Römische Geschichte Book 2
by
Theodor Mommsen

Part 4 out of 5



Kuesten zu ueberwachen. Die gleichzeitige wohlueberlegte Bevorzugung der
unteritalischen Griechen vor ihren sabellischen Nachbarn, namentlich der
ansehnlichen Gemeinden Neapolis, Rhegion, Lokri, Thurii, Herakleia, und deren
gleichartige und unter gleichartigen Bedingungen gewaehrte Befreiung vom Zuzug
zum Landheer vollendete das um die Kuesten Italiens gezogene roemische Netz.
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^6 Es waren dies Pyrgi, Ostia, Antium, Tarracina, Minturnae, Sinuessa, Sena
gallica und Castrum novum.
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Aber mit einer staatsmaennischen Sicherheit, von welcher die folgenden
Generationen haetten lernen koennen, erkannten es die leitenden Maenner des
roemischen Gemeinwesens, dass alle diese Kuestenbefestigungen und
Kuestenbewachungen unzulaenglich bleiben mussten, wenn nicht die Kriegsmarine
des Staats wieder auf einen achtunggebietenden Fuss gebracht ward. Einen
gewissen Grund dazu legte schon nach der Unterwerfung von Antium (416 338) die
Abfuehrung der brauchbaren Kriegsgaleeren in die roemischen Docks; die
gleichzeitige Verfuegung indes, dass die Antiaten sich alles Seeverkehrs zu
enthalten haetten ^7, charakterisiert mit schneidender Deutlichkeit, wie
ohnmaechtig damals die Roemer noch zur See sich fuehlten und wie voellig ihre
Seepolitik noch aufging in der Okkupierung der Kuestenplaetze. Als sodann die
sueditalischen Griechenstaedte, zuerst 428 (326) Neapel, in die roemische
Klientel eintraten, machten die Kriegsschiffe, welche jede dieser Staedte sich
verpflichtete, den Roemern als bundesmaessige Kriegshilfe zu stellen, zu einer
roemischen Flotte wenigstens wieder einen Anfang. Im Jahre 443 (311) wurden
weiter infolge eines eigens deswegen gefassten Buergerschaftsschlusses zwei
Flottenherren (duoviri navales) ernannt, und diese roemische Seemacht wirkte im
Samnitischen Kriege mit bei der Belagerung von Nuceria. Vielleicht gehoert
selbst die merkwuerdige Sendung einer roemischen Flotte von 25 Segeln zur
Gruendung einer Kolonie auf Korsika, welcher Theophrastos in seiner um 446 (308)
geschriebenen Pflanzengeschichte gedenkt, dieser Zeit an. Wie wenig aber mit
allem dem unmittelbar erreicht war, zeigt der im Jahre 448 (306) erneuerte
Vertrag mit Karthago. Waehrend die Italien und Sizilien betreffenden
Bestimmungen des Vertrages von 406 (348) unveraendert blieben, wurde den Roemern
ausser der Befahrung der oestlichen Gewaesser jetzt weiter die frueher
gestattete des Atlantischen Meers, sowie der Handelsverkehr mit den Untertanen
Karthagos in Sardinien und Afrika, endlich wahrscheinlich auch die Festsetzung
auf Korsika ^8 untersagt, sodass nur das karthagische Sizilien und Karthago
selbst ihrem Handel geoeffnet blieben. Man erkennt hier die mit der Ausdehnung
der roemischen Kuestenherrschaft steigende Eifersucht der herrschenden Seemacht:
sie zwang die Roemer, sich ihrem Prohibitivsystem zu fuegen, sich von den
Produktionsplaetzen im Okzident und im Orient ausschliessen zu lassen - in
diesen Zusammenhang gehoert noch die Erzaehlung von der oeffentlichen Belohnung
des phoenikischen Schiffers, der ein in den Atlantischen Ozean ihm
nachsteuerndes roemisches Fahrzeug mit Aufopferung seines eigenen auf eine
Sandbank gefuehrt hatte - und ihre Schiffahrt auf den engen Raum des westlichen
Mittelmeers vertragsmaessig zu beschraenken, um nur ihre Kueste nicht der
Pluenderung preiszugeben und die alte und wichtige Handelsverbindung mit
Sizilien zu sichern. Die Roemer mussten sich fuegen; aber sie liessen nicht ab
von den Bemuehungen, ihr Seewesen aus seiner Ohnmacht zu reissen. Eine
durchgreifende Massregel in diesem Sinne war die Einsetzung der vier
Flottenquaestoren (quaestores classici) im Jahre 487 (267), von denen der erste
in Ostia, dem Seehafen der Stadt Rom, seinen Sitz erhielt, der zweite von Cales,
damals der Hauptstadt des roemischen Kampaniens, aus die kampanischen und
grossgriechischen, der dritte von Ariminum aus die transapenninischen Haefen zu
beaufsichtigen hatte; der Bezirk des vierten ist nicht bekannt. Diese neuen
staendigen Beamten waren zwar nicht allein, aber doch mitbestimmt, die Kuesten
zu ueberwachen und zum Schutze derselben eine Kriegsmarine zu bilden. Die
Absicht des roemischen Senats, die Selbstaendigkeit zur See wiederzugewinnen und
teils die maritimen Verbindungen Tarents abzuschneiden, teils den von Epeiros
kommenden Flotten das Adriatische Meer zu sperren, teils sich von der
karthagischen Suprematie zu emanzipieren, liegt deutlich zutage. Das schon
eroerterte Verhaeltnis zu Karthago waehrend des letzten italischen Krieges weist
davon die Spuren auf. Zwar zwang Koenig Pyrrhos die beiden grossen Staedte noch
einmal - es war das letzte Mal - zum Abschluss einer Offensivallianz; allein die
Lauigkeit und Treulosigkeit dieses Buendnisses, die Versuche der Karthager, sich
in Rhegion und Tarent festzusetzen, die sofortige Besetzung Brundisiums durch
die Roemer nach Beendigung des Krieges zeigen deutlich, wie sehr die
beiderseitigen Interessen schon sich einander stiessen.
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^7 Diese Angabe ist ebenso bestimmt (Liv. 8,14: interdictum mari Antiati
populo est) wie an sich glaubwuerdig; denn Antium war ja nicht bloss von
Kolonisten, sondern auch noch von der ehemaligen, in der Feindschaft gegen Rom
aufgenaehrten Buergerschaft bewohnt. Damit im Widerspruch stehen freilich die
griechischen Berichte, dass Alexander der Grosse (+ 431 323) und Demetrios der
Belagerer (+ 471 283) in Rom ueber antiatische Seeraeuber Beschwerde gefuehrt
haben sollen. Der erste aber ist mit dem ueber die roemische Gesandtschaft nach
Babylon gleichen Schlages und vielleicht gleicher Quelle. Demetrios dem
Belagerer sieht es eher aehnlich, dass er die Piraterie im Tyrrhenischen Meer,
das er nie mit Augen gesehen hat, durch Verordnung abschaffte, und undenkbar ist
es gerade nicht, dass die Antiaten auch als roemische Buerger ihr altes Gewerbe
noch trotz des Verbots unter der Hand eine Zeitlang fortgesetzt haben; viel wird
indes auch auf die zweite Erzaehlung nicht zu geben sein.
^8 Nach Servius (Aen. 4, 628) war in den roemisch-karthagischen Vertraegen
bestimmt, es solle kein Roemer karthagischen, kein Karthager roemischen Boden
betreten (vielmehr besetzen), Korsika aber zwischen beiden neutral bleiben (ut
neque Romani ad litora Carthaginiensium accederent neque Carthaginienses ad
litora Romanorum - Corsica esset media inter Romanos et Carthaginienses). Das
scheint hierher zu gehoeren und die Kolonisierung von Korsika eben durch diesen
Vertrag verhindert worden zu sein.
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Begreiflicherweise suchte Rom sich gegen Karthago auf die hellenischen
Seestaaten zu stuetzen. Mit Massalia bestand das alte enge
Freundschaftsverhaeltnis ununterbrochen fort. Das nach Veiis Eroberung von Rom
nach Delphi gesandte Weihgeschenk ward daselbst in dem Schatzhaus der
Massalioten aufbewahrt. Nach der Einnahme Roms durch die Kelten ward in Massalia
fuer die Abgebrannten gesammelt, wobei die Stadtkasse voranging; zur Vergeltung
gewaehrte dann der roemische Senat den massaliotischen Kaufleuten
Handelsbeguenstigungen und raeumte bei der Feier der Spiele auf dem Markt neben
der Senatorentribuene den Massalioten einen Ehrenplatz (graecostasis) ein. Eben
dahin gehoeren die um das Jahr 448 (306) mit Rhodos und nicht lange nachher mit
Apollonia, einer ansehnlichen Kaufstadt an der epeirotischen Kueste, von den
Roemern abgeschlossenen Handels- und Freundschaftsvertraege und vor allem die
fuer Karthago sehr bedenkliche Annaeherung, welche unmittelbar nach dem Ende des
Pyrrhischen Krieges zwischen Rom und Syrakus stattfand.
Wenn also die roemische Seemacht zwar mit der ungeheuren Entwicklung der
Landmacht auch nicht entfernt Schritt hielt und namentlich die eigene
Kriegsmarine der Roemer keineswegs war, was sie nach der geographischen und
kommerziellen Lage des Staates haette sein muessen, so fing doch auch sie an,
allmaehlich sich aus der voelligen Nichtigkeit, zu welcher sie um das Jahr 400
(354) herabgesunken war, wieder emporzuarbeiten; und bei den grossen
Hilfsquellen Italiens mochten wohl die Phoeniker mit besorgten Blicken diese
Bestrebungen verfolgen.
Die Krise ueber die Herrschaft auf den italischen Gewaessern nahte heran;
zu Lande war der Kampf entschieden. Zum erstenmal war Italien unter der
Herrschaft der roemischen Gemeinde zu einem Staat vereinigt. Welche politische
Befugnisse dabei die roemische Gemeinde den saemtlichen uebrigen italischen
entzog und in ihren alleinigen Besitz nahm, das heisst, welcher staatsrechtliche
Begriff mit dieser Herrschaft Roms zu verbinden ist, wird nirgends ausdruecklich
gesagt, und es mangelt selbst, in bezeichnender und klug berechneter Weise, fuer
diesen Begriff an einem allgemeingueltigen Ausdruck ^9. Nachweislich gehoerten
dazu nur das Kriegs- und Vertrags- und das Muenzrecht, so dass keine italische
Gemeinde einem auswaertigen Staat Krieg erklaeren oder mit ihm auch nur
verhandeln und kein Courantgeld schlagen durfte, dagegen jede von der roemischen
Gemeinde erlassene Kriegserklaerung und jeder von ihr abgeschlossene
Staatsvertrag von Rechtswegen alle uebrigen italischen Gemeinden mit band und
das roemische Silbergeld in ganz Italien gesetzlich gangbar ward; und es ist
wahrscheinlich, dass die formulierten Befugnisse der fuehrenden Gemeinde sich
nicht weiter erstreckten. Indes notwendig knuepften hieran tatsaechlich viel
weitergehende Herrschaftsrechte sich an.
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^9 Die Klausel, dass das abhaengige Volk sich verpflichtet, "die Hoheit des
roemischen freundlich gelten zu lassen" (maiestatem populi Romani comiter
conservare), ist allerdings die technische Bezeichnung dieser mildesten
Untertaenigkeitsform, aber wahrscheinlich erst in bedeutend spaeterer Zeit
aufgekommen (Cic. Balb. 16, 35). Auch die privatrechtliche Bezeichnung der
Klientel, so treffend sie eben in ihrer Unbestimmtheit das Verhaeltnis
bezeichnet (Dig. 49, 15, 7, 1), ist schwerlich in aelterer Zeit offiziell auf
dasselbe angewendet worden.
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Im einzelnen war das Verhaeltnis, in welchem die Italiker zu der fuehrenden
Gemeinde standen, ein hoechst ungleiches, und es sind in dieser Hinsicht, ausser
der roemischen Vollbuergerschaft, drei verschiedene Klassen von Untertanen zu
unterscheiden. jene selbst vor allem ward so weit ausgedehnt, als es irgend
moeglich war, ohne den Begriff eines staedtischen Gemeinwesens fuer die
roemische Kommune voellig aufzugeben. Das alte Buergergebiet war bis dahin
hauptsaechlich durch Einzelassignation in der Weise erweitert worden, dass das
suedliche Etrurien bis gegen Caere und Falerii, die den Hernikern entrissenen
Strecken am Sacco und am Anio, der groesste Teil der sabinischen Landschaft und
grosse Striche der ehemals volskischen, besonders die pomptinische Ebene in
roemisches Bauernland umgewandelt und meistenteils fuer deren Bewohner neue
Buergerbezirke eingerichtet waren. Dasselbe war sogar schon mit dem von Capua
abgetretenen Falernerbezirke am Volturnus geschehen. Alle diese ausserhalb Rom
domizilierten Buerger entbehrten eines eigenen Gemeinwesens und eigener
Verwaltung; auf dem assignierten Gebiet entstanden hoechstens Marktflecken (fora
et conciliabula). In nicht viel anderer Lage befanden sich die nach den oben
erwaehnten sogenannten Seekolonien entsandten Buerger, denen gleichfalls das
roemische Vollbuergerrecht verblieb und deren Selbstverwaltung wenig bedeutete.
Gegen den Schluss dieser Periode scheint die roemische Gemeinde damit begonnen
zu haben, den naechstliegenden Passivbuergergemeinden gleicher oder nah
verwandter Nationalitaet das Vollbuergerrecht zu gewaehren; welches
wahrscheinlich zuerst fuer Tusculum geschehen ist ^10, ebenso vermutlich auch
fuer die uebrigen Passivbuergergemeinden im eigentlichen Latium, dann am Ausgang
dieser Periode (486 268) auf die sabinischen Staedte erstreckt ward, die ohne
Zweifel damals schon wesentlich latinisiert waren und in dem letzten schweren
Krieg ihre Treue genuegend bewaehrt hatten. Diesen Staedten blieb die nach ihrer
frueheren Rechtsstellung ihnen zukommende beschraenkte Selbstverwaltung auch
nach ihrer Aufnahme in den roemischen Buergerverband; mehr aus ihnen als aus den
Seekolonien haben sich die innerhalb der roemischen Vollbuergerschaft
bestehenden Sondergemeinwesen und damit im Laufe der Zeit die roemische
Munizipalordnung herausgebildet. Hiernach wird die roemische Vollbuergerschaft
am Ende dieser Epoche sich noerdlich bis in die Naehe von Caere, oestlich bis an
den Apennin, suedlich bis nach Tarracina erstreckt haben, obwohl freilich von
einer eigentlichen Grenze hier nicht die Rede sein kann und teils eine Anzahl
Bundesstaedte latinischen Rechts, wie Tibur, Praeneste, Signia, Norba, Circeii,
sich innerhalb dieser Grenzen befanden, teils ausserhalb derselben die Bewohner
von Minturnae, Sinuessa, des falernischen Gebiets, der Stadt Sena Gallica und
anderer Ortschaften mehr, ebenfalls volles Buergerrecht besassen und roemische
Bauernfamilien vereinzelt oder in Doerfern vereinigt vermutlich schon jetzt
durch ganz Italien zerstreut sich fanden.
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^10 Dass Tusculum, wie es zuerst das Passivbuergerrecht erhielt, so auch
zuerst dies mit dem Vollbuergerrecht vertauschte, ist an sich wahrscheinlich,
und vermutlich wird in dieser, nicht in jener Beziehung die Stadt von Cicero
(Mut. 8, 19) municipium antiquissimum genannt.
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Unter den untertaenigen Gemeinden stehen die Passivbuerger (cives sine
suffragio), abgesehen von dem aktiven und passiven Wahlrecht, in Rechten und
Pflichten den Vollbuergern gleich. Ihre Rechtsstellung ward durch die
Beschluesse der roemischen Komitien und die fuer sie vom roemischen Praetor
erlassenen Normen geregelt, wobei indes ohne Zweifel die bisherigen Ordnungen
wesentlich zugrunde gelegt wurden. Recht sprach fuer sie der roemische Praetor
oder dessen jaehrlich in die einzelnen Gemeinden entsandte "Stellvertreter"
(praefecti). Den besser gestellten von ihnen, wie zum Beispiel der Stadt Capua,
blieb die Selbstverwaltung und damit der Fortgebrauch der Landessprache und die
eigenen Beamten, welche die Aushebung und die Schatzung besorgten. Den Gemeinden
schlechteren Rechts, wie zum Beispiel Caere, wurde auch die eigene Verwaltung
genommen, und es war dies ohne Zweifel die drueckendste unter den verschiedenen
Formen der Untertaenigkeit. Indes zeigt sich, wie oben bemerkt ward, am Ende
dieser Periode bereits das Bestreben, diese Gemeinden, wenigstens soweit sie
faktisch latinisiert waren, der Vollbuergerschaft einzuverleiben.
Die bevorzugteste und wichtigste Klasse unter den untertaenigen Gemeinden
war die der latinischen Staedte, welche an den von Rom inner- und selbst schon
ausserhalb Italien gegruendeten autonomen Gemeinden, den sogenannten latinischen
Kolonien ebenso zahlreichen als ansehnlichen Zuwachs erhielt und stetig durch
neue Gruendungen dieser Art sich vermehrte. Diese neuen Stadtgemeinden
roemischen Ursprungs, aber latinischen Rechts wurden immer mehr die eigentlichen
Stuetzen der roemischen Herrschaft ueber Italien. Es waren dies nicht mehr
diejenigen Latiner, mit denen am Regiller See und bei Trifanum gestritten worden
war - nicht jene alten Glieder des albischen Bundes, welche der Gemeinde Rom von
Haus aus sich gleich, wo nicht besser achteten und welche, wie die gegen
Praeneste zu Anfang des Pyrrhischen Krieges verfuegten furchtbar strengen
Sicherheitsmassregeln und die nachweislich lange noch fortzuckenden Reibungen
namentlich mit den Praenestinern beweisen, die roemische Herrschaft als schweres
Joch empfanden. Dies alte Latium war wesentlich entweder unter oder in Rom
aufgegangen und zaehlte nur noch wenige und mit Ausnahme von Praeneste und Tibur
durchgaengig unbedeutende politisch selbstaendige Gemeinden. Das Latium der
spaeteren republikanischen Zeit bestand vielmehr fast ausschliesslich aus
Gemeinden, die von Anbeginn an in Rom ihre Haupt- und Mutterstadt verehrt
hatten, die inmitten fremdsprachiger und anders gearteter Landschaften durch
Sprach-, Rechts- und Sittengemeinschaft an Rom geknuepft waren, die als kleine
Tyrannen der umliegenden Distrikte ihrer eigenen Existenz wegen wohl an Rom
halten mussten wie die Vorposten an der Hauptarmee, die endlich, infolge der
steigenden materiellen Vorteile des roemischen Buergertums, aus ihrer wenngleich
beschraenkten Rechtsgleichheit mit den Roemern immer noch einen sehr
ansehnlichen Gewinn zogen, wie ihnen denn zum Beispiel ein Teil der roemischen
Domaene zur Sondernutzung ueberwiesen zu werden pflegte und die Beteiligung an
den Verpachtungen und Verdingungen des Staats ihnen wie dem roemischen Buerger
offenstand. Voellig blieben allerdings auch hier die Konsequenzen der ihnen
gewaehrten Selbstaendigkeit nicht aus. Venusinische Inschriften aus der Zeit der
roemischen Republik und kuerzlich zum Vorschein gekommene beneventanische ^11
lehren, dass Venusia so gut wie Rom seine Plebs und seine Volkstribune gehabt
und dass die Oberbeamten von Benevent wenigstens um die Zeit des Hannibalischen
Krieges den Konsultitel gefuehrt haben. Beide Gemeinden gehoeren zu den
juengsten unter den latinischen Kolonien aelteren Rechts; man sieht, welche
Ansprueche um die Mitte des fuenften Jahrhunderts in denselben sich regten. Auch
diese sogenannten Latiner, hervorgegangen aus der roemischen Buergerschaft und
in jeder Beziehung sich ihr gleich fuehlend, fingen schon an, ihr
untergeordnetes Bundesrecht unwillig zu empfinden und nach voller
Gleichberechtigung zu streben. Deswegen war denn der Senat bemueht, diese
latinischen Gemeinden, wie wichtig sie immer fuer Rom waren, doch nach
Moeglichkeit in ihren Rechten und Privilegien herabzudruecken und ihre
bundesgenoessische Stellung in die der Untertaenigkeit insoweit umzuwandeln, als
dies geschehen konnte, ohne zwischen ihnen und den nichtlatinischen Gemeinden
Italiens die Scheidewand wegzuziehen. Die Aufhebung des Bundes der latinischen
Gemeinden selbst sowie ihrer ehemaligen vollstaendigen Gleichberechtigung und
der Verlust der wichtigsten denselben zustaendigen politischen Rechte ist schon
dargestellt worden; mit der vollendeten Unterwerfung Italiens geschah ein
weiterer Schritt und wurde der Anfang dazu gemacht, auch die bisher nicht
angetasteten individuellen Rechte des einzelnen latinischen Mannes, vor allem
die wichtige Freizuegigkeit, zu beschraenken. Fuer die im Jahre 486 (268)
gegruendete Gemeinde Ariminum und ebenso fuer alle spaeter konstituierten
autonomen Gemeinden wurde die Bevorzugung vor den uebrigen Untertanen
beschraenkt auf die privatrechtliche Gleichstellung ihrer und der roemischen
Gemeindebuerger im Handel und Wandel sowie im Erbrecht ^12. Vermutlich um
dieselbe Zeit ward die den bisher gegruendeten latinischen Gemeinden gewidmete
volle Freizuegigkeit, die Befugnis eines jeden ihrer Buerger, durch
Uebersiedelung nach Rom das volle Buergerrecht daselbst zu gewinnen, fuer die
spaeter eingerichteten latinischen Pflanzstaedte beschraenkt auf diejenigen
Personen, welche in ihrer Heimat zu dem hoechsten Gemeindeamt gelangt waren; nur
diesen blieb es gestattet, ihr koloniales Buergerrecht mit dem roemischen zu
vertauschen. Es erscheint hier deutlich die vollstaendige Umaenderung der
Stellung Roms. Solange Rom noch, wenn auch die erste, doch nur eine der vielen
italischen Stadtgemeinden war, wurde der Eintritt selbst in das unbeschraenkte
roemische Buergerrecht durchgaengig als ein Gewinn fuer die aufnehmende Gemeinde
betrachtet und die Gewinnung dieses Buergerrechts den Nichtbuergern auf alle
Weise erleichtert, ja oft als Strafe ihnen auferlegt. Seit aber die roemische
Gemeinde allein herrschte und die uebrigen alle ihr dienten, kehrte das
Verhaeltnis sich um: die roemische Gemeinde fing an, ihr Buergerrecht
eifersuechtig zu bewahren, und machte darum der alten vollen Freizuegigkeit ein
Ende; obwohl die Staatsmaenner dieser Zeit doch einsichtig genug waren,
wenigstens den Spitzen und Kapazitaeten der hoechstgestellten
Untertanengemeinden den Eintritt in das roemische Buergerrecht gesetzlich
offenzuhalten. Auch die Latiner also hatten es zu empfinden, dass Rom, nachdem
es hauptsaechlich durch sie sich Italien unterworfen hatte, jetzt ihrer nicht
mehr so wie bisher bedurfte.
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^11 V Cervio A. f. cosol dedicavit und lunonei Quiritei sacra. C. Falcilius
L. f. consol dedicavit.
^12 Nach Ciceros Zeugnis (Caecin. 35) gab Sulla den Volaterranern das
ehemalige Recht von Ariminum, das heisst, setzt der Redner hinzu, das Recht der
"zwoelf Kolonien", welche nicht die roemische Civitaet, aber volles Commercium
mit den Roemern hatten. Ueber wenige Dinge ist soviel verhandelt worden wie
ueber die Beziehung dieses Zwoelfstaedterechts; und doch liegt dieselbe nicht
fern. Es sind in Italien und im Cisalpinischen Gallien, abgesehen von einigen
frueh wieder verschwundenen, im ganzen vierunddreissig latinische Kolonien
gegruendet worden; die zwoelf juengsten derselben - Ariminum, Beneventum,
Firmum, Aesernia, Brundisium, Spoletium, Cremona, Placentia, Copia, Valentia,
Bononia, Aquileia - sind hier gemeint, und da Ariminum von ihnen die aelteste
und diejenige ist, fuer welche diese neue Ordnung zunaechst festgesetzt ward -
vielleicht zum Teil deswegen mit, weil dies die erste ausserhalb Italien
gegruendete roemische Kolonie war -, so heisst das Stadtrecht dieser Kolonien
richtig das ariminensische. Damit ist zugleich erwiesen, was schon aus anderen
Gruenden die hoechste Wahrscheinlichkeit fuer sich hatte, dass alle nach
Aquileias Gruendung in Italien (im weiteren Sinn) gestifteten Kolonien zu den
Buergerkolonien gehoerten.
Den Umfang der Rechtsschmaelerung der juengeren latinischen Staedte im
Gegensatz zu den aelteren vermoegen wir uebrigens nicht voellig zu bestimmen.
Wenn die Ehegemeinschaft, wie es nicht unwahrscheinlich, aber freilich nichts
weniger als ausgemacht ist (oben 1, 116; Diod. p. 590, 62. Frg. Vat. p. 130
Dind.), ein Bestandteil der urspruenglichen bundesgenoessischen Rechtsgleichheit
war, so ist sie jedenfalls den juengeren nicht mehr zugestanden worden.
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Das Verhaeltnis endlich der nichtlatinischen Bundesgemeinden unterlag
selbstverstaendlich den mannigfachsten Normen, wie eben der einzelne
Bundesvertrag sie festgesetzt hatte. Manche dieser ewigen Buendnisse, wie zum
Beispiel die der hernikischen Gemeinden, gingen ueber in voellige Gleichstellung
mit den latinischen. Andere, bei denen dies nicht der Fall war, wie die von
Neapel, Nola, Herakleia, gewaehrten verhaeltnismaessig sehr umfassende Rechte;
wieder andere, wie zum Beispiel die tarentinischen und die samnitischen
Vertraege, moegen sich der Zwingherrschaft genaehert haben.
Als allgemeine Regel kann wohl angenommen werden, dass nicht bloss die
latinische und hernikische, von denen es ueberliefert ist, sondern saemtliche
italische Voelkergenossenschaften, namentlich auch die samnitische und die
lucanische, rechtlich aufgeloest oder doch zur Bedeutungslosigkeit abgeschwaecht
wurden und durchschnittlich keiner italischen Gemeinde mit anderen italischen
die Verkehrs- oder Ehegemeinschaft oder gar das gemeinsame Beratschlagungs- und
Beschlussfassungsrecht zustand. Ferner wird, wenn auch in verschiedener Weise,
dafuer gesorgt worden sein, dass die Wehr- und Steuerkraft der saemtlichen
italischen Gemeinden der fuehrenden zur Disposition stand. Wenngleich auch
ferner noch die Buergermiliz einer- und die Kontingente "latinischen Namens"
anderseits als die wesentlichen und integrierenden Bestandteile des roemischen
Heeres angesehen wurden und ihm somit sein nationaler Charakter im ganzen
bewahrt blieb, so wurden doch nicht bloss die roemischen Passivbuerger zu
demselben mit herangezogen, sondern ohne Zweifel auch die nichtlatinischen
foederierten Gemeinden entweder, wie dies mit den griechischen geschah, zur
Stellung von Kriegsschiffen verpflichtet, oder, wie dies fuer die apulischen,
sabellischen und etruskischen auf einmal oder allmaehlich verordnet worden sein
muss, in das Verzeichnis der zuzugpflichtigen Italiker (formula togatorum)
eingetragen. Durchgaengig scheint dieser Zuzug eben wie der der latinischen
Gemeinden fest normiert worden zu sein, ohne dass doch die fuehrende Gemeinde
erforderlichenfalls verhindert gewesen waere, mehr zu fordern. Es lag hierin
zugleich eine indirekte Besteuerung, indem jede Gemeinde verpflichtet war, ihr
Kontingent selbst auszuruesten und zu besolden. Nicht ohne Absicht wurden darum
vorzugsweise die kostspieligsten Kriegsleistungen auf die latinischen oder
nichtlatinischen foederierten Gemeinden gewaelzt, die Kriegsmarine zum groessten
Teil durch die griechischen Staedte instand gehalten und bei dem Rossdienst die
Bundesgenossen, spaeterhin wenigstens, in dreifach staerkerem Verhaeltnis als
die roemische Buergerschaft angezogen, waehrend im Fussvolk der alte Satz, dass
das Bundesgenossenkontingent nicht zahlreicher sein duerfte als das Buergerheer,
noch lange Zeit wenigstens als Regel in Kraft blieb.
Das System, nach welchem dieser Bau im einzelnen zusammengefuegt und
zusammengehalten ward, laesst aus den wenigen auf uns gekommenen Nachrichten
sich nicht mehr feststellen. Selbst das Zahlenverhaeltnis, in welchem die drei
Klassen der Untertanenschaft zueinander und zu der Vollbuergerschaft standen,
ist nicht mehr auch nur annaehernd zu ermitteln ^13 und ebenso die geographische
Verteilung der einzelnen Kategorien ueber Italien nur unvollkommen bekannt. Die
bei diesem Bau zugrunde liegenden leitenden Gedanken liegen dagegen so offen
vor, dass es kaum noetig ist, sie noch besonders zu entwickeln. Vor allem ward,
wie gesagt, der unmittelbare Kreis der herrschenden Gemeinde teils durch
Ansiedelung der Vollbuerger, teils durch Verleihung des Passivbuergerrechts
soweit ausgedehnt, wie es irgend moeglich war, ohne die roemische Gemeinde, die
doch eine staedtische war und bleiben sollte, vollstaendig zu dezentralisieren.
Als das Inkorporationssystem bis an und vielleicht schon ueber seine
natuerlichen Grenzen ausgedehnt war, mussten die weiter hinzutretenden Gemeinden
sich in ein Untertaenigkeitsverhaeltnis fuegen; denn die reine Hegemonie als
dauerndes Verhaeltnis ist innerlich unmoeglich. So stellte sich, nicht durch
willkuerliche Monopolisierung der Herrschaft, sondern durch das unvermeidliche
Schwergewicht der Verhaeltnisse neben die Klasse der herrschenden Buerger die
zweite der Untertanen. Unter den Mitteln der Herrschaft standen in erster Linie
natuerlich die Teilung der Beherrschten durch Sprengung der italischen
Eidgenossenschaften und Einrichtung einer moeglichst grossen Zahl
verhaeltnismaessig geringer Gemeinden, sowie die Abstufung des Druckes der
Herrschaft nach den verschiedenen Kategorien der Untertanen. Wie Cato in seinem
Hausregiment dahin sah, dass die Sklaven sich miteinander nicht allzu gut
vertragen moechten, und absichtlich Zwistigkeiten und Parteiungen unter ihnen
naehrte, so hielt es die roemische Gemeinde im grossen; das Mittel war nicht
schoen, aber wirksam. Nur eine weitere Anwendung desselben Mittels war es, wenn
in jeder abhaengigen Gemeinde die Verfassung nach dem Muster der roemischen
umgewandelt und ein Regiment der wohlhabenden und angesehenen Familien
eingesetzt ward, welches mit der Menge in einer natuerlichen mehr oder minder
lebhaften Opposition stand und durch seine materiellen und
kommunalregimentlichen Interessen darauf angewiesen war, auf Rom sich zu
stuetzen. Das merkwuerdigste Beispiel in dieser Beziehung gewaehrt die
Behandlung von Capua, welches als die einzige italische Stadt, die vielleicht
mit Rom zu rivalisieren vermochte, von Haus aus mit argwoehnischer Vorsicht
behandelt worden zu sein scheint. Man verlieh dem kampanischen Adel einen
privilegierten Gerichtsstand, gesonderte Versammlungsplaetze, ueberhaupt in
jeder Hinsicht eine Sonderstellung, ja man wies ihm sogar nicht unbetraechtliche
Pensionen - sechzehnhundert je von jaehrlich 450 Stateren (etwa 200 Taler) - auf
die kampanische Gemeindekasse an. Diese kampanischen Ritter waren es, deren
Nichtbeteiligung an dem grossen latinisch-kampanischen Aufstand 414 (340) zu
dessen Scheitern wesentlich beitrug und deren tapfere Schwerter im Jahre 459
(295) bei Sentinum fuer die Roemer entschieden; wogegen das kampanische Fussvolk
in Rhegion die erste Truppe war, die im Pyrrhischen Kriege von Rom abfiel. Einen
anderen merkwuerdigen Beleg fuer die roemische Praxis: die staendischen
Zwistigkeiten innerhalb der abhaengigen Gemeinden durch Beguenstigung der
Aristokratie fuer das roemische Interesse auszubeuten, gibt die Behandlung, die
Volsinii im Jahre 489 (265) widerfuhr. Es muessen dort, aehnlich wie in Rom, die
Alt- und Neubuerger sich gegenuebergestanden und die letzteren auf gesetzlichem
Wege die politische Gleichberechtigung erlangt haben. Infolge dessen wandten die
Altbuerger von Volsinii sich an den roemischen Senat mit dem Gesuch um
Wiederherstellung der alten Verfassung; was die in der Stadt herrschende Partei
begreiflicherweise als Landesverrat betrachtete und die Bittsteller dafuer zur
gesetzlichen Strafe zog. Der roemische Senat indes nahm Partei fuer die
Altbuerger und liess, da die Stadt sich nicht gutwillig fuegte, durch
militaerische Exekution nicht bloss die in anerkannter Wirksamkeit bestehende
Gemeindeverfassung von Volsinii vernichten, sondern auch durch die Schleifung
der alten Hauptstadt Etruriens das Herrentum Roms den Italikern in einem Exempel
von erschreckender Deutlichkeit vor Augen legen.
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^13 Es ist zu bedauern, dass wir ueber die Zahlenverhaeltnisse nicht
genuegende Auskunft zu geben imstande sind. Man kann die Zahl der waffenfaehigen
roemischen Buerger fuer die spaetere Koenigszeit auf etwa 20000 veranschlagen.
Nun ist aber von Albas Fall bis auf die Eroberung von Veii die unmittelbare
roemische Mark nicht wesentlich erweitert worden; womit es vollkommen
uebereinstimmt, dass von der ersten Einrichtung der einundzwanzigste Bezirk um
das Jahr 259 (495) an, worin keine oder doch keine bedeutende Erweiterung der
roemischen Grenze lag, bis auf das Jahr 367 (387) neue Buergerbezirke nicht
errichtet wurden. Mag man nun auch die Zunahme durch den Ueberschuss der
Geborenen ueber die Gestorbenen, durch Einwanderungen und Freilassungen noch so
reichlich in Anschlag bringen, so ist es doch schlechterdings unmoeglich, mit
den engen Grenzen eines Gebiets von schwerlich 30 Quadratmeilen die
ueberlieferten Zensuszahlen in Uebereinstimmung zu bringen, nach denen die Zahl
der waffenfaehigen roemischen Buerger in der zweiten Haelfte des dritten
Jahrhunderts zwischen 104000 und 150000 schwankt, und im Jahre 362 (392), wofuer
eine vereinzelte Angabe vorliegt, 152573 betrug. Vielmehr werden diese Zahlen
mit den 84700 Buergern des Servianischen Zensus auf einer Linie stehen und
ueberhaupt die ganze bis auf die vier Lustren des Servius Tullius
hinaufgefuehrte und mit reichlichen Zahlen ausgestattete aeltere Zensusliste
nichts sein als eine jener scheinbar urkundlichen Traditionen, die eben in ganz
detaillierten Zahlenangaben sich gefallen und sich verraten.
Erst mit der zweiten Haelfte des vierten Jahrhunderts beginnen die grossen
Gebietserwerbungen, wodurch die Buergerrolle ploetzlich und betraechtlich
steigen musste. Es ist glaubwuerdig ueberliefert, wie an sich glaublich, dass um
416 (338) man 165000 roemische Buerger zaehlte, wozu es recht gut stimmt, dass
zehn Jahre vorher, als man gegen Latium und Gallien die ganze Miliz unter die
Waffen rief, das erste Aufgebot zehn Legionen, also 50000 Mann betrug. Seit den
grossen Gebietserweiterungen in Etrurien, Latium und Kampanien zaehlte man im
fuenften Jahrhundert durchschnittlich 250000, unmittelbar vor dem ersten
Punischen Kriege 280000 bis 290000 waffenfaehige Buerger. Diese Zahlen sind
sicher genug, allein aus einem anderen Grunde geschichtlich nicht vollstaendig
brauchbar: dabei naemlich sind wahrscheinlich die roemischen Vollbuerger und die
nicht, wie die Kampaner, in eigenen Legionen dienenden "Buerger ohne Stimme",
wie zum Beispiel die Caeriten, ineinander gerechnet, waehrend doch die letzteren
faktisch durchaus den Untertanen beigezaehlt werden muessen (Roemische
Forschungen, Bd. 2, S. 396).
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Aber der roemische Senat war weise genug, nicht zu uebersehen, dass das
einzige Mittel, der Gewaltherrschaft Dauer zu geben, die eigene Maessigung der
Gewalthaber ist. Darum ward den abhaengigen Gemeinden die Autonomie gelassen
oder verliehen, die einen Schatten von Selbstaendigkeit, einen eigenen Anteil an
Roms militaerischen und politischen Erfolgen und vor allem eine freie
Kommunalverfassung in sich schloss - so weit die italische Eidgenossenschaft
reichte, gab es keine Helotengemeinde. Darum verzichtete Rom von vornherein mit
einer in der Geschichte vielleicht beispiellosen Klarheit und Hochherzigkeit auf
das gefaehrlichste aller Regierungsrechte, auf das Recht, die Untertanen zu
besteuern. Hoechstens den abhaengigen keltischen Gauen moegen Tribute auferlegt
worden sein; soweit die italische Eidgenossenschaft reichte, gab es keine
zinspflichtige Gemeinde. Darum endlich ward die Wehrpflicht zwar wohl auf die
Untertanen mit, aber doch keineswegs von der herrschenden Buergerschaft
abgewaelzt; vielmehr wurde wahrscheinlich die letztere nach Verhaeltnis bei
weitem staerker als die Bundesgenossenschaft und in dieser wahrscheinlich
wiederum die Gesamtheit der Latiner bei weitem staerker in Anspruch genommen als
die nichtlatinischen Bundesgemeinden; so dass es eine gewisse Billigkeit fuer
sich hatte, wenn auch von dem Kriegsgewinn zunaechst Rom und nach ihm die
Latinerschaft den besten Teil fuer sich nahmen.
Der schwierigen Aufgabe, ueber die Masse der italischen zuzugpflichtigen
Gemeinden den Ueberblick und die Kontrolle sich zu bewahren, genuegte die
roemische Zentralverwaltung teils durch die vier italischen Quaesturen, teils
durch die Ausdehnung der roemischen Zensur ueber die saemtlichen abhaengigen
Staedte. Die Flottenquaestoren hatten neben ihrer naechsten Aufgabe auch von den
neugewonnenen Domaenen die Einkuenfte zu erheben und die Zuzuege der neuen
Bundesgenossen zu kontrollieren; sie waren die ersten roemischen Beamten, denen
gesetzlich Sitz und Sprengel ausserhalb Rom angewiesen ward und bildeten
zwischen dem roemischen Senat und den italischen Gemeinden die notwendige
Mittelinstanz. Es hatte ferner, wie die spaetere Munizipalverfassung zeigt, in
jeder italischen ^14 Gemeinde die Oberbehoerde, wie sie immer heissen mochte,
jedes vierte oder fuenfte Jahr eine Schatzung vorzunehmen; eine Einrichtung, zu
der die Anregung notwendig von Rom ausgegangen sein muss und welche nur den
Zweck gehabt haben kann, mit der roemischen Zensur korrespondierend dem Senat
den Ueberblick ueber die Wehr- und Steuerfaehigkeit des gesamten Italiens zu
bewahren.
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^14 Nicht bloss in jeder latinischen: denn die Zensur oder die sogenannte
Quinquennalitaet kommt bekanntlich auch bei solchen Gemeinden vor, deren
Verfassung nicht nach dem latinischen Schema konstituiert ist.
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Mit dieser militaerisch-administrativen Einigung der gesamten diesseits des
Apennin bis hinab zum Iapygischen Vorgebirg und zur Meerenge von Rhegion
wohnhaften Voelkerschaften haengt endlich auch das Aufkommen eines neuen, ihnen
allen gemeinsamen Namens zusammen, der "Maenner der Toga", was die aelteste
staatsrechtliche roemische, oder der Italiker, was die urspruenglich bei den
Griechen gebraeuchliche und sodann allgemein gangbar gewordene Bezeichnung ist.
Die verschiedenen Nationen, welche diese Landschaften bewohnten, moegen wohl
zuerst sich als eine Einheit gefuehlt und zusammengefunden haben teils in dem
Gegensatz gegen die Hellenen, teils und vor allem in der gemeinschaftlichen
Abwehr der Kelten; denn mochte auch einmal eine italische Gemeinde mit diesen
gegen Rom gemeinschaftliche Sache machen und die Gelegenheit nutzen, um die
Unabhaengigkeit wiederzugewinnen, so brach doch auf die Laenge das gesunde
Nationalgefuehl notwendig sich Bahn. Wie der "gallische Acker" bis in spaete
Zeit als der rechtliche Gegensatz des italischen erscheint, so sind auch die
"Maenner der Toga" also genannt worden im Gegensatz zu den keltischen
"Hosenmaennern" (bracati); und wahrscheinlich hat selbst bei der Zentralisierung
des italischen Wehrwesens in den Haenden Roms die Abwehr der keltischen
Einfaelle sowohl als Ursache wie als Vorwand eine wichtige Rolle gespielt. Indem
die Roemer teils in dem grossen Nationalkampf an die Spitze traten, teils die
Etrusker, Latiner, Sabeller, Apuler und Hellenen innerhalb der sogleich zu
bezeichnenden Grenzen gleichmaessig noetigten, unter ihren Fahnen zu fechten,
erhielt die bis dahin schwankende und mehr innerliche Einheit geschlossene und
staatsrechtliche Festigkeit und ging der Name Italia, der urspruenglich und noch
bei den griechischen Schriftstellern des fuenften Jahrhunderts, zum Beispiel bei
Aristoteles, nur dem heutigen Kalabrien eignet, ueber auf das gesamte Land der
Togatraeger. Die aeltesten Grenzen dieser grossen von Rom gefuehrten
Wehrgenossenschaft oder des neuen Italien reichen am westlichen Litoral bis in
die Gegend von Livorno unterhalb des Arnus ^15, am oestlichen bis an den Aesis
oberhalb Ancona; die ausserhalb dieser Grenzen liegenden, von Italikern
kolonisierten Ortschaften, wie Sena gallica und Ariminum jenseits des Apennin,
Messana in Sizilien, galten, selbst wenn sie, wie Ariminum, Glieder der
Eidgenossenschaft oder sogar, wie Sena, roemische Buergergemeinden waren, doch
als geographisch ausserhalb Italien gelegen. Noch weniger konnten die keltischen
Gaue des Apennin, wenngleich vielleicht schon jetzt einzelne derselben in der
Klientel von Rom sich befanden, den Togamaennern beigezaehlt werden. Das neue
Italien war also eine politische Einheit geworden; es war aber auch im Zuge,
eine nationale zu werden. Bereits hatte die herrschende latinische Nationalitaet
die Sabiner und Volsker sich assimiliert und einzelne latinische Gemeinden ueber
ganz Italien verstreut; es war nur die Entwicklung dieser Keime, dass spaeter
einem jeden zur Tragung des latinischen Rockes Befugten auch die latinische
Sprache Muttersprache war. Dass aber die Roemer schon jetzt dieses Ziel deutlich
erkannten, zeigt die uebliche Erstreckung des latinischen Namens auf die ganze
zuzugpflichtige italische Bundesgenossenschaft ^16. Was immer von diesem
grossartigen politischen Bau sich noch erkennen laesst, daraus spricht der hohe
politische Verstand seiner namenlosen Baumeister; und die ungemeine Festigkeit,
welche diese aus so vielen und so verschiedenartigen Bestandteilen
zusammengefuegte Konfoederation spaeterhin unter den schwersten Stoessen
bewaehrt hat, drueckte ihrem grossen Werke das Siegel des Erfolges auf. Seitdem
die Faeden dieses so fein wie fest um ganz Italien geschlungenen Netzes in den
Haenden der roemischen Gemeinde zusammenliefen, war diese eine Grossmacht und
trat anstatt Tarents, Lucaniens und anderer durch die letzten Kriege aus der
Reihe der politischen Maechte geloeschter Mittel- und Kleinstaaten in das System
der Staaten des Mittelmeers ein. Gleichsam die offizielle Anerkennung seiner
neuen Stellung empfing Rom durch die beiden feierlichen Gesandtschaften, die im
Jahre 481 (273) von Alexandreia nach Rom und wieder von Rom nach Alexandreia
gingen, und wenn sie auch zunaechst nur die Handelsverbindungen regelten, doch
ohne Zweifel schon eine politische Verbuendung vorbereiteten. Wie Karthago mit
der aegyptischen Regierung um Kyrene rang und bald mit der roemischen um
Sizilien ringen sollte, so stritt Makedonien mit jener um den bestimmenden
Einfluss in Griechenland, mit dieser demnaechst um die Herrschaft der
adriatischen Kuesten; es konnte nicht fehlen, dass die neuen Kaempfe, die
allerorts sich vorbereiteten, ineinander eingriffen und dass Rom als Herrin
Italiens in den weiten Kreis hineingezogen ward, den des grossen Alexanders
Siege und Entwuerfe seinen Nachfolgern zum Tummelplatz abgesteckt hatten.
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^15 Diese aelteste Grenze bezeichnen wahrscheinlich die beiden kleinen
Ortschaften ad fines, wovon die eine noerdlich von Arezzo auf der Strasse nach
Florenz, die zweite an der Kueste unweit Livorno lag. Etwas weiter suedlich von
dem letzteren heisst Bach und Tal von Vada noch jetzt fiume della fine, valle
della fine (Targioni Tozzetti, Viaggi. Bd. 4, S. 430).
^16 Im genauen geschaeftlichen Sprachgebrauch geschieht dies freilich
nicht. Die vollstaendigste Bezeichnung der Italiker findet sich in dem
Ackergesetz von 643 (111), Zeile 21: [ceivis] Romanus sociumve nominisve Latini
quibus ex formula togatorum [milites in terra Italia imperare solent]; ebenso
wird daselbst Zeile 29 vom Latinus der peregrinus unterschieden und heisst es im
Senatsbeschluss ueber die Bacchanalien von 568 (186): ne quis ceivis Romanus
neve nominis Latini neve socium quisquam. Aber im gewoehnlichen Gebrauch wird
von diesen drei Gliedern sehr haeufig das zweite oder das dritte weggelassen und
neben den Roemern bald nur derer Latini nominis, bald nur der socii gedacht (W.
Weissenborn zu Liv. 22, 50, 6), ohne dass ein Unterschied in der Bedeutung
waere. Die Bezeichnung homines nominis Latini ac socii Italici (Sall. Iug. 40),
so korrekt sie an sich ist, ist dem offiziellen Sprachgebrauch fremd, der wohl
ein Italia, aber nicht Italici kennt.
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8. Kapitel
Recht, Religion, Kriegswesen, Volkswirtschaft, Nationalitaet
In der Entwicklung, welche waehrend dieser Epoche dem Recht innerhalb der
roemischen Gemeinde zuteil ward, ist wohl die wichtigste materielle Neuerung die
eigentuemliche Sittenkontrolle, welche die Gemeinde selbst und in
untergeordnetem Grade ihre Beauftragten anfingen, ueber die einzelnen Buerger
auszuueben. Der Keim dazu ist in dem Rechte des Beamten zu suchen, wegen
Ordnungswidrigkeiten Vermoegensbussen (multae) zu erkennen. Bei allen Bussen von
mehr als zwei Schafen und 30 Rindern, oder, nachdem durch Gemeindebeschluss vom
Jahre 324 (430) die Viehbussen in Geld umgesetzt worden waren, von mehr als 3020
Libralassen (218 Taler), kam bald nach der Vertreibung der Koenige die
Entscheidung im Wege der Provokation an die Gemeinde, und es erhielt damit das
Bruchverfahren ein urspruenglich ihm durchaus fremdes Gewicht. Unter den vagen
Begriff der Ordnungswidrigkeit liess sich alles, was man wollte, bringen und
durch die hoeheren Stufen der Vermoegensbussen alles, was man wollte, erreichen;
es war eine Milderung, die die Bedenklichkeit dieses arbitraeren Verfahrens weit
mehr offenbart als beseitigt, dass diese Vermoegensbussen, wo sie nicht
gesetzlich auf eine bestimmte Summe festgestellt waren, die Haelfte des dem
Gebuessten gehoerigen Vermoegens nicht erreichen durften. In diesen Kreis
gehoeren schon die Polizeigesetze, an denen die roemische Gemeinde seit
aeltester Zeit ueberreich war: die Bestimmungen der Zwoelf Tafeln, welche die
Salbung der Leiche durch gedungene Leute, die Mitgabe von mehr als einem Pfuhl
und mehr als drei purpurbesetzten Decken sowie von Gold und flatternden
Kraenzen, die Verwendung von bearbeitetem Holz zum Scheiterhaufen, die
Raeucherungen und Besprengungen desselben mit Weihrauch und Myrrhenwein
untersagten, die Zahl der Floetenblaeser im Leichenzug auf hoechstens zehn
beschraenkten und die Klageweiber und die Begraebnisgelage verboten -
gewissermassen das aelteste roemische Luxusgesetz; ferner die aus den
staendischen Kaempfen hervorgegangenen Gesetze gegen den Geldwucher sowohl wie
gegen Obernutzung der Gemeinweide und unverhaeltnismaessige Aneignung von
okkupablem Domanialland. Weit bedenklicher aber als diese und aehnliche
Bruchgesetze, welche doch wenigstens die Kontravention und oft auch das
Strafmass ein fuer allemal formulierten, war die allgemeine Befugnis eines jeden
mit Jurisdiktion versehenen Beamten wegen Ordnungswidrigkeit eine Busse zu
erkennen und, wenn diese das Provokationsmass erreichte und der Gebuesste sich
nicht in die Strafe fuegte, die Sache an die Gemeinde zu bringen. Schon im Laufe
des fuenften Jahrhunderts ist in diesem Wege wegen sittenlosen Lebenswandels
sowohl von Maennern wie von Frauen, wegen Kornwucher, Zauberei und aehnlicher
Dinge gleichsam kriminell verfahren worden. In innerlicher Verwandtschaft
hiermit steht die gleichfalls in dieser Zeit aufkommende Quasijurisdiktion der
Zensoren, welche ihre Befugnis, das roemische Budget und die Buergerlisten
festzustellen, benutzten, teils um von sich aus Luxussteuern aufzulegen, welche
von den Luxusstrafen nur der Form nach sich unterschieden, teils besonders um
auf die Anzeige anstoessiger Handlungen hin dem tadelhaften Buerger die
politischen Ehrenrechte zu schmaelern oder zu entziehen. Wie weit schon jetzt
diese Bevormundung ging, zeigt, dass solche Strafen wegen nachlaessiger
Bestellung des eigenen Ackers verhaengt wurden, ja dass ein Mann wie Publius
Cornelius Rufmus (Konsul 464, 477 290, 277) von den Zensoren des Jahres 479
(275) aus dem Ratsherrenverzeichnis gestrichen ward, weil er silbernes
Tafelgeraet zum Werte von 3360 Sesterzen (240 Taler) besass. Allerdings hatten
nach der allgemein fuer Beamtenverordnungen gueltigen Regel die Verfuegungen der
Zensoren nur fuer die Dauer ihrer Zensur, das heisst durchgaengig fuer die
naechsten fuenf Jahre rechtliche Kraft, und konnten von den naechsten Zensoren
nach Gefallen erneuert oder nicht erneuert werden; aber nichtsdestoweniger war
diese zensorische Befugnis von einer so ungeheuren Bedeutung, dass infolge
dessen die Zensur aus einem Unteramt an Rang und Ansehen von allen roemischen
Gemeindeaemtern das erste ward. Das Senatsregiment ruhte wesentlich auf dieser
doppelten, mit ebenso ausgedehnter wie arbitraerer Machtvollkommenheit
versehenen Ober- und Unterpolizei der Gemeinde und der Gemeindebeamten. Dieselbe
hat wie jedes aehnliche Willkuerregiment viel genuetzt und viel geschadet, und
es soll dem nicht widersprochen werden, der den Schaden fuer ueberwiegend haelt;
nur darf es nicht vergessen werden, dass bei der allerdings aeusserlichen, aber
straffen und energischen Sittlichkeit und dem gewaltig angefachten Buergersinn,
welche diese Zeit recht eigentlich bezeichnen, der eigentlich gemeine Missbrauch
doch von diesen Institutionen fern blieb und, wenn die individuelle Freiheit
hauptsaechlich durch sie niedergehalten worden ist, auch die gewaltige und oft
gewaltsame Aufrechthaltung des Gemeinsinns und der guten alten Ordnung und Sitte
in der roemischen Gemeinde eben auf diesen Institutionen beruhen.
Daneben macht in der roemischen Rechtsentwicklung zwar langsam, aber
dennoch deutlich genug eine humanisierende und modernisierende Tendenz sich
geltend. Die meisten Bestimmungen der Zwoelf Tafeln, welche mit dem Solonischen
Gesetz uebereinkommen und deshalb mit Grund fuer materielle Neuerungen gehalten
werden duerfen, tragen diesen Stempel; so die Sicherung des freien
Assoziationsrechts und der Autonomie der also entstandenen Vereine; die
Vorschrift ueber die Grenzstreifen, die dem Abpfluegen wehrte; die Milderung der
Strafe des Diebstahls, indem der nicht auf frischer Tat ertappte Dieb sich
fortan durch Leistung des doppelten Ersatzes von dem Bestohlenen loesen konnte.
Das Schuldrecht ward in aehnlichem Sinn, jedoch erst ueber ein Jahrhundert
nachher, durch das Poetelische Gesetz gemildert. Die freie Bestimmung ueber das
Vermoegen, die dem Herrn desselben bei Lebzeiten schon nach aeltestem roemischen
Recht zugestanden hatte, aber fuer den Todesfall bisher geknuepft gewesen war an
die Einwilligung der Gemeinde, wurde auch von dieser Schranke befreit, indem das
Zwoelftafelgesetz oder dessen Interpretation dem Privattestament dieselbe Kraft
beilegte, welche dem von den Kurien bestaetigten zukam; es war dies ein
wichtiger Schritt zur Sprengung der Geschlechtsgenossenschaften und zur
voelligen Durchfuehrung der Individualfreiheit im Vermoegensrecht. Die furchtbar
absolute vaeterliche Gewalt wurde beschraenkt durch die Vorschrift, dass der
dreimal vom Vater verkaufte Sohn nicht mehr in dessen Gewalt zurueckfallen,
sondern fortan frei sein solle; woran bald durch eine - streng genommen freilich
widersinnige - Rechtsdeduktion die Moeglichkeit angeknuepft ward, dass sich der
Vater freiwillig der Herrschaft ueber den Sohn begebe durch Emanzipation. Im
Eherecht wurde die Zivilehe gestattet; und wenn auch mit der rechten
buergerlichen ebenso notwendig wie mit der rechten religioesen die volle
eheherrliche Gewalt verknuepft war, so lag doch in der Zulassung der ohne solche
Gewalt geschlossenen Verbindung an Ehestatt der erste Anfang zur Lockerung der
Vollgewalt des Eheherrn. Der Anfang einer gesetzlichen Noetigung zum ehelichen
Leben ist die Hagestolzensteuer (aes uxorium), mit deren Einfuehrung Camillus
als Zensor im Jahre 351 (403) seine oeffentliche Laufbahn begann.
Durchgreifendere Aenderungen als das Recht selbst erlitt die politisch
wichtigere und ueberhaupt veraenderlichere Rechtspflegeordnung. Vor allen Dingen
gehoert dahin die wichtige Beschraenkung der oberrichterlichen Gewalt durch die
gesetzliche Aufzeichnung des Landrechts und die Verpflichtung des Beamten,
fortan nicht mehr nach dem schwankenden Herkommen, sondern nach dem
geschriebenen Buchstaben im Zivil- wie im Kriminalverfahren zu entscheiden (303,
304 451, 450). Die Einsetzung eines ausschliesslich fuer die Rechtspflege
taetigen roemischen Oberbeamten im Jahre 387 (367) und die gleichzeitig in Rom
erfolgte und unter Roms Einfluss in allen latinischen Gemeinden nachgeahmte
Gruendung einer besonderen Polizeibehoerde erhoehten die Schnelligkeit und
Sicherheit der Justiz. Diesen Polizeiherren oder den Aedilen kam natuerlich
zugleich eine gewisse Jurisdiktion zu, insofern sie teils fuer die auf offenem
Markt abgeschlossenen Verkaeufe, also namentlich fuer die Vieh- und
Sklavenmaerkte die ordentlichen Zivilrichter waren, teils in der Regel sie es
waren, welche in dem Buss- und Bruechverfahren als Richter erster Instanz oder,
was nach roemischem Recht dasselbe ist, als oeffentliche Anklaeger fungierten.
Infolgedessen lag die Handhabung der Bruechgesetze und ueberhaupt das ebenso
unbestimmte wie politisch wichtige Bruechrecht hauptsaechlich in ihrer Hand.
Aehnliche, aber untergeordnetere und besonders gegen die geringen Leute
gerichtete Funktionen standen den zuerst 465 (289) ernannten drei Nacht- oder
Blutherren (tres viri nocturni oder capitales) zu: sie wurden mit der
naechtlichen Feuer- und Sicherheitspolizei und mit der Aufsicht ueber die
Hinrichtungen beauftragt, woran sich sehr bald, vielleicht schon von Haus aus
eine gewisse summarische Gerichtsbarkeit geknuepft hat ^1. Mit der steigenden
Ausdehnung der roemischen Gemeinde wurde es endlich, teils mit Ruecksicht auf
die Gerichtspflichtigen, notwendig in den entfernteren Ortschaften eigene,
wenigstens fuer die geringeren Zivilsachen kompetente Richter niederzusetzen,
was fuer die Passivbuergergemeinden Regel war, aber vielleicht selbst auf die
entfernteren Vollbuergergemeinden erstreckt ward ^2 - die ersten Anfaenge einer
neben der eigentlich roemischen sich entwickelnden roemisch-munizipalen
Jurisdiktion.
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^1 Die frueher aufgestellte Behauptung, dass diese Dreiherren bereits der
aeltesten Zeit angehoeren, ist deswegen irrig, weil der aeltesten Staatsordnung
Beamtenkollegien von ungerader Zahl fremd sind (Roemische Chronologie bis auf
Caesar. z. Aufl. Berlin 1859, S. 15, A. 12). Wahrscheinlich ist die gut
beglaubigte Nachricht, dass sie zuerst 465 (289) ernannt wurden (Liv. ep. 11),
einfach festzuhalten und die auch sonst bedenkliche Deduktion des Faelschers
Licinius Macer (bei Liv. 7, 46), welche ihrer vor 450 (304) Erwaehnung tut,
einfach zu verwerfen. Anfaenglich wurden ohne Zweifel, wie dies bei den meisten
der spaeteren magistratus minores der Fall gewesen ist, die Dreiherren von den
Oberbeamten ernannt; das papirische Plebiszit, das die Ernennung derselben auf
die Gemeinde uebertrug (Festus v. sacramentum p. 344 M.), ist auf jeden Fall, da
es den Praetor nennt, qui inter civis ius dicit, erst nach Einsetzung der
Fremdenpraetur, also fruehestens gegen die Mitte des 6. Jahrhunderts erlassen.
^2 Dahin fuehrt, was Liv. 9, 20 ueber die Reorganisation der Kolonie Antium
zwanzig Jahre nach ihrer Gruendung berichtet; und es ist an sich klar, dass wenn
man dem Ostienser recht wohl auferlegen konnte, seine Rechtshaendel alle in Rom
abzumachen, dies fuer Ortschaften wie Antium und Sena sich nicht durchfuehren
liess.
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In dem Zivilverfahren, welches indes nach den Begriffen dieser Zeit die
meisten gegen Mitbuerger begangenen Verbrechen einschloss, wurde die wohl schon
frueher uebliche Teilung des Verfahrens in Feststellung der Rechtsfrage vor dem
Magistrat (ius) und Entscheidung derselben durch einen vom Magistrat ernannten
Privatmann (iudicium) mit Abschaffung des Koenigtums gesetzliche Vorschrift; und
dieser Trennung hat das roemische Privatrecht seine logische und praktische
Schaerfe und Bestimmtheit wesentlich zu verdanken ^3. Im Eigentumsprozess wurde
die bisher der unbedingten Willkuer der Beamten anheimgegebene Entscheidung
ueber den Besitzstand allmaehlich rechtlichen Regeln unterworfen und neben dem
Eigentums- das Besitzrecht entwickelt, wodurch abermals die Magistratsgewalt
einen wichtigen Teil ihrer Macht einbuesste. Im Kriminalverfahren wurde das
Volksgericht, die bisherige Gnaden- zur rechtlich gesicherten
Appellationsinstanz. War der Angeklagte nach Verhoerung (quaestio) von dem
Beamten verurteilt und berief sich auf die Buergerschaft, so schritt der
Magistrat vor dieser zu dem Weiterverhoer (anquisitio), und wenn er nach
dreimaliger Verhandlung vor der Gemeinde seinen Spruch wiederholt hatte, wurde
im vierten Termin das Urteil von der Buergerschaft bestaetigt oder verworfen.
Milderung war nicht gestattet. Denselben republikanischen Sinn atmen die Saetze,
dass das Haus den Buerger schuetze und nur ausserhalb des Hauses eine Verhaftung
stattfinden koenne; dass die Untersuchungshaft zu vermeiden und es jedem
angeklagten und noch nicht verurteilten Buerger zu gestatten sei, durch Verzicht
auf sein Buergerrecht den Folgen der Verurteilung, soweit sie nicht das
Vermoegen, sondern die Person betrafen, sich zu entziehen - Saetze, die
allerdings keineswegs gesetzlich formuliert wurden und den anklagenden Beamten
also nicht rechtlich banden, aber doch durch ihren moralischen Druck namentlich
fuer die Beschraenkung der Todesstrafe von dem groessten Einfluss gewesen sind.
Indes wenn das roemische Kriminalrecht fuer den starken Buergersinn wie fuer die
steigende Humanitaet dieser Epoche ein merkwuerdiges Zeugnis ablegt, so litt es
dagegen praktisch namentlich unter den hier besonders schaedlich nachwirkenden
staendischen Kaempfen. Die aus diesen hervorgegangene konkurrierende
Kriminaljurisdiktion erster Instanz der saemtlichen Gemeindebeamten war die
Ursache, dass es in dem roemischen Kriminalverfahren eine feste
Instruktionsbehoerde und eine ernsthafte Voruntersuchung fortan nicht mehr gab;
und indem das Kriminalurteil letzter Instanz in den Formen und von den Organen
der Gesetzgebung gefunden ward, auch seinen Ursprung aus dem Gnadenverfahren
niemals verleugnete, ueberdies noch die Behandlung der polizeilichen Bussen auf
das aeusserlich sehr aehnliche Kriminalverfahren nachteilig zurueckwirkte, wurde
nicht etwa missbraeuchlich, sondern gewissermassen verfassungsmaessig die
Entscheidung in den Kriminalsachen nicht nach festem Gesetz, sondern nach dem
willkuerlichen Belieben der Richter gefaellt. Auf diesem Wege ward das roemische
Kriminalverfahren vollstaendig grundsatzlos und zum Spielball und Werkzeug der
politischen Parteien herabgewuerdigt; was um so weniger entschuldigt werden
kann, als dies Verfahren zwar vorzugsweise fuer eigentliche politische
Verbrechen, aber doch auch fuer andere, zum Beispiel fuer Mord und Brandstiftung
zur Anwendung kam. Dazu kam die Schwerfaelligkeit jenes Verfahrens, welche im
Verein mit der republikanisch hochmuetigen Verachtung des Nichtbuergers es
verschuldet hat, dass man sich immer mehr gewoehnte, ein summarisches Kriminal-
oder vielmehr Polizeiverfahren gegen Sklaven und geringe Leute neben jenem
foermlichen zu dulden. Auch hier ueberschritt der leidenschaftliche Streit um
die politischen Prozesse die natuerlichen Grenzen und fuehrte Institutionen
herbei, die wesentlich dazu beigetragen haben, die Roemer allmaehlich der Idee
einer festen sittlichen Rechtsordnung zu entwoehnen.
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^3 Man pflegt die Roemer als das zur Jurisprudenz privilegierte Volk zu
preisen und ihr vortreffliches Recht als eine mystische Gabe des Himmels
anzustaunen; vermutlich besonders, um sich die Scham zu ersparen ueber die
Nichtswuerdigkeit des eigenen Rechtszustandes. Ein Blick auf das beispiellos
schwankende und unentwickelte roemische Kriminalrecht koennte von der
Unhaltbarkeit dieser unklaren Vorstellungen auch diejenigen ueberzeugen, denen
der Satz zu einfach scheinen moechte, dass ein gesundes Volk ein gesundes Recht
hat und ein krankes ein krankes. Abgesehen von allgemeineren staatlichen
Verhaeltnissen, von welchen die Jurisprudenz eben auch und sie vor allem
abhaengt, liegen die Ursachen der Trefflichkeit des roemischen Zivilrechts
hauptsaechlich in zwei Dingen: einmal darin, dass der Klaeger und der Beklagte
gezwungen wurden, vor allen Dingen die Forderung und ebenso die Einwendung in
bindender Weise zu motivieren und zu formulieren; zweitens darin, dass man fuer
die gesetzliche Fortbildung des Rechtes ein staendiges Organ bestellte und dies
an die Praxis unmittelbar anknuepfte. Mit jenem schnitten die Roemer die
advokatische Rabulisterei, mit diesem die unfaehige Gesetzmacherei ab, soweit
sich dergleichen abschneiden laesst, und mit beiden zusammen genuegten sie,
soweit es moeglich ist, den zwei entgegenstehenden Forderungen, dass das Recht
stets fest und dass es stets zeitgemaess sein soll.
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Weniger sind wir imstande, die Weiterbildung der roemischen
Religionsvorstellungen in dieser Epoche zu verfolgen. Im allgemeinen hielt man
einfach fest an der einfachen Froemmigkeit der Ahnen und den Aber- wie den
Unglauben in gleicher Weise fern. Wie lebendig die Idee der Vergeistigung alles
Irdischen, auf der die roemische Religion beruhte, noch am Ende dieser Epoche
war, beweist der vermutlich doch erst infolge der Einfuehrung des Silbercourants
im Jahre 485 (269) neu entstandene Gott "Silberich" (Argentinus), der
natuerlicherweise des aelteren Gottes "Kupferich" (Aesculanus) Sohn war.
Die Beziehungen zum Ausland sind dieselben wie frueher; aber auch hier und
hier vor allem ist der hellenische Einfluss im Steigen. Erst jetzt beginnen den
hellenischen Goettern in Rom selber sich Tempel zu erheben. Der aelteste war der
Tempel der Kastoren, welcher in der Schlacht am Regillischen See gelobt und am
15. Juli 269 (485) eingeweiht sein soll. Die Sage, welche an denselben sich
knuepft, dass zwei uebermenschlich schoene und grosse Juenglinge auf dem
Schlachtfelde in den Reihen der Roemer mitkaempfend und unmittelbar nach der
Schlacht ihre schweisstriefenden Rosse auf dem roemischen Markt am Quell der
Juturna traenkend und den grossen Sieg verkuendend gesehen worden seien, traegt
ein durchaus unroemisches Gepraege und ist ohne allen Zweifel der bis in die
Einzelheiten gleichartigen Epiphanie der Dioskuren in der beruehmten, etwa ein
Jahrhundert vorher zwischen den Krotoniaten und den Lokrern am Flusse Sagras
geschlagenen Schlacht in sehr frueher Zeit nachgedichtet. Auch der delphische
Apoll wird nicht bloss beschickt, wie es ueblich ist, bei allen unter dem
Einfluss griechischer Kultur stehenden Voelkern, und nicht bloss nach besonderen
Erfolgen, wie nach der Eroberung von Veii, mit dem Zehnten der Beute (360 394)
beschenkt, sondern es wird auch ihm ein Tempelinder Stadt gebaut (323 431,
erneuert 401 353). Dasselbe geschah gegen das Ende dieser Periode fuer die
Aphrodite (459 295), welche in raetselhafter Weise mit der alten roemischen
Gartengoettin Venus zusammenfloss ^4, und fuer den von Epidauros im Peloponnes
erbetenen und feierlich nach Rom gefuehrten Asklapios oder Aesculapius (463
291). Einzeln wird in schweren Zeitlaeuften Klage vernommen ueber das Eindringen
auslaendischen Aberglaubens, vermutlich etruskischer Haruspizes (so 326 428); wo
aber dann die Polizei nicht ermangelt, ein billiges Einsehen zu tun.
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^4 In der spaeteren Bedeutung als Aphrodite erscheint die Venus wohl zuerst
bei der Dedikation des in diesem Jahre geweihten Tempels (Liv. 10, 31; W. A.
Becker, Topographie der Stadt Rom [Becker, Handbuch, 1]. Leipzig 1843, S. 472).
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In Etrurien dagegen wird, waehrend die Nation in politischer Nichtigkeit
und traeger Opulenz stockte und verdarb, das theologische Monopol des Adels, der
stumpfsinnige Fatalismus, die wueste und sinnlose Mystik, die Zeichendeuterei
und das Bettelprophetenwesen sich allmaehlich zu jener Hoehe entwickelt haben,
auf der wir sie spaeter dort finden.
In dem Priesterwesen traten unseres Wissens durchgreifende Veraenderungen
nicht ein. Die verschaerfte Einziehung, welche fuer die zur Bestreitung der
Kosten des oeffentlichen Gottesdienstes angewiesenen Prozessbussen um das Jahr
465 (289) verfuegt wurde, deutet auf das Steigen des sakralen Staatsbudgets, wie
es die vermehrte Zahl der Staatsgoetter und Tempel mit Notwendigkeit mit sich
brachte. Unter den ueblen Folgen des Staendehaders ist es schon angefuehrt
worden, dass man den Kollegien der Sachverstaendigen einen unstatthaften
Einfluss einzuraeumen begann und sich ihrer bediente, um politische Akte zu
kassieren, wodurch teils der Glaube im Volke erschuettert, teils den Pfaffen ein
sehr schaedlicher Einfluss auf die oeffentlichen Geschaefte zugestanden ward.
Im Kriegswesen trat in dieser Epoche eine vollstaendige Revolution ein. Die
uralte graecoitalische Heerordnung, welche gleich der homerischen auf der
Aussonderung der angesehensten und tuechtigsten, in der Regel zu Pferde
fechtenden Kriegsleute zu einem eigenen Vordertreffen beruht haben mag, war in
der spaeteren Koenigszeit durch die legio, die altdorische Hoplitenphalanx von
wahrscheinlich acht Gliedern Tiefe ersetzt worden, welche fortan das
Schwergewicht des Kampfes uebernahm, waehrend die Reiter auf die Fluegel
gestellt und, je nach den Umstaenden zu Pferde oder abgesessen, hauptsaechlich
als Reserve verwandt wurden. Aus dieser Herstellung entwickelte sich ungefaehr
gleichzeitig in Makedonien die Sarissenphalanx und in Italien die
Manipularordnung, jene durch Verdichtung und Vertiefung, diese durch Aufloesung
und Vermannigfaltigung der Glieder, zunaechst durch die Teilung der alten legio
von 8400 in zwei legiones von je 4200 Mann. Die alte dorische Phalanx hatte
durchaus auf dem Nahgefecht mit dem Schwert und vor allem dem Spiess beruht und
den Wurfwaffen nur eine beilaeufige und untergeordnete Stellung im Treffen
eingeraeumt. In der Manipularlegion wurde die Stosslanze auf das dritte Treffen
beschraenkt und den beiden ersten anstatt derselben eine neue und eigentuemlich
italische Wurfwaffe gegeben, das Pilum, ein fuenftehalb Ellen langes viereckiges
oder rundes Holz mit drei- oder vierkantiger eiserner Spitze, das vielleicht
urspruenglich zur Verteidigung der Lagerwaelle erfunden worden war, aber bald
von dem letzten auf die ersten Glieder ueberging und von dem vorrueckenden
Gliede auf eine Entfernung von zehn bis zwanzig Schritten in die feindlichen
Reihen geworfen ward. Zugleich gewann das Schwert eine bei weitem groessere
Bedeutung als das kurze Messer der Phalangiten hatte haben koennen; denn die
Wurfspeersalve war zunaechst nur bestimmt, dem Angriff mit dem Schwert die Bahn
zu brechen. Wenn ferner die Phalanx, gleichsam eine einzige gewaltige Lanze, auf
einmal auf den Feind geworfen werden musste, so wurden in der neuen italischen
Legion die kleineren, im Phalangensystem wohl auch vorhandenen, aber in der
Schlachtordnung unaufloeslich fest verknuepften Einheiten taktisch voneinander
gesondert. Das geschlossene Quadrat teilte sich nicht bloss, wie gesagt, in zwei
gleich starke Haelften, sondern jede von diesen trat weiter in der Tiefrichtung
auseinander in drei Treffen, das der Hastaten, das der Principes und das der
Triarier, von ermaessigter, wahrscheinlich in der Regel nur vier Glieder
betragender Tiefe und loeste in der Frontrichtung sich auf in je zehn Haufen
(manipuli), so dass zwischen je zwei Treffen und je zwei Haufen ein merklicher
Zwischenraum blieb. Es war nur eine Fortsetzung derselben Individualisierung,
wenn der Gesamtkampf auch der verkleinerten taktischen Einheit zurueck- und der
Einzelkampf in den Vordergrund trat, wie dies aus der schon erwaehnten
entscheidenden Rolle des Handgemenges und Schwertgefechtes deutlich hervorgeht.
Eigentuemlich entwickelte sich auch das System der Lagerverschanzung; der Platz,
wo der Heerhaufe wenn auch nur fuer eine einzige Nacht sein Lager nahm, ward
ohne Ausnahme mit einer regelmaessigen Umwallung versehen und gleichsam in eine
Festung umgeschaffen. Wenig aenderte sich dagegen in der Reiterei, die auch in
der Manipularlegion die sekundaere Rolle behielt, welche sie neben der Phalanx
eingenommen hatte. Auch das Offiziersystem blieb in der Hauptsache ungeaendert;
nur wurden jetzt jeder der zwei Legionen des regelmaessigen Heeres ebenso viele
Kriegstribune vorgesetzt, wie sie bisher das gesamte Heer befehligt hatten, also
die Zahl der Stabsoffiziere verdoppelt. Es duerfte auch in dieser Zeit sich die
scharfe Grenze festgestellt haben zwischen den Subalternoffizieren, welche sich
ihren Platz an der Spitze der Manipel als Gemeine mit dem Schwerte zu gewinnen
hatten und in regelmaessigem Avancement von den niederen in die hoeheren Manipel
uebergingen, und den je sechs und sechs den ganzen Legionen vorgesetzten
Kriegstribunen, fuer welche es kein regelmaessiges Avancement gab und zu denen
man gewoehnlich Maenner aus der besseren Klasse nahm. Namentlich muss es dafuer
von Bedeutung geworden sein, dass, waehrend frueher die Subaltern- wie die
Stabsoffiziere gleichmaessig vom Feldherrn ernannt wurden, seit dem Jahre 392
(362) ein Teil der letzteren Posten durch Buergerschaftswahl vergeben ward.
Endlich blieb auch die alte, furchtbar strenge Kriegszucht unveraendert. Nach
wie vor war es dem Feldherrn gestattet, jedem in seinem Lager dienenden Mann den
Kopf vor die Fuesse zu legen und den Stabsoffizier so gut wie den gemeinen
Soldaten mit Ruten auszuhauen; auch wurden dergleichen Strafen nicht bloss wegen
gemeiner Verbrechen erkannt, sondern ebenso, wenn sich ein Offizier gestattet
hatte, von dem erteilten Befehle abzuweichen, oder wenn eine Abteilung sich
hatte ueberrumpeln lassen oder vom Schlachtfeld gewichen war. Dagegen bedingt
die neue Heerordnung eine weit ernstere und laengere militaerische Schule als
die bisherige phalangitische, worin das Schwergewicht der Masse auch die
Ungeuebten zusammenhielt. Wenn dennoch kein eigener Soldatenstand sich
entwickelte, sondern das Heer nach wie vor Buergerheer blieb, so ward dies
hauptsaechlich dadurch erreicht, dass man die bisherige Gliederung der Soldaten
nach dem Vermoegen aufgab und sie nach dem Dienstalter ordnete. Der roemische
Rekrut trat jetzt ein unter die leichtbewaffneten, ausserhalb der Linie
besonders mit Steinschleudern fechtenden "Sprenkler" (rorarii) und avancierte
aus diesem allmaehlich in das erste und weiter in das zweite Treffen, bis
endlich die langgedienten und erfahrenen Soldaten in dem an Zahl schwaechsten,
aber in dem ganzen Heer Ton und Geist angebenden Triarierkorps sich
zusammenfanden.
Die Vortrefflichkeit dieser Kriegsordnung, welche die naechste Ursache der
ueberlegenen politischen Stellung der roemischen Gemeinde geworden ist, beruht
wesentlich auf den drei grossen militaerischen Prinzipien der Reserve, der
Verbindung des Nah- und Ferngefechts und der Verbindung von Offensive und
Defensive. Das Reservesystem war schon in der aelteren Verwendung der Reiterei
angedeutet, hier aber durch die Gliederung des Heeres in drei Treffen und die
Aufsparung der Veteranenkernschar fuer den letzten und entscheidenden Stoss
vollstaendig entwickelt. Wenn die hellenische Phalanx den Nahkampf, die
orientalischen mit Bogen und leichten Wurfspeeren bewaffneten Reitergeschwader
den Fernkampf einseitig ausgebildet hatten, so wurde durch die roemische
Verbindung des schweren Wurfspiesses mit dem Schwerte, wie mit Recht gesagt
worden ist, ein aehnlicher Erfolg erreicht wie in der modernen Kriegfuehrung
durch die Einfuehrung der Bajonettflinte; es arbeitete die Wurfspeersalve dem
Schwertkampf genau in derselben Weise vor wie jetzt die Gewehrsalve dem Angriff
mit dem Bajonett. Endlich das ausgebildete Lagersystem gestattete es den
Roemern, die Vorteile des Belagerungs- und des Offensivkrieges miteinander zu
verbinden und die Schlacht je nach Umstaenden zu verweigern oder zu liefern, und
im letzteren Fall sie unter den Lagerwaellen gleichwie unter den Mauern einer
Festung zu schlagen - der Roemer, sagt ein roemisches Sprichwort, siegt durch
Stillsitzen.
Dass diese neue Kriegsordnung im wesentlichen eine roemische oder
wenigstens italische Um- und Fortbildung der alten hellenischen Phalangentaktik
ist, leuchtet ein; wenn gewisse Anfaenge des Reservesystems und der
Individualisierung der kleineren Heerabteilungen schon bei den spaeteren
griechischen Strategen, namentlich bei Xenophon begegnen, so folgt daraus nur,
dass man die Mangelhaftigkeit des alten Systems auch hier empfunden, aber doch
nicht vermocht hat, sie zu beseitigen. Vollstaendig entwickelt erscheint die
Manipularlegion im Pyrrhischen Kriege; wann und unter welchen Umstaenden und ob
sie auf einmal oder nach und nach entstanden ist, laesst sich nicht mehr
nachweisen. Die erste von der aelteren italisch-hellenischen gruendlich
verschiedene Taktik, die den Roemern gegenuebertrat, war die keltische
Schwerterphalanx; es ist nicht unmoeglich, dass man durch die Gliederung der
Armee und die Frontalintervalle der Manipel ihren ersten und allein
gefaehrlichen Stoss abwehren wollte und abgewehrt hat; und damit stimmt es
zusammen, wenn in manchen einzelnen Notizen der bedeutendste roemische Feldherr
der Gallierzeit, Marcus Furius Camillus, als Reformator des roemischen
Kriegswesens erscheint. Die weiteren an den Samnitischen und Pyrrhischen Krieg
anknuepfenden Ueberlieferungen sind weder hinreichend beglaubigt noch mit
Sicherheit einzureihen ^5; so wahrscheinlich es auch an sich ist, dass der
langjaehrige samnitische Bergkrieg auf die individuelle Entwicklung des
roemischen Soldaten, und der Kampf gegen einen der ersten Kriegskuenstler aus
der Schule des grossen Alexander auf die Verbesserung des Technischen im
roemischen Heerwesen nachhaltig eingewirkt hat.
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^5 Nach der roemischen Tradition fuehrten die Roemer urspruenglich
viereckige Schilde; worauf sie von den Etruskern den runden Hoplitenschild
(clupeus, aspis)von den Samniten den spaeteren viereckigen Schild (scutum,
thyreos) und den Wurfspeer (veru) entlehnten (Diodor. Vat. fr. p. 54; Sall.
Catil. 51, 38; Verg. Aen. 7, 665; Fest. v. Samnites p. 327 Mueller und die bei
Marquardt, Handbuch, Bd. 3, 2, S. 241 angefuehrten). Allein dass der
Hoplitenschild, das heisst die dorische Phalangentaktik nicht den Etruskern,
sondern den Hellenen unmittelbar nachgeahmt ward, darf als ausgemacht gelten.
Was das Scutum anlangt, so wird dieser grosse zylinderfoermig gewoelbte
Lederschild allerdings wohl an die Stelle des platten kupfernen Clupeus getreten
sein, als die Phalanx in Manipel auseinandertrat; allein die unzweifelhafte
Herleitung des Wortes aus dem Griechischen macht misstrauisch gegen die
Herleitung der Sache von den Samniten. Von den Griechen kam den Roemern auch die
Schleuder (funda aus sphendon/e/, wie fides aus sphid/e/, oben). Das Pilum gilt
den Alten durchaus als roemische Erfindung.
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In der Volkswirtschaft war und blieb der Ackerbau die soziale und
politische Grundlage sowohl der roemischen Gemeinde als des neuen italischen
Staates. Aus den roemischen Bauern bestand die Gemeindeversammlung und das Heer;
was sie als Soldaten mit dem Schwerte gewonnen hatten, sicherten sie als
Kolonisten mit dem Pfluge. Die Ueberschuldung des mittleren Grundbesitzes
fuehrte die furchtbaren inneren Krisen des dritten und vierten Jahrhunderts
herbei, an denen die junge Republik zugrunde gehen zu muessen schien; die
Wiedererhebung der latinischen Bauernschaft, welche waehrend des fuenften teils
durch die massenhaften Landanweisungen und Inkorporationen, teils durch das
Sinken des Zinsfusses und die steigende Volksmenge Roms bewirkt ward, war
zugleich Wirkung und Ursache der gewaltigen Machtentwicklung Roms - wohl
erkannte Pyrrhos' scharfer Soldatenblick die Ursache des politischen und
militaerischen Uebergewichts der Roemer in dem bluehenden Zustande der
roemischen Bauernwirtschaften. Aber auch das Aufkommen der Grosswirtschaft in
dem roemischen Ackerbau scheint in diese Zeit zu fallen. In der aelteren Zeit
gab es wohl auch schon einen - wenigstens verhaeltnismaessig - grossen
Grundbesitz; aber dessen Bewirtschaftung war keine Gross-, sondern nur eine
vervielfaeltigte Kleinwirtschaft (I, 204). Dagegen darf die mit der aelteren
Wirtschaftsweise zwar nicht unvereinbare, aber doch der spaeteren bei weitem
angemessenere Bestimmung des Gesetzes vom Jahre 387 (367), dass der
Grundbesitzer neben den Sklaven eine verhaeltnismaessige Zahl freier Leute zu
verwenden verbunden sei, wohl als die aelteste Spur der spaeteren
zentralisierten Gutswirtschaft angesehen werden ^6; und es ist bemerkenswert,
dass gleich hier bei ihrem ersten Vorkommen dieselbe wesentlich auf dem
Sklavenhalten ruht. Wie sie aufkam, muss dahingestellt bleiben; moeglich ist es,
dass die karthagischen Pflanzungen auf Sizilien schon den aeltesten roemischen
Gutsbesitzern als Muster gedient haben und vielleicht steht selbst das Aufkommen
des Weizens in der Landwirtschaft neben dem Spelt, das Varro um die Zeit der
Dezemvirn setzt, mit dieser veraenderten Wirtschaftsweise in Zusammenhang. Noch
weniger laesst sich ermitteln, wie weit diese Wirtschaftsweise schon in dieser
Epoche um sich gegriffen hat; nur daran, dass sie noch nicht Regel gewesen sein
und den italischen Bauernstand noch nicht absorbiert haben kann, laesst die
Geschichte des Hannibalischen Krieges keinen Zweifel. Wo sie aber aufkam,
vernichtete sie die aeltere, auf dem Bittbesitz beruhende Klientel; aehnlich wie
die heutige Gutswirtschaft grossenteils durch Niederlegung der Bauernstellen und
Verwandlung der Hufen in Hoffeld entstanden ist. Es ist keinem Zweifel
unterworfen, dass zu der Bedraengnis des kleinen Ackerbauernstandes eben das
Einschraenken dieser Ackerklientel hoechst wesentlich mitgewirkt hat.
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^6 Auch Varro (rust. 1, 2, 9) denkt sich den Urheber des Licinischen
Ackergesetzes offenbar als Selbstbewirtschafter seiner ausgedehnten Laendereien;
obgleich uebrigens die Anekdote leicht erfunden sein kann, um den Beinamen zu
erklaeren.
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Ueber den inneren Verkehr der Italiker untereinander sind die schriftlichen
Quellen stumm; einigen Aufschluss geben lediglich die Muenzen. Dass in Italien,
von den griechischen Staedten und dem etruskischen Populonia abgesehen, waehrend
der ersten drei Jahrhunderte Roms nicht gemuenzt ward und als Tauschmaterial
anfangs das Vieh, spaeter Kupfer nach dem Gewicht diente, wurde schon gesagt. In
die gegenwaertige Epoche faellt der Uebergang der Italiker vom Tausch- zum
Geldsystem, wobei man natuerlich zunaechst auf griechische Muster sich
hingewiesen sah. Es lag indes in den Verhaeltnissen, dass in Mittelitalien statt
des Silbers das Kupfer zum Muenzmetall ward und die Muenzeinheit sich zunaechst
anlehnte an die bisherige Werteinheit, das Kupferpfund; womit es zusammenhaengt,
dass man die Muenzen goss, statt sie zu praegen, denn kein Stempel haette
ausgereicht fuer so grosse und schwere Stuecke. Doch scheint von Haus aus
zwischen Kupfer und Silber ein festes Gleichungsverhaeltnis (250 : 1) normiert
und die Kupfermuenze mit Ruecksicht darauf ausgebracht worden zu sein, so dass
zum Beispiel in Rom das grosse Kupferstueck, der As, dem Werte nach einem
Skrupel (= 1/288 Pfund) Silber gleichkam. Geschichtlich bemerkenswerter ist es,
dass die Muenze in Italien hoechst wahrscheinlich von Rom ausgegangen ist und
zwar eben von den Dezemvirn, die in der Solonischen Gesetzgebung das Vorbild
auch zur Regulierung des Muenzwesens fanden, und dass sie von Rom aus sich
verbreitete ueber eine Anzahl latinischer, etruskischer, umbrischer und
ostitalischer Gemeinden; zum deutlichen Beweise der ueberlegenen Stellung, die
Rom schon seit dem Anfang des vierten Jahrhunderts in Italien behauptete. Wie
alle diese Gemeinden formell unabhaengig nebeneinander standen, war gesetzlich
auch der Muenzfuss durchaus oertlich und jedes Stadtgebiet ein eigenes
Muenzgebiet; indes lassen sich doch die mittel- und norditalischen
Kupfermuenzfuesse in drei Gruppen zusammenfassen, innerhalb welcher man die
Muenzen im gemeinen Verkehr als gleichartig behandelt zu haben scheint. Es sind
dies teils die Muenzen der noerdlich vom Ciminischen Walde gelegenen
etruskischen und der umbrischen Staedte, teils die Muenzen von Rom und Latium,
teils die des oestlichen Litorals. Dass die roemischen Muenzen mit dem Silber
nach dem Gewicht geglichen waren, ist schon bemerkt worden: diejenigen der
italischen Ostkueste finden wir dagegen in ein bestimmtes Verhaeltnis gesetzt zu
den Silbermuenzen, die im suedlichen Italien seit alter Zeit gangbar waren und
deren Fuss sich auch die italischen Einwanderer, zum Beispiel die Brettier,
Lucaner, Nolaner, ja die latinischen Kolonien daselbst wie Cales und Suessa und
sogar die Roemer selbst fuer ihre unteritalischen Besitzungen aneigneten. Danach
wird auch der italische Binnenhandel in dieselben Gebiete zerfallen sein, welche
unter sich verkehrten gleich fremden Voelkern.
Im ueberseeischen Verkehr bestanden die frueher bezeichneten sizilisch-
latinischen, etruskisch-attischen und adriatisch-tarentinischen
Handelsbeziehungen auch in dieser Epoche fort oder gehoeren ihr vielmehr recht
eigentlich an; denn obwohl die derartigen, in der Regel ohne Zeitangabe
vorkommenden Tatsachen der Obersicht wegen schon bei der ersten Periode
zusammengefasst worden sind, erstrecken sich diese Angaben doch ebensowohl auf
die gegenwaertige mit. Am deutlichsten sprechen auch hierfuer die Muenzen. Wie
die Praegung des etruskischen Silbergeldes auf attischen Fuss und das Eindringen
des italischen und besonders latinischen Kupfers in Sizilien fuer die ersten
beiden Handelszuege zeugen, so spricht die eben erwaehnte Gleichstellung des
grossgriechischen Silbergeldes mit der picenischen und apulischen Kupfermuenze
nebst zahlreichen anderen Spuren fuer den regen Verkehr der unteritalischen
Griechen, namentlich der Tarentiner mit dem ostitalischen Litoral. Dagegen
scheint der frueher wohl lebhaftere Handel zwischen den Latinern und den
kampanischen Griechen durch die sabellische Einwanderung gestoert worden zu sein
und waehrend der ersten hundertundfuenfzig Jahre der Republik nicht viel
bedeutet zu haben; die Weigerung der Samniten, in Capua und Cumae den Roemern in
der Hungersnot von 343 (411) mit ihrem Getreide zu Hilfe zu kommen, duerfte eine
Spur der zwischen Latium und Kampanien veraenderten Beziehungen sein, bis im
Anfang des fuenften Jahrhunderts die roemischen Waffen die alten Verhaeltnisse
wiederherstellten und steigerten. Im einzelnen mag es noch gestattet sein, als
eines der seltenen datierten Fakten aus der Geschichte des roemischen Verkehrs
der Notiz zu gedenken, welche aus der ardeatischen Chronik erhalten ist, dass im
Jahre 454 (300) der erste Barbier aus Sizilien nach Ardea kam, und einen
Augenblick bei dem gemalten Tongeschirr zu verweilen, das vorzugsweise aus
Attika, daneben aus Kerkyra und Sizilien nach Lucanien, Kampanien und Etrurien
gesandt ward, um dort zur Ausschmueckung der Grabgemaecher zu dienen und ueber
dessen merkantilische Verhaeltnisse wir zufaellig besser als ueber irgendeinen
anderen ueberseeischen Handelsartikel unterrichtet sind. Der Anfang dieser
Einfuhr mag um die Zeit der Vertreibung der Tarquinier fallen, denn die noch
sehr sparsam in Italien vorkommenden Gefaesse des aeltesten Stils duerften in
der zweiten Haelfte des dritten Jahrhunderts der Stadt (500-450) gemalt sein,
waehrend die zahlreicheren des strengen Stils der ersten (450-400), die des
vollendet schoenen der zweiten Haelfte des vierten (400-350) angehoeren, und die
ungeheuren Massen der uebrigen, oft durch Pracht und Groesse, aber selten durch
vorzuegliche Arbeit sich auszeichnenden Vasen im ganzen dem folgenden
Jahrhundert (350-250) beizulegen sein werden. Es waren allerdings wieder die
Hellenen, von denen die Italiker diese Sitte der Graeberschmueckung entlehnten;
aber wenn die bescheidenen Mittel und der feine Takt der Griechen sie bei diesen
in engen Grenzen hielten, ward sie in Italien mit barbarischer Opulenz und
barbarischer Verschwendung weit ueber das urspruengliche und schickliche Mass
ausgedehnt. Aber es ist bezeichnend, dass es in Italien lediglich die Laender
der hellenischen Halbkultur sind, in welchen diese Ueberschwenglichkeit
begegnet; wer solche Schrift zu lesen versteht, wird in den etruskischen und
kampanischen Leichenfeldern, den Fundgruben unserer Museen, den redenden
Kommentar zu den Berichten der Alten ueber die im Reichtum und Uebermut
erstickende etruskische und kampanische Halbbildung erkennen. Dagegen blieb das
schlichte samnitische Wesen diesem toerichten Luxus zu allen Zeiten fern; in dem
Mangel des griechischen Grabgeschirrs tritt ebenso fuehlbar wie in dem Mangel
einer samnitischen Landesmuenze die geringe Entwicklung des Handelsverkehrs und
des staedtischen Lebens in dieser Landschaft hervor. Noch bemerkenswerter ist
es, dass auch Latium, obwohl den Griechen nicht minder nahe wie Etrurien und
Kampanien und mit ihnen im engsten Verkehr, dieser Graeberpracht sich fast ganz
enthalten hat. Es ist wohl mehr als wahrscheinlich, namentlich wegen der ganz
abweichenden Beschaffenheit der Graeber in dem einzigen Praeneste, dass wir
hierin den Einfluss der strengen roemischen Sittlichkeit, oder, wenn man lieber
will, der straffen roemischen Polizei wiederzuerkennen haben. Im engsten
Zusammenhange damit stehen die bereits erwaehnten Interdikte, welche schon das
Zwoelftafelgesetz gegen purpurne Bahrtuecher und den Goldschmuck als
Totenmitgift schleudert, und die Verbannung des silbernen Geraetes mit Ausnahme
des Salzfasses und der Opferschale aus dem roemischen Hausrat wenigstens durch
das Sittengesetz und die Furcht vor der zensorischen Ruege; und auch in dem
Bauwesen werden wir demselben, allem gemeinen wie edlen Luxus feindlichen Sinn
wiederbegegnen. Indes mochte auch Rom durch solche Einwirkung von oben her
laenger als Volsinii und Capua eine gewisse aeussere Einfachheit bewahren, so
werden sein Handel und Gewerbe, auf denen ja neben dem Ackerbau seine Bluete von
Haus aus beruhte, darum noch nicht als unbedeutend gedacht werden duerfen und
nicht minder den Einfluss der neuen Machtstellung Roms empfunden haben.
Zu der Entwicklung eines eigentlichen staedtischen Mittelstandes, einer
unabhaengigen Handwerker- und Kaufmannschaft kam es in Rom nicht. Die Ursache
war neben der frueh eingetretenen unverhaeltnismaessigen Zentralisierung des
Kapitals vornehmlich die Sklavenwirtschaft. Es war im Altertum ueblich und in
der Tat eine notwendige Konsequenz der Sklaverei, dass die kleineren
staedtischen Geschaefte sehr haeufig von Sklaven betrieben wurden, welche ihr
Herr als Handwerker oder Kaufleute etablierte, oder auch von Freigelassenen,
fuer welche der Herr nicht bloss sehr oft das Geschaeftskapital hergab, sondern
von denen er sich auch regelmaessig einen Anteil, oft die Haelfte des
Geschaeftsgewinns ausbedang. Der Kleinbetrieb und der Kleinverkehr in Rom waren
ohne Zweifel in stetigem Steigen; es finden sich auch Belege dafuer, dass die
dem grossstaedtischen Luxus dienstbaren Gewerbe anfingen, sich in Rom zu
konzentrieren - so ist das ficoronische Schmuckkaestchen im fuenften Jahrhundert
der Stadt von einem praenestinischen Meister verfertigt und nach Praeneste
verkauft, aber dennoch in Rom gearbeitet worden ^7. Allein da der Reinertrag
auch des Kleingeschaefts zum groessten Teil in die Kassen der grossen Haeuser
floss, so kam ein industrieller und kommerzieller Mittelstand nicht in
entsprechender Ausdehnung empor. Ebensowenig sonderten sich die Grosshaendler
und grossen Industriellen scharf von den grossen Grundbesitzern. Einerseits
waren die letzteren seit alter zugleich Geschaeftsbetreibende und Kapitalisten
und in ihren Haenden Hypothekardarlehen, Grosshandel und Lieferungen und
Arbeiten fuer den Staat vereinigt. Anderseits war es bei dem starken sittlichen
Akzent, der in dem roemischen Gemeinwesen auf den Grundbesitz fiel, und bei
seiner politischen Alleinberechtigung, welche erst gegen das Ende dieser Epoche
einige Einschraenkungen erlitt, ohne Zweifel schon in dieser Zeit gewoehnlich,
dass der glueckliche Spekulant mit einem Teil seiner Kapitalien sich ansaessig
machte. Es geht auch aus der politischen Bevorzugung der ansaessigen
Freigelassenen deutlich genug hervor, dass die roemischen Staatsmaenner dahin
wirkten, auf diesem Wege die gefaehrliche Klasse der nicht grundsaessigen
Reichen zu vermindern.
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^7 Die Vermutung, dass der Kuenstler, welcher an diesem Kaestchen fuer die
Dindia Macolnia in Rom gearbeitet hat, Novius Plautius, ein Kampaner, gewesen
sei, wird durch die neuerlich gefundenen alten praenestinischen Grabsteine
widerlegt, auf denen unter andern Macolniern und Plautiern auch ein Lucius
Magulnius des Plautius Sohn (L. Magolnio Pla. f.) vorkommt.
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Aber wenn auch in Rom weder ein wohlhabender staedtischer Mittelstand noch
eine streng geschlossene Kapitalistenklasse sich bildete, so war das
grossstaedtische Wesen doch an sich in unaufhaltsamem Steigen. Deutlich weist
darauf hin die zunehmende Zahl der in der Hauptstadt zusammengedraengten
Sklaven, wovon die sehr ernsthafte Sklavenverschwoerung des Jahres 335 (419)
zeugt, und noch mehr die steigende, allmaehlich unbequem und gefaehrlich
werdende Menge der Freigelassenen, worauf die im Jahre 397 (357) auf die
Freilassungen gelegte ansehnliche Steuer und die Beschraenkung der politischen
Rechte der Freigelassenen im Jahre 450 (304) einen sicheren Schluss gestatten.
Denn es lag nicht bloss in den Verhaeltnissen, dass die grosse Majoritaet der
freigelassenen Leute sich dem Gewerbe oder dem Handel widmen musste, sondern es
war auch die Freilassung selbst bei den Roemern, wie gesagt, weniger eine
Liberalitaet als eine industrielle Spekulation, indem der Herr bei dem Anteil an
dem Gewerb- oder Handelsgewinn des Freigelassenen oft besser seine Rechnung fand
als bei dem Anrecht auf den ganzen Reinertrag des Sklavengeschaefts. Die Zunahme
der Freilassungen muss deshalb mit der Steigerung der kommerziellen und
industriellen Taetigkeit der Roemer notwendig Hand in Hand gegangen sein.
Einen aehnlichen Fingerzeig fuer die steigende Bedeutung des staedtischen
Wesens in Rom gewaehrt die gewaltige Entwicklung der staedtischen Polizei. Es
gehoert zum grossen Teil wohl schon dieser Zeit an, dass die vier Aedilen unter
sich die Stadt in vier Polizeibezirke teilten und dass fuer die ebenso wichtige
wie schwierige Instandhaltung des ganz Rom durchziehenden Netzes von kleineren
und groesseren Abzugskanaelen sowie der oeffentlichen Gebaeude und Plaetze, fuer
die gehoerige Reinigung und Pflasterung der Strassen, fuer die Beseitigung den
Einsturz drohender Gebaeude, gefaehrlicher Tiere, uebler Gerueche, fuer die
Fernhaltung der Wagen ausser in den Abend- und Nachtstunden und ueberhaupt fuer
die Offenhaltung der Kommunikation, fuer die ununterbrochene Versorgung des
hauptstaedtischen Marktes mit gutem und billigem Getreide, fuer die Vernichtung
gesundheitsschaedlicher Waren und falscher Masse und Gewichte, fuer die
besondere Ueberwachung von Baedern, Schenken, schlechten Haeusern von den
Aedilen Fuersorge getroffen ward.
Im Bauwesen mag wohl die Koenigszeit, namentlich die Epoche der grossen
Eroberungen, mehr geleistet haben als die ersten zwei Jahrhunderte der Republik.
Anlagen wie die Tempel auf dem Kapitol und dem Aventin und der grosse Spielplatz
moegen den sparsamen Vaetern der Stadt ebenso wie den fronenden Buergern ein
Greuel gewesen sein, und es ist bemerkenswert, dass das vielleicht bedeutendste
Bauwerk der republikanischen Zeit vor den Samnitischen Kriegen, der Cerestempel
am Circus, ein Werk des Spurius Cassius (261 493) war, welcher in mehr als einer
Hinsicht wieder in die Traditionen der Koenige zurueckzulenken suchte. Auch den
Privatluxus hielt die regierende Aristokratie mit einer Strenge nieder, wie sie
die Koenigsherrschaft bei laengerer Dauer sicher nicht entwickelt haben wuerde.
Aber auf die Laenge vermochte selbst der Senat sich nicht laenger gegen das
Schwergewicht der Verhaeltnisse zu stemmen. Appius Claudius war es, der in
seiner epochemachenden Zensur (442 312) das veraltete Bauernsystem des
Sparschatzsammelns beiseite warf und seine Mitbuerger die oeffentlichen Mittel
in wuerdiger Weise gebrauchen lehrte. Er begann das grossartige System
gemeinnuetziger oeffentlicher Bauten, das, wenn irgendetwas, Roms militaerische
Erfolge auch von dem Gesichtspunkt der Voelkerwohlfahrt aus gerechtfertigt hat
und noch heute in seinen Truemmern Tausenden und Tausenden, welche von
roemischer Geschichte nie ein Blatt gelesen haben, eine Ahnung gibt von der
Groesse Roms. Ihm verdankt der roemische Staat die erste grosse
Militaerchaussee, die roemische Stadt die erste Wasserleitung. Claudius' Spuren
folgend, schlang der roemische Senat um Italien jenes Strassen- und
Festungsnetz, dessen Gruendung frueher beschrieben ward und ohne das, wie von
den Achaemeniden bis hinab auf den Schoepfer der Simplonstrasse die Geschichte
aller Militaerstaaten lehrt, keine militaerische Hegemonie bestehen kann.
Claudius' Spuren folgend, baute Manius Curius aus dem Erloes der Pyrrhischen
Beute eine zweite hauptstaedtische Wasserleitung (482 272) und oeffnete schon
einige Jahre vorher (464 290) mit dem sabinischen Kriegsgewinn dem Velino, da wo
er oberhalb Terni in die Nera sich stuerzt, das heute noch von ihm durchflossene
breitere Bett, um in dem dadurch trockengelegten schoenen Tal von Rieti fuer
eine grosse Buergeransiedlung Raum und auch fuer sich eine bescheidene Hufe zu
gewinnen. Solche Werke verdunkelten selbst in den Augen verstaendiger Leute die
zwecklose Herrlichkeit der hellenischen Tempel. Auch das buergerliche Leben
wurde jetzt ein anderes. Um die Zeit des Pyrrhos begann auf den roemischen
Tafeln das Silbergeschirr sich zu zeigen ^8 und das Verschwinden der
Schindeldaecher in Rom datieren die Chronisten von dem Jahre 470 (284). Die neue
Hauptstadt Italiens legte endlich ihr dorfartiges Ansehen allmaehlich ab und
fing nun auch an, sich zu schmuecken. Zwar war es noch nicht Sitte, in den
eroberten Staedten zu Roms Verherrlichung die Tempel ihrer Zierden zu berauben;
aber dafuer prangten an der Rednerbuehne des Marktes die Schnaebel der Galeeren
von Antium und an oeffentlichen Festtagen laengs der Hallen am Markte die von
den Schlachtfeldern Samniums heimgebrachten goldbeschlagenen Schilde. Besonders
der Ertrag der Bruechgelder diente zur Pflasterung der Strassen in und vor der
Stadt oder zur Errichtung und Ausschmueckung oeffentlicher Gebaeude. Die
hoelzernen Buden der Fleischer, welche an den beiden Langseiten des Marktes sich
hinzogen, wichen zuerst an der palatinischen, dann auch an der den Carinen
zugewandten Seite den steinernen Hallen der Geldwechsler; dadurch ward dieser
Platz zur roemischen Boerse. Die Bildsaeulen der gefeierten Maenner der
Vergangenheit, der Koenige, Priester und Helden der Sagenzeit, des griechischen
Gastfreundes, der den Zehnmaennern die Solonischen Gesetze verdolmetscht haben
sollte, die Ehrensaeulen und Denkmaeler der grossen Buergermeister, welche die
Veienter, die Latiner, die Samniten ueberwunden hatten, der Staatsboten, die in
Vollziehung ihres Auftrages umgekommen waren, der reichen Frauen, die ueber ihr
Vermoegen zu oeffentlichen Zwecken verfuegt hatten, ja sogar schon gefeierter
griechischer Weisen und Helden, wie des Pythagoras und des Alkibiades, wurden
auf der Burg oder auf dem roemischen Markte aufgestellt. Also ward, nachdem die
roemische Gemeinde eine Grossmacht geworden war, Rom selber eine Grossstadt.
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^8 Der wegen seines silbernen Tafelgeraets gegen Publius Cornelius Rufinus
(Konsul 464, 477 290, 277) verhaengten zensorischen Makel wurde schon gedacht.
Fabius' befremdliche Angabe (bei Strabon 5, p. 228), dass die Roemer zuerst nach
der Besiegung der Sabiner sich dem Luxus ergeben haetten (aisthesthai to?
plontoy), ist offenbar nur eine abersetzung derselben Anekdote ins Historische;
denn die Besiegung der Sabiner faellt in Rufinus' erstes Konsulat.
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Endlich trat denn auch Rom als Haupt der roemisch-italischen
Eidgenossenschaft wie in das hellenistische Staatensystem, so auch in das
hellenische Geld- und Muenzwesen ein. Bis dahin hatten die Gemeinden Nord- und
Mittelitaliens mit wenigen Ausnahmen einzig Kupfercourant, die sueditalischen
Staedte dagegen durchgaengig Silbergeld geschlagen und es der Muenzfuesse und
Muenzsysteme gesetzlich so viele gegeben, als es souveraene Gemeinden in Italien
gab. Im Jahre 485 (269) wurden alle diese Muenzstaetten auf die Praegung von
Scheidemuenze beschraenkt, ein allgemeiner, fuer ganz Italien geltender
Courantfuss eingefuehrt und die Courantpraegung in Rom zentralisiert, nur dass
Capua seine eigene, zwar unter roemischem Namen, aber auf abweichenden Fuss
gepraegte Silbermuenze auch ferner behielt. Das neue Muenzsystem beruhte auf dem
gesetzlichen Verhaeltnisse der beiden Metalle, wie dasselbe seit langem
feststand; die gemeinsame Muenzeinheit war das Stueck von zehn, nicht mehr
pfuendigen, sondern auf das Drittelpfund reduzierten Assen, der Denarius, in
Kupfer 3 1/3, in Silber 1/72 eines roemischen Pfundes, eine Kleinigkeit mehr als
die attische Drachme. Zunaechst herrschte in der Praegung noch die Kupfermuenze
vor und wahrscheinlich ist der aelteste Silberdenar hauptsaechlich fuer
Unteritalien und fuer den Verkehr mit dem Ausland geschlagen worden. Wie aber
der Sieg der Roemer ueber Pyrrhos und Tarent und die roemische Gesandtschaft
nach Alexandreia dem griechischen Staatsmanne dieser Zeit zu denken geben
mussten, so mochte auch der einsichtige griechische Kaufmann wohl nachdenklich
diese neuen roemischen Drachmen betrachten, deren flaches, unkuenstlerisches und
einfoermiges Gepraege neben dem gleichzeitigen wunderschoenen der Muenzen des
Pyrrhos und der Sikelioten freilich duerftig und unansehnlich erscheint, die
aber dennoch keineswegs, wie die Barbarenmuenzen des Altertums, sklavisch
nachgeahmt und in Schrot und Korn ungleich sind, sondern mit ihrer
selbstaendigen und gewissenhaften Praegung von Haus aus jeder griechischen
ebenbuertig sich an die Seite stellen.
Wenn also von der Entwicklung der Verfassungen, von den Voelkerkaempfen um
Herrschaft und Freiheit, wie sie Italien und insbesondere Rom von der Verbannung
des Tarquinischen Geschlechts bis zur Ueberwaeltigung der Samniten und der
italischen Griechen bewegten, der Blick sich wendet zu den stilleren Kreisen des
menschlichen Daseins, die die Geschichte doch auch beherrscht und durchdringt,
so begegnet ihm ebenfalls ueberall die Nachwirkung der grossartigen Ereignisse,
durch welche die roemische Buergerschaft die Fesseln des Geschlechterregiments
sprengte und die reiche Fuelle der nationalen Bildungen Italiens allmaehlich
unterging, um ein einziges Volk zu bereichern. Durfte auch der
Geschichtschreiber es nicht versuchen, den grossen Gang der Ereignisse in die
grenzenlose Mannigfaltigkeit der individuellen Gestaltung hinein zu verfolgen,
so ueberschritt er doch seine Aufgabe nicht, wenn er, aus der zertruemmerten
Ueberlieferung einzelne Bruchstuecke ergreifend, hindeutete auf die wichtigsten
Aenderungen, die in dieser Epoche im italischen Volksleben stattgefunden haben.
Wenn dabei noch mehr als frueher das roemische in den Vordergrund trat, so ist
dies nicht bloss in den zufaelligen Luecken unserer Ueberlieferung begruendet;
vielmehr ist es eine wesentliche Folge der veraenderten politischen Stellung
Roms, dass die latinische Nationalitaet die uebrigen italischen immer mehr
verdunkelt. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass in dieser Epoche die
Nachbarlaender, das suedliche Etrurien, die Sabina, das Volskerland sich zu
romanisieren anfingen, wovon der fast gaenzliche Mangel von Sprachdenkmaelern
der alten Landesdialekte und das Vorkommen sehr alter roemischer Inschriften in
diesen Gegenden Zeugnis ablegt; die Aufnahme der Sabiner in das volle
Buergerrecht am Ende dieser Periode spricht dafuer, dass die Latinisierung
Mittelitaliens schon damals das bewusste Ziel der roemischen Politik war. Die
zahlreich durch ganz Italien zerstreuten Einzelassignationen und
Kolonialgruendungen sind nicht bloss militaerisch, sondern auch sprachlich und
national die vorgeschobenen Posten des latinischen Stammes. Die Latinisierung
der Italiker ueberhaupt ward schwerlich schon damals beabsichtigt; im Gegenteil
scheint der roemische Senat den Gegensatz der latinischen gegen die uebrigen
Nationalitaeten absichtlich aufrecht erhalten zu haben und gestattete zum
Beispiel die Einfuehrung des Lateinischen in den offiziellen Sprachgebrauch den
kampanischen Halbbuergergemeinden noch nicht. Indes die Natur der Verhaeltnisse
ist staerker als selbst die staerkste Regierung; mit dem latinischen Volke
gewannen auch dessen Sprache und Sitte in Italien zunaechst das Prinzipat und
fingen bereits an, die uebrigen italischen Nationalitaeten zu untergraben.
Gleichzeitig wurden dieselben von einer anderen Seite und mit einem anders
begruendeten Uebergewicht angegriffen durch den Hellenismus. Es war dies die
Epoche, wo das Griechentum seiner geistigen Ueberlegenheit ueber die uebrigen
Nationen anfing, sich bewusst zu werden und nach allen Seiten hin Propaganda zu
machen. Auch Italien blieb davon nicht unberuehrt. Die merkwuerdigste
Erscheinung in dieser Art bietet Apulien, das seit dem fuenften Jahrhundert Roms
allmaehlich seine barbarische Mundart ablegte und sich im stillen hellenisierte.
Es erfolgte dies aehnlich wie in Makedonien und Epeiros nicht durch
Kolonisierung, sondern durch Zivilisierung, die mit dem tarentinischen
Landhandel Hand in Hand gegangen zu sein scheint - wenigstens spricht es fuer
die letztere Annahme, dass die den Tarentinern befreundeten Landschaften der
Poediculer und Daunier die Hellenisierung vollstaendiger durchfuehrten als die
Tarent naeher wohnenden, aber bestaendig mit ihm hadernden Sallentiner, und dass
die am fruehesten graezisierten Staedte, zum Beispiel Arpi, nicht an der Kueste
gelegen waren. Dass auf Apulien das griechische Wesen staerkeren Einfluss uebte
als auf irgendeine andere italische Landschaft, erklaert sich teils aus seiner
Lage, teils aus der geringen Entwicklung einer eigenen nationalen Bildung, teils
wohl auch aus seiner dem griechischen Stamm minder fremd als die uebrigen
italischen gegenueberstehenden Nationalitaet. Indes ist schon frueher darauf
aufmerksam gemacht worden, dass auch die suedlichen sabellischen Staemme, obwohl
zunaechst sie im Verein mit syrakusanischen Tyrannen das hellenische Wesen in
Grossgriechenland knickten und verdarben, doch zugleich durch die Beruehrung und
Mischung mit den Griechen teils griechische Sprache neben der einheimischen
annahmen, wie die Brettier und Nolaner, teils wenigstens griechische Schrift und
griechische Sitte, wie die Lucaner und ein Teil der Kampaner. Etrurien zeigt
gleichfalls die Ansaetze einer verwandten Entwicklung in den bemerkenswerten
dieser Epoche angehoerenden Vasenfunden, in denen es mit Kampanien und Lucanien
rivalisiert; und wenn Latium und Samnium dem Hellenismus fernergeblieben sind,
so fehlt es doch auch hier nicht an Spuren des beginnenden und immer steigenden
Einflusses griechischer Bildung. In allen Zweigen der roemischen Entwicklung
dieser Epoche, in Gesetzgebung und Muenzwesen, in der Religion, in der Bildung
der Stammsage stossen wir auf griechische Spuren, und namentlich seit dem Anfang
des fuenften Jahrhunderts, das heisst seit der Eroberung Kampaniens, erscheint
der griechische Einfluss auf das roemische Wesen in raschem und stets
zunehmendem Wachstum. In das vierte Jahrhundert faellt die Einrichtung der auch
sprachlich merkwuerdigen "graecostasis", einer Tribuene auf dem roemischen Markt
fuer die vornehmen griechischen Fremden, zunaechst die Massalioten. Im folgenden
fangen die Jahrbuecher an, vornehme Roemer mit griechischen Beinamen, wie
Philippos oder roemisch Pilipus, Philon, Sophos, Hypsaeos aufzuweisen.
Griechische Sitten dringen ein; so der nichtitalische Gebrauch, Inschriften zur
Ehre des Toten auf dem Grabmal anzubringen, wovon die Grabschrift des Lucius
Scipio, Konsul 456 (298), das aelteste uns bekannte Beispiel ist; so die
gleichfalls den Italikern fremde Weise, ohne Gemeindebeschluss an oeffentlichen
Orten den Vorfahren Ehrendenkmaeler zu errichten, womit der grosse Neuerer
Appius Claudius den Anfang machte, als er in dem neuen Tempel der Bellona
Erzschilde mit den Bildern und den Elogien seiner Vorfahren aufhaengen liess
(442 312); so die im Jahre 461 (293) bei dem roemischen Volksfest eingefuehrte
Erteilung von Palmzweigen an die Wettkaempfer; so vor allem die griechische
Tischsitte. Die Weise, bei Tische nicht wie ehemals auf Baenken zu sitzen,
sondern auf Sofas zu liegen; die Verschiebung der Hauptmahlzeit von der Mittag-
auf die Stunde zwischen zwei und drei Uhr nachmittags nach unserer Rechnung; die
Trinkmeister bei den Schmaeusen, welche meistens durch Wuerfelung aus den
Gaesten fuer den Schmaus bestellt werden und nun den Tischgenossen vorschreiben,
was, wie und wann getrunken werden soll; die nach der Reihe von den Gaesten
gesungenen Tischlieder, die freilich in Rom nicht Skolien, sondern Ahnengesaenge
waren - alles dies ist in Rom nicht urspruenglich und doch schon in sehr alter
Zeit den Griechen entlehnt; denn zu Catos Zeit waren diese Gebraeuche bereits
gemein, ja zum Teil schon wieder abgekommen. Man wird daher ihre Einfuehrung
spaetestens in diese Zeit zu setzen haben. Charakteristisch ist auch die
Errichtung der Bildsaeulen des "weisesten und des tapfersten Griechen" auf dem
roemischen Markt, die waehrend der Samnitischen Kriege auf Geheiss des
pythischen Apollon stattfand; man waehlte, offenbar unter sizilischem oder
kampanischem Einfluss, den Pythagoras und den Alkibiades, den Heiland und den
Hannibal der Westhellenen. Wie verbreitet die Kenntnis des Griechischen schon im
fuenften Jahrhundert unter den vornehmen Roemern war, beweisen die
Gesandtschaften der Roemer nach Tarent, wo der Redner der Roemer, wenn auch
nicht im reinsten Griechisch, doch ohne Dolmetsch sprach, und des Kineas nach
Rom. Es leidet kaum einen Zweifel, dass seit dem fuenften Jahrhundert die jungen
Roemer, die sich den Staatsgeschaeften widmeten, durchgaengig die Kunde der
damaligen Welt- und Diplomatensprache sich erwarben.
So schritt auf dem geistigen Gebiet der Hellenismus ebenso unaufhaltsam
vorwaerts, wie der Roemer arbeitete, die Erde sich untertaenig zu machen; und
die sekundaeren Nationalitaeten, wie die samnitische, keltische, etruskische,
verloren, von zwei Seiten her bedraengt, immer mehr an Ausdehnung wie an innerer
Kraft.
Wie aber die beiden grossen Nationen, beide angelangt auf dem Hoehepunkt
ihrer Entwicklung, in feindlicher wie in freundlicher Beruehrung anfangen sich
zu durchdringen, tritt zugleich ihre Gegensaetzlichkeit, der gaenzliche Mangel
alles Individualismus in dem italischen und vor allem in dem roemischen Wesen
gegenueber der unendlichen stammlichen, oertlichen und menschlichen
Mannigfaltigkeit des Hellenismus in voller Schaerfe hervor. Es gibt keine
gewaltigere Epoche in der Geschichte Roms als die Epoche von der Einsetzung der
roemischen Republik bis auf die Unterwerfung Italiens; in ihr wurde das
Gemeinwesen nach innen wie nach aussen begruendet, in ihr das einige Italien
erschaffen, in ihr das traditionelle Fundament des Landrechts und der
Landesgeschichte erzeugt, in ihr das Pilum und der Manipel, der Strassen- und
Wasserbau, die Guts- und Geldwirtschaft begruendet, in ihr die Kapitolinische
Woelfin gegossen und das ficoronische Kaestchen gezeichnet. Aber die
Individualitaeten, welche zu diesem Riesenbau die einzelnen Steine
herbeigetragen und sie zusammengefuegt haben, sind spurlos verschollen und die
italischen Voelkerschaften nicht voelliger in der roemischen aufgegangen als der
einzelne roemische Buerger in der roemischen Gemeinde. Wie das Grab in gleicher
Weise ueber dem bedeutenden wie ueber dem geringen Menschen sich schliesst, so
steht auch in der roemischen Buergermeisterliste der nichtige Junker
ununterscheidbar neben dem grossen Staatsmann. Von den wenigen Aufzeichnungen,
welche aus dieser Zeit bis auf uns gekommen sind, ist keine ehrwuerdiger und
keine zugleich charakteristischer als die Grabschrift des Lucius Cornelius
Scipio, der im Jahre 456 (298) Konsul war und drei Jahre nachher in der
Entscheidungsschlacht bei Sentinum mitfocht. Auf dem schoenen Sarkophag in edlem
dorischen Stil, der noch vor achtzig Jahren den Staub des Besiegers der Samniten
einschloss, ist der folgende Spruch eingeschrieben:
Cornelius Lucius - Scipio Barbatus,
Gnaivod patre prognatus, - fortis vir sapiensque,
Quoius forma virtu - tei parisuma fuit,
Consol censor aidilis - quei fuit apud vos,
Taurasia Cisauna - Samnio cepit,
Subigit omne Loucanam - opsidesque abdoucit.
Cornelius Lucius - Scipio Barbatus,
Des Vaters Gnaevos Sohn, ein - Mann so klug wie tapfer,
Des Wohlgestalt war seiner - Tugend angemessen,
Der Konsul, Zensor war bei - euch wie auch Aedilis,
Taurasia, Cisauna - nahm er ein in Samnium,
Bezwingt Lucanien ganz und - fuehret weg die Geiseln.
So wie diesem roemischen Staatsmann und Krieger mochte man unzaehligen
anderen, die an der Spitze des roemischen Gemeinwesens gestanden haben, es
nachruehmen, dass sie adlige und schoene, tapfere und kluge Maenner gewesen;
aber weiter war auch nichts von ihnen zu melden. Es ist wohl nicht bloss Schuld
der Ueberlieferung, dass keiner dieser Cornelier, Fabier, Papirier und wie sie
weiter heissen, uns in einem menschlich bestimmten Bild entgegentritt. Der
Senator soll nicht schlechter und nicht besser, ueberhaupt nicht anders sein als
die Senatoren alle; es ist nicht noetig und nicht wuenschenswert, dass ein
Buerger die uebrigen uebertreffe, weder durch prunkendes Silbergeraet und
hellenische Bildung noch durch ungemeine Weisheit und Trefflichkeit. Jene
Ausschreitungen straft der Zensor und fuer diese ist kein Raum in der
Verfassung. Das Rom dieser Zeit gehoert keinem einzelnen an; die Buerger muessen
sich alle gleichen, damit jeder einem Koenig gleich sei.
Allerdings macht schon jetzt daneben die hellenische Individualentwicklung
sich geltend; und die Genialitaet und Gewaltsamkeit derselben traegt eben wie
die entgegengesetzte Richtung den vollen Stempel dieser grossen Zeit. Es ist nur
ein einziger Mann hier zu nennen; aber in ihm ist auch der Fortschrittsgedanke
gleichsam inkarniert. Appius Claudius (Zensor 442 312; Konsul 447, 458 307,
296), der Ururenkel des Dezemvirs, war ein Mann von altem Adel und stolz auf die
lange Reihe seiner Ahnen; aber dennoch ist er es gewesen, der die Beschraenkung
des vollen Gemeindebuergerrechts auf die ansaessigen Leute gesprengt, der das
alte Finanzsystem gebrochen hat. Von Appius Claudius datieren nicht bloss die
roemischen Wasserleitungen und Chausseen, sondern auch die roemische
Jurisprudenz, Eloquenz, Poesie und Grammatik - die Veroeffentlichung eines
Klagspiegels, aufgezeichnete Reden und pythagoreische Sprueche, selbst
Neuerungen in der Orthographie werden ihm beigelegt. Man darf ihn darum noch
nicht unbedingt einen Demokraten nennen, noch ihn jener Oppositionspartei
beizaehlen, die in Manius Curius ihren Vertreter fand; in ihm war vielmehr der
Geist der alten und neuen patrizischen Koenige maechtig, der Geist der
Tarquinier und der Caesaren, zwischen denen er in dem fuenfhundertjaehrigen
Interregnum ausserordentlicher Taten und gewoehnlicher Maenner die Verbindung
macht. Solange Appius Claudius an dem oeffentlichen Leben taetigen Anteil nahm,
trat er in seiner Amtsfuehrung wie in seinem Lebenswandel, keck und ungezogen
wie ein Athener, nach rechts wie nach links hin Gesetzen und Gebraeuchen
entgegen; bis dann, nachdem er laengst von der politischen Buehne abgetreten
war, der blinde Greis wie aus dem Grabe wiederkehrend, in der entscheidenden
Stunde den Koenig Pyrrhos im Senate ueberwand und Roms vollendete Herrschaft
ueber Italien zuerst foermlich und feierlich aussprach. Aber der geniale Mann
kam zu frueh oder zu spaet; die Goetter blendeten ihn wegen seiner unzeitigen
Weisheit. Nicht das Genie des einzelnen herrschte in Rom und durch Rom in
Italien, sondern der eine unbewegliche, von Geschlecht zu Geschlecht im Senat
fortgepflanzte politische Gedanke, in dessen leitende Maximen schon die
senatorischen Knaben sich hineinlebten, indem sie in Begleitung ihrer Vaeter mit
zum Rate gingen und an der Tuer des Saales der Weisheit derjenigen Maenner
lauschten, auf deren Stuehlen sie dereinst bestimmt waren zu sitzen. So wurden
ungeheure Erfolge um ungeheuren Preis erreicht; denn auch der Nike folgt ihre
Nemesis. Im roemischen Gemeinwesen kommt es auf keinen Menschen besonders an,
weder auf den Soldaten noch auf den Feldherrn, und unter der starren sittlich-
polizeilichen Zucht wird jede Eigenartigkeit des menschlichen Wesens erstickt.
Rom ist gross geworden wie kein anderer Staat des Altertums; aber es hat seine
Groesse teuer bezahlt mit der Aufopferung der anmutigen Mannigfaltigkeit, der
bequemen Laesslichkeit, der innerlichen Freiheit des hellenischen Lebens.
9. Kapitel
Kunst und Wissenschaft
Die Entwicklung der Kunst und namentlich der Dichtkunst steht im Altertum
im engsten Zusammenhang mit der Entwicklung der Volksfeste. Das schon in der
vorigen Epoche wesentlich unter griechischem Einfluss, zunaechst als
ausserordentliche Feier, geordnete Dankfest der roemischen Gemeinde, die
"grossen" oder "roemischen Spiele", nahm waehrend der gegenwaertigen an Dauer
wie an Mannigfaltigkeit der Belustigungen zu. Urspruenglich beschraenkt auf die
Dauer eines Tages wurde das Fest nach der gluecklichen Beendigung der drei
grossen Revolutionen von 245, 260 und 387 (509, 494 und 367) jedesmal um einen
Tag verlaengert und hatte am Ende dieser Periode also bereits eine viertaegige
Dauer ^1. Wichtiger noch war es, dass das Fest wahrscheinlich mit Einsetzung der
von Haus aus mit der Ausrichtung und Ueberwachung desselben betrauten
kurulischen Aedilitaet (387 367) seinen ausserordentlichen Charakter und damit
seine Beziehung auf ein bestimmtes Feldherrngeluebde verlor und in die Reihe der
ordentlichen, jaehrlich wiederkehrenden als erstes unter allen eintrat. Indes
blieb die Regierung beharrlich dabei, das eigentliche Schaufest, namentlich das
Hauptstueck, das Wagenrennen, nicht mehr als einmal am Schluss des Festes
stattfinden zu lassen; an den uebrigen Tagen war es wohl zunaechst der Menge
ueberlassen, sich selber ein Fest zu geben, obwohl Musikanten, Taenzer,
Seilgaenger, Taschenspieler, Possenreisser und dergleichen Leute mehr nicht
verfehlt haben werden, gedungen oder nicht gedungen, dabei sich einzufinden.
Aber um das Jahr 390 (364) trat eine wichtige Veraenderung ein, welche mit der
vielleicht gleichzeitig erfolgten Fixierung und Verlaengerung des Festes in
Zusammenhang stehen wird: man schlug von Staats wegen waehrend der ersten drei
Tage im Rennplatz ein Brettergeruest auf und sorgte fuer angemessene
Vorstellungen auf demselben zur Unterhaltung der Menge. Um indes nicht auf
diesem Wege zu weit gefuehrt zu werden, wurde fuer die Kosten des Festes eine
feste Summe von 200000 Assen (14500 Taler) ein fuer allemal aus der Staatskasse
ausgeworfen und diese ist auch bis auf die Punischen Kriege nicht gesteigert
worden; den etwaigen Mehrbetrag mussten die Aedilen, welche diese Summe zu
verwenden hatten, aus ihrer Tasche decken und es ist nicht wahrscheinlich, dass
sie in dieser Zeit oft und betraechtlich vom Eigenen zugeschossen haben. Dass
die neue Buehne im allgemeinen unter griechischem Einfluss stand, beweist schon
ihr Name (scaena sk/e/n/e/). Sie war zwar zunaechst lediglich fuer Spielleute
und Possenreisser jeder Art bestimmt, unter denen die Taenzer zur Floete,
namentlich die damals gefeierten etruskischen, wohl noch die vornehmsten sein
mochten; indes war nun doch eine oeffentliche Buehne in Rom entstanden und bald
oeffnete dieselbe sich auch den roemischen Dichtern.
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^1 Was Dionys (6, 95; vgl. B. G. Niebuhr, Roemische Geschichte. Bd. 2, S.
40) und, schoepfend aus einer anderen Dionysischen Stelle, Plutarch (Cam. 42)
von dem latinischen Fest berichtet, ist, wie ausser anderen Gruenden schlagend
die Vergleichung der letzteren Stelle mit Liv. 6, 42 (F. W. Ritschl, Parerga zu
Plautus und Terentius. Leipzig 1845. Bd. 1, S. 313) zeigt, vielmehr von den
roemischen Spielen zu verstehen; Dionys hat, und zwar nach seiner Gewohnheit im
Verkehrten beharrlich, den Ausdruck ludi maximi missverstanden.
Uebrigens gab es auch eine Ueberlieferung, wonach der Ursprung des
Volksfestes, statt wie gewoehnlich auf die Besiegung der Latiner durch den
ersten Tarquinius, vielmehr auf die Besiegung der Latiner am Regiller See
zurueckgefuehrt ward (Cic. div. 1, 26, 55; Dion. Hal. 7, 71). Dass die
wichtigen, an der letzten Stelle aus Fabius aufbehaltenen Angaben in der Tat auf
das gewoehnliche Dankfest und nicht auf eine besondere Votivfeierlichkeit gehen,
zeigt die ausdrueckliche Hinweisung auf die jaehrliche Wiederkehr der Feier und
die genau mit der Angabe bei dem falschen Asconius (Ps. Ascon. p. 142 Or.)
stimmende Kostensumme.
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Denn an Dichtern fehlte es in Latium nicht. Latinische "Vaganten" oder
"Baenkelsaenger" (grassatores, spatiatores) zogen von Stadt zu Stadt und von
Haus zu Haus und trugen ihre Lieder (saturae) mit gestikulierendem Tanz zur
Floetenbegleitung vor. Das Mass war natuerlich das einzige, das es damals gab,
das sogenannte saturnische. Eine bestimmte Handlung lag den Liedern nicht
zugrunde, und ebensowenig scheinen sie dialogisiert gewesen zu sein; man wird
sich dieselben nach dem Muster jener eintoenigen, bald improvisierten, bald
rezitierten Ballaten und Tarantellen vorstellen duerfen, wie man sie heute noch
in den roemischen Osterien zu hoeren bekommt. Dergleichen Lieder kamen denn auch
frueh auf die oeffentliche Buehne und sind allerdings der erste Keim des
roemischen Theaters geworden. Aber diese Anfaenge der Schaubuehne sind in Rom
nicht bloss, wie ueberall, bescheiden, sondern in bemerkenswerter Weise gleich
von vornherein bescholten. Schon die Zwoelf Tafeln treten dem ueblen und
nichtigen Singsang entgegen, indem sie nicht bloss auf Zauber-, sondern selbst
auf Spottlieder, die man auf einen Mitbuerger verfertigt oder ihm vor der Tuere
absingt, schwere Kriminalstrafen setzen und die Zuziehung von Klagefrauen bei
der Bestattung verbieten. Aber weit strenger als durch die gesetzlichen
Restriktionen ward die beginnende Kunstuebung durch den sittlichen Bann
getroffen, welchen der philisterhafte Ernst des roemischen Wesens gegen diese
leichtsinnigen und bezahlten Gewerbe schleuderte. "Das Dichterhandwerk", sagt
Cato, "war sonst nicht angesehen; wenn jemand damit sich abgab oder bei den
Gelagen sich anhaengte, so hiess er ein Bummler." Wer nun aber gar Tanz, Musik
und Baenkelgesang fuer Geld betrieb, ward bei der immer mehr sich festsetzenden
Bescholtenheit eines jeden durch Dienstverrichtungen gegen Entgelt gewonnenen
Lebensunterhalts von einem zwiefachen Makel getroffen. Wenn daher das Mitwirken
bei den landueblichen maskierten Charakterpossen als ein unschuldiger
jugendlicher Mutwille betrachtet ward, so galt das Auftreten auf der
oeffentlichen Buehne fuer Geld und ohne Masken geradezu fuer schaendlich, und
der Saenger und Dichter stand dabei mit dem Seiltaenzer und dem Hanswurst
voellig in gleicher Reihe. Dergleichen Leute wurden durch die Sittenmeister
regelmaessig fuer unfaehig erklaert, in dem Buergerheer zu dienen und in der
Buergerversammlung zu stimmen. Es wurde ferner nicht bloss, was allein schon
bezeichnend genug ist, die Buehnendirektion betrachtet als zur Kompetenz der
Stadtpolizei gehoerig, sondern es ward auch der Polizei wahrscheinlich schon in
dieser Zeit gegen die gewerbmaessigen Buehnenkuenstler eine ausserordentliche
arbitraere Gewalt eingeraeumt. Nicht allein hielten die Polizeiherren nach
vollendeter Auffuehrung ueber sie Gericht, wobei der Wein fuer die geschickten
Leute ebenso reichlich floss, wie fuer den Stuemper die Pruegel fielen, sondern
es waren auch saemtliche staedtische Beamte gesetzlich befugt, ueber jeden
Schauspieler zu jeder Zeit und an jedem Orte koerperliche Zuechtigung und
Einsperrung zu verhaengen. Die notwendige Folge davon war, dass Tanz, Musik und
Poesie, wenigstens soweit sie auf der oeffentlichen Buehne sich zeigten, den
niedrigsten Klassen der roemischen Buergerschaft und vor allem den Fremden in
die Haende fielen; und wenn in dieser Zeit die Poesie dabei noch ueberhaupt eine
zu geringe Rolle spielte, als dass fremde Kuenstler mit ihr sich beschaeftigt
haetten, so darf dagegen die Angabe, dass in Rom die gesamte sakrale und profane
Musik wesentlich etruskisch, also die alte, einst offenbar hochgehaltene
latinische Floetenkunst durch die fremdlaendische unterdrueckt war, schon fuer
diese Zeit gueltig erachtet werden.
Von einer poetischen Literatur ist keine Rede. Weder die Maskenspiele noch
die Buehnenrezitationen koennen eigentlich feste Texte gehabt haben, sondern
wurden je nach Beduerfnis regelmaessig von den Vortragenden selbst verfertigt.
Von schriftstellerischen Arbeiten aus dieser Zeit wusste man spaeterhin nichts
aufzuzeigen als eine Art roemischer 'Werke und Tage', eine Unterweisung des
Bauern an seinen Sohn ^2, und die schon erwaehnten pythagoreischen Gedichte des
Appius Claudius, den ersten Anfang hellenisierender roemischer Poesie. Uebrig
geblieben ist von den Dichtungen dieser Epoche nichts als eine und die andere
Grabschrift im saturnischen Masse.
Wie die Anfaenge der roemischen Schaubuehne so gehoeren auch die Anfaenge
der roemischen Geschichtschreibung in diese Epoche, sowohl der gleichzeitigen
Aufzeichnung der merkwuerdigen Ereignisse wie der konventionellen Feststellung
der Vorgeschichte der roemischen Gemeinde.
Die gleichzeitige Geschichtschreibung knuepft an das Beamtenverzeichnis an.
Das am weitesten zurueckreichende, das den spaeteren roemischen Forschern
vorgelegen hat und mittelbar auch uns noch vorliegt, scheint aus dem Archiv des
kapitolinischen Jupitertempels herzuruehren, da es von dem Konsul Marcus
Horatius an, der denselben am 13. September seines Amtsjahres einweihte, die
Namen der jaehrigen Gemeindevorsteher auffuehrt, auch auf das unter den Konsuln
Publius Servilius und Lucius Aebutius (nach der jetzt gangbaren Zaehlung 291 der
Stadt 463) bei Gelegenheit einer schweren Seuche erfolgte Geloebnis: von da an
jedes hundertste Jahr in die Wand des kapitolinischen Tempels einen Nagel zu
schlagen, Ruecksicht nimmt. Spaeterhin sind es die Mass- und Schriftgelehrten
der Gemeinde, das heisst die Pontifices, welche die Namen der jaehrigen
Gemeindevorsteher von Amts wegen verzeichnen und also mit der aelteren Monat-
eine Jahrtafel verbinden; beide werden seitdem unter dem - eigentlich nur der
Gerichtstagtafel zukommenden - Namen der Fasten zusammengefasst. Diese
Einrichtung mag nicht lange nach der Abschaffung des Koenigtums getroffen sein,
da in der Tat, um die Reihenfolge der oeffentlichen Akte konstatieren zu
koennen, die offizielle Verzeichnung der Jahrbeamten dringendes praktisches
Beduerfnis war; aber wenn es ein so altes offizielles Verzeichnis der
Gemeindebeamten gegeben hat, so ist dies wahrscheinlich im gallischen Brande
(364 390) zugrunde gegangen und die Liste des Pontifikalkollegiums nachher aus
der von dieser Katastrophe nicht betroffenen kapitolinischen, so weit diese
zurueckreichte, ergaenzt worden. Dass das uns vorliegende Vorsteherverzeichnis
zwar in den Nebensachen, besonders den genealogischen Angaben nach der Hand aus
den Stammbaeumen des Adels vervollstaendigt worden ist, im wesentlichen aber von
Anfang an auf gleichzeitige und glaubwuerdige Aufzeichnungen zurueckgeht, leidet
keinen Zweifel; die Kalenderjahre aber gibt dasselbe nur unvollkommen und
annaehernd wieder, da die Gemeindevorsteher nicht mit dem Neujahr, ja nicht
einmal mit einem ein fuer allemal festgestellten Tage antraten, sondern aus
mancherlei Veranlassungen der Antrittstag sich hin und her schob und die haeufig
zwischen zwei Konsulaten eintretenden Zwischenregierungen in der Rechnung nach
Amtsjahren ganz ausfielen. Wollte man dennoch nach dieser Vorsteherliste die
Kalenderjahre zaehlen, so war es noetig, den Antritts- und Abgangstag eines
jeden Kollegiums nebst den etwaigen Interregnen mit anzumerken; und auch dies
mag frueh geschehen sein. Ausserdem aber wurde die Liste der Jahrbeamten zur
Kalenderjahrliste in der Weise hergerichtet, dass man durch Akkommodation jedem
Kalenderjahr ein Beamtenpaar zuteilte und, wo die Liste nicht ausreichte,
Fuelljahre einlegte, welche in der spaeteren (Varronischen) Tafel mit den
Ziffern 379-383, 421, 430, 445, 453 bezeichnet sind. Vom Jahre 291 (463) ist die
roemische Liste nachweislich, zwar nicht im einzelnen, wohl aber im ganzen, mit
dem roemischen Kalender in Uebereinstimmung, also insoweit chronologisch sicher,
als die Mangelhaftigkeit des Kalenders selbst dies verstattet; die jenseits
jenes Jahres liegenden 47 Jahrstellen entziehen sich der Kontrolle, werden aber
wenigstens in der Hauptsache gleichfalls richtig sein ^3; was jenseits des
Jahres 245 (509) liegt, ist chronologisch verschollen.
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^2 Erhalten ist davon das Bruchstueck:
Bei trocknem Herbste, nassem - Fruehling, wirst du, Knabe,
Einernten grosse Spelte.
Wir wissen freilich nicht, mit welchem Rechte dieses Gedicht spaeterhin als
das aelteste roemische galt (Macr. Sat. 5, 20; Fest. v. flaminius p. 93 M; Serv.
georg. 1, 101; Plin. nat. 17, 2, 14).
^3 Nur die ersten Stellen in der Liste geben Anlass zum Verdacht und moegen
spaeter hinzugefuegt sein, um die Zahl der Jahre von der Koenigsflucht bis zum
Stadtbrande auf 120 abzurunden.
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Eine gemeingebraeuchliche Aera hat sich nicht gebildet; doch ist in
sakralen Verhaeltnissen gezaehlt worden nach dem Einweihungsjahr des
kapitolinischen Jupitertempels, von wo ab ja auch die Beamtenliste lief.
Nahe lag es, neben den Namen der Beamten die wichtigsten unter ihrer
Amtsfuehrung vorgefallenen Ereignisse anzumerken; und aus solchen, dem
Beamtenkatalog beigefuegten Nachrichten ist die roemische Chronik, ganz wie aus
den der Ostertafel beigeschriebenen Notizen die mittelalterliche,
hervorgegangen. Aber erst spaet kam es zu der Anlegung einer foermlichen, die
Namen saemtlicher Beamten und die merkwuerdigen Ereignisse Jahr fuer Jahr stetig
verzeichnenden Chronik (liber annalis) durch die Pontifices. Vor der unter dem
5. Juni 351 (403) angemerkten Sonnenfinsternis, womit wahrscheinlich die vom 20.
Juni 354 (400) gemeint ist, fand sich in der spaeteren Stadtchronik keine
Sonnenfinsternis nach Beobachtung verzeichnet; die Zensuszahlen derselben fangen
erst seit dem Anfang des fuenften Jahrhunderts der Stadt an, glaublich zu
lauten; die vor dem Volk gefuehrten Busssachen und die von Gemeinde wegen
gesuehnten Wunderzeichen scheint man erst seit der zweiten Haelfte des fuenften
Jahrhunderts regelmaessig in die Chronik eingetragen zu haben. Allem Anschein
nach hat die Einrichtung eines geordneten Jahrbuchs und, was sicher damit
zusammenhaengt, die eben eroerterte Redaktion der aelteren Beamtenliste zum
Zweck der Jahrzaehlung mittels Einlegung der chronologisch noetigen Fuelljahre
in der ersten Haelfte des fuenften Jahrhunderts stattgefunden. Aber auch nachdem
sich die Uebung festgestellt hatte, dass es dem Oberpontifex obliege,
Kriegslaeufte und Kolonisierungen, Pestilenz und teuere Zeit, Finsternisse und
Wunder, Todesfaelle der Priester und anderer angesehener Maenner, die neuen
Gemeindebeschluesse, die Ergebnisse der Schatzung Jahr fuer Jahr aufzuschreiben
und diese Anzeichnungen in seiner Amtwohnung zu bleibendem Gedaechtnis und zu
jedermanns Einsicht aufzustellen, war man damit von einer wirklichen
Geschichtschreibung noch weit entfernt. Wie duerftig die gleichzeitige
Aufzeichnung noch am Schlusse dieser Periode war und wie weiten Spielraum sie
der Willkuer spaeterer Annalisten gestattete, zeigt mit schneidender
Deutlichkeit die Vergleichung der Berichte ueber den Feldzug vom Jahre 456 (298)
in den Jahrbuechern und auf der Grabschrift des Konsuls Scipio ^4. Die spaeteren
Historiker waren augenscheinlich ausserstande, aus diesen Stadtbuchnotizen einen
lesbaren und einigermassen zusammenhaengenden Bericht zu gestalten; und auch wir
wuerden, selbst wenn uns das Stadtbuch noch in seiner urspruenglichen Fassung
vorlaege, schwerlich daraus die Geschichte der Zeit pragmatisch zu schreiben
vermoegen. Indes gab es solche Stadtchroniken nicht bloss in Rom, sondern jede
latinische Stadt hat wie ihre Pontifices, so auch ihre Annalen besessen, wie
dies aus einzelnen Notizen zum Beispiel fuer Ardea, Ameria, Interamna am Nar
deutlich hervorgeht; und mit der Gesamtheit dieser Stadtchroniken haette
vielleicht sich etwas Aehnliches erreichen lassen, wie es fuer das fruehere
Mittelalter durch die Vergleichung der verschiedenen Klosterchroniken erreicht
worden ist. Leider hat man in Rom spaeterhin es vorgezogen, die Luecke vielmehr
durch hellenische oder hellenisierende Luege zu fuellen.
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^4 1, 470. Nach den Annalen kommandiert Scipio in Etrurien, sein Kollege in
Samnium und ist Lucanien dies Jahr im Bunde mit Rom; nach der Grabschrift
erobert Scipio zwei Staedte in Samnium und ganz Lucanien.
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Ausser diesen freilich duerftig angelegten und unsicher gehandhabten
offiziellen Veranstaltungen zur Feststellung der verflossenen Zeiten und
vergangenen Ereignisse koennen in dieser Epoche kaum Aufzeichnungen vorgekommen
sein, welche der roemischen Geschichte unmittelbar gedient haetten. Von
Privatchroniken findet sich keine Spur. Nur liess man sich in den vornehmen
Haeusern es angelegen sein, die auch rechtlich so wichtigen Geschlechtstafeln
festzustellen und den Stammbaum zu bleibendem Gedaechtnis auf die Wand des
Hausflurs zu malen. An diesen Listen, die wenigstens auch die Aemter nannten,
fand nicht bloss die Familientradition einen Halt, sondern es knuepften sich
hieran auch wohl frueh biographische Aufzeichnungen. Die Gedaechtnisreden,
welche in Rom bei keiner vornehmen Leiche fehlen durften und regelmaessig von
dem naechsten Verwandten des Verstorbenen gehalten wurden, bestanden wesentlich
nicht bloss in der Aufzaehlung der Tugenden und Wuerden des Toten, sondern auch
in der Aufzaehlung der Taten und Tugenden seiner Ahnen; und so gingen auch sie
wohl schon in fruehester Zeit traditionell von einer Generation auf die andere
ueber. Manche wertvolle Nachricht mochte hierdurch erhalten, freilich auch
manche dreiste Verdrehung und Faelschung in die Ueberlieferung eingefuehrt
werden.
Aber wie die Anfaenge der wirklichen Geschichtschreibung gehoeren ebenfalls
in diese Zeit die Anfaenge der Aufzeichnung und konventionellen Entstellung der
Vorgeschichte Roms. Die Quellen dafuer waren natuerlich dieselben wie ueberall.
Einzelne Namen, wie die der Koenige Numa, Ancus, Tullus, denen die
Geschlechtsnamen wohl erst spaeter zugeteilt worden sind, und einzelne
Tatsachen, wie die Besiegung der Latiner durch Koenig Tarquinius und die
Vertreibung des tarquinischen Koenigsgeschlechts mochten in allgemeiner,
muendlich fortgepflanzter wahrhafter Ueberlieferung fortleben. Anderes lieferte
die Tradition der adligen Geschlechter, wie zum Beispiel die Fabiererzaehlungen
mehrfach hervortreten. In anderen Erzaehlungen wurden uralte Volksinstitutionen,
besonders mit grosser Lebendigkeit rechtliche Verhaeltnisse symbolisiert und
historisiert; so die Heiligkeit der Mauern in der Erzaehlung vom Tode des Remus,
die Abschaffung der Blutrache in der von dem Ende des Koenigs Tatius, die
Notwendigkeit der die Pfahlbruecke betreffenden Ordnung in der Sage von Horatius
Cocles ^5, die Entstehung des Gnadenurteils der Gemeinde in der schoenen
Erzaehlung von den Horatiern und Curiatiern, die Entstehung der Freilassung und
des Buergerrechts der Freigelassenen in derjenigen von der
Tarquinierverschwoerung und dem Sklaven Vindicius. Ebendahin gehoert die
Geschichte der Stadtgruendung selbst, welche Roms Ursprung an Latium und die
allgemeine latinische Metropole Alba anknuepfen soll. Zu den Beinamen der
vornehmen Roemer entstanden historische Glossen, wie zum Beispiel Publius
Valerius der "Volksdiener" (Poplicola) einen ganzen Kreis derartiger Anekdoten
um sich gesammelt hat, und vor allem knuepften an den heiligen Feigenbaum und
andere Plaetze und Merkwuerdigkeiten der Stadt sich in grosser Menge
Kuestererzaehlungen von der Art derjenigen an, aus denen ueber ein Jahrtausend
spaeter auf demselben Boden die Mirabilia Urbis erwuchsen. Eine gewisse
Zusammenknuepfung dieser verschiedenen Maerchen, die Feststellung der Reihe der
sieben Koenige, die ohne Zweifel auf der Geschlechterrechnung ruhende Ansetzung
ihrer Regierungszeit insgesamt auf 240 Jahre ^6 und selbst der Anfang
offizieller Aufzeichnung dieser Ansetzungen hat wahrscheinlich schon in dieser
Epoche stattgefunden: die Grundzuege der Erzaehlung und namentlich deren
Quasichronologie treten in der spaeteren Tradition mit so unwandelbarer
Festigkeit auf, dass schon darum ihre Fixierung nicht in, sondern vor die
literarische Epoche Roms gesetzt werden muss. Wenn bereits im Jahre 458 (296)
die an den Zitzen der Woelfin saugenden Zwillinge Romulus und Remus in Erz
gegossen an dem heiligen Feigenbaum aufgestellt wurden, so muessen die Roemer,
die Latium und Samnium bezwangen, die Entstehungsgeschichte ihrer Vaterstadt
nicht viel anders vernommen haben als wir sie bei Livius lesen; sogar die
Aboriginer, das sind die "Vonanfanganer", dies naive Rudiment der
geschichtlichen Spekulation des latinischen Stammes, begegnen schon um 465 (289)
bei dem sizilischen Schriftsteller Kallias. Es liegt in der Natur der Chronik,
dass sie zu der Geschichte die Vorgeschichte fuegt und wenn nicht bis auf die
Entstehung von Himmel und Erde, doch wenigstens bis auf die Entstehung der
Gemeinde zurueckgefuehrt zu werden verlangt; und es ist auch ausdruecklich
bezeugt, dass die Tafel der Pontifices das Gruendungsjahr Roms angab. Danach
darf angenommen werden, dass das Pontifikalkollegium, als es in der ersten
Haelfte des fuenften Jahrhunderts anstatt der bisherigen spaerlichen und in der
Regel wohl auf die Beamtennamen sich beschraenkenden Aufzeichnungen zu der
Anlegung einer foermlichen Jahreschronik fortschritt, auch die zu Anfang
fehlende Geschichte der Koenige Roms und ihres Sturzes hinzufuegte und, indem es
auf den Einweihungstag des kapitolinischen Tempels, den 13. September 245 (509),
zugleich die Stiftung der Republik setzte, einen freilich nur scheinhaften
Zusammenhang zwischen der zeitlosen und der annalistischen Erzaehlung
herstellte. Dass bei dieser aeltesten Aufzeichnung der Urspruenge Roms auch der
Hellenismus seine Hand im Spiele gehabt hat, ist kaum zu bezweifeln; die
Spekulation ueber Ur- und spaetere Bevoelkerung, ueber die Prioritaet des
Hirtenlebens vor dem Ackerbau und die Umwandlung des Menschen Romulus in den
Gott Quirinus sehen ganz griechisch aus, und selbst die Truebung der echt
nationalen Gestalten des frommen Numa und der weisen Egeria durch die
Einmischung fremdlaendischer pythagoreischer Urweisheit scheint keineswegs zu
den juengsten Bestandteilen der roemischen Vorgeschichte zu gehoeren.
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^5 Diese Richtung der Sage erhellt deutlich aus dem aelteren Plinius (nat.
36, 15, 100).
^6 Man rechnete, wie es scheint, drei Geschlechter auf ein Jahrhundert und
rundete die Ziffer 233 1/3 auf 240 ab, aehnlich wie die Epoche zwischen der
Koenigsflucht und dem Stadtbrand auf 120 Jahre abgerundet ward. Wodurch man
gerade auf diese Zahlen gefuehrt ward, zeigt zum Beispiel die oben eroerterte
Feststellung des Flaechenmasses.
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Analog diesen Anfaengen der Gemeinde sind auch die Stammbaeume der edlen
Geschlechter in aehnlicher Weise vervollstaendigt und in beliebter heraldischer
Manier durchgaengig auf erlauchte Ahnen zurueckgefuehrt worden; wie denn zum
Beispiel die Aemilier, Calpurnier, Pinarier und Pomponier von den vier Soehnen
des Numa: Mamercus, Calpus, Pinus und Pompo, die Aemilier ueberdies noch von dem
Sohne des Pythagoras Mamercus, der "Wohlredende" (aim?los) genannt, abstammen
wollten.
Dennoch darf trotz der ueberall hervortretenden hellenischen Reminiszenzen
diese Vorgeschichte der Gemeinde wie der Geschlechter wenigstens relativ eine
nationale genannt werden, insofern sie teils in Rom entstanden, teils ihre
Tendenz zunaechst nicht darauf gerichtet ist, eine Bruecke zwischen Rom und
Griechenland, sondern eine Bruecke zwischen Rom und Latium zu schlagen.
Es war die hellenische Erzaehlung und Dichtung, welche jener anderen
Aufgabe sich unterzog. Die hellenische Sage zeigt durchgaengig das Bestreben,
mit der allmaehlich sich erweiternden geographischen Kunde Schritt zu halten und
mit Hilfe ihrer zahllosen Wander- und Schiffergeschichten eine dramatisierte
Erdbeschreibung zu gestalten. Indes verfaehrt sie dabei selten naiv. Ein Bericht
wie der des aeltesten Rom erwaehnenden griechischen Geschichtswerkes, der
sizilischen Geschichte des Antiochos von Syrakus (geschlossen 330 424): dass ein
Mann namens Sikelos aus Rom nach Italia, das heisst nach der brettischen
Halbinsel gewandert sei - ein solcher, einfach die Stammverwandtschaft der
Roemer, Siculer und Brettier historisierender und von aller hellenisierenden
Faerbung freier Bericht ist eine seltene Erscheinung. Im ganzen ist die Sage,
und je spaeter desto mehr, beherrscht von der Tendenz, die ganze Barbarenwelt
darzustellen als von den Griechen entweder ausgegangen oder doch unterworfen;
und frueh zog sie in diesem Sinn ihre Faeden auch ueber den Westen. Fuer Italien
sind weniger die Herakles- und Argonautensage von Bedeutung geworden, obwohl
bereits Hekataeos (+ nach 257 497) die Saeulen des Herakles kennt und die Argo
aus dem Schwarzen Meer in den Atlantischen Ozean, aus diesem in den Nil und
zurueck in das Mittelmeer fuehrt, als die an den Fall Ilions anknuepfenden
Heimfahrten. Mit der ersten aufdaemmernden Kunde von Italien beginnt auch
Diomedes im Adriatischen, Odysseus im Tyrrhenischen Meer zu irren, wie denn
wenigstens die letztere Lokalisierung schon der Homerischen Fassung der Sage
nahe genug lag. Bis in die Zeiten Alexanders hinein haben die Landschaften am
Tyrrhenischen Meer in der hellenischen Fabulierung zum Gebiet der Odysseussage
gehoert; noch Ephoros, der mit dem Jahre 414 (340) schloss, und der sogenannte
Skylax (um 418 336) folgen wesentlich dieser. Von troischen Seefahrten weiss die
ganze aeltere Poesie nichts; bei Homer herrscht Aeneas nach Ilions Fall ueber
die in der Heimat zurueckbleibenden Troer. Erst der grosse Mythenwandler
Stesichoros (122-201 632-553) fuehrte in seiner 'Zerstoerung Ilions' den Aeneas
in das Westland, um die Fabelwelt seiner Geburts- und seiner Wahlheimat,
Siziliens und Unteritaliens, durch den Gegensatz der troischen Helden gegen die
hellenischen poetisch zu bereichern. Von ihm ruehren die seitdem feststehenden
dichterischen Umrisse dieser Fabel her, namentlich die Gruppe des Helden, wie er
mit der Gattin und dem Soehnchen und dem alten, die Hausgoetter tragenden Vater
aus dem brennenden Ilion davongeht, und die wichtige Identifizierung der Troer
mit den sizilischen und italischen Autochthonen, welche besonders in dem
troischen Trompeter Misenos, dem Eponymos des Misenischen Vorgebirges, schon
deutlich hervortritt ^7. Den alten Dichter leitete dabei das Gefuehl, dass die
italischen Barbaren den Hellenen minder fern als die uebrigen standen und das
Verhaeltnis der Hellenen und der Italiker dichterisch angemessen dem der
homerischen Achaeer und Troer gleich gefasst werden konnte. Bald mischt sich
denn diese neue Troerfabel mit der aelteren Odysseussage, indem sie zugleich
sich weiter ueber Italien verbreitet. Nach Hellanikos (schrieb um 350 400) kamen
Odysseus und Aeneas durch die thrakische und molottische (epeirotische)
Landschaft nach Italien, wo die mitgefuehrten troischen Frauen die Schiffe
verbrennen und Aeneas die Stadt Rom gruendet und sie nach dem Namen einer dieser
Troerinnen benennt; aehnlich, nur minder unsinnig, erzaehlte Aristoteles (370-
432 384-322), dass ein achaeisches, an die latinische Kueste verschlagenes
Geschwader von den troischen Sklavinnen angezuendet worden und aus den
Nachkommen der also zum Dableiben genoetigten achaeischen Maenner und ihrer
troischen Frauen die Latiner hervorgegangen seien. Damit mischten denn auch sich
Elemente der einheimischen Sage, wovon der rege Verkehr zwischen Sizilien und
Italien wenigstens gegen das Ende dieser Epoche schon die Kunde bis nach
Sizilien verbreitet hatte; in der Version von Roms Entstehung, welche der
Sizilianer Kallias um 465 (289) aufzeichnete, sind Odysseus-, Aeneas- und
Romulusfabeln ineinandergeflossen ^8. Aber der eigentliche Vollender der spaeter
gelaeufigen Fassung dieser Troerwanderung ist Timaeos von Tauromenion auf
Sizilien, der sein Geschichtswerk 492 (262) schloss. Er ist es, bei dem Aeneas
zuerst Lavinium mit dem Heiligtum der troischen Penaten und dann erst Rom
gruendet; er muss auch schon die Tyrerin Elisa oder Dido in die Aeneassage
eingeflochten haben, da bei ihm Dido Karthagos Gruenderin ist und Rom und
Karthago ihm in demselben Jahre erbaut heissen. Den Anstoss zu diesen Neuerungen
gaben, neben der eben zu der Zeit und an dem Orte, wo Timaeos schrieb, sich
vorbereitenden Krise zwischen den Roemern und den Karthagern, offenbar gewisse
nach Sizilien gelangte Berichte ueber latinische Sitten und Gebraeuche; im
wesentlichen aber kann die Erzaehlung nicht von Latium heruebergenommen, sondern
nur die eigene nichtsnutzige Erfindung der alten "Sammelvettel" gewesen sein.
Timaeos hatte von dem uralten Tempel der Hausgoetter in Lavinium erzaehlen
hoeren; aber dass diese den Lavinaten als die von den Aeneiaden aus Ilion
mitgebrachten Penaten gaelten, hat er ebenso sicher von dem Seinigen hinzugetan,
wie die scharfsinnige Parallele zwischen dem roemischen Oktoberross und dem
Trojanischen Pferde und die genaue Inventarisierung der lavinischen Heiligtuemer
- es waren, sagt der wuerdige Gewaehrsmann, Heroldstaebe von Eisen und Kupfer
und ein toenerner Topf troischer Fabrik! Freilich durften eben die Penaten noch
Jahrhunderte spaeter durchaus von keinem geschaut werden; aber Timaeos war einer
von den Historikern, die ueber nichts so genau Bescheid wissen als ueber
unwissbare Dinge. Nicht mit Unrecht riet Polybios, der den Mann kannte, ihm
nirgend zu trauen, am wenigsten aber da, wo er - wie hier - sich auf urkundliche
Beweisstuecke berufe. In der Tat war der sizilische Rhetor, der das Grab des
Thukydides in Italien zu zeigen wusste und der fuer Alexander kein hoeheres Lob
fand, als dass er schneller mit Asien fertig geworden sei als Isokrates mit
seiner 'Lobrede', vollkommen berufen, aus der naiven Dichtung der aelteren Zeit
den wuesten Brei zu kneten, welchem das Spiel des Zufalls eine so seltsame
Zelebritaet verliehen hat.
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^7 Auch die troischen Kolonien" auf Sizilien, die Thukydides, Pseudoskylax
und andere nennen, sowie die Bezeichnung Capuas als einer troischen Gruendung
bei Hekataeos werden auf Stesichoros und auf dessen Identifizierung der
italischen und sizilischen Eingeborenen mit den Troern zurueckgehen.
^8 Nach ihm vermaehlte sich eine aus Ilion nach Rom gefluechtete Frau Rome
oder vielmehr deren gleichnamige Tochter mit dem Koenig der Aboriginer Latinos
und gebar ihm drei Soehne, Romos, Romylos und Telegonos. Der letzte, der ohne
Zweifel hier als Gruender von Tusculum und Praeneste auftritt, gehoert
bekanntlich der Odysseussage an.
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Inwieweit die hellenische Fabulierung ueber italische Dinge, wie sie
zunaechst in Sizilien entstand, schon jetzt in Italien selbst Eingang gefunden
hat, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Die Anknuepfungen an den
odysseischen Kreis, welche spaeterhin in den Gruendungssagen von Tusculum,
Praeneste, Antium, Ardea, Cortona begegnen, werden wohl schon in dieser Zeit
sich angesponnen haben; und auch der Glaube an die Abstammung der Roemer von
Troern oder Troerinnen musste schon am Schluss dieser Epoche in Rom feststehen,
da die erste nachweisliche Beruehrung zwischen Rom und dem griechischen Osten
die Verwendung des Senats fuer die "stammverwandten" Ilier im Jahre 472 (282)
ist. Dass aber dennoch die Aeneasfabel in Italien verhaeltnismaessig jung ist,
beweist ihre im Vergleich mit der odysseischen hoechst duerftige Lokalisierung;
und die Schlussredaktion dieser Erzaehlungen sowie ihre Ausgleichung mit der
roemischen Ursprungssage gehoert auf jeden Fall erst der Folgezeit an.
Waehrend also bei den Hellenen die Geschichtschreibung, oder was so genannt
ward, sich um die Vorgeschichte Italiens in ihrer Art bemuehte, liess sie in
einer fuer den gesunkenen Zustand der hellenischen Historie ebenso bezeichnenden
wie fuer uns empfindlichen Weise die gleichzeitige italische Geschichte so gut
wie vollstaendig liegen. Kaum dass Theopomp von Chios (schloss 418 336) der
Einnahme Roms durch die Kelten beilaeufig gedachte und Aristoteles, Kleitarchos,
Theophrastos, Herakleides von Pontos (+ um 450 300) einzelne Rom betreffende
Ereignisse gelegentlich erwaehnten; erst mit Hieronymos von Kardia, der als
Geschichtschreiber des Pyrrhos auch dessen italische Kriege erzaehlte, wird die
griechische Historiographie zugleich Quelle fuer die roemische Geschichte.
Unter den Wissenschaften empfing die Jurisprudenz eine unschaetzbare
Grundlage durch die Aufzeichnung des Stadtrechts in den Jahren 303, 304 (451,
450). Dieses unter dem Namen der Zwoelf Tafeln bekannte Weistum ist wohl das
aelteste roemische Schriftstueck, das den Namen eines Buches verdient. Nicht
viel juenger mag der Kern der sogenannten "koeniglichen Gesetze" sein, das
heisst gewisser, vorzugsweise sakraler Vorschriften, die auf Herkommen beruhten
und wahrscheinlich von dem Kollegium der Pontifices, das zur Gesetzgebung nicht,
wohl aber zur Gesetzweisung befugt war, unter der Form koeniglicher Verordnungen
zu allgemeiner Kunde gebracht wurden. Ausserdem sind vermutlich schon seit dem
Anfang dieser Periode wenn nicht die Volks-, so doch die wichtigsten
Senatsbeschluesse regelmaessig schriftlich verzeichnet worden; wie denn ueber
deren Aufbewahrung bereits in den fruehesten staendischen Kaempfen mitgestritten
ward.
Waehrend also die Masse der geschriebenen Rechtsurkunden sich mehrte,
stellten auch die Grundlagen einer eigentlichen Rechtswissenschaft sich fest.
Sowohl den jaehrlich wechselnden Beamten als den aus dem Volke herausgegriffenen
Geschworenen war es Beduerfnis, an sachkundige Maenner sich wenden zu koennen,
welche den Rechtsgang kannten und nach Praezedentien oder in deren Ermangelung
nach Gruenden eine Entscheidung an die Hand zu geben wussten. Die Pontifices,
die es gewohnt waren, sowohl wegen der Gerichtstage als wegen aller auf die
Goetterverehrung bezueglichen Bedenken und Rechtsakte vom Volke angegangen zu
werden, gaben auch in anderen Rechtspunkten auf Verlangen Ratschlaege und
Gutachten ab und entwickelten so im Schoss ihres Kollegiums die Tradition, die
dem roemischen Privatrecht zugrunde liegt, vor allem die Formeln der rechten
Klage fuer jeden einzelnen Fall. Ein Spiegel, der all diese Klagen
zusammenfasste, nebst einem Kalender, der die Gerichtstage angab, wurde um 450
(300) von Appius Claudius oder von dessen Schreiber Gnaeus Flavius dem Volk
bekanntgemacht. Indes dieser Versuch, die ihrer selbst noch nicht bewusste
Wissenschaft zu formulieren, steht fuer lange Zeit gaenzlich vereinzelt da. Dass
die Kunde des Rechtes und die Rechtweisung schon jetzt ein Mittel war, dem Volk
sich zu empfehlen und zu Staatsaemtern zu gelangen, ist begreiflich, wenn auch
die Erzaehlung, dass der erste plebejische Pontifex Publius Sempronius Sophus
(Konsul 450 304) und der erste plebejische Oberpontifex Tiberius Coruncanius
(Konsul 474 280) diese Priesterehren ihrer Rechtskenntnis verdankten, wohl eher
Mutmassung Spaeterer ist als Ueberlieferung.
Dass die eigentliche Genesis der lateinischen und wohl auch der anderen
italischen Sprachen vor diese Periode faellt und schon zu Anfang derselben die
lateinische Sprache im wesentlichen fertig war, zeigen die freilich durch ihre
halb muendliche Tradition stark modernisierten Bruchstuecke der Zwoelf Tafeln,
welche wohl eine Anzahl veralteter Woerter und schroffer Verbindungen,
namentlich infolge der Weglassung des unbestimmten Subjekts, aber doch
keineswegs, wie das Arvalied, wesentliche Schwierigkeiten des Verstaendnisses
darbieten und weit mehr mit der Sprache Catos als mit der der alten Litaneien
uebereinkommen. Wenn die Roemer im Anfang des siebenten Jahrhunderts Muehe
hatten, Urkunden des fuenften zu verstehen, so kam dies ohne Zweifel nur daher,
dass es damals in Rom noch keine eigentliche Forschung, am wenigsten eine
Urkundenforschung gab. Dagegen wird in dieser Zeit der beginnenden Rechtweisung
und Gesetzesredaktion auch der roemische Geschaeftsstil zuerst sich festgestellt
haben, welcher, wenigstens in seiner entwickelten Gestalt, an feststehenden
Formeln und Wendungen, endloser Aufzaehlung der Einzelheiten und langatmigen
Perioden der heutigen englischen Gerichtssprache nichts nachgibt und sich dem
Eingeweihten durch Schaerfe und Bestimmtheit empfiehlt, waehrend der Laie je
nach Art und Laune mit Ehrfurcht, Ungeduld oder Aerger nichtsverstehend zuhoert.
Ferner begann in dieser Epoche die rationelle Behandlung der einheimischen
Sprachen. Um den Anfang derselben drohte, wie wir sahen, das sabellische wie das
latinische Idiom sich zu barbarisieren und griff die Verschleifung der Endungen,
die Verdumpfung der Vokale und der feineren Konsonanten aehnlich um sich wie im
fuenften und sechsten Jahrhundert unserer Zeitrechnung innerhalb der romanischen
Sprachen. Hiergegen trat aber eine Reaktion ein: im Oskischen werden die
zusammengefallenen Laute d und r, im Lateinischen die zusammengefallenen Laute g
und k wieder geschieden und jeder mit seinem eigenen Zeichen versehen; o und u,
fuer die es im oskischen Alphabet von Haus aus an gesonderten Zeichen gemangelt
hatte und die im Lateinischen zwar urspruenglich geschieden waren, aber
zusammenzufallen drohten, traten wieder auseinander, ja im Oskischen wird sogar
das i in zwei lautlich und graphisch verschiedene Zeichen aufgeloest; endlich
schliesst die Schreibung sich der Aussprache wieder genauer an, wie zum Beispiel
bei den Roemern vielfaeltig s durch r ersetzt ward. Die chronologischen Spuren
fuehren fuer diese Reaktion auf das fuenfte Jahrhundert; das lateinische g zum
Beispiel war um das Jahr 300 (450) noch nicht, wohl aber um das Jahr 500 (250)
vorhanden; der erste des Papirischen Geschlechts, der sich Papirius statt
Papisius nannte, war der Konsul des Jahres 418 (336); die Einfuehrung jenes r
anstatt des s wird dem Appius Claudius, Zensor 442 (312) beigelegt. Ohne Zweifel
steht die Zurueckfuehrung einer feineren und schaerferen Aussprache im
Zusammenhang mit dem steigenden Einfluss der griechischen Zivilisation, welcher
eben in dieser Zeit sich auf allen Gebieten des italischen Wesens bemerklich
macht; und wie die Silbermuenzen von Capua und Nola weit vollkommener sind als
die gleichzeitigen Asse von Ardea und Rom, so scheint auch Schrift und Sprache


 


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