Römische Geschichte Book 2
by
Theodor Mommsen

Part 3 out of 5



hatte durch seinen Opfertod, endlich mit Aufbietung der letzten Reserve gewann.
Aber erst eine zweite Schlacht, die der Konsul Manlius den Latinern und
Kampanern bei Trifanum lieferte, machte dem Krieg ein Ende; Latium und Capua
unterwarfen sich und wurden um einen Teil ihres Gebietes gestraft.
Einsichtigen und ehrlichen Lesern wird es nicht entgehen, dass dieser
Bericht von Unmoeglichkeiten aller Art wimmelt. Dahin gehoert das Kriegfuehren
der Antiaten nach der Dedition von 377 (377) (Liv. 6, 33); der selbstaendige
Feldzug der Latiner gegen die Paeligner im schneidenden Widerspruch zu den
Bestimmungen der Vertraege zwischen Rom und Latium; der unerhoerte Marsch des
roemischen Heeres durch das marsische und samnitische Gebiet nach Capua,
waehrend ganz Latium gegen Rom in Waffen stand; um nicht zu reden von dem ebenso
verwirrten wie sentimentalen Bericht ueber den Militaeraufstand von 412 (342)
und den Geschichtchen von dem gezwungenen Anfuehrer desselben, dem lahmen Titus
Quinctius, dem roemischen Goetz von Berlichingen. Vielleicht noch bedenklicher
sind die Wiederholungen; so ist die Erzaehlung von dem Kriegstribun Publius
Decius nachgebildet der mutigen Tat des Marcus Calpurnius Flamma, oder wie er
sonst hiess, im Ersten Punischen Kriege; so kehrt die Eroberung Privernums durch
Gaius Plautius wieder im Jahre 425 (329), und nur diese zweite ist in den
Triumphalfasten verzeichnet; so der Opfertod des Publius Decius bekanntlich bei
dem Sohne desselben 459 (295). Ueberhaupt verraet in diesem Abschnitt die ganze
Darstellung eine andere Zeit und eine andere Hand als die sonstigen
glaubwuerdigeren annalistischen Berichte; die Erzaehlung ist voll von
ausgefuehrten Schlachtgemaelden; von eingewebten Anekdoten, wie zum Beispiel der
von dem setinischen Praetor, der auf den Stufen des Rathauses den Hals bricht,
weil er dreist genug gewesen war, das Konsulat zu begehren, und den
mannigfaltigen aus dem Beinamen des Titus Manlius herausgesponnenen; von
ausfuehrlichen und zum Teil bedenklichen archaeologischen Digressionen, wohin
zum Beispiel die Geschichte der Legion (von der die hoechst wahrscheinlich
apokryphe Notiz ueber die aus Roemern und Latinern gemischten Manipel des
zweiten Tarquinius bei Liv. 1, 52 offenbar ein zweites Bruchstueck ist), die
verkehrte Auffassung des Vertrages zwischen Capua und Rom (meine Geschichte des
roemischen Muenzwesens. Breslau 1860, S. 334, A. 122), die Devotionsformulare,
der kampanische Denar, das laurentische Buendnis, die bina iugera bei der
Assignation gehoeren. Unter solchen Umstaenden erscheint es von grossem Gewicht,
dass Diodoros, der anderen und oft aelteren Berichten folgt, von all diesen
Ereignissen schlechterdings nichts kennt als die letzte Schlacht bei Trifanum;
welche auch in der Tat schlecht passt zu der uebrigen Erzaehlung, die nach
poetischer Gerechtigkeit schliessen sollte mit dem Tode des Decius.
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Die Folge des Sieges war die Aufloesung des latinischen Bundes. Derselbe
wurde aus einer selbstaendigen politischen Konfoederation in eine bloss
religioese Festgenossenschaft umgewandelt; die altverbrieften Rechte der
Eidgenossenschaft auf ein Maximum der Truppenaushebung und einen Anteil an dem
Kriegsgewinn gingen damit als solche zu Grunde, und was derart spaeter noch
vorkam, traegt den Charakter der Gnadenbewilligung. An die Stelle des einen
Vertrages zwischen Rom einer- und der latinischen Eidgenossenschaft anderseits
traten im besten Fall ewige Buendnisse zwischen Rom und den einzelnen
eidgenoessischen Orten. Zu diesem Vertragsverhaeltnis wurden von den
altlatinischen Orten ausser Laurentum auch Tibur und Praeneste zugelassen,
welche indes Stuecke ihres Gebiets an Rom abtreten mussten. Gleiches Recht
erhielten die ausserhalb Latium gegruendeten Gemeinden latinischen Rechts,
soweit sie sich nicht an dem Kriege beteiligt hatten. Die Isolierung der
Gemeinden gegeneinander, welche fuer die nach dem Jahre 370 (384) gegruendeten
Orte bereits frueher festgestellt worden war, ward also auf die gesamte Nation
erstreckt. Im uebrigen blieben den einzelnen Orten die bisherigen Gerechtsame
und ihre Autonomie. Die uebrigen altlatinischen Gemeinden sowie die abgefallenen
Kolonien verloren saemtlich die Selbstaendigkeit und traten in einer oder der
anderen Form in den roemischen Buergerverband ein. Die beiden wichtigsten
Kuestenstaedte Antium (416 338) und Tarracina (425 329) wurden, nach dem Muster
von Ostia, mit roemischen Vollbuergern besetzt und auf eine engbegrenzte
kommunale Selbstaendigkeit beschraenkt, die bisherigen Buerger zu Gunsten der
roemischen Kolonisten ihres Grundeigentums grossenteils beraubt und, soweit sie
es behielten, ebenfalls in den Vollbuergerverband aufgenommen. Lanuvium, Aricia,
Nomentum, Pedum wurden roemische Buergergemeinden mit beschraenkter
Selbstverwaltung nach dem Muster von Tusculum (l, 360). Velitraes Mauern wurden
niedergerissen, der Senat in Masse ausgewiesen und im roemischen Etrurien
interniert, die Stadt wahrscheinlich als untertaenige Gemeinde nach caeritischem
Recht konstituiert. Von dem gewonnenen Acker wurde ein Teil, zum Beispiel die
Laendereien der veliternischen Ratsmitglieder, an roemische Buerger verteilt;
mit diesen Einzelassignationen haengt die Errichtung zweier neuer Buergerbezirke
im Jahre 422 (332) zusammen. Wie tief man in Rom die ungeheure Bedeutung des
gewonnenen Erfolges empfand, zeigt die Ehrensaeule, die man dem siegreichen
Buergermeister des Jahres 416 (338), Gaius Maenius, auf dem roemischen Markte
errichtete, und die Schmueckung der Rednertribuene auf demselben mit den
Schnaebeln der unbrauchbar befundenen antiatischen Galeeren.
In gleicher Weise ward in dem suedlichen volskischen und dem kampanischen
Gebiet die roemische Herrschaft durchgefuehrt und befestigt. Fundi, Formiae,
Capua, Kyme und eine Anzahl kleinerer Staedte wurden abhaengige roemische
Gemeinden mit Selbstverwaltung; um das vor allem wichtige Capua zu sichern,
erweiterte man kuenstlich die Spaltung zwischen Adel und Gemeinde, revidierte
die Gemeindeverfassung im roemischen Interesse und kontrollierte die staedtische
Verwaltung durch jaehrlich nach Kampanien gesandte roemische Beamte. Dieselbe
Behandlung widerfuhr einige Jahre darauf dem volskischen Privernum, dessen
Buerger, unterstuetzt von dem kuehnen fundanischen Parteigaenger Vitruvius
Vaccus, die Ehre hatten, fuer die Freiheit dieser Landschaft den letzten Kampf
zu kaempfen - er endigte mit der Erstuermung der Stadt (425 329) und der
Hinrichtung des Vaccus im roemischen Kerker. Um eine eigene roemische
Bevoelkerung in diesen Gegenden emporzubringen, teilte man von den im Krieg
gewonnenen Laendereien, namentlich im privernatischen und im falernischen
Gebiet, so zahlreiche Ackerlose an roemische Buerger aus, dass wenige Jahre
nachher (436 318) auch dort zwei neue Buergerbezirke errichtet werden konnten.
Die Anlegung zweier Festungen als Kolonien latinischen Rechts sicherte
schliesslich das neu gewonnene Land. Es waren dies Cales (420 334) mitten in der
kampanischen Ebene, von wo aus Teanum und Capua beobachtet werden konnten, und
Fregellae (426 328), das den Uebergang ueber den Liris beherrschte. Beide
Kolonien waren ungewoehnlich stark und gelangten schnell zur Bluete, trotz der
Hindernisse, welche die Sidiciner der Gruendung von Cales, die Samniten der von
Fregellae in den Weg legten. Auch nach Sora ward eine roemische Besatzung
verlegt, worueber die Samniten, denen dieser Bezirk vertragsmaessig ueberlassen
worden war, sich mit Grund, aber vergeblich beschwerten. Ungeirrt ging Rom
seinem Ziel entgegen, seine energische und grossartige Staatskunst mehr als auf
dem Schlachtfelde offenbarend in der Sicherung der gewonnenen Landschaft, die es
politisch und militaerisch mit einem unzerreissbaren Netze umflocht.
Dass die Samniten das bedrohliche Vorschreiten der Roemer nicht gern sahen,
versteht sich; sie warfen ihnen auch wohl Hindernisse in den Weg, aber
versaeumten es doch jetzt, wo es vielleicht noch Zeit war, mit der von den
Umstaenden geforderten Energie ihnen die neue Eroberungsbahn zu verlegen. Zwar
Teanum scheinen sie nach dem Vertrag mit Rom eingenommen und stark besetzt zu
haben; denn waehrend die Stadt frueher Hilfe gegen Samnium in Capua und Rom
nachsucht, erscheint sie in den spaeteren Kaempfen als die Vormauer der
samnitischen Macht gegen Westen. Aber am oberen Liris breiteten sie wohl
erobernd und zerstoerend sich aus, versaeumten es aber, hier auf die Dauer sich
festzusetzen. So zerstoerten sie die Volskerstadt Fregellae, wodurch nur die
Anlage der eben erwaehnten roemischen Kolonie daselbst erleichtert ward, und
schreckten zwei andere Volskerstaedte, Fabrateria (Ceccano) und Luca
(unbekannter Lage), so, dass dieselben, Capuas Beispiel folgend, sich (424 330)
den Roemern zu eigen gaben. Die samnitische Eidgenossenschaft gestattete, dass
die roemische Eroberung Kampaniens eine vollendete Tatsache geworden war, bevor
sie sich ernstlich derselben widersetzte; wovon der Grund allerdings zum Teil in
den gleichzeitigen Fehden der samnitischen Nation mit den italischen Hellenen,
aber zum Teil doch auch in der schlaffen und zerfahrenen Politik der
Eidgenossenschaft zu suchen ist.
6. Kapitel
Die Italiker gegen Rom
Waehrend die Roemer am Liris und Volturnus fochten, bewegten den Suedosten
der Halbinsel andere Kaempfe. Die reiche tarentinische Kaufmannsrepublik, immer
ernstlicher bedroht von den lucanischen und messapischen Haufen und ihren
eigenen Schwertern mit Recht misstrauend, gewann fuer gute Worte und besseres
Geld die Bandenfuehrer der Heimat. Der Spartanerkoenig Archidamos, der mit einem
starken Haufen den Stammgenossen zu Hilfe gekommen war, erlag an demselben Tage,
wo Philipp bei Chaeroneia siegte, den Lucanern (416 338); wie die frommen
Griechen meinten, zur Strafe dafuer, dass er und seine Leute neunzehn Jahre
frueher teilgenommen hatten an der Pluenderung des delphischen Heiligtums.
Seinen Platz nahm ein maechtigerer Feldhauptmann ein, Alexander der Molosser,
Bruder der Olympias, der Mutter Alexanders des Grossen. Mit den mitgebrachten
Scharen vereinigte er unter seinen Fahnen die Zuzuege der Griechenstaedte,
namentlich der Tarentiner und Metapontiner; ferner die Poediculer (um Rubi,
jetzt Ruvo), die gleich den Griechen sich von der sabellischen Nation bedroht
sahen; endlich sogar die lucanischen Verbannten selbst, deren betraechtliche
Zahl auf heftige innere Unruhen in dieser Eidgenossenschaft schliessen laesst.
So sah er sich bald dem Feinde ueberlegen. Consentia (Cosenza), der Bundessitz,
wie es scheint, der in Grossgriechenland angesiedelten Sabeller, fiel in seine
Haende. Umsonst kommen die Samniten den Lucanern zu Hilfe; Alexander schlaegt
ihre vereinigte Streitmacht bei Paestum, er bezwingt die Daunier um Sipontum,
die Messapier auf der suedoestlichen Halbinsel; schon gebietet er von Meer zu
Meer und ist im Begriff, den Roemern die Hand zu reichen und mit ihnen
gemeinschaftlich die Samniten in ihren Stammsitzen anzugreifen. Aber so
unerwartete Erfolge waren den Tarentiner Kaufleuten unerwuenscht und
erschreckend; es kam zum Kriege zwischen ihnen und ihrem Feldhauptmann, der als
gedungener Soeldner erschienen war und nun sich anliess, als wolle er im Westen
ein hellenisches Reich begruenden gleichwie sein Neffe im Osten. Alexander war
anfangs im Vorteil: er entriss den Tarentinern Herakleia, stellte Thurii wieder
her und scheint die uebrigen italischen Griechen aufgerufen zu haben, sich unter
seinem Schutz gegen die Tarentiner zu vereinigen, indem er zugleich es
versuchte, zwischen ihnen und den sabellischen Voelkerschaften den Frieden zu
vermitteln. Allein seine grossartigen Entwuerfe fanden nur schwache
Unterstuetzung bei den entarteten und entmutigten Griechen und der notgedrungene
Parteiwechsel entfremdete ihm seinen bisherigen lucanischen Anhang; bei Pandosia
fiel er von der Hand eines lucanischen Emigrierten (422 332) ^1. Mit seinem Tode
kehrten im wesentlichen die alten Zustaende wieder zurueck. Die griechischen
Staedte sahen sich wiederum vereinzelt und wiederum lediglich darauf angewiesen,
sich jede, so gut es gehen mochte, zu schuetzen durch Vertrag oder Tributzahlung
oder auch durch auswaertige Hilfe, wie zum Beispiel Kroton um 430 (324) mit
Hilfe von Syrakus die Brettier zurueckschlug. Die samnitischen Staemme erhielten
aufs neue das Uebergewicht und konnten, unbekuemmert um die Griechen, wieder
ihre Blicke nach Kampanien und Latium wenden.
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^1 Es wird nicht ueberfluessig sein, daran zu erinnern, dass, was ueber
Archidamos und Alexander bekannt ist, aus griechischen Jahrbuechern herruehrt
und der Synchronismus dieser und der roemischen fuer die gegenwaertige Epoche
noch bloss approximativ festgestellt ist. Man huete sich daher, den im
allgemeinen unverkennbaren Zusammenhang der west- und der ostitalischen
Ereignisse zu sehr ins einzelne verfolgen zu wollen.
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Hier aber war in der kurzen Zwischenzeit ein ungeheurer Umschwung
eingetreten. Die latinische Eidgenossenschaft war gesprengt und zertruemmert,
der letzte Widerstand der Volsker gebrochen, die kampanische Landschaft, die
reichste und schoenste der Halbinsel, im unbestrittenen und wohlbefestigten
Besitz der Roemer, die zweite Stadt Italiens in roemischer Klientel. Waehrend
die Griechen und Samniten miteinander rangen, hatte Rom fast unbestritten sich
zu einer Machtstellung emporgeschwungen, die zu erschuettern kein einzelnes Volk
der Halbinsel die Mittel mehr besass und die alle zugleich mit roemischer
Unterjochung bedrohte. Eine gemeinsame Anstrengung der jedes fuer sich Rom nicht
gewachsenen Voelker konnte vielleicht die Ketten noch sprengen, ehe sie voellig
sich befestigten; aber die Klarheit, der Mut, die Hingebung, wie eine solche
Koalition unzaehliger, bisher grossenteils feindlich oder doch fremd sich
gegenueberstehender Volks- und Stadtgemeinden sie erforderte, fanden sich nicht
oder doch erst, als es bereits zu spaet war.
Nach dem Sturz der etruskischen Macht, nach der Schwaechung der
griechischen Republiken war naechst Rom unzweifelhaft die bedeutendste Macht in
Italien die samnitische Eidgenossenschaft und zugleich diejenige, die von den
roemischen Uebergriffen am naechsten und unmittelbarsten bedroht war. Ihr also
kam es zu, in dem Kampf um die Freiheit und die Nationalitaet, den die Italiker
gegen Rom zu fuehren hatten, die erste Stelle und die schwerste Last zu
uebernehmen. Sie durfte rechnen auf den Beistand der kleinen sabellischen
Voelkerschaften, der Vestiner, Frentaner, Marruciner und anderer kleinerer Gaue,
die in baeuerlicher Abgeschiedenheit zwischen ihren Bergen wohnten, aber nicht
taub waren, wenn der Aufruf eines verwandten Stammes sie mahnte, zur
Verteidigung der gemeinsamen Gueter die Waffen zu ergreifen. Wichtiger waere der
Beistand der kampanischen und grossgriechischen Hellenen, namentlich der
Tarentiner, und der maechtigen Lucaner und Brettier gewesen; allein teils die
Schlaffheit und Fahrigkeit der in Tarent herrschenden Demagogen und die
Verwicklung der Stadt in die sizilischen Angelegenheiten, teils die innere
Zerrissenheit der lucanischen Eidgenossenschaft, teils und vor allem die seit
Jahrhunderten bestehende tiefe Verfehdung der unteritalischen Hellenen mit ihren
lucanischen Bedraengern liessen kaum hoffen, dass Tarent und Lucanien
gemeinschaftlich sich den Samniten anschliessen wuerden. Von den Sabinern und
den Marsern als den naechsten und seit langem in friedlichem Verhaeltnis mit Rom
lebenden Nachbarn der Roemer war wenig mehr zu erwarten als schlaffe Teilnahme
oder Neutralitaet; die Apuler, die alten und erbitterten Gegner der Sabeller,
waren die natuerlichen Verbuendeten der Roemer. Dass dagegen die fernen
Etrusker, wenn ein erster Erfolg errungen war, dem Bunde sich anschliessen
wuerden, liess sich erwarten, und selbst ein Aufstand in Latium und dem Volsker-
und Hernikerland lag nicht ausser der Berechnung. Vor allen Dingen aber mussten
die Samniten, die italischen Aetoler, in denen die nationale Kraft noch
ungebrochen lebte, vertrauen auf die eigene Kraft, auf die Ausdauer im
ungleichen Kampf, welche den uebrigen Voelkern Zeit gab zu edler Scham, zu
gefasster Ueberlegung, zum Sammeln der Kraefte; ein einziger gluecklicher Erfolg
konnte alsdann die Kriegs- und Aufruhrsflammen rings um Rom entzuenden. Die
Geschichte darf dem edlen Volke das Zeugnis nicht versagen, dass es seine
Pflicht begriffen und getan hat.
Mehrere Jahre schon waehrte der Hader zwischen Rom und Samnium infolge der
bestaendigen Uebergriffe, die die Roemer sich am Liris erlaubten und unter denen
die Gruendung von Fregellae 426 (328) der letzte und wichtigste war. Zum
Ausbruch des Kampfes aber gaben die Veranlassung die kampanischen Griechen.
Seitdem Cumae und Capua roemisch geworden waren, lag den Roemern nichts so nahe
wie die Unterwerfung der Griechenstadt Neapolis, die auch die griechischen
Inseln im Golf beherrschte, innerhalb des roemischen Machtgebiets die einzige
noch nicht unterworfene Stadt. Die Tarentiner und Samniten, unterrichtet von dem
Plane der Roemer, sich der Stadt zu bemaechtigen, beschlossen, ihnen
zuvorzukommen; und wenn die Tarentiner nicht sowohl zu fern als zu schlaff
waren, um diesen Plan auszufuehren, so warfen die Samniten in der Tat eine
starke Besatzung hinein. Sofort erklaerten die Roemer dem Namen nach den
Neapoliten, in der Tat den Samniten den Krieg (427 327) und begannen die
Belagerung von Neapolis. Nachdem dieselbe eine Weile gewaehrt hatte, wurden die
kampanischen Griechen des gestoerten Handels und der fremden Besatzung muede;
und die Roemer, deren ganzes Bestreben darauf gerichtet war, von der Koalition,
deren Bildung bevorstand, die Staaten zweiten und dritten Ranges durch
Sondervertraege fernzuhalten, beeilten sich, sowie sich die Griechen auf
Unterhandlungen einliessen, ihnen die guenstigsten Bedingungen zu bieten: volle
Rechtsgleichheit und Befreiung vom Landdienst, gleiches Buendnis und ewigen
Frieden. Daraufhin ward, nachdem die Neapoliten sich der Besatzung durch List
entledigt hatten, der Vertrag abgeschlossen (428 326).
Im Anfang dieses Krieges hielten die sabellischen Staedte suedlich vom
Volturnus, Nola, Nuceria, Herculaneum, Pompeii, es mit Samnium; allein teils
ihre sehr ausgesetzte Lage, teils die Machinationen der Roemer, welche die
optimatische Partei in diesen Staedten durch alle Hebel der List und des
Eigennutzes auf ihre Seite zu ziehen versuchten und dabei an Capuas Vorgang
einen maechtigen Fuersprecher fanden, bewirkten, dass diese Staedte nicht lange
nach dem Fall von Neapolis sich entweder fuer Rom oder doch neutral erklaerten.
Ein noch wichtigerer Erfolg gelang den Roemern in Lucanien. Das Volk war
auch hier mit richtigem Instinkt fuer den Anschluss an die Samniten; da aber das
Buendnis mit den Samniten auch Frieden mit Tarent nach sich zog und ein grosser
Teil der regierenden Herren Lucaniens nicht gemeint war, die eintraeglichen
Pluenderzuege einzustellen, so gelang es den Roemern, mit Lucanien ein Buendnis
abzuschliessen, das unschaetzbar war, weil dadurch den Tarentinern zu schaffen
gemacht wurde und also die ganze Macht Roms gegen Samnium verwendbar blieb.
So stand Samnium nach allen Seiten hin allein; kaum dass einige der
oestlichen Bergdistrikte ihm Zuzug sandten. Mit dem Jahre 428 (326) begann der
Krieg im samnitischen Lande selbst; einige Staedte an der kampanischen Grenze,
Rufrae (zwischen Venafrum und Teanum) und Allifae, wurden von den Roemern
besetzt. In den folgenden Jahren durchzogen die roemischen Heere fechtend und
pluendernd Samnium bis in das vestinische Gebiet hinein, ja bis nach Apulien, wo
man sie mit offenen Armen empfing, ueberall im entschiedensten Vorteil. Der Mut
der Samniten war gebrochen; sie sandten die roemischen Gefangenen zurueck und
mit ihnen die Leiche des Fuehrers der Kriegspartei, Brutulus Papius, welcher den
roemischen Henkern zuvorgekommen war, nachdem die samnitische Volksgemeinde
beschlossen hatte, den Frieden von dem Feinde zu erbitten und durch die
Auslieferung ihres tapfersten Feldherrn sich leidlichere Bedingungen zu
erwirken. Aber als die demuetige, fast flehentliche Bitte bei der roemischen
Volksgemeinde keine Erhoerung fand (432 322), ruesteten sich die Samniten unter
ihrem neuen Feldherrn Gavius Pontius zur aeussersten und verzweifelten
Gegenwehr. Das roemische Heer, das unter den beiden Konsuln des folgenden Jahres
(433 321), Spurius Postumius und Titus Veturius, bei Calatia (zwischen Caserta
und Maddaloni) gelagert war, erhielt die durch die Aussage zahlreicher
Gefangenen bestaetigte Nachricht, dass die Samniten Luceria eng eingeschlossen
haetten und die wichtige Stadt, an der der Besitz Apuliens hing, in grosser
Gefahr schwebe. Eilig brach man auf. Wollte man zu rechter Zeit anlangen, so
konnte kein anderer Weg eingeschlagen werden als mitten durch das feindliche
Gebiet, da wo spaeter als Fortsetzung der Appischen Strasse die roemische
Chaussee von Capua ueber Benevent nach Apulien angelegt ward. Dieser Weg fuehrte
zwischen den heutigen Orten Arpaja und Montesarchio (Caudium) durch einen
feuchten Wiesengrund, der rings von hohen und steilen Waldhuegeln umschlossen
und nur durch tiefe Einschnitte beim Ein- und Austritt zugaenglich war. Hier
hatten die Samniten verdeckt sich aufgestellt. Die Roemer, ohne Hindernis in das
Tal eingetreten, fanden den Ausweg durch Verhaue gesperrt und stark besetzt;
zurueckmarschierend erblickten sie den Eingang in aehnlicher Weise geschlossen
und gleichzeitig kroenten die Bergraender rings im Kreise sich mit den
samnitischen Kohorten. Zu spaet begriffen sie, dass sie sich durch eine
Kriegslist hatten taeuschen lassen und dass die Samniten nicht bei Luceria sie
erwarteten, sondern in dem verhaengnisvollen Pass von Caudium. Man schlug sich,
aber ohne Hoffnung auf Erfolg und ohne ernstliches Ziel; das roemische Heer war
gaenzlich unfaehig zu manoevrieren und ohne Kampf vollstaendig ueberwunden. Die
roemischen Generale Boten die Kapitulation an. Nur toerichte Rhetorik laesst dem
samnitischen Feldherrn die Wahl bloss zwischen Entlassung und Niedermetzelung
der roemischen Armee; er konnte nichts Besseres tun als die angebotene
Kapitulation annehmen und das feindliche Heer, die gesamte augenblicklich aktive
Streitmacht der roemischen Gemeinde mit beiden hoechstkommandierenden
Feldherren, gefangen machen; worauf ihm dann der Weg nach Kampanien und Latium
offenstand und unter den damaligen Verhaeltnissen, wo die Volsker und Herniker
und der groesste Teil der Latiner ihn mit offenen Armen empfangen haben wuerden,
Roms politische Existenz ernstlich gefaehrdet war. Allein statt diesen Weg
einzuschlagen und eine Militaerkonvention zu schliessen, dachte Gavius Pontius
durch einen billigen Frieden gleich den ganzen Hader beendigen zu koennen; sei
es, dass er die unverstaendige Friedenssehnsucht der Eidgenossen teilte, der das
Jahr zuvor Brutulus Papius zum Opfer gefallen war, sei es, dass er nicht
imstande war, der kriegsmueden Partei zu wehren, dass sie den beispiellosen Sieg
ihm verdarb. Die gestellten Bedingungen waren maessig genug: Rom solle die
vertragswidrig angelegten Festungen - Cales und Fregellae - schleifen und den
gleichen Bund mit Samnium erneuern. Nachdem die roemischen Feldherren dieselben
eingegangen waren und fuer die getreuliche Ausfuehrung sechshundert aus der
Reiterei erlesene Geiseln gestellt, ueberdies ihr und ihrer saemtlichen
Stabsoffiziere Eideswort dafuer verpfaendet hatten, wurde das roemische Heer
entlassen, unverletzt, aber entehrt; denn das siegestrunkene samnitische Heer
gewann es nicht ueber sich, den gehassten Feinden die schimpfliche Form der
Waffenstreckung und des Abzuges unter dem Galgen durch zu erlassen.
Allein der roemische Senat, unbekuemmert um den Eid der Offiziere und um
das Schicksal der Geiseln, kassierte den Vertrag und begnuegte sich diejenigen,
die ihn abgeschlossen hatten, als persoenlich fuer dessen Erfuellung
verantwortlich dem Feinde auszuliefern. Es kann der unparteiischen Geschichte
wenig darauf ankommen, ob die roemische Advokaten- und Pfaffenkasuistik hierbei
den Buchstaben des Rechts gewahrt oder der Beschluss des roemischen Senats
denselben verletzt hat; menschlich und politisch betrachtet trifft die Roemer
hier kein Tadel. Es ist ziemlich gleichgueltig, ob nach formellem roemischen
Staatsrecht der kommandierende General befugt oder nicht befugt war, ohne
vorbehaltene Ratifikation der Buergerschaft Frieden zu schliessen; dem Geiste
und der Uebung der Verfassung nach stand es vollkommen Fest, dass in Rom jeder
nicht rein militaerische Staatsvertrag zur Kompetenz der buergerlichen Gewalten
gehoerte und ein Feldherr, der ohne Auftrag von Rat und Buergerschaft Frieden
schloss, mehr tat, als er tun durfte. Es war ein groesserer Fehler des
samnitischen Feldherrn, den roemischen die Wahl zu stellen zwischen Rettung
ihres Heeres und Ueberschreitung ihrer Vollmacht, als der roemischen, dass sie
nicht die Seelengroesse hatten, die letztere Anmutung unbedingt zurueckzuweisen;
und dass der roemische Senat einen solchen Vertrag verwarf, war recht und
notwendig. Kein grosses Volk gibt, was es besitzt, anders hin als unter dem
Druck der aeussersten Notwendigkeit; alle Abtretungsvertraege sind
Anerkenntnisse einer solchen, nicht sittliche Verpflichtungen. Wenn jede Nation
mit Recht ihre Ehre darein setzt, schimpfliche Vertraege mit den Waffen zu
zerreissen, wie kann ihr dann die Ehre gebieten, an einem Vertrage gleich dem
Caudinischen, zu dem ein ungluecklicher Feldherr moralisch genoetigt worden ist,
geduldig festzuhalten, wenn die frische Schande brennt und die Kraft ungebrochen
dasteht?
So brachte der Friedensvertrag von Caudium nicht die Ruhe, die die
Friedensenthusiasten in Samnium toerichterweise davon erhofft hatten, sondern
nur Krieg und wieder Krieg, mit gesteigerter Erbitterung auf beiden Seiten durch
die verscherzte Gelegenheit, das gebrochene feierliche Wort, die geschaendete
Waffenehre, die preisgegebenen Kameraden. Die ausgelieferten roemischen
Offiziere wurden von den Samniten nicht angenommen, teils weil sie zu gross
dachten, um an diesen Ungluecklichen ihre Rache zu ueben, teils weil sie damit
den Roemern wuerden zugestanden haben, dass das Buendnis nur die Schwoerenden
verpflichtet habe, nicht den roemischen Staat. Hochherzig verschonten sie sogar
die Geiseln, deren Leben nach Kriegsrecht verwirkt war, und wandten sich
vielmehr sogleich zum Waffenkampf. Luceria ward von ihnen besetzt, Fregellae
ueberfallen und erstuermt (434 320), bevor die Roemer die aufgeloeste Armee
wieder reorganisiert hatten; was man haette erreichen koennen, wenn man den
Vorteil nicht haette aus den Haenden fahren lassen, zeigt der Uebertritt der
Satricaner ^2 zu den Samniten. Aber Rom war nur augenblicklich gelaehmt, nicht
geschwaecht; voll Scham und Erbitterung bot man dort auf, was man an Mannschaft
und Mitteln vermochte und stellte den erprobtesten, als Soldat wie als Feldherr
gleich ausgezeichneten Fuehrer Lucius Papirius Cursor an die Spitze des
neugebildeten Heeres. Dasselbe teilte sich; die eine Haelfte zog durch die
Sabina und das adriatische Litoral vor Luceria, die andere ebendahin durch
Samnium selbst, indem die letztere das samnitische Heer unter gluecklichen
Gefechten vor sich her trieb. Man traf wieder zusammen unter den Mauern von
Luceria, dessen Belagerung um so eifriger betrieben ward, als dort die
roemischen Reiter gefangen sassen; die Apuler, namentlich die Arpaner, leisteten
dabei den Roemern wichtigen Beistand, vorzueglich durch Beschaffung der Zufuhr.
Nachdem die Samniten zum Entsatz der Stadt eine Schlacht geliefert und verloren
hatten, ergab sich Luceria den Roemern (435 319): Papirius genoss die doppelte
Freude, die verlorengegebenen Kameraden zu befreien und der samnitischen
Besatzung von Luceria die Galgen von Caudium zu vergelten. In den folgenden
Jahren (435-437 319-317) ward der Krieg nicht so sehr in Samnium gefuehrt ^3 als
in den benachbarten Landschaften. Zuerst zuechtigten die Roemer die samnitischen
Verbuendeten in dem apulischen und frentanischen Gebiet und schlossen mit den
apulischen Teanensern und den Canusinern neue Bundesvertraege ab. Gleichzeitig
ward Satricum zur Botmaessigkeit zurueckgebracht und schwer fuer seinen Abfall
bestraft. Alsdann zog der Krieg sich nach Kampanien, wo die Roemer die
Grenzstadt gegen Samnium Saticula (vielleicht S. Agata de' Goti) eroberten (438
316). Jetzt aber schien hier das Kriegsglueck sich wieder gegen sie wenden zu
wollen. Die Samniten zogen die Nuceriner (438 316) und bald darauf die Nolaner
auf ihre Seite; am oberen Liris vertrieben die Soraner selbst die roemische
Besatzung (439 315); eine Erhebung der Ausonen bereitete sich vor und bedrohte
das wichtige Cales; selbst in Capua regten sich lebhaft die antiroemisch
Gesinnten. Ein samnitisches Heer rueckte in Kampanien ein und lagerte vor der
Stadt, in der Hoffnung, durch seine Naehe der Nationalpartei das Uebergewicht zu
geben (440 314). Allein Sora ward von den Roemern sofort angegriffen und,
nachdem die samnitische Entsatzarmee geschlagen war (440 314), wieder genommen.
Die Bewegungen unter den Ausonen wurden mit grausamer Strenge unterdrueckt, ehe
der Aufstand recht zum Ausbruch kam, und gleichzeitig ein eigener Diktator
ernannt, um die politischen Prozesse gegen die Fuehrer der samnitischen Partei
in Capua einzuleiten und abzuurteilen, so dass die namhaftesten derselben, um
dem roemischen Henker zu entgehen, freiwillig den Tod nahmen (440 314). Das
samnitische Heer vor Capua ward geschlagen und zum Abzug aus Kampanien
gezwungen; die Roemer, dem Feinde auf den Fersen folgend, ueberschritten den
Matese und lagerten im Winter 440 (314) vor der Hauptstadt Samniums Bovianum.
Nola war von den Verbuendeten preisgegeben; die Roemer waren einsichtig genug,
durch den guenstigsten, dem neapolitanischen aehnlichen Bundesvertrag die Stadt
fuer immer von der samnitischen Partei zu trennen (441 313). Fregellae, das seit
der caudinischen Katastrophe in den Haenden der antiroemischen Partei und deren
Hauptburg in der Landschaft am Liris gewesen war, fiel endlich auch, im achten
Jahre nach der Einnahme durch die Samniten (441 313); zweihundert der Buerger,
die vornehmsten der nationalen Partei, wurden nach Rom gefuehrt und dort zum
warnenden Beispiel fuer die ueberall sich regenden Patrioten auf offenem Markte
enthauptet.
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^2 Es sind dies nicht die Einwohner von Satricum bei Antium, sondern die
einer anderen volskischen, damals als roemische Buergergemeinde ohne Stimmrecht
konstituierten Stadt bei Arpinum.
^3 Dass zwischen den Roemern und Samniten 436, 437 (318, 317) ein
foermlicher zweijaehriger Waffenstillstand bestanden habe, ist mehr als
unwahrscheinlich.
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Hiermit waren Apulien und Kampanien in den Haenden der Roemer. Zur
endlichen Sicherstellung und bleibenden Beherrschung des eroberten Gebietes
wurden in den Jahren 440 bis 442 (314 bis 312) in demselben eine Anzahl neuer
Festungen gegruendet: Luceria in Apulien, wohin seiner isolierten und
ausgesetzten Lage wegen eine halbe Legion als bleibende Besatzung gesandt ward,
ferner Pontiae (die Ponzainseln) zur Sicherung der kampanischen Gewaesser,
Saticula an der kampanisch-samnitischen Grenze als Vormauer gegen Samnium,
endlich Interamna (bei Monte Cassino) und Suessa Aurunca (Sessa) auf der Strasse
von Rom nach Capua. Besatzungen kamen ausserdem nach Caiatia (Cajazzo), Sora und
anderen militaerisch wichtigen Plaetzen. Die grosse Militaerstrasse von Rom nach
Capua, die der Zensor Appius Claudius 442 (312) chaussieren und den dazu
erforderlichen Damm durch die Pontinischen Suempfe ziehen liess, vollendete die
Sicherung Kampaniens. Immer vollstaendiger entwickelten sich die Absichten der
Roemer; es galt die Unterwerfung Italiens, das durch das roemische Festungs- und
Strassennetz von Jahr zu Jahr enger umstrickt ward. Von beiden Seiten schon
waren die Samniten von den Roemern umsponnen; schon schnitt die Linie von Rom
nach Luceria Nord- und Sueditalien voneinander ab, wie einst die Festungen Norba
und Signia die Volsker und Aequer getrennt hatten; und wie damals auf die
Herniker, stuetzte Rom sich jetzt auf die Arpaner. Die Italiker mussten
erkennen, dass es um ihrer aller Freiheit geschehen war, wenn Samnium unterlag,
und dass es die allerhoechste Zeit war, dem tapferen Bergvolk, das nun schon
fuenfzehn Jahre allein den ungleichen Kampf gegen die Roemer kaempfte, endlich
mit gesamter Kraft zu Hilfe zu kommen.
Die naechsten Bundesgenossen der Samniten waeren die Tarentiner gewesen;
allein es gehoert zu dem ueber Samnium und ueber Italien ueberhaupt waltenden
Verhaengnis, dass in diesem zukunftbestimmenden Augenblick die Entscheidung in
den Haenden dieser italischen Athener lag. Seit die urspruenglich nach alter
dorischer Art streng aristokratische Verfassung Tarents in die vollstaendigste
Demokratie uebergegangen war, hatte in dieser hauptsaechlich von Schiffern,
Fischern und Fabrikanten bewohnten Stadt ein unglaublich reges Leben sich
entwickelt; Sinn und Tun der mehr reichen als vornehmen Bevoelkerung wehrte
allen Ernst des Lebens in dem witzig und geistreich quirlenden Tagestreiben von
sich ab und schwankte zwischen dem grossartigsten Wagemut und der genialsten
Erhebung und zwischen schandbarem Leichtsinn und kindischer Schwindelei. Es wird
auch in diesem Zusammenhang, wo ueber das Sein oder Nichtsein hochbegabter und
altberuehmter Nationen die ernsten Lose fallen, nicht unstatthaft sein, daran zu
erinnern, dass Platon, der etwa sechzig Jahre vor dieser Zeit (389) nach Tarent
kam, seinem eigenen Zeugnis zufolge am Dionysienfest die ganze Stadt berauscht
sah, und dass das parodische Possenspiel, die sogenannte "lustige Tragoedie"
eben um die Zeit des grossen samnitischen Krieges in Tarent geschaffen ward. Zu
dieser Lotterwirtschaft und Lotterpoesie der Tarentiner Eleganten und Literaten
liefert die Ergaenzung die unstete, uebermuetige und kurzsichtige Politik der
Tarentiner Demagogen, welche regelmaessig da sich beteiligten, wo sie nichts zu
schaffen hatten, und da ausblieben, wo ihr naechstes Interesse sie hinrief. Sie
hatten, als nach der caudinischen Katastrophe Roemer und Samniten sich in
Apulien gegenueberstanden, Gesandte dorthin geschickt, die beiden Parteien
geboten, die Waffen niederzulegen (434 320). Diese diplomatische Intervention in
dem italischen Entscheidungskampf konnte verstaendigerweise nichts sein als die
Ankuendigung, dass Tarent aus seiner bisherigen Passivitaet jetzt endlich
herauszutreten entschlossen sei. Grund genug hatte es wahrlich dazu, wie
schwierig und gefaehrlich es auch fuer Tarent selbst war, in diesen Krieg
verwickelt zu werden: denn die demokratische Machtentwicklung des Staates hatte
sich lediglich auf die Flotte geworfen, und waehrend diese, gestuetzt auf die
starke Handelsmarine Tarents, unter den grossgriechischen Seemaechten den ersten
Rang einnahm, bestand die Landmacht, auf die es jetzt ankam, wesentlich aus
gemieteten Soeldnern und war in tiefem Verfall. Unter diesen Umstaenden war es
fuer die tarentinische Republik keine leichte Aufgabe, an dem Kampf zwischen Rom
und Samnium sich zu beteiligen, auch abgesehen von der wenigstens beschwerlichen
Fehde, in welche die roemische Politik die Tarentiner mit den Lucanern zu
verwickeln gewusst hatte. Indes bei kraeftigem Willen waren diese
Schwierigkeiten wohl zu ueberwinden; und beide streitende Teile fassten die
Aufforderung der tarentinischen Gesandten, mit dem Kampf einzuhalten, in diesem
Sinne auf. Die Samniten als die Schwaecheren zeigten sich bereit, derselben
nachzukommen; die Roemer antworteten durch die Aufsteckung des Zeichens zur
Schlacht. Vernunft und Ehre geboten den Tarentinern, dem herrischen Gebot ihrer
Gesandten jetzt die Kriegserklaerung gegen Rom auf dem Fusse folgen zu lassen;
allein in Tarent war eben weder diese noch jene am Regimente und man hatte dort
bloss mit sehr ernsthaften Dingen sehr kindisch gespielt. Die Kriegserklaerung
gegen Rom erfolgte nicht; statt dessen unterstuetzte man lieber gegen Agathokles
von Syrakus, der frueher in tarentinischen Diensten gestanden hatte und in
Ungnade entlassen worden war, die oligarchische Staedtepartei in Sizilien und
sandte, dem Beispiel Spartas folgend, eine Flotte nach der Insel, die in der
kampanischen See bessere Dienste getan haben wuerde (440 314).
Energischer handelten die nord- und mittelitalischen Voelker, die
namentlich durch die Anlegung der Festung Luceria aufgeruettelt worden zu sein
scheinen. Zuerst (443 311) schlugen die Etrusker los, deren
Waffenstillstandsvertrag von 403 (351) schon einige Jahre frueher zu Ende
gegangen war. Die roemische Grenzfestung Sutrium hatte eine zweijaehrige
Belagerung auszuhalten, und in den heftigen Gefechten, die unter ihren Mauern
geliefert wurden, zogen die Roemer in der Regel den kuerzeren, bis der Konsul
des Jahres 444 (310), Quintus Fabius Rullianus, ein in den Samnitenkriegen
erprobter Fuehrer, nicht bloss im roemischen Etrurien das Uebergewicht der
roemischen Waffen wiederherstellte, sondern auch kuehn eindrang in das
eigentliche, durch die Verschiedenheit der Sprache und die geringen
Kommunikationen den Roemern bis dahin fast unbekannt gebliebene etruskische
Land. Der Zug ueber den noch von keinem roemischen Heer ueberschrittenen
Ciminischen Wald und die Pluenderung des reichen, lange von Kriegsnot verschont
gebliebenen Gebiets brachte ganz Etrurien in Waffen; die roemische Regierung,
welche die tollkuehne Expedition ernstlich missbilligte und die Ueberschreitung
der Grenze dem verwegenen Fuehrer zu spaet untersagt hatte, raffte, um dem
erwarteten Ansturm der gesamten etruskischen Macht zu begegnen, in schleunigster
Eile neue Legionen zusammen. Allein ein rechtzeitiger und entscheidender Sieg
des Rullianus, die lange im Andenken des Volkes fortlebende Schlacht am
Vadimonischen See, machte aus dem unvorsichtigen Beginnen eine gefeierte
Heldentat und brach den Widerstand der Etrusker. Ungleich den Samniten, die nun
schon seit achtzehn Jahren den ungleichen Kampf fochten, bequemten sich schon
nach der ersten Niederlage drei der maechtigsten etruskischen Staedte, Perusia,
Cortona und Arretium, zu einem Sonderfrieden auf dreihundert (444 310) und,
nachdem im folgenden Jahre die Roemer noch einmal bei Perusia die uebrigen
Etrusker besiegt hatten, auch die Tarquinienser zu einem Frieden auf vierhundert
Monate (446 308); worauf auch die uebrigen Staedte vom Kampfe abstanden und in
Etrurien vorlaeufig Waffenruhe eintrat.
Waehrend dieser Ereignisse hatte auch in Samnium der Krieg nicht geruht.
Der Feldzug von 443 (311) beschraenkte sich gleich den bisherigen auf die
Belagerung und Erstuermung einzelner samnitischer Plaetze; aber im naechsten
Jahre nahm der Krieg eine lebhaftere Wendung. Rullianus' gefaehrliche Lage in
Etrurien und die ueber die Vernichtung der roemischen Nordarmee verbreiteten
Geruechte ermutigten die Samniten zu neuen Anstrengungen; der roemische Konsul
Gaius Marcius Rutilus wurde von ihnen besiegt und selber schwer verwundet. Aber
der Umschwung der Dinge in Etrurien zerstoerte die neu aufleuchtenden
Hoffnungen. Wieder trat Lucius Papirius Cursor an die Spitze der gegen die
Samniten gesandten roemischen Truppen, und wieder blieb er Sieger in einer
grossen und entscheidenden Schlacht (445 309), zu der die Eidgenossen ihre
letzten Kraefte angestrengt hatten; der Kern ihrer Armee, die Buntroecke mit den
Gold-, die Weissroecke mit den Silberschilden wurden hier aufgerieben und die
glaenzenden Ruestungen derselben schmueckten seitdem bei festlichen
Gelegenheiten die Budenreihen laengs des roemischen Marktes. Immer hoeher stieg
die Not, immer hoffnungsloser ward der Kampf. Im folgenden Jahre (446 308)
legten die Etrusker die Waffen nieder; in ebendemselben ergab die letzte Stadt
Kampaniens, die noch zu den Samniten hielt, Nuceria, zu Wasser und zu Lande
gleichzeitig angegriffen, unter guenstigen Bedingungen sich den Roemern. Zwar
fanden die Samniten neue Bundesgenossen an den Umbrern im noerdlichen, an den
Marsern und Paelignern im mittleren Italien, ja selbst von den Hernikern traten
zahlreiche Freiwillige in ihre Reihen; allein was mit entscheidendem Gewicht
gegen Rom in die Waagschale haette fallen koennen, wenn die Etrusker noch unter
Waffen gestanden haetten, vermehrte jetzt bloss die Erfolge des roemischen
Sieges, ohne denselben ernstlich zu erschweren. Den Umbrern, die Miene machten,
einen Zug nach Rom zu unternehmen, verlegte Rullianus am oberen Tiber mit der
Armee von Samnium den Weg, ohne dass die geschwaechten Samniten es haetten
hindern koennen, und dies genuegte, um den umbrischen Landsturm zu zerstreuen.
Der Krieg zog sich alsdann wieder nach Mittelitalien. Die Paeligner wurden
besiegt, ebenso die Marser; wenngleich die uebrigen sabellischen Staemme noch
dem Namen nach Feinde der Roemer blieben, stand doch allmaehlich Samnium von
dieser Seite tatsaechlich allein. Aber unerwartet kam ihnen Beistand aus dem
Tibergebiet. Die Eidgenossenschaft der Herniker, wegen ihrer unter den
samnitischen Gefangenen vorgefundenen Landsleute von den Roemern zur Rede
gestellt, erklaerte diesen jetzt den Krieg (448 306) - mehr wohl aus
Verzweiflung, als aus Berechnung. Es schlossen auch einige der bedeutendsten
hernikischen Gemeinden von vornherein sich von der Kriegfuehrung aus; aber
Anagnia, weitaus die ansehnlichste Hernikerstadt, setzte die Kriegserklaerung
durch. Militaerisch ward allerdings die augenblickliche Lage der Roemer durch
diesen unerwarteten Aufstand im Ruecken der mit der Belagerung der Burgen von
Samnium beschaeftigten Armee in hohem Grade bedenklich. Noch einmal war den
Samniten das Kriegsglueck guenstig; Sora und Caiatia fielen ihnen in die Haende.
Allein die Anagniner unterlagen unerwartet schnell den von Rom ausgesandten
Truppen, und rechtzeitig machten diese auch dem in Samnium stehenden Heere Luft;
es war eben alles verloren. Die Samniten baten um Frieden, indes vergeblich;
noch konnte man sich nicht einigen. Erst der Feldzug von 449 (305) brachte die
letzte Entscheidung. Die beiden roemischen Konsularheere drangen, Tiberius
Minucius und nach dessen Fall Marcus Fulvius von Kampanien aus durch die
Bergpaesse, Lucius Postumius vom Adriatischen Meere her am Biferno hinauf, in
Samnium ein, um hier vor der Hauptstadt des Landes, Bovianum, sich die Hand zu
reichen; ein entscheidender Sieg ward erfochten, der samnitische Feldherr
Statius Gellius gefangengenommen und Bovianum erstuermt. Der Fall des
Hauptwaffenplatzes der Landschaft machte dem zweiundzwanzigjaehrigen Krieg ein
Ende. Die Samniten zogen aus Sora und Arpinum ihre Besatzungen heraus und
schickten Gesandte nach Rom, den Frieden zu erbitten; ihrem Beispiel folgten die
sabellischen Staemme, die Marser, Marruciner, Paeligner, Frentaner, Vestiner,
Picenter. Die Bedingungen, die Rom gewaehrte, waren leidlich; Gebietsabtretungen
wurden zwar einzeln gefordert, zum Beispiel von den Paelignern, allein sehr
bedeutend scheinen sie nicht gewesen zu sein. Das gleiche Buendnis zwischen den
sabellischen Staaten und den Roemern wurde erneuert (450 304).
Vermutlich um dieselbe Zeit und wohl infolge des samnitischen Friedens ward
auch Friede gemacht zwischen Rom und Tarent. Unmittelbar zwar hatten beide
Staedte nicht gegeneinander im Felde gestanden; die Tarentiner hatten dem langen
Kampfe zwischen Rom und Samnium von Anfang bis zu Ende untaetig zugesehen und
nur im Bunde mit den Sallentinern gegen die Bundesgenossen Roms, die Lucaner,
die Fehde fortgesetzt. Zwar hatten sie in den letzten Jahren des Samnitischen
Krieges noch einmal Miene gemacht nachdruecklicher aufzutreten. Teils die
bedraengte Lage, in welche die unaufhoerlichen lucanischen Angriffe sie selbst
brachten, teils wohl auch das immer naeher sich ihnen aufdraengende Gefuehl,
dass Samniums voellige Unterdrueckung auch ihre eigene Unabhaengigkeit bedrohe,
hatten sie bestimmt, trotz der mit Alexander gemachten unerfreulichen
Erfahrungen abermals einem Condottiere sich anzuvertrauen. Es kam auf ihren Ruf
der spartanische Prinz Kleonymos mit fuenftausend Soeldnern, womit er eine
ebenso starke, in Italien angeworbene Schar sowie die Zuzuege der Messapier, der
kleineren Griechenstaedte und vor allem das tarentinische Buergerheer, 22 000
Mann stark, vereinigte. An der Spitze dieser ansehnlichen Armee noetigte er die
Lucaner, mit Tarent Frieden zu machen und eine samnitisch gesinnte Regierung
einzusetzen, wogegen freilich Metapont ihnen aufgeopfert ward. Noch standen die
Samniten unter Waffen, als dies geschah; nichts hinderte den Spartaner, ihnen zu
Hilfe zu kommen und das Gewicht seines starken Heeres und seiner Kriegskunst
fuer die Freiheit der italischen Staedte und Voelker in die Waagschale zu
werfen. Allein Tarent handelte nicht, wie Rom im gleichen Falle gehandelt haben
wuerde; und Prinz Kleonymos selbst war auch nichts weniger als ein Alexander
oder ein Pyrrhos. Er beeilte sich nicht, einen Krieg zu beginnen, bei dem mehr
Schlaege zu erwarten standen als Beute, sondern machte lieber mit den Lucanern
gemeinschaftliche Sache gegen Metapont und liess es in dieser Stadt sich wohl
sein, waehrend er redete von einem Zug gegen Agathokles von Syrakus und von der
Befreiung der sizilischen Griechen. Darueber machten denn die Samniten Frieden;
und als nach dessen Abschluss Rom anfing, sich um den Suedosten der Halbinsel
ernstlicher zu bekuemmern und zum Beispiel im Jahre 447 (307) ein roemischer
Heerhaufen das Gebiet der Sallentiner brandschatzte oder vielmehr wohl in
hoeherem Auftrag rekognoszierte, ging der spartanische Condottiere mit seinen
Soeldnern zu Schiff und ueberrumpelte die Insel Kerkyra, die vortrefflich
gelegen war, um von dort aus gegen Griechenland und Italien Piratenzuege zu
unternehmen. So von ihrem Feldherrn im Stich gelassen und zugleich ihrer
Bundesgenossen im mittleren Italien beraubt, blieb den Tarentinern sowie den mit
ihnen verbuendeten Italikern, den Lucanern und Sallentinern, jetzt freilich
nichts uebrig, als mit Rom ein Abkommen nachzusuchen, das auf leidliche
Bedingungen gewaehrt worden zu sein scheint. Bald nachher (451 303) ward sogar
ein Einfall des Kleonymos, der im sallentinischen Gebiet gelandet war und Uria
belagerte, von den Einwohnern mit roemischer Hilfe abgeschlagen.
Roms Sieg war vollstaendig; und vollstaendig ward er benutzt. Dass den
Samniten, den Tarentinern und den ferner wohnenden Voelkerschaften ueberhaupt so
maessige Bedingungen gestellt wurden, war nicht Siegergrossmut, die die Roemer
nicht kannten, sondern kluge und klare Berechnung. Zunaechst und vor allem kam
es darauf an, nicht so sehr das suedliche Italien so rasch wie moeglich zur
formellen Anerkennung der roemischen Suprematie zu zwingen als die Unterwerfung
Mittelitaliens, zu welcher durch die in Kampanien und Apulien schon waehrend des
letzten Krieges angelegten Militaerstrassen und Festungen der Grund gelegt war,
zu ergaenzen und zu vollenden und die noerdlichen und suedlichen Italiker
dadurch in zwei militaerisch von jeder unmittelbaren Beruehrung miteinander
abgeschnittene Massen auseinanderzusprengen. Darauf zielten denn auch die
naechsten Unternehmungen der Roemer mit energischer Konsequenz. Vor allen Dingen
benutzte oder machte man die Gelegenheit, mit den in der Tiberlandschaft
einstmals mit der roemischen Einzelmacht rivalisierenden und noch nicht voellig
beseitigten Eidgenossenschaften der Aequer und der Herniker aufzuraeumen. In
demselben Jahre, in welchem der Friede mit Samnium zustande kam (450 304),
ueberzog der Konsul Publius Sempronius Sophus die Aequer mit Krieg; vierzig
Ortschaften unterwarfen sich in fuenfzig Tagen; das gesamte Gebiet mit Ausnahme
des engen und rauhen Bergtals, das noch heute den alten Volksnamen traegt
(Cicolano), wurde roemischer Besitz und hier am Nordrand des Fuciner Sees im
Jahre darauf die Festung Alba mit einer Besatzung von 6000 Mann gegruendet,
fortan die Vormauer gegen die streitbaren Marser und die Zwingburg
Mittelitaliens; ebenso zwei Jahre darauf am oberen Turano, naeher an Rom,
Carsioli, beide als Bundesgemeinden latinischen Rechts.
Dass von den Hernikern wenigstens Anagnia sich an dem letzten Stadium des
Samnitischen Krieges beteiligt hatte, gab den erwuenschten Grund, das alte
Bundesverhaeltnis zu loesen. Das Schicksal der Anagniner war natuerlicherweise
bei weitem haerter als dasjenige, welches ein Menschenalter zuvor den
latinischen Gemeinden im gleichen Fall bereitet worden war. Sie mussten nicht
bloss wie diese das roemische Passivbuergerrecht sich gefallen lassen, sondern
verloren auch gleich den Caeriten die eigene Verwaltung; auf einem Teile ihres
Gebiets am oberen Trerus (Sacco) wurde ueberdies ein neuer Buergerbezirk sowie
gleichzeitig ein anderer am unteren Anio eingerichtet (455 299). Man bedauerte
nur, dass die drei naechst Anagnia bedeutendsten hernikischen Gemeinden
Aletrium, Verulae und Ferentinum nicht auch abgefallen waren; denn da sie die
Zumutung, freiwillig in den roemischen Buergerverband einzutreten, hoeflich
ablehnten und jeder Vorwand, sie dazu zu noetigen, mangelte, musste man ihnen
wohl nicht bloss die Autonomie, sondern selbst das Recht der Tagsatzung und der
Ehegemeinschaft auch ferner zugestehen und damit noch einen Schatten der alten
hernikischen Eidgenossenschaft uebrig lassen.
In dem Teil der volskischen Landschaft, welchen bis dahin die Samniten im
Besitz gehabt, banden aehnliche Ruecksichten nicht. Hier wurden Arpinum und
Frusino untertaenig und die letztere Stadt eines Drittels ihrer Feldmark
beraubt, ferner am oberen Liris neben Fregellae die schon frueher mit Besatzung
belegte Volskerstadt Sora jetzt auf die Dauer in eine latinische Festung
verwandelt und eine Legion von 4000 Mann dahin gelegt. So war das alte
Volskergebiet vollstaendig unterworfen und ging seiner Romanisierung mit raschen
Schritten entgegen. In die Landschaft, welche Samnium und Etrurien scheidet,
wurden zwei Militaerstrassen hineingefuehrt und beide durch Festungen gesichert.
Die noerdliche, aus der spaeter die Flaminische wurde, deckte die Tiberlinie;
sie fuehrte durch das mit Rom verbuendete Ocriculum nach Narnia, wie die Roemer
die alte umbrische Feste Nequinum umnannten, als sie dort eine Militaerkolonie
anlegten (455 299). Die suedliche, die spaetere Valerische, lief an den Fuciner
See ueber die eben erwaehnten Festungen Carsioli und Alba. Die kleinen
Voelkerschaften, in deren Gebiet diese Anlagen stattfanden, die Umbrer, die
Nequinum hartnaeckig verteidigten, die Aequer, die noch einmal Alba, die Marser,
die Carsioli ueberfielen, konnten Rom in seinem Gang nicht aufhalten; fast
ungehindert schoben jene beiden maechtigen Riegel sich zwischen Samnium und
Etrurien. Der grossen Strassen- und Festungsanlagen zur bleibenden Sicherung
Apuliens und vor allem Kampaniens wurde schon gedacht; durch sie ward Samnium
weiter nach Osten und Westen von dem roemischen Festungsnetz umstrickt.
Bezeichnend fuer die verhaeltnismaessige Schwaeche Etruriens ist es, dass man es
nicht notwendig fand, die Paesse durch den Ciminischen Wald in gleicher Weise
durch eine Chaussee und angemessene Festungen zu sichern. Die bisherige
Grenzfestung Sutrium blieb hier auch ferner der Endpunkt der roemischen
Militaerlinie und man begnuegte sich damit, die Strasse von dort nach Arretium
durch die beikommenden Gemeinden in militaerisch brauchbarem Stande halten zu
lassen ^4.
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^4 Die Operationen in dem Feldzug 537 (217) und bestimmter noch die Anlage
der Chaussee von Arretium nach Bononia 567 (187) zeigen, dass schon vor dieser
Zeit die Strasse von Rom nach Arretium instand gesetzt worden ist. Allein eine
roemische Militaerchaussee kann sie in dieser Zeit dennoch nicht gewesen sein,
da sie, nach ihrer spaeteren Benennung der "Cassischen Strasse" zu schliessen,
als via consularis nicht frueher angelegt sein kann als 583 (171); denn zwischen
Spurius Cassius, Konsul 252, 261, 268 (502, 493, 486), an den natuerlich nicht
gedacht werden darf, und Gaius Cassius Longinus, Konsul 583 (171), erscheint
kein Cassier in den roemischen Konsuln- und Zensorenlisten.
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Die hochherzige samnitische Nation begriff es, dass ein solcher Friede
verderblicher war als der verderblichste Krieg, und, was mehr ist, sie handelte
danach. Eben fingen in Norditalien die Kelten nach langer Waffenruhe wieder an
sich zu regen; noch standen ferner daselbst einzelne etruskische Gemeinden gegen
die Roemer unter den Waffen und es wechselten hier kurze Waffenstillstaende mit
heftigen, aber erfolglosen Gefechten. Noch war ganz Mittelitalien in Gaerung und
zum Teil in offenem Aufstand; noch waren die Festungen in der Anlage begriffen,
der Weg zwischen Etrurien und Samnium noch nicht voellig gesperrt. Vielleicht
war es noch nicht zu spaet, die Freiheit zu retten; aber man durfte nicht
saeumen: die Schwierigkeit des Angriffs stieg, die Macht der Angreifer sank mit
jedem Jahre des verlaengerten Friedens. Kaum fuenf Jahre hatten die Waffen
geruht und noch mussten all die Wunden bluten, welche der zweiundzwanzigjaehrige
Krieg den Bauernschaften Samniums geschlagen hatte, als im Jahre 456 (298) die
samnitische Eidgenossenschaft den Kampf erneuerte. Den letzten Krieg hatte
wesentlich Lucaniens Verbindung mit Rom und die dadurch mitveranlasste
Fernhaltung Tarents zu Gunsten Roms entschieden; dadurch belehrt, warfen die
Samniten jetzt sich zuvoerderst mit aller Macht auf die Lucaner und brachten
hier in der Tat ihre Partei ans Ruder und ein Buendnis zwischen Samnium und
Lucanien zum Abschluss. Natuerlich erklaerten die Roemer sofort den Krieg; in
Samnium hatte man es nicht anders erwartet. Es bezeichnet die Stimmung, dass die
samnitische Regierung den roemischen Gesandten die Anzeige machte, sie sei nicht
imstande, fuer ihre Unverletzlichkeit zu buergen, wenn sie samnitisches Gebiet
betraeten.
Der Krieg begann also von neuem (456 298), und waehrend ein zweites Heer in
Etrurien focht, durchzog die roemische Hauptarmee Samnium und zwang die Lucaner
Frieden zu machen und Geiseln nach Rom zu senden. Das folgende Jahr konnten
beide Konsuln nach Samnium sich wenden; Rullianus siegte bei Tifernum, sein
treuer Waffengefaehrte Publius Decius Mus bei Maleventum, und fuenf Monate
hindurch lagerten zwei roemische Heere in Feindesland. Es war das moeglich, weil
die tuskischen Staaten auf eigene Hand mit Rom Friedensverhandlungen angeknuepft
hatten. Die Samniten, welche von Haus aus in der Vereinigung ganz Italiens gegen
Rom die einzige Moeglichkeit des Sieges gesehen haben muessen, boten das
Aeusserste auf, um den drohenden Sonderfrieden zwischen Etrurien und Rom
abzuwenden; und als endlich ihr Feldherr Gellius Egnatius den Etruskern in ihrem
eigenen Lande Hilfe zu bringen anbot, verstand sich in der Tat der etruskische
Bundesrat dazu, auszuharren und noch einmal die Entscheidung der Waffen
anzurufen. Samnium machte die gewaltigsten Anstrengungen, um drei Heere zugleich
ins Feld zu stellen, das eine bestimmt zur Verteidigung des eigenen Gebiets, das
zweite zum Einfall in Kampanien, das dritte und staerkste nach Etrurien; und
wirklich gelangte im Jahre 458 (296) das letzte, gefuehrt von Egnatius selbst,
durch das marsische und das umbrische Gebiet, deren Bewohner im Einverstaendnis
waren, ungefaehrdet nach Etrurien. Die Roemer nahmen waehrend dessen einige
feste Plaetze in Samnium und brachen den Einfluss der samnitischen Partei in
Lucanien; den Abmarsch der von Egnatius gefuehrten Armee wussten sie nicht zu
verhindern. Als man in Rom die Kunde empfing, dass es den Samniten gelungen sei,
all die ungeheuren, zur Trennung der suedlichen Italiker von den noerdlichen
gemachten Anstrengungen zu vereiteln, dass das Eintreffen der samnitischen
Scharen in Etrurien das Signal zu einer fast allgemeinen Schilderhebung gegen
Rom geworden sei, dass die etruskischen Gemeinden aufs eifrigste arbeiteten,
ihre eigenen Mannschaften kriegsfertig zu machen und gallische Scharen in Sold
zu nehmen, da ward auch in Rom jeder Nerv angespannt, Freigelassene und
Verheiratete in Kohorten formiert - man fuehlte hueben und drueben, dass die
Entscheidung bevorstand. Das Jahr 458 (296) jedoch verging, wie es scheint, mit
Ruestungen und Maerschen. Fuer das folgende (459 295) stellten die Roemer ihre
beiden besten Generale, Publius Decius Mus und den hochbejahrten Quintus Fabius
Rullianus, an die Spitze der Armee in Etrurien, welche mit allen in Kampanien
irgend entbehrlichen Truppen verstaerkt ward und wenigstens 60000 Mann, darunter
ueber ein Drittel roemische Vollbuerger, zaehlte; ausserdem ward eine zwiefache
Reserve gebildet, die erste bei Falerii, die zweite unter den Mauern der
Hauptstadt. Der Sammelplatz der Italiker war Umbrien, wo die Strassen aus dem
gallischen, etruskischen und sabellischen Gebiet zusammenliefen; nach Umbrien
liessen auch die Konsuln teils am linken, teils am rechten Ufer des Tiber hinauf
ihre Hauptmacht abruecken, waehrend zugleich die erste Reserve eine Bewegung
gegen Etrurien machte, um womoeglich die etruskischen Truppen von dem Platz der
Entscheidung zur Verteidigung der Heimat abzurufen. Das erste Gefecht lief nicht
gluecklich fuer die Roemer ab; ihre Vorhut ward von den vereinigten Galliern und
Samniten in dem Gebiet von Chiusi geschlagen. Aber jene Diversion erreichte
ihren Zweck; minder hochherzig als die Samniten, die durch die Truemmer ihrer
Staedte hindurchgezogen waren, um auf der rechten Walstatt nicht zu fehlen,
entfernte sich auf die Nachricht von dem Einfall der roemischen Reserve in
Etrurien ein grosser Teil der etruskischen Kontingente von der Bundesarmee, und
die Reihen derselben waren sehr gelichtet, als es am oestlichen Abhang des
Apennin bei Sentinum zur entscheidenden Schlacht kam. Dennoch war es ein heisser
Tag. Auf dem rechten Fluegel der Roemer, wo Rullianus mit seinen beiden Legionen
gegen das samnitische Heer stritt, stand die Schlacht lange ohne Entscheidung.
Auf dem linken, den Publius Decius befehligte, wurde die roemische Reiterei
durch die gallischen Streitwagen in Verwirrung gebracht, und schon begannen hier
auch die Legionen zu weichen. Da rief der Konsul den Priester Marcus Livius
heran und hiess ihn zugleich das Haupt des roemischen Feldherrn und das
feindliche Heer den unterirdischen Goettern weihen; alsdann in den dichtesten
Haufen der Gallier sich stuerzend suchte und fand er den Tod. Diese
heldenmuetige Verzweiflung des hohen Mannes, des geliebten Feldherrn, war nicht
vergeblich. Die fliehenden Soldaten standen wieder, die Tapfersten warfen dem
Fuehrer nach sich in die feindlichen Reihen, um ihn zu raechen oder mit ihm zu
sterben; und eben im rechten Augenblicke erschien, von Rullianus gesendet, der
Konsular Lucius Scipio mit der roemischen Reserve auf dem gefaehrdeten linken
Fluegel. Die vortreffliche kampanische Reiterei, die den Galliern in die Flanke
und den Ruecken fiel, gab hier den Ausschlag; die Gallier flohen, und endlich
wichen auch die Samniten, deren Feldherr Egnatius am Tore des Lagers fiel. 9000
Roemer bedeckten die Walstatt; aber der teuer erkaufte Sieg war solchen Opfers
wert. Das Koalitionsheer loeste sich auf und damit die Koalition selbst; Umbrien
blieb in roemischer Gewalt, die Gallier verliefen sich, der Ueberrest der
Samniten, noch immer in geschlossener Ordnung, zog durch die Abruzzen ab in die
Heimat. Kampanien, das die Samniten waehrend des etruskischen Krieges
ueberschwemmt hatten, ward nach dessen Beendigung mit leichter Muehe wieder von
den Roemern besetzt. Etrurien bat im folgenden Jahre 460 (294) um Frieden;
Volsinii, Perusia, Arretium und wohl ueberhaupt alle dem Bunde gegen Rom
beigetretenen Staedte gelobten Waffenruhe auf vierhundert Monate. Aber die
Samniten dachten anders: sie ruesteten sich zur hoffnungslosen Gegenwehr mit
jenem Mute freier Maenner, der das Glueck zwar nicht zwingen, aber beschaemen
kann. Als im Jahre 460 (294) die beiden Konsularheere in Samnium einrueckten,
stiessen sie ueberall auf den erbittertsten Widerstand; ja, Marcus Atilius
erlitt eine Schlappe bei Luceria, und die Samniten konnten in Kampanien
eindringen und das Gebiet der roemischen Kolonie Interamna am Liris verwuesten.
Im Jahre darauf lieferten Lucius Papirius Cursor, der Sohn des Helden des ersten
Samnitischen Krieges, und Spurius Carvilius bei Aquilonia eine grosse
Feldschlacht gegen das samnitische Heer, dessen Kern, die 16 000 Weissroecke,
mit heiligem Eide geschworen hatte, den Tod der Flucht vorzuziehen. Indes das
unerbittliche Schicksal fragt nicht nach Schwueren und verzweifeltem Flehen; der
Roemer siegte und stuermte die Festen, in die die Samniten sich und ihre Habe
gefluechtet hatten. Selbst nach dieser grossen Niederlage wehrten sich die
Eidgenossen gegen den immer uebermaechtigeren Feind noch jahrelang mit
beispielloser Ausdauer in ihren Burgen und Bergen und erfochten noch manchen
Vorteil im einzelnen; des alten Rullianus erprobter Arm ward noch einmal (462
292) gegen sie aufgeboten, und Gavius Pontius, vielleicht der Sohn des Siegers
von Caudium, erfocht sogar fuer sein Volk einen letzten Sieg, den die Roemer
niedrig genug an ihm raechten, indem sie ihn, als er spaeter gefangen ward, im
Kerker hinrichten liessen (463 291). Aber nichts regte sich weiter in Italien;
denn der Krieg, den Falerii 461 (293) begann, verdient kaum diesen Namen. Wohl
mochte man in Samnium sehnsuechtig die Blicke wenden nach Tarent, das allein
noch imstande war, Hilfe zu gewaehren; aber sie blieb aus. Es waren dieselben
Ursachen wie frueher, welche die Untaetigkeit Tarents herbeifuehrten: das innere
Missregiment und der abermalige Uebertritt der Lucaner zur roemischen Partei im
Jahre 456 (298); hinzu kam noch die nicht ungegruendete Furcht vor Agathokles
von Syrakus, der eben damals auf dem Gipfel seiner Macht stand und anfing, sich
gegen Italien zu wenden. Um das Jahr 455 (299) setzte dieser auf Kerkyra sich
fest, von wo Kleonymos durch Demetrios den Belagerer vertrieben war und bedrohte
nun vom Adriatischen wie vom Ionischen Meere her die Tarentiner. Die Abtretung
der Insel an Koenig Pyrrhos von Epeiros im Jahre 459 (295) beseitigte allerdings
zum grossen Teil die gehegten Besorgnisse; allein die kerkyraeischen
Angelegenheiten fuhren fort, die Tarentiner zu beschaeftigen, wie sie denn im
Jahre 464 (290) den Koenig Pyrrhos im Besitz der Insel gegen Demetrios schuetzen
halfen, und ebenso hoerte Agathokles nicht auf, durch seine italische Politik
die Tarentiner zu beunruhigen. Als er starb (465 289) und mit ihm die Macht der
Syrakusaner in Italien zugrunde ging, war es zu spaet; Samnium, des
siebenunddreissigjaehrigen Kampfes muede, hatte das Jahr vorher (464 290) mit
dem roemischen Konsul Manius Curius Dentatus Friede geschlossen und der Form
nach den Bund mit Rom erneuert. Auch diesmal wurden, wie im Frieden von 450
(304) dem tapferen Volke von den Roemern keine schimpflichen oder vernichtenden
Bedingungen gestellt; nicht einmal Gebietsabtretungen scheinen stattgefunden zu
haben. Die roemische Staatsklugheit zog es vor, auf dem bisher eingehaltenen
Wege fortzuschreiten, und ehe man an die unmittelbare Eroberung des Binnenlandes
ging, zunaechst das kampanische und adriatische Litoral fest und immer fester an
Rom zu knuepfen. Kampanien zwar war laengst untertaenig; allein die
weitblickende roemische Politik fand es noetig, zur Sicherung der kampanischen
Kueste dort zwei Strandfestungen anzulegen, Minturnae und Sinuessa (459 295),
deren neue Buergerschaften nach dem fuer Kuestenkolonien feststehenden Grundsatz
in das volle roemische Buergerrecht eintraten. Energischer noch ward die
Ausdehnung der roemischen Herrschaft in Mittelitalien gefoerdert. Wie die
Unterwerfung der Aequer und Herniker die unmittelbare Folge des Ersten
Samnitischen Krieges war, so schloss sich an das Ende des Zweiten diejenige der
Sabiner. Derselbe Feldherr, der die Samniten schliesslich bezwang, Manius
Curius, brach in demselben Jahre (464 290) den kurzen und ohnmaechtigen
Widerstand derselben und zwang die Sabiner zur unbedingten Ergebung. Ein grosser
Teil des unterworfenen Gebiets wurde von den Siegern unmittelbar in Besitz
genommen und an roemische Buerger ausgeteilt, den uebrigbleibenden Gemeinden
Cures, Reate, Amiternum, Nursia das roemische Untertanenrecht (civitas sine
suffragio) aufgezwungen. Bundesstaedte gleichen Rechts wurden hier nicht
gegruendet; die Landschaft kam vielmehr unter die unmittelbare Herrschaft Roms,
die sich also ausdehnte bis zum Apennin und den umbrischen Bergen. Aber schon
beschraenkte man sich nicht auf das Gebiet diesseits der Berge; der letzte Krieg
hatte allzu deutlich gezeigt, dass die roemische Herrschaft ueber Mittelitalien
nur gesichert war, wenn sie von Meer zu Meer reichte. Die Festsetzung der Roemer
jenseits des Apennin beginnt mit der Anlegung der starken Festung Hatria (Atri)
im Jahre 465 (289), an der noerdlichen Abdachung der Abruzzen gegen die
picenische Ebene, nicht unmittelbar an der Kueste und daher latinischen Rechts,
aber dem Meere nah und der Schlussstein des gewaltigen, Nord- und Sueditalien
trennenden Keils. Aehnlicher Art und von noch groesserer Bedeutung war die
Gruendung von Venusia (463 291), wohin die unerhoerte Zahl von 20000 Kolonisten
gefuehrt ward; die Stadt, an der Markscheide von Samnium, Apulien und Lucanien,
auf der grossen Strasse zwischen Tarent und Samnium in einer ungemein festen
Stellung gegruendet, war bestimmt, die Zwingburg der umwohnenden Voelkerschaften
zu sein und vor allen Dingen zwischen den beiden maechtigsten Feinden Roms im
suedlichen Italien die Verbindung zu unterbrechen. Ohne Zweifel ward zu gleicher
Zeit auch die Suedstrasse, die Appius Claudius bis nach Capua gefuehrt hatte,
von dort weiter bis nach Venusia verlaengert. So erstreckte sich, als die
Samnitischen Kriege zu Ende gingen, das geschlossene, das heisst fast
ausschliesslich aus Gemeinden roemischen oder latinischen Rechts bestehende
Gebiet Roms nordwaerts bis zum Ciminischen Walde, oestlich bis in die Abruzzen
und an das Adriatische Meer, suedlich bis nach Capua, waehrend die beiden
vorgeschobenen Posten Luceria und Venusia, gegen Osten und Sueden auf den
Verbindungslinien der Gegner angelegt, dieselben nach allen Richtungen hin
isolierten. Rom war nicht mehr bloss die erste, sondern bereits die herrschende
Macht auf der Halbinsel, als gegen das Ende des fuenften Jahrhunderts der Stadt
diejenigen Nationen, welche die Gunst der Goetter und die eigene Tuechtigkeit
jede in ihrer Landschaft an die Spitze gerufen hatten, im Rat und auf dem
Schlachtfeld sich einander zu naehern begannen und, wie in Olympia die
vorlaeufigen Sieger zu dem zweiten und ernsteren Kampf, so auf der groesseren
Voelkerringstatt jetzt Karthago, Makedonien und Rom sich anschickten zu dem
letzten und entscheidenden Wettgang.
7. Kapitel
Koenig Pyrrhos gegen Rom und die Einigung Italiens
In der Zeit der unbestrittenen Weltherrschaft Roms pflegten die Griechen
ihre roemischen Herren damit zu aergern, dass sie als die Ursache der roemischen
Groesse das Fieber bezeichneten, an welchem Alexander von Makedonien den 11.
Juni 431 (323) in Babylon verschied. Da es nicht allzu troestlich war, das
Geschehene zu ueberdenken, verweilte man nicht ungern mit den Gedanken bei dem,
was haette kommen moegen, wenn der grosse Koenig, wie es seine Absicht gewesen
sein soll, als er starb, sich gegen Westen gewendet und mit seiner Flotte den
Karthagern das Meer, mit seinen Phalangen den Roemern die Erde streitig gemacht
haben wuerde. Unmoeglich ist es nicht, dass Alexander mit solchen Gedanken sich
trug; und man braucht auch nicht, um sie zu erklaeren, bloss darauf hinzuweisen,
dass ein Autokrat, der kriegslustig und mit Soldaten und Schiffen versehen ist,
nur schwer die Grenze seiner Kriegfuehrung findet. Es war eines griechischen
Grosskoenigs wuerdig, die Sikelioten gegen Karthago, die Tarentiner gegen Rom zu
schuetzen und dem Piratenwesen auf beiden Meeren ein Ende zu machen; die
italischen Gesandtschaften, die in Babylon neben zahllosen andern erschienen,
der Brettier, Lucaner, Etrusker ^1, boeten Gelegenheit genug, die Verhaeltnisse
der Halbinsel kennenzulernen und Beziehungen dort anzuknuepfen. Karthago mit
seinen vielfachen Verbindungen im Orient musste den Blick des gewaltigen Mannes
notwendig auf sich ziehen, und wahrscheinlich lag es in seinen Absichten, die
nominelle Herrschaft des Perserkoenigs ueber die tyrische Kolonie in eine
wirkliche umzuwandeln; nicht umsonst fand sich ein aus Karthago gesandter Spion
in der unmittelbaren Umgebung Alexanders. Indes mochten dies Traeume oder Plaene
sein, der Koenig starb, ohne mit den Angelegenheiten des Westens sich
beschaeftigt zu haben, und jene Gedanken gingen mit ihm zu Grabe. Nur wenige
kurze Jahre hatte ein griechischer Mann die ganze intellektuelle Kraft des
Hellenentums, die ganze materielle Fuelle des Ostens vereinigt in seiner Hand
gehalten; mit seinem Tode ging zwar das Werk seines Lebens, die Gruendung des
Hellenismus im Orient, keineswegs zugrunde, wohl aber spaltete sich sofort das
kaum geeinigte Reich und unter dem steten Hader der verschiedenen, aus diesen
Truemmern sich bildenden Staaten ward ihrer aller weltgeschichtliche Bestimmung,
die Propaganda der griechischen Kultur im Osten zwar nicht aufgegeben, aber
abgeschwaecht und verkuemmert. Bei solchen Verhaeltnissen konnten weder die
griechischen noch die asiatisch-aegyptischen Staaten daran denken, im Okzident
festen Fuss zu fassen und gegen die Roemer oder die Karthager sich zu wenden.
Das oestliche und das westliche Staatensystem bestanden nebeneinander, ohne
zunaechst politisch ineinanderzugreifen; und namentlich Rom blieb den
Verwicklungen der Diadochenperiode wesentlich fremd. Nur Beziehungen
oekonomischer Art stellten sich fest; wie denn zum Beispiel der rhodische
Freistaat, der vornehmste Vertreter einer neutralen Handelspolitik in
Griechenland und daher der allgemeine Vermittler des Verkehrs in einer Zeit
ewiger Kriege, um das Jahr 448 (306) einen Vertrag mit Rom abschloss, natuerlich
einen Handelstraktat, wie er begreiflich ist zwischen einem Kaufmannsvolk und
den Herren der caeritischen und kampanischen Kueste. Auch bei der
Soeldnerlieferung, die von dem allgemeinen Werbeplatz der damaligen Zeit, von
Hellas aus nach Italien und namentlich nach Tarent ging, wirkten die politischen
Beziehungen, die zum Beispiel zwischen Tarent und dessen Mutterstadt Sparta
bestanden, nur in sehr untergeordneter Weise mit; im ganzen waren die Werbungen
nichts als kaufmaennische Geschaefte, und Sparta, obwohl es regelmaessig den
Tarentinern zu den italischen Kriegen die Hauptleute lieferte, trat mit den
Italikern darum so wenig in Fehde wie im nordamerikanischen Freiheitskrieg die
deutschen Staaten mit der Union, deren Gegnern sie ihre Untertanen verkauften.
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^1 Die Erzaehlung, dass auch die Roemer Gesandte an Alexander nach Babylon
geschickt, geht auf das Zeugnis des Kleitarchos zurueck (Plin. nat. 3, 5, 57),
aus dem die uebrigen, diese Tatsache meldenden Zeugen (Aristos und Asklepiades
bei Arrian 7, 15, 5; Memnon c. 25) ohne Zweifel schoepften. Kleitarchos war
allerdings Zeitgenosse dieser Ereignisse, aber sein Leben Alexanders
nichtsdestoweniger entschieden mehr historischer Roman als Geschichte; und bei
dem Schweigen der zuverlaessigen Biographen (Art. a. a. O.; Liv. 9, 18) und dem
voellig romanhaften Detail des Berichts, wonach zum Beispiel die Roemer dem
Alexander einen goldenen Kranz ueberreicht und dieser die zukuenftige Groesse
Roms vorhergesagt haben soll, wird man nicht umhin koennen, diese Erzaehlung zu
den vielen anderen durch Kleitarchos in die Geschichte eingefuehrten
Ausschmueckungen zu stellen.
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Nichts anderes als ein abenteuernder Kriegshauptmann war auch Koenig
Pyrrhos von Epeiros; er war darum nicht minder ein Gluecksritter, dass er seinen
Stammbaum zurueckfuehrte auf Aeakos und Achilleus und dass er, waere er
friedlicher gesinnt gewesen, als "Koenig" ueber ein kleines Bergvolk unter
makedonischer Oberherrlichkeit oder auch allenfalls in isolierter Freiheit
haette leben und sterben koennen. Man hat ihn wohl verglichen mit Alexander von
Makedonien; und allerdings die Gruendung eines westhellenischen Reiches, dessen
Kern Epeiros, Grossgriechenland, Sizilien gebildet haetten, das die beiden
italischen Meere beherrscht und Rom wie Karthago in die Reihe der barbarischen
Grenzvoelker des hellenistischen Staatensystems, der Kelten und Inder gedraengt
haben wuerde - dieser Gedanke ist wohl gross und kuehn wie derjenige, der den
makedonischen Koenig ueber den Hellespont fuehrte. Aber nicht bloss der
verschiedene Ausgang unterscheidet den oestlichen und den westlichen Heerzug.
Alexander konnte mit seiner makedonischen Armee, in der namentlich der Stab
vorzueglich war, dem Grosskoenig vollkommen die Spitze bieten; aber der Koenig
von Epeiros, das neben Makedonien stand etwa wie Hessen neben Preussen, erhielt
eine nennenswerte Armee nur durch Soeldner und durch Buendnisse, die auf
zufaelligen politischen Kombinationen beruhten. Alexander trat im Perserreich
auf als Eroberer, Pyrrhos in Italien als Feldherr einer Koalition von
Sekundaerstaaten; Alexander hinterliess sein Erbland vollkommen gesichert durch
die unbedingte Untertaenigkeit Griechenlands und das starke, unter Antipater
zurueckbleibende Heer, Pyrrhos buergte fuer die Integritaet seines eigenen
Gebietes nichts als das Wort eines zweifelhaften Nachbarn. Fuer beide Eroberer
hoerte, wenn ihre Plaene gelangen, die Heimat notwendig auf, der Schwerpunkt des
neuen Reiches zu sein; allein eher noch war es ausfuehrbar, den Sitz der
makedonischen Militaermonarchie nach Babylon zu verlegen als in Tarent oder
Syrakus eine Soldatendynastie zu gruenden. Die Demokratie der griechischen
Republiken, so sehr sie eine ewige Agonie war, liess sich in die straffen Formen
des Militaerstaats nun einmal nicht zurueckzwingen; Philipp wusste wohl, warum
er die griechischen Republiken seinem Reich nicht einverleibte. Im Orient war
ein nationaler Widerstand nicht zu erwarten; herrschende und dienende Staemme
lebten dort seit langem nebeneinander und der Wechsel des Despoten war der Masse
der Bevoelkerung gleichgueltig oder gar erwuenscht. Im Okzident konnten die
Roemer, die Samniten, die Karthager auch ueberwunden werden; aber kein Eroberer
haette es vermocht, die Italiker in aegyptische Fellahs zu verwandeln oder aus
den roemischen Bauern Zinspflichtige hellenischer Barone zu machen. Was man auch
ins Auge fasst, die eigene Macht, die Bundesgenossen, die Kraefte der Gegner -
ueberall erscheint der Plan des Makedoniers als eine ausfuehrbare, der des
Epeiroten als eine unmoegliche Unternehmung; jener als die Vollziehung einer
grossen geschichtlichen Aufgabe, dieser als ein merkwuerdiger Fehlgriff; jener
als die Grundlegung zu einem neuen Staatensystem und einer neuen Phase der
Zivilisation, dieser als eine geschichtliche Episode. Alexanders Werk ueberlebte
ihn, obwohl der Schoepfer zur Unzeit starb; Pyrrhos sah mit eigenen Augen das
Scheitern aller seiner Plaene, ehe der Tod ihn abrief. Sie beide waren kuehne
und grosse Naturen, aber Pyrrhos nur der erste Feldherr, Alexander vor allem der
genialste Staatsmann seiner Zeit; und wenn es die Einsicht in das Moegliche und
Unmoegliche ist, die den Helden vom Abenteurer scheidet, so muss Pyrrhos diesen
zugezaehlt und darf seinem groesseren Verwandten sowenig zur Seite gestellt
werden wie etwa der Connetable von Bourbon Ludwig dem Elften.
Und dennoch knuepft sich ein wunderbarer Zauber an den Namen des Epiroten,
eine eigene Teilnahme, die allerdings zum Teil der ritterlichen und
liebenswuerdigen Persoenlichkeit desselben, aber mehr doch noch dem Umstande
gilt, dass er der erste Grieche ist, der den Roemern im Kampfe gegenuebertritt.
Mit ihm beginnen jene unmittelbaren Beziehungen zwischen Rom und Hellas, auf
denen die ganze spaetere Entfaltung der antiken Zivilisation und ein
wesentlicher Teil der modernen beruht. Der Kampf zwischen Phalangen und
Kohorten, zwischen der Soeldnerarmee und der Landwehr, zwischen dem
Heerkoenigtum und dem Senatorenregiment, zwischen dem individuellen Talent und
der nationalen Kraft - dieser Kampf zwischen Rom und dem Hellenismus ward zuerst
durchgefochten in den Schlachten zwischen Pyrrhos und den roemischen Feldherren;
und wenn auch die unterliegende Partei noch oft nachher appelliert hat an neue
Entscheidung der Waffen, so hat doch jeder spaetere Schlachttag das Urteil
lediglich bestaetigt. Wenn aber auf der Walstatt wie in der Kurie die Griechen
unterliegen, so ist ihr Uebergewicht nicht minder entschieden in jedem anderen,
nicht politischen Wettkampf, und eben schon diese Kaempfe lassen es ahnen, dass
der Sieg Roms ueber die Hellenen ein anderer sein wird als der ueber Gallier und
Phoeniker, und dass Aphroditens Zauber erst zu wirken beginnt, wenn die Lanze
zersplittert und Helm und Schild beiseite gelegt ist.
Koenig Pyrrhos war der Sohn des Aeakides, des Herrn der Molosser (um
Janina), welcher, von Alexander geschont als Verwandter und getreuer Lehnsmann,
nach dessen Tode in den Strudel der makedonischen Familienpolitik hineingerissen
ward und darin zuerst sein Reich und dann das Leben verlor (441 313). Sein
damals sechsjaehriger Sohn ward von dem Herrn der illyrischen Taulantier,
Glaukias, gerettet und im Laufe der Kaempfe um Makedoniens Besitz, noch ein
Knabe, von Demetrios dem Belagerer wieder zurueckgefuehrt in sein angestammtes
Fuerstentum (447 307), um es nach wenigen Jahren durch den Einfluss der
Gegenpartei wieder einzubuessen (um 452 302) und als landfluechtiger
Fuerstensohn im Gefolge der makedonischen Generale seine militaerische Laufbahn
zu beginnen. Bald machte seine Persoenlichkeit sich geltend. Unter Antigonos
machte er dessen letzte Feldzuege mit; der alte Marschall Alexanders hatte seine
Freude an dem geborenen Soldaten, dem nach dem Urteile des ergrauten Feldherrn
nur die Jahre fehlten um schon jetzt der erste Kriegsmann der Zeit zu sein. Die
unglueckliche Schlacht bei Ipsos brachte ihn als Geisel nach Alexandreia an den
Hof des Gruenders der Lagidendynastie, wo er durch sein kuehnes und derbes
Wesen, seinen alles nicht Militaerische gruendlich verachtenden Soldatensinn
nicht minder des staatsklugen Koenigs Ptolemaeos Aufmerksamkeit auf sich zog als
durch seine maennliche Schoenheit, der das wilde Antlitz, der gewaltige Tritt
keinen Eintrag tat, die der koeniglichen Damen. Eben damals gruendete der kuehne
Demetrios sich wieder einmal, diesmal in Makedonien, ein neues Reich; natuerlich
in der Absicht, von dort aus die Alexandermonarchie zu erneuern. Es galt, ihn
niederzuhalten, ihm daheim zu schaffen zu machen; und der Lagide, der solche
Feuerseelen, wie der epeirotische Juengling eine war, vortrefflich fuer seine
feine Politik zu nutzen verstand, tat nicht bloss seiner Gemahlin, der Koenigin
Berenike einen Gefallen, sondern foerderte auch seine eigenen Zwecke, indem er
dem jungen Fuersten seine Stieftochter, die Prinzessin Antigone zur Gemahlin gab
und dem geliebten "Sohn" zur Rueckkehr in die Heimat seinen Beistand und seinen
maechtigen Einfluss lieh (458 296). Zurueckgekehrt in sein vaeterliches Reich
fiel ihm bald alles zu; die tapferen Epeiroten, die Albanesen des Altertums,
hingen mit angestammter Treue und frischer Begeisterung an dem mutigen
Juengling, dem "Adler", wie sie ihn hiessen. In den um die makedonische
Thronfolge nach Kassanders Tod (457 297) entstandenen Wirren erweiterte der
Epeirote sein Reich; nach und nach gewann er die Landschaften an dem
ambrakischen Busen mit der wichtigen Stadt Ambrakia, die Insel Kerkyra, ja
selbst einen Teil des makedonischen Gebiets, und widerstand mit weit geringeren
Streitkraeften dem Koenig Demetrios zur Bewunderung der Makedonier selbst. Ja,
als Demetrios durch seine eigene Torheit in Makedonien vom Thron gestuerzt war,
trug man dort dem ritterlichen Gegner, dem Verwandten der Alexandriden,
denselben freiwillig an (467 287). In der Tat, keiner war wuerdiger als Pyrrhos,
das koenigliche Diadem Philipps und Alexanders zu tragen. In einer tief
versunkenen Zeit, in der Fuerstlichkeit und Niedertraechtigkeit gleichbedeutend
zu werden begannen, leuchtete hell Pyrrhos' persoenlich unbefleckter und
sittenreiner Charakter. Fuer die freien Bauern des makedonischen Stammlandes,
die, obwohl gemindert und verarmt, sich doch fernhielten von dem Verfall der
Sitten und der Tapferkeit, den das Diadochenregiment in Griechenland und Asien
herbeifuehrte, schien eben Pyrrhos recht eigentlich zum Koenig geschaffen; er,
der gleich Alexander in seinem Haus, im Freundeskreise allen menschlichen
Beziehungen sein Herz offen erhielt und das in Makedonien so verhasste
orientalische Sultanwesen stets von sich abgewehrt hatte; er, der gleich
Alexander anerkannt der erste Taktiker seiner Zeit war. Aber das seltsam
ueberspannte makedonische Nationalgefuehl, das den elendesten makedonischen
Herrn dem tuechtigsten Fremden vorzog, die unvernuenftige Widerspenstigkeit der
makedonischen Truppen gegen jeden nicht makedonischen Fuehrer, welcher der
groesste Feldherr aus Alexanders Schule, der Kardianer Eumenes erlegen war,
bereitete auch der Herrschaft des epeirotischen Fuersten ein schnelles Ende.
Pyrrhos, der die Herrschaft ueber Makedonien mit dem Willen der Makedonier nicht
fuehren konnte, und zu machtlos, vielleicht auch zu hochherzig war, um sich dem
Volke gegen dessen Willen aufzudraengen, ueberliess schon nach siebenmonatlicher
Herrschaft das Land seiner einheimischen Missregierung und ging heim zu seinen
treuen Epeiroten (467 287). Aber der Mann, der Alexanders Krone getragen hatte,
der Schwager des Demetrios, der Schwiegersohn des Lagiden und des Agathokles von
Syrakus, der hochgebildete Strategiker, der Memoiren und wissenschaftliche
Abhandlungen ueber die Kriegskunst schrieb, konnte unmoeglich sein Leben
darueber beschliessen, dass er zu gesetzter Zeit im Jahre die Rechnungen des
koeniglichen Viehverwalters durchsah und von seinen braven Epeiroten die
landueblichen Geschenke an Rindern und Schafen entgegennahm, um sich alsdann am
Altar des Zeus von ihnen den Eid der Treue erneuern zu lassen und selbst den Eid
auf die Gesetze zu wiederholen und, diesem allen zu mehrerer Bekraeftigung, mit
ihnen die Nacht hindurch zu zechen. War kein Platz fuer ihn auf dem
makedonischen Thron, so war ueberhaupt in der Heimat seines Bleibens nicht; er
konnte der Erste sein und also nicht der Zweite. So wandten sich seine Blicke in
die Weite. Die Koenige, die um Makedoniens Besitz haderten, obwohl sonst in
nichts einig, waren gern bereit, gemeinschaftlich zu helfen, dass der
gefaehrliche Nebenbuhler freiwillig ausscheide; und dass die treuen
Kriegsgenossen ihm folgen wuerden, wohin er sie fuehrte, dessen war er gewiss.
Eben damals stellten die italischen Verhaeltnisse sich so, dass jetzt wiederum
als ausfuehrbar erscheinen konnte, was vierzig Jahre frueher Pyrrhos'
Verwandter, seines Vaters Vetter Alexander von Epeiros, und eben erst sein
Schwiegervater Agathokles beabsichtigt hatten; und so entschloss sich Pyrrhos,
auf seine makedonischen Plaene zu verzichten und im Westen eine neue Herrschaft
fuer sich und fuer die hellenische Nation zu gruenden.
Die Waffenruhe, die der Friede mit Samnium 464 (290) fuer Italien
herbeigefuehrt hatte, war von kurzer Dauer; der Anstoss zur Bildung einer neuen
Ligue gegen die roemische Uebermacht kam diesmal von den Lucanern. Dieser
Voelkerschaft, die durch ihre Parteinahme fuer Rom die Tarentiner waehrend der
Samnitischen Kriege gelaehmt und zu deren Entscheidung wesentlich beigetragen
hatte, waren dafuer von den Roemern die Griechenstaedte in ihrem Gebiet
preisgegeben worden; und demgemaess hatten sie nach abgeschlossenem Frieden in
Gemeinschaft mit den Brettiern sich daran gemacht, eine nach der anderen zu
bezwingen. Die Thuriner, wiederholt angegriffen von dem Feldherrn der Lucaner,
Stenius Statilius, und aufs aeusserste bedraengt, wandten sich, ganz wie einst
die Kampaner die Hilfe Roms gegen die Samniten in Anspruch genommen hatten und
ohne Zweifel um den gleichen Preis ihrer Freiheit und Selbstaendigkeit, mit der
Bitte um Beistand gegen die Lucaner an den roemischen Senat. Da das Buendnis mit
diesen durch die Anlage der Festung Venusia fuer Rom entbehrlich geworden war,
gewaehrten die Roemer das Begehren der Thuriner und geboten ihren Bundesfreunden
von der Stadt, die sich den Roemern ergeben habe, abzulassen. Die Lucaner und
Brettier, also von den maechtigeren Verbuendeten betrogen um den Anteil an der
gemeinschaftlichen Beute, knuepften Verhandlungen an mit der samnitisch-
tarentinischen Oppositionspartei, um eine neue Koalition der Italiker zustande
zu bringen; und als die Roemer sie durch eine Gesandtschaft warnen liessen,
setzten sie den Gesandten gefangen und begannen den Krieg gegen Rom mit einem
neuen Angriff auf Thurii (um 469 285), indem sie zugleich nicht bloss die
Samniten und die Tarentiner, sondern auch die Norditaliker, die Etrusker,
Umbrer, Gallier aufriefen, mit ihnen zum Freiheitskampf sich zu vereinigen. In
der Tat erhob sich der etruskische Bund und dang zahlreiche gallische Haufen;
das roemische Heer, das der Praetor Lucius Caecilius den treu gebliebenen
Arretinern zu Hilfe fuehrte, ward unter den Mauern dieser Stadt von den
senonischen Soeldnern der Etrusker vernichtet, der Feldherr selbst fiel mit
13000 seiner Leute (470 284). Die Senonen zaehlten zu Roms Bundesgenossen: die
Roemer schickten demnach Gesandte an sie, um ueber die Stellung von Reislaeufern
gegen Rom Klage zu fuehren und die unentgeltliche Rueckgabe der Gefangenen zu
begehren. Aber auf Befehl des Senonenhaeuptlings Britomaris, der den Tod seines
Vaters an den Roemern zu raechen hatte, erschlugen die Senonen die roemischen
Boten und ergriffen offen die Partei der Etrusker. Ganz Norditalien, Etrusker,
Umbrer, Gallier, stand somit gegen Rom in Waffen; es konnten grosse Erfolge
gewonnen werden, wenn die suedlichen Landschaften diesen Augenblick ergriffen
und auch diejenigen, die es nicht bereits getan, sich gegen Rom erklaerten. In
der Tat scheinen die Samniten, immer fuer die Freiheit einzustehen willig, den
Roemern den Krieg erklaert zu haben; aber geschwaecht und von allen Seiten
eingeschlossen, wie sie waren, konnten sie dem Bunde wenig nuetzen, und Tarent
zauderte nach seiner Gewohnheit. Waehrend unter den Gegnern Buendnisse
verhandelt, Subsidientraktate festgesetzt, Soeldner zusammengebracht wurden,
handelten die Roemer. Zunaechst hatten es die Senonen zu empfinden, wie
gefaehrlich es sei, die Roemer zu besiegen. Der Konsul Publius Cornelius
Dolabella rueckte mit einem starken Heer in ihr Gebiet; was nicht ueber die
Klinge sprang, ward aus dem Lande ausgetrieben und dieser Stamm ausgestrichen
aus der Reihe der italischen Nationen (471 283). Bei einem vorzugsweise von
seinen Herden lebenden Volke war eine derartige massenhafte Austreibung wohl
ausfuehrbar; wahrscheinlich halfen diese aus Italien vertriebenen Senonen die
gallischen Schwaerme bilden, die bald nachher das Donaugebiet, Makedonien,
Griechenland, Kleinasien ueberschwemmten. Die naechsten Nachbarn und
Stammgenossen der Senonen, die Boier, erschreckt und erbittert durch die
furchtbar schnell sich vollendende Katastrophe, vereinigten sich augenblicklich
mit den Etruskern, die noch den Krieg fortfuehrten und deren senonische Soeldner
jetzt gegen die Roemer nicht mehr als Mietlinge fochten, sondern als
verzweifelte Raecher der Heimat; ein gewaltiges etruskisch-gallisches Heer zog
gegen Rom, um fuer die Vernichtung des Senonenstammes an der Hauptstadt der
Feinde Rache zu nehmen und vollstaendiger, als einst der Heerkoenig derselben
Senonen es getan, Rom von der Erde zu vertilgen. Allein beim Uebergang ueber den
Tiber in der Naehe des Vadimonischen Sees wurde das vereinigte Heer von den
Roemern nachdruecklich geschlagen (471 283). Nachdem sie das Jahr darauf noch
einmal bei Populonia mit nicht besserem Erfolg eine Feldschlacht gewagt hatten,
liessen die Boier ihre Bundesgenossen im Stich und schlossen fuer sich mit den
Roemern Frieden (472 282). So war das gefaehrlichste Glied der Ligue, das
Galliervolk, einzeln ueberwunden, ehe noch der Bund sich vollstaendig
zusammenfand, und dadurch Rom freie Hand gegen Unteritalien gegeben, wo in den
Jahren 469-471 (285-283) der Kampf nicht ernstlich gefuehrt worden war. Hatte
bis dahin die schwache roemische Armee Muehe gehabt, sich in Thurii gegen die
Lucaner und Brettier zu behaupten, so erschien jetzt (472 282) der Konsul Gaius
Fabricius Luscinus mit einem starken Heer vor der Stadt, befreite dieselbe,
schlug die Lucaner in einem grossen Treffen und nahm ihren Feldherrn Statilius
gefangen. Die kleineren nichtdorischen Griechenstaedte, die in den Roemern ihre
Retter erkannten, fielen ihnen ueberall freiwillig zu; roemische Besatzungen
blieben zurueck in den wichtigsten Plaetzen, in Lokri, Kroton, Thurii und
namentlich in Rhegion, auf welche letztere Stadt auch die Karthager Absichten zu
haben schienen. Ueberall war Rom im entschiedensten Vorteil. Die Vernichtung der
Senonen hatte den Roemern eine bedeutende Strecke des adriatischen Litorals in
die Haende gegeben; ohne Zweifel im Hinblick auf die unter der Asche glimmende
Fehde mit Tarent und die schon drohende Invasion der Epeiroten eilte man, sich
dieser Kueste sowie der Adriatischen See zu versichern. Es ward (um 471 283)
eine Buergerkolonie gefuehrt nach dem Hafenplatz Sena (Sinigaglia), der
ehemaligen Hauptstadt des senonischen Bezirks und gleichzeitig segelte eine
roemische Flotte aus dem Tyrrhenischen Meer in die oestlichen Gewaesser,
offenbar, um im Adriatischen Meer zu stationieren und dort die roemischen
Besitzungen zu decken.
Die Tarentiner hatten seit dem Vertrag von 450 (304) mit Rom in Frieden
gelebt. Sie hatten der langen Agonie der Samniten, der raschen Vernichtung der
Senonen zugesehen, sich die Gruendung von Venusia, Hatria, Sena, die Besetzung
von Thurii und Rhegion gefallen lassen, ohne Einspruch zu tun. Aber als jetzt
die roemische Flotte auf ihrer Fahrt vom Tyrrhenischen ins Adriatische Meer in
die tarentinischen Gewaesser gelangte und im Hafen der befreundeten Stadt vor
Anker ging, schwoll die langgehegte Erbitterung endlich ueber; die alten
Vertraege, die den roemischen Kriegsschiffen untersagten, oestlich vom
Lakinischen Vorgebirg zu fahren, wurden in der Buergerversammlung von den
Volksmaennern zur Sprache gebracht; wuetend stuerzte der Haufen ueber die
roemischen Kriegsschiffe her, die, unversehens nach Piratenart ueberfallen, nach
heftigem Kampfe unterlagen; fuenf Schiffe wurden genommen und deren Mannschaft
hingerichtet oder in die Knechtschaft verkauft, der roemische Admiral selbst war
in dem Kampf gefallen. Nur der souveraene Unverstand und die souveraene
Gewissenlosigkeit der Poebelherrschaft erklaert diese schmachvollen Vorgaenge.
Jene Vertraege gehoerten einer Zeit an, die laengst ueberschritten und
verschollen war; es ist einleuchtend, dass sie wenigstens seit der Gruendung von
Hatria und Sena schlechterdings keinen Sinn mehr hatten und dass die Roemer im
guten Glauben an das bestehende Buendnis in den Golf einfuhren - lag es doch gar
sehr in ihrem Interesse, wie der weitere Verlauf der Dinge zeigt, den
Tarentinern durchaus keinen Anlass zur Kriegserklaerung darzubieten. Wenn die
Staatsmaenner Tarents den Krieg an Rom erklaeren wollten, so taten sie bloss,
was laengst haette geschehen sollen; und wenn sie es vorzogen, die
Kriegserklaerung statt auf den wirklichen Grund vielmehr auf formalen
Vertragsbruch zu stuetzen, so liess sich dagegen weiter nichts erinnern, da ja
die Diplomatie zu allen Zeiten es unter ihrer Wuerde erachtet hat, das Einfache
einfach zu sagen. Allein dass man, statt den Admiral zur Umkehr aufzufordern,
die Flotte mit gewaffneter Hand ungewarnt ueberfiel, war eine Torheit nicht
minder als eine Barbarei, eine jener entsetzlichen Barbareien der Zivilisation,
wo die Gesittung ploetzlich das Steuerruder verliert und die nackte Gemeinheit
vor uns hintritt, gleichsam um zu warnen vor dem kindischen Glauben, als
vermoege die Zivilisation aus der Menschennatur die Bestialitaet auszuwurzeln.
Und als waere damit noch nicht genug getan, ueberfielen nach dieser
Heldentat die Tarentiner Thurii, dessen roemische Besatzung infolge der
Ueberrumpelung kapitulierte (im Winter 472/73 282/81), und bestraften die
Thuriner, dieselben, die die tarentinische Politik den Lucanern preisgegeben und
dadurch gewaltsam zur Ergebung an Rom gedraengt hatte, schwer fuer ihren Abfall
von der hellenischen Partei zu den Barbaren.
Die Barbaren verfuhren indes mit einer Maessigung, die bei solcher Macht
und nach solchen Kraenkungen Bewunderung erregt. Es lag im Interesse Roms, die
tarentinische Neutralitaet so lange wie moeglich gelten zu lassen, und die
leitenden Maenner im Senat verwarfen deshalb den Antrag, den eine Minoritaet in
begreiflicher Erbitterung stellte, den Tarentinern sofort den Krieg zu
erklaeren. Vielmehr wurde die Fortdauer des Friedens roemischerseits an die
maessigsten Bedingungen geknuepft, die sich mit Roms Ehre vertrugen: Entlassung
der Gefangenen, Rueckgabe von Thurii, Auslieferung der Urheber des Ueberfalls
der Flotte. Mit diesen Vorschlaegen ging eine roemische Gesandtschaft nach
Tarent (473 281), waehrend gleichzeitig, ihren Worten Nachdruck zu geben, ein
roemisches Heer unter dem Konsul Lucius Aemilius in Samnium einrueckte. Die
Tarentiner konnten, ohne ihrer Unabhaengigkeit etwas zu vergeben, diese
Bedingungen eingehen, und bei der geringen Kriegslust der reichen Kaufstadt
durfte man in Rom mit Recht annehmen, dass ein Abkommen noch moeglich sei.
Allein der Versuch, den Frieden zu erhalten, scheiterte - sei es an dem
Widerspruch derjenigen Tarentiner, die die Notwendigkeit erkannten, den
Uebergriffen Roms je eher desto lieber mit den Waffen entgegenzutreten, sei es
bloss an der Unbotmaessigkeit des staedtischen Poebels, der sich mit beliebter
griechischer Ungezogenheit sogar an der Person des Gesandten in unwuerdiger
Weise vergriff. Nun rueckte der Konsul in das tarentinische Gebiet ein; aber
statt sofort die Feindseligkeiten zu eroeffnen, bot er noch einmal auf dieselben
Bedingungen den Frieden; und da auch dies vergeblich war, begann er zwar die
Aecker und Landhaeuser zu verwuesten und schlug die staedtischen Milizen, aber
die vornehmeren Gefangenen wurden ohne Loesegeld entlassen und man gab die
Hoffnung nicht auf, dass der Kriegsdruck der aristokratischen Partei in der
Stadt das Uebergewicht geben und damit den Frieden herbeifuehren werde. Die
Ursache dieser Zurueckhaltung war, dass die Roemer die Stadt nicht dem
Epeirotenkoenig in die Arme treiben wollten. Die Absichten desselben auf Italien
waren kein Geheimnis mehr. Schon war eine tarentinische Gesandtschaft zu Pyrrhos
gegangen und unverrichteter Sache zurueckgekehrt; der Koenig hatte mehr begehrt,
als sie zu bewilligen Vollmacht hatte. Man musste sich entscheiden. Dass die
Buergerwehr vor den Roemern nur wegzulaufen verstand, davon hatte man sich
sattsam ueberzeugt; es blieb nur die Wahl zwischen Frieden mit Rom, den die
Roemer unter billigen Bedingungen zu bewilligen fortwaehrend bereit waren, und
Vertrag mit Pyrrhos auf jede dem Koenig gutduenkende Bedingung, das heisst die
Wahl zwischen Unterwerfung unter die roemische Obermacht oder unter die Tyrannis
eines griechischen Soldaten. Die Parteien hielten in der Stadt sich fast die
Waage; endlich blieb die Oberhand der Nationalpartei, wobei ausser dem wohl
gerechtfertigten Motiv, sich, wenn einmal ueberhaupt einem Herrn, lieber einem
Griechen als Barbaren zu eigen zu geben, auch noch die Furcht der Demagogen
mitwirkte, dass Rom trotz seiner jetzigen, durch die Umstaende erzwungenen
Maessigung bei geeigneter Gelegenheit nicht saeumen werde, Rache fuer die von
dem Tarentiner Poebel veruebten Schaendlichkeiten zu nehmen. Die Stadt schloss
also mit Pyrrhos ab. Er erhielt den Oberbefehl ueber die Truppen der Tarentiner
und der uebrigen gegen Rom unter Waffen stehenden Italioten; ferner das Recht,
in Tarent Besatzung zu halten. Dass die Stadt die Kriegskosten trug, versteht
sich von selbst. Pyrrhos versprach dagegen, in Italien nicht laenger als noetig
zu bleiben, vermutlich unter dem stillschweigenden Vorbehalt, die Zeit, waehrend
welcher er dort noetig sein werde, nach eigenem Ermessen festzustellen. Dennoch
waere ihm die Beute fast unter den Haenden entschluepft. Waehrend die
tarentinischen Gesandten - ohne Zweifel die Haeupter der Kriegspartei - in
Epeiros abwesend waren, schlug in der von den Roemern jetzt hart gedraengten
Stadt die Stimmung um; schon war der Oberbefehl dem Agis, einem roemisch
Gesinnten uebertragen, als die Rueckkehr der Gesandten mit dem abgeschlossenen
Traktat in Begleitung von Pyrrhos' vertrautem Minister Kineas die Kriegspartei
wieder ans Ruder brachte. Bald fasste eine festere Hand die Zuegel und machte
dem klaeglichen Schwanken ein Ende. Noch im Herbst 473 (281) landete Pyrrhos'
General Milon mit 3000 Epeiroten und besetzte die Zitadelle der Stadt; ihm
folgte zu Anfang des Jahres 474 (280) nach einer stuermischen, zahlreiche Opfer
fordernden Ueberfahrt der Koenig selbst. Er fuehrte nach Tarent ein
ansehnliches, aber buntgemischtes Heer, teils bestehend aus den Haustruppen, den
Molossern, Thesprotiern, Chaonern, Ambrakioten, teils aus dem makedonischen
Fussvolk und der thessalischen Reiterei, die Koenig Ptolemaeos von Makedonien
vertragsmaessig ihm ueberlassen, teils aus aetolischen, akarnanischen,
athamanischen Soeldnern; im ganzen zaehlte man 20000 Phalangiten, 2000
Bogenschuetzen, 500 Schleuderer, 3000 Reiter und 20 Elefanten, also nicht viel
weniger, als dasjenige Heer betragen hatte, mit dem Alexander fuenfzig Jahre
zuvor den Hellespont ueberschritt.
Die Angelegenheiten der Koalition standen nicht zum besten, als der Koenig
kam. Zwar hatte der roemische Konsul, sowie er die Soldaten Milons anstatt der
tarentinischen Miliz sich gegenueber aufziehen sah, den Angriff auf Tarent
aufgegeben und sich nach Apulien zurueckgezogen; aber mit Ausnahme des Gebietes
von Tarent beherrschten die Roemer so gut wie ganz Italien. Nirgends in
Unteritalien hatte die Koalition eine Armee im Felde, und auch in Oberitalien
hatten die Etrusker, die allein noch in Waffen standen, in dem letzten Feldzuge
(473 281) nichts als Niederlagen erlitten. Die Verbuendeten hatten, ehe der
Koenig zu Schiff ging, ihm den Oberbefehl ueber ihre saemtlichen Truppen
uebertragen und ein Heer von 350000 Mann zu Fuss und 20000 Reiter ins Feld
stellen zu koennen erklaert; zu diesen grossen Worten bildete die Wirklichkeit
einen unerfreulichen Kontrast. Das Heer, dessen Oberbefehl man Pyrrhos
uebertragen, war noch erst zu schaffen, und vorlaeufig standen dazu
hauptsaechlich nur Tarents eigene Hilfsquellen zu Gebot. Der Koenig befahl die
Anwerbung eines italischen Soeldnerheeres mit tarentinischem Gelde und hob die
dienstfaehigen Leute aus der Buergerschaft zum Kriegsdienst aus. So aber hatten
die Tarentiner den Vertrag nicht verstanden. Sie hatten gemeint, den Sieg wie
eine andere Ware fuer ihr Geld sich gekauft zu haben; es war eine Art
Kontraktbruch, dass der Koenig sie zwingen wollte, sich ihn selber zu erfechten.
Je mehr die Buergerschaft anfangs nach Milons Eintreffen sich gefreut hatte, des
laestigen Postendienstes los zu sein, desto unwilliger stellte man jetzt sich
unter die Fahnen des Koenigs; den Saeumigen musste mit Todesstrafe gedroht
werden. Jetzt gab der Ausgang bei allen der Friedenspartei Recht, und es wurden
sogar mit Rom Verbindungen angeknuepft oder schienen doch angeknuepft zu werden.
Pyrrhos, auf solchen Widerstand vorbereitet, behandelte die Stadt fortan wie
eine eroberte: die Soldaten wurden in die Haeuser einquartiert, die
Volksversammlungen und die zahlreichen Kraenzchen (syssitia) suspendiert, das
Theater geschlossen, die Promenaden gesperrt, die Tore mit epeirotischen Wachen
besetzt. Eine Anzahl der fuehrenden Maenner wurden als Geiseln ueber das Meer
gesandt; andere entzogen sich dem gleichen Schicksal durch die Flucht nach Rom.
Diese strengen Massregeln waren notwendig, da es schlechterdings unmoeglich war,
sich in irgendeinem Sinn auf die Tarentiner zu verlassen; erst jetzt konnte der
Koenig, gestuetzt auf den Besitz der wichtigen Stadt, die Operationen im Felde
beginnen.
Auch in Rom wusste man sehr wohl, welchem Kampf man entgegenging. Um vor
allem die Treue der Bundesgenossen, das heisst der Untertanen zu sichern,
erhielten die unzuverlaessigen Staedte Besatzung und wurden die Fuehrer der
Partei der Unabhaengigkeit, wo es notwendig schien, festgesetzt oder
hingerichtet, so zum Beispiel eine Anzahl Mitglieder des praenestinischen
Senats. Fuer den Krieg selbst wurden grosse Anstrengungen gemacht; es ward eine
Kriegssteuer ausgeschrieben, von allen Untertanen und Bundesgenossen das volle
Kontingent eingemahnt, ja die eigentlich von der Dienstpflicht befreiten
Proletarier unter die Waffen gerufen. Ein roemisches Heer blieb als Reserve in
der Hauptstadt. Ein zweites rueckte unter dem Konsul Tiberius Coruncanius in
Etrurien ein und trieb Volci und Volsinii zu Paaren. Die Hauptmacht war
natuerlich nach Unteritalien bestimmt; man beschleunigte so viel als moeglich
ihren Abmarsch, um Pyrrhos noch in der Gegend von Tarent zu erreichen und ihn zu
hindern, die Samniten und die uebrigen gegen Rom in Waffen stehenden
sueditalischen Aufgebote mit seinen Truppen zu vereinigen. Einen vorlaeufigen
Damm gegen das Umsichgreifen des Koenigs sollten die roemischen Besatzungen
gewaehren, die in den Griechenstaedten Unteritaliens lagen. Indes die Meuterei
der in Rhegion liegenden Truppe - es war eine der aus den kampanischen
Untertanen Roms ausgehobenen Legionen unter einem kampanischen Hauptmann Decius
- entriss den Roemern diese wichtige Stadt, ohne sie doch Pyrrhos in die Haende
zu geben. Wenn einerseits bei diesem Militaeraufstand der Nationalhass der
Kampaner gegen die Roemer unzweifelhaft mitwirkte, so konnte anderseits Pyrrhos,
der zu Schirm und Schutz der Hellenen ueber das Meer gekommen war, unmoeglich
die Truppe in den Bund aufnehmen, welche ihre rheginischen Wirte in den Haeusern
niedergemacht hatte; und so blieb sie fuer sich, im engen Bunde mit ihren Stamm-
und Frevelgenossen, den Mamertinern, das heisst den kampanischen Soeldnern des
Agathokles, die das gegenueberliegende Messana in aehnlicher Weise gewonnen
hatten, und brandschatzte und verheerte auf eigene Rechnung die umliegenden
Griechenstaedte, so Kroton, wo sie die roemische Besatzung niedermachte, und
Kaulonia, das sie zerstoerte. Dagegen gelang es den Roemern, durch ein schwaches
Korps, das an die lucanische Grenze rueckte, und durch die Besatzung von Venusia
die Lucaner und Samniten an der Vereinigung mit Pyrrhos zu hindern, waehrend die
Hauptmacht, wie es scheint vier Legionen, also mit der entsprechenden Zahl von
Bundestruppen mindestens 50000 Mann stark, unter dem Konsul Publius Laevinus
gegen Pyrrhos marschierte. Dieser hatte sich zur Deckung der tarentinischen
Kolonie Herakleia zwischen dieser Stadt und Pandosia ^2 mit seinen eigenen und
den tarentinischen Truppen aufgestellt (474 280). Die Roemer erzwangen unter
Deckung ihrer Reiterei den Uebergang ueber den Siris und eroeffneten die
Schlacht mit einem hitzigen und gluecklichen Reiterangriff; der Koenig, der
seine Reiter selber fuehrte, stuerzte und die griechischen Reiter, durch das
Verschwinden des Fuehrers in Verwirrung gebracht, raeumten den feindlichen
Schwadronen das Feld. Indes Pyrrhos stellte sich an die Spitze seines Fussvolks,
und von neuem begann ein entscheidenderes Treffen. Siebenmal trafen die Legionen
und die Phalanx im Stoss aufeinander und immer noch stand der Kampf. Da fiel
Megakles, einer der besten Offiziere des Koenigs, und weil er an diesem heissen
Tage die Ruestung des Koenigs getragen hatte, glaubte das Heer zum zweitenmal,
dass der Koenig gefallen sei; die Reihen wurden unsicher, schon meinte Laevinus
den Sieg in der Hand zu haben und warf seine saemtliche Reiterei den Griechen in
die Flanke. Aber Pyrrhos, entbloessten Hauptes durch die Reihen des Fussvolks
schreitend, belebte den sinkenden Mut der Seinigen. Gegen die Reiter wurden die
bis dahin zurueckgehaltenen Elefanten vorgefuehrt; die Pferde scheuten vor
ihnen, die Soldaten wussten den gewaltigen Tieren nicht beizukommen und wandten
sich zur Flucht. Die zersprengten Reiterhaufen, die nachsetzenden Elefanten
loesten endlich auch die geschlossenen Glieder des roemischen Fussvolks, und die
Elefanten, im Verein mit der trefflichen thessalischen Reiterei, richteten ein
grosses Blutbad unter den Fluechtenden an. Haette nicht ein tapferer roemischer
Soldat, Gaius Minucius, der erste Hastat der vierten Legion, einen der Elefanten
verwundet und dadurch die verfolgenden Truppen in Verwirrung gebracht, so waere
das roemische Heer aufgerieben worden; so gelang es, den Rest der roemischen
Truppen ueber den Siris zurueckzufuehren. Ihr Verlust war gross: 7000 Roemer
wurden tot oder verwundet von den Siegern auf der Walstatt gefunden, 2000
gefangen eingebracht; die Roemer selbst gaben, wohl mit Einschluss der vom
Schlachtfeld zurueckgebrachten Verwundeten, ihren Verlust an auf 15000 Mann.
Aber auch Pyrrhos' Heer hatte nicht viel weniger gelitten; gegen 4000 seiner
besten Soldaten bedeckten das Schlachtfeld und mehrere seiner tuechtigsten
Obersten waren gefallen. Erwaegend, dass sein Verlust hauptsaechlich auf die
altgedienten Leute traf, die bei weitem schwerer zu ersetzen waren als die
roemische Landwehr, und dass er den Sieg nur der Ueberraschung durch den
Elefantenangriff verdankte, die sich nicht oft wiederholen liess, mag der Koenig
wohl, strategischer Kritiker wie er war, spaeterhin diesen Sieg einer Niederlage
aehnlich genannt haben; wenn er auch nicht so toericht war, wie die roemischen
Poeten nachher gedichtet haben, in der Aufschrift des von ihm in Tarent
aufgestellten Weihgeschenkes diese Selbstkritik dem Publikum mitzuteilen.
Politisch kam zunaechst wenig darauf an, welche Opfer der Sieg gekostet hatte;
vielmehr war der Gewinn der ersten Schlacht gegen die Roemer fuer Pyrrhos ein
unschaetzbarer Erfolg. Sein Feldherrntalent hatte auch auf diesem neuen
Schlachtfeld sich glaenzend bewaehrt, und wenn irgend etwas, musste der Sieg von
Herakleia dem hinsiechenden Bunde der Italiker Einigkeit und Energie einhauchen.
Aber auch die unmittelbaren Ergebnisse des Sieges waren ansehnlich und
nachhaltig. Lucanien war fuer die Roemer verloren; Laevinus zog die dort
stehenden Truppen an sich und ging nach Apulien. Die Brettier, Lucaner, Samniten
vereinigten sich ungehindert mit Pyrrhos. Mit Ausnahme von Rhegion, das unter
dem Druck der kampanischen Meuterer schmachtete, fielen die Griechenstaedte
saemtlich dem Koenig zu, ja Lokri lieferte ihm freiwillig die roemische
Besatzung aus; von ihm waren sie ueberzeugt, und mit Recht, dass er sie den
Italikern nicht preisgeben werde. Die Sabeller und Griechen also traten zu
Pyrrhos ueber; aber weiter wirkte der Sieg auch nicht. Unter den Latinern zeigte
sich keine Neigung, der roemischen Herrschaft, wie schwer sie auch lasten
mochte, mit Hilfe eines fremden Dynasten sich zu entledigen. Venusia, obgleich
jetzt rings von Feinden umschlossen, hielt unerschuetterlich fest an Rom. Den am
Siris Gefangenen, deren tapfere Haltung der ritterliche Koenig durch die
ehrenvollste Behandlung vergalt, bot er nach griechischer Sitte an, in sein Heer
einzutreten; allein er erfuhr, dass er nicht mit Soeldnern focht, sondern mit
einem Volke. Nicht einer, weder Roemer noch Latiner, nahm bei ihm Dienste.
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2 Bei dem heutigen Anglona; nicht zu verwechseln mit der bekannteren Stadt
gleichen Namens in der Gegend von Cosenza.
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Pyrrhos bot den Roemern Frieden an. Er war ein zu einsichtiger Militaer, um
das Missliche seiner Stellung zu verkennen, und ein zu gewiegter Staatsmann, um
nicht denjenigen Augenblick, der ihm die guenstigste Stellung gewaehrte,
rechtzeitig zum Friedensschluss zu benutzen. Jetzt hoffte er unter dem ersten
Eindruck der gewaltigen Schlacht, es in Rom durchsetzen zu koennen, dass die
griechischen Staedte in Italien frei wuerden und zwischen ihnen und Rom eine
Reihe Staaten zweiten und dritten Ranges als abhaengige Verbuendete der neuen
griechischen Macht ins Leben traeten; denn darauf gingen seine Forderungen:
Entlassung aller griechischen Staedte - also namentlich der kampanischen und
lucanischen - aus der roemischen Botmaessigkeit und Rueckgabe des den Samniten,
Dauniern, Lucanern, Brettiern abgenommenen Gebiets, das heisst namentlich
Aufgabe von Luceria und Venusia. Konnte ein weiterer Kampf mit Rom auch
schwerlich vermieden werden, so war es doch wuenschenswert, diesen erst zu
beginnen, wenn die westlichen Hellenen unter einem Herrn vereinigt, Sizilien
gewonnen, vielleicht Afrika erobert war.
Mit solchen Instruktionen versehen, begab sich Pyrrhos' vertrauter
Minister, der Thessalier Kineas, nach Rom. Der gewandte Unterhaendler, den seine
Zeitgenossen dem Demosthenes verglichen, soweit sich dem Staatsmann der Rhetor,
dem Volksfuehrer der Herrendiener vergleichen laesst, hatte Auftrag, die
Achtung, die der Sieger von Herakleia fuer seine Besiegten in der Tat empfand,
auf alle Weise zur Schau zu tragen, den Wunsch des Koenigs, selber nach Rom zu
kommen, zu erkennen zu geben, durch die im Munde des Feindes so wohlklingende
Lob- und durch ernste Schmeichelrede, gelegentlich auch durch wohlangebrachte
Geschenke die Gemueter zu des Koenigs Gunsten zu stimmen, kurz, alle Kuenste der
Kabinettspolitik, wie sie an den Hoefen von Alexandreia und Antiocheia erprobt
waren, gegen die Roemer zu versuchen. Der Senat schwankte; manchen erschien es
der Klugheit gemaess, einen Schritt zurueck zu tun und abzuwarten, bis der
gefaehrliche Gegner sich weiter verwickelt haben oder nicht mehr sein wuerde.
Indes der greise und blinde Konsular Appius Claudius (Zensor 442 312, Konsul
447, 458 307, 296), der seit langem sich von den Staatsgeschaeften
zurueckgezogen hatte, aber in diesem entscheidenden Augenblick sich in den Senat
fuehren liess, hauchte die ungebrochene Energie einer gewaltigen Natur mit
seinen Flammenworten dem juengeren Geschlecht in die Seele. Man antwortete dem
Koenig das stolze Wort, das hier zuerst vernommen und seitdem Staatsgrundsatz
ward, dass Rom nicht unterhandle, solange auswaertige Truppen auf italischem
Gebiet staenden, und das Wort wahr zu machen, wies man den Gesandten sofort aus
der Stadt. Der Zweck der Sendung war verfehlt und der gewandte Diplomat, statt
mit seiner Redekunst Effekt zu machen, hatte vielmehr durch diesen maennlichen
Ernst nach so schwerer Niederlage sich selber imponieren lassen - er erklaerte
daheim, dass in dieser Stadt jeder Buerger ihm erschienen sei wie ein Koenig;
freilich, der Hofmann hatte ein freies Volk zu Gesicht bekommen.
Pyrrhos, der waehrend dieser Verhandlungen in Kampanien eingerueckt war,
brach auf die Nachricht von ihrem Abbruch sogleich auf gegen Rom, um den
Etruskern die Hand zu reichen, die Bundesgenossen Roms zu erschuettern, die
Stadt selber zu bedrohen. Aber die Roemer liessen sich so wenig schrecken wie
gewinnen. Auf den Ruf des Heroldes, "an die Stelle der Gefallenen sich
einschreiben zu lassen", hatte gleich nach der Schlacht von Herakleia die junge
Mannschaft sich scharenweise zur Aushebung gedraengt; mit den beiden
neugebildeten Legionen und dem aus Lucanien zurueckgezogenen Korps folgte
Laevinus, staerker als vorher, dem Marsch des Koenigs; er deckte gegen denselben
Capua und vereitelte dessen Versuche, mit Neapel Verbindungen anzuknuepfen. So
straff war die Haltung der Roemer, dass ausser den unteritalischen Griechen kein
namhafter Bundesstaat es wagte, vom roemischen Buendnis abzufallen. Da wandte
Pyrrhos sich gegen Rom selbst. Durch die reiche Landschaft, deren bluehenden
Zustand er mit Bewunderung schaute, zog er gegen Fregellae, das er
ueberrumpelte, erzwang den Uebergang ueber den Liris und gelangte bis nach
Anagnia, das nicht mehr als acht deutsche Meilen von Rom entfernt ist. Kein Heer
warf sich ihm entgegen; aber ueberall schlossen die Staedte Latiums ihm die
Tore, und gemessenen Schrittes folgte von Kampanien aus Laevinus ihm nach,
waehrend von Norden der Konsul Tiberius Coruncanius, der soeben mit den
Etruskern durch einen rechtzeitigen Friedensschluss sich abgefunden hatte, eine
zweite roemische Armee heranfuehrte und in Rom selbst die Reserve unter dem
Diktator Gnaeus Domitius Calvinus sich zum Kampfe fertig machte. Dagegen war
nichts auszurichten; dem Koenig blieb nichts uebrig als umzukehren. Eine
Zeitlang stand er noch in Kampanien den vereinigten Heeren der beiden Konsuln
untaetig gegenueber; aber es bot sich keine Gelegenheit, einen Hauptschlag
auszufuehren. Als der Winter herankam, raeumte der Koenig das feindliche Gebiet
und verteilte seine Truppen in die befreundeten Staedte; er selbst nahm
Winterquartier in Tarent. Hierauf stellten auch die Roemer ihre Operationen ein;
das Heer bezog Standquartiere bei Firmum im Picenischen, wo auf Befehl des
Senats die am Siris geschlagenen Legionen den Winter hindurch zur Strafe unter
Zelten kampierten.
So endigte der Feldzug des Jahres 474 (280). Der Sonderfriede, den Etrurien
im entscheidenden Augenblick mit Rom abgeschlossen hatte, und des Koenigs
unvermuteter Rueckzug, der die hochgespannten Hoffnungen der italischen
Bundesgenossen gaenzlich taeuschte, wogen zum grossen Teil den Eindruck des
Sieges von Herakleia auf. Die Italiker beschwerten sich ueber die Lasten des
Krieges, namentlich ueber die schlechte Mannszucht der bei ihnen einquartierten
Soeldner, und der Koenig, muede des kleinlichen Gezaenks und des unpolitischen
wie unmilitaerischen Gehabens seiner Bundesgenossen, fing an zu ahnen, dass die
Aufgabe, die ihm zugefallen war, trotz aller taktischen Erfolge politisch
unloesbar sein moege. Die Ankunft einer roemischen Gesandtschaft, dreier
Konsulate, darunter der Sieger von Thurii, Gaius Fabricius, liess einen
Augenblick wieder die Friedenshoffnungen bei ihm erwachen; allein es zeigte sich
bald, dass sie nur Vollmacht hatte, wegen Loesung oder Auswechselung der
Gefangenen zu unterhandeln. Pyrrhos schlug diese Forderung ab, allein er
entliess zur Feier der Saturnalien saemtliche Gefangene auf ihr Ehrenwort; dass
sie es hielten und dass der roemische Gesandte einen Bestechungsversuch abwies,
hat man in der Folgezeit in unschicklichster und mehr fuer die Ehrlosigkeit der
spaeteren als die Ehrenhaftigkeit der frueheren Zeit bezeichnender Weise
gefeiert.
Mit dem Fruehjahr 475 (279) ergriff Pyrrhos abermals die Offensive und
rueckte in Apulien ein, wohin das roemische Heer ihm entgegenkam. In der
Hoffnung durch einen entscheidenden Sieg die roemische Symmachie in diesen
Landschaften zu erschuettern, bot der Koenig eine zweite Schlacht an und die
Roemer verweigerten sie nicht. Bei Ausculum (Ascoli di Puglia) trafen beide
Heere aufeinander. Unter Pyrrhos' Fahnen fochten ausser seinen epeirotischen und
makedonischen Truppen die italischen Soeldner, die Buergerwehr - die sogenannten
Weissschilde - von Tarent und die verbuendeten Lucaner, Brettier und Samniten,
zusammen 70000 Mann zu Fuss, davon 16000 Griechen und Epeiroten, ueber 8000
Reiter und 19 Elefanten. Mit den Roemern standen an diesem Tage die Latiner,
Kampaner, Volsker, Sabiner, Umbrer, Marruciner, Paeligner, Frentaner und
Arpaner; auch sie zaehlten ueber 70000 Mann zu Fuss, darunter 20000 roemische
Buerger, und 8000 Reiter. Beide Teile hatten in ihrem Heerwesen Aenderungen
vorgenommen. Pyrrhos, mit scharfem Soldatenblick die Vorzuege der roemischen
Manipularordnung erkennend, hatte auf den Fluegeln die lange Front seiner
Phalangen vertauscht mit einer der Kohortenstellung nachgebildeten
unterbrochenen Aufstellung in Faehnlein und, vielleicht nicht minder aus
politischen wie aus militaerischen Gruenden, zwischen die Abteilungen seiner
eigenen Leute die tarentinischen und samnitischen Kohorten eingeschoben; im
Mitteltreffen allein stand die epeirotische Phalanx in geschlossener Reihe. Die
Roemer fuehrten zur Abwehr der Elefanten eine Art Streitwagen heran, aus denen
Feuerbecken an eisernen Stangen hervorragten und auf denen bewegliche, zum
Herablassen eingerichtete und in Eisenstachel endende Maste befestigt waren -
gewissermassen das Vorbild der Enterbruecken, die im Ersten Punischen Krieg eine
so grosse Rolle spielen sollten.
Nach dem griechischen Schlachtbericht, der minder parteiisch scheint als
der uns auch vorliegende roemische, waren die Griechen am ersten Tage im
Nachteil, da sie weder dazu gelangten, an den schroffen und sumpfigen
Flussufern, wo sie gezwungen wurden, das Gefecht anzunehmen, ihre Linie zu
entwickeln, noch Reiterei und Elefanten ins Gefecht zu bringen. Am zweiten Tage
kam dagegen Pyrrhos den Roemern in der Besetzung des durchschnittenen Terrains
zuvor und erreichte so ohne Verlust die Ebene, wo er seine Phalanx ungestoert
entfalten konnte. Vergeblich stuerzten sich die Roemer verzweifelten Muts mit
ihren Schwertern auf die Sarissen; die Phalanx stand unerschuetterlich jedem
Angriff von vorn, doch vermochte auch sie es nicht, die roemischen Legionen zum
Weichen zu bringen. Erst als die zahlreiche Bedeckung der Elefanten die auf den
roemischen Streitwagen fechtende Mannschaft durch Pfeile und Schleudersteine
vertrieben und der Bespannung die Straenge zerschnitten hatte und nun die
Elefanten gegen die roemische Linie anprallten, kam dieselbe ins Schwanken. Das
Weichen der Bedeckungsmannschaft der roemischen Wagen gab das Signal zur
allgemeinen Flucht, die indes nicht sehr zahlreiche Opfer kostete, da das nahe
Lager die Verfolgten aufnahm. Dass waehrend des Haupttreffens ein von der
roemischen Hauptmacht abgesondertes arpanisches Korps das schwach besetzte
epeirotische Lager angegriffen und in Brand gesteckt habe, meldet nur der
roemische Schlachtbericht; wenn es aber auch richtig ist, so haben doch die
Roemer auf alle Faelle mit Unrecht behauptet, dass die Schlacht unentschieden
geblieben sei. Beide Berichte stimmen vielmehr darin ueberein, dass das
roemische Heer ueber den Fluss zurueckging und Pyrrhos im Besitz des
Schlachtfeldes blieb. Die Zahl der Gefallenen war nach dem griechischen Berichte
auf roemischer Seite 6000, auf griechischer 3505 ^3; unter den Verwundeten war
der Koenig selbst, dem ein Wurfspiess den Arm durchbohrt hatte, waehrend er wie
immer im dichtesten Getuemmel kaempfte. Wohl war es ein Sieg, den Pyrrhos
erfochten hatte, aber es waren unfruchtbare Lorbeeren; als Feldherrn wie als
Soldaten machte der Sieg dem Koenig Ehre, aber seine politischen Zwecke hat er
nicht gefoerdert. Pyrrhos bedurfte eines glaenzenden Erfolges, der das roemische
Heer aufloeste und den schwankenden Bundesgenossen die Gelegenheit und den
Anstoss zum Parteiwechsel gab; da aber die roemische Armee und die roemische
Eidgenossenschaft ungebrochen geblieben und das griechische Heer, das nichts war
ohne seinen Feldherrn, durch dessen Verwundung auf laengere Zeit angefesselt
ward, musste er wohl den Feldzug verloren geben und in die Winterquartiere
gehen, die der Koenig in Tarent, die Roemer diesmal in Apulien nahmen. Immer
deutlicher offenbarte es sich, dass militaerisch die Hilfsquellen des Koenigs
den roemischen ebenso nachstanden, wie politisch die lose und widerspenstige
Koalition den Vergleich nicht aushielt mit der festgegruendeten roemischen
Symmachie. Wohl konnte das Ueberraschende und Gewaltige in der griechischen
Kriegfuehrung, das Genie des Feldherrn noch einen Sieg mehr wie die von
Herakleia und Ausculum erfechten, aber jeder neue Sieg vernutzte die Mittel zu
weiteren Unternehmungen und es war klar, dass die Roemer schon jetzt sich als
die Staerkeren fuehlten und den endlichen Sieg mit mutiger Geduld erharrten.
Dieser Krieg war nicht das feine Kunstspiel, wie die griechischen Fuersten es
uebten und verstanden; an der vollen und gewaltigen Energie der Landwehr
zerschellten alle strategischen Kombinationen. Pyrrhos fuehlte, wie die Dinge
standen; ueberdruessig seiner Siege und seine Bundesgenossen verachtend, harrte
er nur aus, weil die militaerische Ehre ihm vorschrieb, Italien nicht zu
verlassen, bevor er seine Schutzbefohlenen vor den Barbaren gesichert haben
wuerde. Es war bei seinem ungeduldigen Naturell vorauszusetzen, dass er den
ersten Vorwand ergreifen wuerde, um der laestigen Pflicht sich zu entledigen;
und die Veranlassung, sich von Italien zu entfernen, boten bald die sizilischen
Angelegenheiten ihm dar.
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^3 Diese Zahlen scheinen glaubwuerdig. Der roemische Bericht gibt, wohl an
Toten und Verwundeten, fuer jede Seite 15000 Mann an, ein spaeterer sogar auf
roemischer 5000, auf griechischer 20000 Tote. Es mag das hier Platz finden um an
einem der seltenen Beispiele, wo Kontrolle moeglich ist, die fast ausnahmslose
Unglaubwuerdigkeit der Zahlenangaben zu zeigen, in denen die Luege bei den
Annalisten lawinenartig anschwillt.
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Nach Agathokles' Tode (465 289) fehlte es den sizilischen Griechen an jeder
leitenden Macht. Waehrend in den einzelnen hellenischen Staedten unfaehige
Demagogen und unfaehige Tyrannen einander abloesten, dehnten die Karthager, die
alten Herren der Westspitze, ihre Herrschaft ungestoert aus. Nachdem Akragas
ihnen erlegen war, glaubten sie die Zeit gekommen, um zu dem seit Jahrhunderten
im Auge behaltenen Ziel endlich den letzten Schritt zu tun und die ganze Insel
unter ihre Botmaessigkeit zu bringen: sie wandten sich zum Angriff auf Syrakus.
Die Stadt, die einst mit ihren Heeren und Flotten Karthago den Besitz der Insel
streitig gemacht hatte, war durch den inneren Hader und die Schwaeche des
Regiments so tief herabgekommen, dass sie ihre Rettung suchen musste in dem
Schutz ihrer Mauern und in auswaertiger Hilfe; und niemand konnte diese
gewaehren als Koenig Pyrrhos. Pyrrhos war des Agathokles Tochtermann, sein Sohn,
der damals sechzehnjaehrige Alexander, des Agathokles Enkel, beide in jeder
Beziehung die natuerlichen Erben der hochfliegenden Plaene des Herrn von
Syrakus; und wenn es mit der Freiheit doch zu Ende war, konnte Syrakus Ersatz
darin finden, die Hauptstadt eines westhellenischen Reiches zu sein. So trugen
die Syrakusaner gleich den Tarentinern und unter aehnlichen Bedingungen dem
Koenig Pyrrhos freiwillig die Herrschaft entgegen (um 475 279), und durch eine
seltene Fuegung der Dinge schien sich alles zu vereinigen zum Gelingen der
grossartigen, zunaechst auf den Besitz von Tarent und Syrakus gebauten Plaene
des Epeirotenkoenigs.
Freilich war die naechste Folge von dieser Vereinigung der italischen und
sizilischen Griechen unter eine Hand, dass auch die Gegner sich enger
zusammenschlossen. Karthago und Rom verwandelten ihre alten Handelsvertraege
jetzt in ein Offensiv- und Defensivbuendnis gegen Pyrrhos (475 279), dessen
Bedingungen dahin lauteten, dass, wenn Pyrrhos roemisches oder karthagisches
Gebiet betrete, der nicht angegriffene Teil dem angegriffenen auf dessen Gebiet
Zuzug leisten und die Hilfstruppen selbst besolden solle; dass in solchem Falle
Karthago die Transportschiffe zu stellen und auch mit der Kriegsflotte den
Roemern beizustehen sich verpflichte, doch solle deren Bemannung nicht gehalten
sein, zu Lande fuer die Roemer zu fechten; dass endlich beide Staaten sich das
Wort gaeben, keinen Sonderfrieden mit Pyrrhos zu schliessen. Der Zweck des
Vertrages war auf roemischer Seite, einen Angriff auf Tarent moeglich zu machen
und Pyrrhos von der Heimat abzuschneiden, was beides ohne Mitwirkung der
punischen Flotte nicht ausfuehrbar war, auf seiten der Karthager, den Koenig in
Italien festzuhalten, um ihre Absichten auf Syrakus ungestoert ins Werk setzen
zu koennen ^4. Es lag also im Interesse beider Maechte, zunaechst sich des
Meeres zwischen Italien und Sizilien zu versichern. Eine starke karthagische
Flotte von 120 Segeln unter dem Admiral Mago ging von Ostia, wohin Mago sich
begeben zu haben scheint, um jenen Vertrag abzuschliessen, nach der sizilischen
Meerenge. Die Mamertiner, die fuer ihre Frevel gegen die griechische
Bevoelkerung Messanas die gerechte Strafe erwartete, wenn Pyrrhos in Sizilien
und Italien ans Regiment kam, schlossen sich eng an die Roemer und Karthager und
sicherten diesen die sizilische Seite des Passes. Gern haetten die Verbuendeten
auch Rhegion auf der gegenueberliegenden Kueste in ihre Gewalt gebracht; allein
verzeihen konnte Rom der kampanischen Besatzung unmoeglich, und ein Versuch der
vereinigten Roemer und Karthager, sich der Stadt mit gewaffneter Hand zu
bemaechtigen, schlug fehl. Von dort segelte die karthagische Flotte nach Syrakus
und blockierte die Stadt von der Seeseite, waehrend gleichzeitig ein starkes
phoenikisches Heer die Belagerung zu Lande begann (476 278). Es war hohe Zeit,
dass Pyrrhos in Syrakus erschien; aber freilich standen in Italien die
Angelegenheiten keineswegs so, dass er und seine Truppen dort entbehrt werden
konnten. Die beiden Konsuln des Jahres 476 (278) Gaius Fabricius Luscinus und
Quintus Aemilius Papus, beide erprobte Generale, hatten den neuen Feldzug
kraeftig begonnen, und obwohl bisher die Roemerin diesem Kriege nur Niederlagen
erlitten hatten, waren nicht sie es, sondern die Sieger, die sich ermattet
fuehlten und den Frieden herbeiwuenschten. Pyrrhos machte noch einen Versuch,
ein leidliches Abkommen zu erlangen. Der Konsul Fabricius hatte dem Koenig einen
Elenden zugesandt, der ihm den Antrag gemacht, gegen gute Bezahlung den Koenig
zu vergiften. Zum Dank gab der Koenig nicht bloss alle roemischen Gefangenen
ohne Loesegeld frei, sondern er fuehlte sich so hingerissen von dem Edelsinn
seiner tapferen Gegner, dass er zur Belohnung ihnen selber einen ungemein
billigen und guenstigen Frieden antrug. Kineas scheint noch einmal nach Rom
gegangen zu sein und Karthago ernstlich gefuerchtet zu haben, dass sich Rom zum
Frieden bequeme. Indes der Senat blieb fest und wiederholte seine fruehere
Antwort. Wollte der Koenig nicht Syrakus den Karthagern in die Haende fallen und
damit seinen grossen Plan sich zerstoeren lassen, so blieb ihm nichts anderes
uebrig, als seine italischen Bundesgenossen preiszugeben und sich vorlaeufig auf
den Besitz der wichtigsten Hafenstaedte, namentlich von Tarent und Lokri, zu
beschraenken. Vergebens beschworen ihn die Lucaner und Samniten, sie nicht im
Stich zu lassen; vergebens forderten die Tarentiner ihn auf, entweder seiner
Feldherrnpflicht nachzukommen oder die Stadt ihnen zurueckzugeben. Den Klagen
und Vorwuerfen setzte der Koenig Vertroestungen auf kuenftige bessere Zeiten
oder auch derbe Abweisung entgegen; Milon blieb in Tarent zurueck, des Koenigs
Sohn Alexander in Lokri und mit der Hauptmacht schiffte noch im Fruehjahr 476
(278) sich Pyrrhos in Tarent nach Syrakus ein.
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^4 Die spaeteren Roemer und mit ihnen die neueren geben dem Buendnis die
Wendung, als haetten die Roemer absichtlich vermieden, die karthagische Hilfe in
Italien anzunehmen. Das waere unvernuenftig gewesen, und die Tatsachen sprechen
dagegen. Dass Mago in Ostia nicht landete, erklaert sich nicht aus solcher
Vorsicht, sondern einfach daraus, dass Latium von Pyrrhos ganz und gar nicht
bedroht war und karthagischen Beistandes also nicht bedurfte; und vor Rhegion
kaempften die Karthager allerdings fuer Rom.
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Nach Pyrrhos' Abzug erhielten die Roemer freie Hand in Italien, wo niemand
ihnen auf offenem Felde zu widerstehen wagte und die Gegner ueberall sich
einschlossen in ihre Festen oder in ihre Waelder. Indes der Kampf ging nicht so
schnell zu Ende, wie man wohl gehofft haben mochte, woran teils die Natur dieses
Gebirgs- und Belagerungskrieges schuld war, teils wohl auch die Erschoepfung der
Roemer, von deren furchtbaren Verlusten das Sinken der Buergerrolle von 473
(281) auf 479 (275) um 17000 Koepfe zeugt. Noch im Jahre 476 (278) gelang es dem
Konsul Gaius Fabricius, die bedeutende tarentinische Pflanzstadt Herakleia zu
einem Sonderfrieden zu bringen, der ihr unter den guenstigsten Bedingungen
gewaehrt ward. Im Feldzug von 477 (277) schlug man sich in Samnium herum, wo ein
leichtsinnig unternommener Angriff auf die verschanzten Hoehen den Roemern viele
Leute kostete, und wandte sich alsdann nach dem suedlichen Italien, wo die
Lucaner und Brettier geschlagen wurden. Dagegen kam bei einem Versuch, Kroton zu
ueberrumpeln, Milon von Tarent aus den Roemern zuvor; die epeirotische Besatzung
machte alsdann sogar einen gluecklichen Ausfall gegen das belagernde Heer. Indes
gelang es endlich dem Konsul dennoch, dieselbe durch eine Kriegslist zum
Abmarsch zu bestimmen und der unverteidigten Stadt sich zu bemaechtigen (477
277). Wichtiger war es, dass die Lokrenser, die frueher die roemische Besatzung
dem Koenig ausgeliefert hatten, jetzt, den Verrat durch Verrat suehnend, die
epeirotische erschlugen; womit die ganze Suedkueste in den Haenden der Roemer
war mit Ausnahme von Rhegion und Tarent. Indes mit diesen Erfolgen war man im
wesentlichen doch wenig gefoerdert. Unteritalien selbst war laengst wehrlos;
Pyrrhos aber war nicht bezwungen, solange Tarent in seinen Haenden und ihm damit
die Moeglichkeit blieb, den Krieg nach Belieben wieder zu erneuern, und an die
Belagerung dieser Stadt konnten die Roemer nicht denken. Selbst davon abgesehen,
dass in dem durch Philipp von Makedonien und Demetrios den Belagerer
umgeschaffenen Festungskrieg die Roemer gegen einen erfahrenen und
entschlossenen griechischen Kommandanten im entschiedensten Nachteil waren,
bedurfte es dazu einer starken Flotte, und obwohl der karthagische Vertrag den
Roemern Unterstuetzung zur See verhiess, so standen doch Karthagos eigene
Angelegenheiten in Sizilien durchaus nicht so, dass es diese haette gewaehren
koennen.
Pyrrhos' Landung auf der Insel, welche trotz der karthagischen Flotte
ungehindert erfolgt war, hatte dort mit einem Schlage die Lage der Dinge
veraendert. Er hatte Syrakus sofort entsetzt, alle freien Griechenstaedte in
kurzer Zeit in seiner Hand vereinigt und als Haupt der sikeliotischen
Konfoederation den Karthagern fast ihre saemtlichen Besitzungen entrissen. Kaum
vermochten mit Hilfe der damals auf dem Mittelmeer ohne Nebenbuhler herrschenden
karthagischen Flotte sich die Karthager in Lilybaeon, die Mamertiner in Messana,
und auch hier unter steten Angriffen, zu behaupten. Unter solchen Umstaenden
waere in Gemaessheit des Vertrags von 475 (279) viel eher Rom im Fall gewesen,
den Karthagern auf Sizilien Beistand zu leisten, als Karthago mit seiner Flotte
den Roemern Tarent erobern zu helfen; ueberhaupt aber war man eben von keiner
Seite sehr geneigt, dem Bundesgenossen die Macht zu sichern oder gar zu
erweitern. Karthago hatte den Roemern die Hilfe erst angeboten, als die
wesentliche Gefahr vorueber war; diese ihrerseits hatten nichts getan, den Abzug
des Koenigs aus Italien, den Sturz der karthagischen Macht in Sizilien zu
verhindern. Ja in offener Verletzung der Vertraege hatte Karthago sogar dem
Koenig einen Sonderfrieden angetragen und gegen den ungestoerten Besitz von
Lilybaeon sich erboten, auf die uebrigen sizilischen Besitzungen zu verzichten,
sogar dem Koenig Geld und Kriegsschiffe zur Verfuegung zu stellen, natuerlich
zur Ueberfahrt nach Italien und zur Erneuerung des Krieges gegen Rom. Indes es
war einleuchtend, dass mit dem Besitz von Lilybaeon und der Entfernung des
Koenigs die Stellung der Karthager auf der Insel ungefaehr dieselbe geworden
waere, wie sie vor Pyrrhos' Landung gewesen war; sich selbst ueberlassen waren
die griechischen Staedte ohnmaechtig und das verlorene Gebiet leicht
wiedergewonnen. So schlug Pyrrhos den nach zwei Seiten hin perfiden Antrag aus
und ging daran, sich selber eine Kriegsflotte zu erbauen. Nur Unverstand und
Kurzsichtigkeit haben dies spaeter getadelt; es war vielmehr ebenso notwendig
als mit den Mitteln der Insel leicht durchzufuehren. Abgesehen davon, dass der
Herr von Ambrakia, Tarent und Syrakus nicht ohne Seemacht sein konnte, bedurfte
er der Flotte, um Lilybaeon zu erobern, um Tarent zu schuetzen, um Karthago
daheim anzugreifen, wie es Agathokles, Regulus, Scipio vor- und nachher mit so
grossem Erfolg getan. Nie stand Pyrrhos seinem Ziele naeher als im Sommer 478
(276), wo er Karthago gedemuetigt vor sich sah, Sizilien beherrschte und mit
Tarents Besitz einen festen Fuss in Italien behauptete, und wo die
neugeschaffene Flotte, die alle diese Erfolge zusammenknuepfen, sichern und
steigern sollte, zur Abfahrt fertig im Hafen von Syrakus lag.
Die wesentliche Schwaeche von Pyrrhos' Stellung beruhte auf seiner
fehlerhaften inneren Politik. Er regierte Sizilien wie er Ptolemaeos hatte in
Aegypten herrschen sehen; er respektierte die Gemeindeverfassungen nicht, setzte
seine Vertrauten zu Amtleuten ueber die Staedte wann und auf so lange es ihm
gefiel, gab anstatt der einheimischen Geschworenen seine Hofleute zu Richtern,
sprach Konfiskationen, Verbannungen, Todesurteile nach Gutduenken aus und selbst
ueber diejenigen, die seine Ueberkunft nach Sizilien am lebhaftesten betrieben
hatten, legte Besatzungen in die Staedte und beherrschte Sizilien nicht als der
Fuehrer des Nationalbundes, sondern als Koenig. Mochte er dabei nach
orientalisch-hellenistischen Begriffen sich ein guter und weiser Regent zu sein
duenken und auch wirklich sein, so ertrugen doch die Griechen diese Verpflanzung
des Diadochensystems nach Syrakus mit aller Ungeduld einer in langer
Freiheitsagonie aller Zucht entwoehnten Nation; sehr bald duenkte das
karthagische Joch dem toerichten Volk ertraeglicher als das neue
Soldatenregiment. Die bedeutendsten Staedte knuepften mit den Karthagern, ja mit
den Mamertinern Verbindungen an; ein starkes karthagisches Heer wagte wieder,
sich auf der Insel zu zeigen und, ueberall von den Griechen unterstuetzt, machte
es reissende Fortschritte. Zwar in der Schlacht, die Pyrrhos ihm lieferte, war
das Glueck wie immer mit dem "Adler"; allein es hatte sich bei dieser
Gelegenheit offenbart, wie die Stimmung auf der Insel war und was kommen konnte
und musste, wenn der Koenig sich entfernte.
Zu diesem ersten und wesentlichsten Fehler fuegte Pyrrhos einen zweiten: er
ging mit der Flotte statt nach Lilybaeon nach Tarent. Augenscheinlich musste er,
eben bei der Gaerung in den Gemuetern der Sikelioten, vor allen Dingen erst von
dieser Insel die Karthager ganz verdraengt und damit den Unzufriedenen den
letzten Rueckhalt abgeschnitten haben, ehe er nach Italien sich wenden durfte;
hier war nichts zu versaeumen, denn Tarent war ihm sicher genug und an den
uebrigen Bundesgenossen, nachdem sie einmal aufgegeben waren, jetzt wenig
gelegen. Es ist begreiflich, dass sein Soldatensinn ihn trieb, den nicht sehr
ehrenvollen Abzug vom Jahre 476 (278) durch eine glaenzende Wiederkehr
auszutilgen und dass ihm das Herz blutete, wenn er die Klagen der Lucaner und
Samniten vernahm. Allein Aufgaben, wie sie Pyrrhos sich gestellt hatte, koennen
nur geloest werden von eisernen Naturen, die das Mitleid und selbst das
Ehrgefuehl zu beherrschen vermoegen; und eine solche war Pyrrhos nicht.
Die verhaengnisvolle Einschiffung fand statt gegen das Ende des Jahres 478
(276). Unterwegs hatte die neue syrakusanische Flotte mit der karthagischen ein
heftiges Gefecht zu bestehen und buesste darin eine betraechtliche Anzahl
Schiffe ein. Die Entfernung des Koenigs und die Kunde von diesem ersten Unfall
genuegten zum Sturz des sikeliotischen Reiches; auf sie hin weigerten alle
Staedte dem abwesenden Koenig Geld und Truppen und der glaenzende Staat brach
schneller noch als er entstanden war wiederum zusammen, teils weil der Koenig
selbst die Treue und Liebe, auf der jedes Gemeinwesen ruht, in den Herzen seiner
Untertanen untergraben hatte, teils weil es dem Volk an der Hingebung fehlte,
zur Rettung der Nationalitaet auf vielleicht nur kurze Zeit der Freiheit zu
entsagen. Damit war Pyrrhos' Unternehmen gescheitert, der Plan seines Lebens
ohne Aussicht dahin; er ist fortan ein Abenteurer, der es fuehlt, dass er viel
gewesen und nichts mehr ist, der den Krieg nicht mehr als Mittel zum Zwecke
fuehrt, sondern, um in wildem Wuerfelspiel sich zu betaeuben und womoeglich im
Schlachtgetuemmel einen Soldatentod zu finden. An der italischen Kueste
angelangt, begann der Koenig mit einem Versuch, sich Rhegions zu bemaechtigen,
aber mit Hilfe der Mamertiner schlugen die Kampaner den Angriff ab, und in dem
hitzigen Gefecht vor der Stadt ward der Koenig selbst verwundet, indem er einen
feindlichen Offizier vom Pferde hieb. Dagegen ueberrumpelte er Lokri, dessen
Einwohner die Niedermetzelung der epeirotischen Besatzung schwer buessten, und
pluenderte den reichen Schatz des Persephonetempels daselbst, um seine leere
Kasse zu fuellen. So gelangte er nach Tarent, angeblich mit 20000 Mann zu Fuss
und 3000 Reitern. Aber es waren nicht mehr die erprobten Veteranen von vordem
und nicht mehr begruessten die Italiker in ihnen ihre Retter; das Vertrauen und
die Hoffnung, damit man den Koenig fuenf Jahre zuvor empfing, waren gewichen,
den Verbuendeten Geld und Mannschaft ausgegangen. Den schwer bedraengten
Samniten, in deren Gebiet die Roemer 478/79 (276/75) ueberwintert hatten, zu
Hilfe rueckte der Koenig im Fruehjahr 479 (275) ins Feld und zwang bei Benevent
auf dem Arusinischen Felde den Konsul Manius Curius zur Schlacht, bevor er sich
mit seinem von Lucanien heranrueckenden Kollegen vereinigen konnte. Aber die
Heeresabteilung, die den Roemern in die Flanke zu fallen bestimmt war, verirrte
sich waehrend des Nachtmarsches in den Waeldern und blieb im entscheidenden
Augenblick aus; und nach heftigem Kampf entschieden auch hier wieder die
Elefanten die Schlacht, aber diesmal fuer die Roemer, indem sie, von den zur
Bedeckung des Lagers aufgestellten Schuetzen in Verwirrung gebracht, auf ihre
eigenen Leute sich warfen. Die Sieger besetzten das Lager; in ihre Haende fielen
1300 Gefangene und vier Elefanten - die ersten, die Rom sah, ausserdem eine
unermessliche Beute, aus deren Erloes spaeter in Rom der Aquaedukt, welcher das
Aniowasser von Tibur nach Rom fuehrte, gebaut ward. Ohne Truppen, um das Feld zu
halten, und ohne Geld sandte Pyrrhos an seine Verbuendeten, die ihm zur
Ausruestung nach Italien gesteuert hatten, die Koenige von Makedonien und Asien;
aber auch in der Heimat fuerchtete man ihn nicht mehr und schlug die Bitte ab.
Verzweifelnd an dem Erfolg gegen Rom und erbittert durch diese Weigerungen liess
Pyrrhos Besatzung in Tarent und ging selber noch im selben Jahre (479 275) heim
nach Griechenland, wo eher noch als bei dem stetigen und gemessenen Gang der
italischen Verhaeltnisse sich dem verzweifelten Spieler eine Aussicht eroeffnen
mochte. In der Tat gewann er nicht bloss schnell zurueck, was von seinem Reiche
war abgerissen worden, sondern er griff noch einmal und nicht ohne Erfolg nach
der makedonischen Krone. Allein an Antigonos Gonatas' ruhiger und umsichtiger
Politik und mehr noch an seinem eigenen Ungestuem und der Unfaehigkeit, den
stolzen Sinn zu zaehmen, scheiterten auch seine letzten Plaene; er gewann noch
Schlachten, aber keinen dauernden Erfolg mehr und fand sein Ende in einem
elenden Strassengefecht im peloponnesischen Argos (482 272).
In Italien ist der Krieg zu Ende mit der Schlacht bei Benevent; langsam
verenden die letzten Zuckungen der nationalen Partei. Zwar so lange der
Kriegsfuerst, dessen maechtiger Arm es gewagt hatte, dem Schicksal in die Zuegel
zu fallen, noch unter den Lebenden war, hielt er, wenngleich abwesend, gegen Rom
die feste Burg von Tarent. Mochte auch nach des Koenigs Entfernung in der Stadt
die Friedenspartei die Oberhand gewinnen, Milon, der fuer Pyrrhos darin den
Befehl fuehrte, wies ihre Anmutungen ab und liess die roemisch gesinnten
Staedter in dem Kastell, das sie im Gebiet von Tarent sich errichtet hatten, auf
ihre eigene Hand mit Rom Frieden schliessen, wie es ihnen beliebte, ohne darum
seine Tore zu oeffnen. Aber als nach Pyrrhos' Tode eine karthagische Flotte in
den Hafen einlief und Milon die Buergerschaft im Begriff sah, die Stadt an die
Karthager auszuliefern, zog er es vor, dem roemischen Konsul Lucius Papirius die
Burg zu uebergeben (482 272) und damit fuer sich und die Seinigen freien Abzug
zu erkaufen. Fuer die Roemer war dies ein ungeheurer Gluecksfall. Nach den
Erfahrungen, die Philipp vor Perinth und Byzanz, Demetrios vor Rhodos, Pyrrhos
vor Lilybaeon gemacht hatten, laesst sich bezweifeln, ob die damalige Strategik
ueberhaupt imstande war, eine wohlbefestigte und wohlverteidigte und von der See
her zugaengliche Stadt zur Uebergabe zu zwingen; und welche Wendung haetten die
Dinge nehmen moegen, wenn Tarent das in Italien fuer die Phoeniker geworden
waere, was in Sizilien Lilybaeon fuer sie gewesen war! Indes das Geschehene war
nicht zu aendern. Der karthagische Admiral, da er die Burg in den Haenden der
Roemer sah, erklaerte, nur vor Tarent erschienen zu sein, um dem Vertrage
gemaess den Bundesgenossen bei der Belagerung der Stadt Hilfe zu leisten, und
ging unter Segel nach Afrika; und die roemische Gesandtschaft, welche wegen der
versuchten Okkupation von Tarent Aufklaerung zu fordern und Beschwerde zu
fuehren nach Karthago gesandt ward, brachte nichts zurueck als die feierliche
und eidliche Bekraeftigung dieser angeblichen bundesfreundlichen Absicht, wobei
man denn auch in Rom vorlaeufig sich beruhigte. Die Tarentiner erhielten,
vermutlich durch Vermittlung ihrer Emigrierten, die Autonomie von den Roemern
zurueck; aber Waffen und Schiffe mussten ausgeliefert und die Mauern
niedergerissen werden.
In demselben Jahre, in dem Tarent roemisch ward, unterwarfen sich endlich
auch die Samniten, Lucaner und Brettier, welche letztere die Haelfte des
eintraeglichen und fuer den Schiffbau wichtigen Silawaldes abtreten mussten.
Endlich traf auch die seit zehn Jahren in Rhegion hausende Bande die Strafe
fuer den gebrochenen Fahneneid wie fuer den Mord der rheginischen Buergerschaft
und der Besatzung von Kroton. Es war zugleich die allgemeine Sache der Hellenen
gegen die Barbaren, welche Rom hier vertrat; der neue Herr von Syrakus, Hieron,
unterstuetzte darum auch die Roemer vor Rhegion durch Sendung von Lebensmitteln
und Zuzug und machte gleichzeitig einen mit der roemischen Expedition gegen
Rhegion kombinierten Angriff auf deren Stamm- und Schuldgenossen in Sizilien,
die Mamertiner in Messana. Die Belagerung der letzteren Stadt zog sich sehr in
die Laenge; dagegen wurde Rhegion, obwohl auch hier die Meuterer hartnaeckig und
lange sich wehrten, im Jahre 484 (270) von den Roemern erstuermt, was von der
Besatzung uebrig war, in Rom auf offenem Markte gestaeupt und enthauptet, die
alten Einwohner aber zurueckgerufen und soviel moeglich in ihr Vermoegen wieder
eingesetzt. So war im Jahre 484 (270) ganz Italien zur Untertaenigkeit gebracht.
Nur die hartnaeckigsten Gegner Roms, die Samniten, setzten trotz des offiziellen
Friedensschlusses noch als "Raeuber" den Kampf fort, sodass sogar im Jahre 485
(269) noch einmal beide Konsuln gegen sie geschickt werden mussten. Aber auch
der hochherzigste Volksmut, die tapferste Verzweiflung gehen einmal zu Ende;
Schwert und Galgen brachten endlich auch den samnitischen Bergen die Ruhe.
Zur Sicherung dieser ungeheuren Erwerbungen wurde wiederum eine Reihe von
Kolonien angelegt: in Lucanien Paestum und Cosa (481 273), als Zwingburgen fuer
Samnium Beneventum (486 268) und Aesernia (um 491 263), als Vorposten gegen die
Gallier Ariminum (486 268), in Picenum Firmum (um 490 264) und die
Buergerkolonie Castrum novum; die Fortfuehrung der grossen Suedchaussee, welche
an der Festung Benevent eine neue Zwischenstation zwischen Capua und Venusia
erhielt, bis zu den Haefen von Tarent und Brundisium und die Kolonisierung des
letzteren Seeplatzes, den die roemische Politik zum Nebenbuhler und Nachfolger
des tarentinischen Emporiums sich ausersehen hatte, wurden vorbereitet. Die
neuen Festungs- und Strassenanlagen veranlassten noch einige Kriege mit den
kleinen Voelkerschaften, deren Gebiet durch dieselben geschmaelert ward, den
Picentern (485, 486 269, 268), von denen eine Anzahl in die Gegend von Salernum
verpflanzt ward, den Sallentinern um Brundisium (487, 488 267, 266), den
umbrischen Sassinaten (487, 488 267, 266), welche letzte nach der Austreibung
der Senonen das Gebiet von Ariminum besetzt zu haben scheinen. Durch diese
Anlagen ward die Herrschaft Roms ueber das unteritalische Binnenland und die
ganze italische Ostkueste vom Ionischen Meer bis zur keltischen Grenze
ausgedehnt.
Bevor wir die politische Ordnung darstellen, nach der das also geeinigte
Italien von Rom aus regiert ward, bleibt es noch uebrig, auf die
Seeverhaeltnisse im vierten und fuenften Jahrhundert einen Blick zu werfen. Es
waren in dieser Zeit wesentlich Syrakus und Karthago, die um die Herrschaft in
den westlichen Gewaessern miteinander rangen; im ganzen ueberwog trotz der
grossen Erfolge, welche Dionysios (348-389 406-365), Agathokles (437-465 317-
289) und Pyrrhos (476-478 278-276) voruebergehend zur See erlangten, doch hier
Karthago und sank Syrakus mehr und mehr zu einer Seemacht zweiten Ranges herab.
Mit Etruriens Bedeutung zur See war es voellig vorbei; die bisher etruskische
Insel Korsika kam, wenn nicht gerade in den Besitz, doch unter die maritime
Suprematie der Karthager. Tarent, das eine Zeitlang noch eine Rolle gespielt
hatte, ward durch die roemische Okkupation gebrochen. Die tapferen Massalioten
behaupteten sich wohl in ihren eigenen Gewaessern; aber in die Vorgaenge auf den
italischen griffen sie nicht wesentlich ein. Die uebrigen Seestaedte kamen kaum
noch ernstlich in Betracht.
Rom selber entging dem gleichen Schicksal nicht; in seinen eigenen
Gewaessern herrschten ebenfalls fremde Flotten. Wohl war es Seestadt von Haus
aus und ist in der Zeit seiner Frische seinen alten Traditionen niemals so
untreu geworden, dass es die Kriegsmarine gaenzlich vernachlaessigt haette, und
nie so toericht gewesen, bloss Kontinentalmacht sein zu wollen. Latium lieferte
zum Schiffbau die schoensten Staemme, welche die geruehmten unteritalischen bei
weitem uebertrafen, und die fortdauernd in Rom unterhaltenen Docks beweisen
allein schon, dass man dort nie darauf verzichtet hat, eine eigene Flotte zu
besitzen. Indes waehrend der gefaehrlichen Krisen, welche die Vertreibung der
Koenige, die inneren Erschuetterungen in der roemisch-latinischen
Eidgenossenschaft und die ungluecklichen Kriege gegen die Etrusker und die
Kelten ueber Rom brachten, konnten die Roemer sich um den Stand der Dinge auf
dem Mittelmeer nur wenig bekuemmern, und bei der immer entschiedener
hervortretenden Richtung der roemischen Politik auf Unterwerfung des italischen
Kontinents verkuemmerte die Seemacht. Es ist bis zum Ende des vierten
Jahrhunderts (ca. 350) kaum von latinischen Kriegsschiffen die Rede, ausser dass
auf einem roemischen das Weihgeschenk aus der veientischen Beute nach Delphi
gesandt ward (360 394). Die Antiaten freilich fuhren fort, ihren Handel mit
bewaffneten Schiffen und also auch gelegentlich das Piratengewerbe zu betreiben
und der "tyrrhenische Korsar" Postumius, den Timoleon um 415 (339) aufbrachte,
koennte allerdings ein Antiate gewesen sein; aber unter den Seemaechten jener
Zeit zaehlten sie schwerlich mit und waere es der Fall gewesen, so wuerde bei
der Stellung Antiums zu Rom darin fuer Rom nichts weniger als ein Vorteil
gelegen haben. Wie weit es um das Jahr 400 (ca. 350) mit dem Verfall der
roemischen Seemacht gekommen war, zeigt die Auspluenderung der latinischen
Kuesten durch eine griechische, vermutlich sizilische Kriegsflotte im Jahre 405
(349), waehrend zugleich keltische Haufen das latinische Land brandschatzend
durchzogen. Das Jahr darauf (406 348), und ohne Zweifel unter dem unmittelbaren
Eindruck dieser bedenklichen Ereignisse, schlossen die roemische Gemeinde und
die Phoeniker von Karthago, beiderseits fuer sich und die abhaengigen
Bundesgenossen, einen Handels- und Schiffahrtsvertrag, die aelteste roemische
Urkunde, von der der Text, freilich nur in griechischer Uebersetzung, auf uns
gekommen ist ^5. Die Roemer mussten darin sich verpflichten, die libysche Kueste
westlich vom Schoenen Vorgebirge (Cap Bon), Notfaelle ausgenommen, nicht zu
befahren; dagegen erhielten sie freien Verkehr gleich den einheimischen auf
Sizilien, soweit dies karthagisch war, und in Afrika und Sardinien wenigstens
das Recht, gegen den unter Zuziehung der karthagischen Beamten festgestellten
und von der karthagischen Gemeinde garantierten Kaufpreis ihre Waren abzusetzen.
Den Karthagern scheint wenigstens in Rom, vielleicht in ganz Latium freier
Verkehr zugestanden zu sein, nur machten sie sich anheischig, die botmaessigen
latinischen Gemeinden nicht zu vergewaltigen, auch, wenn sie als Feinde den
latinischen Boden betreten wuerden, dort nicht Nachtquartier zu nehmen - also
ihre Seeraeuberzuege nicht in das Binnenland auszudehnen - noch gar Festungen im
latinischen Lande anzulegen. Wahrscheinlich in dieselbe Zeit gehoert auch der
oben schon erwaehnte Vertrag zwischen Rom und Tarent, von dessen Entstehungszeit
nur berichtet wird, dass er laengere Zeit vor 472 (282) abgeschlossen ward;
durch denselben verpflichteten sich die Roemer, gegen welche Zusicherungen
tarentinischerseits wird nicht gesagt, die Gewaesser oestlich vom Lakinischen
Vorgebirge nicht zu befahren, wodurch sie also voellig vom oestlichen Becken des
Mittelmeeres ausgeschlossen wurden.
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^5 Die Nachweisung, dass die bei Polybios (3, 22) mitgeteilte Urkunde nicht
dem Jahre 245 (509), sondern dem Jahre 406 (348) angehoert, ist in der
Roemischen Chronologie bis auf Caesar. 2. Aufl. Berlin 1859, S. 320f., gegeben
worden.
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Es waren dies Niederlagen so gut wie die an der Allia, und auch der
roemische Senat scheint sie als solche empfunden und die guenstige Wendung, die
die italischen Verhaeltnisse bald nach dem Abschluss der demuetigenden Vertraege
mit Karthago und Tarent fuer Rom nahmen, mit aller Energie benutzt zu haben, um
die gedrueckte maritime Stellung zu verbessern. Die wichtigsten Kuestenstaedte
wurden mit roemischen Kolonien belegt: der Hafen von Caere, Pyrgi, dessen
Kolonisierung wahrscheinlich in diese Zeit faellt; ferner an der Westkueste
Antium im Jahre 415 (339); Tarracina im Jahre 425 (329), die Insel Pontia 441
(313), womit, da Ardea und Circeii bereits frueher Kolonisten empfangen hatten,
alle namhaften Seeplaetze im Gebiet der Rutuler und Volsker latinische oder
Buergerkolonien geworden waren; weiter im Gebiet der Aurunker Minturnae und
Sinuessa im Jahre 459 (295), im lucanischen Paestum und Cosa im Jahre 481 (273),
und am adriatischen Litoral Sena gallica und Castrum novum um das Jahr 471
(283), Ariminum im Jahre 486 (268), wozu noch die gleich nach der Beendigung des
Pyrrhischen Krieges erfolgte Besetzung von Brundisium hinzukommt. In der
groesseren Haelfte dieser Ortschaften, den Buerger- oder Seekolonien ^6, war die
junge Mannschaft vom Dienst in den Legionen befreit und lediglich bestimmt, die


 


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