Römische Geschichte Book 3
by
Theodor Mommsen

Part 1 out of 9







The following e-text of Mommsen's Roemische Geschichte contains some
(ancient) Greek quotations. The character set used for those
quotations is a modern Greek character set. Therefore, aspirations are
not marked in Greek words, nor is there any differentiation between
the different accents of ancient Greek and the subscript iotas are
missing as well.

Theodor Mommsen
Roemische Geschichte

Drittes Buch
Von der Einigung Italiens bis auf die Unterwerfung Karthagos und der
griechischen Staaten

arduum res gestas scribere
arg beschwerlich ist es, Geschichte zu schreiben
Sallust
1. Kapitel
Karthago
Der semitische Stamm steht inmitten und doch auch ausserhalb der Voelker
der alten klassischen Welt. Der Schwerpunkt liegt fuer jenen im Osten, fuer
diese am Mittelmeer, und wie auch Krieg und Wanderung die Grenze verschoben und
die Staemme durcheinanderwarfen, immer schied und scheidet ein tiefes Gefuehl
der Fremdartigkeit die indogermanischen Voelker von den syrischen,
israelitischen, arabischen Nationen. Dies gilt auch von demjenigen semitischen
Volke, das mehr als irgendein anderes gegen Westen sich ausgebreitet hat, von
den Phoenikern. Ihre Heimat ist der schmale Kuestenstreif zwischen Kleinasien,
dem syrischen Hochland und Aegypten, die Ebene genannt, das heisst Kanaan. Nur
mit diesem Namen hat die Nation sich selber genannt - noch in der christlichen
Zeit nannte der afrikanische Bauer sich einen Kanaaniter; den Hellenen aber
hiess Kanaan das "Purpurland" oder auch das "Land der roten Maenner", Phoenike,
und Punier pflegten auch die Italiker, Phoeniker oder Punier pflegen wir noch
die Kanaaniter zu heissen. Das Land ist wohl geeignet zum Ackerbau; aber vor
allen Dingen sind die vortrefflichen Haefen und der Reichtum an Holz und
Metallen dem Handel guenstig, der hier, wo das ueberreiche oestliche Festland
hinantritt an die weithin sich ausbreitende insel- und hafenreiche
Mittellaendische See, vielleicht zuerst in seiner ganzen Grossartigkeit dem
Menschen aufgegangen ist. Was Mut, Scharfsinn und Begeisterung vermoegen, haben
die Phoeniker aufgeboten, um dem Handel und was aus ihm folgt, der Schiffahrt,
Fabrikation, Kolonisierung, die volle Entwicklung zu geben und Osten und Westen
zu vermitteln. In unglaublich frueher Zeit finden wir sie in Kypros und
Aegypten, in Griechenland und Sizilien, in Afrika und Spanien, ja sogar auf dem
Atlantischen Meer und der Nordsee. Ihr Handelsgebiet reicht von Sierra Leone und
Cornwall im Westen bis oestlich zur malabarischen Kueste; durch ihre Haende
gehen das Gold und die Perlen des Ostens, der tyrische Purpur, die Sklaven, das
Elfenbein, die Loewen- und Pardelfelle aus dem inneren Afrika, der arabische
Weihrauch, das Linnen Aegyptens, Griechenlands Tongeschirr und edle Weine, das
kyprische Kupfer, das spanische Silber, das englische Zinn, das Eisen von Elba.
Jedem Volke bringen die phoenikischen Schiffer, was es brauchen kann oder doch
kaufen mag, und ueberall kommen sie herum, um immer wieder zurueckzukehren zu
der engen Heimat, an der ihr Herz haengt. Die Phoeniker haben wohl ein Recht, in
der Geschichte genannt zu werden neben der hellenischen und der latinischen
Nation; aber auch an ihnen und vielleicht an ihnen am meisten bewaehrt es sich,
dass das Altertum die Kraefte der Voelker einseitig entwickelte. Die
grossartigen und dauernden Schoepfungen, welche auf dem geistigen Gebiete
innerhalb des aramaeischen Stammes entstanden sind, gehoeren nicht zunaechst den
Phoenikern an; wenn Glauben und Wissen in gewissem Sinn den aramaeischen
Nationen vor allen anderen eigen und den Indogermanen erst aus dem Osten
zugekommen sind, so hat doch weder die phoenikische Religion noch die
phoenikische Wissenschaft und Kunst, soviel wir sehen, jemals unter den
aramaeischen einen selbstaendigen Rang eingenommen. Die religioesen
Vorstellungen der Phoeniker sind formlos und unschoen, und ihr Gottesdienst
schien Luesternheit und Grausamkeit mehr zu naehren als zu baendigen bestimmt;
von einer besonderen Einwirkung phoenikischer Religion auf andere Voelker wird
wenigstens in der geschichtlich klaren Zeit nichts wahrgenommen. Ebensowenig
begegnet eine auch nur der italischen, geschweige denn derjenigen der
Mutterlaender der Kunst vergleichbare phoenikische Tektonik oder Plastik. Die
aelteste Heimat der wissenschaftlichen Beobachtung und ihrer praktischen
Verwertung ist Babylon oder doch das Euphratland gewesen: hier wahrscheinlich
folgte man zuerst dem Lauf der Sterne; hier schied und schrieb man zuerst die
Laute der Sprache; hier begann der Mensch ueber Zeit und Raum und ueber die in
der Natur wirkenden Kraefte zu denken; hierhin fuehren die aeltesten Spuren der
Astronomie und Chronologie, des Alphabets, der Masse und Gewichte. Die Phoeniker
haben wohl von den kunstreichen und hoch entwickelten babylonischen Gewerken
fuer ihre Industrie, von der Sternbeobachtung fuer ihre Schiffahrt, von der
Lautschrift und der Ordnung der Masse fuer ihren Handel Vorteil gezogen und
manchen wichtigen Keim der Zivilisation mit ihren Waren vertrieben; aber dass
das Alphabet oder irgendein anderes jener genialen Erzeugnisse des
Menschengeistes ihnen eigentuemlich angehoere, laesst sich nicht erweisen, und
was durch sie von religioesen und wissenschaftlichen Gedanken den Hellenen
zukam, das haben sie mehr wie der Vogel das Samenkorn als wie der Ackersmann die
Saat ausgestreut. Die Kraft die bildungsfaehigen Voelker, mit denen sie sich
beruehrten, zu zivilisieren und sich zu assimilieren, wie sie die Hellenen und
selbst die Italiker besitzen, fehlte den Phoenikern gaenzlich. Im
Eroberungsgebiet der Roemer sind vor der romanischen Zunge die iberischen und
die keltischen Sprachen verschollen; die Berber Afrikas reden heute noch
dieselbe Sprache wie zu den Zeiten der Hannos und der Barkiden. Aber vor allem
mangelt den Phoenikern, wie allen aramaeischen Nationen im Gegensatz zu den
indogermanischen, der staatenbildende Trieb, der geniale Gedanke der sich selber
regierenden Freiheit. Waehrend der hoechsten Bluete von Sidon und Tyros ist das
phoenikische Land der ewige Zankapfel der am Euphrat und am Nil herrschenden
Maechte und bald den Assyrern, bald den Aegyptern untertan. Mit der halben Macht
haetten hellenische Staedte sich unabhaengig gemacht; aber die vorsichtigen
sidonischen Maenner, berechnend, dass die Sperrung der Karawanenstrassen nach
dem Osten oder der aegyptischen Haefen ihnen weit hoeher zu stehen komme als der
schwerste Tribut, zahlten lieber puenktlich ihre Steuern, wie es fiel nach
Ninive oder nach Memphis, und fochten sogar, wenn es nicht anders sein konnte,
mit ihren Schiffen die Schlachten der Koenige mit. Und wie die Phoeniker daheim
den Druck der Herren gelassen ertrugen, waren sie auch draussen keineswegs
geneigt, die friedlichen Bahnen der kaufmaennischen mit der erobernden Politik
zu vertauschen. Ihre Niederlassungen sind Faktoreien; es liegt ihnen mehr daran,
den Eingeborenen Waren abzunehmen und zuzubringen, als weite Gebiete in fernen
Laendern zu erwerben und daselbst die schwere und langsame Arbeit der
Kolonisierung durchzufuehren. Selbst mit ihren Konkurrenten vermeiden sie den
Krieg; aus Aegypten, Griechenland, Italien, dem oestlichen Sizilien lassen sie
fast ohne Widerstand sich verdraengen und in den grossen Seeschlachten, die in
frueher Zeit um die Herrschaft im westlichen Mittelmeer geliefert worden sind,
bei Alalia (217 537) und Kyme (280 474), sind es die Etrusker, nicht die
Phoeniker, die die Schwere des Kampfes gegen die Griechen tragen. Ist die
Konkurrenz einmal nicht zu vermeiden, so gleicht man sich aus, so gut es gehen
will; es ist nie von den Phoenikern ein Versuch gemacht worden, Caere oder
Massalia zu erobern. Noch weniger natuerlich sind die Phoeniker zum
Angriffskrieg geneigt. Das einzige Mal, wo sie in der aelteren Zeit offensiv auf
dem Kampfplatze erscheinen, in der grossen sizilischen Expedition der
afrikanischen Phoeniker, welche mit der Niederlage bei Himera durch Gelon von
Syrakus endigte (274 480), sind sie nur als gehorsame Untertanen des
Grosskoenigs und um der Teilnahme an dem Feldzug gegen die oestlichen Hellenen
auszuweichen, gegen die Hellepen des Westens ausgerueckt; wie denn ihre
syrischen Stammgenossen in der Tat in demselben Jahr sich mit den Persern bei
Salamis mussten schlagen lassen.
Es ist das nicht Feigheit; die Seefahrt in unbekannten Gewaessern und mit
bewaffneten Schiffen fordert tapfere Herzen, und dass diese unter den Phoenikern
zu finden waren, haben sie oft bewiesen. Es ist noch weniger Mangel an
Zaehigkeit und Eigenartigkeit des Nationalgefuehls; vielmehr haben die Aramaeer
mit einer Hartnaeckigkeit, welche kein indogermanisches Volk je erreicht hat und
welche uns Okzidentalen bald mehr, bald weniger als menschlich zu sein duenkt,
ihre Nationalitaet gegen alle Lockungen der griechischen Zivilisation wie gegen
alle Zwangsmittel der orientalischen und okzidentalischen Despoten mit den
Waffen des Geistes wie mit ihrem Blute verteidigt. Es ist der Mangel an
staatlichem Sinn, der bei dem lebendigsten Stammgefuehl, bei der treuesten
Anhaenglichkeit an die Vaterstadt doch das eigenste Wesen der Phoeniker
bezeichnet. Die Freiheit lockte sie nicht und es geluestete sie nicht nach der
Herrschaft; "ruhig lebten sie", sagt das Buch der Richter, "nach der Weise der
Sidonier, sicher und wohlgemut und im Besitz von Reichtum".
Unter allen phoenikischen Ansiedlungen gediehen keine schneller und
sicherer als die von den Tyriern und Sidoniern an der Suedkueste Spaniens und an
der nordafrikanischen gegruendeten, in welche Gegenden weder der Arm des
Grosskoenigs noch die gefaehrliche Rivalitaet der griechischen Seefahrer
reichte, die Eingeborenen aber den Fremdlingen gegenueberstanden wie in Amerika
die Indianer den Europaeern. Unter den zahlreichen und bluehenden phoenikischen
Staedten an diesen Gestaden ragte vor allem hervor die "Neustadt", Karthada
oder, wie die Okzidentalen sie nennen, Karchedon oder Karthago. Nicht die
frueheste Niederlassung der Phoeniker in dieser Gegend und urspruenglich
vielleicht schutzbefohlene Stadt des nahen Utica, der aeltesten Phoenikerstadt
in Libyen, ueberfluegelte sie bald ihre Nachbarn, ja die Heimat selbst durch die
unvergleichlich guenstige Lage und die rege Taetigkeit ihrer Bewohner. Gelegen
unfern der (ehemaligen) Muendung des Bagradas (Medscherda), der die reichste
Getreidelandschaft Nordafrikas durchstroemt, auf einer fruchtbaren noch heute
mit Landhaeusern besetzten und mit Oliven- und Orangenwaeldern bedeckten
Anschwellung des Bodens, der gegen die Ebene sanft sich abdacht und an der
Seeseite als meerumflossenes Vorgebirg endigt, inmitten des grossen Hafens von
Nordafrika, des Golfes von Tunis, da wo dies schoene Bassin den besten
Ankergrund fuer groessere Schiffe und hart am Strande trinkbares Quellwasser
darbietet, ist dieser Platz fuer Ackerbau und Handel und die Vermittlung beider
so einzig guenstig, dass nicht bloss die tyrische Ansiedlung daselbst die erste
phoenikische Kaufstadt ward, sondern auch in der roemischen Zeit Karthago, kaum
wiederhergestellt, die dritte Stadt des Kaiserreichs wurde und noch heute unter
nicht guenstigen Verhaeltnissen und an einer weit weniger gut gewaehlten Stelle
dort eine Stadt von hunderttausend Einwohnern besteht und gedeiht. Die agrikole,
merkantile, industrielle Bluete einer Stadt in solcher Lage und mit solchen
Bewohnern erklaert sich selbst; wohl aber fordert die Frage eine Antwort, auf
welchem Weg diese Ansiedlung zu einer politischen Machtentwicklung gelangte, wie
sie keine andere phoenikische Stadt besessen hat.
Dass der phoenikische Stamm seine politische Passivitaet auch in Karthago
nicht verleugnet hat, dafuer fehlt es keineswegs an Beweisen. Karthago bezahlte
bis in die Zeiten seiner Bluete hinab fuer den Boden, den die Stadt einnahm,
Grundzins an die einheimischen Berber, den Stamm der Maxyer oder Maxitaner; und
obwohl das Meer und die Wueste die Stadt hinreichend schuetzten vor jedem
Angriff der oestlichen Maechte, scheint Karthago doch die Herrschaft des
Grosskoenigs wenn auch nur dem Namen nach anerkannt und ihm gelegentlich gezinst
zu haben, um sich die Handelsverbindungen mit Tyros und dem Osten zu sichern.
Aber bei allem guten Willen, sich zu fuegen und zu schmiegen, traten doch
Verhaeltnisse ein, die diese Phoeniker in eine energischere Politik draengten.
Vor dem Strom der hellenischen Wanderung, der sich unaufhaltsam gegen Westen
ergoss, der die Phoeniker schon aus dem eigentlichen Griechenland und von
Italien verdraengt hatte und eben sich anschickte, in Sizilien, in Spanien, ja
in Libyen selbst das gleiche zu tun, mussten die Phoeniker doch irgendwo
standhalten, wenn sie nicht gaenzlich sich wollten erdruecken lassen. Hier, wo
sie mit griechischen Kaufleuten und nicht mit dem Grosskoenig zu tun hatten,
genuegte es nicht, sich zu unterwerfen, um gegen Schoss und Zins Handel und
Industrie in alter Weise fortzufuehren. Schon waren Massalia und Kyrene
gegruendet; schon das ganze oestliche Sizilien in den Haenden der Griechen; es
war fuer die Phoeniker die hoechste Zeit zu ernstlicher Gegenwehr. Die Karthager
nahmen sie auf; in langen und hartnaeckigen Kriegen setzten sie dem Vordringen
der Kyrenaeer eine Grenze und der Hellenismus vermochte nicht sich westwaerts
der Wueste von Tripolis festzusetzen. Mit karthagischer Hilfe erwehrten ferner
die phoenikischen Ansiedler auf der westlichen Spitze Siziliens sich der
Griechen und begaben sich gern und freiwillig in die Klientel der maechtigen
stammverwandten Stadt. Diese wichtigen Erfolge, die ins zweite Jahrhundert Roms
fallen und die den suedwestlichen Teil des Mittelmeers den Phoenikern retteten,
gaben der Stadt, die sie erfochten hatte, von selbst die Hegemonie der Nation
und zugleich eine veraenderte politische Stellung. Karthago war nicht mehr eine
blosse Kaufstadt; sie zielte nach der Herrschaft ueber Libyen und ueber einen
Teil des Mittelmeers, weil sie es musste. Wesentlich trug wahrscheinlich bei zu
diesen Erfolgen das Aufkommen der Soeldnerei, die in Griechenland etwa um die
Mitte des vierten Jahrhunderts der Stadt in Uebung kam, bei den Orientalen aber,
namentlich bei den Karern weit aelter ist und vielleicht eben durch die
Phoeniker emporkam. Durch das auslaendische Werbesystem ward der Krieg zu einer
grossartigen Geldspekulation, die eben recht im Sinn des phoenikischen Wesens
ist.
Es war wohl erst die Rueckwirkung dieser auswaertigen Erfolge, welche die
Karthager veranlasste, in Afrika von Miet- und Bitt- zum Eigenbesitz und zur
Eroberung ueberzugehen. Erst um 300 Roms (450) scheinen die karthagischen
Kaufleute sich des Bodenzinses entledigt zu haben, den sie bisher den
Einheimischen hatten entrichten muessen. Dadurch ward eine eigene
Ackerwirtschaft im grossen moeglich. Von jeher hatten die Phoeniker es sich
angelegen sein lassen, ihre Kapitalien auch als Grundbesitzer zu nutzen und den
Feldbau im grossen Massstab zu betreiben durch Sklaven oder gedungene Arbeiter;
wie denn ein grosser Teil der Juden in dieser Art den tyrischen Kaufherren um
Tagelohn dienstbar war. Jetzt konnten die Karthager unbeschraenkt den reichen
libyschen Boden ausbeuten durch ein System, das dem der heutigen
Plantagenbesitzer verwandt ist: gefesselte Sklaven bestellten das Land - wir
finden, dass einzelne Buerger deren bis zwanzigtausend besassen. Man ging
weiter. Die ackerbauenden Doerfer der Umgegend - der Ackerbau scheint bei den
Libyern sehr frueh und wahrscheinlich schon vor der phoenikischen Ansiedlung,
vermutlich von Aegypten aus, eingefuehrt zu sein - wurden mit Waffengewalt
unterworfen und die freien libyschen Bauern umgewandelt in Fellahs, die ihren
Herren den vierten Teil der Bodenfruechte als Tribut entrichteten und zur
Bildung eines eigenen karthagischen Heeres einem regelmaessigen
Rekrutierungssystem unterworfen wurden. Mit den schweifenden Hirtenstaemmen
(nomades) an den Grenzen waehrten die Fehden bestaendig; indes sicherte eine
verschanzte Postenkette das befriedete Gebiet und langsam wurden jene
zurueckgedraengt in die Wuesten und Berge oder gezwungen, die karthagische
Oberherrschaft anzuerkennen, Tribut zu zahlen und Zuzug zu stellen. Um die Zeit
des Ersten Punischen Krieges ward ihre grosse Stadt Theveste (Tebessa, an den
Quellen des Medscherda) von den Karthagern erobert. Dies sind die "Staedte und
Staemme (ethn/e/) der Untertanen", die in den karthagischen Staatsvertraegen
erscheinen; jenes die unfreien libyschen Doerfer, dieses die untertaenigen
Nomaden.
Hierzu kam endlich die Herrschaft Karthagos ueber die uebrigen Phoeniker in
Afrika oder die sogenannten Libyphoeniker. Es gehoerten zu diesen teils die von
Karthago aus an die ganze afrikanische Nord- und einen Teil der Nordwestkueste
gefuehrten kleineren Ansiedelungen, die nicht unbedeutend gewesen sein koennen,
da allein am Atlantischen Meer auf einmal 30000 solcher Kolonisten sesshaft
gemacht wurden, teils die besonders an der Kueste der heutigen Provinz
Constantine und des Beylik von Tunis zahlreichen altphoenikischen
Niederlassungen, zum Beispiel Hippo, spaeter regius zugenannt (Bona), Hadrumetum
(Susa), Klein-Leptis (suedlich von Susa) - die zweite Stadt der afrikanischen
Phoeniker -, Thapsus (ebendaselbst), Gross-Leptis (Lebda westlich von Tripolis).
Wie es gekommen ist, dass sich all diese Staedte unter karthagische
Botmaessigkeit begaben, ob freiwillig, etwa um sich zu schirmen vor den
Angriffen der Kyrenaeer und Numidier, oder gezwungen, ist nicht mehr
nachzuweisen; sicher aber ist es, dass sie als Untertanen der Karthager selbst
in offiziellen Aktenstuecken bezeichnet werden, ihre Mauern hatten niederreissen
muessen und Steuer und Zuzug nach Karthago zu leisten hatten. Indes waren sie
weder der Rekrutierung noch der Grundsteuer unterworfen, sondern leisteten ein
Bestimmtes an Mannschaft und Geld, Klein-Leptis zum Beispiel jaehrlich die
ungeheure Summe von 465 Talenten (574000 Taler); ferner lebten sie nach gleichem
Recht mit den Karthagern und konnten mit ihnen in gleiche Ehe treten ^1. Einzig
Utica war, wohl weniger durch seine Macht als durch die Pietaet der Karthager
gegen ihre alten Beschuetzer, dem gleichen Schicksal entgangen und hatte seine
Mauern und seine Selbstaendigkeit bewahrt; wie denn die Phoeniker fuer solche
Verhaeltnisse eine merkwuerdige, von der griechischen Gleichgueltigkeit
wesentlich abstechende Ehrfurcht hegten. Selbst im auswaertigen Verkehr sind es
stets "Karthago und Utica", die zusammen festsetzen und versprechen; was
natuerlich nicht ausschliesst, dass die weit groessere Neustadt der Tat nach
auch ueber Utica die Hegemonie behauptete. So ward aus der tyrischen Faktorei
die Hauptstadt eines maechtigen nordafrikanischen Reiches, das von der
tripolitanischen Wueste sich erstreckte bis zum Atlantischen Meer, im westlichen
Teil (Marokko und Algier) zwar mit zum Teil oberflaechlicher Besetzung der
Kuestensaeume sich begnuegend, aber in dem reicheren oestlichen, den heutigen
Distrikten von Constantine und Tunis, auch das Binnenland beherrschend und seine
Grenze bestaendig weiter gegen Sueden vorschiebend; die Karthager waren, wie ein
alter Schriftsteller bezeichnend sagt, aus Tyriern Libyer geworden. Die
phoenikische Zivilisation herrschte in Libyen aehnlich wie in Kleinasien und
Syrien die griechische nach den Zuegen Alexanders, wenn auch nicht mit gleicher
Gewalt. An den Hoefen der Nomadenscheichs ward phoenikisch gesprochen und
geschrieben und die zivilisierteren einheimischen Staemme nahmen fuer ihre
Sprache das phoenikische Alphabet an ^2; sie vollstaendig zu phoenikisieren lag
indes weder im Geiste der Nation noch in der Politik Karthagos.
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^1 Die schaerfste Bezeichnung dieser wichtigen Klasse findet sich in dem
karthagischen Staatsvertrag (Polyb. 7, 9), wo sie im Gegensatz einerseits zu den
Uticensern, anderseits zu den libyschen Untertanen heissen: oi Karch /e/doni/o/n
?parch/e/ osoi tois aytois nomois chr/o/ntai. Sonst heissen sie auch Bundes-
symmachides poleis Diod. 20, 10) oder steuerpflichtige Staedte (Liv. 34, 62;
Iust. 22, 7, 3). Ihr Conubium mit den Karthagern erwaehnt Diodoros 20, 55; das
Commercium folgt aus den "gleichen Gesetzen". Dass die altphoenikischen Kolonien
zu den Libyphoenikern gehoeren, beweist die Bezeichnung Hippos als einer
libyphoenikischen Stadt (Liv. 25, 40); anderseits heisst es hinsichtlich der von
Karthago aus gegruendeten Ansiedlungen zum Beispiel im Periplus des Hanno: "Es
beschlossen die Karthager, dass Hanno jenseits der Saeulen des Herkules schiffe
und Staedte der Libyphoeniker gruende". Im wesentlichen bezeichnen die
Libyphoeniker bei den Karthagern nicht eine nationale, sondern eine
staatsrechtliche Kategorie. Damit kann es recht wohl bestehen, dass der Name
grammatisch die mit Libyern gemischten Phoeniker bezeichnet (Liv. 21, 22, Zusatz
zum Text des Polybios); wie denn in der Tat wenigstens bei der Anlage sehr
exponierter Kolonien den Phoenikern haeufig Libyer beigegeben wurden (Diod. 13,
79; Cic. Scaur. 42). Die Analogie im Namen und im Rechtsverhaeltnis zwischen den
Latinern Roms und den Libyphoenikern Karthagos ist unverkennbar.
^2 Das libysche oder numidische Alphabet, das heisst dasjenige, womit die
Berber ihre nichtsemitische Sprache schrieben und schreiben, eines der zahllosen
aus dem aramaeischen Uralphabet abgeleiteten, scheint allerdings diesem in
einzelnen Formen naeher zu stehen als das phoenikische; aber es folgt daraus
noch keineswegs, dass die Libyer die Schrift nicht von den Phoenikern, sondern
von aelteren Einwanderern erhielten, so wenig als die teilweise aelteren Formen
der italischen Alphabete diese aus dem griechischen abzuleiten verbieten.
Vielmehr wird die Ableitung des libyschen Alphabets aus dem phoenikischen einer
Periode des letzteren angehoeren, welche aelter ist als die, in der die auf uns
gekommenen Denkmaeler der phoenikischen Sprache geschrieben wurden.
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Die Epoche, in der diese Umwandlung Karthagos in die Hauptstadt von Libyen
stattgefunden hat, laesst sich um so weniger bestimmen, als die Veraenderung
ohne Zweifel stufenweise erfolgt ist. Der eben erwaehnte Schriftsteller nennt
als den Reformator der Nation den Hanno; wenn dies derselbe ist, der zur Zeit
des ersten Krieges mit Rom lebte, so kann er nur als Vollender des neuen Systems
angesehen werden, dessen Durchfuehrung vermutlich das vierte und fuenfte
Jahrhundert Roms ausgefuellt hat.
Mit dem Aufbluehen Karthagos Hand in Hand ging das Sinken der grossen
phoenikischen Staedte in der Heimat, von Sidon und besonders von Tyros, dessen
Bluete teils infolge innerer Bewegungen, teils durch die Drangsale von aussen,
namentlich die Belagerungen durch Salmanassar im ersten, Nabukodrossor im
zweiten, Alexander im fuenften Jahrhundert Roms zugrunde gerichtet ward. Die
edlen Geschlechter und die alten Firmen von Tyros siedelten groesstenteils ueber
nach der gesicherten und bluehenden Tochterstadt und brachten dorthin ihre
Intelligenz, ihre Kapitalien und ihre Traditionen. Als die Phoeniker mit Rom in
Beruehrung kamen, war Karthago ebenso entschieden die erste kanaanitische Stadt
wie Rom die erste der latinischen Gemeinden.
Aber die Herrschaft ueber Libyen war nur die eine Haelfte der karthagischen
Macht; ihre See- und Kolonialherrschaft hatte gleichzeitig nicht minder gewaltig
sich entwickelt.
In Spanien war der Hauptplatz der Phoeniker die uralte tyrische Ansiedlung
in Gades (Cadiz); ausserdem besassen sie westlich und oestlich davon eine Kette
von Faktoreien und im Innern das Gebiet der Silbergruben, so dass sie etwa das
heutige Andalusien und Granada oder doch wenigstens die Kueste davon innehatten.
Das Binnenland den einheimischen kriegerischen Nationen abzugewinnen war man
nicht bemueht; man begnuegte sich mit dem Besitz der Bergwerke und der Stationen
fuer den Handel und fuer den Fisch- und Muschelfang und hatte Muehe auch nur
hier sich gegen die anwohnenden Staemme zu behaupten. Es ist wahrscheinlich,
dass diese Besitzungen nicht eigentlich karthagisch waren, sondern tyrisch, und
Gades nicht mitzaehlte unter den tributpflichtigen Staedten Karthagos; doch
stand es wie alle westlichen Phoeniker tatsaechlich unter karthagischer
Hegemonie, wie die von Karthago den Gaditanern gegen die Eingeborenen gesandte
Hilfe und die Anlegung karthagischer Handelsniederlassungen westlich von Gades
beweist. Ebusus und die Balearen wurden dagegen von den Karthagern selbst in
frueher Zeit besetzt, teils der Fischereien wegen, teils als Vorposten gegen die
Massalioten, mit denen von hier aus die heftigsten Kaempfe gefuehrt wurden.
Ebenso setzten die Karthager schon am Ende des zweiten Jahrhunderts Roms
sich fest auf Sardinien, welches ganz in derselben Art wie Libyen von ihnen
ausgebeutet ward. Waehrend die Eingeborenen sich in dem gebirgigen Innern der
Insel der Verknechtung zur Feldsklaverei entzogen wie die Numidier in Afrika an
dem Saum der Wueste, wurden nach Karalis (Cagliari) und anderen wichtigen
Punkten phoenikische Kolonien gefuehrt und die fruchtbaren Kuestenlandschaften
durch eingefuehrte libysche Ackerbauern verwertet.
In Sizilien endlich war zwar die Strasse von Messana und die groessere
oestliche Haelfte der Insel in frueher Zeit den Griechen in die Haende gefallen;
allein den Phoenikern blieben unter dem Beistand der Karthager teils die
kleineren Inseln in der Naehe, die Aegaten, Melite, Gaulos, Kossyra, unter denen
namentlich die Ansiedlung auf Malta reich und bluehend war, teils die West- und
Nordwestkueste Siziliens, wo sie von Motye, spaeter von Lilybaeon aus die
Verbindung mit Afrika, von Panormos und Soloeis aus die mit Sardinien
unterhielten. Das Innere der Insel blieb in dem Besitz der Eingeborenen, der
Elymer, Sikaner, Sikeler. Es hatte sich in Sizilien, nachdem das weitere
Vordringen der Griechen gebrochen war, ein verhaeltnismaessig friedlicher
Zustand hergestellt, den selbst die von den Persern veranlasste Heerfahrt der
Karthager gegen ihre griechischen Nachbarn auf der Insel (274 480) nicht auf die
Dauer unterbrach und der im ganzen fortbestand bis auf die attische Expedition
nach Sizilien (339-341 415-413). Die beiden rivalisierenden Nationen bequemten
sich, einander zu dulden, und beschraenkten sich im wesentlichen jede auf ihr
Gebiet.
Alle diese Niederlassungen und Besitzungen waren an sich wichtig genug;
allein noch von weit groesserer Bedeutung insofern, als sie die Pfeiler der
karthagischen Seeherrschaft wurden. Durch den Besitz Suedspaniens, der Balearen,
Sardiniens, des westlichen Sizilien und Melites in Verbindung mit der
Verhinderung hellenischer Kolonisierung, sowohl an der spanischen Ostkueste als
auf Korsika und in der Gegend der Syrten machten die Herren der
nordafrikanischen Kueste ihre See zu einer geschlossenen und monopolisierten die
westliche Meerenge. Nur das Tyrrhenische und gallische Meer mussten die
Phoeniker mit andern Nationen teilen. Es war dies allenfalls zu ertragen,
solange die Etrusker und die Griechen sich hier das Gleichgewicht hielten; mit
den ersteren als den minder gefaehrlichen Nebenbuhlern trat Karthago sogar gegen
die Griechen in Buendnis. Indes als nach dem Sturz der etruskischen Macht, den,
wie es zu gehen pflegt bei derartigen Notbuendnissen, Karthago wohl schwerlich
mit aller Macht abzuwenden bestrebt gewesen war, und nach der Vereitelung der
grossen Entwuerfe des Alkibiades Syrakus unbestritten dastand als die erste
griechische Seemacht, fingen begreiflicherweise nicht nur die Herren von Syrakus
an, nach der Herrschaft ueber Sizilien und Unteritalien und zugleich ueber das
Tyrrhenische und Adriatische Meer zu streben, sondern wurden auch die Karthager
gewaltsam in eine energischere Politik gedraengt. Das naechste Ergebnis der
langen und hartnaeckigen Kaempfe zwischen ihnen und ihrem ebenso maechtigen als
schaendlichen Gegner Dionysios von Syrakus (348-389 406-365) war die Vernichtung
oder Schwaechung der sizilischen Mittelstaaten, die im Interesse beider Parteien
lag und die Teilung der Insel zwischen den Syrakusanern und den Karthagern. Die
bluehendsten Staedte der Insel: Selinus, Himera, Akragas, Gela, Messana, wurden
im Verlauf dieser heillosen Kaempfe von den Karthagern von Grund aus zerstoert;
nicht ungern sah Dionysios, wie das Hellenentum hier zugrunde ging oder doch
geknickt ward, um sodann, gestuetzt auf die fremden, aus Italien, Gallien und
Spanien angeworbenen Soeldner, die veroedeten oder mit Militaerkolonien belegten
Landschaften desto sicherer zu beherrschen. Der Friede, der nach des
karthagischen Feldherrn Mago Sieg bei Kronion 371 (383) abgeschlossen ward und
den Karthagern die griechischen Staedte Thermae (das alte Himera), Egesta,
Herakleia Minoa, Selinus und einen Teil des Gebietes von Akragas bis an den
Halykos unterwarf, galt den beiden um den Besitz der Insel ringenden Maechten
nur als vorlaeufiges Abkommen; immer von neuem wiederholten sich beiderseits die
Versuche, den Nebenbuhler ganz zu verdraengen. Viermal - zur Zeit des aelteren
Dionysios 360 (394), in der Timoleons 410 (344), in der des Agathokles 445
(309), in der pyrrhischen 476 (278) - waren die Karthager Herren von ganz
Sizilien bis auf Syrakus und scheiterten an dessen festen Mauern; fast ebenso
oft schienen die Syrakusaner unter tuechtigen Fuehrern, wie der aeltere
Dionysios, Agathokles und Pyrrhos waren, ihrerseits ebenso nahe daran, die
Afrikaner von der Insel zu verdraengen. Mehr und mehr aber neigte sich das
Uebergewicht auf die Seite der Karthager, von denen regelmaessig der Angriff
ausging und die, wenn sie auch nicht mit roemischer Stetigkeit ihr Ziel
verfolgten, doch mit weit groesserer Planmaessigkeit und Energie den Angriff
betrieben als die von Parteien zerrissene und abgehetzte Griechenstadt die
Verteidigung. Mit Recht durften die Phoeniker erwarten, dass nicht immer eine
Pest oder ein fremder Condottiere die Beute ihnen entreissen wuerde; und
vorlaeufig war wenigstens zur See der Kampf schon entschieden: Pyrrhos' Versuch,
die syrakusanische Flotte wiederherzustellen, war der letzte. Nachdem dieser
gescheitert war, beherrschte die karthagische Flotte ohne Nebenbuhler das ganze
westliche Mittelmeer; und ihre Versuche, Syrakus, Rhegion, Tarent zu besetzen,
zeigten, was man vermochte und wohin man zielte. Hand in Hand damit ging das
Bestreben, den Seehandel dieser Gegend immer mehr sowohl dem Ausland wie den
eigenen Untertanen gegenueber zu monopolisieren; und es war nicht karthagische
Art, vor irgendeiner zum Zwecke fuehrenden Gewaltsamkeit zurueckzuscheuen. Ein
Zeitgenosse der Punischen Kriege, der Vater der Geographie Eratosthenes (479-560
275-194), bezeugt es, dass jeder fremde Schiffer, welcher nach Sardinien oder
nach der Gaditanischen Strasse fuhr, wenn er den Karthagern in die Haende fiel,
von ihnen ins Meer gestuerzt ward; und damit stimmt es voellig ueberein, dass
Karthago den roemischen Handelsschiffen die spanischen, sardinischen und
libyschen Haefen durch den Vertrag vom Jahre 406 (348) freigab, dagegen durch
den vom Jahre 448 (306) sie ihnen mit Ausnahme des eigenen karthagischen
saemtlich schloss.
Die Verfassung Karthagos bezeichnet Aristoteles, der etwa fuenfzig Jahre
vor dein Anfang des Ersten Punischen Krieges starb, als uebergegangen aus der
monarchischen in eine Aristokratie oder in eine zur Oligarchie sich neigende
Demokratie; denn mit beiden Namen benennt er sie. Die Leitung der Geschaefte
stand zunaechst bei dem Rat der Alten, welcher gleich der spartanischen Gerusia
bestand aus den beiden jaehrlich von der Buergerschaft ernannten Koenigen und
achtundzwanzig Gerusiasten, die auch, wie es scheint, Jahr fuer Jahr von der
Buergerschaft erwaehlt wurden. Dieser Rat ist es, der im wesentlichen die
Staatsgeschaefte erledigt, zum Beispiel die Einleitungen zum Kriege trifft, die
Aushebungen und Werbungen anordnet, den Feldherrn ernennt und ihm eine Anzahl
Gerusiasten beiordnet, aus denen dann regelmaessig die Unterbefehlshaber
genommen werden; an ihn werden die Depeschen adressiert. Ob neben diesem kleinen
Rat noch ein grosser stand, ist zweifelhaft; auf keinen Fall hatte er viel zu
bedeuten. Ebensowenig scheint den Koenigen ein besonderer Einfluss zugestanden
zu haben; hauptsaechlich funktionierten sie als Oberrichter, wie sie nicht
selten auch heissen (Schofeten, praetores). Groesser war die Gewalt des
Feldherrn; Isokrates, Aristoteles' aelterer Zeitgenosse, sagt, dass die
Karthager sich daheim oligarchisch, im Felde aber monarchisch regierten und so
mag das Amt des karthagischen Feldherrn mit Recht von roemischen Schriftstellern
als Diktatur bezeichnet werden, obgleich die ihm beigegebenen Gerusiasten
tatsaechlich wenigstens seine Macht beschraenken mussten, und ebenso nach
Niederlegung des Amtes ihn eine den Roemern unbekannte ordentliche
Rechenschaftslegung erwartete. Eine feste Zeitgrenze bestand fuer das Amt des
Feldherrn nicht, und es ist derselbe also schon deshalb vom Jahrkoenig
unzweifelhaft verschieden gewesen, von dem ihn auch Aristoteles ausdruecklich
unterscheidet; doch war die Vereinigung mehrerer Aemter in einer Person bei den
Karthagern ueblich, und so kann es nicht befremden, dass oft derselbe Mann
zugleich als Feldherr und als Schofet erscheint.
Aber ueber der Gerusia und ueber den Beamten stand die Koerperschaft der
Hundertvier-, kuerzer Hundertmaenner oder der Richter, das Hauptbollwerk der
karthagischen Oligarchie. In der urspruenglichen karthagischen Verfassung fand
sie sich nicht, sondern sie war gleich dem spartanischen Ephorat hervorgegangen
aus der aristokratischen Opposition gegen die monarchischen Elemente derselben.
Bei der Kaeuflichkeit der Aemter und der geringen Mitgliederzahl der hoechsten
Behoerde drohte eine einzige durch Reichtum und Kriegsruhm vor allen
hervorleuchtende karthagische Familie, das Geschlecht des Mago, die Verwaltung
in Krieg und Frieden und die Rechtspflege in ihren Haenden zu vereinigen; dies
fuehrte ungefaehr um die Zeit der Dezemvirn zu einer Aenderung der Verfassung
und zur Einsetzung dieser neuen Behoerde. Wir wissen, dass die Bekleidung der
Quaestur ein Anrecht gab zum Eintritt in die Richterschaft, dass aber dennoch
der Kandidat einer Wahl unterlag durch gewisse sich selbst ergaenzende
Fuenfmaennerschaften; ferner dass die Richter, obwohl sie rechtlich vermutlich
von Jahr zu Jahr gewaehlt wurden, doch tatsaechlich laengere Zeit, ja
lebenslaenglich im Amt blieben, weshalb sie bei den Roemern und Griechen
gewoehnlich Senatoren genannt werden. So dunkel das einzelne ist, so klar
erkennt man das Wesen der Behoerde als einer aus aristokratischer Kooptation
hervorgehenden oligarchischen; wovon eine vereinzelte, aber charakteristische
Spur ist, dass in Karthago neben dem gemeinen Buerger- ein eigenes Richterbad
bestand. Zunaechst waren sie bestimmt zu fungieren als politische Geschworene,
die namentlich die Feldherren, aber ohne Zweifel vorkommendenfalls auch die
Schofeten und Gerusiasten nach Niederlegung ihres Amtes zur Verantwortung zogen
und nach Gutduenken, oft in ruecksichtslos grausamer Weise, selbst mit dem Tode
bestraften. Natuerlich ging hier wie ueberall, wo die Verwaltungsbehoerden unter
Kontrolle einer anderen Koerperschaft gestellt werden, der Schwerpunkt der Macht
ueber von der kontrollierten auf die kontrollierende Behoerde; und es begreift
sich leicht, teils dass die letztere allenthalben in die Verwaltung eingriff,
wie denn zum Beispiel die Gerusia wichtige Depeschen erst den Richtern vorlegt
und dann dem Volke, teils dass die Furcht vor der regelmaessig nach dem Erfolg
abgemessenen Kontrolle daheim den karthagischen Staatsmann wie den Feldherrn in
Rat und Tat laehmte.
Die karthagische Buergerschaft scheint, wenn auch nicht wie in Sparta
ausdruecklich auf die passive Assistenz bei den Staatshandlungen beschraenkt,
doch tatsaechlich dabei nur in einem sehr geringen Grade von Einfluss gewesen zu
sein. Bei den Wahlen in die Gerusia war ein offenkundiges Bestechungssystem
Regel; bei der Ernennung eines Feldherrn wurde das Volk zwar befragt, aber wohl
erst, wenn durch Vorschlag der Gerusia der Sache nach die Ernennung erfolgt war;
und in anderen Faellen ging man nur an das Volk, wenn die Gerusia es fuer gut
fand oder sich nicht einigen konnte. Volksgerichte kannte man in Karthago nicht.
Die Machtlosigkeit der Buergerschaft ward wahrscheinlich wesentlich durch ihre
politische Organisierung bedingt; die karthagischen Tischgenossenschaften, die
hierbei genannt und den spartanischen Pheiditien verglichen werden, moegen
oligarchisch geleitete Zuenfte gewesen sein. Sogar ein Gegensatz zwischen
"Stadtbuergern" und "Handarbeitern" wird erwaehnt, der auf eine sehr niedrige,
vielleicht rechtlose Stellung der letzteren schliessen laesst.
Fassen wir die einzelnen Momente zusammen, so erscheint die karthagische
Verfassung als ein Kapitalistenregiment, wie es begreiflich ist bei einer
Buergergemeinde ohne wohlhabende Mittelklasse und bestehend einerseits aus einer
besitzlosen, von der Hand in den Mund lebenden staedtischen Menge, anderseits
aus Grosshaendlern, Plantagenbesitzern und vornehmen Voegten. Das System, die
heruntergekommenen Herren auf Kosten der Untertanen wieder zu Vermoegen zu
bringen, indem sie als Schatzungsbeamte und Fronvoegte in die abhaengigen
Gemeinden ausgesendet werden, dieses unfehlbare Kennzeichen einer verrotteten
staedtischen Oligarchie, fehlt auch in Karthago nicht; Aristoteles bezeichnet es
als die wesentliche Ursache der erprobten Dauerhaftigkeit der karthagischen
Verfassung. Bis auf seine Zeit hatte in Karthago weder von oben noch von unten
eine nennenswerte Revolution stattgefunden; die Menge blieb fuehrerlos infolge
der materiellen Vorteile, welche die regierende Oligarchie allen ehrgeizigen
oder bedraengten Vornehmen zu bieten imstande war und ward abgefunden mit den
Brosamen, die in Form der Wahlbestechung oder sonst von dem Herrentisch fuer sie
abfielen. Eine demokratische Opposition konnte freilich bei solchem Regiment
nicht mangeln; aber noch zur Zeit des Ersten Punischen Krieges war dieselbe
voellig machtlos. Spaeterhin, zum Teil unter dem Einfluss der erlittenen
Niederlagen, erscheint ihr politischer Einfluss im Steigen und in weit
rascherem, als gleichzeitig der der gleichartigen roemischen Partei: die
Volksversammlungen begannen in politischen Fragen die letzte Entscheidung zu
geben und brachen die Allmacht der karthagischen Oligarchie. Nach Beendigung des
Hannibalischen Krieges ward auf Hannibals Vorschlag sogar durchgesetzt, dass
kein Mitglied des Rates der Hundert zwei Jahre nacheinander im Amte sein koenne
und damit die volle Demokratie eingefuehrt, welche allerdings nach der Lage der
Dinge allein Karthago zu retten vermochte, wenn es dazu ueberhaupt noch Zeit
war. In dieser Opposition herrschte ein maechtiger patriotischer und
reformierender Schwung; doch darf darueber nicht uebersehen werden, auf wie
fauler und morscher Grundlage sie ruhte. Die karthagische Buergerschaft, die von
kundigen Griechen der alexandrinischen verglichen wird, war so zuchtlos, dass
sie insofern es wohl verdient hatte, machtlos zu sein; und wohl durfte gefragt
werden, was da aus Revolutionen fuer Heil kommen solle, wo, wie in Karthago, die
Buben sie machen halfen.
In finanzieller Hinsicht behauptet Karthago in jeder Beziehung unter den
Staaten des Altertums den ersten Platz. Zur Zeit des Peloponnesischen Krieges
war diese phoenikische Stadt nach dem Zeugnis des ersten Geschichtschreibers der
Griechen allen griechischen Staaten finanziell ueberlegen und werden ihre
Einkuenfte denen des Grosskoenigs verglichen; Polybios nennt sie die reichste
Stadt der Welt. Von der Intelligenz der karthagischen Landwirtschaft, welche
Feldherren und Staatsmaenner dort wie spaeter in Rom wissenschaftlich zu
betreiben und zu lehren nicht verschmaehten, legt ein Zeugnis ab die
agronomische Schrift des Karthagers Mago, welche von den spaeteren griechischen
und roemischen Landwirten durchaus als der Grundkodex der rationellen
Ackerwirtschaft betrachtet und nicht bloss ins Griechische uebersetzt, sondern
auch auf Befehl des roemischen Senats lateinisch bearbeitet und den italischen
Gutsbesitzern offiziell anempfohlen ward. Charakteristisch ist die enge
Verbindung dieser phoenikischen Acker- mit der Kapitalwirtschaft; es wird als
eine Hauptmaxime der phoenikischen Landwirtschaft angefuehrt, nie mehr Land zu
erwerben, als man intensiv zu bewirtschaften vermoege. Auch der Reichtum des
Landes an Pferden, Rindern, Schafen und Ziegen, worin Libyen infolge seiner
Nomadenwirtschaft es nach Polybios' Zeugnis vielleicht allen uebrigen Laendern
der Erde damals zuvortat, kam den Karthagern zugute. Wie in der Ausnutzung des
Bodens die Karthager die Lehrmeister der Roemer waren, wurden sie es auch in der
Ausbeutung der Untertanen; durch diese floss nach Karthago mittelbar die
Grundrente "des besten Teils von Europa" und der reichen, zum Teil, zum Beispiel
in der Byzakitis und an der Kleinen Syrte, ueberschwenglich gesegneten
nordafrikanischen Landschaft. Der Handel, der in Karthago von jeher als
ehrenhaftes Gewerbe galt, und die auf Grund des Handels aufbluehende Reederei
und Fabrikation brachten schon im natuerlichen Laufe der Dinge den dortigen
Ansiedlern jaehrlich goldene Ernten, und es ist frueher schon bezeichnet worden,
wie man durch ausgedehnte und immer gesteigerte Monopolisierung nicht bloss aus
dem Aus-, sondern auch aus dem Inland allen Handel des westlichen Mittelmeeres
und den ganzen Zwischenhandel zwischen dem Westen und Osten mehr und mehr in
diesem einzigen Hafen zu konzentrieren verstand. Wissenschaft und Kunst scheinen
in Karthago, wie spaeterhin in Rom, zwar wesentlich durch hellenischen Einfluss
bestimmt, aber nicht vernachlaessigt worden zu sein; es gab eine ansehnliche
phoenikische Literatur und bei Eroberung der Stadt fanden sich reiche, freilich
nicht in Karthago geschaffene, sondern aus den sizilischen Tempeln weggefuehrte
Kunstschaetze und betraechtliche Bibliotheken vor. Aber auch der Geist stand
hier im Dienste des Kapitals; was von der Literatur hervorgehoben wird, sind
vornehmlich die agronomischen und geographischen Schriften, wie das schon
erwaehnte Werk des Mago und der noch in Uebersetzung vorhandene, urspruenglich
in einem der karthagischen Tempel oeffentlich aufgestellte Bericht des Admirals
Hanno von seiner Beschiffung der westafrikanischen Kueste. Selbst die allgemeine
Verbreitung gewisser Kenntnisse und besonders der Kunde fremder Sprachen ^3,
worin das Karthago dieser Zeit ungefaehr mit dem kaiserlichen Rom auf einer
Linie gestanden haben mag, zeugt von der durchaus praktischen Richtung, welche
der hellenischen Bildung in Karthago gegeben ward. Wenn es schlechterdings
unmoeglich ist, von der Kapitalmasse sich eine Vorstellung zu machen, die in
diesem London des Altertums zusammenstroemte, so kann wenigstens von den
oeffentlichen Einnahmequellen einigermassen einen Begriff geben, dass trotz des
kostspieligen Systems, nach dem Karthago sein Kriegswesen organisiert hatte, und
trotz der sorg- und treulosen Verwaltung des Staatsguts dennoch die Beisteuern
der Untertanen und die Zollgefaelle die Ausgaben vollstaendig deckten und von
den Buergern direkte Steuern nicht erhoben wurden; ja dass noch nach dem Zweiten
Punischen Kriege, als die Macht des Staates schon gebrochen war, die laufenden
Ausgaben und eine jaehrliche Abschlagszahlung nach Rom von 340000 Talern ohne
Steuerausschreibung bloss durch eine einigermassen geregelte Finanzwirtschaft
gedeckt werden konnten und vierzehn Jahre nach dem Frieden der Staat zur
sofortigen Erlegung der noch uebrigen sechsunddreissig Termine sich erbot. Aber
es ist nicht bloss die Summe der Einkuenfte, in der sich die Ueberlegenheit der
karthagischen Finanzwirtschaft ausspricht; auch die oekonomischen Grundsaetze
einer spaeteren und vorgeschritteneren Zeit finden wir hier allein unter allen
bedeutenderen Staaten des Altertums: es ist von auslaendischen Staatsanleihen
die Rede, und im Geldsystem finden wir neben Gold- und Silber- ein dem Stoff
nach wertloses Zeichengeld erwaehnt, welches in dieser Weise sonst dem Altertum
fremd ist. In der Tat, wenn der Staat eine Spekulation waere, nie haette einer
glaenzender seine Aufgabe geloest als Karthago.
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^3 Der Wirtschafter auf dem Landgut, obwohl Sklave, muss dennoch, nach der
Vorschrift des karthagischen Agronomen Mago (bei Varro rast. 1, 17), lesen
koennen und einige Bildung besitzen. Im Prolog des Plautinischen 'Poeners'
heisst es von dem Titelhelden:
Die Sprachen alle kann er, aber tut, als koenn'
Er keine - ein Poener ist es durchaus; was wollt ihr mehr?
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Vergleichen wir die Macht der Karthager und der Roemer. Beide waren Acker-
und Kaufstaedte und lediglich dieses; die durchaus untergeordnete und durchaus
praktische Stellung von Kunst und Wissenschaft war in beiden wesentlich
dieselbe, nur dass in dieser Hinsicht Karthago weiter vorgeschritten war als
Rom. Aber in Karthago hatte die Geld- ueber die Grundwirtschaft, in Rom damals
noch die Grund- ueber die Geldwirtschaft das Uebergewicht, und wenn die
karthagischen Ackerwirte durchgaengig grosse Guts- und Sklavenbesitzer waren,
bebaute in dem Rom dieser Zeit die grosse Masse der Buergerschaft noch selber
das Feld. Die Mehrzahl der Bevoelkerung war in Rom besitzend, das ist
konservativ, in Karthago besitzlos und dem Golde der Reichen wie dem Reformruf
der Demokraten zugaenglich. In Karthago herrschte schon die ganze, maechtigen
Handelsstaedten eigene Opulenz, waehrend Sitte und Polizei in Rom wenigstens
aeusserlich noch altvaeterische Strenge und Sparsamkeit aufrecht erhielten. Als
die karthagischen Gesandten von Rom zurueckkamen, erzaehlten sie ihren Kollegen,
dass das innige Verhaeltnis der roemischen Ratsherren zueinander alle
Vorstellung uebersteige; ein einziges silbernes Tafelgeschirr reiche aus fuer
den ganzen Rat und sei in jedem Haus, wo man sie zu Gaste geladen, ihnen wieder
begegnet. Der Spott ist bezeichnend fuer die beiderseitigen wirtschaftlichen
Zustaende.
Beider Verfassung war aristokratisch; wie der Senat in Rom regierten die
Richter in Karthago und beide nach dem gleichen Polizeisystem. Die strenge
Abhaengigkeit, in welcher die karthagische Regierungsbehoerde den einzelnen
Beamten hielt, der Befehl derselben an die Buerger, sich des Erlernens der
griechischen Sprache unbedingt zu enthalten und mit einem Griechen nur
vermittels des oeffentlichen Dolmetschers zu verkehren, sind aus demselben
Geiste geflossen wie das roemische Regierungssystem; aber gegen die grausame
Haerte und die ans Alberne streifende Unbedingtheit solcher karthagischen
Staatsbevormundung erscheint das roemische Bruechen- und Ruegesystem mild und
verstaendig. Der roemische Senat, welcher der eminenten Tuechtigkeit sich
oeffnete und im besten Sinn die Nation vertrat, durfte ihr auch vertrauen und
brauchte die Beamten nicht zu fuerchten. Der karthagische Senat dagegen beruhte
auf einer eifersuechtigen Kontrolle der Verwaltung durch die Regierung und
vertrat ausschliesslich die vornehmen Familien; sein Wesen war das Misstrauen
noch oben wie nach unten und darum konnte er weder sicher sein, dass das Volk
ihm folgte, wohin er fuehrte, noch unbesorgt vor Usurpationen der Beamten. Daher
der feste Gang der roemischen Politik, die im Unglueck keinen Schritt
zurueckwich und die Gunst des Glueckes nicht verscherzte durch Fahrlaessigkeit
und Halbheit; waehrend die Karthager vom Kampf abstanden, wo eine letzte
Anstrengung vielleicht alles gerettet haette, und, der grossen nationalen
Aufgaben ueberdruessig oder vergessen, den halbfertigen Bau einstuerzen liessen,
um nach wenigen Jahren von vorn zu beginnen. Daher ist der tuechtige Beamte in
Rom regelmaessig im Einverstaendnis mit seiner Regierung, in Karthago haeufig in
entschiedener Fehde mit den Herren daheim und gedraengt, sich ihnen
verfassungswidrig zu widersetzen und mit der opponierenden Reformpartei
gemeinschaftliche Sache zu machen.
Karthago wie Rom beherrschten ihre Stammgenossen und zahlreiche stammfremde
Gemeinden. Aber Rom hatte einen Distrikt nach dem andern in sein Buergerrecht
aufgenommen und den latinischen Gemeinden selbst gesetzlich Zugaenge zu
demselben eroeffnet; Karthago schloss von Haus aus sich ab und liess den
abhaengigen Distrikten nicht einmal die Hoffnung auf dereinstige Gleichstellung.
Rom goennte den stammverwandten Gemeinden Anteil an den Fruechten des Sieges,
namentlich an den gewonnenen Domaenen, und suchte in den uebrigen untertaenigen
Staaten durch materielle Beguenstigung der Vornehmen und Reichen wenigstens eine
Partei in das Interesse Roms zu ziehen; Karthago behielt nicht bloss fuer sich,
was die Siege einbrachten, sondern entriss sogar den Staedten besten Rechts die
Handelsfreiheit. Rom nahm der Regel nach nicht einmal den unterworfenen
Gemeinden die Selbstaendigkeit ganz und legte keiner eine feste Steuer auf;
Karthago sandte seine Voegte ueberall hin und belastete selbst die
altphoenikischen Staedte mit schwerem Zins, waehrend die unterworfenen Staemme
faktisch als Staatssklaven behandelt wurden. So war im karthagisch-afrikanischen
Staatsverband nicht eine einzige Gemeinde mit Ausnahme von Utica, die nicht
durch den Sturz Karthagos politisch und materiell sich verbessert haben wuerde;
in dem roemisch-italischen nicht eine einzige, die bei der Auflehnung gegen ein
Regiment, das die materiellen Interessen sorgfaeltig schonte und die politische
Opposition wenigstens nirgend durch aeusserste Massregeln zum Kampf
herausforderte, nicht noch mehr zu verlieren gehabt haette als zu gewinnen. Wenn
die karthagischen Staatsmaenner meinten, die phoenikischen Untertanen durch die
groessere Furcht vor den empoerten Libyern, die saemtlichen Besitzenden durch
das Zeichengeld an das karthagische Interesse geknuepft zu haben, so uebertrugen
sie einen kaufmaennischen Kalkuel dahin, wo er nicht hingehoert; die Erfahrung
bewies, dass die roemische Symmachie trotz ihrer scheinbar loseren Fuegung gegen
Pyrrhos zusammenhielt wie eine Mauer aus Felsenstuecken, die karthagische
dagegen wie Spinneweben zerriss, sowie ein feindliches Heer den afrikanischen
Boden betrat. So geschah es bei den Landungen. von Agathokles und von Regulus
und ebenso im Soeldnerkrieg; von dem Geiste, der in Afrika herrschte, zeugt zum
Beispiel, dass die libyschen Frauen den Soeldnern freiwillig ihren Schmuck
steuerten zum Kriege gegen Karthago. Nur in Sizilien scheinen die Karthager
milder aufgetreten zu sein und darum auch bessere Ergebnisse erlangt zu haben.
Sie gestatteten ihren Untertanen hier verhaeltnismaessige Freiheit im Handel mit
dem Ausland und liessen sie ihren inneren Verkehr wohl von Anfang an und
ausschliesslich mit Metallgeld treiben, ueberhaupt bei weitem freier sich
bewegen, als dies den Sarden und Libyern erlaubt ward. Waere Syrakus in ihre
Haende gefallen, so haette sich freilich dies bald geaendert; indes dazu kam es
nicht, und so bestand, bei der wohlberechneten Milde des karthagischen Regiments
und bei der unseligen Zerrissenheit der sizilischen Griechen, in Sizilien in der
Tat eine ernstlich phoenikisch gesinnte Partei - wie denn zum Beispiel noch nach
dem Verlust der Insel an die Roemer Philinos von Akragas die Geschichte des
grossen Krieges durchaus im phoenikischen Sinne schrieb. Aber im ganzen mussten
doch auch die Sizilianer als Untertanen wie als Hellenen ihren phoenikischen
Herren wenigstens ebenso abgeneigt sein wie den Roemern die Samniten und
Tarentiner.
Finanziell ueberstiegen die karthagischen Staatseinkuenfte ohne Zweifel um
vieles die roemischen; allein dies glich zum Teil sich wieder dadurch aus, dass
die Quellen der karthagischen Finanzen, Tribute und Zoelle weit eher und eben,
wenn man sie am noetigsten brauchte, versiegten als die roemischen, und dass die
karthagische Kriegfuehrung bei weitem kostspieliger war als die roemische.
Die militaerischen Hilfsmittel der Roemer und Karthager waren sehr
verschieden, jedoch in vieler Beziehung nicht ungleich abgewogen. Die
karthagische Buergerschaft betrug noch bei Eroberung der Stadt 700000 Koepfe mit
Einschluss der Frauen und Kinder ^4 und mochte am Ende des fuenften Jahrhunderts
wenigstens ebenso zahlreich sein; sie vermochte im fuenften Jahrhundert im
Notfall ein Buergerheer von 40 000 Hopliten auf die Beine zu bringen. Ein ebenso
starkes Buergerheer hatte Rom schon im Anfang des fuenften Jahrhunderts unter
gleichen Verhaeltnissen ins Feld geschickt; seit den grossen Erweiterungen des
Buergergebiets im Laufe des fuenften Jahrhunderts musste die Zahl der
waffenfaehigen Vollbuerger mindestens sich verdoppelt haben. Aber weit mehr noch
als der Zahl der Waffenfaehigen nach war Rom in dem Effektivstand des
Buergermilitaers ueberlegen. So sehr die karthagische Regierung auch es sich
angelegen sein liess, die Buerger zum Waffendienst zu bestimmen, so konnte sie
doch weder dem Handwerker und Fabrikarbeiter den kraeftigen Koerper des
Landmanns geben noch den angeborenen Widerwillen der Phoeniker vor dem
Kriegswerk ueberwinden. Im fuenften Jahrhundert focht in den sizilischen Heeren
noch eine "heilige Schar" von 2500 Karthagern als Garde des Feldherrn; im
sechsten findet sich in den karthagischen Heeren, zum Beispiel in dem
spanischen, mit Ausnahme der Offiziere nicht ein einziger Karthager. Dagegen
standen die roemischen Bauern keineswegs bloss in den Musterrollen, sondern auch
auf den Schlachtfeldern. Aehnlich verhielt es sich mit den Stammverwandten der
beiden Gemeinden; waehrend die Latiner den Roemern nicht mindere Dienste
leisteten als ihre Buergertruppen, waren die Libyphoeniker ebensowenig
kriegstuechtig wie die Karthager und begreiflicherweise noch weit weniger
kriegslustig, und so verschwinden auch sie aus den Heeren, indem die
zuzugspflichtigen Staedte ihre Verbindlichkeit vermutlich mit Geld abkauften. In
dem eben erwaehnten spanischen Heer von etwa 15000 Mann bestand nur eine einzige
Reiterschar von 450 Mann und auch diese nur zum Teil aus Libyphoenikern. Den
Kern der karthagischen Armeen bildeten die libyscher. Untertanen, aus deren
Rekruten sich unter tuechtigen Offizieren ein gutes Fussvolk bilden liess und
deren leichte Reiterei in ihrer Art unuebertroffen war. Dazu kamen die
Mannschaften der mehr oder minder abhaengigen Voelkerschaften Libyens und
Spaniens und die beruehmten Schleuderer von den Balearen, deren Stellung
zwischen Bundeskontingenten und Soeldnerscharen die Mitte gehalten zu haben
scheint; endlich im Notfall die im Ausland angeworbene Soldateska. Ein solches
Heer konnte der Zahl nach ohne Muehe fast auf jede beliebige Staerke gebracht
werden und auch an Tuechtigkeit der Offiziere, an Waffenkunde und Mut faehig
sein, mit dem roemischen sich zu messen; allein nicht bloss verstrich, wenn
Soeldner angenommen werden mussten, ehe dieselben bereit standen, eine
gefaehrlich lange Zeit, waehrend die roemische Miliz jeden Augenblick
auszuruecken imstande war, sondern, was die Hauptsache ist, waehrend die
karthagischen Heere nichts zusammenhielt als die Fahnenehre und der Vorteil,
fanden sich die roemischen durch alles vereinigt, was sie an das gemeinsame
Vaterland band. Dem karthagischen Offizier gewoehnlichen Schlages galten seine
Soeldner, ja selbst die libyschen Bauern ungefaehr soviel wie heute im Krieg die
Kanonenkugeln; daher Schaendlichkeiten, wie zum Beispiel der Verrat der
libyschen Truppen durch ihren Feldherrn Himilko 358 (396), der einen
gefaehrlichen Aufstand der Libyer zur Folge hatte, und daher jener zum
Sprichwort gewordene Ruf der "punischen Treue", der den Karthagern nicht wenig
geschadet hat. Alles Unheil, welches Fellah- und Soeldnerheere ueber einen Staat
bringen koennen, hat Karthago in vollem Masse erfahren und mehr als einmal seine
bezahlten Knechte gefaehrlicher erfunden als seine Feinde.
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^4 Man hat an der Richtigkeit dieser Zahl gezweifelt und mit Ruecksicht auf
den Raum die moegliche Einwohnerzahl auf hoechstens 250000 Koepfe berechnet.
Abgesehen von der Unsicherheit derartiger Berechnungen, namentlich in einer
Handelsstadt mit sechsstoeckigen Haeusern, ist dagegen zu erinnern, dass die
Zaehlung wohl politisch zu verstehen ist, nicht staedtisch, ebenso wie die
roemischen Zensuszahlen, und dass dabei also alle Karthager gezaehlt sind,
mochten sie in der Stadt oder in der Umgegend wohnen oder im untertaenigen
Gebiet oder im Ausland sich aufhalten. Solcher Abwesenden gab es natuerlich eine
grosse Zahl in Karthago; wie denn ausdruecklich berichtet wird, dass in Gades
aus gleichem Grunde die Buergerliste stets eine weit hoehere Ziffer wies als die
der in Gades ansaessigen Buerger war.
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Die Maengel dieses Heerwesens konnte die karthagische Regierung nicht
verkennen und suchte sie allerdings auf jede Weise wieder einzubringen. Man
hielt auf gefuellte Kassen und gefuellte Zeughaeuser, um jederzeit Soeldner
ausstatten zu koennen. Man wandte grosse Sorgfalt auf das, was bei den Alten die
heutige Artillerie vertrat: den Maschinenbau, in welcher Waffe wir die Karthager
den Sikelioten regelmaessig ueberlegen finden, und die Elefanten, seit diese im
Kriegswesen die aelteren Streitwagen verdraengt hatten; in den Kasematten
Karthagos befanden sich Stallungen fuer 300 Elefanten. Die abhaengigen Staedte
zu befestigen, konnte man freilich nicht wagen und musste es geschehen lassen,
dass jedes in Afrika gelandete feindliche Heer mit dem offenen Lande auch die
Staedte und Flecken gewann; recht im Gegensatz zu Italien, wo die meisten
unterworfenen Staedte ihre Mauern behalten hatten und eine Kette roemischer
Festungen die ganze Halbinsel beherrschte. Dagegen fuer die Befestigung der
Hauptstadt bot man auf, was Geld und Kunst vermochten; und mehrere Male rettete
den Staat nichts als die Staerke der karthagischen Mauern, waehrend Rom
politisch und militaerisch so gesichert war, dass es eine foermliche Belagerung
niemals erfahren hat. Endlich das Hauptbollwerk des Staats war die Kriegsmarine,
auf die man die groesste Sorgfalt verwandte. Im Bau wie in der Fuehrung der
Schiffe waren die Karthager den Griechen ueberlegen; in Karthago zuerst baute
man Schiffe mit mehr als drei Ruderverdecken, und die karthagischen
Kriegsfahrzeuge, in dieser Zeit meistens Fuenfdecker, waren in der Regel bessere
Segler als die griechischen, die Ruderer, saemtlich Staatssklaven, die nicht von
den Galeeren kamen, vortrefflich eingeschult und die Kapitaene gewandt und
furchtlos. In dieser Beziehung war Karthago entschieden den Roemern ueberlegen,
die mit den wenigen Schiffen der verbuendeten Griechen und den wenigeren eigenen
nicht imstande waren, sich in der offenen See auch nur zu zeigen gegen die
Flotte, die damals unbestritten das westliche Meer beherrschte.
Fassen wir schliesslich zusammen, was die Vergleichung der Mittel der
beiden grossen Maechte ergibt, so rechtfertigt sich wohl das Urteil eines
einsichtigen und unparteiischen Griechen, dass Karthago und Rom, da der Kampf
zwischen ihnen begann, im allgemeinen einander gewachsen waren. Allein wir
koennen nicht unterlassen hinzuzufuegen, dass Karthago wohl aufgeboten hatte,
was Geist und Reichtum vermochten, um kuenstliche Mittel zum Angriff und zur
Verteidigung sich zu erschaffen, aber dass es nicht imstande gewesen war, die
Grundmaengel des fehlenden eigenen Landheers und der nicht auf eigenen Fuessen
stehenden Symmachie in irgend ausreichender Weise zu ersetzen. Dass Rom nur in
Italien, Karthago nur in Libyen ernstlich angegriffen werden konnte, liess sich
nicht verkennen; und ebensowenig, dass Karthago auf die Dauer einem solchen
Angriff nicht entgehen konnte. Die Flotten waren in jener Zeit der Kindheit der
Schiffahrt noch nicht bleibendes Erbgut der Nationen, sondern liessen sich
herstellen, wo es Baeume, Eisen und Wasser gab; dass selbst maechtige Seestaaten
nicht imstande waren, den zur See schwaecheren Feinden die Landung zu wehren,
war einleuchtend und in Afrika selbst mehrfach erprobt worden. Seit Agathokles
den Weg dahin gezeigt hatte, konnte auch ein roemischer General ihn finden, und
waehrend in Italien mit dem Einruecken einer Invasionsarmee der Krieg begann,
war er in Libyen im gleichen Fall zu Ende und verwandelte sich in eine
Belagerung, in der, wenn nicht besondere Zufaelle eintraten, auch der
hartnaeckigste Heldenmut endlich unterliegen musste.
2. Kapitel
Der Krieg um Sizilien zwischen Rom und Karthago
Seit mehr als einem Jahrhundert verheerte die Fehde zwischen den Karthagern
und den syrakusanischen Herren die schoene sizilische Insel. Von beiden Seiten
ward der Krieg gefuehrt einerseits mit politischem Propagandismus, indem
Karthago Verbindungen unterhielt mit der aristokratisch-republikanischen
Opposition in Syrakus, die syrakusanischen Dynasten mit der Nationalpartei in
den Karthago zinspflichtig gewordenen Griechenstaedten; anderseits mit
Soeldnerheeren, mit welchen Timoleon und Agathokles ebensowohl ihre Schlachten
schlugen wie die phoenikischen Feldherren. Und wie man auf beiden Seiten mit
gleichen Mitteln focht, ward auch auf beiden Seiten mit gleicher, in der
okzidentalischen Geschichte beispielloser Ehr- und Treulosigkeit gestritten. Die
unterliegende Partei waren die Syrakusier. Noch im Frieden von 440 (314) hatte
Karthago sich beschraenkt auf das Drittel der Insel westlich von Herakleia,
Minoa und Himera und hatte ausdruecklich die Hegemonie der Syrakusier ueber
saemtliche oestliche Staedte anerkannt. Pyrrhos' Vertreibung aus Sizilien und
Italien (479 275) liess die bei weitem groessere Haelfte der Insel und vor allem
das wichtige Akragas in Karthagos Haenden; den Syrakusiern blieb nichts als
Tauromenion und der Suedosten der Insel. In der zweiten grossen Stadt an der
Ostkueste, in Messana, hatte eine fremdlaendische Soldatenschar sich festgesetzt
und behauptete die Stadt, unabhaengig von den Syrakusiern wie von den
Karthagern. Es waren kampanische Landsknechte, die in Messana geboten. Das bei
den in und um Capua angesiedelten Sabellern eingerissene wueste Wesen (I, 368)
hatte im vierten und fuenften Jahrhundert aus Kampanien gemacht, was spaeter
Aetolien, Kreta, Lakonien waren: den allgemeinen Werbeplatz fuer die
soeldnersuchenden Fuersten und Staedte. Die von den kampanischen Griechen dort
ins Leben gerufene Halbkultur, die barbarische Ueppigkeit des Lebens in Capua
und den uebrigen kampanischen Staedten, die politische Ohnmacht, zu der die
roemische Hegemonie sie verurteilte, ohne ihnen doch durch ein straffes Regiment
die Verfuegung ueber sich selbst vollstaendig zu entziehen - alles dies trieb
die kampanische Jugend scharenweise unter die Fahnen der Werbeoffiziere; und es
versteht sich, dass der leichtsinnige und gewissenlose Selbstverkauf hier wie
ueberall die Entfremdung von der Heimat, die Gewoehnung an Gewalttaetigkeit und
Soldatenunfug und die Gleichgueltigkeit gegen den Treuebruch im Gefolge hatte.
Warum eine Soeldnerschar sich der ihrer Hut anvertrauten Stadt nicht fuer sich
selbst bemaechtigen solle, vorausgesetzt nur, dass sie dieselbe zu behaupten
imstande sei, leuchtete diesen Kampanern nicht ein - hatten doch die Samniten in
Capua selbst, die Lucaner in einer Reihe griechischer Staedte ihre Herrschaft in
nicht viel ehrenhafterer Weise begruendet. Nirgend luden die politischen
Verhaeltnisse mehr zu solchen Unternehmungen ein als in Sizilien; schon die
waehrend des Peloponnesischen Krieges nach Sizilien gelangten kampanischen
Hauptleute hatten in Entella und Aetna in solcher Art sich eingenistet. Etwa um
das Jahr 470 (284) setzte ein kampanischer Trupp, der frueher unter Agathokles
gedient hatte und nach dessen Tode (465 289) das Raeuberhandwerk auf eigene
Rechnung trieb, sich fest in Messana, der zweiten Stadt des griechischen
Siziliens und dem Hauptsitz der antisyrakusanischen Partei in dem noch von
Griechen beherrschten Teile der Insel. Die Buerger wurden erschlagen oder
vertrieben, die Frauen und Kinder und die Haeuser derselben unter die Soldaten
verteilt und die neuen Herren der Stadt, die "Marsmaenner", wie sie sich
nannten, oder die Mamertiner wurden bald die dritte Macht der Insel, deren
nordoestlichen Teil sie in den wuesten Zeiten nach Agathokles' Tode sich
unterwarfen. Die Karthager sahen nicht ungern diese Vorgaenge, durch welche die
Syrakusier anstatt einer stammverwandten und in der Regel ihnen verbuendeten
oder untertaenigen Stadt einen neuen und maechtigen Gegner in naechster Naehe
erhielten; mit karthagischer Hilfe behaupteten die Mamertiner sich gegen Pyrrhos
und der unzeitige Abzug des Koenigs gab ihnen ihre ganze Macht zurueck.
Es ziemt der Historie weder, den treulosen Frevel zu entschuldigen, durch
den sie der Herrschaft sich bemaechtigten, noch zu vergessen, dass der Gott, der
die Suende der Vaeter straft bis ins vierte Glied, nicht der Gott der Geschichte
ist. Wer sich berufen fuehlt, die Suenden anderer zu richten, mag die Menschen
verdammen; fuer Sizilien konnte es heilbringend sein, dass hier eine
streitkraeftige und der Insel eigene Macht sich zu bilden anfing, die schon bis
achttausend Mann ins Feld zu stellen vermochte und die allmaehlich sich in den
Stand setzte, den Kampf, welchem die trotz der ewigen Kriege sich immer mehr der
Waffen entwoehnenden Hellenen nicht mehr gewachsen waren, zu rechter Zeit gegen
die Auslaender mit eigenen Kraeften aufzunehmen.
Zunaechst indes kam es anders. Ein junger syrakusanischer Offizier, der
durch seine Abstammung aus dem Geschlechte Gelons und durch seine engen
verwandtschaftlichen Beziehungen zum Koenig Pyrrhos ebenso sehr wie durch die
Auszeichnung, mit der er in dessen Feldzuegen gefochten hatte, die Blicke seiner
Mitbuerger wie die der syrakusanischen Soldateska auf sich gelenkt hatte,
Hieron, des Hierokles Sohn, ward durch eine militaerische Wahl an die Spitze des
mit den Buergern hadernden Heeres gerufen (479/80 275/74). Durch seine kluge
Verwaltung, sein adliges Wesen und seinen maessigen Sinn gewann er schnell sich
die Herzen der syrakusanischen, des schaendlichsten Despotenunfugs gewohnten
Buergerschaft und ueberhaupt der sizilischen Griechen. Er entledigte sich,
freilich auf treulose Weise, des unbotmaessigen Soeldnerheeres, regenerierte die
Buergermiliz und versuchte, anfangs mit dem Titel als Feldherr, spaeter als
Koenig, mit den Buergertruppen und frischen und lenksameren Geworbenen die
tiefgesunkene hellenische Macht wiederherzustellen. Mit den Karthagern, die im
Einverstaendnis mit den Griechen den Koenig Pyrrhos von der Insel vertrieben
hatten, war damals Friede; die naechsten Feinde der Syrakusier waren die
Mamertiner, die Stammgenossen der verhassten, vor kurzem ausgerotteten Soeldner,
die Moerder ihrer griechischen Wirte, die Schmaelerer des syrakusanischen
Gebiets, die Zwingherren und Brandschatzer einer Menge kleinerer griechischer
Staedte. Im Bunde mit den Roemern, die eben um diese Zeit gegen die Bundes-,
Stamm- und Frevelgenossen der Mamertiner, die Kampaner in Rhegion, ihre Legionen
schickten, wandte Hieron sich gegen Messana. Durch einen grossen Sieg, nach
welchem Hieron zum Koenig der Sikelioten ausgerufen ward (484 270), gelang es,
die Mamertiner in ihre Staedte einzuschliessen, und nachdem die Belagerung
einige Jahre gewaehrt hatte, sahen die Mamertiner sich aufs aeusserste gebracht
und ausserstande, die Stadt gegen Hieron laenger mit eigenen Kraeften zu
behaupten. Dass eine Uebergabe auf Bedingungen nicht moeglich war und das
Henkerbeil, das die rheginischen Kampaner in Rom getroffen hatte, ebenso sicher
in Syrakus der messanischen wartete, leuchtete ein; die einzige Rettung war die
Auslieferung der Stadt entweder an die Karthager oder an die Roemer, denen
beiden hinreichend gelegen sein musste an der Eroberung des wichtigen Platzes,
um ueber alle anderen Bedenken hinwegzusehen. Ob es vorteilhafter sei, den
Herren Afrikas oder den Herren Italiens sich zu ergeben, war zweifelhaft; nach
langem Schwanken entschied sich endlich die Majoritaet der kampanischen
Buergerschaft, den Besitz der meerbeherrschenden Festung den Roemern anzutragen.
Es war ein weltgeschichtlicher Moment von der tiefsten Bedeutung, als die
Boten der Mamertiner im roemischen Senat erschienen. Zwar was alles an dem
ueberschreiten des schmalen Meerarms hing, konnte damals niemand ahnen; aber
dass an diese Entscheidung, wie sie immer ausfiel, ganz andere und wichtigere
Folgen sich knuepfen wuerden als an irgendeinen der bisher vom Senat gefassten
Beschluesse, musste jedem der ratschlagenden Vaeter der Stadt offenbar sein.
Streng rechtliche Maenner freilich mochten fragen, wie es moeglich sei,
ueberhaupt zu ratschlagen; wie man daran denken koenne, nicht bloss das Buendnis
mit Hieron zu brechen, sondern, nachdem eben erst die rheginischen Kampaner mit
gerechter Haerte von den Roemern bestraft worden waren, jetzt ihre nicht weniger
schuldigen sizilischen Spiessgesellen zum Buendnis und zur Freundschaft von
Staats wegen zuzulassen und sie der verdienten Strafe zu entziehen. Man gab
damit ein Aergernis, das nicht bloss den Gegnern Stoff zu Deklamationen liefern,
sondern auch sittliche Gemueter ernstlich empoeren musste. Allein wohl mochte
auch der Staatsmann, dem die politische Moral keineswegs bloss eine Phrase war,
zurueckfragen, wie man roemische Buerger, die den Fahneneid gebrochen und
roemische Bundesgenossen hinterlistig gemordet hatten, gleichstellen koenne mit
Fremden, die gegen Fremde gefrevelt haetten, wo jenen zu Richtern, diesen zu
Raechern die Roemer niemand bestellt habe. Haette es sich nur darum gehandelt,
ob die Syrakusaner oder die Mamertiner in Messana geboten, so konnte Rom
allerdings sich diese wie jene gefallen lassen. Rom strebte nach dem Besitz
Italiens, wie Karthago nach dem Siziliens; schwerlich gingen beider Maechte
Plaene damals weiter. Allein eben darin lag es begruendet, dass jede an ihrer
Grenze eine Mittelmacht zu haben und zu halten wuenschte - so die Karthager
Tarent, die Roemer Syrakus und Messana - und dass sie, als dies unmoeglich
geworden war, die Grenzplaetze lieber sich goennten als der anderen Grossmacht.
Wie Karthago in Italien versucht hatte, als Rhegion und Tarent von den Roemern
in Besitz genommen werden sollten, diese Staedte fuer sich zu gewinnen und nur
durch Zufall daran gehindert worden war, so bot jetzt in Sizilien sich fuer Rom
die Gelegenheit dar, die Stadt Messana in seine Symmachie zu ziehen; schlug man
sie aus, so durfte man nicht erwarten, dass die Stadt selbstaendig blieb oder
syrakusanisch ward, sondern man warf sie selbst den Phoenikern in die Arme. War
es gerechtfertigt, die Gelegenheit entschluepfen zu lassen, die sicher so nicht
wiederkehrte, sich des natuerlichen Brueckenkopfs zwischen Italien und Sizilien
zu bemaechtigen und ihn durch eine tapfere und aus guten Gruenden zuverlaessige
Besatzung zu sichern? gerechtfertigt, mit dem Verzicht auf Messana die
Herrschaft ueber den letzten freien Pass zwischen der Ost- und Westsee und die
Handelsfreiheit Italiens aufzuopfern? Zwar liessen sich gegen die Besetzung
Messanas auch Bedenken anderer Art geltend machen, als die der Gefuehls- und
Rechtlichkeitspolitik waren. Dass sie zu einem Kriege mit Karthago fuehren
musste, war das geringste derselben; so ernst ein solcher war, Rom hatte ihn
nicht zu fuerchten. Aber wichtiger war es, dass man mit dem Ueberschreiten der
See abwich von der bisherigen rein italischen und rein kontinentalen Politik;
man gab das System auf, durch welches die Vaeter Roms Groesse gegruendet hatten,
um ein anderes zu erwaehlen, dessen Ergebnisse vorherzusagen niemand vermochte.
Es war einer der Augenblicke, wo die Berechnung aufhoert und wo der Glaube an
den eigenen Stern und an den Stern des Vaterlandes allein den Mut gibt, die Hand
zu fassen, die aus dem Dunkel der Zukunft winkt, und ihr zu folgen, es weiss
keiner wohin. Lange und ernst beriet der Senat ueber den Antrag der Konsuln, die
Legionen den Mamertinern zu Hilfe zu fuehren; er kam zu keinem entscheidenden
Beschluss. Aber in der Buergerschaft, an welche die Sache verwiesen ward, lebte
das frische Gefuehl der durch eigene Kraft gegruendeten Grossmacht. Die
Eroberung Italiens gab den Roemern, wie die Griechenlands den Makedoniern, wie
die Schlesiens den Preussen, den Mut, eine neue politische Bahn zu betreten;
formell motiviert war die Unterstuetzung der Mamertiner durch die
Schutzherrschaft, die Rom ueber saemtliche Italiker ansprach. Die ueberseeischen
Italiker wurden in die italische Eidgenossenschaft aufgenommen ^1 und auf Antrag
der Konsuln von der Buergerschaft beschlossen, ihnen Hilfe zu senden (489 265).
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^1 Die Mamertiner traten voellig in dieselbe Stellung zu Rom wie die
italischen Gemeinden, verpflichteten sich, Schiffe zu stellen (Cic. Verr. 5, 19,
50) und besassen, wie die Muenzen beweisen, das Recht der Silberpraegung nicht.
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Es kam darauf an, wie die beiden durch diese Intervention der Roemer in die
Angelegenheiten der Insel zunaechst betroffenen und beide bisher dem Namen nach
mit Rom verbuendeten sizilischen Maechte dieselbe aufnehmen wuerden. Hieron
hatte Grund genug, die an ihn ergangene Aufforderung der Roemer, gegen ihre
neuen Bundesgenossen in Messana die Feindseligkeiten einzustellen, ebenso zu
behandeln, wie die Samniten und die Lucaner in gleichem Fall die Besetzung von
Capua und Thurii aufgenommen hatten und den Roemern mit einer Kriegserklaerung
zu antworten; blieb er indes allein, so war ein solcher Krieg eine Torheit und
von seiner vorsichtigen und gemaessigten Politik konnte man erwarten, dass er in
das Unvermeidliche sich fuegen werde, wenn Karthago sich ruhig verhielt.
Unmoeglich schien dies nicht. Eine roemische Gesandtschaft ging jetzt (489 265),
sieben Jahre nach dem Versuch der phoenikischen Flotte, sich Tarents zu
bemaechtigen, nach Karthago, um Aufklaerung wegen dieser Vorgaenge zu verlangen;
die nicht unbegruendeten, aber halb vergessenen Beschwerden tauchten auf einmal
wieder auf - es schien nicht ueberfluessig, unter anderen Kriegsvorbereitungen
auch die diplomatische Ruestkammer mit Kriegsgruenden zu fuellen und fuer die
kuenftigen Manifeste sich, wie die Roemer es pflegten, die Rolle des
angegriffenen Teils zu reservieren. Wenigstens das konnte man mit vollem Rechte
sagen, dass die beiderseitigen Unternehmungen auf Tarent und auf Messana der
Absicht und dem Rechtsgrund nach vollkommen gleichstanden und nur der zufaellige
Erfolg den Unterschied machte. Karthago vermied den offenen Bruch. Die Gesandten
brachten nach Rom die Desavouierung des karthagischen Admirals zurueck, der den
Versuch auf Tarent gemacht hatte, nebst den erforderlichen falschen Eiden; auch
die karthagischen Gegenbeschuldigungen, die natuerlich nicht fehlten, waren
gemaessigt gehalten und unterliessen es, die beabsichtigte Invasion Siziliens
als Kriegsgrund zu bezeichnen. Sie war es indes; denn wie Rom die italischen, so
betrachtete Karthago die sizilischen Angelegenheiten als innere, in die eine
unabhaengige Macht keinen Eingriff gestatten kann, und war entschlossen,
hiernach zu handeln. Nur ging die phoenikische Politik einen leiseren Gang, als
der der offenen Kriegsdrohung war. Als die Vorbereitungen zu der roemischen
Hilfesendung an die Mamertiner endlich so weit gediehen waren, dass die Flotte,
gebildet aus den Kriegsschiffen von Neapel, Tarent, Velia und Lokri, und die
Vorhut des roemischen Landheeres unter dem Kriegstribun Gaius Claudius in
Rhegion erschienen (Fruehling 490 264), kam ihnen von Messana die unerwartete
Botschaft, dass die Karthager im Einverstaendnis mit der antiroemischen Partei
in Messana, als neutrale Macht einen Frieden zwischen Hieron und den Mamertinern
vermittelt haetten; dass die Belagerung also aufgehoben sei und dass im Hafen
von Messana eine karthagische Flotte, in der Burg karthagische Besatzung liege,
beide unter dem Befehl des Admirals Hanno. Die jetzt vom karthagischen Einfluss
beherrschte mamertinische Buergerschaft liess, unter verbindlichem Dank fuer die
schleunig gewaehrte Bundeshilfe, den roemischen Befehlshabern anzeigen, dass man
sich freue, derselben nicht mehr zu beduerfen. Der gewandte und verwegene
Offizier, der die roemische Vorhut befehligte, ging nichtsdestoweniger mit
seinen Truppen unter Segel. Die Karthager wiesen die roemischen Schiffe zurueck
und brachten sogar einige derselben auf; doch sandte der karthagische Admiral,
eingedenk der strengen Befehle, keine Veranlassung zum Ausbruch der
Feindseligkeiten zugeben, den guten Freunden jenseits der Meerenge dieselben
zurueck. Es schien fast, als haetten die Roemer vor Messana sich ebenso nutzlos
kompromittiert wie die Karthager vor Tarent. Aber Claudius liess sich nicht
abschrecken, und bei einem zweiten Versuch gelang die Landung. Kaum angelangt,
berief er die Buergerschaft zur Versammlung, und auf seinen Wunsch erschien in
derselben gleichfalls der karthagische Admiral, noch immer waehnend, den offenen
Bruch vermeiden zu koennen. Allein in der Versammlung selbst bemaechtigten die
Roemer sich seiner Person, und Hanno sowie die schwache und fuehrerlose
phoenikische Besatzung auf der Burg waren kleinmuetig genug, jener, seinen
Truppen den Befehl zum Abzug zu geben, diese, dem Befehl des gefangenen
Feldherrn nachzukommen und mit ihm die Stadt zu raeumen. So war der Brueckenkopf
der Insel in den Haenden der Roemer.
Die karthagischen Behoerden, mit Recht erzuernt ueber die Torheit und
Schwaeche ihres Feldherrn, liessen ihn hinrichten und erklaerten den Roemern den
Krieg. Vor allem galt es, den verlorenen Platz wiederzugewinnen. Eine starke
karthagische Flotte, gefuehrt von Hanno, Hannibals Sohn, erschien auf der Hoehe
von Messana. Waehrend sie selber die Meerenge sperrte, begann die von ihr ans
Land gesetzte karthagische Armee die Belagerung von der Nordseite; Hieron, der
nur auf das Losschlagen der Karthager gewartet hatte, um den Krieg gegen Rom zu
beginnen, fuehrte sein kaum zurueckgezogenes Heer wieder gegen Messana und
uebernahm den Angriff auf die Suedseite der Stadt.
Allein mittlerweile war auch der roemische Konsul Appius Claudius Caudex
mit dem Hauptheer in Rhegion erschienen, und in einer dunklen Nacht gelang die
Ueberfahrt trotz der karthagischen Flotte. Kuehnheit und Glueck waren mit den
Roemern; die Verbuendeten, nicht gefasst auf einen Angriff des gesamten
roemischen Heeres und daher nicht vereinigt, wurden von den aus der Stadt
ausrueckenden roemischen Legionen einzeln geschlagen und damit die Belagerung
aufgehoben. Den Sommer ueber behauptete das roemische Heer das Feld und machte
sogar einen Versuch auf Syrakus; allein nachdem dieser gescheitert war und auch
die Belagerung von Echetla (an der Grenze der Gebiete von Syrakus und Karthago)
mit Verlust hatte aufgegeben werden muessen, kehrte das roemische Heer zurueck
nach Messana und von da unter Zuruecklassung einer starken Besatzung nach
Italien. Die Erfolge dieses ersten ausseritalischen Feldzugs der Roemer moegen
daheim der Erwartung nicht ganz entsprochen haben, da der Konsul nicht
triumphierte; indes konnte das kraeftige Auftreten der Roemer in Sizilien nicht
verfehlen, auf die Griechen daselbst grossen Eindruck zu machen. Im folgenden
Jahre betraten beide Konsuln und ein doppelt so starkes Heer ungehindert die
Insel. Der eine derselben, Marcus Valerius Maximus, seitdem von diesem Feldzug
"der von Messana" (Messalla) genannt, erfocht einen glaenzenden Sieg ueber die
verbuendeten Karthager und Syrakusaner; und als nach dieser Schlacht das
phoenikische Heer nicht mehr gegen die Roemer das Feld zu halten wagte, da
fielen nicht bloss Alaesa, Kentoripa und ueberhaupt die kleineren griechischen
Staedte den Roemern zu, sondern Hieron selbst verliess die karthagische Partei
und machte Frieden und Buendnis mit den Roemern (491 263). Er folgte einer
richtigen Politik, indem er, sowie sich gezeigt hatte, dass es den Roemern mit
dem Einschreiten in Sizilien Ernst war, sich sofort ihnen anschloss, als es noch
Zeit war, den Frieden ohne Abtretungen und Opfer zu erkaufen. Die sizilischen
Mittelstaaten, Syrakus und Messana, die eine eigene Politik nicht durchfuehren
konnten und nur zwischen roemischer und karthagischer Hegemonie zu waehlen
hatten, mussten jedenfalls die erstere vorziehen, da die Roemer damals sehr
wahrscheinlich noch nicht die Insel fuer sich zu erobern beabsichtigten, sondern
nur sie nicht von Karthago erobern zu lassen, und auf alle Faelle anstatt des
karthagischen Tyrannisier- und Monopolisiersystems von Rom eine leidlichere
Behandlung und Schutz der Handelsfreiheit zu erwarten war. Hieron blieb seitdem
der wichtigste, standhafteste und geachtetste Bundesgenosse der Roemer auf der
Insel.
Fuer die Roemer war hiermit das naechste Ziel erreicht. Durch das
Doppelbuendnis mit Messana und Syrakus und den festen Besitz der ganzen
Ostkueste war die Landung auf der Insel und die bis dahin sehr schwierige
Unterhaltung der Heere gesichert und verlor der bisher bedenkliche und
unberechenbare Krieg einen grossen Teil seines waglichen Charakters. Man machte
denn auch fuer denselben nicht groessere Anstrengungen als fuer die Kriege in
Samnium und Etrurien; die zwei Legionen, die man fuer das naechste Jahr (492
262) nach der Insel hinuebersandte, reichten aus, um im Einverstaendnis mit den
sizilischen Griechen die Karthager ueberall in die Festungen zurueckzutreiben.
Der Oberbefehlshaber der Karthager, Hannibal, Gisgons Sohn, warf mit dem Kern
seiner Truppen sich in Akragas, um diese wichtigste karthagische Landstadt aufs
aeusserste zu verteidigen. Unfaehig, die feste Stadt zu stuermen, blockierten
die Roemer sie mit verschanzten Linien und einem doppelten Lager; die
Eingeschlossenen, die bis 50000 Koepfe zaehlten, litten bald Mangel am
Notwendigen. Zum Entsatz landete der karthagische Admiral Hanno bei Herakleia
und schnitt seinerseits der roemischen Belagerungsarmee die Zufuhr ab. Auf
beiden Seiten war die Not gross; man entschloss sich endlich zu einer Schlacht,
um aus den Bedraengnissen und der Ungewissheit herauszukommen. In dieser zeigte
sich die numidische Reiterei ebensosehr der roemischen ueberlegen wie der
phoenikischen Infanterie das roemische Fussvolk; das letztere entschied den
Sieg, allein die Verluste auch der Roemer waren sehr betraechtlich. Der Erfolg
der gewonnenen Schlacht ward zum Teil dadurch verscherzt, dass es nach der
Schlacht waehrend der Verwirrung und der Ermuedung der Sieger der belagerten
Armee gelang, aus der Stadt zu entkommen und die Flotte zu erreichen; dennoch
war der Sieg von Bedeutung. Akragas fiel dadurch in die Haende der Roemer und
damit war die ganze Insel in ihrer Gewalt mit Ausnahme der Seefestungen, in
denen der karthagische Feldherr Hamilkar, Hannos Nachfolger im Oberbefehl, sich
bis an die Zaehne verschanzte und weder durch Gewalt noch durch Hunger zu
vertreiben war. Der Krieg spann von da an sich nur fort durch die Ausfaelle der
Karthager aus den sizilischen Festungen und durch ihre Landungen an den
italischen Kuesten.
In der Tat empfanden die Roemer erst jetzt die wirklichen Schwierigkeiten
des Krieges. Wenn die karthagischen Diplomaten, wie erzaehlt wird, vor dem
Ausbruch der Feindseligkeiten die Roemer warnten, es nicht bis zum Bruche zu
treiben, denn wider ihren Willen koenne kein Roemer auch nur die Haende sich im
Meer waschen, so war diese Drohung wohl begruendet. Die karthagische Flotte
beherrschte ohne Nebenbuhler die See und hielt nicht bloss die sizilischen
Kuestenstaedte im Gehorsam und mit allem Notwendigen versehen, sondern bedrohte
auch Italien mit einer Landung, weswegen schon 492 (262) dort eine konsularische
Armee hatte zurueckbleiben muessen. Zwar zu einer groesseren Invasion kam es
nicht; allein wohl landeten kleinere karthagische Abteilungen an den italischen
Kuesten und brandschatzten die Bundesgenossen und, was schlimmer als alles
Uebrige war, der Handel Roms und seiner Bundesgenossen war voellig gelaehmt; es
brauchte nicht lange so fortzugehen, um Caere, Ostia, Neapel, Tarent, Syrakus
vollstaendig zugrunde zu richten, waehrend die Karthager ueber die
Kontributionssummen und den reichen Kaperfang die ausbleibenden sizilischen
Tribute leicht verschmerzten. Die Roemer erfuhren jetzt, was Dionysios,
Agathokles und Pyrrhos erfahren hatten, dass es ebenso leicht war, die Karthager
aus dem Felde zu schlagen, als schwierig, sie zu ueberwinden. Man sah es ein,
dass alles darauf ankam, eine Flotte zu schaffen und beschloss eine solche von
zwanzig Drei- und hundert Fuenfdeckern herzustellen. Die Ausfuehrung indes
dieses energischen Beschlusses war nicht leicht. Zwar die aus den Rhetorschulen
stammende Darstellung, die glauben machen moechte, als haetten damals zuerst die
Roemer die Ruder ins Wasser getaucht, ist eine kindische Phrase; Italiens
Handelsmarine musste um diese Zeit sehr ausgedehnt sein, und auch an italischen
Kriegsschiffen fehlte es keineswegs. Aber es waren dies Kriegsbarken und
Dreidecker, wie sie in frueherer Zeit ueblich gewesen waren; Fuenfdecker, die
nach dem neueren, besonders von Karthago ausgehenden System des Seekrieges fast
ausschliesslich in der Linie verwendet wurden, hatte man in Italien noch nicht
gebaut. Die Massregel der Roemer war also ungefaehr derart, wie wenn jetzt ein
Seestaat von Fregatten und Kuttern uebergehen wollte zum Bau von Linienschiffen;
und eben wie man heute in solchem Fall womoeglich ein fremdes Linienschiff zum
Muster nehmen wuerde, ueberwiesen auch die Roemer ihren Schiffsbaumeistern eine
gestrandete karthagische Pentere als Modell. Ohne Zweifel haetten die Roemer,
wenn sie gewollt haetten, mit Hilfe der Syrakusaner und Massalioten schneller
zum Ziele gelangen koennen; allein ihre Staatsmaenner waren zu einsichtig, um
Italien durch eine nichtitalische Flotte verteidigen zu wollen. Dagegen wurden
die italischen Bundesgenossen stark angezogen sowohl fuer die Schiffsoffiziere,
die man groesstenteils aus der italischen Handelsmarine genommen haben wird, als
fuer die Matrosen, deren Name (socii navales) beweist, dass sie eine Zeitlang
ausschliesslich von den Bundesgenossen gestellt wurden; daneben wurden spaeter
Sklaven, die der Staat und die reicheren Familien lieferten, und bald auch die
aermere Klasse der Buerger verwandt. Unter solchen Verhaeltnissen, und wenn man
teils den damaligen, verhaeltnismaessig niedrigen Stand des Schiffsbaus, teils
die roemische Energie wie billig in Anschlag bringt, wird es begreiflich, dass
die Roemer die Aufgabe, an der Napoleon gescheitert ist, eine Kontinental- in
eine Seemacht umzuwandeln, innerhalb eines Jahres loesten und ihre Flotte von
hundertundzwanzig Segeln in der Tat im Fruehjahr 494 (260) vom Stapel lief.
Freilich kam dieselbe der karthagischen an Zahl und Segeltuechtigkeit keineswegs
gleich; und es fiel dies um so mehr ins Gewicht, als die Seetaktik dieser Zeit
vorwiegend im Manoevrieren bestand. Dass Schwergeruestete und Bogenschuetzen vom
Verdeck herab fochten, oder dass Wurfmaschinen von demselben aus arbeiteten,
gehoerte zwar auch zum Seegefecht dieser Zeit; allein der gewoehnliche und
eigentlich entscheidende Kampf bestand im Niedersegeln der feindlichen Schiffe,
zu welchem Zwecke die Vorderteile mit schweren Eisenschnaebeln versehen waren;
die kaempfenden Schiffe pflegten einander zu umkreisen, bis dem einen oder dem
andern der Stoss gelang, der gewoehnlich entschied. Deshalb befanden sich unter
der Bemannung eines gewoehnlichen griechischen Dreideckers von etwa 200 Mann nur
etwa zehn Soldaten, dagegen 170 Ruderer, 50 bis 60 fuer jedes Deck; die des
Fuenfdeckers zaehlte etwa 300 Ruderer, und Soldaten nach Verhaeltnis.
Man kam auf den gluecklichen Gedanken, das, was den roemischen Schiffen bei
ihren ungeuebten Schiffsoffizieren und Rudermannschaften an Manoevrierfaehigkeit
notwendig abgehen musste, dadurch zu ersetzen, dass man den Soldaten im
Seegefecht wiederum eine bedeutendere Rolle zuteilte. Man brachte auf dem
Vorderteil des Schiffes eine fliegende Bruecke an, welche nach vorn wie nach
beiden Seiten hin niedergelassen werden konnte; sie war zu beiden Seiten mit
Brustwehren versehen und hatte Raum fuer zwei Mann in der Front. Wenn das
feindliche Schiff zum Stoss auf das roemische heransegelte oder, nachdem der
Stoss vermieden war, demselben zur Seite lag, schlug diese Bruecke auf dessen
Verdeck nieder und mittels eines eisernen Stachels in dasselbe ein; wodurch
nicht bloss das Niedersegeln verhindert, sondern es auch den roemischen
Schiffssoldaten moeglich ward, ueber die Bruecke auf das feindliche Verdeck
hinueberzugehen und dasselbe wie im Landgefecht zu erstuermen. Eine eigene
Schiffsmiliz ward nicht gebildet, sondern nach Beduerfnis die Landtruppen zu
diesem Schiffsdienst verwandt; es kommt vor, dass in einer grossen Seeschlacht,
wo freilich die roemische Flotte zugleich die Landungsarmee an Bord hat, bis 120
Legionarier auf den einzelnen Schiffen fechten.
So schufen sich die Roemer eine Flotte, die der karthagischen gewachsen
war. Diejenigen irren, die aus dem roemischen Flottenbau ein Feenmaerchen
machen, und verfehlen ueberdies ihren Zweck; man muss begreifen um zu bewundern.
Der Flottenbau der Roemer war eben gar nichts als ein grossartiges Nationalwerk,
wo durch Einsicht in das Noetige und Moegliche, durch geniale Erfindsamkeit,
durch Energie in Entschluss und Ausfuehrung das Vaterland aus einer Lage
gerissen ward, die uebler war, als sie zunaechst schien.
Der Anfang indes war den Roemern nicht guenstig. Der roemische Admiral, der
Konsul Gnaeus Cornelius Scipio, der mit den ersten siebzehn segelfertigen
Fahrzeugen nach Messana in See gegangen war (494 260), meinte auf der Fahrt
Lipara durch einen Handstreich wegnehmen zu koennen. Allein eine Abteilung der
bei Panormos stationierten karthagischen Flotte sperrte den Hafen der Insel, in
dem die roemischen Schiffe vor Anker gegangen waren, und nahm die ganze Eskadre
mit dem Konsul ohne Kampf gefangen. Indes dies schreckte die Hauptflotte nicht
ab, sowie die Vorbereitungen beendigt waren, gleichfalls nach Messana unter
Segel zu gehen. Auf der Fahrt laengs der italischen Kueste traf sie auf ein
schwaecheres karthagisches Rekognoszierungsgeschwader, dem sie das Glueck hatte,
einen den ersten roemischen mehr als aufwiegenden Verlust zuzufuegen, und traf
also gluecklich und siegreich im Hafen von Messana ein, wo der zweite Konsul
Gaius Duilius das Kommando an der Stelle seines gefangenen Kollegen uebernahm.
An der Landspitze von Mylae, nordwestlich von Messana, traf die karthagische
Flotte, die unter Hannibal von Panormos herankam, auf die roemische, welche hier
ihre erste groessere Probe bestand. Die Karthager, in den schlecht segelnden und
unbehilflichen roemischen Schiffen eine leichte Beute erblickend, stuerzten sich
in aufgeloester Linie auf dieselben; aber die neu erfundenen Enterbruecken
bewaehrten sich vollkommen. Die roemischen Schiffe fesselten und stuermten die
feindlichen, wie sie einzeln heransegelten; es war ihnen weder von vorn, noch
von den Seiten beizukommen, ohne dass die gefaehrliche Bruecke sich niedersenkte
auf das feindliche Verdeck. Als die Schlacht zu Ende war, waren gegen fuenfzig
karthagische Schiffe, fast die Haelfte der Flotte, von den Roemern versenkt oder
genommen, unter den letzteren das Admiralsschiff Hannibals, einst das des
Koenigs Pyrrhos. Der Gewinn war gross; noch groesser der moralische Eindruck.
Rom war ploetzlich eine Seemacht geworden und hatte das Mittel in der Hand, den
Krieg, der endlos sich hinauszuspinnen und dem italischen Handel den Ruin zu
drohen schien, energisch zu Ende zu fuehren.
Es gab dazu einen doppelten Weg. Man konnte entweder Karthago auf den
italischen Inseln angreifen und ihm die Kuestenfestungen Siziliens und
Sardiniens eine nach der andern entreissen, was vielleicht durch gut kombinierte
Operationen zu Lande und zur See ausfuehrbar war; war dies durchgesetzt, so
konnte entweder mit Karthago auf Grund der Abtretung dieser Inseln Friede
geschlossen, oder, wenn dies misslang oder nicht genuegte, der zweite Akt des
Krieges nach Afrika verlegt werden. Oder man konnte die Inseln vernachlaessigen
und sich gleich mit aller Macht auf Afrika werfen, nicht in Agathokles'
abenteuernder Art die Schiffe hinter sich verbrennend und alles setzend auf den
Sieg eines verzweifelten Haufens, sondern durch eine starke Flotte die
Verbindungen der afrikanischen Invasionsarmee mit Italien deckend; in diesem
Falle liess sich entweder von der Bestuerzung der Feinde nach den ersten
Erfolgen ein maessiger Friede erwarten oder, wenn man wollte, mit aeusserster
Gewalt den Feind zu vollstaendiger Ergebung noetigen.
Man waehlte zunaechst den ersten Operationsplan. Im Jahre nach der Schlacht
von Mylae (495 259) erstuermte der Konsul Lucius Scipio den Hafen Aleria auf
Korsika - wir besitzen noch den Grabstein des Feldherrn, der dieser Tat gedenkt
- und machte aus Korsika eine Seestation gegen Sardinien. Ein Versuch, sich auf
der Nordkueste dieser Insel in Ulbia festzusetzen, misslang, da es der Flotte an
Landungstruppen fehlte. Im folgenden Jahre (496 258) ward er zwar mit besserem
Erfolg wiederholt und die offenen Flecken an der Kueste gepluendert; aber zu
einer bleibenden Festsetzung der Roemer kam es nicht. Ebensowenig kam man in
Sizilien vorwaerts. Hamilkar fuehrte energisch und geschickt den Krieg nicht
bloss mit Waffen zu Lande und zur See, sondern auch mit der politischen
Propaganda; von den zahllosen kleinen Landstaedten fielen jaehrlich einige von
den Roemern ab und mussten den Phoenikern muehsam wieder entrissen werden, und
in den Kuestenfestungen behaupteten die Karthager sich unangefochten, namentlich
in ihrem Hauptquartier Panormos und in ihrem neuen Waffenplatz Drepana, wohin
der leichteren Seeverteidigung wegen Hamilkar die Bewohner des Eryx
uebergesiedelt hatte. Ein zweites grosses Seetreffen am Tyndarischen Vorgebirg
(497 257), in dem beide Teile sich den Sieg zuschrieben, aenderte nichts an der
Lage der Dinge. In dieser Weise kam man nicht vom Fleck, mochte die Schuld nun
an dem geteilten und schnell wechselnden Oberbefehl der roemischen Truppen
liegen, der die konzentrierte Gesamtleitung einer Reihe kleinerer Operationen
ungemein erschwerte, oder auch an den allgemeinen strategischen Verhaeltnissen,
welche allerdings in einem solchen Fall nach dem damaligen Stande der
Kriegswissenschaft sich fuer den Angreifer ueberhaupt (I, 426) und ganz
besonders fuer die noch im Anfang der wissenschaftlichen Kriegskunst stehenden
Roemer unguenstig stellten. Mittlerweile litt, wenn auch die Brandschatzung der
italischen Kuesten aufgehoert hatte, doch der italische Handel nicht viel
weniger als vor dem Flottenbau. Muede des erfolglosen Ganges der Operationen und
ungeduldig, dem Kriege ein Ziel zu setzen, beschloss der Senat, das System zu
aendern und Karthago in Afrika anzugreifen. Im Fruehjahr 498 (256) ging eine
Flotte von 330 Linienschiffen unter Segel nach der libyschen Kueste; an der
Muendung des Himeraflusses am suedlichen Ufer Siziliens nahm sie das
Landungsheer an Bord: es waren vier Legionen unter der Fuehrung der beiden
Konsuln Marcus Atilius Regulus und Lucius Manlius Volso, beides erprobte
Generale. Der karthagische Admiral liess es geschehen, dass die feindlichen
Truppen sich einschifften; aber auf der weiteren Fahrt nach Afrika fanden die
Roemer die feindliche Flotte auf der Hoehe von Eknomos in Schlachtordnung
aufgestellt, um die Heimat vor der Invasion zu decken. Nicht leicht haben
groessere Massen zur See gefochten als in dieser Schlacht gegeneinander standen.
Die roemische Flotte von 330 Segeln zaehlte mindestens 100000 Mann an
Schiffsbemannung ausser der etwa 40000 Mann starken Landungsarmee; die
karthagische von 350 Schiffen trug an Bemannung mindestens die gleiche Zahl, so
dass gegen dreimalhunderttausend Menschen an diesem Tage aufgeboten waren, um
zwischen den beiden maechtigen Buergerschaften zu entscheiden. Die Phoeniker
standen in einfacher weitausgedehnter Linie, mit dem linken Fluegel gelehnt an
die sizilische Kueste. Die Roemer ordneten sich ins Dreieck, die Admiralschiffe
der beiden Konsuln an der Spitze, in schraeger Linie rechts und links neben
ihnen das erste und zweite Geschwader, endlich das dritte mit den zum Transport
der Reiterei gebauten Fahrzeugen im Schlepptau in der Linie, die das Dreieck
schloss. Also segelten sie dichtgeschlossen auf den Feind. Langsamer folgte ein
viertes in Reserve gestelltes Geschwader. Der keilfoermige Angriff durchbrach
ohne Muehe die karthagische Linie, da das zunaechst angegriffene Zentrum
derselben absichtlich zurueckwich, und die Schlacht loeste sich auf in drei
gesonderte Treffen. Waehrend die Admirale mit den beiden auf den Fluegeln
aufgestellten Geschwadern dem karthagischen Zentrum nachsetzten und mit ihm
handgemein wurden, schwenkte der linke, an der Kueste aufgestellte Fluegel der
Karthager auf das dritte roemische Geschwader ein, welches durch die
Schleppschiffe gehindert ward, den beiden vorderen zu folgen, und draengte
dasselbe in heftigem und ueberlegenem Angriff gegen das Ufer; gleichzeitig wurde
die roemische Reserve von dem rechten karthagischen Fluegel auf der hohen See
umgangen und von hinten angefallen. Das erste dieser drei Treffen war bald zu
Ende: die Schiffe des karthagischen Mitteltreffens, offenbar viel schwaecher als
die beiden gegen sie fechtenden roemischen Geschwader, wandten sich zur Flucht.
Mittlerweile hatten die beiden anderen Abteilungen der Roemer einen harten Stand
gegen den ueberlegenen Feind; allein im Nahgefecht kamen die gefuerchteten
Enterbruecken ihnen zustatten, und mit deren Hilfe gelang es, sich so lange zu
halten, bis die beiden Admirale mit ihren Schiffen herankommen konnten. Dadurch
erhielt die roemische Reserve Luft, und die karthagischen Schiffe des rechten
Fluegels suchten vor der Uebermacht das Weite. Nun, nachdem auch dieser Kampf
zum Vorteil der Roemer entschieden, fielen alle noch seefaehigen roemischen
Schiffe dem hartnaeckig seinen Vorteil verfolgenden karthagischen linken Fluegel
in den Ruecken, so dass dieser umzingelt und fast alle Schiffe desselben
genommen wurden. Der uebrige Verlust war ungefaehr gleich. Von der roemischen
Flotte waren 24 Segel versenkt, von der karthagischen 30 versenkt, 64 genommen.
Die karthagische Flotte gab trotz des betraechtlichen Verlustes es nicht auf,
Afrika zu decken und ging zu diesem Ende zurueck an den Golf von Karthago, wo
sie die Landung erwartete und eine zweite Schlacht zu liefern gedachte. Allein
die Roemer landeten statt an der westlichen Seite der Halbinsel, die den Golf
bilden hilft, vielmehr an der oestlichen, wo die Bai von Clupea ihnen einen fast
bei allen Winden Schutz bietenden geraeumigen Hafen und die Stadt, hart am Meere
auf einem schildfoermig aus der Ebene aufsteigenden Huegel gelegen, eine
vortreffliche Hafenfestung darbot. Ungehindert vom Feinde schifften sie die
Truppen aus und setzten sich auf dem Huegel fest; in kurzer Zeit war ein
verschanztes Schiffslager errichtet, und das Landheer konnte seine Operationen
beginnen. Die roemischen Truppen durchstreiften und brandschatzten das Land; bis
20000 Sklaven konnten nach Rom gefuehrt werden. Durch die ungeheuersten
Gluecksfaelle war der kuehne Plan auf den ersten Wurf und mit geringen Opfern
gelungen; man schien am Ziele zu stehen. Wie sicher die Roemer sich fuehlten,
beweist der Beschluss des Senats, den groessten Teil der Flotte und die Haelfte
der Armee nach Italien zurueckzuschicken; Marcus Regulus blieb allein in Afrika
mit 40 Schiffen, 15000 Mann zu Fuss und 500 Reitern. Es schien indes die
Zuversicht nicht uebertrieben. Die karthagische Armee, die entmutigt sich in die
Ebene nicht wagte, erlitt erst recht eine Schlappe in den waldigen Defileen, in
denen sie ihre beiden besten Waffen, die Reiterei und die Elefanten nicht
verwenden konnte. Die Staedte ergaben sich in Masse, die Numidier standen auf
und ueberschwemmten weithin das offene Land. Regulus konnte hoffen, den
naechsten Feldzug zu beginnen mit der Belagerung der Hauptstadt, zu welchem Ende
er dicht bei derselben, in Tunes sein Winterlager aufschlug.
Der Karthager Mut war gebrochen; sie baten um Frieden. Allein die
Bedingungen, die der Konsul stellte: nicht bloss Abtretung von Sizilien und
Sardinien, sondern Eingehung eines ungleichen Buendnisses mit Rom, welches die
Karthager verpflichtet haette, auf eine eigene Kriegsmarine zu verzichten und zu
den roemischen Kriegen Schiffe zu stellen - diese Bedingungen, welche Karthago
mit Neapel und Tarent gleichgestellt haben wuerden, konnten nicht angenommen
werden, solange noch ein karthagisches Heer im Felde, eine karthagische Flotte
auf der See, und die Hauptstadt unerschuettert stand. Die gewaltige
Begeisterung, wie sie in den orientalischen Voelkern, auch den tief gesunkenen,
bei dem Herannahen aeusserster Gefahren grossartig aufzuflammen pflegt, diese
Energie der hoechsten Not trieb die Karthager zu Anstrengungen, wie man sie den
Budenleuten nicht zugetraut haben mochte. Hamilkar, der in Sizilien den kleinen
Krieg gegen die Roemer so erfolgreich gefuehrt hatte, erschien in Libyen mit der
Elite der sizilischen Truppen, die fuer die neuausgehobene Mannschaft einen
trefflichen Kern abgab; die Verbindungen und das Gold der Karthager fuehrten
ihnen ferner die trefflichen numidischen Reiter scharenweise zu und ebenso
zahlreiche griechische Soeldner, darunter den gefeierten Hauptmann Xanthippos
von Sparta, dessen Organisierungstalent und strategische Einsicht seinen neuen
Dienstherren von grossem Nutzen war ^2. Waehrend also im Lauf des Winters die
Karthager ihre Vorbereitungen trafen, stand der roemische Feldherr untaetig bei
Tunes. Mochte er nicht ahnen, welcher Sturm sich ueber seinem Haupt zusammenzog,
oder mochte militaerisches Ehrgefuehl ihm zu tun verbieten, was seine Lage
erheischte - statt zu verzichten auf eine Belagerung, die er doch nicht imstande
war, auch nur zu versuchen, und sich einzuschliessen in die Burg von Clupea,
blieb er mit einer Handvoll Leute vor den Mauern der feindlichen Hauptstadt
stehen, sogar seine Rueckzugslinie zu dem Schiffslager zu sichern versaeumend,
und versaeumend sich zu schaffen, was ihm vor allen Dingen fehlte und was durch
Verhandlungen mit den aufstaendischen Staemmen der Numidier so leicht zu
erreichen war, eine gute leichte Reiterei. Mutwillig brachte er sich und sein
Heer also in dieselbe Lage, in der einst Agathokles auf seinem verzweifelten
Abenteurerzug sich befunden hatte. Als das Fruehjahr kam (499 255), hatten sich
die Dinge schon so veraendert, dass jetzt die Karthager es waren, die zuerst ins
Feld rueckten und den Roemern eine Schlacht anboten; natuerlich, denn es lag
alles daran, mit dem Heer des Regulus fertig zu werden, ehe von Italien
Verstaerkung kommen konnte. Aus demselben Grunde haetten die Roemer zoegern
sollen; allein im Vertrauen auf ihre Unueberwindlichkeit im offenen Felde nahmen
sie sofort die Schlacht an trotz ihrer geringeren Staerke - denn obwohl die Zahl
des Fussvolks auf beiden Seiten ungefaehr dieselbe war, gaben doch den
Karthagern die 4000 Reiter und 100 Elefanten ein entschiedenes Uebergewicht -
und trotz des unguenstigen Terrains - die Karthager hatten sich auf einem weiten
Blachfeld, vermutlich unweit Tunes, aufgestellt. Xanthippos, der an diesem Tage
die Karthager kommandierte, warf zunaechst seine Reiterei auf die feindliche,
die wie gewoehnlich auf den beiden Fluegeln der Schlachtlinie stand; die wenigen
roemischen Schwadronen zerstoben im Nu vor den feindlichen Kavalleriemassen und
das roemische Fussvolk sah sich von demselben ueberfluegelt und umschwaermt. Die
Legionen, hierdurch nicht erschuettert, gingen zum Angriff vor gegen die
feindliche Linie; und obwohl die zur Deckung vor derselben aufgestellte
Elefantenreihe den rechten Fluegel und das Zentrum der Roemer hemmte, fasste
wenigstens der linke roemische Fluegel, an den Elefanten vorbeimarschierend, die
Soeldnerinfanterie auf dem rechten feindlichen und warf sie vollstaendig. Allein
eben dieser Erfolg zerriss die roemischen Reihen. Die Hauptmasse, vorn von den
Elefanten, an den Seiten und im Ruecken von der Reiterei angegriffen, formierte
sich zwar ins Viereck und verteidigte sich heldenmuetig, allein endlich wurden
doch die geschlossenen Massen gesprengt und aufgerieben. Der siegreiche linke
Fluegel traf auf das noch frische karthagische Zentrum, wo die libysche
Infanterie ihm gleiches Schicksal bereitete. Bei der Beschaffenheit des Terrains
und der Ueberzahl der feindlichen Reiterei ward niedergehauen oder gefangen, was
in diesen Massen gefochten hatte; nur zweitausend Mann, vermutlich vorzugsweise
die zu Anfang zersprengten leichten Truppen und Reiter, gewannen, waehrend die
roemischen Legionen sich niedermachen liessen, soviel Vorsprung, um mit Not
Clupea zu erreichen. Unter den wenigen Gefangenen war der Konsul selbst, der
spaeter in Karthago starb; seine Familie, in der Meinung, dass er von den
Karthagern nicht nach Kriegsgebrauch behandelt worden sei, nahm an zwei edlen
karthagischen Gefangenen die empoerendste Rache, bis es selbst die Sklaven
erbarmte und auf deren Anzeige die Tribune der Schaendlichkeit steuerten ^3.
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^2 Der Bericht, dass zunaechst Xanthippos' militaerisches Talent Karthago
gerettet habe, ist wahrscheinlich gefaerbt; die karthagischen Offiziere werden
schwerlich auf den Fremden gewartet haben, um zu lernen, dass die leichte
afrikanische Kavallerie zweckmaessiger auf der Ebene verwandt werde als in
Huegeln und Waeldern. Von solchen Wendungen, dem Echo der griechischen
Wachtstubengespraeche, ist selbst Polybios nicht frei. Dass Xanthippos nach dem
Siege von den Karthagern ermordet worden sei, ist eine Erfindung; er ging
freiwillig fort, vielleicht in aegyptische Dienste.
^3 Weiter ist ueber Regulus' Ende nichts mit Sicherheit bekannt; selbst
seine Sendung nach Rom, die bald 503 (251), bald 513 (241) gesetzt wird, ist
sehr schlecht beglaubigt, Die spaetere Zeit, die in dem Glueck und Unglueck der
Vorfahren nur nach Stoffen suchte fuer Schulakte, hat aus Regulus den Prototyp
des ungluecklichen wie aus Fabricius das des duerftigen Helden gemacht und eine
Menge obligat erfundener Anekdoten auf seinen Namen in Umlauf gesetzt;
widerwaertige Flitter, die uebel kontrastieren mit der ernsten und schlichten
Geschichte.
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Wie die Schreckenspost nach Rom gelangte, war die erste Sorge natuerlich
gerichtet auf die Rettung der in Clupea eingeschlossenen Mannschaft. Eine
roemische Flotte von 350 Segeln lief sofort aus, und nach einem schoenen Sieg am
Hermaeischen Vorgebirg, bei welchem die Karthager 114 Schiffe einbuessten,
gelangte sie nach Clupea eben zur rechten Zeit, um die dort verschanzten
Truemmer der geschlagenen Armee aus ihrer Bedraengnis zu befreien. Waere sie
gesandt worden, ehe die Katastrophe eintrat, so haette sie die Niederlage in
einen Sieg verwandeln moegen, der wahrscheinlich den phoenikischen Kriegen ein
Ende gemacht haben wuerde. So vollstaendig aber hatten jetzt die Roemer den Kopf
verloren, dass sie nach einem gluecklichen Gefecht vor Clupea saemtliche Truppen
auf die Schiffe setzten und heimsegelten, freiwillig den wichtigen und leicht zu
verteidigenden Platz raeumend, der ihnen die Moeglichkeit der Landung in Afrika
sicherte, und der Rache der Karthager ihre zahlreichen afrikanischen
Bundesgenossen schutzlos preisgebend. Die Karthager versaeumten die Gelegenheit
nicht, ihre leeren Kassen zu fuellen und den Untertanen die Folgen der Untreue
deutlich zu machen. Eine ausserordentliche Kontribution von 1000 Talenten Silber
(1740000 Taler) und 20000 Rindern ward ausgeschrieben und in saemtlichen
abgefallenen Gemeinden die Scheiche ans Kreuz geschlagen - es sollen ihrer
dreitausend gewesen sein und dieses entsetzliche Wueten der karthagischen
Beamten wesentlich den Grund gelegt haben zu der Revolution, welche einige Jahre
spaeter in Afrika ausbrach. Endlich, als wollte wie frueher das Glueck, so jetzt
das Unglueck den Roemern das Mass fuellen, gingen auf der Rueckfahrt der Flotte
in einem schweren Sturm drei Vierteile der roemischen Schiffe mit der Mannschaft
zugrunde; nur achtzig gelangten in den Hafen (Juli 499 255). Die Kapitaene
hatten das Unheil wohl vorausgesagt, aber die improvisierten roemischen Admirale
die Fahrt einmal also befohlen.
Nach so ungeheuren Erfolgen konnten die Karthager die lange eingestellte
Offensive wiederum ergreifen. Hasdrubal, Hannos Sohn, landete in Lilybaeon mit
einem starken Heer, das besonders durch die gewaltige Elefantenmasse - es waren
ihrer 140 - in den Stand gesetzt wurde, gegen die Roemer das Feld zu halten; die
letzte Schlacht hatte gezeigt, wie es moeglich war, den Mangel eines guten
Fussvolks durch Elefanten und Reiterei einigermassen zu ersetzen. Auch die
Roemer nahmen den sizilischen Krieg von neuem auf: die Vernichtung des
Landungsheeres hatte, wie die freiwillige Raeumung von Clupea beweist, im
roemischen Senat sofort wieder der Partei die Oberhand gegeben, die den
afrikanischen Krieg nicht wollte und sich begnuegte, die Inseln allmaehlich zu
unterwerfen. Allein auch hierzu bedurfte man einer Flotte; und da diejenige
zerstoert war, mit der man bei Mylae, bei Eknomos und am Hermaeischen Vorgebirge
gesiegt hatte, baute man eine neue. Zu zweihundertundzwanzig neuen
Kriegsschiffen wurde auf einmal der Kiel gelegt - nie hatte man bisher
gleichzeitig so viele zu bauen unternommen -, und in der unglaublich kurzen Zeit
von drei Monaten standen sie saemtlich segelfertig. Im Fruehjahr 500 (254)
erschien die roemische Flotte, dreihundert groesstenteils neue Schiffe zaehlend,
an der sizilischen Nordkueste. Durch einen gluecklichen Angriff von der Seeseite
ward die bedeutendste Stadt des karthagischen Siziliens, Panormos, erobert, und
ebenso fielen hier die kleineren Plaetze Solus, Kephaloedion, Tyndaris den
Roemern in die Haende, so dass am ganzen noerdlichen Gestade der Insel nur noch
Thermae den Karthagern verblieb. Panormos ward seitdem eine der Hauptstationen
der Roemer auf Sizilien. Der Landkrieg daselbst stockte indes; die beiden Armeen
standen vor Lilybaeon einander gegenueber, ohne dass die roemischen
Befehlshaber, die der Elefantenmasse nicht beizukommen wussten, eine
Hauptschlacht zu erzwingen versucht haetten.
Im folgenden Jahre (501 253) zogen die Konsuln es vor, statt die sicheren
Vorteile in Sizilien zu verfolgen, eine Expedition nach Afrika zu machen, nicht
um zu landen, sondern um die Kuestenstaedte zu pluendern. Ungehindert kamen sie
damit zustande; allein nachdem sie schon in den schwierigen und ihren Piloten
unbekannten Gewaessern der Kleinen Syrte auf die Untiefen aufgelaufen und mit
Muehe wieder losgekommen waren, traf die Flotte zwischen Sizilien und Italien
ein Sturm, der ueber 150 roemische Schiffe kostete; auch diesmal hatten die
Piloten, trotz ihrer Vorstellungen und Bitten, den Weg laengs der Kueste zu
waehlen, auf Befehl der Konsuln von Panormos gerades Weges durch das offene Meer
nach Ostia zu steuern muessen.
Da ergriff Kleinmut die Vaeter der Stadt; sie beschlossen, die Kriegsflotte
abzuschaffen bis auf 60 Segel und den Seekrieg auf die Kuestenverteidigung und
die Geleitung der Transporte zu beschraenken. Zum Glueck nahm eben jetzt der
stockende Landkrieg auf Sizilien eine guenstigere Wendung. Nachdem im Jahre 502
(252) Thermae, der letzte Punkt, den die Karthager an der Nordkueste besassen,
und die wichtige Insel Lipara den Roemern in die Haende gefallen waren, erfocht
im Jahre darauf der Konsul Lucius Caecilius Metellus unter den Mauern von
Panormos einen glaenzenden Sieg ueber das Elefantenheer (Sommer 503 251). Die
unvorsichtig vorgefuehrten Tiere wurden von den im Stadtgraben aufgestellten
leichten Truppen der Roemer geworfen und stuerzten teils in den Graben hinab,
teils zurueck auf ihre eigenen Leute, die in wilder Verwirrung mit den Elefanten
zugleich sich zum Strande draengten, um von den phoenikischen Schiffen
aufgenommen zu werden. 120 Elefanten wurden gefangen, und das karthagische Heer,
dessen Staerke auf den Tieren beruhte, musste sich wiederum in die Festungen
einschliessen. Es blieb, nachdem auch noch der Eryx den Roemern in die Haende
gefallen war (505 249), auf der Insel den Karthagern nichts mehr als Drepana und
Lilybaeon. Karthago bot zum zweitenmal den Frieden an; allein der Sieg des
Metellus und die Ermattung des Feindes gab der energischeren Partei im Senat die
Oberhand. Der Friede ward zurueckgewiesen und beschlossen, die Belagerung der
beiden sizilischen Staedte ernsthaft anzugreifen und zu diesem Ende wiederum
eine Flotte von 200 Segeln in See gehen zu lassen. Die Belagerung von Lilybaeon,
die erste grosse und regelrechte, die Rom unternahm, und eine der
hartnaeckigsten, die die Geschichte kennt, wurde von den Roemern mit einem
wichtigen Erfolg eroeffnet: ihrer Flotte gelang es, sich in den Hafen der Stadt
zu legen und dieselbe von der Seeseite zu blockieren. Indes vollstaendig die See
zu sperren, vermochten die Belagerer nicht. Trotz ihrer Versenkungen und
Palisaden und trotz der sorgfaeltigsten Bewachung unterhielten gewandte und der
Untiefen und Fahrwaesser genau kundige Schnellsegler eine regelmaessige
Verbindung zwischen den Belagerten in der Stadt und der karthagischen Flotte im
Hafen von Drepana; ja nach einiger Zeit glueckte es einem karthagischen
Geschwader von 50 Segeln, in den Hafen einzufahren, Lebensmittel in Menge und
Verstaerkung von 10000 Mann in die Stadt zu werfen und unangefochten wieder
heimzukehren. Nicht viel gluecklicher war die belagernde Landarmee. Man begann
mit regelrechtem Angriff; die Maschinen wurden errichtet, und in kurzer Zeit
hatten die Batterien sechs Mauertuerme eingeworfen; die Bresche schien bald
gangbar. Allein der tuechtige karthagische Befehlshaber Himilko wehrte diesen
Angriff ab, indem auf seine Anordnung hinter der Bresche sich ein zweiter Wall
erhob. Ein Versuch der Roemer, mit der Besatzung ein Einverstaendnis
anzuknuepfen, ward ebenso noch zur rechten Zeit vereitelt. Ja es gelang den
Karthagern, nachdem ein erster, zu diesem Zwecke gemachter Ausfall abgeschlagen
worden war, waehrend einer stuermischen Nacht die roemische Maschinenreihe zu
verbrennen. Die Roemer gaben hierauf die Vorbereitungen zum Sturm auf und
begnuegten sich, die Mauer zu Wasser und zu Lande zu blockieren. Freilich waren
dabei die Aussichten auf Erfolg sehr fern, solange man nicht imstande war, den
feindlichen Schiffen den Zugang gaenzlich zu verlegen; und einen nicht viel
leichteren Stand als in der Stadt die Belagerten hatte das Landheer der
Belagerer, welchem die Zufuhren durch die starke und verwegene leichte Reiterei
der Karthager haeufig abgefangen wurden und das die Seuchen, die in der
ungesunden Gegend einheimisch sind, zu dezimieren begannen. Die Eroberung
Lilybaeons war nichtsdestoweniger wichtig genug, um geduldig bei der muehseligen
Arbeit auszuharren, die denn doch mit der Zeit der. gewuenschten Erfolg
verhiess. Allein dem neuen Konsul Publius Claudius schien die Aufgabe, Lilybaeon
eingeschlossen zu halten, allzu gering; es gefiel ihm besser, wieder einmal den
Operationsplan zu aendern und mit seinen zahlreichen neu bemannten Schiffen die
karthagische in dem nahen Hafen von Drepana verweilende Flotte unversehens zu
ueberfallen. Mit dem ganzen Blockadegeschwader, das Freiwillige aus den Legionen
an Bord genommen hatte, fuhr er um Mitternacht ab und erreichte, in guter
Ordnung segelnd, den rechten Fluegel am Lande, den linken in der hohen See,
gluecklich mit Sonnenaufgang den Hafen von Drepana. Hier kommandierte der
phoenikische Admiral Atarbas. Obwohl ueberrascht, verlor er die Besonnenheit
nicht und liess sich nicht in den Hafen einschliessen, sondern wie die
roemischen Schiffe in den nach Sueden sichelfoermig sich oeffnenden Hafen an der
Landseite einfuhren, zog er an der noch freien Seeseite seine Schiffe aus dem
Hafen heraus und stellte sich ausserhalb desselben in Linie. Dem roemischen
Admiral blieb nichts uebrig, als die vordersten Schiffe moeglichst schnell aus
dem Hafen zurueckzunehmen und sich gleichfalls vor demselben zur Schlacht zu
ordnen; allein ueber dieser rueckgaengigen Bewegung verlor er die freie Wahl
seiner Aufstellung und musste die Schlacht annehmen in einer Linie, die teils
von der feindlichen um fuenf Schiffe ueberfluegelt ward, da es an Zeit gebrach,
die Schiffe wieder aus dem Hafen vollstaendig zu entwickeln, teils so dicht an
die Kueste gedraengt war, dass seine Fahrzeuge weder zurueckweichen noch hinter
der Linie hinsegelnd sich untereinander zu Hilfe kommen konnten. Die Schlacht
war nicht bloss verloren, ehe sie begann, sondern die roemische Flotte so
vollstaendig umstrickt, dass sie fast ganz den Feinden in die Haende fiel. Zwar
der Konsul entkam, indem er zuerst davonfloh; aber 93 roemische Schiffe, mehr
als drei Viertel der Blockadeflotte, mit dem Kern der roemischen Legionen an
Bord, fielen den Phoenikern in die Haende. Es war der erste und einzige grosse
Seesieg, den die Karthager ueber die Roemer erfochten haben. Lilybaeon war der
Tat nach von der Seeseite entsetzt, denn wenn auch die Truemmer der roemischen
Flotte in ihre fruehere Stellung zurueckkehrten, so war diese doch jetzt viel zu
schwach, um den nie ganz geschlossenen Hafen ernstlich zu versperren, und konnte
vor dem Angriff der karthagischen Schiffe sich selbst nur retten durch den
Beistand des Landheers. Die eine Unvorsichtigkeit eines unerfahrenen und
frevelhaft leichtsinnigen Offiziers hatte alles vereitelt, was in dem langen und
aufreibenden Festungskrieg muehsam erreicht worden war; und was dessen Uebermut
noch an Kriegsschiffen den Roemern gelassen hatte, ging kurz darauf durch den
Unverstand seines Kollegen zugrunde. Der zweite Konsul, Lucius Iunius Pullus,
der den Auftrag erhalten hatte, die fuer das Heer in Lilybaeon bestimmten
Zufuhren in Syrakus zu verladen und die Transportflotte laengs der suedlichen
Kueste der Insel mit der zweiten roemischen Flotte von 120 Kriegsschiffen zu
geleiten, beging, statt seine Schiffe zusammenzuhalten, den Fehler, den ersten
Transport allein abgehen zu lassen und erst spaeter mit dem zweiten zu folgen.
Als der karthagische Unterbefehlshaber Karthalo, der mit hundert auserlesenen
Schiffen die roemische Flotte im Hafen von Lilybaeon blockierte, davon Nachricht
erhielt, wandte er sich nach der Suedkueste der Insel, schnitt die beiden
roemischen Geschwader, sich zwischen sie legend, voneinander ab und zwang sie,
an den unwirtlichen Gestaden von Gela und Kamarina in zwei Nothaefen sich zu
bergen. Die Angriffe der Karthager wurden freilich von den Roemern tapfer
zurueckgewiesen mit Hilfe der hier wie ueberall an der Kueste schon seit
laengerer Zeit errichteten Strandbatterien; allein da an Vereinigung und
Fortsetzung der Fahrt fuer die Roemer nicht zudenken war, konnte Karthago die
Vollendung seines Werkes den Elementen ueberlassen. Der naechste grosse Sturm
vernichtete denn auch beide roemische Flotten auf ihren schlechten Reeden
vollstaendig, waehrend der phoenikische Admiral auf der hohen See mit seinen
unbeschwerten und gut gefuehrten Schiffen ihm leicht entging. Die Mannschaft und
die Ladung gelang es den Roemern indes groesstenteils zu retten (505 249).
Der roemische Senat war ratlos. Der Krieg waehrte nun ins sechzehnte Jahr,
und von dem Ziele schien man im sechzehnten weiter ab zu sein als im ersten.
Vier grosse Flotten waren in diesem Kriege zugrunde gegangen, drei davon mit
roemischen Heeren an Bord; ein viertes ausgesuchtes Landheer hatte der Feind in
Libyen vernichtet, ungerechnet die zahllosen Opfer, die die kleinen Gefechte zur
See, die in Sizilien die Schlachten und mehr noch der Postenkrieg und die
Seuchen gefordert hatten. Welche Zahl von Menschenleben der Krieg wegraffte, ist
daraus zuerkennen, dass die Buergerrolle bloss von 502 (252) auf 507 (247) um
etwa 40000 Koepfe, den sechsten Teil der Gesamtzahl, sank; wobei die Verluste
der Bundesgenossen, die die ganze Schwere des Seekriegs und daneben der
Landkrieg mindestens in gleichem Verhaeltnis wie die Roemer traf, noch nicht mit
eingerechnet sind. Von der finanziellen Einbusse ist es nicht moeglich, sich
eine Vorstellung zu machen; aber sowohl der unmittelbare Schaden an Schiffen und
Material als der mittelbare durch die Laehmung des Handels muessen ungeheuer
gewesen sein. Allein schlimmer als dies alles war die Abnutzung aller Mittel,
durch die man den Krieg hatte endigen wollen. Man hatte eine Landung in Afrika
mit frischen Kraeften, im vollen Siegeslauf versucht und war gaenzlich
gescheitert. Man hatte Sizilien Stadt um Stadt zu erstuermen unternommen; die
geringeren Plaetze waren gefallen, aber die beiden gewaltigen Seeburgen
Lilybaeon und Drepana standen unbezwinglicher als je zuvor. Was sollte man
beginnen? In der Tat, der Kleinmut behielt gewissermassen Recht. Die Vaeter der
Stadt verzagten; sie liessen die Sachen eben gehen, wie sie gehen mochten, wohl
wissend, dass ein ziel- und endlos sich hinspinnender Krieg fuer Italien
verderblicher war als die Anstrengung des letzten Mannes und des letzten
Silberstuecks, aber ohne den Mut und die Zuversicht zu dem Volk und zu dem
Glueck, um zu den alten, nutzlos vergeudeten neue Opfer zu fordern. Man schaffte
die Flotte ab; hoechstens foerderte man die Kaperei und stellte den Kapitaenen,
die auf ihre eigene Hand den Korsarenkrieg zu beginnen bereit waren, zu diesem
Behuf Kriegsschiffe des Staates zur Verfuegung. Der Landkrieg ward dem Namen
nach fortgefuehrt, weil man eben nicht anders konnte; allein man begnuegte sich,
die sizilischen Festungen zu beobachten, und was man besass, notduerftig zu
behaupten, was dennoch, seit die Flotte fehlte, ein sehr zahlreiches Heer und
aeusserst kostspielige Anstalten erforderte.
Wenn jemals, so war jetzt die Zeit gekommen, wo Karthago den gewaltigen
Gegner zu demuetigen imstande war. Dass auch dort die Erschoepfung der Kraefte
gefuehlt ward, versteht sich; indes wie die Sachen standen, konnten die
phoenikischen Finanzen unmoeglich so im Verfall sein, dass die Karthager den
Krieg, der ihnen hauptsaechlich nur Geld kostete, nicht haetten offensiv und
nachdruecklich fortfuehren koennen. Allein die karthagische Regierung war eben
nicht energisch, sondern schwach und laessig, wenn nicht ein leichter und
sicherer Gewinn oder die aeusserste Not sie trieb. Froh, der roemischen Flotte
los zu sein, liess man toericht auch die eigene verfallen und fing an, nach dem
Beispiel der Feinde sich zu Lande und zur See auf den kleinen Krieg in und um
Sizilien zu beschraenken.
So folgten sechs tatenlose Kriegsjahre (506-511 248-243), die ruhmlosesten,
welche die roemische Geschichte dieses Jahrhunderts kennt, und ruhmlos auch fuer
das Volk der Karthager. Indes ein Mann von diesen dachte und handelte anders als
seine Nation. Hamilkar, genannt Barak oder Barkas, das ist der Blitz, ein
junger, vielversprechender Offizier, uebernahm im Jahre 507 (247) den Oberbefehl
in Sizilien. Es fehlte in seiner Armee wie in jeder karthagischen an einer
zuverlaessigen und kriegsgeuebten Infanterie; und die Regierung, obwohl sie
vielleicht eine solche zu schaffen imstande und auf jeden Fall es zu versuchen
verpflichtet gewesen waere, begnuegte sich, den Niederlagen zuzusehen und
hoechstens die geschlagenen Feldherren ans Kreuz heften zu lassen. Hamilkar
beschloss, sich selber zu helfen. Er wusste es wohl, dass seinen Soeldnern
Karthago so gleichgueltig war wie Rom, und dass er von seiner Regierung nicht
phoenikische oder libysche Konskribierte, sondern im besten Fall die Erlaubnis
zu erwarten hatte, mit seinen Leuten das Vaterland auf eigene Faust zu retten,
vorausgesetzt, dass es nichts koste. Allein er kannte auch sich und die
Menschen. An Karthago lag seinen Soeldnern freilich nichts; aber der echte
Feldherr vermag es, den Soldaten an die Stelle des Vaterlandes seine eigene
Persoenlichkeit zu setzen, und ein solcher war der junge General. Nachdem er die
Seinigen im Postenkrieg vor Drepana und Lilybaeon gewoehnt hatte, dem Legionaer
ins Auge zu sehen, setzte er auf dem Berge Eirkte (Monte Pellegrino bei
Palermo), der gleich einer Festung das umliegende Land beherrscht, sich mit
seinen Leuten fest und liess sie hier haeuslich mit ihren Frauen und Kindern
sich einrichten und das platte Land durchstreifen, waehrend phoenikische Kaper
die italische Kueste bis Cumae brandschatzten. So ernaehrte er seine Leute
reichlich, ohne von den Karthagern Geld zu begehren, und bedrohte, mit Drepana
die Verbindung zur See unterhaltend, das wichtige Panormos in naechster Naehe
mit Ueberrumpelung. Nicht bloss vermochten die Roemer nicht, ihn von seinem
Felsen zu vertreiben, sondern nachdem an der Eirkte der Kampf eine Weile
gedauert hatte, schuf sich Hamilkar eine zweite aehnliche Stellung am Eryx.
Diesen Berg, der auf der halben Hoehe die gleichnamige Stadt, auf der Spitze den
Tempel der Aphrodite trug, hatten bis dahin die Roemer in Haenden gehabt und von
da aus Drepana beunruhigt. Hamilkar nahm die Stadt weg und belagerte das
Heiligtum, waehrend die Roemer von der Ebene her ihn ihrerseits blockierten. Die
von den Roemern auf den verlorenen Posten des Tempels gestellten keltischen
Ueberlaeufer aus dem karthagischen Heer, ein schlimmes Raubgesindel, das
waehrend dieser Belagerung den Tempel pluenderte und Schaendlichkeiten aller Art
veruebte, verteidigten die Felsenspitze mit verzweifeltem Mut; aber auch
Hamilkar liess sich nicht wieder aus der Stadt verdraengen und hielt mit der
Flotte und der Besatzung von Drepana stets sich zur See die Verbindung offen.
Der sizilische Krieg schien eine immer unguenstigere Wendung fuer die Roemer zu
nehmen. Der roemische Staat kam in demselben um sein Geld und seine Soldaten und
die roemischen Feldherren um ihr Ansehen: es war schon klar, dass dem Hamilkar
kein roemischer General gewachsen war, und die Zeit liess sich berechnen, wo
auch der karthagische Soeldner sich dreist wuerde messen koennen mit dem
Legionaer. Immer verwegener zeigten sich die Kaper Hamilkars an der italischen
Kueste - schon hatte gegen eine dort gelandete karthagische Streifpartei ein
Praetor ausruecken muessen. Noch einige Jahre, so tat Hamilkar von Sizilien aus
mit der Flotte, was spaeter auf dem Landweg von Spanien aus sein Sohn unternahm.
Indes der roemische Senat verharrte in seiner Untaetigkeit; die Partei der
Kleinmuetigen hatte einmal in ihm die Mehrzahl. Da entschlossen sich eine Anzahl
einsichtiger und hochherziger Maenner, den Staat auch ohne Regierungsbeschluss
zu retten und dem heillosen Sizilischen Krieg ein Ende zu machen. Die
gluecklichen Korsarenfahrten hatten wenn nicht den Mut der Nation gehoben, doch
in engeren Kreisen die Energie und die Hoffnung geweckt; man hatte sich schon in
Geschwader zusammengetan, Hippo an der afrikanischen Kueste niedergebrannt, den
Karthagern vor Panormos ein glueckliches Seegefecht geliefert. Durch
Privatunterzeichnung, wie sie auch wohl in Athen, aber nie in so grossartiger
Weise vorgekommen ist, stellten die vermoegenden und patriotisch gesinnten
Roemer eine Kriegsflotte her, deren Kern die fuer den Kaperdienst gebauten
Schiffe und die darin geuebten Mannschaften abgaben und die ueberhaupt weit
sorgfaeltiger hergestellt wurde, als dies bisher bei dem Staatsbau geschehen
war. Diese Tatsache, dass eine Anzahl Buerger im dreiundzwanzigsten Jahre eines
schweren Krieges zweihundert Linienschiffe mit einer Bemannung von 60000
Matrosen freiwillig dem Staate darboten, steht vielleicht ohne Beispiel da in
den Annalen der Geschichte. Der Konsul Gaius Lutatius Catulus, dem die Ehre
zuteil ward, diese Flotte in die sizilische See zu fuehren, fand dort kaum einen
Gegner; die paar karthagischen Schiffe, mit denen Hamilkar seine Korsarenzuege
gemacht, verschwanden vor der Uebermacht, und fast ohne Widerstand besetzten die
Roemer die Haefen von Lilybaeon und Drepana, deren Belagerung zu Wasser und zu
Lande jetzt energisch begonnen ward. Karthago war vollstaendig ueberrumpelt;
selbst die beiden Festungen, schwach verproviantiert, schwebten in grosser
Gefahr. Man ruestete daheim an einer Flotte, aber so eilig man tat, ging das
Jahr zu Ende, ohne dass in Sizilien karthagische Segel sich gezeigt haetten; und
als endlich im Fruehjahr 513 (241) die zusammengerafften Schiffe auf der Hoehe
von Drepana erschienen, war es doch mehr eine Transport- als eine schlagfertige
Kriegsflotte zu nennen. Die Phoeniker hatten gehofft, ungestoert landen, die
Vorraete ausschiffen und die fuer ein Seegefecht erforderlichen Truppen an Bord
nehmen zu koennen; allein die roemischen Schiffe verlegten ihnen den Weg und
zwangen sie, da sie von der heiligen Insel (jetzt Maritima) nach Drepana segeln
wollten, bei der kleinen Insel Aegusa (Favignana), die Schlacht anzunehmen (10.
Maerz 513 241). Der Ausgang war keinen Augenblick zweifelhaft, die roemische
Flotte, gut gebaut und bemannt und, da die vor Drepana erhaltene Wunde den
Konsul Catulus noch an das Lager fesselte, von dem tuechtigen Praetor Publius
Valerius Falto vortrefflich gefuehrt, warf im ersten Augenblick die schwer
beladenen, schlecht und schwach bemannten Schiffe der Feinde; fuenfzig wurden
versenkt, mit siebzig eroberten fuhren die Sieger ein in den Hafen von
Lilybaeon. Die letzte grosse Anstrengung der roemischen Patrioten hatte Frucht
getragen; sie brachte den Sieg und mit ihm den Frieden.
Die Karthager kreuzigten zunaechst den ungluecklichen Admiral, was die
Sache nicht anders machte, und schickten alsdann dem sizilischen Feldherrn
unbeschraenkte Vollmacht, den Frieden zu schliessen. Hamilkar, der, seine
siebenjaehrige Heldenarbeit durch fremde Fehler vernichtet sah, fuegte
hochherzig sich in das Unvermeidliche, ohne darum weder seine Soldatenehre noch
sein Volk noch seine Entwuerfe aufzugeben. Sizilien freilich war nicht zu
halten, seit die Roemer die See beherrschten, und dass die karthagische
Regierung, die ihre leere Kasse vergeblich durch ein Staatsanlehen in Aegypten
zu fuellen versucht hatte, auch nur einen Versuch noch machen wuerde, die
roemische Flotte zu ueberwaeltigen, liess sich nicht erwarten. Er gab also die
Insel auf. Dagegen ward die Selbstaendigkeit und Integritaet des karthagischen
Staats und Gebiets ausdruecklich anerkannt in der ueblichen Form, dass Rom sich
verpflichtete, nicht mit der karthagischen, Karthago, nicht mit der roemischen
Bundesgenossenschaft, das heisst mit den beiderseitigen untertaenigen und
abhaengigen Gemeinden, in Sonderbuendnis zu treten oder Krieg zu beginnen oder
in diesem Gebiet Hoheitsrechte auszuueben oder Werbungen vorzunehmen ^4. Was die
Nebenbedingungen anlangt, so verstand sich die unentgeltliche Rueckgabe der
roemischen Gefangenen und die Zahlung einer Kriegskontribution von selbst;
dagegen die Forderung des Catulus, dass Hamilkar die Waffen und die roemischen
Ueberlaeufer ausliefern solle, wies der Karthager entschlossen zurueck, und mit
Erfolg. Catulus verzichtete auf das zweite Begehren und gewaehrte den Phoenikern
freien Abzug aus Sizilien gegen das maessige Loesegeld von 18 Denaren (4 Taler)
fuer den Mann.
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^4 Dass die Karthager versprechen mussten, keine Kriegsschiffe in das
Gebiet der roemischen Symmachie - also auch nicht nach Syrakus, vielleicht
selbst nicht nach Massalia - zu senden (Zon. 8, 17), klingt glaublich genug;
allein der Text des Vertrages schweigt davon (Polyb. 3, 27).
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Wenn den Karthagern die Fortfuehrung des Krieges nicht wuenschenswert
erschien, so hatten sie Ursache, mit diesen Bedingungen zufrieden zu sein. Es
kann sein, dass das natuerliche Verlangen, dem Vaterland mit dem Triumph auch
den Frieden zu bringen, die Erinnerung an Regulus und den wechselvollen Gang des
Krieges, die Erwaegung, dass ein patriotischer Aufschwung, wie er zuletzt den
Sieg entschieden hatte, sich nicht gebieten noch wiederholen laesst, vielleicht
selbst Hamilkars Persoenlichkeit mithalfen, den roemischen Feldherrn zu solcher
Nachgiebigkeit zu bestimmen. Gewiss ist es, dass man in Rom mit dem
Friedensentwurf unzufrieden war und die Volksversammlung, ohne Zweifel unter dem
Einfluss der Patrioten, die die letzte Schiffsruestung durchgesetzt hatten,
anfaenglich die Ratifikation verweigerte. In welchem Sinne dies geschah, wissen
wir nicht und vermoegen also nicht zu entscheiden, ob die Opponenten den Frieden
nur verwarfen, um dem Feinde noch einige Konzessionen mehr abzudringen, oder ob
sie sich erinnerten, dass Regulus von Karthago den Verzicht auf die politische
Unabhaengigkeit gefordert hatte, und entschlossen waren, den Krieg
fortzufuehren, bis man an diesem Ziel stand und es sich nicht mehr um Frieden
handelte, sondern um Unterwerfung. Erfolgte die Weigerung in dem ersten Sinne,
so war sie vermutlich fehlerhaft; gegen den Gewinn Siziliens verschwand jedes
andere Zugestaendnis, und es war bei Hamilkars Entschlossenheit und
erfinderischem Geist sehr gewagt, die Sicherung des Hauptgewinns an Nebenzwecke
zu setzen. Wenn dagegen die gegen den Frieden opponierende Partei in der
vollstaendigen politischen Vernichtung Karthagos das einzige fuer die roemische
Gemeinde genuegende Ende des Kampfes erblickte, so zeigte sie politischen Takt
und Ahnung der kommenden Dinge; ob aber auch Roms Kraefte noch ausreichten, um
den Zug des Regulus zu erneuern und soviel nachzusetzen, als erforderlich war,
um nicht bloss den Mut, sondern die Mauern der maechtigen Phoenikerstadt zu
brechen, ist eine andere Frage, welche in dem einen oder dem andern Sinn zu
beantworten jetzt niemand wagen kann.
Schliesslich uebertrug man die Erledigung der wichtigen Frage einer
Kommission, die in Sizilien an Ort und Stelle entscheiden sollte. Sie
bestaetigte im wesentlichen den Entwurf; nur ward die fuer die Kriegskosten von
Karthago zu zahlende Summe erhoeht auf 3200 Talente (5« Mill. Taler), davon ein
Drittel gleich, der Rest in zehn Jahreszielern zu entrichten. Wenn ausser der
Abtretung von Sizilien auch noch die der Inseln zwischen Italien und Sizilien in
den definitiven Traktat aufgenommen ward, so kann hierin nur eine redaktionelle
Veraenderung gefunden werden; denn dass Karthago, wenn es Sizilien hingab, sich
die laengst von der roemischen Flotte besetzte Insel Lipara nicht konnte
vorbehalten wollen, versteht sich von selbst, und dass man mit Ruecksicht auf
Sardinien und Korsika absichtlich eine zweideutige Bestimmung in den Vertrag
gesetzt habe, ist ein unwuerdiger und unwahrscheinlicher Verdacht.
So war man endlich einig. Der unbesiegte Feldherr einer ueberwundenen
Nation stieg herab von seinen langverteidigten Bergen und uebergab den neuen
Herren der Insel die Festungen, die die Phoeniker seit wenigstens vierhundert
Jahren in ununterbrochenem Besitz gehabt hatten und von deren Mauern alle
Stuerme der Hellenen erfolglos abgeprallt waren. Der Westen hatte Frieden (513
241).
Verweilen wir noch einen Augenblick bei dem Kampfe, welcher die roemische
Grenze vorrueckte ueber den Meeresring, der die Halbinsel einfasst. Es ist einer
der laengsten und schwersten, welchen die Roemer gefuehrt haben; die Soldaten,
welche die entscheidende Schlacht schlugen, waren, als er begann, zum guten Teil
noch nicht geboren. Dennoch und trotz der unvergleichlich grossartigen Momente,
die er darbietet, ist kaum ein anderer Krieg zu nennen, den die Roemer
militaerisch sowohl wie politisch so schlecht und so unsicher gefuehrt haben. Es
konnte das kaum anders sein; er steht inmitten eines Wechsels der politischen
Systeme, zwischen der nicht mehr ausreichenden italischen Politik und der noch
nicht gefundenen des Grossstaats. Der roemische Senat und das roemische
Kriegswesen waren unuebertrefflich organisiert fuer die rein italische Politik.
Die Kriege, welche diese hervorrief, waren reine Kontinentalkriege und ruhten
stets auf der in der Mitte der Halbinsel gelegenen Hauptstadt als der letzten
Operationsbasis und demnaechst auf der roemischen Festungskette. Die Aufgaben
waren vorzugsweise taktisch, nicht strategisch; Maersche und Operationen
zaehlten nur an zweiter Stelle, an erster die Schlachten; der Festungskrieg war
in der Kindheit; die See und der Seekrieg kamen kaum einmal beilaeufig in
Betracht. Es ist begreiflich, zumal wenn man nicht vergisst, dass in den
damaligen Schlachten bei dem Vorherrschen der blanken Waffe wesentlich das
Handgemenge entschied, dass eine Ratsversammlung diese Operationen zu dirigieren
und wer eben Buergermeister war, die Truppen zu befehligen imstande war. Auf
einen Schlag war das alles umgewandelt. Das Schlachtfeld dehnte sich aus in
unabsehbare Ferne, in unbekannte Landstriche eines andern Erdteils hinein und
hinaus ueber weite Meeresflaechen; jede Welle war dem Feinde eine Strasse, von
jedem Hafen konnte man seinen Anmarsch erwarten. Die Belagerung der festen
Plaetze, namentlich der Kuestenfestungen, an der die ersten Taktiker
Griechenlands gescheitert waren, hatten die Roemer jetzt zum erstenmal zu
versuchen. Man kam nicht mehr aus mit dem Landheer und mit dem
Buergermilizwesen. Es galt, eine Flotte zu schaffen und, was schwieriger war,
sie zu gebrauchen, es galt, die wahren Angriffs- und Verteidigungspunkte zu
finden, die Massen zu vereinigen und zu richten, auf lange Zeit und weite Ferne
die Zuege zu berechnen und ineinanderzupassen; geschah dies nicht, so konnte
auch der taktisch weit schwaechere Feind leicht den staerkeren Gegner besiegen.
Ist es ein Wunder, dass die Zuegel eines solchen Regiments der Ratversammlung
und den kommandierenden Buergermeistern entschluepften?
Offenbar wusste man beim Beginn des Krieges nicht, was man begann; erst im
Laufe des Kampfes draengten die Unzulaenglichkeiten des roemischen Systems eine
nach der anderen sich auf: der Mangel einer Seemacht, das Fehlen einer festen
militaerischen Leitung, die Unzulaenglichkeit der Feldherren, die vollstaendige
Unbrauchbarkeit der Admirale. Zum Teil half man ihnen ab durch Energie und durch
Glueck; so dem Mangel einer Flotte. Aber auch diese gewaltige Schoepfung war ein
grossartiger Notbehelf und ist es zu allen Zeiten geblieben. Man bildete eine
roemische Flotte, aber man nationalisierte sie nur dem Namen nach und behandelte
sie stets stiefmuetterlich: der Schiffsdienst blieb gering geschaetzt neben dem
hochgeehrten Dienst in den Legionen, die Seeoffiziere waren grossenteils
italische Griechen, die Bemannung Untertanen oder gar Sklaven und Gesindel. Der
italische Bauer war und blieb wasserscheu; unter den drei Dingen, die Cato in
seinem Leben bereute, war das eine, dass er einmal zu Schiff gefahren sei, wo er
zu Fuss habe gehen koennen. Es lag dies zum Teil wohl in der Natur der Sache, da
die Schiffe Rudergaleeren waren und der Ruderdienst kaum geadelt werden kann;
allein, eigene Seelegionen wenigstens haette man bilden und auf die Errichtung
eines roemischen Seeoffizierstandes hinwirken koennen. Man haette, den Impuls
der Nation benutzend, allmaehlich darauf ausgehen sollen, eine nicht bloss durch
die Zahl, sondern durch Segelfaehigkeit und Routine bedeutende Seemacht
herzustellen, wozu in dem waehrend des langen Krieges entwickelten Kaperwesen
ein wichtiger Anfang schon gemacht war; allein es geschah nichts derart von der
Regierung. Dennoch ist das roemische Flottenwesen in seiner unbehilflichen
Grossartigkeit noch die genialste Schoepfung dieses Krieges und hat wie im
Anfang so zuletzt fuer Rom den Ausschlag gegeben. Viel schwieriger zu
ueberwinden waren diejenigen Maengel, die sich ohne Aenderung der Verfassung
nicht beseitigen liessen. Dass der Senat je nach dem Stande der in ihm
streitenden Parteien von einem System der Kriegfuehrung zum andern absprang und
so unglaubliche Fehler beging, wie die Raeumung von Clupea und die mehrmalige
Einziehung der Flotte waren; dass der Feldherr des einen Jahres sizilische
Staedte belagerte und sein Nachfolger, statt dieselben zur Uebergabe zu zwingen,
die afrikanische Kueste brandschatzte oder ein Seetreffen zu liefern fuer gut
fand; dass ueberhaupt der Oberbefehl jaehrlich von Rechts wegen wechselte - das
alles liess sich nicht abstellen, ohne Verfassungsfragen anzuregen, deren
Loesung schwieriger war als der Bau einer Flotte, aber freilich ebensowenig zu
vereinigen mit den Forderungen eines solchen Krieges. Vor allen Dingen aber
wusste niemand noch in die neue Kriegfuehrung sich zu finden, weder der Senat
noch die Feldherren. Regulus' Feldzug ist ein Beispiel davon, wie seltsam man in
dem Gedanken befangen war, dass die taktische Ueberlegenheit alles entscheide.
Es gibt nicht leicht einen Feldherrn, dem das Glueck so wie ihm die Erfolge in
den Schoss geworfen hat; er stand im Jahr 498 (256) genau da, wo fuenfzig Jahre
spaeter Scipio, nur dass ihm kein Hannibal und keine erprobte feindliche Armee
gegenueberstand. Allein der Senat zog die halbe Armee zurueck, sowie man sich
von der taktischen Ueberlegenheit der Roemer ueberzeugt hatte; im blinden
Vertrauen auf diese blieb der Feldherr stehen, wo er eben stand, um strategisch,
und nahm er die Schlacht an, wo man sie ihm anbot, um auch taktisch sich
ueberwinden zu lassen. Es war dies um so bezeichnender, als Regulus in seiner
Art ein tuechtiger und erprobter Feldherr war. Eben die Bauernmanier, durch die
Etrurien und Samnium genommen worden waren, war die Ursache der Niederlage in
der Ebene von Tunes. Der in seinem Bereiche ganz richtige Satz, dass jeder
rechte Buergersmann zum General tauge, war irrig geworden; in dem neuen
Kriegssystem konnte man nur Feldherren von militaerischer Schule und
militaerischem Blicke brauchen, und das freilich war nicht jeder Buergermeister.
Noch viel aerger aber war es, dass man das Oberkommando der Flotte als eine
Dependenz des Oberbefehls der Landarmee behandelte und der erste beste
Stadtvorsteher meinte, nicht bloss General, sondern auch Admiral spielen zu
koennen. An den schlimmsten Niederlagen, die Rom in diesem Krieg erlitten hat,
sind nicht die Stuerme schuld und noch weniger die Karthager, sondern der
anmassliche Unverstand seiner Buergeradmirale.
Rom hat endlich gesiegt; aber das Bescheiden mit einem weit geringeren
Gewinn, als er zu Anfang gefordert, ja geboten worden war, sowie die energische
Opposition, auf welche in Rom der Friede stiess, bezeichnen sehr deutlich die
Halbheit und die Oberflaechlichkeit des Sieges wie des Friedens; und wenn Rom
gesiegt hat, so verdankt es diesen Sieg zwar auch der Gunst der Goetter und der
Energie seiner Buerger, aber mehr als beiden den die Maengel der roemischen
Kriegfuehrung noch weit uebertreffenden Fehlern seiner Feinde.
3. Kapitel
Die Ausdehnung Italiens bis an seine natuerlichen Grenzen
Die italische Eidgenossenschaft, wie sie aus den Krisen des fuenften
Jahrhunderts hervorgegangen war, oder der Staat Italien vereinigte unter
roemischer Hegemonie die Stadt- und Gaugemeinden vom Apennin bis an das Ionische
Meer. Allein bevor noch das fuenfte Jahrhundert zu Ende ging, waren diese
Grenzen bereits nach beiden Seiten hin ueberschritten, waren jenseits des
Apennin wie jenseits des Meeres italische, der Eidgenossenschaft angehoerige
Gemeinden entstanden. Im Norden hatte die Republik, alte und neue Unbill zu
raechen, bereits im Jahre 471 (283) die keltischen Senonen vernichtet, im Sueden
in dem grossen Kriege 490-513 (264-241) die Phoeniker von der sizilischen Insel
verdraengt. Dort gehoerte ausser der Buergeransiedlung Sena namentlich die
latinische Stadt Ariminum, hier die Mamertinergemeinde in Messana zu der von Rom
geleiteten Verbindung, und wie beide national italischen Ursprungs waren, so
hatten auch beide teil an den gemeinen Rechten und Pflichten der italischen
Eidgenossenschaft. Es mochten mehr die augenblicklich draengenden Ereignisse als
eine umfassende politische Berechnung diese Erweiterungen hervorgerufen haben;
aber begreiflicherweise brach wenigstens jetzt, nach den grossen, gegen Karthago
erstrittenen Erfolgen, bei der roemischen Regierung eine neue und weitere
politische Idee sich Bahn, welche die natuerliche Beschaffenheit der Halbinsel
ohnehin schon nahe genug legte. Politisch und militaerisch war es wohl
gerechtfertigt, die Nordgrenze von dem niedrigen und leicht zu ueberschreitenden
Apennin an die maechtige Scheidewand Nord- und Suedeuropas, die Alpen, zu
verlegen und mit der Herrschaft ueber Italien die ueber die Meere und Inseln im
Westen und Osten der Halbinsel zu vereinigen; und nachdem durch die Vertreibung
der Phoeniker aus Sizilien der schwerste Teil getan war, vereinigten sich
mancherlei Umstaende, um der roemischen Regierung die Vollendung des Werkes zu
erleichtern.
In der Westsee, die fuer Italien bei weitem mehr in Betracht kam als das
Adriatische Meer, war die wichtigste Stellung, die grosse fruchtbare und
hafenreiche Insel Sizilien, durch den karthagischen Frieden zum groesseren Teil
in den Besitz der Roemer uebergegangen. Koenig Hieron von Syrakus, der in den
letzten zweiundzwanzig Kriegsjahren unerschuetterlich an dem roemischen Buendnis
festgehalten hatte, haette auf eine Gebietserweiterung billigen Anspruch gehabt;
allein wenn die roemische Politik den Krieg in dem Entschluss begonnen hatte,
nur sekundaere Staaten auf der Insel zu dulden, so ging bei Beendigung desselben
ihre Absicht entschieden schon auf den Eigenbesitz Siziliens. Hieron mochte
zufrieden sein, dass ihm sein Gebiet - das heisst ausser dem unmittelbaren
Bezirk von Syrakus die Feldmarken von Eloros, Neeton, Akrae, Leontini, Megara
und Tauromenion - und seine Selbstaendigkeit gegen das Ausland, in Ermangelung
jeder Veranlassung, ihm diese zu schmaelern, beides im bisherigen Umfang
gelassen ward, und dass der Krieg der beiden Grossmaechte nicht mit dem
voelligen Sturz der einen oder der anderen geendigt hatte und also fuer die
sizilische Mittelmacht wenigstens noch die Moeglichkeit des Bestehens blieb. In
dem uebrigen bei weitem groesseren Teile Siziliens, in Panormos, Lilybaeon,
Akragas, Messana, richteten die Roemer sich haeuslich ein. Sie bedauerten nur,
dass der Besitz des schoenen Eilandes doch nicht ausreichte, um die westliche
See in ein roemisches Binnenmeer zu verwandeln, solange noch Sardinien
karthagisch blieb. Da eroeffnete sich bald nach dem Friedensschluss eine
unerwartete Aussicht, auch diese zweite Insel des Mittelmeeres den Karthagern zu
entreissen. In Afrika hatten unmittelbar nach dem Abschluss des Friedens mit Rom
die Soeldner und die Untertanen gemeinschaftlich gegen die Phoeniker sich
empoert. Die Schuld der gefaehrlichen Insurrektion trug wesentlich die
karthagische Regierung. Hamilkar hatte in den letzten Kriegsjahren seinen
sizilischen Soeldnern den Sold nicht wie frueher aus eigenen Mitteln auszahlen
koennen und vergeblich Geldsendungen von daheim erbeten; er moege, hiess es, die
Mannschaft nur zur Abloehnung nach Afrika senden. Er gehorchte, aber da er die
Leute kannte, schiffte er sie vorsichtig in kleineren Abteilungen ein, damit man
sie truppweise abloehnen oder mindestens auseinanderlegen koenne, und legte
selber hierauf den Oberbefehl nieder. Allein alle Vorsicht scheiterte, nicht so
sehr an den leeren Kassen als an dem kollegialischen Geschaeftsgang und dem
Unverstand der Buerokratie. Man wartete, bis das gesamte Heer wieder in Libyen
vereinigt stand und versuchte dann, den Leuten an dem versprochenen Solde zu
kuerzen. Natuerlich entstand eine Meuterei unter den Truppen, und das unsichere
und feige Benehmen der Behoerden zeigte den Meuterern, was sie wagen konnten.
Die meisten von ihnen waren gebuertig aus den von Karthago beherrschten oder
abhaengigen Distrikten; sie kannten die Stimmung, welche die von der Regierung
dekretierte Schlaechterei nach dem Zuge des Regulus und der fuerchterliche
Steuerdruck dort ueberall hervorgerufen hatten, und kannten auch ihre Regierung,
die nie Wort hielt und nie verzieh: sie wussten, was ihrer wartete, wenn sie mit
dem meuterisch erpressten Solde sich nach Hause zerstreuten. Seit langem hatte
man in Karthago sich die Mine gegraben und bestellte jetzt selbst die Leute, die
nicht anders konnten, als sie anzuenden. Wie ein Lauffeuer ergriff die
Revolution Besatzung um Besatzung, Dorf um Dorf; die libyschen Frauen trugen
ihren Schmuck herbei, um den Soeldnern die Loehnung zu zahlen; eine Menge
karthagischer Buerger, darunter einige der ausgezeichnetsten Offiziere des
sizilischen Heeres, wurden das Opfer der erbitterten Menge; schon war Karthago
von zwei Seiten belagert und das aus der Stadt ausrueckende karthagische Heer
durch die Verkehrtheit des ungeschickten Fuehrers gaenzlich geschlagen.
Wie man also in Rom den gehassten und immer noch gefuerchteten Feindin
groesserer Gefahr schweben sah, als je die roemischen Kriege ueber ihn gebracht
hatten, fing man an, mehr und mehr den Friedensschluss von 513 (241) zu bereuen,
der, wenn er nicht wirklich voreilig war, jetzt wenigstens allen voreilig
erschien, und zu vergessen, wie erschoepft damals der eigene Staat gewesen war,
wie maechtig der karthagische damals dagestanden hatte. Die Scham verbot zwar,
mit den karthagischen Rebellen offen in Verbindung zu treten, ja man gestattete
den Karthagern ausnahmsweise, zu diesem Krieg in Italien Werbungen zu
veranstalten, und untersagte den italischen Schiffern, mit den Libyern zu
verkehren. Indes darf bezweifelt werden, ob es der Regierung von Rom mit diesen
bundesfreundlichen Verfuegungen sehr ernst war. Denn als nichtsdestoweniger der
Verkehr der afrikanischen Insurgenten mit den roemischen Schiffern fortging und
Hamilkar, den die aeusserste Gefahr wieder an die Spitze der karthagischen Armee
zurueckgefuehrt hatte, eine Anzahl dabei betroffener italischer Kapitaene
aufgriff und einsteckte, verwandte sich der Senat fuer dieselben bei der
karthagischen Regierung und bewirkte ihre Freigebung. Auch die Insurgenten
selbst schienen in den Roemern ihre natuerlichen Bundesgenossen zu erkennen; die
sardinischen Besatzungen, welche gleich der uebrigen karthagischen Armee sich
fuer die Aufstaendischen erklaert hatten, boten, als sie sich ausserstande
sahen, die Insel gegen die Angriffe der unbezwungenen Gebirgsbewohner aus dem
Innern zu halten, den Besitz derselben den Roemern an (um 515 239); und
aehnliche Anerbietungen kamen sogar von der Gemeinde Utica, welche ebenfalls an
dem Aufstand teilgenommen hatte und nun durch die Waffen Hamilkars aufs
aeusserste bedraengt ward. Das letztere Anerbieten wies man in Rom zurueck,
hauptsaechlich wohl, weil es ueber die natuerlichen Grenzen Italiens hinaus und
also weitergefuehrt haben wuerde, als die roemische Regierung damals zu gehen
gedachte; dagegen ging sie auf die Anerbietungen der sardinischen Meuterer ein
und uebernahm von ihnen, was von Sardinien in den Haenden der Karthager gewesen


 


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