung, um daraus mit
Hilfe seiner eigenen Hinzufuegungen und Verdrehungen
einen Strick fuer mich zu fertigen. Er versprach ihr
ebenso heilig und teuer, wie damals mir, dass nichts,
gar nichts veroeffentlicht werde, ging aber sofort hin und
schrieb fuer seinen "Bund" vom 28. Maerz 1909 einen
Aufsatz unter der Ueberschrift "Ein spiritistisches
Schreibmedium als Hauptzeuge der "Vorwaerts"-Redaktion." Mit
diesen angeblichen Schreibmedium war meine jetzige Frau
gemeint.

Es ist ein geradezu unglaublicher Schmutz, der da
ueber mich und meine jetzige Frau ausgegossen wird, und
zwar mit raffinierter Benutzung und Bearbeitung der
Bitterstoffe, die im Gemuete geschiedener Frauen vorhanden
sind. Als das arme, unglueckliche Weib das las, erschrak
sie. Er schwieg also nicht! Er hatte nicht Wort
gehalten! Sie eilte sofort zu ihm nach Berlin, um ihn zur
Rede zu stellen. Er behielt sie gleich dort. Er uebergab
sie seinem Schwager Heinrich Medem, einem frueher
gewesenen Rechtsanwalt und Notar, der vereint mit ihm
ihr Beistand wurde. Beide veranlassten sie zunaechst, auf
ihre 3000 Mark Rente zu verzichten, und zwangen sie
sodann, ihre Pretiosen zu versetzen, damit es "nach aussen
einen besseren Eindruck mache". Das heisst doch wohl,
damit man denken moege, dass ich es sei, der diese Frau
in solche Armut und solches Elend gestuerzt habe! Das
hat Lebius in seinem Briefe an die Kammersaengerin vom
Scheidt, welcher den Gegenstand der vorliegenden Privatklage
bildet, woertlich eingestanden, und der Vorsitzende
der ersten Instanz hat ihn gelobt, indem er oeffentlich
sagte: "Das ist sehr edel von Ihnen!"

Lebius hat dieser Frau, als sie nun ohne alles
Einkommen war und vor dem Nichts stand, eine Rente fuer
das ganze Leben von monatlich 100 Mark versprochen,
er, der wegen zwei oder drei Mark vergeblich ausgepfaendet
worden ist! Sie hat es ihm zunaechst geglaubt;
er aber hat sehr wohl gewusst, dass dieses Versprechen
nicht rechtsverbindlich war. Nichts als Spiegelfechterei!
Sie borgte bei Bekannten 500 Mark, um leben zu
koennen. Von ihm aber bekam sie nach und nach nur
200 Mark, aber nicht etwa geschenkt, sondern nur
geliehen, denn als er merkte, dass sie von ihm weg und
wieder zu mir strebte, drohte er ihr, sie wegen dieser
200 Mark um 300 Mark zu verklagen.

Und was hatte sie davon, dass sie auf ihr ganzes
Einkommen verzichtete, dass sie aus ihren schoenen,
wohlgeordneten Verhaeltnissen in die schmutzige Not und Sorge
sprang, dass sie sogar ihre Kleinodien verkaufte und versetzte?
Nichts, weiter gar nichts, als dass sie das Rachewerkzeug des
Herrn Lebius wurde, dass er sie abrichtete, so ueber mich zu
denken, zu sprechen und zu schreiben, wie es ihm beliebte,
und dass sie ihm und seinem Schwager Medem in jeder
Beziehung gaenzlich in die Hand gegeben war. Denn als ich
infolge des obigen Artikels im "Bund" gezwungen war,
meine geschiedene Frau zu verklagen, machten Lebius und
Medem ihr die Schriftsaetze ganz so, dass Lebius fuer seine
Angriffe gegen mich den ganzen Nutzen davon hatte und
sie dabei Dinge unterschreiben musste, von deren Zweck
und Tragweite sie keine Ahnung besass! Es kam vor,
dass sie unter Traenen sich straeubte, einen derartigen
Schriftsatz zu unterschreiben. Man zwang sie aber doch!
Bis sie endlich doch einsah, dass es unmoeglich auf diesem
Wege und in dieser Weise weitergehen koenne, wenn sie
nicht vollstaendig zu Grunde gehen wolle! Sie wendete
sich an mich und bat um Verzeihung. Mich erbarmte
das arme, verfuehrte Weib. Ich nahm den Strafantrag
und den Beleidigungsprozess gegen sie zurueck. Und nun
erfuhr ich, in welch raffinierter Weise sie von Lebius
aus ihrer sicheren, ruhigen Position zu ihm hinuebergelockt
worden war, um wirtschaftlich vernichtet und
moralisch ausgebeutet resp. gegen mich ausgespielt zu
werden. Er sagt in seinem Briefe, welcher den
Gegenstand des vorliegenden Strafverfahrens bildet:

| "Auf Anraten meines Rechtsanwaltes habe |
| ich allerdings im Hinblick auf meine gerichtliche |
| Einigung mit May verlangt, dass Frau Emma |
| erst einen Teil ihrer Schmucksachen versetzt, |
| weil das nach aussen hin einen bessern Eindruck |
| macht." |

Also weil ich mich gerichtlich mit ihm geeinigt habe,
weil er mir seine Beleidigungen gerichtlich abgebeten hat
und weil er gerichtlich versprochen hat, mich nun fuer
immer in Ruhe zu lassen, also darum, _"im_Hinblick_
_darauf"_ musste die Frau nun ihre Kleinodien versetzen,
damit man _mich_ als den Schurken bezeichne,
durch den sie in solches Elend getrieben worden sei! Wie
nennt man so ein Verhalten? Und nachdem er sie in
dieser Weise um ihr ganzes, frueheres Einkommen und
um ihre Schmucksachen gebracht hat, schreibt er in diesem
seinem Briefe: "Ich habe auch durch meinen Syndikus
Herrn Geheimrat Ueberhorst Schritte vorbereiten lassen,
_um_wieder_zu_meinem_Gelde_zu_kommen!"_ Gibt
es hier ueberhaupt einen Ausdruck, durch den man
imstande waere, die Lebiussche Denk- und Handlungsweise
erschoepfend zu charakterisieren?

Diese arme, von Lebius in fast jeder Beziehung vollstaendig
ausgezogene Frau ist nicht etwa die erste oder
einzige geschiedene Frau, deren er sich bemaechtigte, um
seine Zwecke zu erreichen. Es ist vielmehr eine ganz
besondere taktische Gewohnheit von ihm, geschiedene
Frauen gegen ihre Maenner auszuspielen. Das eklatanteste
Beispiel hiervon ist der Fall "Max Dittrich".
Indem ich ihn hier kurz erwaehne, bitte ich um _ganz_
_besondere_Aufmerksamkeit,_ weil er fuer die
Beurteilung des Herrn Lebius _von_allergroesster_
_Wichtigkeit_ist._

Ich hatte bekanntlich, als dieser Herr seinen Besuch
bei mir machte, den Redakteur und Militaerschriftsteller
Max Dittrich als Zeugen dazu geladen, aus Misstrauen
und Vorsicht, um gegen etwaige spaetere Luegen und
Schwindeleien des Herrn Lebius durch einen vollgueltigen
Zeugen geschuetzt zu sein. Herr Dittrich war damals
vom Anfang bis zum Ende anwesend und hatte jedes
von mir gesprochene Wort gehoert. Einen solchen Zeugen
zu haben, wurde Herr Lebius mit der Zeit immer
peinlicher, immer gefaehrlicher. Er beschloss darum, _ihn_
_eidesunwuerdig_zu_machen,_ also ganz dasselbe, was
er auch bei mir getan hat _und_noch_heute_tut._ Es
ist das, wie sich spaeter zeigen wird, _ein_persoenlicher_
_Trick_ von ihm, den er _fuer_unfehlbar_ haelt -- -- --
eidesunwuerdig machen!

Er befolgt dabei den Grundsatz, den er uns waehrend
seines Besuches bei uns vortrug: Jeder Mensch, jeder
Polizist und Richter, jeder Beamte hat Werg am Rocken,
hat eine Schuld auf sich, die er verheimlichen muss.
Man muss das _entdecken_ und _in_die_Zeitung_bringen;_
dann wird man Herrscher und als _"tuechtiger_Kerl"_
bekannt. So tat Herr Lebius auch hier. Die erste Frau
Max Dittrichs war gestorben; von der zweiten Frau
hatte er sich scheiden lassen; jetzt war er infolge eines
Schiffbruchs, bei dem er nur gefaehrlich verletzt dem
Tode entging, schwer nervenkrank geworden. Das gab
ein hochinteressantes Material, aus dem sich jedenfalls
etwas machen liess! Herr Lebius ging also aus, um
nach dem "Werg am Rocken", nach der "heimlichen"
Schuld und Suende zu suchen. Er forschte ueberall,
schriftlich, muendlich, persoenlich. Er stellte sich ueberall ein,
wo er glaubte, etwas erfahren zu koennen. Er scheute
sich nicht, sogar zu Dittrichs Verwandten zu gehen. Er
schlich sich zu Dittrichs alter Schwaegerin, zu Dittrichs
Neffen und Nichte, sogar zu Dittrichs zweiter Frau, die
wieder verheiratet war und in gluecklicher, stiller Ehe
lebte. Er forschte sie aus, ohne dass sie ahnten, warum
und wozu. Sie antworteten vertrauensvoll und
unbefangen. Aber als er ploetzlich zu ihrem Entsetzen die
Worte "Gericht" und "Eid" fallen liess, da fuehlten sie
die Krallen, in die sie geraten waren. Sie hatten nichts
Boeses sagen koennen und baten, sie aus dem Spiele zu lassen.
Er versprach es ihnen. Besonders entsetzt ueber die Aussicht,
in diesen Lebiusschen Schmutz verwickelt zu werden,
war Dittrichs zweite Frau. Ihr jetziger Mann war ein
lieber, guter, aber in Beziehung auf die "Ehre" sehr
streng denkender, unerbittlicher Herr. Seine Frau in
_solcher_ Angelegenheit an Lebius' Seite, das waere
unbedingt von den schwersten Folgen fuer ihn und sie
gewesen! Sie bat also Lebius, sie ja nicht mit darin zu
verwickeln, und er scheute sich nicht, es ihr hoch und
heilig zu versprechen. Dann aber ging er schleunigst hin
und brachte in Nummer 12 seiner "Sachsenstimme"
einen Bericht, dem ich nur einige Punkte entnehme, die
nicht einmal die schlimmsten sind, naemlich:

"Max Dittrich hatte von seiner ersten Frau keine
Kinder, wohl aber zwei von seiner Stieftochter, bevor
diese das 16. Lebensjahr erreichte."

"Seine Frau haermte sich ueber die Ausschweifungen
ihres Mannes zu Tode."

"Obgleich seine zweite Frau sehr tolerant war, trieb
Dittrich es schliesslich so schlimm, dass eine Ehescheidung
unvermeidlich wurde."

"Mit der 16jaehrigen mit im Hause wohnenden
Nichte seiner Frau unterhielt er ein mehrjaehriges
Verhaeltnis."

"Dann fing er ein Verhaeltnis mit einem jungen
Maedchen an."

"Seine Frau liess ihn durch ein Detektivbureau
beobachten."

"Waehrend des Ehescheidungsprozesses wohnte Dittrich
mit seiner Braut zusammen und hatte auch seine
Tochter bei sich."

"Jetzt ist er wegen schweren, syphilitischen
Nervenleidens Halbinvalide" usw.

Man kann sich den Schreck der Verwandten denken,
als sie das lasen und dann als Zeugen vor Gericht beordert
wurden, weil Max Dittrich ganz selbstverstaendlich
Herrn Lebius verklagte! Die Nichte musste im Hause
vernommen werden; sie lag krank. Die geschiedene Frau
Dittrichs ging in ihrer Herzensangst zum Richter und
sagte ihm aufrichtig, dass diese entsetzliche Sache ein
absoluter Totschlag fuer das Glueck ihrer jetzigen Ehe sei;
sie werde das wohl kaum ueberleben. Dieser vortreffliche
Herr hatte nicht nur das Gesetz im Kopfe, sondern dazu
auch ein menschliches Herz in der Brust und erledigte
die Vernehmung in entsprechender humaner Weise.

Selbst angenommen, dass die von Lebius angegebenen
Punkte alle auf Wahrheit beruhten, so liegt doch wohl
fuer jeden nur einigermassen gebildeten und nicht verrohten
Menschen die Frage nahe, ob die Veroeffentlichung solcher
Dinge _gesetzlich_ resp. _pressmoralisch_statthaft_ sei.
Ich bin ueberzeugt, dass jedermann, ausser Lebius, diese
Frage mit einem "Nein!" beantworten wird. Das
wuerde zur Charakterisierung dieses Herrn jedenfalls
genuegen, ist aber noch lange nicht alles, denn wenn man
Gelegenheit findet, die Akten Dittrich contra Lebius
aufzuschlagen, so sieht man am Schlusse derselben Herrn
Lebius in noch ganz anderer Weise beleuchtet. Er
gesteht da naemlich ein, dass seine Verleumdungen gegen
Max Dittrich
| nicht wahr gewesen seien, |
und erklaert sich bereit, die Kosten des Verfahrens zu
tragen! Ich glaube, mehr braucht man nicht zu wissen,
um diesen Herrn nun zu kennen.

Ob jemand aus dem Busch herausspringt und den
anderen ermordet, oder ob jemand aus den Spalten seines
Rowdyblattes heraus die Menschen niederknallt, so oft
es ihm beliebt, das wird von der Strafgesetzgebung der
Zukunft wohl ganz anders betrachtet und ganz anders
behandelt werden als heutigen Tages. Doch gibt es,
Gott sei Dank, auch jetzt schon geistige und menschheitsethische
Instanzen, welche den Totschlag einer Menschen_seele_
fuer wenigstens ebenso strafbar halten wie die
Ermordung eines Menschen_koerpers._

Am 27. Maerz 1905 hatte Lebius die oben aufgefuehrten
Anklagen in seiner "Sachsenstimme" gegen
Max Dittrich geschleudert, und am 18. November darauf
erklaerte er in der zweiten Strafkammer des Koeniglichen
Landgerichtes Dresden zu Protokoll:

| "Ich erklaere, dass ich die gegen den |
| Privatklaeger in der "Sachsenstimme" vom 27. Maerz |
| 1905 erhobenen, beleidigenden Behauptungen |
| ! ! ! als unwahr ! ! ! |
| hiermit zuruecknehme und mein Bedauern ueber |
| die gemachten Aeusserungen in der "Sachsenstimme" |
| ausdruecke und den Privatklaeger deshalb |
| ! ! ! um Verzeihung bitte ! ! ! |

Als dann einige Jahre spaeter Lebius in Berlin
Streit und Prozesse mit dem "Vorwaerts" begann, gab
dieser den Militaerschriftsteller Dittrich als Zeugen gegen
ihn an. Sofort griff Lebius zu seinem wohlbekannten
Trick, Zeugen durch die Presse unschaedlich zu machen.
Er veroeffentlichte genau dasselbe wieder, was er damals
ueber Dittrich veroeffentlicht und dann vor dem Dresdener
Landgericht
| ! ! ! als unwahr ! ! ! |
mit der Bitte um Verzeihung zurueckgenommen hatte.
Dittrich war demzufolge gezwungen, ihn wieder zu
verklagen und auf jene Zuruecknahme und Bitte um
Verzeihung hinzuweisen. Was tat Lebius? Er erklaerte in
seinem an das Koenigliche Amtsgericht Charlottenburg
gerichteten Schriftsatz vom 24. Dezember 1909, dass er
damals jene Abbitte und jenes Eingestaendnis der
Unwahrheit seiner Behauptungen lediglich
| "aus Gruenden wirtschaftlicher Natur" |
abgelegt habe. Seine Verhaeltnisse seien damals so
bedraengt gewesen, dass er nicht zu den Gerichtsterminen
nach Dresden habe reisen koennen. Er selbst also ist es,
der das folgende moralische Portraet von sich liefert:

| Lebius verleumdet den Militaerschriftsteller |
| Dittrich 1905 in seinem Dresdener Blatte. |

| Lebius erklaert 1905 vor dem Dresdener |
| Landgericht, dass diese Verleumdungen erlogen |
| seien, und bittet um Verzeihung. |

| Lebius bringt 1909 in seinem Berliner Blatte |
| jene von ihm als Luegen bezeichneten |
| Verleumdungen als Wahrheiten wieder. |

| Lebius erklaert 1909 in seinem Schriftsatz an |
| das Amtsgericht Charlottenburg, dass er damals |
| das Landgericht Dresden angelogen habe. |

Und warum dieser Rattenkoenig von Luegen vor Gericht!
Und wie ist es moeglich, dass ein Mensch, der doch
Ehr- und Schamgefuehl besitzen muss, sich vor Gericht als
Luegner erklaeren und dann auch diese Erklaerung als Luege
bezeichnen kann? Er selbst gibt uns die Antwort auf
diese Frage: Er befand sich in bedraengter Lage;
| ! ! ! er hatte kein Geld ! ! ! |

Also wenn Lebius kein Geld hat, so ist das ein fuer
ihn vollstaendig genuegender Grund, _Richter_und_
_Gerichtsaemter_zu_beluegen_und_sich_als_einen_
_Charakter_hinzustellen,_dem_kein_vorsichtiger_
_Mensch_mehr_etwas_glauben_kann!_

Ich koennte stundenlang fortfahren, in dieser Weise
von Lebius zu erzaehlen. Fuer meine heutigen Zwecke aber
genuegt das, was ich bis hierher sagte. Ich habe mir
die Unwahrheiten, welche Lebius ueber mich verbreitete,
notiert, nicht alle, sondern nur die augenfaelligsten. Es
sind jetzt _ueber_fuenfhundert,_ die ich ihm gerichtlich
beweisen kann. Er hat mir allein in den letzten drei
Wochen vier Beleidigungsklagen zugeschickt, obgleich ich
an diesen Beleidigungen ganz unbeteiligt bin. Das nennt
man Hinrichtung! Und dabei legt er, wie bereits
erwaehnt, den groessten Nachdruck immer darauf, dass ich
ihn verfolge, nicht aber er mich. Auf seine vielen und
fuerchterlichen Artikel in den Jahren 1904 und 1905 habe
ich nur einmal bei der Staatsanwaltschaft und zweimal
beim Gericht Hilfe gesucht. Ich habe dann zu allen
seinen ferneren Angriffen geschwiegen, bis er mich durch
die angebliche Kahl-Broschuere zwang, mich zu verteidigen,
weil ich _"vor_den_Richtern_kaput_gemacht"_werden_
_sollte._ Und selbst da habe ich ihm verziehen, habe mich
mit ihm verglichen, habe gegen sein Versprechen, mich
fortan in Ruhe zu lassen, meinen Strafantrag zurueckgezogen,
obgleich der betreffende Richter sagte, dass Lebius
_eine_schwere Strafe_ erleiden werde, falls es zur
Verhandlung komme. Siehe Gerichtsakten 20 B. 254 08/34,
gezeichnet Schenk, Nauwerk. Ich habe es ertragen, dass
Lebius trotz seines gerichtlichen Versprechens, mich kuenftig
in Ruhe zu lassen, meine geschiedene Frau gegen mich
verfuehrte, ausbeutete, ihres Einkommens und ihrer
Schmucksachen beraubte _und_sie_fast_an_den_Bettelstab_
_brachte._ Sie wurde von ihm zu gerichtlichen
Schritten gegen mich verleitet, die man fast wahnsinnig
nennen muss. Und dabei hatte er den Mut, in der ersten
Instanz des vorliegenden Beleidigungsprozesses zu
behaupten,
| "dass er ihre Interessen vertreten habe und |
| also den Schutz des Paragraphen 193 beanspruchen duerfe!" |

Niemals ist eine groessere Unwahrheit ausgesprochen
worden als diese! Lebius hat durch die Verfuehrung der
Frau Pollmer nur seine eigenen Privat- und Prozessinteressen
verfolgt, _die_Interessen_dieser_armen_Frau_
_aber_geradezu_mit_Fuessen_getreten._ Es ist unerhoert,
dass er dafuer auch noch den Schutz des Paragraphen 193
verlangt!

Es ist wiederholt von ihm in den Zeitungen behauptet
worden, dass er ein Mensch sei, "der ueber Leichen
geht." Meine geschiedene Frau hat anstatt "Mensch"
sogar ein anderes, aeusserst schlimmes Wort gebraucht,
ohne dass er es gewagt hat, sie darueber gerichtlich zu
belangen. Ob dieser Vorwurf wahr ist oder ob er zu
viel sagt, das koennte ich mit vielen Beispielen belegen;
ich will aber nur das eine bringen: Nach der in den
Blaetterberichten voellig korrumpierten Charlottenburger
Verhandlung vom 12. April dieses Jahres brachte der
"Boston American" in Boston, Massachusetts, folgende
ihm aus Berlin zugegangene Depeschennotiz:

"Autor frommer Buecher, ein Bandit. Berlin --
-- -- Herr Charles May, der Millionaer, Philanthrop,
Autor frommer Buecher und eine hervorragende Persoenlichkeit
Deutschlands, wurde heute von einer Jury als der
Verueber vieler, schwerer Verbrechen in der Gebirgsgegend
des suedlichen Sachsens, wo er vor 40 Jahren eine
Raeuberbande anfuehrte, gebrandmarkt. _May_brach_zusammen_
_und_wurde_unter_den_Schutz_seiner_Freunde_gestellt,_
_um_zu_verhindern,_dass_er_Selbstmord_begehe_
usw." Sich solche monstroese Unwahrheiten aussinnen,
um mich "kaput zu machen", das ist doch wohl
ueber Leichen gegangen. Oder nicht? Doch hiermit genug
ueber diesen Herrn Lebius. Alles Andere gehoert vor das
Gericht, nicht aber hierher. Um meine Leser klar sehen
zu lassen, ist nur noch zu konstatieren, dass der Muenchmeyersche
Rechtsanwalt Dr. Gerlach auch sein Rechtsanwalt
ist und dass Beide einander gegenseitig die weitgehendste
Hilfe und Unterstuetzung leisten. Ich habe noch
zwei aeusserst interessante Muenchmeyersche Champions zu
erwaehnen, die in Beziehung auf geistige Bedeutung zwar
weder an Gerlach noch an Lebius kommen, aber als
fromme, katholische Klosterbrueder mitten unter protestantischen
oder gar aus der Kirche ausgetretenen Kolportageinteressenten
doch einen frappierenden Eindruck machen.

Der Eine von Ihnen ist der Benediktinerpater Ansgar
Poellmann in Beuron. Ich habe schon einmal einem


 


Back to Full Books