Mein Leben und Streben
by
Karl May

Part 6 out of 6



Benediktinerpater vor Gericht gegenübergestanden. Der
hieß Willibrord Beßler und bezeichnete sich als Professor.
Er veröffentlichte eine schwere Beleidigung im "Stern der
Jugend" gegen mich. Ich machte die Benediktinerabtei
Seckau in Steiermark als seinen Wohnsitz ausfindig, reiste
hin und ließ ihn vor das Kreisgericht Leoben zitieren.
Da stellte sich heraus, daß er gar nicht das Recht besaß,
einen Professortitel zu führen. Er leistete mir folgende
schriftliche Abbitte:

"Indem ich die mir in Schriftstücken beigelegten
Bezeichnungen "Professor" und "Jugendschriftsteller"
auf Wunsch näher dahin bestimme, daß ich Lehrer an
der Privat-Gymnasial-Lehranstalt der Abtei Seckau
und Korrespondent der Jugendzeitschrift "Stern der
Jugend" bin, erkläre ich hiermit der Wahrheit gemäß,
daß ich die in genannter Zeitschrift (1903 Nro. 25)
enthaltene Notiz über Krankheitserscheinungen des
Schriftstellers Karl May bedauere und die von ihm gerichtlich
inkriminierten Worte in aller Form zurücknehme.

Seckau, den 20. Oktober 1904.

Pater Willibrord Beßler
O.S.P." [sic]

Und jetzt nun wieder ein Benediktinerpater, den ich
gerichtlich belangen muß! Der Abt scheint hier wie dort
Ildefons Schober zu heißen. Ist es vielleicht derselbe?
Nicht in Seckau und nicht in Beuron, sondern anderwärts,
haben die Benediktiner mir meine "Reiseerzählungen"
ohne mein Wissen in Menge nachgedruckt, bis ich es ihnen
untersagte. Ich weiß nicht, wie es möglich ist, daß ein
Orden meine Werke ganz auf eigene Faust drucken und
verbreiten und mich doch so öffentlich beleidigen und
verfolgen resp. mich und meine selben Werke in Acht und
Bann erklären kann! Ich bemühe mich vergeblich, beides
logisch zusammen zu bringen. Denn daß ich diesen
Nachdruck unmöglich dulden konnte, versteht sich ganz von
selbst! Uebrigens ist dieser Beuroner Pater derselbe, der
mir "einen Strick drehen will, um mich damit aus dem
Tempel der deutschen Kunst hinauszupeitschen". Also, erst
druckt man meine Bücher nach, ohne mich zu fragen, und
dann peitscht man mich hinaus! In dieser Weise charakterisiert
Pater Pöllmann seinen eigenen Orden, der sich doch
wahrlich mehr als genug Verdienste um unsere Literatur
erworben hat, als daß er von einem seiner Angehörigen
in dieser Weise beleumundet werden sollte!

Pater Pöllmann hat in der katholischen Zeitschrift
"Ueber den Wassern" eine Reihe von Artikeln gegen mich
geschrieben, und ich habe hierauf in der Wiener "Freistatt"
geantwortet. Damit wären wir nun eigentlich mit
einander fertig, und das Publikum hätte zwischen ihm und
mir zu entscheiden. Aber während ich in meinen Antworten
ganz selbstverständlich so sachlich und höflich wie
möglich war, ist er in seinen Artikeln aus den Beleidigungen
fast nicht herausgekommen, so daß er sich zu einem
Gang vor das Gericht zu bequemen haben wird. Und
außerdem ist sein persönliches und literarisches Verhältnis
zu Herrn Lebius, dem Rechtsanwalt Gerlach und dem
Münchmeyerschen Programm, mich in den Zeitungen "kaput
zu machen", festzustellen. Er hat geleugnet, mit Lebius,
Gerlach u. s. w. in Beziehung zu stehen; es sind ihm
aber derartige Beziehungen ganz unschwer nachzuweisen.
Hierüber ist Klarheit zu schaffen. Denn daß er in dieses
"Kaputmachen" auf das Kräftigste mit eingegriffen hat,
kann nicht einmal er selbst in Abrede stellen. Seine
"Wasser"-Artikel werden sowohl im Lebius- als auch im
Pauline Münchmeyer-Prozeß auf das Eifrigste gegen
mich verwendet. Er ist sogar von Lebius als Zeuge oder
"Sachverständiger" benannt und wird als solcher in Berlin
auszusagen haben.

Herr Pater Pöllmann befolgt in Beziehung auf unsern
Beleidigungsprozeß eine Taktik, die ich nicht gutheißen
kann. Ich muß mich fragen, ob es in dieser seiner Taktik
liegt, das Leserpublikum irre zu führen. Zuerst erschienen
von Zeit zu Zeit gewisse, ironisch von oben herab
klingende Notizen darüber, daß ich es unterlassen habe,
meine Drohung, ihn zu verklagen, auszuführen. Und
nun sich herausstellt, daß ich dieses Versprechen doch
gehalten habe, wird in gewissen, mir feindlich gesinnten
Zeitungen fort und fort behauptet, daß meine Beleidigungsklage
bald hier bald dort zurückgewiesen worden sei und
ich sämtliche Kosten zu tragen habe. Das ist nicht
fair, vielleicht sogar unwürdig. Es handelt sich hier um
die Zuständigkeitsfrage, um weiter nichts. Als ich den
Strafantrag gegen Pater Pöllmann stellte, gehörte ich
in den Bezirk des Amtsgerichts Dresden. Inzwischen
wurde das Amtsgericht Kötzschenbroda eröffnet, dem ich
jetzt nun zuständig bin. Darum fragt es sich, ob die
Sache infolgedessen hier oder dort oder anderswo zu
verhandeln ist. Bis das entschieden ist, hat sie zu ruhen.
Wer es anders darstellt, kann nur entweder unwissend
oder böswillig sein. Von Kosten weiß ich kein
Wort.

Ganz ähnlich liegt es mit meiner Beleidigungsklage
gegen Pater Expeditus Schmidt in München. Sie wurde
in Dresden eingereicht und in Kötzschenbroda erstmalig
verhandelt. Auch hier sind Zuständigkeitsfragen erhoben
worden, doch nicht von mir. Mir kann es sehr gleichgültig
sein, an welchem Orte das Urteil gesprochen wird,
denn meine Sache ist gerecht. Ich habe nicht nötig,
spitzfindig zu erwägen, an welchem Orte, bei welchem Gerichte
und in welchem Falle ich meinen Prozeß gewinne oder
verliere. Ich habe mich nicht an solche Nebendinge
zu klammern, sondern an die Sache selbst und ihre
Wahrheit zu halten; das Uebrige überlasse ich den
Richtern.

Mir sind diese Schiebereien nicht hinderlich, sondern
förderlich gewesen. Sie haben mir Gelegenheit gegeben,
die Karten meiner Gegner kennen zu lernen. Vor allen
Dingen hat es sich herausgestellt, daß die beiden Pater
Schmidt und Pöllmann in naher Beziehung zu dem Namen
und der Sache Münchmeyer stehen. Ihr Anwalt steht
in Verbindung mit dem Münchmeyerschen und Lebiusschen
Rechtsanwalt. Ich werde die Beweise erbringen, und
dann wird sich der Zusammenhang mit dem Münchmeyerschen
Programm, mich "in allen Zeitungen vor ganz
Deutschland kaput zu machen", ganz von selbst ergeben.
Um einen kurzen Rundblick über den jetzigen Stand der
Dinge zu ermöglichen, schließe ich dieses Kapitel mit einem
Artikel, den das "Wiener Montags-Journal" am 17.
Oktober dieses Jahres brachte. Er lautet:

| Karl May als Schriftsteller. |
(Eine Genugtuung.)

Vor uns liegt eine stattliche Reihe von Bänden, die
Tätigkeit eines ungemein fruchtbaren und erfolgreichen
Schriftstellers. Zugleich aber auch seine Ehrenrettung.
Denn nicht oft noch ist die schriftstellerische Tätigkeit eines
Menschen der Grund für solch bodenlos gemeine und
hinterhältige Angriffe gewesen, wie sie Karl May zur
Zielscheibe hatten. Ehe wir in eine ausführliche Würdigung
der so reichen Phantasie eines deutschen Romanziers
eingehen, wollen wir dem Geschmähten selbst das Wort zu
einer Verteidigung geben, die jetzt, nach den erfolgreichen
Prozessen gegen seine hämischen und boshaften Widersacher,
zugleich eine Genugtuung ist. Herr May schreibt uns:

Die ganze sogenannte "Karl May-Hetze" ist auf
Unwahrheiten aufgebaut. Die erste dieser Unwahrheiten ist,
daß ich Jugendschriftsteller sei und meine Reiseerzählungen
für unerwachsene junge Leute geschrieben habe. Die meisten
dieser Erzählungen sind im "Deutschen Hausschatz"
erschienen, der doch gewiß niemals eine Knabenzeitung
gewesen ist. Und den später erschienenen Bänden sieht jedes
ehrliche Auge sofort an, daß sie nur von geistig erwachsenen
Leuten verstanden werden können. Hiermit fallen
alle Vorwürfe, die man mir als angeblichem "Jugendverderber"
macht, in sich selbst zusammen. Wenn die Jugend
meine Bücher trotzdem liest, und zwar sehr gerne, so
beweist das doch nicht, daß ich sie für sie bestimmt habe,
sondern daß die Jugendseele in ihnen findet, was ihr von
andern vorenthalten wird.

Eine zweite Unwahrheit ist die, daß ich in diesen
meinen Reiseerzählungen schwindle. Wer das behauptet,
ahnt gewiß nicht, welch ein schlimmes Zeugnis er seiner
eigenen Intelligenz erteilt. Reicht doch der Scharfblick
eines Tertianers aus, zu erkennen, daß alles, was ich
erzähle, nur mit den Wurzeln in das reale Leben greift,
im übrigen aber nach Regionen strebt, die nicht alltäglich
sind. Jeder Leser, der mich begreift, weiß, daß ich Länder
und Völker beschreibe, die bis heute fast nur in Märchen
existieren, für uns aber nach und nach in das Reich der
absoluten Wirklichkeit zu treten haben. Wenn ich das, was
anderen noch ein Märchen ist, als Wirklichkeit erschaue und
beschreibe, kann dies nur für unwissende oder übelwollende
Menschen ein Grund sein, zu behaupten, daß ich schwindle.

Früher ist es keinem Menschen eingefallen, in dieser
beleidigenden Weise über mich zu urteilen. Wer mich nicht
begriff, der sagte höchstens, daß meine Phantasie eine
sehr ausgiebige sei. Erst als die größte aller Unwahrheiten,
die es über mich gibt, verbreitet wurde, nämlich
die, daß ich "abgrundtief unsittliche Schundromane"
geschrieben habe, wagte man es, in einem solchen Tone mit
mir zu sprechen. Diese unwahre Behauptung ging von
einer Kolportagebuchhandlung aus, in deren Interesse es
lag, sie zu verbreiten, um durch meinen Namen möglichst
viel Geld zu verdienen. Sie fand in Herrn Cardauns,
dem damaligen Hauptredakteur der "Kölnischen Volkszeitung",
den Mann, der durch seine Veröffentlichungen für
diese Verbreitung mehr als reichlich sorgte und es sogar
unternahm, die sogenannten "Beweise" zu liefern, daß die
betreffenden Unsittlichkeiten aus keiner anderen als nur
aus meiner Feder stammen. Ganz selbstverständlich konnte
der wahre, unanfechtbare Beweis nur durch die Vorlegung
der von mir geschriebenen Originalmanuskripte geführt
werden. Jeder andere Beweis konnte nur durch absichtliche
Täuschung oder Selbstbetrug ermöglicht sein und
mußte sich schließlich zur Spiegelfechterei gestalten.

Welche Art des Beweises nun führte Herr Cardauns?
Er brachte Behauptung über Behauptung. Er führte eine
ganze Reihe von "inneren Gründen" an, hinter denen sich
der Mangel an wirklichen Gründen versteckte. Er sprach
von Beweisen, Belegen, untrüglichen Aktenstücken und
dergleichen. Das Wiener "Neuigkeits-Weltblatt" weist ihm
sogar die Behauptung nach, er besitze die Originalbelege
dafür, daß May unzweifelhaft schuldig sei. Jedermann
mußte hierauf annehmen, daß er meine Originalmanuskripte
in den Händen habe, und darum glaubte man ihm, zumal
die Blätter, in denen er seine Behauptungen aufstellte, mir
die Aufnahme meiner Entgegnungen beharrlich verweigerten.
Er machte mit seiner Selbsttäuschung Schule: andere
täuschten sich mit, bis sie mit der Zeit dann ganz von
selbst zur richtigen Einsicht kamen. Heute glauben nur
noch Wenige seinen Ausführungen. Andere akzeptieren
sie aus prozessualen und ähnlichen guten Gründen. Ob
Pater Expeditus Schmidt und Pater Ansgar Pöllmann,
meine beiden neuesten Gegner, wirklich an ihren Cardauns
glauben, das weiß ich nicht; ich kann da nur vermuten.
Was sie behaupten, gilt für mich noch lange nicht als
Beweis. Aber sie fußen in allem, was sie gegen mich
tun, auf altem Cardaun'schem Grund und Boden und
scheinen wirklich überzeugt zu sein, daß ich nächstens unter
ihren und den Anschuldigungen ihrer Verbündeten
zusammenbrechen werde.

Diese Verbündeten sind: die frühere Kolporteuse Frau
Pauline Münchmeyer, Herausgeberin des berüchtigten,
von der Polizei konfiszierten "Venustempels". Ferner
der Rechtsanwalt dieser Frau, Dr. Gerlach in Dresden,
der nun schon seit neun Jahren unausgesetzt gegen mich im
Felde liegt. Und endlich der wohlbekannte Herr Rudolf
Lebius in Charlottenburg, der aus der christlichen Kirche
ausgetretene Sozialist, dem ich 3000 bis 6000 Mark und
dann sogar 10 000 Mark geben sollte, dafür wolle er mich
in seinem Blatt loben und preisen. Ich gab ihm nichts.
Da ging er zu Münchmeyers über und war seitdem der
unermüdlichste meiner Gegner. Ich bemerke ausdrücklich,
daß auch er Herrn Advokaten Gerlach zum Anwalt hat.
Und wenn ich nun hinzufüge, daß dieser Münchmeyersche
Herr Gerlach zugleich auch Anwalt und Berater von Pater
Expeditus Schmidt und Pater Ansgar Pöllmann ist, so
ergibt sich folgendes drastische Hetzjagdbild: Ich bin
vollständig eingekreist. Rund um mich stehen Herr Cardauns,
Frau Kolporteuse Pauline Münchmeyer, Herr Advokat
Gerlach, Pater Schmidt, Herr Lebius und Pater Pöllmann.
Diese alle sind jederzeit schußbereit. Sie leugnen zwar
den gegenseitigen Verkehr, geben sich aber in ihren
Prozessen gegenseitig als Zeugen und Sachverständige an und
helfen einander bei Sammlung von Beweismaterial gegen
mich und bei der Anfertigung von Eingaben und Schriftsätzen
für das Gericht. Der Ueberragendste von ihnen
ist aber dieser Münchmeyersche Advokat, der alles und
alle dirigiert, sogar die beiden Patres. Der unschädlichste
und erfreulichste aber ist Herr Cardauns, der meines
Wissens niemals zu dem Eingeständnis gebracht werden
konnte, daß er meine Originalmanuskripte nicht besitze,
kürzlich aber in Bonn in meiner Gegenwart vor dem
beauftragten Richter als Zeuge zugeben mußte, daß er sie noch
nie gesehen habe.

Ob mich die Dame Münchmeyer mit Hilfe ihrer fünf
weltlichen und geistlichen Genossen zur Strecke bringen
wird, ist eine schon längst entschiedene Frage. Kein Kenner
der Verhältnisse stellt sie mehr auf. -- --

Radebeul-Dresden, Oktober 1910.
Karl May.

_________


IX.
Schluß.

_____

Wie meine "Reiseerzählungen" nur Skizzen sind, so ist
auch das vorliegende Werk nur Skizze. Es kann gar
nichts anderes sein, weil das, was ich erzähle, noch nicht
zu Ende ist und weil eine Menge mir auferzwungener
Prozesse wie drohende Revolver auf mich gerichtet sind.
Außerdem verhindern mich brutale Körperschmerzen, in
der Weise zu schreiben, wie ich möchte. Zehn Jahre lang
täglich viermal ganze Stöße von Briefen und Zeitungen
erhalten, die von Gift und Hohn und Schadenfreude
überfließen, das hält kein Simson und kein Herkules aus.
Geist und Seele sind stark geblieben. Es hat sich in mir
nicht das Geringste geändert. Mein Gottvertrauen und
meine Menschenliebe sind nicht ins Wanken gekommen.
Aber meinen Körper, den früher so unverwüstlich scheinenden,
hat es endlich doch gepackt. Er will zusammenbrechen.
Seit einem Jahre ist mir der natürliche Schlaf versagt.
Will ich einmal einige Stunden ruhen, so muß ich zu
künstlichen Mitteln, zu Schlafpulvern greifen, die nur
betäuben, nicht aber unschädlich wirken. Auch essen kann
ich nicht. Täglich nur einige Bissen, zu denen meine arme,
gute Frau mich zwingt. Dafür aber Schmerzen, unaufhörliche,
fürchterliche Nervenschmerzen, die des Nachts
mich emporzerren und am Tage mir die Feder hundertmal
aus der Hand reißen! Mir ist, als müsse ich ohne Unterlaß
brüllen, um Hilfe schreien. Ich kann nicht liegen, nicht
sitzen, nicht gehen und nicht stehen, und doch muß ich das
alles. Ich möchte am liebsten sterben, sterben, sterben,
und doch will ich das nicht und darf ich das nicht, weil
meine Zeit noch nicht zu Ende ist. Ich muß meine
Aufgabe lösen.

Meine Aufgabe? Ja, meine Aufgabe! Die habe
ich endlich, endlich erkannt. Sie ist genau dieselbe, wie
ich dachte, und aber doch eine ganz, ganz andere. Ich
sagte bereits: Das Karl May-Problem ist, wie das
Problem jedes andern Sterblichen, ein Menschheitsproblem
im Einzelnen. Aber während die meisten Menschen nur
dazu berufen sind, in ihrem kleinen, engen Kreise gewisse
Phasen des großen Problems darzustellen, gibt es noch
Andere, denen die schwere Aufgabe wird, ein Abbild
desselben zwar auch nur im Kleinen, aber doch nicht im
Einzelnen, sondern im Ganzen zu liefern. Die Vielen
stellen Menschheitsteile, diese Wenigen aber stellen
Menschheitsbilder dar. Die Vielen können ihren engen
Kreis sauber halten; sie sind Dutzendmenschen; sie können
sogar als Mustermenschen erscheinen. Den Wenigen aber
ist die Tugend und die Sünde, die Reinheit und der
Schmutz der ganzen Menschheit in gleichem Verhältnisse
wie dieser zugeteilt; sie können berühmte Feldherren oder
rohe Mörder, große Diplomaten oder berüchtigte
Schwindler, segensreiche Finanzgenies oder niedrige
Taschendiebe, niemals aber Mustermenschen werden.
Ihnen ist nicht das wohltuende Glück der unbewußten
Mittelmäßigkeit beschieden. Ist das Leben mächtiger als
sie, so werden sie zwischen Tugend und Laster, zwischen
Höhe und Tiefe, zwischen Jubel und Verzweiflung hin-
und hergezerrt, bis sie über den Wolken zerstäuben oder
in den Schluchten zerschellen. Sind sie stärker als das
Leben und sind sie im Glücke geboren, so werden sie in
stolzer Ruhe ihre leuchtenden Bahnen ziehen; kamen sie
aber unter den Augen der Niedrigkeit, der Armut und
der Not zur Welt, so werden sie zwar ihr Ziel erreichen,
weil sie es erreichen müssen, aber der Widerstand, den
sie zu überwinden haben, wird ein grausamer, ein
unerbittlicher sein, und ehe sie, da oben angekommen, ihren
Siegesruf erschallen lassen können, werden sie ermattet
zusammenbrechen, um die Augen für diese Welt zu
schließen.

Eigentlich sollte ein Jeder wissen, zu welcher von
diesen Menschenarten er gehört, oder er sollte sich doch
wenigstens verpflichtet fühlen, hierüber nachzudenken.
Das habe ich getan, und ich bin zu der Ueberzeugung
gekommen, daß ich kein billiges, ungestörtes Durchschnittsglück
zu beanspruchen hatte, sondern das Menschheitselend
in seinen tiefsten Tiefen kennen lernen mußte, um
mich ebenso beharrlich und ebenso mühevoll aus ihm
emporzuarbeiten, wie die Menschheit Ströme von Schweiß
und Blut und die Zeit von Jahrtausenden braucht, sich
aus dem ihrigen zu erheben. Ebenso bin ich überzeugt,
daß es mir beschieden war, dabei den hartnäckigen
Widerstand zu finden, der sich mir auch heute noch
entgegenstellt, und daß ich mich nicht über ihn beschweren
darf, weil ich ihn mir ebenso selbst bereitet habe, wie
die Menschheit schneller vorwärtskommen würde, wenn
sie endlich aufhören wollte, sich ihren eigenen Weg mit
Hindernissen zu belegen. Man sieht, daß ich keinen
anderen, als nur mich selbst anklage.

Habe ich in diesem Buche einmal zu hart oder scharf
gesprochen, bin ich unbillig oder unfügsam gewesen, so
war dies keineswegs beabsichtigt oder gewollt, sondern
die immer noch nicht ganz überwundene Anima ist es
gewesen, die es mir diktierte. So lange sich der Mensch
im Niedrigen bewegt, und das mußte ich in dieser meiner
Lebensbeschreibung doch mehr als reichlich tun, hat das
Niedrige Macht über ihn, und ich durfte nicht unwahr
sein; ich mußte so schreiben, wie das Milieu es mit sich
brachte. Nun ich aber zum Schlusse gelange und bessere,
reinere Luft zu atmen beginne, bin ich auch reiner und
freier in dem, was ich schreibe, und bekomme die Kraft
zurück, alles das, was mich verbittern will, zu
überwinden.

Und mich zu verbittern, war mehr als genugsam
Grund vorhanden. Ich spreche da nur von den
letztvergangenen zehn Jahren und den Begleiterscheinungen
des Münchmeyerprozesses. Dieser wurde von Seiten
meiner Gegner resp. ihres Rechtsanwalts Gerlach in
einer Weise geführt, die ich vorher für vollständig
unmöglich hielt. Ich ahnte nicht, in wie weitgehender
Weise das Gesetz in dieser Beziehung den Anwalt schützt.
Wenn es gilt, den Gegner in den Augen der Richter
herabzusetzen, darf er sich erlauben, was sich sonst
Niemand erlauben darf. Er steht unter dem Schutze des
Paragraphen 193, denn er handelt im Interesse seines
Klienten. Ich bringe eine Musterauswahl der Ausdrücke,
die ich mir vom Münchmeyerischen Advokaten Dr. Gerlach
gefallen lassen mußte, weil er sich ihrer in seiner
Eigenschaft als Anwalt bediente:

Er beschuldigte mich "frecher Anzapfungen", "unberechtigter
Forderungen", zahlreicher "Dreistigkeiten"
und "faulen Zaubers". Er nannte mich "raffiniert",
"frech", "dreist", "verleumderisch", "pathologisch zur
Unwahrheit reizend", "Lügner", "Lügenmay", Renommist",
"Münchhausen", "Aufschneider", "Betrüger", "Lump",
"Schwindler", "Allerweltsschwindler", "Einbrecher",
"Hochstabler" [sic], "Zuchthäusler" usw. usw. Ich frage:
Sind dergleichen Beschimpfungen, selbst wenn sie die
Wahrheit enthielten, im gewöhnlichen Leben erlaubt?
Würde ein wirklich gebildeter Mann mit Einem, der sich
ihrer schuldig macht, verkehren wollen? Nun, im Verkehr
vor Gericht sind sie gestattet, denn ich habe diesen
Anwalt auf sie hin wegen Beleidigung verklagt und bin
abgewiesen worden. Aber noch mehr: Er erhob auf
diese meine Klage hin Gegenklage gegen mich, und
diese wurde nicht zurückgewiesen. Der Richter ist hieran
völlig unschuldig; er kann nicht anders; das Gesetz
verlangt es so! Eines Tages, als die Zeugenaussagen für
die Münchmeyersche Partei nicht günstig ausgefallen
waren, sagte dieser Anwalt zum Richter: "Aber es ist
doch ganz unmöglich, daß ein vorbestrafter Mensch, wie
May, den Prozeß gewinnen kann!" "Das haben Sie
abzuwarten," antwortete ihm der Richter. Ich stand
dabei und mußte mir die Beleidigung gefallen lassen,
denn das Gesetz erlaubte sie ihm. Das ist nun fast zehn
Jahre lang so gegangen und geht noch heut in diesem
Tone und in dieser Weise fort. Ein sehr hoch stehender
Richter sagte, hierauf bezüglich, zu meinem Rechtsanwalt:
"Niemals in meiner ganzen, langen Praxis ist mir eine
Sache seelisch so nahe getreten, wie die von Karl May.
Was muß dieser arme, alte Mann gelitten haben! Er
hätte getrost hinzufügen können: "Was leidet er noch,
und was wird er noch weiter leiden!" Dieser Richter
kannte meine Vorstrafen genau; er hatte die hierüber
vorhandenen Akten studiert. Ich gewann trotzdem und
trotz aller gegnerischen Schmähungen den Prozeß in
sämtlichen Instanzen, gewiß ein laut sprechender Beweis,
daß der deutsche Richter sich durch anwaltliche Invektiven
nicht beeinflussen läßt; aber ruhig anzuhören hatte ich
sie doch und habe ich sie noch heut. Und sie wirken,
wenn nicht auf das Urteil, so doch ganz bestimmt nach
anderer Seite hin. Sie verrohen den Parteiverkehr und
greifen aus dem Verhandlungszimmer hinaus in das
öffentliche und hinein sogar in das private Leben. Man
wird alle die beleidigenden Ausdrücke über mich, die ich
oben angeführt habe, schon in den Zeitungen gelesen
haben und ihnen ebenso auch im Privatverkehr begegnet
sein. Das ist die notwendige Folge der Freiheiten, die
jeder übelwollende, rücksichtslose Rechtsanwalt sich nehmen
darf, wenn er einsieht, daß die Roheit ihn weiter führt
als die Humanität. Er schreibt diese Roheiten in seine
Schriftsätze und lanciert sie von da als beweiskräftiges
Aktenmaterial hinaus in die Zeitungen. Oder er schickt
sie zuerst in die Zeitungen und legt sie dann in gedruckter
Form dem Gericht als Beweise vor, ohne zu sagen, daß
sie von ihm stammen. Stehen einem derartigen Anwalte
einige gleichgesinnte, von ihm gewonnene Blätter oder
Blättchen zur Seite, so ist es ihm ein Leichtes, eine jede
Existenz, und stehe sie noch so fest, in kurzer Zeit zu
erschüttern oder wohl gar zu vernichten. "In den Zeitungen
von ganz Deutschland kaput machen," nennt man das.
Und das Gesetz begünstigt dieses Treiben!

Es liegt mir da noch ein anderes, hochinteressantes
Beispiel nahe, welches nichts weniger als empfehlend für
mich klingt. Ich bringe es aber trotzdem, weil ich, wenn
ich der Allgemeinheit nützen will, nicht fragen darf, ob
ich mir selbst etwa dadurch schade. Meine erste Frau
hatte die Frau eines Dresdener Schriftstellers beleidigt,
welcher von Münchmeyers aus wußte, daß ich vorbestraft
bin. Er rächte sich dadurch, daß er mich bei einem
deutschen Fürsten denunzierte und ihm mitteilte, daß seine
Verwandten meine Bücher läsen und mich auch persönlich
besuchten. Der Fürst antwortete durch Schweigen.
Da kam eine zweite Denunziation, und nun war der
Fürst gezwungen, sich nach Dresden zu wenden, um zu
erfahren, was mit meinen Vorstrafen sei. Er erhielt
die eingehendste Auskunft. Es wurde ein Beamter nach
Radebeul geschickt, um sich an Ort und Stelle zu
erkundigen. Er erfuhr, daß meine Ehe keine glückliche sei,
weshalb ich in meinen freien Stunden nicht zu Hause
bleibe, und daß ich in meinen Büchern über Länder
schreibe, in denen ich gar nicht gewesen sei; Alles, was
ich da berichte, sei nicht wahr. Infolge dessen steht in
den Dresdener Polizeiakten über mich verzeichnet, daß ich
einen unsoliden Lebenswandel führe und ein literarischer
Hochstabler [sic] sei. Das wurde dem Fürsten mitgeteilt, und
einer der betreffenden Verwandten erzählte es mir bei
nächster Gelegenheit sehr ausführlich wieder. Er wußte
sehr wohl, was an der Sache war, bat mich aber um
Diskretion, so daß ich gezwungen war, hierüber zu
schweigen. Ich glaubte auch, schweigen zu können, weil
ich annahm, daß derartige Polizeiakten zu den
verschwiegendsten Dingen der Verwaltung gehören. Jetzt
aber werden sie zu meinem Erstaunen von Lebius veröffentlicht
und von meinen Gegnern entsprechend ausgebeutet.
Wie kommt ein aus der Kirche ausgetretener Sozialdemokrat
a. D. zu diesen geheimen Dresdener Polizeiakten?
Das Gesetz gestattet es! Ganz selbstverständlich fühle
ich mich nun nicht mehr zur Diskretion verpflichtet und
werde darauf dringen, daß diese Akten revidiert und
berichtigt werden.

Ein weiterer Fall führt mich nach Leipzig, wo ich
wie auf Seite 119 berichtet, vor nun fünfundvierzig
Jahren auf ungesetzlichen Wegen ergriffen wurde. Das
ist so lange her, daß die betreffenden Gerichtsakten längst
vernichtet worden sind, denn die Menschlichkeit verlangt,
daß solche Spuren nur von einer ganz bestimmten Dauer
seien, und diese Dauer ist vorüber. Wer hat nun daran
gedacht, daß auch bei der dortigen Polizei Notizen
hierüber gemacht worden und vielleicht noch vorhanden sein
können? Herr Lebius hat sie kürzlich veröffentlicht! Wie
kommt ein Mann, wie er, nun auch zu den Leipziger
Polizeiakten? Das Gesetz erlaubt es!

Ebenso hat er meine Scheidungsakten veröffentlicht.
Sie sind doch gewiß von diskretester Natur und gehen ihn
gar nichts an. Aber das Gesetz erlaubt es ihm!

Er ist über Alles unterrichtet, was sich auf meine
prozessualen Verhältnisse bezieht. Wer erlaubt ihm das,
und wer ermöglicht es ihm? Das Gesetz und der Münchmeyersche
Rechtsanwalt, der zugleich auch der seinige ist.
Beide arbeiten einander aus der Hand in die Hand.
Es ist sogar vorgekommen, daß Lebius meine geschiedene
Frau in Berlin zum Unterschreiben eines Vollmachtsblanketts
veranlaßte, dieses aber nach Dresden zum
Münchmeyerschen Rechtsanwalt schickte, der es dann für
sich ausfüllte, wie es für seine besonderen Zwecke paßte.
Das sind nur einige wenige Beispiele aus meiner reichen,
persönlichen Erfahrung dafür, daß das Gesetz Dinge nicht
nur erlaubt, sondern sogar begünstigt, die es eigentlich
auf das strengste verbieten sollte. Dem steht selbst der
rechtlichste und humanste Richter machtlos gegenüber, und
das war es, woran ich dachte, als ich weiter oben sagte,
daß ich meine Aufgabe endlich, endlich erkannt habe.
Ich bin vor nun vierzig und fünfzig Jahren unfreiwillig
da hinunter gestiegen, wo die Verachteten wohnen, denen
es so schwer gemacht wird, sich die ihnen geraubte Achtung
zurück zu erwerben. Ich habe sie kennen gelernt, und
ich weiß, daß sie nicht weniger wert sind, als alle die,
welche nur deshalb niemals stürzten, weil sie entweder
niemals hoch standen oder nicht die nötige innere Freiheit
besaßen, stürzen zu können. Ich will wieder zu ihnen
hinab, jetzt als fast Siebzigjähriger, nicht gezwungen,
sondern aus freiem Willen, aus eigenem Entschlusse. Ich
will ihnen sagen, was ihnen noch Niemand zu sagen
wagte, nämlich daß ihnen Niemand helfen kann, wenn
sie sich nicht selbst zu helfen wissen. Daß sie verloren
sind, außer sie retten sich durch eigene Kraft. Durch
engsten Zusammenschluß unter sich selbst. Ich will ihnen
mein Beispiel vorhalten, mein Leben und mein Streben.
Will ihnen zeigen, was aller gute Wille und alle Mühe
fruchtet, wenn bei Andern dieser gute Wille fehlt. Ihnen
zeigen, daß ein einziger unfairer Rechtsanwalt oder dieser
eine, einzige Paragraph 193 genügt, selbst die schönsten
und die besten Erfolge der Willensstärke, der christlichen
Liebe und der Humanität mit einem Schlage zunichte
zu machen. Ich will ihnen sagen, daß es eine Sünde
von der Menschheit ist, ihre Mitschuld an der Schuld
der Schuldigen zu verbergen. Daß es aber auch von
diesen ein Fehler ist, zu verheimlichen, daß sie einst
schuldig waren. Unser Leben, mein Leben, ihr Leben soll
frei vor Gottes Auge liegen, besonders aber auch frei vor
unserem eigenen Auge. Dann zürnen wir nicht, und dann
grollen wir nicht. Denn dann sehen wir ein, warum
wir fallen konnten: Wir fielen durch uns selbst. Und
sehen wir das ein, so können wir uns selbst verzeihen,
und wer sich selbst verzeihen darf, dem wird verziehen
werden. Weg also mit der falschen Scham, und heraus
mit der Offenheit! Nur das Geheimnis, in das wir uns
hüllen, gibt jenem Paragraphen und jedem gewissenlosen
Menschen die Macht, sich höher und besser zu dünken
als wir, und doch unser -- -- -- Henker zu sein!

Es sind nur Andeutungen, die ich hier gebe. Wie
alles Bisherige, so kann auch dieses einstweilen nur
Skizze sein. Aber ich fühle das Bedürfnis, das, was
Andere Böses an mir taten, für meine Mitmenschen in
Gutes zu verwandeln. Ich werde es denjenigen, die
gleiches Schicksal, wie ich, hatten, ermöglichen, aus der
unmenschlichen Hetze gegen mich diejenigen Schlüsse zu
ziehen, die ihnen heilsam sind. Was nützt alle sogenannte
"Gerechtigkeit", alle sogenannte "Milde des Gerichtes",
alle sogenannte "Humanisierung des Strafvollzuges", alle
sogenannte "Fürsorge für entlassene Strafgefangene",
wenn es nur eines einzigen spitzfindigen Anwaltes oder
eines einzigen fragwürdigen Paragraphen bedarf, um all
das Gute, welches aus diesen Bestrebungen erwuchs, in
einem einzigen Augenblicke zu vernichten? Wie kann
man von dem Gefallenen verlangen, daß er wieder aufstehe
und sich bessere, wenn man es unterläßt, auch die
Verhältnisse, in die man ihn zurückversetzt, zu verbessern?
Ist es eine Ermunterung für ihn, zu wissen, daß er trotz
aller Besserung doch, so lange er lebt, der Geächtete, der
Unterdrückte, der Rechtlose bleiben muß und bleiben wird,
weil er gezwungen ist, zu allem zu schweigen und sich
alles gefallen zu lassen? Denn falls er das nicht tut,
ist er verloren. Wenn er hingeht, um gegen die, welche
ihn beleidigen, bestehlen und betrügen, sein gutes Recht
zu suchen, schleppt man seine alten Akten herbei und stellt
ihn an den Pranger. Ich erinnere daran, daß ich von
einem Dresdener Staatsanwalt sogar aus nur rein
"wissenschaftlichen" Gründen an diesen Pranger genagelt
worden bin, bei lebendigem Leibe! Er konnte nicht
einmal meinen Tod abwarten und behauptete, durch einen
Gesetzesparagaphen zu dieser Vivisektion berechtigt
worden zu sein. Da schaut man denen, die von Humanität
sprechen, ganz unwillkürlich in das Gesicht, ob sich
da nicht etwa ein sardonisches Lächeln zeigt, welches
verrät, wie es eigentlich steht. Und da fühlt man mit den
Hunderttausenden, die hierunter leiden, das brennende
Bedürfnis, einmal alle die Paragraphen, an denen der
gute Wille der Menschheit scheitert, an das Tageslicht
zu ziehen und dahin zu stellen, wo sie stehen müssen, um
durchschaut zu werden -- -- -- vor die Oeffentlichkeit,
vor den Reichstag!

Hier liegt der Punkt, an dem meine Aufgabe anzusetzen
hat. Es hat schon Einige gegeben, die als "entlassene
Gefangene" ihre Erfahrungen niedergeschrieben
haben; aber was man da erfuhr, das war so unbedeutend,
daß es der Allgemeinheit keinen Nutzen bringen konnte.
Hier genügt es nicht, kleine Menschengeschicke zu zeigen,
sondern schwere, gewichtige Menschenschicksale, die, auch
im klassischen Sinne, wirkliche Schicksale sind. _Und_
_das_meinige_ist_ein_solches._ Ich fühle mich
verpflichtet, und meine Aufgabe ist, es in den Dienst der
Humanität zu stellen. Wie ich mir das denke, das wird
man, hoffe ich, aus meinem zweiten Bande ersehen.

Es gehörte zu dieser meiner Aufgabe, daß die
Oeffentlichkeit sich nicht nur mit dem Schriftsteller Karl
May, sondern auch mit dem Menschen May befaßte und
daß Alles, was dem Letzteren vorzuwerfen war, bis auf
den letzten Tropfen ausgeschöpft werden mußte. Das
Eine war berechtigte Kritik; das Andere war Henker-,
Schinder- und Kavillerarbeit, die ich über mich ergehen
lassen mußte, ohne mich durch das mir abgeforderte Geld
von dieser Qual und Marter zu befreien. Das war die
Geisterschmiede meines Märchens, in der man auf mich
losschlug, daß die Funken durch alle Zeitungen flogen.
Sie fliegen sogar noch heut. Doch wird bald Ruhe
werden. Die Zeit des Hammers ist vorüber; es kommt
nur noch die Feile, und dann ist es gut. Daß all das
Leid, welches über mich kam, auch meine andere, die
schriftstellerische Aufgabe, beeinflussen mußte, versteht sich
ganz von selbst. Auch da gab es Schlacken, und zwar
mehr als genug. Auch sie mußten herunter. Es flog
der Ruß, der Schmutz, der Staub, der Hammerschlag.
Noch liegt das alles um mich her, doch nun wird
ausgeräumt, damit das reine, edle Werk beginne.

Es war überhaupt ein großes, ein schweres und
ein höchst schmerzhaftes Auf- und Ausräumen. Nicht
nur in meinem Innern, sondern auch in meinem Aeußern,
in meiner Arbeit, meinem Berufe, meinem Hause, meiner
Ehe. Alles, was mich in die Schmiede und dem Schmerze
in die Arme getrieben hatte, mußte weichen. An seine
Stelle trat, was rein und ehrlich war und mit nach oben
strebte, aus Ardistan nach Dschinnistan, dem Land der
Edelmenschen. Das gab eine Scheidung von Gut und
Bös, die nur unter Kämpfen und Opfern ausgeführt werden
konnte. Nun ist sie vollzogen. Die Wetter gingen vorüber.
Zwar rauscht noch hier oder da ein trübes Wasser, irgend
ein Beleidigungsprozeß, eine Staatsanwaltschaftsanzeige,
doch auch das geht bald vorbei, und dann wird Ruhe
und Friede um mich sein, so daß ich endlich, endlich Zeit
und Raum und Stimmung gewinne, an mein eigentliches,
an mein einziges und letztes "Werk" zu gehen.

Schau ich auf die letzten zehn Jahre zurück, so bin
ich voller Dankbarkeit, sie überstanden zu haben. Eine
"Hetze" wie die gegen mich, hat es, so lange die Erde
steht, noch nie in der Literatur irgend eines Landes, eines
Volkes gegeben. Das gab Zeitungsstürme, Stürme in
den Gerichtssälen, Stürme im eigenen Hause und Stürme
im eigenen Innern. Mein alter, treuer, guter Freund,
der Körper, behauptet zwar, nicht länger mitmachen zu
können, aber ich bin überzeugt, daß er doch wieder so
bereitwillig und verständig wird, wie er immer gewesen
ist. Er hat ertragen müssen, was eigentlich wohl nicht
zu ertragen war. Zunächst sechs Jahre lang die drei
Instanzen des ersten Münchmeyerprozesses mit allen
Aufregungen und Armseligkeiten, die mit ihm verbunden waren.
Sodann die zweiundzwanzig Monate währende Untersuchung
wegen Meineid und Verleitung dazu. Denn der
Münchmeyersche Rechtsanwalt hatte, nachdem der Prozeß
für ihn verloren war, mich und meine Zeugen beim
Staatsanwalte wegen Meineides angezeigt. Der Staatsanwalt
war, nach seiner eigenen Aussage auf diese Anzeige
eingegangen, um endlich einmal Klarheit zu schaffen.
Dieser fast zwei Jahre lange Kampf endete ganz
selbstverständlich damit, daß man weder mir noch meinen Zeugen
etwas Strafbares nachweisen konnte. Aber damit noch
nicht genug, gesellte sich noch Anderes dazu, was fast
noch schlimmer als alles Vorhergehende war. Die ersten
Lebiusangriffe. Eine doppelseitige Lungenentzündung, die
mich monatelang zwischen Tod und Leben schweben ließ.
Die Beschuldigungen, welche meine geschiedene Frau auf
mich, meine jetzige Frau und ihre Mutter wälzte und
mit denen sie uns in schwere Strafe bringen wollte. Die
Staatsanwaltschaftsanzeigen, welche sie dann wegen dieser
Beschuldigungen durch einen Freund gegen uns erheben
ließ. Dieselben Staatsanwaltsanzeigen, von Lebius in
Berlin wiederholt. Glücklicher Weise hatte diese geschiedene
Frau Alles, was sie dann nach der Scheidung leugnete,
während des Scheidungsprozesses ganz fremden Leuten
und ohne all mein Zutun freiwillig erzählt und
eingestanden, so daß sie zu diesem späteren Leugnen nur
verführt sein konnte. Die Vorlegung dieser Beweise zeigte
alle Anklagen gegen mich als Lügen. Ferner der Antrag
des Lebius an die Staatsanwaltschaft, mich in ein Irrenhaus
zu sperren. Sein Antrag, mich nach Amerika steckbrieflich
verfolgen zu lassen. Die zahllosen Artikel gegen
mich in seinem Blatte, der "Bund". Seine Flugblätter
mit den gräßlichsten Unwahrheiten, welche die Runde durch
Deutschland, Oesterreich, Schweiz, Italien, Frankreich,
England, Nord- und Südamerika machten. Da beschuldigte
er mich sogar, meinen Schwiegervater erwürgt
zu haben! Das geht so fort bis in die neueste Zeit.
Schließlich eine Denunziation wegen Beleidigung des
Untersuchungsrichters, und zu allerletzt, vor ungefähr vier
Wochen, eine Anzeige an den Staatsanwalt gegen mich
wegen Blutschande, die bekanntlich mit bis fünf Jahren
Zuchthaus bestraft wird. Man sieht, daß man zu den
alleräußersten Mitteln greift, mich "kaput zu machen"!
Dies auszuhalten, ohne das Vertrauen zu Gott, den
Glauben an die Menschheit und alle Lebenslust und
Lebenskraft zu verlieren, ist eine Tat, zu der wohl kaum
jeder fähig ist. Ich habe es ertragen, ohne mich zur
Selbsthilfe reizen zu lassen, weil ich keinen Augenblick
lang an Gott und seiner Liebe zu zweifeln vermag und
weil mir in dieser überschweren Zeit ein Wesen zur Seite
gestanden hat, dessen tapfere, hochstrebende Seele mich wie
auf Engelsflügeln über alles Leid erhob, dem ich verfallen
sollte, nämlich meine jetzige Frau. Wenn man berechtigt
gewesen ist, Bücher über das Thema "die Bestie im Weibe"
zu schreiben, so könnte ich mich wohl verpflichtet fühlen,
demgegenüber ein Buch zu veröffentlichen, welches den
Titel "Der Himmel im Weibe" führt.

Mit einer solchen Frau an der Seite, die mir eine
Quelle alles menschlich Reinen, menschlich Edeln und
menschlich Ewigen ist, läßt sich in Beziehung auf das
Erdenleid Alles erlangen und in Beziehung auf die noch
vor mir liegende Arbeit Alles leisten, was menschenmöglich
ist. Ich bin nicht mehr so fürchterlich allein.
Ich habe nicht mehr immer nur aus mir selbst herauszuschöpfen,
sondern es hat sich mir ein köstlich reiches
seelisches Leben zugesellt, durch dessen Einfluß sich Alles,
was in mir zum guten Ziele führt, verdoppelt. Körperlich
schwer leidend, bin ich geistig frisch und seelisch
wenigstens ebenso vertrauensvoll wie in der Jugendzeit.
Ich bin nicht töricht genug, mir zu verheimlichen, daß
man mich als einen Ausgestoßenen betrachtet, ausgestoßen
aus Kirche, Gesellschaft und Literatur. Der Eine schlägt
auf mich los, weil er mich für einen verkappten
Katholiken oder gar Jesuiten halt; der Andere greift zum
Prügel, weil er meint, ich sei noch immer heimlich
Protestant. Würden diese Beiden es wohl fertig bringen,
sich immer grad nur zu denen zu bekennen, von denen
sie die meisten Prügel bekommen? Daß man mich als
gesellschaftlich tot betrachtet, rührt mich nicht. Ich habe
nicht den geringsten Grund, partout zu der Gesellschaft
gehören zu wollen, die ich in meiner Leidenszeit gezwungen
war, kennen zu lernen. Uebrigens haben wir beide alten
Leute, meine Herzensfrau und ich, in Beziehung auf das
Innenleben aneinander so vollauf genug, daß wir es gar
nicht fertig bringen, uns nach "Gesellschaft" zu sehnen.
Und was meine literarische Ausstoßung betrifft, so kann
ich mich auch mit ihr zufrieden geben. Den Weg, auf
dem ich mich befinde, ist noch kein Anderer gegangen;
ich wäre also auch ohne den Haß, den man auf mich
richtet, gezwungen, ein Einsamer zu sein. Auch bin ich
überzeugt, daß später, wenn man mich und das, was ich
will, erst richtig kennen gelernt hat, sich Manche, vielleicht
sogar Viele von dem großen Haufen absondern werden,
um sich mir zuzugesellen. Alte Wege können höchstens
zu alten, toten Schätzen führen. Wer aber nach neuen,
lebendigen Schätzen sucht, der soll auch neue, nicht alte
Wege gehen. Und der meinige ist ein neuer! Das
Schicksal meiner bisherigen Arbeiten wird nur durch
ihren Wert oder Unwert bestimmt, durch nichts Anderes.
Taugen sie etwas, so werden sie bleiben, ganz gleich,
ob man sie gegenwärtig lobt oder tadelt. Taugen sie
nichts, so werden sie verschwinden, ganz gleich, ob man
sie jetzt verwirft oder nicht. Und, was die Hauptsache
ist, derjenige, der über ihren Wert oder Unwert bestimmt,
bin nur ich allein. Keiner meiner Gegner, und sei er
literarisch noch so mächtig und einflußreich, kann auch
nur den geringsten Einfluß darauf haben. Das klingt
stolz und prahlerisch, ist aber wahr. Diese Werke sind
Skizzensammlungen, sind Vorübungen, sind Vorbereitungen
auf Späteres. Gelingt mir dieses Spätere, so ist alles, durch
was ich mich darauf vorbereitete, gerechtfertigt, mag man
jetzt darüber denken und schreiben, wie oder was man will.

Nun bleibt nur noch eine Schlußbemerkung in Beziehung
auf die Münchmeyerromane übrig. Einer meiner
erbittertsten Gegner schrieb, ich solle es ja Niemandem
weißmachen, daß ein Schundverlag sittliche Romane in
unsittliche verwandeln könne; das würde eine Riesenarbeit
sein, der Niemand gewachsen ist. Dieser Herr scheint so
glücklich zu sein, dem Leben und Treiben eines Schundverlages
unendlich fern zu stehen. Erstens wenn Jemand der Zeit
und der Mühe gewachsen ist, einen Roman zu schreiben,
so muß man doch noch viel mehr der kürzeren Zeit und
der geringeren Mühe gewachsen sein, diesen Roman
umzuändern! Zweitens erfordert eine solche Umänderung
keineswegs soviel Zeit und Arbeit, wie mein Gegner
anzunehmen scheint. Die Einfügung von einigen Worten
genügt vollständig, einen "moralischen" Druckbogen in
einen "unmoralischen" zu verwandeln. Drittens sind
Kräfte mehr als genug für solche Umarbeitungen vorhanden,
und sie besitzen eine so erstaunliche Routine darin,
daß selbst der Kenner sich über die Masse, die sie
bewältigen, wundert. Ich habe hierüber Beweise erbracht
und werde auch noch weitere bringen. Das oft erwähnte
Faktotum Walther saß bei Münchmeyers täglich von früh
bis abends, nur um solche Arbeiten zu machen und dann
die Korrektur zu lesen, die der Verfasser niemals zu sehen
bekam. Was erst Fischer, der Käufer des Münchmeyerschen
Geschäftes, und dann einige Jahre später seine Erben
mir über diese Umarbeitung meiner Romane materiell und
gerichtlich bezeugten, ist bekannt. Hierzu hat Münchmeyers
Neffe, der Obermaschinenmeister war, als Zeuge im Prozeß
bestätigt, daß Münchmeyer mit seiner eigenen Hand ganze
Kapitel verändert hat. Ein anderer Zeuge hat beschworen,
Münchmeyer habe ihm eingestanden, daß er an meinen
Romanen große, umfangreiche Aenderungen vornehme, ohne
es mir sagen zu dürfen. Ich brauche hier wohl nicht
noch weitere Beispiele, die mir zur Verfügung stehen,
anzuführen, um es begreiflich zu machen, daß ich absolut
die Vorlegung meiner Originalmanuskripte verlange, deren
Beweiseskraft doch jedenfalls eine ganz andere ist als etwa
die dunkle Erinnerung eines alten Schriftsetzers, der man
es zumutet, sich nach dreißig Jahren in dem Tohu wa bohu
der damaligen Münchmeyerschen Schriftkästen zurechtzufinden.
Uebrigens stechen diese Aenderungen oft so scharf
von meinem Urtexte ab, daß sehr zahlreiche Leser mir
versichern, ganz genau sagen zu können, wo die Fälschung
beginnt und wo sie endet.

Zuletzt kann ich es nicht unterlassen, auf einen Trick
meiner Gegner und besonders des Herrn Lebius aufmerksam
zu machen, den man anwendet, um meine den höhern
Kreisen angehörenden Leser gegen mich zu empören. Da
wird zum Beispiel an auffälliger Stelle gesagt, daß ich
in hervorragender Gesellschaft in Dresden verkehre und
daß ich mir überhaupt die größte Mühe gebe, mit
hochstehenden Leuten bekannt zu werden. Hiervon ist kein
Wort, kein Buchstabe wahr. Bin ich "Hans für mich",
so fühle ich mich am wohlsten, und ich wünsche in dieser
Beziehung weiter nichts, als "Hans für mich" zu bleiben.
Ich möchte den Menschen sehen, der mir den Nachweis
liefern wollte, ich hätte mich ihm gesellschaftlich
aufgedrängt! An andern Stellen wird emphatisch behauptet,
daß ich an "Höfen" verkehre. Das ist erst recht nicht
wahr. Wenn irgend eine aristokratische Persönlichkeit,
die zu irgend einem "Hofe" gehört, meine Bücher liest
und gelegentlich einige Worte mit mir spricht, so bin grad
ich der Allerletzte, der dies dahin auslegt, daß ich "bei
Hofe verkehre". Es kann diesen Behauptungen, die pure
Erfindungen sind, nur die Absicht zu Grunde liegen, mich
den betreffenden Kreisen als indiskret oder gar als Lügner
zu kennzeichnen und mich selbst da zu schädigen, wohin
ich absolut nicht gehöre. -- -- --

-- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --

Am Schlusse dieses Bandes komme ich auf den Anfang
zurück, auf mein altes, liebes Märchen von "Sitara",
von dem ich ausgegangen bin. Nicht lange Zeit mehr,
so wird man dieses Märchen als Wahrheit kennen lernen,
und zwar als die greifbarste, die es gibt. Es ist die
Aufgabe des begonnenen, gegenwärtigen Jahrhunderts,
unsere ungeübten Augen für die große, erhabene Symbolik
des alltäglichen Lebens zu schärfen und uns zu der
beglückenden und erhebenden Erkenntnis zu bringen, daß
es höhere und unbestreitbarere Wirklichkeiten gibt als
diejenigen, mit denen der Werk- und Wochentag uns beschäftigt.
Die Skizzen, die ich zeichnete und veröffentlichte,
sollen der Vorbereitung zu dieser Erkenntnis dienen.
Darum sind sie symbolisch geschrieben und, um verstanden
zu werden, nur bildlich zu nehmen. Man möchte sich
eigentlich darüber wundern, daß dies dem gewöhnlichen
Leser so schwer zu fallen scheint. Es ist doch wohl keine
allzu harte Nuß, sich beim Lesen eines Gleichnisses irgend
etwas zu denken. Wenn ich unter Ardistan das Land
der ethisch niedrig stehenden und unter Dschinnistan das
Land der hochstehenden, edel denkenden Menschen meine,
so kann es doch keiner geradezu akademischen Bildung
bedürfen, einzusehen, was ich meine, wenn ich eine Reise
von Ardistan nach Dschinnistan beschreibe. Der Leser
hat sich einfach aus seiner Alltagswelt in meine
Sonntagswelt zu versetzen, und das ist doch wohl auch nicht
schwerer, als Sonntags seine Werkelstube zu verlassen,
um bei Glockenklang in die Kirche zu gehen.

Wie dieser Kirchgang vom irdischen Druck befreit,
so will ich durch meine Erzählungen das Innere meiner
Leser vom äußeren Druck befreien. Sie sollen Glocken
klingen hören. Sie sollen empfinden und erleben, wie es
einem Gefangenen zumute ist, vor dem die Schlösser
klirren, weil der Tag gekommen ist, an dem man ihn
entläßt. So leicht es ist, diese Gefangenschaft bildlich
zu nehmen, so leicht ist es auch, meine Bücher zu
verstehen und ihren Inhalt zu begreifen. Ich will, daß
meine Leser das Leben nicht länger als ein nur materielles
Dasein betrachten. Diese Anschauung ist für sie ein
Gefängnis, über dessen Mauern sie nicht hinaus in das von
der Sonne beschienene freie, weite Land zu schauen
vermögen. Sie sind Gefangene, ich aber will sie befreien.
Und indem ich sie zu befreien trachte, befreie ich mich
selbst, denn auch ich bin nicht frei, sondern gefangen,
seit langer, langer Zeit. Damals, als ich mich im
Gefängnisse befand, da war ich frei. Da lebte ich im Schutze
der Mauern. Da meinte es ein Jeder gut und ehrlich,
der zu mir in die Zelle trat. Da durfte mich niemand
berühren. Da war es keinem erlaubt, den Werdegang
meines inneren Menschen zu stören. Kein Schurke hatte
Macht über mich. Was ich besaß und was ich erwarb,
das war mein sicheres, unantastbares Eigentum, bis ich
-- -- entlassen wurde, länger nicht! Denn mit dieser
Entlassung verlor ich meine Freiheit und meine Menschenrechte.
Was andere, die nur materiell zu reden wissen,
als Freiheit bezeichnen, das ist für mich ein Gefängnis,
ein Arbeitshaus, ein Zuchthaus gewesen, in dem ich nun
schon sechsunddreißig Jahre lang geschmachtet habe, ohne,
außer meiner jetzigen Frau, einen einzigen Menschen zu
finden, mit dem ich hätte sprechen können wie damals
mit dem unvergeßlichen katholischen Katecheten. Ich
lebte und arbeitete nicht für mich, sondern nur für Andere.
Was ich erwarb, um das wurde ich betrogen. Was ich
mir sparte, das stahl man mir. Ein Jeder durfte mit
mir machen, was ihm beliebte, denn überall fand er einen
Anwalt, der seine Sache führte. Ein Jeder durfte mich
verdächtigen, mich beleidigen, auf mich einschlagen, denn
überall gab es einen Paragraphen, der ihn schützte. Ich
mußte um meines Eigentums willen sechs Jahre lang
prozessieren, und als ich den Prozeß gewonnen hatte,
bekam ich noch lange nichts und wurde wegen Meineides
zweiundzwanzig Monate lang in Voruntersuchung genommen.
Nun prozessiere ich schon fast zehn Jahre lang
und habe noch immer kein Resultat. Das Gesetz will
es nicht anders. Inzwischen aber bin ich wie ein
Züchtling gewesen, den Jeder stäupen, quälen und martern
darf, wie es ihm beliebt, wenn es ihm nur gelingt, sich
mit einem jener Paragraphen zu bewaffnen, welche die
Ideale aller "schneidigen" Anwälte sind. Jawohl, ich
bin Gefangener, Zuchthäusler, noch immer! Ein Dutzend
Prozesse haben mich festgehalten, damit ich ja nicht
entweichen könne, und Jeder, der Geld von mir wollte, aber
keines bekam, hat sich als Zuchtmeister gebärdet und auf
mich eingeschlagen. Ich habe das Beste aller derer, für
die ich schreibe, gewollt, ihr inneres und äußeres Heil,
ihr gegenwärtiges und ihr zukünftiges Glück. Was gab
man mir für diesen meinen guten Willen? Verachtung,
Spott und Hohn! Als ich Zuchthäusler war, da war
ich keiner. Und nun ich aber keiner bin, da bin ich einer.
Warum?

Und Ihr lacht darüber, daß ich bildlich schreibe? Ist
für uns, die wir die Allerärmsten sind, nicht selbst die
Hölle und das Fegefeuer bildlich? Wo gibt es die Hölle,
wenn nicht bei Euch? Und wo gibt es das Fegefeuer,
wenn nicht bei uns? Dieses Fegefeuer meine ich, wenn
ich symbolisch von meiner "Geisterschmiede" erzähle, deren
fürchterliche Zeit ich heut oder morgen überwunden haben
werde. Ich zürne Euch nicht, denn ich weiß, es mußte
so sein. Es war meine Aufgabe, alles Schwere zu tragen
und alles Bittere durchzukosten, was es hier zu tragen
und durchzukosten gibt; ich habe das nun in meiner Arbeit
zu verwenden. Ich bin nicht verbittert, denn ich kenne
meine Schuld. Und was andere gezwungen an mir taten,
das trage ich nicht nach. Ich bitte nur um das Eine:
Laßt mir endlich, endlich Zeit, mit dieser Arbeit
zu beginnen!

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Nach meines Lebens schwerem Arbeitstag
Soll Feierabend sein im heil'gen Alter.
Und was ich hier vielleicht noch schauen mag,
Das sing ich Euch zur Harfe und zum Psalter.
Ich habe nicht für mich bei Euch gelebt;
Ich gab Euch alles, was mir Gott beschieden,
Und wenn Ihr nun mir Haß für Liebe gebt,
So bin ich auch mit solchem Dank zufrieden.

Nach meines Lebens schwerem Leidenstag
Leg allen Gram ich nun in Gottes Hände.
Und was mich hier vielleicht noch treffen mag,
Das führe er in mir zum frohen Ende.
Ich hab' die Schuld, die Ihr auf mich gelegt,
Gewißlich nicht allein für mich getragen,
Doch was dafür sich irdisch in mir regt,
Das will ich gern nur noch dem Himmel sagen.

Nach meines Lebens schwerem Prüfungstag
Wird nun wohl bald des Meisters Spruch erklingen,
Doch, wie auch die Entscheidung fallen mag,
Sie kann mir nichts als nur Erlösung bringen.
Ich juble auf. Des Kerkers Schloß erklirrt;
Ich werde endlich, endlich nun entlassen.
Ade! Und wer sich weiter in mir irrt,
Der mag getrost mich auch noch weiter hassen!

E n d e.

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