Römische Geschichte Book 3
by
Theodor Mommsen

Part 2 out of 9



war (516 238). Mit schwererem Gewicht als in der Angelegenheit der Mamertiner
trifft die Roemer hier der Tadel, dass die grosse und siegreiche Buergerschaft
es nicht verschmaehte, mit dem feilen Soeldnergesindel Bruederschaft zu machen
und den Raub zu teilen, und es nicht ueber sich gewann, dem Gebote des Rechtes
und der Ehre den augenblicklichen Gewinn nachzusetzen. Die Karthager, deren
Bedraengnis eben um die Zeit der Besetzung Sardiniens aufs hoechste gestiegen
war, schwiegen vorlaeufig ueber die unbefugte Vergewaltigung; nachdem indes
diese Gefahr wider Erwarten und wahrscheinlich wider Verhoffen der Roemer durch
Hamilkars Genie abgewendet und Karthago in Afrika wieder in seine volle
Herrschaft eingesetzt worden war (517 237), erschienen sofort in Rom
karthagische Gesandte, um die Rueckgabe Sardiniens zu fordern. Allein die
Roemer, nicht geneigt, den Raub wieder herauszugeben, antworteten mit nichtigen
oder doch nicht hierher gehoerenden Beschwerden ueber allerlei Unbill, die die
Karthager roemischen Handelsleuten zugefuegt haben sollten, und eilten, den
Krieg zu erklaeren ^1; der Satz, dass in der Politik jeder darf, was er kann,
trat hervor in seiner unverhuellten Schamlosigkeit. Die gerechte Erbitterung
hiess die Karthager, den gebotenen Krieg annehmen; haette Catulus fuenf Jahre
zuvor auf Sardiniens Abtretung bestanden, der Krieg wuerde wahrscheinlich seinen
Fortgang gehabt haben. Allein jetzt, wo beide Inseln verloren, Libyen in
Gaerung, der Staat durch den vierundzwanzigjaehrigen Krieg mit Rom und den fast
fuenfjaehrigen entsetzlichen Buergerkrieg aufs aeusserste geschwaecht war,
musste man wohl sich fuegen. Nur auf wiederholte flehentliche Bitten und nachdem
die Phoeniker sich verpflichtet hatten, fuer die mutwillig veranlassten
Kriegsruestungen eine Entschaedigung von 1200 Talenten (2 Mill. Taler) nach Rom
zu zahlen, standen die Roemer widerwillig vom Kriege ab. So erwarb Rom fast ohne
Kampf Sardinien, wozu man Korsika fuegte, die alte etruskische Besitzung, in der
vielleicht noch vom letzten Kriege her einzelne roemische Besatzungen standen.
Indes beschraenkten die Roemer, eben wie es die Phoeniker getan hatten, sich in
Sardinien und mehr noch in dem rauhen Korsika auf die Besetzung der Kuesten. Mit
den Eingeborenen im Innern fuehrte man bestaendige Kriege, oder vielmehr man
trieb dort die Menschenjagd: man hetzte sie mit Hunden und fuehrte die gefangene
Ware auf den Sklavenmarkt, aber an eine ernstliche Unterwerfung ging man nicht.
Nicht um ihrer selbst willen hatte man die Inseln besetzt, sondern zur Sicherung
Italiens. Seit sie die drei grossen Eilande besass, konnte die Eidgenossenschaft
das Tyrrhenische Meer das ihrige nennen.
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^1 Dass die Abtretung der zwischen Sizilien und Italien liegenden Inseln,
die der Friede von 513 (241) den Karthagern vorschrieb, die Abtretung Sardiniens
nicht einschloss, ist ausgemacht (vgl. 2, 60); es ist aber auch schlecht
beglaubigt, dass die Roemer die Besetzung der Insel drei Jahre nach dem Frieden
damit motivierten. Haetten sie es getan, so wuerden sie bloss der politischen
Schamlosigkeit eine diplomatische Albernheit hinzugefuegt haben.
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Die Gewinnung der Inseln in der italischen Westsee fuehrte in das roemische
Staatswesen einen Gegensatz ein, der zwar allem Anschein nach aus blossen
Zweckmaessigkeitsruecksichten und fast zufaellig entstanden, aber darum nicht
minder fuer die ganze Folgezeit von der tiefsten Bedeutung geworden ist; den
Gegensatz der festlaendischen und der ueberseeischen Verwaltungsform oder, um
die spaeter gelaeufigen Bezeichnungen zu brauchen, den Gegensatz Italiens und
der Provinzen. Bis dahin hatten die beiden hoechsten Beamten der Gemeinde, die
Konsuln, einen gesetzlich abgegrenzten Sprengel nicht gehabt, sondern ihr
Amtsbezirk sich soweit erstreckt wie ueberhaupt das roemische Regiment; wobei es
sich natuerlich von selbst versteht, dass sie faktisch sich in das Amtsgebiet
teilten, und ebenso sich von selbst versteht, dass sie in jedem einzelnen Bezirk
ihres Sprengels durch die dafuer bestehenden Bestimmungen gebunden waren, also
zum Beispiel die Gerichtsbarkeit ueber roemische Buerger ueberall dem Praetor zu
ueberlassen und in den latinischen und sonst autonomen Gemeinden die bestehenden
Vertraege einzuhalten hatten. Die seit 487 (267) durch Italien verteilten vier
Quaestoren beschraenkten die konsularische Amtsgewalt formell wenigstens nicht,
indem sie in Italien ebenso wie in Rom lediglich als von den Konsuln abhaengige
Hilfsbeamte betrachtet wurden. Man scheint diese Verwaltungsweise anfaenglich
auch auf die Karthago abgenommenen Gebiete erstreckt und Sizilien wie Sardinien
einige Jahre durch Quaestoren unter Oberaufsicht der Konsuln regiert zu haben;
allein sehr bald wusste man sich praktisch von der Unentbehrlichkeit eigener
Oberbehoerden fuer die ueberseeischen Landschaften ueberzeugen. Wie man die
Konzentrierung der roemischen Jurisdiktion in der Person des Praetors bei der
Erweiterung der Gemeinde hatte aufgeben und in die entfernteren Bezirke
stellvertretende Gerichtsherren hatte senden muessen, ebenso masste jetzt (527
227) auch die administrativ-militaerische Konzentration in der Person der
Konsuln aufgegeben werden. Fuer jedes der neuen ueberseeischen Gebiete, sowohl
fuer Sizilien wie fuer Sardinien nebst Korsika, ward ein besonderer Nebenkonsul
eingesetzt, welcher an Rang und Titel dem Konsul nach- und dem Praetor
gleichstand, uebrigens aber, gleich dem Konsul der aelteren Zeit vor Einsetzung
der Praetur, in seinem Sprengel zugleich Oberfeldherr, Oberamtmann und
Oberrichter war. Nur die unmittelbare Kassenverwaltung ward wie von Haus aus den
Konsuln, so auch diesen neuen Oberbeamten entzogen und ihnen ein oder mehrere
Quaestoren zugegeben, die zwar in alle Wege ihnen untergeordnet und in der
Rechtspflege wie im Kommando ihre Gehilfen waren, aber doch die Kassenverwaltung
zu fuehren und darueber nach Niederlegung ihres Amtes dem Senat Rechnung zu
legen hatten.
Diese Verschiedenheit in der Oberverwaltung schied wesentlich die
ueberseeischen Besitzungen Roms von den festlaendischen. Die Grundsaetze, nach
denen Rom die abhaengigen Landschaften in Italien organisiert hatte, wurden
grossenteils auch auf die ausseritalischen Besitzungen uebertragen. Dass die
Gemeinden ohne Ausnahme die Selbstaendigkeit dem Auslands gegenueber verloren,
versteht sich von selbst. Was den inneren Verkehr anlangt, so durfte fortan kein
Provinziale ausserhalb seiner eigenen Gemeinde in der Provinz rechtes Eigentum
erwerben, vielleicht auch nicht eine rechte Ehe schliessen. Dagegen gestattete
die roemische Regierung wenigstens den sizilischen Staedten, die man nicht zu
fuerchten hatte, eine gewisse foederative Organisation und wohl selbst
allgemeine sikeliotische Landtage mit einem unschaedlichen Petitions- und
Beschwerderecht ^2. Im Muenzwesen war es zwar nicht wohl moeglich, das roemische
Courant sofort auch auf den Inseln zum allein gueltigen zu erklaeren; aber
gesetzlichen Kurs scheint dasselbe doch von vornherein erhalten zu haben und
ebenso, wenigstens in der Regel, den Staedten im roemischen Sizilien das Recht,
in edlen Metallen, zu muenzen, entzogen worden zu sein ^3. Dagegen blieb nicht
bloss das Grundeigentum in ganz Sizilien unangetastet - der Satz, dass das
ausseritalische Land durch Kriegsrecht den Roemern zu Privateigentum verfallen
sei, war diesem Jahrhundert noch unbekannt -, sondern es behielten auch die
saemtlichen sizilischen und sardinischen Gemeinden die Selbstverwaltung und eine
gewisse Autonomie, die freilich nicht in rechtsverbindlicher Weise ihnen
zugesichert, sondern provisorisch zugelassen ward. Wenn die demokratischen
Gemeindeverfassungen ueberall beseitigt und in jeder Stadt die Macht in die
Haende des die staedtische Aristokratie repraesentierenden Gemeinderates gelegt
ward; wenn ferner wenigstens die sizilischen Gemeinden angewiesen wurden, jedes
fuenfte Jahr dem roemischen Zensus korrespondierend eine Gemeindeschaetzung zu
veranstalten, so war beides nur eine notwendige Folge der Unterordnung unter den
roemischen Senat, welcher mit griechischen Ekklesien und ohne Uebersicht der
finanziellen und militaerischen Hilfsmittel einer jeden abhaengigen Gemeinde in
der Tat nicht regieren konnte; und auch in den italischen Landschaften war in
dieser wie in jener Hinsicht das gleiche geschehen.
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^2 Dahin fuehren teils das Auftretender "Siculer" gegen Marcellus (Liv. 26,
26 f.), teils die "Gesamteingaben aller sizilischen Gemeinden" (Cic. Verr. 2,
42, 102; 45, 114; 50,146; 3, 88, 204), teils bekannte Analogien (Marquardt,
Landbuch Bd. 3 1, S. 267). Aus dem mangelnden commercium zwischen den einzelnen
Staedten folgt der Mangel des concilium noch keineswegs.
^3 So streng wie in Italien ward das Gold- und Silbermuenzrecht in den
Provinzen nicht von Rom monopolisiert, offenbar weil auf das nicht auf
roemischen Fuss geschlagene Gold- und Silbergeld es weniger ankam. Doch sind
unzweifelhaft auch hier die Praegstaetten in der Regel auf Kupfer- oder
hoechstens silberne Kleinmuenze beschraenkt worden; eben die am besten
gestellten Gemeinden des roemischen Sizilien, wie die Mamertiner, die
Kentoripiner, die Halaesiner, die Segestaner, wesentlich auch die Panormitaner
haben nur Kupfer geschlagen.
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Aber neben dieser wesentlichen Rechtsgleichheit stellte sich zwischen den
italischen einer- und den ueberseeischen Gemeinden andererseits ein
folgenreicher Unterschied fest. Waehrend die mit den italischen Staedten
abgeschlossenen Vertraege denselben ein festes Kontingent zu dem Heer oder der
Flotte der Roemer auferlegten, wurden den ueberseeischen Gemeinden, mit denen
eine bindende Paktierung ueberhaupt nicht eingegangen ward, dergleichen Zuzug
nicht auferlegt, sondern sie verloren das Waffenrecht ^4, nur dass sie nach
Aufgebot des roemischen Praetors zur Verteidigung ihrer eigenen Heimat verwendet
werden konnten. Die roemische Regierung sandte regelmaessig italische Truppen in
der von ihr festgesetzten Staerke auf die Inseln; dafuer wurde der Zehnte der
sizilischen Feldfruechte und ein Zoll von fuenf Prozent des Wertes aller in den
sizilischen Haefen aus- und eingehenden Handelsartikel nach Rom entrichtet. Den
Insulanern waren diese Abgaben nichts Neues. Die Abgaben, welche die
karthagische Republik und der persische Grosskoenig sich zahlen liessen, waren
jenem Zehnten wesentlich gleichartig; und auch in Griechenland war eine solche
Besteuerung nach orientalischem Muster von jeher mit der Tyrannis und oft auch
mit der Hegemonie verknuepft gewesen. Die Sizilianer hatten laengst in dieser
Weise den Zehnten entweder nach Syrakus oder nach Karthago entrichtet und
laengst auch die Hafenzoelle nicht mehr fuer eigene Rechnung erhoben. "Wir
haben", sagt Cicero, "die sizilischen Gemeinden also in unsere Klientel und in
unseren Schutz aufgenommen, dass sie bei dem Rechte blieben, nach welchem sie
bisher gelebt hatten, und unter denselben Verhaeltnissen der roemischen Gemeinde
gehorchten, wie sie bisher ihren eigenen Herren gehorcht hatten." Es ist billig,
dies nicht zu vergessen; aber im Unrecht fortfahren heisst auch Unrecht tun.
Nicht fuer die Untertanen, die nur den Herrn wechselten, aber wohl fuer ihre
neuen Herren war das Aufgeben des ebenso weisen wie grossherzigen Grundsatzes
der roemischen Staatsordnung, von den Untertanen nur Kriegshilfe und nie statt
derselben Geldentschaedigung anzunehmen, von verhaengnisvoller Bedeutung, gegen
die alle Milderungen in den Ansaetzen und der Erhebungsweise sowie alle
Ausnahmen im einzelnen verschwanden. Solche Ausnahmen wurden allerdings mehrfach
gemacht. Messana trat geradezu in die Eidgenossenschaft der Togamaenner ein und
stellte wie die griechischen Staedte in Italien sein Kontingent zu der
roemischen Flotte. Einer Reihe anderer Staedte wurde zwar nicht der Eintritt in
die italische Wehrgenossenschaft, aber ausser anderen Beguenstigungen Freiheit
von Steuer und Zehnten zugestanden, so dass ihre Stellung in finanzieller
Hinsicht selbst noch guenstiger war als die der italischen Gemeinden. Es waren
dies Egesta und Halikyae, welche zuerst unter den Staedten des karthagischen
Sizilien zum roemischen Buendnis uebergetreten waren; Kentoripa im oestlichen
Binnenland, das bestimmt war, das syrakusanische Gebiet in naechster Naehe zu
ueberwachen ^5; an der Nordkueste Halaesa, das zuerst von den freien
griechischen Staedten den Roemern sich angeschlossen hatte; und vor allem
Panormos, bisher die Hauptstadt des karthagischen Sizilien und jetzt bestimmt,
die des roemischen zu werden. Den alten Grundsatz ihrer Politik, die abhaengigen
Gemeinden in sorgfaeltig abgestufte Klassen verschiedenen Rechts zu gliedern,
wandten die Roemer also auch auf Sizilien an; aber durchschnittlich standen die
sizilischen und sardinischen Gemeinden nicht im bundesgenoessischen, sondern in
dem offenkundigen Verhaeltnis steuerpflichtiger Untertaenigkeit.
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^4 Darauf geht Hierons Aeusserung (Liv. 22, 37): es sei ihm bekannt, dass
die Roemer sich keiner anderen Infanterie und Reiterei als roemischer oder
latinischer bedienten und "Auslaender" nur hoechstens unter den
Leichtbewaffneten verwendeten.
^5 Das zeigt schon ein Blick auf die Karte, aber ebenso die merkwuerdige
Bestimmung, dass es den Kentoripinern ausnahmsweise gestattet blieb, sich in
ganz Sizilien anzukaufen. Sie bedurften als roemische Aufpasser der freiesten
Bewegung. Uebrigens scheint Kentoripa auch unter den ersten zu Rom
uebergetretenen Staedten gewesen zu sein (Diod. 1, 23 p. 501).
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Allerdings fiel dieser tiefgreifende Gegensatz zwischen den zuzug- und den
steuer- oder doch wenigstens nicht zuzugpflichtigen Gemeinden mit dem Gegensatz
zwischen Italien und den Provinzen nicht in rechtlich notwendiger Weise
zusammen. Es konnten auch ueberseeische Gemeinden der italischen
Eidgenossenschaft angehoeren, wie denn die Mamertiner mit den italischen
Sabellern wesentlich auf einer Linie standen, und selbst der Neugruendung von
Gemeinden latinischen Rechts stand in Sizilien und Sardinien rechtlich so wenig
etwas im Wege wie in dem Lande jenseits des Apennin. Es konnten auch
festlaendische Gemeinden des Waffenrechts entbehren und tributaer sein, wie dies
fuer einzelne keltische Distrikte am Po wohl schon jetzt galt und spaeter in
ziemlich ausgedehntem Umfange eingefuehrt ward. Allein der Sache nach ueberwogen
die zuzugpflichtigen Gemeinden ebenso entschieden auf dem Festlande wie die
steuerpflichtigen auf den Inseln; und waehrend weder in dem hellenisch
zivilisierten Sizilien noch auf Sardinien italische Ansiedelungen
roemischerseits beabsichtigt wurden, stand es bei der roemischen Regierung ohne
Zweifel schon jetzt fest, das barbarische Land zwischen Apennin und Alpen nicht
bloss sich zu unterwerfen, sondern auch, wie die Eroberung fortschritt, dort
neue Gemeinden italischen Ursprungs und italischen Rechts zu konstituieren. Also
wurden die ueberseeischen Besitzungen nicht bloss Untertanenland, sondern sie
waren auch bestimmt, es fuer alle Zukunft zu bleiben; dagegen der neu
abgegrenzte gesetzliche Amtsbezirk der Konsuln oder, was dasselbe ist, das
festlaendische roemische Gebiet sollte ein neues und weiteres Italien werden,
das von den Alpen bis zum Ionischen Meere reichte. Vorerst freilich fiel dies
Italien als wesentlich geographischer Begriff mit dem politischen der italischen
Eidgenossenschaft nicht durchaus zusammen und war teils weiter, teils enger.
Aber schon jetzt betrachtete man den ganzen Raum bis zur Alpengrenze als Italia,
das heisst als gegenwaertiges oder kuenftiges Gebiet der Togatraeger und
steckte, aehnlich wie es in Nordamerika geschah und geschieht, die Grenze
vorlaeufig geographisch ab, um sie mit der weiter vorschreitenden Kolonisierung
allmaehlich auch politisch vorzuschieben ^6.
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^6 Dieser Gegensatz zwischen Italien als dem roemischen Festland oder dem
konsularischen Sprengel einer- und dem ueberseeischen Gebiet oder den
Praetorensprengeln andererseits erscheint schon im sechsten Jahrhundert in
mehrfachen Anwendungen. Die Religionsvorschrift, dass gewisse Priester Rom nicht
verlassen durften (Val. Max. 1, 1, 2), ward dahin ausgelegt, dass es ihnen nicht
gestattet sei, das Meer zu ueberschreiten (Liv. ep. 19; 36; 51; Tac. ann. 3, 58;
71; Cic. Phil. 11, 8; 18; vgl. Liv. 28, 38; 44; ep. 59). Bestimmter noch gehoert
hierher die Auslegung, welche von der alten Vorschrift, dass der Konsul nur "auf
roemischem Boden" den Diktator ernennen duerfe, im Jahre 544 vorgetragen wird:
der roemische Boden begreife ganz Italien in sich (Liv. 27, 5). Die Einrichtung
des keltischen Landes zwischen den Alpen und dem Apennin zu einem eigenen, vom
konsularischen verschiedenen und einem besonderen staendigen Oberbeamten
unterworfenen Sprengel gehoert erst Sulla an. Es wird natuerlich dagegen niemand
geltend machen, dass schon im sechsten Jahrhundert sehr haeufig Gallia oder
Ariminum als "Amtsbezirk" (provincia) gewoehnlich eines der Konsuln genannt
wird. Provincia ist bekanntlich in der aelteren Sprache nicht, was es spaeter
allein bedeutet, ein raeumlich abgegrenzter, einem staendigen Oberbeamten
unterstellter Sprengel, sondern die fuer den einzelnen Konsul zunaechst durch
Uebereinkommen mit seinem Kollegen unter Mitwirkung des Senats festgestellte
Kompetenz; und in diesem Sinn sind haeufig einzelne norditalische Landschaften
oder auch Norditalien ueberhaupt einzelnen Konsuln als provincia ueberwiesen
worden.
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Im Adriatischen Meer, an dessen Eingang die wichtige und laengst
vorbereitete Kolonie Brundisium endlich noch waehrend des Krieges mit Karthago
gegruendet worden war (510 244), war Roms Suprematie von vornherein entschieden.
In der Westsee hatte Rom den Rivalen beseitigen muessen; in der oestlichen
sorgte schon die hellenische Zwietracht dafuer, dass alle Staaten auf der
griechischen Halbinsel ohnmaechtig blieben oder wurden. Der bedeutendste
derselben, der makedonische, war unter dem Einfluss Aegyptens vom oberen
Adriatischen Meer durch die Aetoler wie aus dem Peloponnes durch die Achaeer
verdraengt worden und kaum noch imstande, die Nordgrenze gegen die Barbaren zu
schuetzen. Wie sehr den Roemern daran gelegen war, Makedonien und dessen
natuerlichen Verbuendeten, den syrischen Koenig, niederzuhalten, und wie eng sie
sich anschlossen an die eben darauf gerichtete aegyptische Politik, beweist das
merkwuerdige Anerbieten, das sie nach dem Ende des Krieges mit Karthago dem
Koenig Ptolemaeos III. Euergetes machten, ihn in dem Kriege zu unterstuetzen,
den er wegen Berenikes Ermordung gegen Seleukos II. Kallinikos von Syrien (reg.
507-529 247-225) fuehrte und bei dem wahrscheinlich Makedonien fuer den letztern
Partei genommen hatte. Ueberhaupt werden die Beziehungen Roms zu den
hellenistischen Staaten enger; auch mit Syrien verhandelte der Senat schon und
verwandte sich bei dem ebengenannten Seleukos fuer die stammverwandten Ilier.
Einer unmittelbaren Einmischung in die Angelegenheiten der oestlichen
Maechte bedurfte es zunaechst nicht. Die achaeische Eidgenossenschaft, die im
Aufbluehen geknickt ward durch die engherzige Coteriepolitik des Aratos, die
aetolische Landsknechtrepublik, das verfallene Makedonierreich hielten selber
einer den andern nieder; und ueberseeischen Laendergewinn vermied man damals
eher in Rom, als dass man ihn suchte. Als die Akarnanen, sich darauf berufend,
dass sie allein unter allen Griechen nicht teilgenommen haetten an der
Zerstoerung Ilions, die Nachkommen des Aeneas um Hilfe baten gegen die Aetoler,
versuchte der Senat zwar eine diplomatische Verwendung; allein da die Aetoler
darauf eine nach ihrer Weise abgefasste, das heisst unverschaemte Antwort
erteilten, ging das antiquarische Interesse der roemischen Herren doch
keineswegs so weit, um dafuer einen Krieg anzufangen, durch den sie die
Makedonier von ihrem Erbfeind befreit haben wuerden (um 515 239).
Selbst den Unfug der Piraterie, die bei solcher Lage der Dinge
begreiflicherweise das einzige Gewerbe war, das an der adriatischen Kueste
bluehte und vor der auch der italische Handel viel zu leiden hatte, liessen sich
die Roemer mit einer Geduld, die mit ihrer gruendlichen Abneigung gegen den
Seekrieg und ihrem schlechten Flottenwesen eng zusammenhing, laenger als billig
gefallen. Allein endlich ward es doch zu arg. Unter Beguenstigung Makedoniens,
das keine Veranlassung mehr fand, sein altes Geschaeft der Beschirmung des
hellenischen Handels vor den adriatischen Korsaren zu Gunsten seiner Feinde
fortzufuehren, hatten die Herren von Skodra die illyrischen Voelkerschaften,
etwa die heutigen Dalmatiner, Montenegriner und Nordalbanesen, zu
gemeinschaftlichen Piratenzuegen im grossen Stil vereinigt; mit ganzen
Geschwadern ihrer schnellsegelnden Zweidecker, der bekannten "liburnischen"
Schiffe, fuehrten die Illyrier den Krieg gegen jedermann zur See und an den
Kuesten. Die griechischen Ansiedlungen in diesen Gegenden, die Inselstaedte Issa
(Lissa) und Pharos (Lesina), die wichtigen Kuestenplaetze Epidamnos (Durazzo)
und Apollonia (noerdlich von Avlona am Aoos), hatten natuerlich vor allem zu
leiden und sahen sich wiederholt von den Barbaren belagert. Aber noch weiter
suedlich, in Phoenike, der bluehendsten Stadt von Epeiros, setzten die Korsaren
sich fest; halb gezwungen, halb freiwillig traten die Epeiroten und Akarnanen
mit den fremden Raeubern in eine unnatuerliche Symmachie; bis nach Elis und
Messene hin waren die Kuesten unsicher. Vergeblich vereinigten die Aetoler und
Achaeer, was sie an Schiffen hatten, um dem Unwesen zu steuern; in offener
Seeschlacht wurden sie von den Seeraeubern und deren griechischen Bundesgenossen
geschlagen; die Korsarenflotte vermochte endlich sogar die reiche und wichtige
Insel Kerkyra (Korfu) einzunehmen. Die Klagen der italischen Schiffer, die
Hilfsgesuche der altverbuendeten Apolloniaten, die flehenden Bitten der
belagerten Issaer noetigten endlich den roemischen Senat, wenigstens Gesandte
nach Skodra zu schicken. Die Brueder Gaius und Lucius Coruncanius kamen, um von
dem Koenig Agron Abstellung des Unwesens zu fordern. Der Koenig gab zur Antwort,
dass nach illyrischem Landrecht der Seeraub ein erlaubtes Gewerbe sei und die
Regierung nicht das Recht habe, der Privatkaperei zu wehren; worauf Lucius
Coruncanius erwiderte, dass dann Rom es sich angelegen sein lassen werde, den
Illyriern ein besseres Landrecht beizubringen. Wegen dieser, allerdings nicht
sehr diplomatischen Replik wurde, wie die Roemer behaupteten, auf Geheiss des
Koenigs, einer der Gesandten auf der Heimkehr ermordet und die Auslieferung der
Moerder verweigert. Der Senat hatte jetzt keine Wahl mehr. Mit dem Fruehjahr 525
(229) erschien vor Apollonia eine Flotte von 200 Linienschiffen mit einer
Landungsarmee an Bord; vor jener zerstoben die Korsarenboote, waehrend diese die
Raubburgen brach; die Koenigin Teuta, die nach ihres Gemahls Agron Tode die
Regierung fuer ihren unmuendigen Sohn Pinnes fuehrte, musste, in ihrem letzten
Zufluchtsort belagert, die Bedingungen annehmen, die Rom diktierte. Die Herren
von Skodra wurden wieder im Norden wie im Sueden auf ihr urspruengliches
engbegrenztes Gebiet beschraenkt und hatten nicht bloss alle griechischen
Staedte, sondern auch die Ardiaeer in Dalmatien, die Parthiner um Epidamnos, die
Atintanen im noerdlichen Epeiros aus ihrer Botmaessigkeit zu entlassen; suedlich
von Lissos (Alessio zwischen Scutari und Durazzo) sollten kuenftig illyrische
Kriegsfahrzeuge ueberhaupt nicht und nicht armierte nicht ueber zwei zusammen
fahren duerfen. Roms Seeherrschaft auf dem Adriatischen Meer war in der
loeblichsten und dauerhaftesten Weise zur vollen Anerkennung gebracht durch die
rasche und energische Unterdrueckung des Piratenunfugs. Allein man ging weiter
und setzte sich zugleich an der Ostkueste fest. Die Illyrier von Skodra wurden
tributpflichtig nach Rom; auf den dalmatinischen Inseln und Kuesten wurde
Demetrios von Pharos, der aus den Diensten der Teuta in roemische getreten war,
als abhaengiger Dynast und roemischer Bundesgenosse eingesetzt; die griechischen
Staedte Kerkyra, Apollonia, Epidamnos und die Gemeinden der Atintanen und
Parthiner wurden in milden Formen der Symmachie an Rom geknuepft. Diese
Erwerbungen an der Ostkueste des Adriatischen Meeres waren nicht ausgedehnt
genug, um einen eigenen Nebenkonsul fuer sie einzusetzen: nach Kerkyra und
vielleicht auch nach anderen Plaetzen scheinen Statthalter untergeordneten
Ranges gesandt und die Oberaufsicht ueber diese Besitzungen den Oberbeamten,
welche Italien verwalteten, mit uebertragen worden zu sein ^7. Also traten
gleich Sizilien und Sardinien auch die wichtigsten Seestationen im Adriatischen
Meer in die roemische Botmaessigkeit ein. Wie haette es auch anders kommen
sollen? Rom brauchte eine gute Seestation im oberen Adriatischen Meere, welche
ihm seine Besitzungen an dem italischen Ufer nicht gewaehrten; die neuen
Bundesgenossen, namentlich die griechischen Handelsstaedte, sahen in den Roemern
ihre Retter und taten ohne Zweifel, was sie konnten, sich des maechtigen
Schutzes dauernd zu versichern; im eigentlichen Griechenland, war nicht bloss
niemand imstande zu widersprechen, sondern das Lob der Befreier auf allen
Lippen. Man kann fragen, ob der Jubel in Hellas groesser war oder die Scham, als
statt der zehn Linienschiffe der Achaeischen Eidgenossenschaft, der
streitbarsten Macht Griechenlands, jetzt zweihundert Segel der Barbaren in ihre
Haefen einliefen und mit einem Schlage die Aufgabe loesten, die den Griechen
zukam und an der diese so klaeglich gescheitert waren. Aber wenn man sich
schaemte, dass die Rettung den bedraengten Landsleuten vom Ausland hatte kommen
muessen, so geschah es wenigstens mit guter Manier; man saeumte nicht, die
Roemer durch Zulassung zu den Isthmischen Spielen und den Eleusinischen
Mysterien feierlich in den hellenischen Nationalverband aufzunehmen.
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^7 Ein stehender roemischer Kommandant von Kerkyra scheint bei Polyb.
22,15, 6 (falsch uebersetzt von Liv. 38, 11; vgl. 42, 37), ein solcher von Issa
bei Liv. 43, 9 vorzukommen. Dazu kommt die Analogie des Praefectus pro legato
insularem Baliarum (Orelli 732) und des Statthalters von Pandataria (IRN 3528).
Es scheint danach ueberhaupt in der roemischen Verwaltung Regel gewesen zu sein,
fuer die entfernteren Inseln nicht senatorische praefecti zu bestellen. Diese
"Stellvertreter" aber setzen ihrem Wesen nach einen Oberbeamten voraus, der sie
ernennt und beaufsichtigt; und dies koennen in dieser Zeit nur die Konsuln
gewesen sein. Spaeter, seit Einrichtung der Provinzen Makedonien und Gallia
Cisalpina, kam die Oberverwaltung an den einen dieser beiden Statthalter; wie
denn das hier in Rede stehende Gebiet, der Kern des spaeteren roemischen
Illyricum, bekanntlich zum Teil zu Caesars Verwaltungssprengel mit gehoerte.
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Makedonien schwieg; es war nicht in der Verfassung, mit den Waffen zu
protestieren, und verschmaehte, es mit Worten zu tun. Auf Widerstand traf man
nirgend; aber nichtsdestoweniger hatte Rom, indem es die Schluessel zum Hause
des Nachbarn an sich nahm, in diesem sich einen Gegner geschaffen, von dem, wenn
er wieder zu Kraeften oder eine guenstige Gelegenheit ihm vorkam, sich erwarten
liess, dass er sein Schweigen zu brechen wissen werde. Haette der kraeftige und
besonnene Koenig Antigonos Doson laenger gelebt, so wuerde wohl er schon den
hingeworfenen Handschuh aufgehoben haben; denn als einige Jahre spaeter der
Dynast Demetrios von Pharos sich der roemischen, Hegemonie entzog, im
Einverstaendnis mit den Istriern vertragswidrig Seeraub trieb und die von den
Roemern fuer unabhaengig erklaerten Atintanen sich unterwarf, machte Antigonos
Buendnis mit ihm, und Demetrios' Truppen fochten mit in Antigonos' Heer in der
Schlacht bei Sellasia (532 222). Allein Antigonos starb (Winter 533/34 221/20);
sein Nachfolger Philippos, noch ein Knabe, liess es geschehen, dass der Konsul
Lucius Aemilius Paullus den Verbuendeten Makedoniens angriff, seine Hauptstadt
zerstoerte und ihn landfluechtig aus seinem Reiche trieb (535 219).
Auf dem Festland des eigentlichen Italien suedlich vom Apennin war tiefer
Friede seit dem Fall von Tarent; der sechstaegige Krieg mit Falerii (513 241)
ist kaum etwas mehr als eine Kuriositaet. Aber gegen Norden dehnte zwischen dem
Gebiet der Eidgenossenschaft und der Naturgrenze Italiens, der Alpenkette, noch
eine weite Strecke sich aus, die den Roemern nicht botmaessig war. Als Grenze
Italiens galt an der adriatischen Kueste der Aesisfluss, unmittelbar oberhalb
Ancona. Jenseits dieser Grenze gehoerte die naechstliegende, eigentlich
gallische Landschaft bis Ravenna einschliesslich in aehnlicher Weise wie das
eigentliche Italien zu dem roemischen Reichsverband; die Senonen, die hier
ehemals gesessen hatten, waren in dem Kriege 471/72 (283/82) ausgerottet und die
einzelnen Ortschaften entweder als Buergerkolonien, wie Sena gallica, oder als
Bundesstaedte, sei es latinischen Rechts, wie Ariminum, sei es italischen, wie
Ravenna, mit Rom verknuepft worden. Auf dem weiten Gebiet jenseits Ravenna bis
zu der Alpengrenze sassen nichtitalische Voelkerschaften. Suedlich vom Po
behauptete sich noch der maechtige Keltenstamm der Boier (von Parma bis
Bologna), neben denen oestlich die Lingonen, westlich (im Gebiet von Parma) die
Anaren, zwei kleinere, vermutlich in der Klientel der Boier stehende keltische
Kantone die Ebene ausfuellten. Wo diese aufhoert, begannen die Ligurer, die mit
einzelnen keltischen Staemmen gemischt auf dem Apennin von oberhalb Arezzo und
Pisa an sitzend, das Quellgebiet des Po innehatten. Von der Ebene nordwaerts vom
Po hatten die Veneter, verschiedenen Stammes von den Kelten und wohl illyrischer
Abkunft, den oestlichen Teil etwa von Verona bis zur Kueste im Besitz; zwischen
ihnen und den westlichen Gebirgen sassen die Cenomanen (um Brescia und Cremona),
die selten mit der keltischen Nation hielten und wohl stark mit Venetern
gemischt waren, und die Insubrer (um Mailand), dieser der bedeutendste der
italischen Keltengaue und in stetiger Verbindung nicht bloss mit den kleineren,
in den Alpentaelern zerstreuten Gemeinden teils keltischer, teils anderer
Abkunft, sondern auch mit den Keltengauen jenseits der Alpen. Die Pforten der
Alpen, der maechtige, auf fuenfzig deutsche Meilen schiffbare Strom, die
groesste und fruchtbarste Ebene des damaligen zivilisierten Europas, waren nach
wie vor in den Haenden der Erbfeinde des italischen Namens, die, wohl
gedemuetigt und geschwaecht, doch immer noch kaum dem Namen nach abhaengig und
immer noch unbequeme Nachbarn, in ihrer Barbarei verharrten und duenngesaet in
den weiten Flaechen ihre Herden- und Plunderwirtschaft fortfuehrten. Man durfte
erwarten, dass die Roemer eilen wuerden, sich dieser Gebiete zu bemaechtigen; um
so mehr als die Kelten allmaehlich anfingen, ihrer Niederlagen in den Feldzuegen
von 471 und 472 (283 282) zu vergessen und sich wieder zu regen, ja was noch
bedenklicher war, die transalpinischen Kelten aufs neue begannen, diesseits der
Alpen sich zu zeigen. In der Tat hatten bereits im Jahre 516 (238) die Boier den
Krieg erneuert und deren Herren Atis und Galatas, freilich ohne Auftrag der
Landesgemeinde, die Transalpiner aufgefordert, mit ihnen gemeinschaftliche Sache
zu machen; zahlreich waren diese dem Ruf gefolgt und im Jahre 518 (236) lagerte
ein Keltenheer vor Ariminum, wie Italien es lange nicht gesehen hatte. Die
Roemer, fuer den Augenblick viel zu schwach, um die Schlacht zu versuchen,
schlossen Waffenstillstand und liessen, um Zeit zu gewinnen, Boten der Kelten
nach Rom gehen, die im Senat die Abtretung von Ariminum zu fordern wagten - es
schien, als seien die Zeiten des Brennus wiedergekehrt. Aber ein unvermuteter
Zwischenfall machte dem Krieg ein Ende, bevor er noch recht begonnen hatte. Die
Boier, unzufrieden mit den ungebetenen Bundesgenossen und wohl fuer ihr eigenes
Gebiet fuerchtend, gerieten in Haendel mit den Transalpinern; es kam zwischen
den beiden Keltenheeren zu offener Feldschlacht, und nachdem die boischen
Haeuptlinge von ihren eigenen Leuten erschlagen waren, kehrten die Transalpiner
heim. Damit waren die Boier den Roemern in die Haende gegeben, und es hing nur
von diesen ab, sie gleich den Senonen auszutreiben und wenigstens bis an den Po
vorzudringen; allein es ward vielmehr denselben gegen die Abtretung einiger
Landstriche der Friede gewaehrt (518 236). Das mag damals geschehen sein, weil
man eben den Wiederausbruch des Kriegs mit Karthago erwartete; aber nachdem
dieser durch die Abtretung Sardiniens abgewandt worden war, forderte es die
richtige Politik der roemischen Regierung, das Land bis an die Alpen so rasch
und so vollstaendig wie moeglich in Besitz zu nehmen. Die bestaendigen
Besorgnisse der Kelten vor einer solchen roemischen Invasion sind darum
hinreichend gerechtfertigt; indes die Roemer beeilten sich eben nicht. So
begannen denn die Kelten ihrerseits den Krieg, sei es, dass die roemischen
Ackerverteilungen an der Ostkueste (522 232), obwohl zunaechst nicht gegen sie
gerichtet, sie besorgt gemacht hatten, sei es, dass sie die Unvermeidlichkeit
eines Krieges mit Rom um den Besitz der Lombardei begriffen, sei es, was
vielleicht das Wahrscheinlichste ist, dass das ungeduldige Kelterwolk wieder
einmal des Sitzens muede war und eine neue Heerfahrt zu ruesten beliebte. Mit
Ausschluss der Cenomanen, die mit den Venetern hielten und sich fuer die Roemer
erklaerten, traten dazu saemtliche italische Kelten zusammen, und ihnen
schlossen sich unter den Fuehrern Concolitanus und Aneroestus zahlreich die
Kelten des oberen Rhonetals oder vielmehr deren Reislaeufer an ^8. Mit 50000 zu
Fuss und 20000 zu Ross oder zu Wagen kaempfenden Streitern rueckten die Fuehrer
der Kelten auf den Apennin zu (529 225). Von dieser Seite hatte man in Rom sich
des Angriffs nicht versehen und nicht erwartet, dass die Kelten mit
Vernachlaessigung der roemischen Festungen an der Ostkueste und des Schutzes der
eigenen Stammesgenossen geradeswegs gegen die Hauptstadt vorzugehen wagen
wuerden. Nicht gar lange vorher hatte ein aehnlicher Keltenschwarm in ganz
gleicher Weise Griechenland ueberschwemmt; die Gefahr war ernst und schien noch
ernster, als sie war. Der Glaube, dass Roms Untergang diesmal unvermeidlich und
der roemische Boden vom Verhaengnis gallisch zu werden bestimmt sei, war selbst
in Rom unter der Menge so allgemein verbreitet, dass sogar die Regierung es
nicht unter ihrer Wuerde hielt, den krassen Aberglauben des Poebels durch einen
noch krasseren zu bannen und zur Erfuellung des Schicksalspruchs einen
gallischen Mann und eine gallische Frau auf dem roemischen Markt lebendig
begraben zu lassen. Daneben traf man ernstlichere Anstalten. Von den beiden
konsularischen Heeren, deren jedes etwa 25000 Mann zu Fuss und 1100 Reiter
zaehlte, stand das eine unter Gaius Atilius Regulus in Sardinien, das zweite
unter Lucius Aemilius Papus bei Ariminum; beide erhielten Befehl, sich so
schnell wie moeglich nach dem zunaechst bedrohten Etrurien zu begeben. Schon
hatten gegen die mit Rom verbuendeten Cenomanen und Veneter die Kelten eine
Besatzung in der Heimat zuruecklassen muessen; jetzt ward auch der Landsturm der
Umbrer angewiesen, von den heimischen Bergen herab in die Ebene der Boier
einzuruecken und dem Feinde auf seinen eigenen Aeckern jeden erdenklichen
Schaden zuzufuegen. Die Landwehr der Etrusker und Sabiner sollte den Apennin
besetzen und womoeglich sperren, bis die regulaeren Truppen eintreffen koennten.
In Rom bildete sich eine Reserve von 50000 Mann; durch ganz Italien, das diesmal
in Rom seinen rechten Vorkaempfer sah, wurde die dienstfaehige Mannschaft
verzeichnet, Vorraete und Kriegsmaterial zusammengebracht.
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^8 Dieselben, die Polybios bezeichnet als "die Kelten in den Alpen und an
der Rhone, die man wegen ihrer Reislaeuferei Gaesaten (Landsknechte) nenne",
werden in den kapitolinischen Fasten Germani genannt. Moeglich ist es, dass die
gleichzeitige Geschichtschreibung hier nur Kelten genannt und erst die
historische Spekulation der caesarischen und augustischen Zeit die Redaktoren
jener Fasten bewogen hat, daraus "Germanen" zu machen. Wofern dagegen die
Nennung der Germanen in den Fasten auf gleichzeitige Aufzeichnungen zurueckgeht
- in welchem Falle dies die aelteste Erwaehnung dieses Namens ist -, wird man
hier doch nicht an die spaeter so genannten deutschen Staemme denken duerfen,
sondern an einen keltischen Schwarm.
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Indes alles das forderte Zeit; man hatte einmal sich ueberrumpeln lassen,
und wenigstens Etrurien zu retten, war es zu spaet. Die Kelten fanden den
Apennin kaum verteidigt und pluenderten unangefochten die reichen Ebenen des
tuskischen Gebietes, das lange keinen Feind gesehen. Schon standen sie bei
Clusium, drei Tagemaersche von Rom, als das Heer von Ariminum unter dem Konsul
Papus ihnen in der Flanke erschien, waehrend die etruskische Landwehr, die sich
nach der Ueberschreitung des Apennin im Ruecken der Gallier zusammengezogen
hatte, dem Marsch der Feinde folgte. Eines Abends, nachdem bereits beide Heere
sich gelagert und die Biwakfeuer angezuendet hatten, brach das keltische
Fussvolk ploetzlich wieder auf und zog in rueckwaertiger Richtung ab auf der
Strasse gegen Faesulae (Fiesole); die Reiterei besetzte die Nacht hindurch die
Vorposten und folgte am andern Morgen der Hauptmacht. Als die tuskische
Landwehr, die dicht am Feinde lagerte, seines Abzugs inneward, meinte sie, dass
der Schwarm anfange sich zu verlaufen und brach auf zu eiligem Nachsetzen. Eben
darauf hatten die Gallier gerechnet; ihr ausgeruhtes und geordnetes Fussvolk
empfing auf dem wohl gewaehlten Schlachtfeld die roemische Miliz, die ermattet
und aufgeloest von dem Gewaltmarsch herankam. 6000 Mann fielen nach heftigem
Kampf, und auch der Rest des Landsturms, der notduerftig auf einem Huegel
Zuflucht gefunden, waere verloren gewesen, wenn nicht rechtzeitig das
konsularische Heer erschienen waere. Dies bewog die Gallier, sich nach der
Heimat zurueckzuwenden. Ihr geschickt angelegter Plan, die Vereinigung der
beiden roemischen Heere zu hindern und das schwaechere einzeln zu vernichten,
war nur halb gelungen; fuer jetzt schien es ihnen geraten, zunaechst die
betraechtliche Beute in Sicherheit zu bringen. Des bequemeren Marsches wegen
zogen sie sich aus der Gegend von Chiusi, wo sie standen, an die ebene Kueste
und marschierten am Strande hin, als sie unvermutet hier sich den Weg verlegt
fanden. Es waren die sardinischen Legionen, die bei Pisae gelandet waren und, da
sie zu spaet kamen, um den Apennin zu sperren, sich sofort auf demselben
Kuestenweg, den die Gallier verfolgten, in der entgegengesetzten Richtung in
Bewegung gesetzt hatten. Bei Telamon (an der Muendung des Ombrone) trafen sie
auf den Feind. Waehrend das roemische Fussvolk in geschlossener Front auf der
grossen Strasse vorrueckte, ging die Reiterei, vom Konsul Gaius Atilius Regulus
selber gefuehrt, seitwaerts vor, um den Galliern in die Flanke zu kommen und so
bald wie moeglich dem anderen roemischen Heer unter Papus Kunde von ihrem
Eintreffen zu geben. Es entspann sich ein heftiges Reitergefecht, in dem mit
vielen tapferen Roemern auch Regulus fiel; aber nicht umsonst hatte er sein
Leben aufgeopfert: sein Zweck war erreicht. Papus gewahrte das Gefecht und ahnte
den Zusammenhang; schleunig ordnete er seine Scharen und von beiden Seiten
drangen nun roemische Legionen auf das Keltenheer ein. Mutig stellte dieses sich
zum Doppelkampf, die Transalpiner und Insubrer gegen die Truppen des Papus, die
alpinischen Taurisker und die Boier gegen das sardinische Fussvolk; das
Reitergefecht ging davon gesondert auf dem Fluegel seinen Gang. Die Kraefte
waren der Zahl nach nicht ungleich gemessen, und die verzweifelte Lage der
Gallier zwang sie zur hartnaeckigsten Gegenwehr. Aber die Transalpiner, nur des
Nahkampfes gewohnt, wichen vor den Geschossen der roemischen Plaenkler; im
Handgemenge setzte die bessere Staehlung der roemischen Waffen die Gallier in
Nachteil; endlich entschied der Flankenangriff der siegreichen roemischen
Reiterei den Tag. Die keltischen Berittenen entrannen; fuer das Fussvolk, das
zwischen dem Meere und den drei roemischen Heeren eingekeilt war, gab es keine
Flucht. 10000 Kelten mit dem Koenig Concolitanus wurden gefangen; 40000 andere
lagen tot auf dem Schlachtfeld; Aneroestus und sein Gefolge hatten sich nach
keltischer Sitte selber den Tod gegeben.
Der Sieg war vollstaendig und die Roemer fest entschlossen, die
Wiederholung solcher Einfaelle durch die voellige Ueberwaeltigung der Kelten
diesseits der Alpen unmoeglich zu machen. Ohne Widerstand ergaben im folgenden
Jahr (530 224) sich die Boier nebst den Lingonen, das Jahr darauf (531 223) die
Anaren; damit war das Flachland bis zum Padus in roemischen Haenden.
Ernstlichere Kaempfe kostete die Eroberung des noerdlichen Ufers. Gaius
Flaminius ueberschritt in dem neugewonnenen anarischen Gebiet (etwa bei
Piacenza) den Fluss (531 223); allein bei dem Uebergang und mehr noch bei der
Festsetzung am anderen Ufer erlitt er so schwere Verluste und fand sich, den
Fluss im Ruecken, in einer so gefaehrlichen Lage, dass er mit dem Feind um
freien Abzug kapitulierte, den die Insubrer toerichterweise zugestanden. Kaum
war er indes entronnen, als er vom Gebiet der Cenomanen aus und mit diesen
vereinigt von Norden her in den Gau der Insubrer zum zweitenmal einrueckte. Zu
spaet begriffen diese, um was es sich jetzt handle; sie nahmen aus dem Tempel
ihrer Goettin die goldenen Feldzeichen, "die unbeweglichen" genannt, und mit
ihrem ganzen Aufgebot, 50000 Mann stark, boten sie den Roemern die Schlacht. Die
Lage dieser war gefaehrlich: sie standen mit dem Ruecken an einem Fluss
(vielleicht dem Oglio), von der Heimat getrennt durch das feindliche Gebiet und
fuer den Beistand im Kampf wie fuer die Rueckzugslinie angewiesen auf die
unsichere Freundschaft der Cenomanen. Indes es gab keine Wahl. Man zog die in
den roemischen Reihen fechtenden Gallier auf das linke Ufer des Flusses; auf dem
rechten, den Insubrern gegenueber, stellte man die Legionen auf und brach die
Bruecken ab, um von den unsicheren Bundesgenossen wenigstens nicht im Ruecken
angefallen zu werden.
Freilich schnitt also der Fluss den Rueckzug ab und ging der Weg zur Heimat
durch das feindliche Heer. Aber die Ueberlegenheit der roemischen Waffen und der
roemischen Disziplin erfocht den Sieg und das Heer schlug sich durch; wieder
einmal hatte die roemische Taktik die strategischen Fehler gutgemacht. Der Sieg
gehoerte den Soldaten und Offizieren, nicht den Feldherren, die gegen den
gerechten Beschluss des Senats nur durch Volksgunst triumphierten. Gern haetten
die Insubrer Frieden gemacht; aber Rom forderte unbedingte Unterwerfung, und so
weit war man noch nicht. Sie versuchten, sich mit Hilfe der noerdlichen
Stammgenossen zu halten, und mit 30000 von ihnen geworbenen Soeldnern derselben
und ihrer eigenen Landwehr empfingen sie die beiden im folgenden Jahr (532 222)
abermals aus dem cenomanischen Gebiet in das ihrige einrueckenden konsularischen
Heere. Es gab noch manches harte Gefecht; bei einer Diversion, welche die
Insubrer gegen die roemische Festung Clastidium (Casteggio, unterhalb Pavia) am
rechten Poufer versuchten, fiel der gallische Koenig Virdumarus von der Hand des
Konsuls Marcus Marcellus. Allein nach einer halb von den Kelten schon
gewonnenen, aber endlich doch fuer die Roemer entschiedenen Schlacht erstuermte
der Konsul Gnaeus Scipio die Hauptstadt der Insubrer, Mediolanum, und die
Einnahme dieser und der Stadt Comum machte der Gegenwehr ein Ende. Damit waren
die italischen Kelten vollstaendig besiegt, und wie eben vorher die Roemer den
Hellenen im Piratenkrieg den Unterschied zwischen roemischer und griechischer
Seebeherrschung gezeigt, so hatten sie jetzt glaenzend bewiesen, dass Rom
Italiens Pforten anders gegen den Landraub zu wahren wusste als Makedonien die
Tore Griechenlands und dass trotz allen inneren Haders Italien dem
Nationalfeinde gegenueber ebenso einig wie Griechenland zerrissen dastand.
Die Alpengrenze war erreicht, insofern als das ganze Flachland am Po
entweder den Roemern untertaenig oder, wie das cenomanische und venetische
Gebiet, von abhaengigen Bundesgenossen besessen war; es bedurfte indes der Zeit,
um die Konsequenzen dieses Sieges zu ziehen und die Landschaft zu romanisieren.
Man verfuhr dabei nicht in derselben Weise. In dem gebirgigen Nordwesten
Italiens und in den entfernteren Distrikten zwischen den Alpen und dem Po
duldete man im ganzen die bisherigen Bewohner; die zahlreichen sogenannten
Kriege, die namentlich gegen die Ligurer gefuehrt wurden (zuerst 516 238),
scheinen mehr Sklavenjagden gewesen zu sein, und wie oft auch die Gaue und
Taeler den Roemern sich unterwarfen, war die roemische Herrschaft doch hier kaum
mehr als ein Name. Auch die Expedition nach Istrien (533 221) scheint nicht viel
mehr bezweckt zu haben, als die letzten Schlupfwinkel der adriatischen Piraten
zu vernichten und laengs der Kueste zwischen den italischen Eroberungen und den
Erwerbungen an dem anderen Ufer eine Kontinentalverbindung herzustellen. Dagegen
die Kelten in den Landschaften suedlich vom Po waren der Vernichtung rettungslos
verfallen; denn bei dem losen Zusammenhang der keltischen Nation nahm keiner der
noerdlichen Kettengaue ausser fuer Geld sich der italischen Stammgenossen an,
und die Roemer sahen in denselben nicht bloss ihre Nationalfeinde, sondern auch
die Usurpatoren ihres natuerlichen Erbes. Die ausgedehnte Ackerverteilung von
522 (332) hatte schon das gesamte Gebiet zwischen Ancona und Ariminum mit
roemischen Kolonisten gefuellt, die ohne kommunale Organisation in Marktflecken
und Doerfern hier sich ansiedelten. Auf diesem Wege ging man weiter, und es war
nicht schwer, eine halbbarbarische, dem Ackerbau nur nebenher obliegende und
ummauerter Staedte entbehrende Bevoelkerung, wie die keltische war, zu
verdraengen und auszurotten. Die grosse Nordchaussee, die wahrscheinlich schon
achtzig Jahre frueher ueber Otricoli nach Narni gefuehrt und kurz vorher bis an
die neubegruendete Festung Spoletium (514 240) verlaengert worden war, wurde
jetzt (534 220) unter dem Namen der Flaminischen Strasse ueber den neu
angelegten Marktflecken Forum Flaminii (bei Foligno) durch den Furlopass an die
Kueste und an dieser entlang von Fanum (Fano) bis nach Ariminum gefuehrt; es war
die erste Kunststrasse, die den Apennin ueberschritt und die beiden italischen
Meere verband. Man war eifrig beschaeftigt, das neugewonnene fruchtbare Gebiet
mit roemischen Ortschaften zu bedecken. Schon war zur Deckung des Uebergangs
ueber den Po auf dem rechten Ufer die starke Festung Placentia (Piacenza)
gegruendet, nicht weit davon am linken Cremona angelegt, ferner auf dem den
Boiern abgenommenen Gebiet der Mauerbau von Mutina (Modena) weit vorgeschritten;
schon bereitete man weitere Landanweisungen und die Fortfuehrung der Chaussee
vor, als ein ploetzliches Ereignis die Roemer in der Ausbeutung ihrer Erfolge
unterbrach.
4. Kapitel
Hamilkar und Hannibal
Der Vertrag mit Rom von 513 (241) gab den Karthagern Frieden, aber um einen
teuren Preis. Dass die Tribute des groessten Teils von Sizilien jetzt in den
Schatz des Feindes flossen statt in die karthagische Staatskasse, war der
geringste Verlust. Viel empfindlicher war es, dass man nicht bloss die Hoffnung
hatte aufgeben muessen, deren Erfuellung so nahe geschienen, die saemtlichen
Seestrassen aus dem oestlichen in das westliche Mittelmeer zu monopolisieren,
sondern dass das ganze handelspolitische System gesprengt, das bisher
ausschliesslich beherrschte suedwestliche Becken des Mittelmeers seit Siziliens
Verlust fuer alle Nationen ein offenes Fahrwasser, Italiens Handel von dem
phoenikischen vollstaendig unabhaengig geworden war. Indes die ruhigen
sidonischen Maenner haetten auch darueber vielleicht sich zu beruhigen vermocht.
Man hatte schon aehnliche Schlaege erfahren; man hatte mit den Massalioten, den
Etruskern, den sizilischen Griechen teilen muessen, was man frueher allein
besessen; auch das, was man jetzt noch hatte, Afrika, Spanien, die Pforten des
Atlantischen Meeres, reichte aus, um maechtig und wohlgemut zu leben. Aber
freilich, wer buergte dafuer, dass wenigstens dies blieb?
Was Regulus gefordert und wie wenig ihm gefehlt hatte, um das, was er
forderte, zu erreichen, konnte nur vergessen, wer vergessen wollte; und wenn Rom
den Versuch, den es von Italien aus mit so grossem Erfolg unternommen hatte,
jetzt von Lilybaeon aus erneuerte, so war Karthago, wenn nicht die Verkehrtheit
des Feindes oder ein besonderer Gluecksfall dazwischen trat, unzweifelhaft
verloren. Zwar man hatte jetzt Frieden; aber es hatte an einem Haar gehangen,
dass dem Frieden die Ratifikation verweigert ward, und man wusste, wie die
oeffentliche Meinung in Rom diesen Friedensschluss beurteilte. Es mochte sein,
dass Rom an die Eroberung Afrikas jetzt noch nicht dachte und noch Italien ihm
genuegte; aber wenn die Existenz des karthagischen Staats an dieser
Genuegsamkeit hing, so sah es uebel damit aus, und wer buergte dafuer, dass die
Roemer nicht eben ihrer italischen Politik es angemessen fanden, den
afrikanischen Nachbar zwar nicht sich zu unterwerfen, aber doch zu vertilgen?
Kurz, Karthago durfte den Frieden von 513 (241) nur als einen
Waffenstillstand betrachten und musste ihn benutzen zur Vorbereitung fuer die
unvermeidliche Erneuerung des Krieges; nicht, um die erlittene Niederlage zu
raechen, nicht einmal zunaechst, um das Verlorene zurueckzugewinnen, sondern um
sich eine nicht von dem Gutfinden des Landesfeindes abhaengige Existenz zu
erfechten. Allein wenn einem schwaecheren Staat ein gewisser, aber der Zeit nach
unbestimmter Vernichtungskrieg bevorsteht, werden die kluegeren,
entschlosseneren, hingebenderen Maenner, die zu dem unvermeidlichen Kampf sich
sogleich fertig machen, ihn zur guenstigen Stunde aufnehmen und so die
politische Defensive durch die strategische Offensive verdecken moechten,
ueberall sich gehemmt sehen durch die traege und feige Masse der Geldesknechte,
der Altersschwachen, der Gedankenlosen, welche nur Zeit zu gewinnen, nur in
Frieden zu leben und zu sterben, nur den letzten Kampf um jeden Preis
hinauszuschieben bedacht sind. So gab es auch in Karthago eine Friedens- und
eine Kriegspartei, die beide wie natuerlich sich anschlossen an den schon
zwischen den Konservativen und den Reformisten bestehenden politischen
Gegensatz: jene fand ihre Stuetze in den Regierungsbehoerden, dem Rat der Alten
und der Hundertmaenner, an deren Spitze Hanno, der sogenannte Grosse, stand,
diese in den Leitern der Menge, namentlich dem angesehenen Hasdrubal, und in den
Offizieren des sizilischen Heeres, dessen grosse Erfolge unter Hamilkars
Fuehrung, wenn sie auch sonst vergeblich gewesen waren, doch den Patrioten einen
Weg gezeigt hatten, der Rettung aus der ungeheuren Gefahr zu versprechen schien.
Schon lange mochte zwischen diesen Parteien heftige Fehde bestehen, als der
libysche Krieg zwischen sie hineinschlug. Wie er entstand, ist schon erzaehlt
worden. Nachdem die Regierungspartei die Meuterei durch die unfaehige, alle
Vorsichtsmassregeln der sizilischen Offiziere vereitelnde Verwaltung angezettelt
hatte, durch die Nachwirkung ihres unmenschlichen Regierungssystems diese
Meuterei in eine Revolution umgeschlagen und endlich durch ihre und namentlich
ihres Fuehrers, des Heerverderbers Hanno militaerische Unfaehigkeit das Land an
den Rand des Abgrundes gebracht worden war, ward der Held von der Eirkte,
Hamilkar Barkas, in der hoechsten Not von der Regierung selbst ersucht, sie von
den Folgen ihrer Fehler und Verbrechen zu retten. Er nahm das Kommando an und
dachte hochsinnig genug, es selbst dann nicht niederzulegen, als man ihm den
Hanno zum Kollegen gab; ja als die erbitterte Armee denselben heimschickte,
vermochte er es ueber sich, ihm auf die flehentliche Bitte der Regierung zum
zweitenmal den Mitoberbefehl einzuraeumen und trotz der Feinde wie trotz des
Kollegen durch seinen Einfluss bei den Aufstaendischen, seine geschickte
Behandlung der numidischen Scheichs, sein unvergleichliches Organisatoren- und
Feldherrngenie in unglaublich kurzer Zeit den Aufstand voellig niederzuwerfen
und das empoerte Afrika zum Gehorsam zurueckzubringen (Ende 517 237).
Die Patriotenpartei hatte waehrend dieses Krieges geschwiegen; jetzt sprach
sie um so lauter. Einerseits war bei dieser Katastrophe die ganze Verderbtheit
und Verderblichkeit der herrschenden Oligarchie an den Tag gekommen, ihre
Unfaehigkeit, ihre Coteriepolitik, ihre Hinneigung zu den Roemern; anderseits
zeigte die Wegnahme Sardiniens und die drohende Stellung, welche Rom dabei
einnahm, deutlich auch dem geringsten Mann, dass das Damoklesschwert der
roemischen Kriegserklaerung stets ueber Karthago hing, und dass, wenn Karthago
unter den gegenwaertigen Verhaeltnissen mit Rom zum Kriege kam, dieser notwendig
den Untergang der phoenikischen Herrschaft in Libyen zur Folge haben muesse. Es
mochte in Karthago nicht wenige geben, die, an der Zukunft des Vaterlandes
verzweifelnd, die Auswanderung nach den Inseln des Atlantischen Meeres anrieten;
wer durfte sie schelten? Aber edlere Gemueter verschmaehen es, ohne die Nation
sich selber zu bergen, und grosse Naturen geniessen das Vorrecht, aus dem,
worueber die Menge der Guten verzweifelt, Begeisterung zu schoepfen. Man nahm
die neuen Bedingungen an, wie sie Rom eben diktierte; es blieb nichts uebrig,
als sich zu fuegen und den neuen Hass zu dem alten schlagend ihn sorgfaeltig zu
sammeln und zu sparen, dieses letzte Kapitel einer gemisshandelten Nation. Dann
aber schritt man zu einer politischen Reform ^1. Von der Unverbesserlichkeit der
Regimentspartei hatte man sich hinreichend ueberzeugt; dass die regierenden
Herren auch im letzten Krieg weder ihren Groll vergessen noch groessere Weisheit
gelernt hatten, zeigte zum Beispiel die ans Naive grenzende Unverschaemtheit,
dass sie jetzt dem Hamilkar den Prozess machten als dem Urheber des
Soeldnerkrieges, insofern er ohne Vollmacht der Regierung seinen sizilischen
Soldaten Geldversprechungen gemacht habe. Wenn der Klub der Offiziere und
Volksfuehrer die morschen Stuehle dieses Missregiments haette umstossen wollen,
so wuerde er in Karthago selbst schwerlich auf grosse Schwierigkeiten gestossen
sein; allein auf desto groessere in Rom, mit dem die regierenden Herren von
Karthago schon in Verbindungen standen, die an Landesverrat grenzten. Zu allen
uebrigen Schwierigkeiten der Lage kam noch die hinzu, dass die Mittel zur
Rettung des Vaterlandes geschaffen werden mussten, ohne dass weder die Roemer
noch die eigene roemisch gesinnte Regierung recht darum gewahr wurden.
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^1 Wir sind ueber diese Vorgaenge nicht bloss unvollkommen berichtet,
sondern auch einseitig, da natuerlich die Version der karthagischen
Friedenspartei die der roemischen Annalisten wurde. Indes selbst in unsern
zertruemmerten und getruebten Berichten - die wichtigsten sind Fabius bei Polyb.
3, 8; App. Hisp. 4 und Diod. 25 p. 567 - erscheinen die Verhaeltnisse der
Parteien deutlich genug. Von dem gemeinen Klatsch, mit dem die "revolutionaere
Verbindung" (etaireia t/o/n pon/e/rotat/o/n anthr/o/p/o/n) von ihren Gegnern
beschmutzt ward, kann man bei Nepos (Ham. 3) Proben lesen, die ihresgleichen
suchen, vielleicht auch finden.
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So liess man die Verfassung unangetastet und die regierenden Herren im
vollen Genuss ihrer Sonderrechte und des gemeinen Gutes. Es ward bloss beantragt
und durchgesetzt, von den beiden Oberfeldherren, die am Ende des libyschen
Krieges an der Spitze der karthagischen Truppen standen, Hanno und Hamilkar, den
ersteren abzurufen und den letzteren zum Oberfeldherrn fuer ganz Afrika auf
unbestimmte Zeit in der Art zu ernennen, dass er eine von den
Regierungskollegien unabhaengige Stellung - eine verfassungswidrige monarchische
Gewalt nannten es die Gegner, Cato eine Diktatur - erhielt und er nur von der
Volksversammlung abberufen und zur Verantwortung gezogen werden durfte ^2.
Selbst die Wahl eines Nachfolgers ging nicht von den Behoerden der Hauptstadt
aus, sondern vom Heere, das heisst von den im Heere als Gerusiasten oder
Offiziere dienenden Karthagern, die auch bei Vertraegen neben dem Feldherrn
genannt werden; natuerlich blieb der Volksversammlung daheim das
Bestaetigungsrecht. Mag dies Usurpation sein oder nicht, es bezeichnet deutlich,
wie die Kriegspartei das Heer als ihre Domaene ansah und behandelte.
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^2 Die Barkas schliessen die wichtigsten Staatsvertraege ab und die
Ratifikation der Behoerde ist eine Formalitaet (Polyb. 3, 21); Rom protestiert
bei ihnen und beim Senat (Polyb. 3, 15). Die Stellung der Barkas zu Karthago hat
manche Aehnlichkeit mit der der Oranier gegen die Generalstaaten.
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Der Auftrag, den Hamilkar also empfing, klang nicht eben verfaenglich. Die
Kriege mit den numidischen Staemmen ruhten an der Grenze nie; vor kurzem erst
war im Binnenland die "Stadt der hundert Tore" Theveste (Tebessa) von den
Karthagern besetzt worden. Die Fortfuehrung dieser Grenzfehden, die dem neuen
Oberfeldherrn von Afrika zufiel, war an sich nicht von solcher Bedeutung, dass
nicht die karthagische Regierung, die man ja in ihrem naechsten Kreise gewaehren
liess, zu den darueber von der Volksversammlung getroffenen Beliebungen haette
stillschweigen koennen, waehrend die Roemer die Tragweite derselben vielleicht
nicht einmal erkannten.
So stand an der Spitze des Heeres der eine Mann, der im sizilischen und im
libyschen Kriege es bewaehrt hatte, dass die Geschicke ihn oder keinen zum
Retter des Vaterlandes bestimmten. Grossartiger als von ihm ist vielleicht
niemals der grossartige Kampf des Menschen gegen das Schicksal gefuehrt worden.
Das Heer sollte den Staat retten; aber was fuer ein Heer? Die karthagische
Buergerwehr hatte unter Hamilkars Fuehrung im libyschen Kriege sich nicht
schlecht geschlagen; allein er wusste wohl, dass es ein anderes ist, die
Kaufleute und Fabrikanten einer Stadt, die in der hoechsten Gefahr schwebt,
einmal zum Kampf hinauszufuehren, und ein anderes, Soldaten aus ihnen zu bilden.
Die karthagische Patriotenpartei lieferte ihm vortreffliche Offiziere, aber in
ihr war natuerlich fast ausschliesslich die gebildete Klasse vertreten -
Buergermiliz hatte er nicht, hoechstens einige libyphoenikische
Reiterschwadronen. Es galt ein Heer zu schaffen aus den libyschen Zwangsrekruten
und aus Soeldnern; was einem Feldherrn wie Hamilkar moeglich war, allein auch
ihm nur, wenn er seinen Leuten puenktlich und reichlich den Sold zu zahlen
vermochte. Aber dass die karthagischen Staatseinkuenfte in Karthago selbst zu
viel noetigeren Dingen gebraucht wurden als fuer die gegen den Feind fechtenden
Heere, hatte er in Sizilien erfahren. Es musste also dieser Krieg sich selber
ernaehren und im grossen ausgefuehrt werden, was auf dem Monte Pellegrino im
kleinen versucht worden war. Aber noch mehr. Hamilkar war nicht bloss Militaer-,
er war auch Parteichef; gegen die unversoehnliche und der Gelegenheit, ihn zu
stuerzen, begierig und geduldig harrende Regierungspartei musste er auf die
Buergerschaft sich stuetzen, und mochten deren Fuehrer noch so rein und edel
sein, die Masse war tief verdorben und durch das unselige Korruptionssystem
gewoehnt, nichts fuer nichts zu geben. In einzelnen Momenten schlug wohl die Not
oder die Begeisterung einmal durch, wie das ueberall selbst in den feilsten
Koerperschaften vorkommt; wollte aber Hamilkar fuer seinen im besten Fall erst
nach einer Reihe von Jahren durchfuehrbaren Plan die Unterstuetzung der
karthagischen Gemeinde dauernd sich sichern, so musste er seinen Freunden in der
Heimat durch regelmaessige Geldsendungen die Mittel geben, den Poebel bei guter
Laune zu erhalten. So genoetigt, von der lauen und feilen Menge die Erlaubnis,
sie zu retten, zu erbetteln oder zu erkaufen; genoetigt, dem Uebermut der
Verhassten seines Volkes, der stets von ihm Besiegten durch Demut und
Schweigsamkeit die unentbehrliche Gnadenfrist abzudingen; genoetigt, den
verachteten Vaterlandsverraetern, die sich die Herren seiner Stadt nannten, mit
seinen Plaenen seine Verachtung zu bergen - so stand der hohe Mann mit wenigen
gleichgesinnten Freunden zwischen den Feinden von aussen und den Feinden von
innen, auf die Unentschlossenheit der einen und der andern bauend, zugleich
beide taeuschend und beiden trotzend, um nur erst die Mittel, Geld und Soldaten
zu gewinnen zum Kampf gegen ein Land, das, selbst wenn das Heer schlagfertig
dastand, mit diesem zu erreichen schwierig, zu ueberwinden kaum moeglich schien.
Er war noch ein junger Mann, wenig hinaus ueber die Dreissig; aber er schien zu
ahnen, als er sich anschickte zu seinem Zuge, dass es ihm nicht vergoennt sein
werde, das Ziel seiner Arbeit zu erreichen und das Land der Erfuellung anders
als von weitem zu schauen. Seinen neunjaehrigen Sohn Hannibal hiess er, da er
Karthago verliess, am Altar des hoechsten Gottes dem roemischen Namen ewigen
Hass schwoeren, und zog ihn und die juengeren Soehne Hasdrubal und Mago, die
"Loewenbrut", wie er sie nannte, im Feldlager auf als die Erben seiner
Entwuerfe, seines Genies und seines Hasses.
Der neue Oberfeldherr von Libyen brach unmittelbar nach der Beendigung des
Soeldnerkrieges von Karthago auf (etwa im Fruehjahr 518 236). Er schien einen
Zug gegen die freien Libyer im Westen zu beabsichtigen; sein Heer, das besonders
an Elefanten stark war, zog an der Kueste hin, neben ihm segelte die Flotte,
gefuehrt von seinem treuen Bundesgenossen Hasdrubal. Ploetzlich vernahm man, er
sei bei den Saeulen des Herkules ueber das Meer gegangen und in Spanien
gelandet, wo er Krieg fuehre mit den Eingeborenen; mit Leuten, die ihm nichts
zuleide getan und ohne Auftrag seiner Regierung, klagten die karthagischen
Behoerden. Sie konnten wenigstens nicht klagen, dass er die afrikanischen
Angelegenheiten vernachlaessige; als die Numidier wieder einmal aufstanden,
trieb sein Unterfeldherr Hasdrubal sie so nachdruecklich zu Paaren, dass auf
lange Zeit an der Grenze Ruhe war und mehrere bisher unabhaengige Staemme sich
bequemten, Tribut zu zahlen. Was er selbst in Spanien getan, koennen wir im
einzelnen nicht mehr verfolgen; dem alten Cato, der ein Menschenalter nach
Hamilkars Tode in Spanien die noch frischen Spuren seines Wirkens sah, zwangen
sie trotz allem Poenerhass den Ausruf ab, dass kein Koenig wert sei, neben
Hamilkar Barkas genannt zu werden. In den Erfolgen liegt auch uns wenigstens im
allgemeinen noch vor, was von Hamilkar als Militaer und als Staatsmann in den
neun letzten Jahren seines Lebens (518-526 236-228) geleistet worden ist, bis er
im besten Mannesalter in offener Feldschlacht tapfer kaempfend den Tod fand, wie
Scharnhorst, eben als seine Plaene zu reifen begannen, und was alsdann waehrend
der naechsten acht Jahre (527-534 227-220) der Erbe seines Amtes und seiner
Plaene, sein Tochtermann Hasdrubal an dem angefangenen Werke im Sinne des
Meisters weiter geschaffen hat. Statt der kleinen Entrepots fuer den Handel, die
nebst dem Schutzrecht ueber Gades bis dahin Karthago an der spanischen Kueste
allein besessen und als Dependenz von Libyen behandelt hatte, ward ein
karthagisches Reich in Spanien durch Hamilkars Feldherrnkunst begruendet und
durch Hasdrubals staatsmaennische Gewandtheit befestigt. Die schoensten
Landschaften Spaniens, die Sued- und Ostkueste wurden phoenikisches
Provinzialgebiet; Staedte wurden gegruendet, vor allem an dem einzigen guten
Hafen der Suedkueste Spanisch-Karthago (Cartagena) von Hasdrubal angelegt, mit
des Gruenders praechtiger "Koenigsburg"; der Ackerbau bluehte auf und mehr noch
die Grubenwirtschaft in den gluecklich aufgefundenen Silberminen von Cartagena,
die ein Jahrhundert spaeter ueber 2« Mill. Taler (36 Mill. Sesterzen) jaehrlich
eintrugen. Die meisten Gemeinden bis zum Ebro wurden abhaengig von Karthago und
zahlten ihm Zins; Hasdrubal verstand es, die Haeuptlinge auf alle Weise, selbst
durch Zwischenheiraten in das karthagische Interesse zu ziehen. So erhielt
Karthago hier fuer seinen Handel und seine Fabriken eine reiche Absatzquelle,
und die Einnahmen der Provinz naehrten nicht bloss das Heer, sondern es blieb
noch uebrig, nach Hause zu senden und fuer die Zukunft zurueckzulegen. Aber die
Provinz bildete und schulte zugleich die Armee. In dem Karthago unterworfenen
Gebiet fanden regelmaessige Aushebungen statt; die Kriegsgefangenen wurden
untergesteckt in die karthagischen Korps; von den abhaengigen Gemeinden kam
Zuzug und kamen Soeldner, soviel man begehrte. In dem langen Kriegsleben fand
der Soldat im Lager eine zweite Heimat und als Ersatz fuer den Patriotismus den
Fahnensinn und die begeisterte Anhaenglichkeit an seine grossen Fuehrer; die
ewigen Kaempfe mit den tapferen Iberern und Kelten schufen zu der vorzueglichen
numidischen Reiterei ein brauchbares Fussvolk.
Von Karthago aus liess man die Barkas machen. Da der Buergerschaft
regelmaessige Leistungen nicht abverlangt wurden, sondern vielmehr fuer sie noch
etwas abfiel, auch der Handel in Spanien wiederfand, was er in Sizilien und
Sardinien verloren, wurde der spanische Krieg und das spanische Heer mit seinen
glaenzenden Siegen und wichtigen Erfolgen bald so populaer, dass es sogar
moeglich ward, in einzelnen Krisen, zum Beispiel nach Hamilkars Fall, bedeutende
Nachsendungen afrikanischer Truppen nach Spanien durchzusetzen, und die
Regierungspartei wohl oder uebel dazu schweigen oder doch sich begnuegen musste,
unter sich und gegen die Freunde in Rom auf die demagogischen Offiziere und den
Poebel zu schelten.
Auch von Rom aus geschah nichts, um den spanischen Angelegenheiten
ernstlich eine andere Wendung zu geben. Die erste und vornehmste Ursache der
Untaetigkeit der Roemer war unzweifelhaft eben ihre Unbekanntschaft mit den
Verhaeltnissen der entlegenen Halbinsel, welche sicher auch die Hauptursache
gewesen ist, weshalb Hamilkar zur Ausfuehrung seines Planes Spanien und nicht,
wie es sonst wohl auch moeglich gewesen waere, Afrika selbst erwaehlte. Zwar die
Erklaerungen, mit denen die karthagischen Feldherren den roemischen, um
Erkundigungen an Ort und Stelle einzuziehen nach Spanien gesandten Kommissarien
entgegenkamen, die Versicherungen, dass alles dies nur geschehe, um die
roemischen Kriegskontributionen prompt zahlen zu koennen, konnten im Senat
unmoeglich Glauben finden; allein man erkannte wahrscheinlich von Hamilkars
Plaenen nur den naechsten Zweck: fuer die Tribute und den Handel der verlorenen
Inseln in Spanien Ersatz zu schaffen, und hielt einen Angriffskrieg der
Karthager, und namentlich eine Invasion Italiens von Spanien aus, wie das sowohl
ausdrueckliche Angaben als die ganze Lage der Sache bezeugen, fuer
schlechterdings unmoeglich. Dass unter der Friedenspartei in Karthago manche
weiter sahen, versteht sich; allein wie sie dachten, konnten sie schwerlich sehr
geneigt sein, ueber den drohenden Sturm, den zu beschwoeren die karthagischen
Behoerden laengst ausserstande waren, ihre roemischen Freunde aufzuklaeren und
damit die Krise nicht abzuwenden, sondern zu beschleunigen; und wenn es dennoch
geschah, so mochte man in Rom solche Parteidenunziationen mit Fug sehr
vorsichtig aufnehmen. Allmaehlich allerdings musste die unbegreiflich rasche und
gewaltige Ausbreitung der karthagischen Macht in Spanien die Aufmerksamkeit und
die Besorgnisse der Roemer erwecken; wie sie ihr denn auch in den letzten Jahren
vor dem Ausbruch des Krieges in der Tat Schranken zu setzen versuchten. Um das
Jahr 528 (226) schlossen sie, ihres jungen Hellenentums eingedenk, mit den
beiden griechischen oder halbgriechischen Staedten an der spanischen Ostkueste,
Zakynthos oder Saguntum (Murviedro unweit Valencia) und Emporiae (Ampurias)
Buendnis, und indem sie den karthagischen Feldherrn Hasdrubal davon in Kenntnis
setzten, wiesen sie ihn zugleich an, den Ebro nicht erobernd zu ueberschreiten,
was auch zugesagt ward. Es geschah dies keineswegs, um einen Einfall in Italien
auf dem Landweg zu hindern - den Feldherrn, der diesen unternahm, konnte ein
Vertrag nicht fesseln -, sondern teils um der materiellen Macht der spanischen
Karthager, die gefaehrlich zu werden begann, eine Grenze zu stecken, teils um
sich an den freien Gemeinden zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen, die Rom damit
unter seinen Schutz nahm, einen sicheren Anhalt zu bereiten fuer den Fall, dass
eine Landung und ein Krieg in Spanien notwendig werden sollte. Fuer den
bevorstehenden Krieg mit Karthago, ueber dessen Unvermeidlichkeit der Senat sich
nie getaeuscht hat, besorgte man von den spanischen Ereignissen schwerlich
groessere Nachteile, als dass man genoetigt werden koenne, einige Legionen nach
Spanien zu senden, und dass der Feind mit Geld und Soldaten etwas besser
versehen sein werde, als er ohne Spanien es gewesen waere - war man doch fest
entschlossen, wie der Feldzugsplan von 536 (218) beweist und wie es auch gar
nicht anders sein konnte, den naechsten Krieg in Afrika zu beginnen und zu
beendigen, womit dann ueber Spanien zugleich entschieden war. Dazu kamen in den
ersten Jahren die karthagischen Kontributionen, welche die Kriegserklaerung
abgeschnitten haette, alsdann der Tod Hamilkars, von dem Freunde und Feinde
urteilen mochten, dass seine Entwuerfe mit ihm gestorben seien, endlich in den
letzten Jahren, wo der Senat allerdings zu begreifen anfing, dass es nicht weise
sei, mit der Erneuerung des Krieges noch lange zu zoegern, der sehr erklaerliche
Wunsch, zuvor mit den Galliern im Potal fertig zu werden, da diese, mit der
Ausrottung bedroht, voraussichtlich jeden ernstlichen Krieg, den Rom unternahm,
benutzt haben wuerden, um die transalpinischen Voelkerschaften aufs neue nach
Italien zu locken und die immer noch aeusserst gefaehrlichen Keltenzuege zu
erneuern. Dass weder Ruecksichten auf die karthagische Friedenspartei noch auf
die bestehenden Vertraege die Roemer abhielten, versteht sich; ueberdies boten,
wenn man den Krieg wollte, die spanischen Fehden jeden Augenblick einen Vorwand
dazu dar. Unbegreiflich ist das Verhalten Roms demnach keineswegs; aber
ebensowenig laesst sich leugnen, dass der roemische Senat diese Verhaeltnisse
kurzsichtig und schlaff behandelt hat - Fehler, wie sie seine Fuehrung der
gallischen Angelegenheiten in der gleichen Zeit noch viel unverzeihlicher
aufweist. Ueberall ist die roemische Staatskunst mehr ausgezeichnet durch
Zaehigkeit, Schlauheit und Konsequenz, als durch eine grossartige Auffassung und
rasche Ordnung der Dinge, worin ihr vielmehr die Feinde Roms von Pyrrhos bis auf
Mithradates oft ueberlegen gewesen sind.
So gab dem genialen Entwurf Hamilkars das Glueck die Weihe. Die Mittel zum
Kriege waren gewonnen, ein starkes kampf- und sieggewohntes Heer und eine stetig
sich fuellende Kasse; aber wie fuer den Kampf der rechte Augenblick, die rechte
Richtung gefunden werden sollte, fehlte der Fuehrer. Der Mann, dessen Kopf und
Herz in verzweifelter Lage unter einem verzweifelnden Volke den Weg zur Rettung
gebahnt hatte, war nicht mehr, als es moeglich ward, ihn zu betreten. Ob sein
Nachfolger Hasdrubal den Angriff unterliess, weil ihm der Zeitpunkt noch nicht
gekommen schien, oder ob er, mehr Staatsmann als Feldherr, sich der Oberleitung
des Unternehmens nicht gewachsen glaubte, vermoegen wir nicht zu entscheiden.
Als er im Anfang des Jahres 534 (220) von Moerderhand gefallen war, beriefen die
karthagischen Offiziere des spanischen Heeres an seine Stelle Hamilkars
aeltesten Sohn, den Hannibal. Er war noch ein junger Mann - geboren 505 (249),
also damals im neunundzwanzigsten Lebensjahr; aber er hatte schon viel gelebt.
Seine ersten Erinnerungen zeigten ihm den Vater im entlegenen Lande fechtend und
siegend auf der Eirkte; er hatte den Frieden des Catulus, die bittere Heimkehr
des unbesiegten Vaters, die Greuel des libyschen Krieges mit durchempfunden.
Noch ein Knabe, war er dem Vater ins Lager gefolgt; bald zeichnete er sich aus.
Sein leichter und festgebauter Koerper machte aus ihm einen vortrefflichen
Laeufer und Fechter und einen verwegenen Galoppreiter; sich den Schlaf zu
versagen, griff ihn nicht an und Speise wusste er nach Soldatenart zu geniessen
und zu entbehren. Trotz seiner im Lager verflossenen Jugend besass er die
Bildung der vornehmen Phoeniker jener Zeit; im Griechischen brachte er, wie es
scheint, erst als Feldherr, unter der Leitung seines Vertrauten Sosilos von
Sparta, es weit genug, um Staatsschriften in dieser Sprache selber abfassen zu
koennen. Wie er heranwuchs, trat er in das Heer seines Vaters ein, um unter
dessen Augen seinen ersten Waffendienst zu tun, um ihn in der Schlacht neben
sich fallen zu sehen. Nachher hatte er unter seiner Schwester Gemahl Hasdrubal
die Reiterei befehligt und durch glaenzende persoenliche Tapferkeit wie durch
sein Fuehrertalent sich ausgezeichnet. Jetzt rief ihn, den erprobten
jugendlichen General, die Stimme seiner Kameraden an ihre Spitze und er konnte
nun ausfuehren, wofuer sein Vater und sein Schwager gelebt und gestorben. Er
trat die Erbschaft an, und er durfte es. Seine Zeitgenossen haben auf seinen
Charakter Makel mancherlei Art zu werfen versucht: den Roemern hiess er grausam,
den Karthagern habsuechtig; freilich hasste er, wie nur orientalische Naturen zu
hassen verstehen, und ein Feldherr, dem niemals Geld und Vorraete ausgegangen
sind, musste wohl suchen zu haben. Indes, wenn auch Zorn, Neid und Gemeinheit
seine Geschichte geschrieben haben, sie haben das reine und grosse Bild nicht zu
trueben vermocht. Von schlechten Erfindungen, die sich selber richten, und von
dem abgesehen, was durch Schuld seiner Unterfeldherren, namentlich des Hannibal
Monomachos und Mago des Samniten, in seinem Namen geschehen ist, liegt in den
Berichten ueber ihn nichts vor, was nicht unter den damaligen Verhaeltnissen und
nach dem damaligen Voelkerrecht zu verantworten waere; und darin stimmen sie
alle zusammen, dass er wie kaum ein anderer Besonnenheit und Begeisterung,
Vorsicht und Tatkraft miteinander zu vereinigen verstanden hat. Eigentuemlich
ist ihm die erfinderische Verschmitztheit, die einen der Grundzuege des
phoenikischen Charakters bildet; er ging gern eigentuemliche und ungeahnte Wege,
Hinterhalte und Kriegslisten aller Art waren ihm gelaeufig, und den Charakter
der Gegner studierte er mit beispielloser Sorgfalt. Durch eine Spionage
ohnegleichen - er hatte stehende Kundschafter sogar in Rom - hielt er von den
Vornahmen des Feindes sich unterrichtet; ihn selbst sah man haeufig in
Verkleidungen und mit falschem Haar, dies oder jenes auskundschaftend. Von
seinem strategischen Genie zeugt jedes Blatt der Geschichte dieser Zeit und
nicht minder von seiner staatsmaennischen Begabung, die er noch nach dem Frieden
mit Rom durch seine Reform der karthagischen Verfassung und durch den
beispiellosen Einfluss bekundete, den er als Iandfluechtiger Fremdling in den
Kabinetten der oestlichen Maechte ausuebte. Welche Macht ueber die Menschen er
besass, beweist seine unvergleichliche Gewalt ueber ein buntgemischtes und
vielsprachiges Heer, das in den schlimmsten Zeiten niemals gegen ihn gemeutert
hat. Er war ein grosser Mann; wohin er kam, ruhten auf ihm die Blicke aller.
Hannibal beschloss sofort nach seiner Ernennung (Fruehling 534 220) den
Beginn des Krieges. Er hatte gute Gruende, jetzt, da das Keltenland noch in
Gaerung war und ein Krieg zwischen Rom und Makedonien vor der Tuer schien,
ungesaeumt loszuschlagen und den Krieg dahin zu tragen, wohin es ihm beliebte,
bevor die Roemer ihn begannen, wie es ihnen bequem war, mit einer Landung in
Afrika. Sein Heer war bald marschfertig, die Kasse durch einige Razzias in
grossem Massstab gefuellt; allein die karthagische Regierung zeigte nichts
weniger als Lust, die Kriegserklaerung nach Rom abgehen zu lassen. Hasdrubals,
des patriotischer Volksfuehrers Platz war in Karthago schwerer zu ersetzen als
der Platz des Feldherrn Hasdrubal in Spanien; die Partei des Friedens hatte
jetzt daheim die Oberhand und verfolgte die Fuehrer der Kriegspartei mit
politischen Prozessen. Sie, die schon Hamilkars Plaene beschnitten und
bemaengelt hatte, war keineswegs gemeint, den unbekannten jungen Mann, der jetzt
in Spanien befehligte, auf Staatskosten jugendlichen Patriotismus treiben zu
lassen; und Hannibal scheute doch davor zurueck, den Krieg in offener
Widersetzlichkeit gegen die legitimen Behoerden selber zu erklaeren; er
versuchte die Saguntiner zum Friedensbruch zu reizen; allein sie begnuegten
sich, in Rom Klage zu fuehren. Er versuchte, als darauf von Rom eine Kommission
erschien, nun diese durch schnoede Behandlung zur Kriegserklaerung zu treiben;
allein die Kommissarien sahen, wie die Dinge standen; sie schwiegen in Spanien,
um in Karthago Beschwerde zu fuehren und daheim zu berichten, dass Hannibal
schlagfertig stehe und der Krieg vor der Tuer sei. So verfloss die Zeit; schon
traf die Nachricht ein von dem Tode des Antigonos Doson, der etwa gleichzeitig
mit Hasdrubal ploetzlich gestorben war; im italischen Kettenland ward die
Gruendung der Festungen mit verdoppelter Schnelligkeit und Energie von den
Roemern betrieben; der Schilderhebung in Illyrien schickte man in Rom sich an,
im naechsten Fruehjahr ein rasches Ende zu bereiten. Jeder Tag war kostbar;
Hannibal entschloss sich. Er meldete kurz und gut nach Karthago, dass die
Saguntiner karthagischen Untertanen, den Torboleten, zu nahe traeten und er sie
darum angreifen muesse; und ohne die Antwort abzuwarten, begann er im Fruehjahr
535 (219) die Belagerung der mit Rom verbuendeten Stadt, das heisst den Krieg
gegen Rom. Was man in Karthago dachte und beriet, mag man sich etwa vorstellen
nach dem Eindruck, den Yorks Kapitulation in gewissen Kreisen machte. Alle
"angesehenen Maenner", heisst es, missbilligten den "ohne Auftrag" geschehenen
Angriff; es war die Rede von Desavouierung, von Auslieferung des dreisten
Offiziers. Aber sei es, dass im karthagischen Rat die naehere Furcht vor dem
Heer und der Menge die vor Rom ueberwog; sei es, dass man die Unmoeglichkeit
begriff, einen solchen Schritt, einmal getan, zurueckzutun; sei es, dass die
blosse Macht der Traegheit ein bestimmtes Auftreten hinderte - man entschloss
sich endlich, sich zu nichts zu entschliessen und den Krieg, wenn nicht zu
fuehren, doch fuehren zu lassen. Sagunt verteidigte sich, wie nur spanische
Staedte sich zu verteidigen verstehen; haetten die Roemer nur einen geringen
Teil der Energie ihrer Schutzbefohlenen entwickelt und nicht waehrend der
achtmonatlichen Belagerung Sagunts mit dem elenden illyrischen Raeuberkrieg die
Zeit verdorben, so haetten sie, Herren der See und geeigneter Landungsplaetze,
sich die Schande des zugesagten und nicht gewaehrten Schutzes ersparen und dem
Krieg vielleicht eine andere Wendung geben koennen. Indes sie saeumten, und die
Stadt ward endlich erstuermt. Wie Hannibal die Beute nach Karthago zur
Verteilung sandte, ward der Patriotismus und die Kriegslust bei vielen rege, die
davon bisher nichts gespuert hatten, und die Austeilung schnitt jede Versoehnung
mit Rom ab. Als daher nach der Zerstoerung Sagunts eine roemische Gesandtschaft
in Karthago erschien und die Auslieferung des Feldherrn und der im Lager
anwesenden Gerusiasten forderte, und als der roemische Sprecher, die versuchte
Rechtfertigung unterbrechend, die Diskussion abschnitt und, sein Gewand
zusammenfassend, sprach, dass er darin Frieden und Krieg halte und dass die
Gerusia waehlen moege, da ermannten sich die Gerusiasten zu der Antwort, dass
man es ankommen lasse auf die Wahl des Roemers; und als dieser den Krieg bot,
nahm man ihn an (Fruehling 536 218). Hannibal, der durch den hartnaeckigen
Widerstand der Saguntiner ein volles Jahr verloren hatte, war fuer den Winter
535/36 (219/18) wie gewoehnlich zurueckgegangen nach Cartagena, um alles teils
zum Angriff vorzubereiten, teils zur Verteidigung von Spanien und Afrika; denn
da er wie sein Vater und sein Schwager den Oberbefehl in beiden Gebieten
fuehrte, lag es ihm ob, auch zum Schutz der Heimat die Anstalten zu treffen. Die
gesamte Masse seiner Streitkraefte betrug ungefaehr 120000 Mann zu Fuss, 16000
zu Pferd; ferner 58 Elefanten und 32 bemannte, achtzehn unbemannte Fuenfdecker
ausser den in der Hauptstadt befindlichen Elefanten und Schiffen. Mit Ausnahme
weniger Ligurer unter den leichten Truppen gab es in diesem karthagischen Heere
Soeldner gar nicht; die Truppen bestanden ausser einigen phoenikischen
Schwadronen im wesentlichen aus den zum Dienst ausgehobenen karthagischen
Untertanen, Libyern und Spaniern. Der Treue der letzteren sich zu versichern gab
der menschenkundige Feldherr ihnen ein Zeichen des Vertrauens, allgemeinen
Urlaub waehrend des ganzen Winters; den Libyern versprach der Feldherr, der den
engherzigen phoenikischen Sonderpatriotismus nicht teilte, eidlich das
karthagische Buergerrecht, wenn sie als Sieger nach Afrika zurueckkehren
wuerden. Indes war diese Truppenmasse nur zum Teil fuer die italische Expedition
bestimmt. Etwa 20000 Mann kamen nach Afrika, der kleinere Teil nach der
Hauptstadt und dem eigentlich phoenikischen Gebiet, der groessere an die
westliche Spitze von Afrika. Zur Deckung von Spanien blieben 12000 Mann zu Fuss
zurueck nebst 2500 Pferden und fast der Haelfte der Elefanten, ausserdem die
dort stationierte Flotte; den Oberbefehl und das Regiment uebernahm hier
Hannibals juengerer Bruder Hasdrubal. Das unmittelbar karthagische Gebiet ward
verhaeltnismaessig schwach besetzt, da die Hauptstadt im Notfall Hilfsmittel
genug bot; ebenso genuegte in Spanien, wo neue Aushebungen sich mit Leichtigkeit
veranstalten liessen, fuer jetzt eine maessige Zahl von Fusssoldaten, waehrend
dagegen ein verhaeltnismaessig starker Teil der eigentlich afrikanischen Waffen,
der Pferde und Elefanten dort zurueckblieb. Die Hauptsorgfalt wurde darauf
gewendet, die Verbindungen zwischen Spanien und Afrika zu sichern, weshalb in
Spanien die Flotte blieb und Westafrika von einer sehr starken Truppenmasse
gehuetet ward. Fuer die Treue der Truppen buergte, ausser den in dem festen
Sagunt versammelten Geiseln der spanischen Gemeinden, die Verlegung der Soldaten
ausserhalb ihrer Aushebungsbezirke, indem die ostafrikanische Landwehr
vorwiegend nach Spanien, die spanische nach Westafrika, die westafrikanische
nach Karthago kamen. So war fuer die Verteidigung hinreichend gesorgt. Was den
Angriff anlangt, so sollte von Karthago aus ein Geschwader von 20 Fuenfdeckern
mit 1000 Soldaten an Bord nach der italischen Westkueste segeln und diese
verheeren, ein zweites von 25 Segeln womoeglich sich wieder in Lilybaeon
festsetzen; dieses bescheidene Mass von Anstrengungen glaubte Hannibal seiner
Regierung zumuten zu koennen. Mit der Hauptarmee beschloss er selbst in Italien
einzuruecken, wie das ohne Zweifel schon in Hamilkars urspruenglichem Plan lag.
Ein entscheidender Angriff auf Rom war nur in Italien moeglich wie auf Karthago
nur in Libyen; so gewiss Rom seinen naechsten Feldzug mit dem letzteren begann,
so gewiss durfte auch Karthago sich nicht von vornherein entweder auf ein
sekundaeres Operationsobjekt, wie zum Beispiel Sizilien, oder gar auf die
Verteidigung beschraenken - die Niederlagen brachten in all diesen Faellen das
gleiche Verderben, nicht aber der Sieg die gleiche Frucht.
Aber wie konnte Italien angegriffen werden? Es mochte gelingen, die
Halbinsel zu Wasser oder zu Lande zu erreichen; aber sollte der Zug nicht ein
verzweifeltes Abenteuer sein, sondern eine militaerische Expedition mit
strategischem Ziel, so bedurfte man dort einer naeheren Operationsbasis, als
Spanien oder Afrika waren. Auf eine Flotte und eine Hafenfestung konnte Hannibal
sich nicht stuetzen, da jetzt Rom das Meer beherrschte. Aber ebensowenig bot
sich in dem Gebiet der italischen Eidgenossenschaft irgendein haltbarer
Stuetzpunkt. Hatte sie zu ganz anderen Zeiten und trotz der hellenischen
Sympathien dem Stoss des Pyrrhos gestanden, so war nicht zu erwarten, dass sie
jetzt auf das Erscheinen des phoenikischen Feldherrn hin zusammenbrechen werde;
zwischen dem roemischen Festungsnetz und der festgeschlossenen
Bundesgenossenschaft ward das Invasionsheer ohne Zweifel erdrueckt. Einzig das
Ligurer- und Keltenland konnte fuer Hannibal sein, was fuer Napoleon in seinen
sehr aehnlichen russischen Feldzuegen Polen gewesen ist; diese, noch von dem
kaum beendigten Unabhaengigkeitskampf gaerenden Voelkerschaften, den Italikern
stammfremd und in ihrer Existenz bedroht, um die eben jetzt sich die ersten
Ringe der roemischen Festungs- und Chausseenkette legten, mussten in dem
phoenikischen Heere, das zahlreiche spanische Kelten in seinen Reihen zaehlte,
ihre Retter erkennen und ihm als erster Rueckhalt, als Verpflegungs- und
Rekrutierungsbezirk dienen. Schon waren foermliche Vertraege mit den Boiern und
Insubrern abgeschlossen, wodurch sie sich anheischig machten, dem karthagischen
Heer Wegweiser entgegenzusenden, ihnen gute Aufnahme bei ihren Stammgenossen und
Zufuhr unterwegs auszuwirken und gegen die Roemer sich zu erheben, sowie das
karthagische Heer auf italischem Boden stehe. Eben in diese Gegend fuehrten
endlich die Beziehungen zum Osten. Makedonien, das durch den Sieg von Sellasia
seine Herrschaft im Peloponnes neu befestigt hatte, stand mit Rom in gespannten
Verhaeltnissen; Demetrios von Pharos, der das roemische Buendnis mit dem
makedonischen vertauscht hatte und von den Roemern vertrieben worden war, lebte
als Fluechtling am makedonischen Hof, und dieser hatte den Roemern die begehrte
Auslieferung verweigert. Wenn es moeglich war, die Heere vom Guadalquivir und
vom Karasu irgendwo zu vereinigen gegen den gemeinschaftlichen Feind, so konnte
das nur am Po geschehen. So wies alles nach Norditalien; und dass schon des
Vaters Blick dahin gerichtet gewesen, zeigt die karthagische Streifpartei, der
die Roemer zu ihrer grossen Verwunderung im Jahre 524 (230) in Ligurien begegnet
waren.
Weniger deutlich ist, warum Hannibal dem Land- vor dem Seeweg den Vorzug
gab; denn dass weder die Seeherrschaft der Roemer noch ihr Bund mit Massalia
eine Landung in Genua unmoeglich machte, leuchtet ein und hat die Folge
bewiesen. In unserer Ueberlieferung fehlen, um diese Frage genuegend zu
entscheiden, nicht wenige Faktoren, auf die es ankommen wuerde und die sich
nicht durch Vermutung ergaenzen lassen. Hannibal hatte unter zwei Uebeln zu
waehlen. Statt den ihm unbekannten und weniger zu berechnenden Wechselfaellen
der Seefahrt und des Seekrieges sich auszusetzen, muss es ihm geratener
erschienen sein, lieber die unzweifelhaft ernstlich gemeinten Zusicherungen der
Boier und Insubrer anzunehmen, um so mehr, als auch das bei Genua gelandete Heer
noch die Berge haette ueberschreiten muessen; schwerlich konnte er genau wissen,
wie viel geringere Schwierigkeiten der Apennin bei Genua darbietet als die
Hauptkette der Alpen. War doch der Weg, den er einschlug, die uralte
Keltenstrasse, auf der viel groessere Schwaerme die Alpen ueberstiegen hatten;
der Verbuendete und Erretter des Keltenvolkes durfte ohne Verwegenheit diesen
betreten.
So vereinigte Hannibal die fuer die grosse Armee bestimmten Truppen mit dem
Anfang der guten Jahreszeit in Cartagena; es waren ihrer 90000 Mann zu Fuss und
12000 Reiter, darunter etwa zwei Drittel Afrikaner und ein Drittel Spanier - die
mitgefuehrten 37 Elefanten mochten mehr bestimmt sein, den Galliern zu
imponieren, als zum ernstlichen Krieg. Hannibals Fussvolk war nicht mehr wie
das, welches Xanthippos fuehrte, genoetigt, sich hinter einen Vorhang von
Elefanten zu verbergen, und der Feldherr einsichtig genug, um dieser
zweischneidigen Waffe, die ebenso oft die Niederlage des eigenen wie die des
feindlichen Heeres herbeigefuehrt hatte, sich nur sparsam und vorsichtig zu
bedienen. Mit diesem Heere brach Hannibal im Fruehling 536 (218) von Cartagena
auf gegen den Ebro. Von den getroffenen Massregeln, namentlich den mit den
Kelten angeknuepften Verbindungen, von den Mitteln und dem Ziel des Zuges liess
er die Soldaten soviel erfahren, dass auch der Gemeine, dessen militaerischen
Instinkt der lange Krieg entwickelt haette, den klaren Blick und die sichere
Hand des Fuehrers ahnte und mit festem Vertrauen ihm in die unbekannte Weite
folgte; und die feurige Rede, in der er die Lage des Vaterlandes und die
Forderungen der Roemer vor ihnen darlegte, die gewisse Knechtung der teuren
Heimat, das schmachvolle Ansinnen der Auslieferung des geliebten Feldherrn und
seines Stabes, entflammte den Soldaten- und den Buergersinn in den Herzen aller.
Der roemische Staat war in einer Verfassung, wie sie auch in
festgegruendeten und einsichtigen Aristokratien wohl eintritt. Was man wollte,
wusste man wohl; es geschah auch manches, aber nichts recht noch zur rechten
Zeit. Laengst haette man Herr der Alpentore und mit den Kelten fertig sein
koennen; noch waren diese furchtbar und jene offen. Man haette mit Karthago
entweder Freundschaft haben koennen, wenn man den Frieden von 513 (241) ehrlich
einhielt, oder, wenn man das nicht wollte, konnte Karthago laengst unterworfen
sein; jener Friede ward durch die Wegnahme Sardiniens tatsaechlich gebrochen und
Karthagos Macht liess man zwanzig Jahre hindurch sich ungestoert regenerieren.
Mit Makedonien Frieden zu halten war nicht schwer; um geringen Gewinn hatte man
diese Freundschaft verscherzt. An einem leitenden, die Verhaeltnisse im
Zusammenhang beherrschenden Staatsmann muss es gefehlt haben; ueberall war
entweder zu wenig geschehen oder zu viel. Nun begann der Krieg, zu dem man Zeit
und Ort den Feind hatte bestimmen lassen; und im wohlbegruendeten Vollgefuehl
militaerischer Ueberlegenheit war man ratlos ueber Ziel und Gang der naechsten
Operationen. Man disponierte ueber eine halbe Million brauchbarer Soldaten - nur
die roemische Reiterei war minder gut und verhaeltnismaessig minder zahlreich
als die karthagische, jene etwa ein Zehntel, diese ein Achtel der Gesamtzahl der
ausrueckenden Truppen. Der roemischen Flotte von 220 Fuenfdeckern, die eben aus
dem Adriatischen Meere in die Westsee zurueckfuhr, hatte keiner der von diesem
Kriege beruehrten Staaten eine entsprechende entgegenzustellen. Die natuerliche
und richtige Verwendung dieser erdrueckenden Uebermacht ergab sich von selbst.
Seit langem stand es fest, dass der Krieg eroeffnet werden sollte mit einer
Landung in Afrika; die spaetere Wendung der Ereignisse hatte die Roemer
gezwungen, eine gleichzeitige Landung in Spanien in den Kriegsplan aufzunehmen,
vornehmlich, um nicht die spanische Armee vor den Mauern von Karthago zu finden.
Nach diesem Plan wusste man, als der Krieg durch Hannibals Angriff auf Sagunt zu
Anfang 535 (219) tatsaechlich eroeffnet war, vor allen Dingen ein roemisches
Heer nach Spanien werfen, ehe die Stadt fiel; allein man versaeumte das Gebot
des Vorteils nicht minder wie der Ehre. Acht Monate lang hielt Sagunt sich
umsonst - als die Stadt ueberging, hatte Rom zur Landung in Spanien nicht einmal
geruestet. Indes noch war das Land zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen frei,
dessen Voelkerschaften nicht bloss die natuerlichen Verbuendeten der Roemer
waren, sondern auch von roemischen Emissaeren gleich den Saguntinern
Versprechungen schleunigen Beistandes empfangen hatten. Nach Katalonien gelangt
man zu Schiff von Italien nicht viel weniger rasch wie von Cartagena zu Lande;
wenn nach der inzwischen erfolgten foermlichen Kriegserklaerung die Roemer wie
die Phoeniker im April aufbrachen, konnte Hannibal den roemischen Legionen an
der Ebrolinie begegnen.
Allerdings wurde denn auch der groessere Teil des Heeres und der Flotte
fuer den Zug nach Afrika verfuegbar gemacht und der zweite Konsul Publius
Cornelius Scipio an den Ebro beordert; allein er nahm sich Zeit, und als am Po
ein Aufstand ausbrach, liess er das zur Einschiffung bereitstehende Heer dort
verwenden und bildete fuer die spanische Expedition neue Legionen. So fand
Hannibal am Ebro zwar den heftigsten Widerstand, aber nur von den Eingeborenen;
mit diesen ward er, dem unter den obwaltenden Umstaenden die Zeit noch kostbarer
war als das Blut seiner Leute, mit Verlust des vierten Teiles seiner Armee in
einigen Monaten fertig und erreichte die Linie der Pyrenaeen. Dass durch jene
Zoegerung die spanischen Bundesgenossen Roms zum zweitenmal aufgeopfert wurden,
konnte man ebenso sicher vorhersehen, als die Zoegerung selbst sich leicht
vermeiden liess; wahrscheinlich aber waere selbst der Zug nach Italien, den man
in Rom noch im Fruehling 536 (218) nicht geahnt haben muss, durch zeitiges
Erscheinen der Roemer in Spanien abgewendet worden. Hannibal hatte keineswegs
die Absicht, sein spanisches "Koenigreich" aufgebend, sich wie ein Verzweifelter
nach Italien zu werfen; die Zeit, die er an Sagunts Erstuermung und an die
Unterwerfung Kataloniens gewandt hatte, das betraechtliche Korps, das er zur
Besetzung des neugewonnenen Gebiets zwischen dem Ebro und den Pyrenaeen
zurueckliess, beweisen zur Genuege, dass, wenn ein roemisches Heer ihm den
Besitz Spaniens streitig gemacht haette, er sich nicht begnuegt haben wuerde,
sich demselben zu entziehen; und was die Hauptsache war, wenn die Roemer seinen
Abmarsch aus Spanien auch nur um einige Wochen zu verzoegern imstande waren, so
schloss der Winter die Alpenpaesse, ehe Hannibal sie erreichte, und die
afrikanische Expedition ging ungehindert nach ihrem Ziele ab.
An den Pyrenaeen angelangt, entliess Hannibal einen Teil seiner Truppen in
die Heimat; eine von Anfang an beschlossene Massregel, die den Feldherrn den
Soldaten gegenueber des Erfolges sicher zeigen und dem Gefuehl steuern sollte,
dass sein Unternehmen eines von denen sei, von welchen man nicht heimkehrt. Mit
einem Heer von 50000 Mann zu Fuss und 9000 zu Pferd, lauter alten Soldaten, ward
das Gebirg ohne Schwierigkeit ueberschritten und alsdann der Kuestenweg ueber
Narbonne und Nimes eingeschlagen durch das keltische Gebiet, das teils die
frueher angeknuepften Verbindungen, teils das karthagische Gold, teils die
Waffen dem Heere oeffneten. Erst als dieses Ende Juli Avignon gegenueber an die
Rhone gelangte, schien seiner hier ein ernstlicher Widerstand zu warten. Der
Konsul Scipio, der auf seiner Fahrt nach Spanien in Massalia angelegt hatte
(etwa Ende Juni), war dort berichtet worden, dass er zu spaet komme und Hannibal
schon nicht bloss den Ebro, sondern auch die Pyrenaeen passiert habe. Auf diese
Nachrichten, welche zuerst die Roemer ueber die Richtung und das Ziel Hannibals
aufgeklaert zu haben scheinen, hatte der Konsul seine spanische Expedition
vorlaeufig aufgegeben und sich entschlossen, in Verbindung mit den keltischen
Voelkerschaften dieser Gegend, welche unter dem Einfluss der Massalioten und
dadurch unter dem roemischen standen, die Phoeniker an der Rhone zu empfangen
und ihnen den Uebergang ueber den Fluss und den Einmarsch in Italien zu
verwehren. Zum Glueck fuer Hannibal stand gegenueber dem Punkte, wo er
ueberzugehen gedachte, fuer jetzt nur der keltische Landsturm, waehrend der
Konsul selbst mit seinem Heer von 22000 Mann zu Fuss und 2000 Reitern noch in
Massalia selbst vier Tagemaersche stromabwaerts davon sich befand. Die Boten des
gallischen Landsturms eilten, ihn zu benachrichtigen. Hannibal sollte das Heer
mit der starken Reiterei und den Elefanten unter den Augen des Feindes und bevor
Scipio eintraf ueber den reissenden Strom fuehren; und er besass nicht einen
Nachen. Sogleich wurden auf seinen Befehl von den zahlreichen Rhoneschiffern in
der Umgegend alle ihre Barken zu jedem Preise aufgekauft und was an Kaehnen noch
fehlte, aus gefaellten Baeumen gezimmert; und in der Tat konnte die ganze
zahlreiche Armee an einem Tage uebergesetzt werden. Waehrend dies geschah,
marschierte eine starke Abteilung unter Hanno, Bomilkars Sohn, in
Gewaltmaerschen stromaufwaerts bis zu einem zwei kleine Tagemaersche oberhalb
Avignon gelegenen Uebergangspunkt, den sie unverteidigt fanden. Hier
ueberschritten sie auf schleunig zusammengeschlagenen Floessen den Fluss, um
dann stromabwaerts sich wendend die Gallier in den Ruecken zu fassen, die dem
Hauptheer den Uebergang verwehrten. Schon am Morgen des fuenften Tages nach der
Ankunft an der Rhone, des dritten nach Hannos Abmarsch, stiegen die Rauchsignale
der entsandten Abteilung am gegenueberliegenden Ufer auf, fuer Hannibal das
sehnlich erwartete Zeichen zum Uebergang: Eben als die Gallier, sehend, dass die
feindliche Kahnflotte in Bewegung kam, das Ufer zu besetzen eilten, loderte
ploetzlich ihr Lager hinter ihnen in Flammen auf; ueberrascht und geteilt,
vermochten sie weder dem Angriff zu stehen noch dem Uebergang zu wehren und
zerstreuten sich in eiliger Flucht.
Scipio hielt waehrenddessen in Massalia Kriegsratsitzungen ueber die
geeignete Besetzung der Rhoneuebergaenge und liess sich nicht einmal durch die
dringenden Botschaften der Keltenfuehrer zum Aufbruch bestimmen. Er traute ihren
Nachrichten nicht und begnuegte sich, eine schwache roemische Reiterabteilung
zur Rekognoszierung auf dem linken Rhoneufer zu entsenden. Diese traf bereits
die gesamte feindliche Armee auf dies Ufer uebergegangen und beschaeftigt, die
allein noch am rechten Ufer zurueckgebliebenen Elefanten nachzuholen; nachdem
sie in der Gegend von Avignon, um nur die Rekognoszierung beendigen zu koennen,
einigen karthagischen Schwadronen ein hitziges Gefecht geliefert hatte - das
erste, in dem die Roemer und Phoeniker in diesem Krieg aufeinandertrafen -,
machte sie sich eiligst auf den Rueckweg, um im Hauptquartier Bericht zu
erstatten. Scipio brach nun Hals ueber Kopf mit all seinen Truppen gegen Avignon
auf; allein als er dort eintraf, war selbst die zur Deckung des Uebergangs der
Elefanten zurueckgelassene karthagische Reiterei bereits seit drei Tagen
abmarschiert, und es blieb dem Konsul nichts uebrig, als mit ermuedeten Truppen
und geringem Ruhm nach Massalia heimzukehren und auf die "feige Flucht" des
Puniers zu schmaelen. So hatte man erstens zum drittenmal durch reine
Laessigkeit die Bundesgenossen und eine wichtige Verteidigungslinie
preisgegeben, zweitens, indem man nach diesem ersten Fehler vom verkehrten
Rasten zu verkehrtem Hasten ueberging und ohne irgendeine Aussicht auf Erfolg
nun doch noch tat, was mit so sicherer einige Tage zuvor geschehen konnte, eben
dadurch das wirkliche Mittel, den Fehler wiedergutzumachen, aus den Haenden
gegeben. Seit Hannibal diesseits der Rhone im Keltenland stand, war es nicht
mehr zu hindern, dass er an die Alpen gelangte; allein wenn sich Scipio auf die
erste Kunde hin mit seinem ganzen Heer nach Italien wandte - in sieben Tagen war
ueber Genua der Po zu erreichen - und mit seinem Korps die schwachen Abteilungen
im Potal vereinigte, so konnte er wenigstens dort dem Feind einen gefaehrlichen
Empfang bereiten. Allein nicht bloss verlor er die kostbare Zeit mit dem Marsch
nach Avignon, sondern es fehlte sogar dem sonst tuechtigen Manne, sei es der
politische Mut, sei es die militaerische Einsicht, die Bestimmung seines Korps
den Umstaenden gemaess zu veraendern; er sandte das Gros desselben unter seinem
Bruder Gnaeus nach Spanien und ging selbst mit weniger Mannschaft zurueck nach
Pisae.
Hannibal, der nach dem Uebergang ueber die Rhone in einer grossen
Heeresversammlung den Truppen das Ziel seines Zuges auseinandergesetzt und den
aus dem Potal angelangten Keltenhaeuptling Magilus selbst durch den Dolmetsch
hatte zu dem Heere sprechen lassen, setzte inzwischen ungehindert seinen Marsch
nach den Alpenpaessen fort. Welchen derselben er waehlte, darueber konnte weder
die Kuerze des Weges noch die Gesinnung der Einwohner zunaechst entscheiden,
wenngleich er weder mit Umwegen noch mit Gefechten Zeit zu verlieren hatte. Den
Weg musste er einschlagen, der fuer seine Bagage, seine starke Reiterei und die
Elefanten praktikabel war und in dem ein Heer hinreichende Subsistenzmittel, sei
es im guten oder mit Gewalt, sich verschaffen konnte - denn obwohl Hannibal
Anstalten getroffen hatte, Lebensmittel auf Saumtieren sich nachzufuehren, so
konnten bei einem Heere, das immer noch trotz starker Verluste gegen 50000 Mann
zaehlte, diese doch notwendig nur fuer einige Tage ausreichen. Abgesehen von dem
Kuestenweg, den Hannibal nicht einschlug, nicht weil die Roemer ihn sperrten,
sondern weil er ihn von seinem Ziel abgefuehrt haben wuerde, fuehrten in alter
Zeit ^3 von Gallien nach Italien nur zwei namhafte Alpenuebergaenge: der Pass
ueber die Kottische Alpe (Mont Genevre) in das Gebiet der Tauriner (ueber Susa
oder Fenestrelles nach Turin) und der ueber die Graische (Kleiner St. Bernhard)
in das der Salasser (nach Aosta und Ivrea). Der erstere Weg ist der kuerzere;
allein von da an, wo er das Rhonetal verlaesst, fuehrt er in den unwegsamen und
unfruchtbaren Flusstaelern des Drak, der Romanche und der oberen Durance durch
ein schwieriges und armes Bergland und erfordert einen mindestens sieben- bis
achttaegigen Gebirgsmarsch; eine Heerstrasse hat erst Pompeius hier angelegt, um
zwischen der dies- und der jenseitigen gallischen Provinz eine kuerzere
Verbindung herzustellen.
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^3 Der Weg ueber den Mont Cenis ist erst im Mittelalter eine Heerstrasse
geworden. Die oestlichen Paesse, wie zum Beispiel der ueber die Poeninische Alpe
oder den Grossen St. Bernhard, der uebrigens auch erst durch Caesar und Augustus
Militaerstrasse ward, kommen natuerlich hier nicht in Betracht.
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Der Weg ueber den Kleinen St. Bernhard ist etwas laenger; allein nachdem er
die erste, das Rhonetal oestlich begrenzende Alpenwand ueberstiegen hat, haelt
er sich in dem Tale der oberen Isere, das von Grenoble ueber Chambery bis hart
an den Fuss des Kleinen St. Bernhard, das heisst der Hochalpenkette sich
hinzieht und unter allen Alpentaelern das breiteste, fruchtbarste und
bevoelkertste ist. Es ist ferner der Weg ueber den Kleinen St. Bernhard unter
allen natuerlichen Alpenpassagen zwar nicht die niedrigste, aber bei weitem die
bequemste; obwohl dort keine Kunststrasse angelegt ist, ueberschritt auf ihr
noch im Jahre 1815 ein oesterreichisches Korps mit Artillerie die Alpen. Dieser
Weg, der bloss ueber zwei Bergkaemme fuehrt, ist endlich von den aeltesten
Zeiten an die grosse Heerstrasse aus dem keltischen in das italische Land
gewesen. Die karthagische Armee hatte also in der Tat keine Wahl; es war ein
glueckliches Zusammentreffen, aber kein bestimmendes Motiv fuer Hannibal, dass
die ihm verbuendeten keltischen Staemme in Italien bis an den Kleinen St.
Bernhard wohnten, waehrend ihn der Weg ueber den Mont Genevre zunaechst in das
Gebiet der Tauriner gefuehrt haben wuerde, die seit alten Zeiten mit den
Insubrern in Fehde lagen.
So marschierte das karthagische Heer zunaechst an der Rhone hinauf gegen
das Tal der oberen Isere zu, nicht, wie man vermuten koennte, auf dem naechsten
Weg, an dem linken Ufer der unteren Isere hinauf, von Valence nach Grenoble,
sondern durch die "Insel" der Allobrogen, die reiche und damals schon
dichtbevoelkerte Niederung, die noerdlich und westlich von der Rhone, suedlich
von der Isere, oestlich von den Alpen umfasst wird. Es geschah dies wieder
deshalb, weil die naechste Strasse durch ein unwegsames und armes Bergland
gefuehrt haette, waehrend die Insel eben und aeusserst fruchtbar ist und nur
eine einfache Bergwand sie von dem oberen Iseretal scheidet. Der Marsch an der
Rhone in und quer durch die Insel bis an den Fuss der Alpenwand war in sechzehn
Tagen vollendet; er bot geringe Schwierigkeit und auf der Insel selbst wusste
Hannibal durch geschickte Benutzung einer zwischen zwei allobrogischen
Haeuptlingen ausgebrochenen Fehde sich einen der bedeutendsten derselben zu
verpflichten, dass derselbe den Karthagern nicht bloss durch die ganze Ebene das
Geleit gab, sondern auch ihnen die Vorraete ergaenzte und die Soldaten mit
Waffen, Kleidung und Schuhzeug versah. Allein an dem Uebergang ueber die erste
Alpenkette, die steil und wandartig emporsteigt und ueber die nur ein einziger
gangbarer Pfad (ueber den Mont du Chat beim Dorfe Chevelu) fuehrt, waere fast
der Zug gescheitert. Die allobrogische Bevoelkerung hatte den Pass stark
besetzt. Hannibal erfuhr es frueh genug, um einen Ueberfall zu vermeiden, und
lagerte am Fuss, bis nach Sonnenuntergang die Kelten sich in die Haeuser der
naechsten Stadt zerstreuten, worauf er in der Nacht den Pass einnahm. So war die
Hoehe gewonnen; allein auf dem aeusserst steilen Weg, der von der Hoehe nach dem
See von Bourget hinabfuehrt, glitten und stuerzten die Maultiere und die Pferde.
Die Angriffe, die an geeigneten Stellen von den Kelten auf die marschierende
Armee gemacht wurden, waren weniger an sich als durch das in Folge derselben
entstehende Getuemmel sehr unbequem; und als Hannibal sich mit seinen leichten
Truppen von oben herab auf die Allobrogen warf, wurden diese zwar ohne Muehe und
mit starkem Verlust den Berg hinuntergejagt, allein die Verwirrung, besonders in
dem Train, ward noch erhoeht durch den Laerm des Gefechts. So nach starkem
Verlust in der Ebene angelangt, ueberfiel Hannibal sofort die naechste Stadt, um
die Barbaren zu zuechtigen und zu schrecken und zugleich seinen Verlust an
Saumtieren und Pferden moeglichst wieder zu ersetzen. Nach einem Rasttag in dem
anmutigen Tal von Chambery setzte die Armee an der Isere hinauf ihren Marsch
fort, ohne in dem breiten und reichen Grund durch Mangel oder Angriffe
aufgehalten zu werden. Erst als man am vierten Tage eintrat in das Gebiet der
Ceutronen (die heutige Tarantaise), wo allmaehlich das Tal sich verengt, hatte
man wiederum mehr Veranlassung, auf seiner Hut zu sein. Die Ceutronen empfingen
das Heer an der Landesgrenze (etwa bei Conflans) mit Zweigen und Kraenzen,
stellten Schlachtvieh, Fuehrer und Geiseln, und wie durch Freundesland zog man
durch ihr Gebiet. Als jedoch die Truppen unmittelbar am Fuss der Alpen angelangt
waren, da wo der Weg die Isere verlaesst und durch ein enges und schwieriges
Defilee an den Bach Reclus hinauf sich zu dem Gipfel des Bernhard emporwindet,
erschien auf einmal die Landwehr der Ceutronen teils im Ruecken der Armee, teils
auf den rechts und links den Pass einschliessenden Bergraendern, in der
Hoffnung, den Tross und das Gepaeck abzuschneiden. Allein Hannibal, dessen
sicherer Takt in all jenem Entgegenkommen der Ceutronen nichts gesehen hatte als
die Absicht, zugleich Schonung ihres Gebiets und die reiche Beute zu gewinnen,
hatte in Erwartung eines solchen Angriffs den Tross und die Reiterei
voraufgeschickt und deckte den Marsch mit dem gesamten Fussvolk; die Absicht der
Feinde wurde dadurch vereitelt, obwohl er nicht verhindern konnte, dass sie, auf
den Bergabhaengen den Marsch des Fussvolks begleitend, ihm durch geschleuderte
oder herabgerollte Steine sehr betraechtlichen Verlust zufuegten. An dem
"weissen Stein" (noch jetzt la roche blanche), einem hohen, am Fusse des
Bernhard einzeln stehenden und den Aufweg auf denselben beherrschenden
Kreidefels, lagerte Hannibal mit seinem Fussvolk, den Abzug der die ganze Nacht
hindurch muehsam hinaufklimmenden Pferde und Saumtiere zu decken, und erreichte
unter bestaendigen, sehr blutigen Gefechten endlich am folgenden Tage die
Passhoehe. Hier, auf der geschuetzten Hochebene, die sich um einen kleinen See,
die Quelle der Doria, in einer Ausdehnung von etwa 2« Miglien ausbreitet, liess
er die Armee rasten. Die Entmutigung hatte angefangen, sich der Gemueter der
Soldaten zu bemaechtigen. Die immer schwieriger werdenden Wege, die zu Ende
gehenden Vorraete, die Defileenmaersche unter bestaendigen Angriffen des
unerreichbaren Feindes, die arg gelichteten Reihen, die hoffnungslose Lage der
Versprengten und Verwundeten, das nur der Begeisterung des Fuehrers und seiner
Naechsten nicht chimaerisch erscheinende Ziel, fingen an, auch auf die
afrikanischen und spanischen Veteranen zu wirken. Indes die Zuversicht des
Feldherrn blieb sich immer gleich; zahlreiche Versprengte fanden sich wieder
ein; die befreundeten Gallier waren nah, die Wasserscheide erreicht und der dem
Bergwanderer so erfreuliche Blick auf den absteigenden Pfad eroeffnet; nach
kurzer Rast schickte man mit erneutem Mute zu dem letzten und schwierigsten
Unternehmen, dem Hinabmarsch sich an. Von Feinden ward das Heer dabei nicht
wesentlich beunruhigt; aber die vorgerueckte Jahreszeit - man war schon im
Anfang September - vertrat bei dem Niederweg das Ungemach, das bei dem Aufweg
die Ueberfaelle der Anwohner bereitet hatten. Auf dem steilen und schluepfrigen
Berghang laengs der Doria, wo der frischgefallene Schnee die Pfade verborgen und
verdorben hatte, verirrten und glitten Menschen und Tiere und stuerzten in die
Abgruende; ja gegen das Ende des ersten Tagemarsches gelangte man an eine
Wegstrecke von etwa 200 Schritt Laenge, auf welche von den steil darueber
haengenden Felsen des Cramont bestaendig Lawinen hinabstuerzen und wo in kalten
Sommern der Schnee das ganze Jahr liegt. Das Fussvolk kam hinueber; aber Pferde
und Elefanten vermochten die glatten Eismassen, ueber welche nur eine duenne
Decke frischgefallenen Schnees sich hinzog, nicht zu passieren und mit dem
Trosse, der Reiterei und den Elefanten nahm der Feldherr oberhalb der
schwierigen Stelle das Lager. Am folgenden Tag bahnten die Reiter durch
angestrengtes Schanzen den Weg fuer Pferde und Saumtiere; allein erst nach einer
ferneren dreitaegigen Arbeit mit bestaendiger Abloesung der Haende konnten
endlich die halbverhungerten Elefanten hinuebergefuehrt werden. So war nach
viertaegigem Aufenthalt die ganze Armee wieder vereinigt und nach einem weiteren
dreitaegigen Marsch durch das immer breiter und fruchtbarer sich entwickelnde
Tal der Doria, dessen Einwohner, die Salasser, Klienten der Insubrer, in den
Karthagern ihre Verbuendeten und ihre Befreier begruessten, gelangte die Armee
um die Mitte des September in die Ebene von Ivrea, wo die erschoepften Truppen
in den Doerfern einquartiert wurden, um durch gute Verpflegung und eine
vierzehntaegige Rast von den beispiellosen Strapazen sich zu erholen. Haetten
die Roemer, wie sie es konnten, ein Korps von 30000 ausgeruhten und
kampffertigen Leuten etwa bei Turin gehabt und die Schlacht sofort erzwungen, so
haette es misslich ausgesehen um Hannibals grossen Plan; zum Glueck fuer ihn
waren sie wieder einmal nicht, wo sie sein sollten, und stoerten die feindlichen
Truppen nicht in der Ruhe, deren sie so sehr bedurften ^4.
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^4 Die vielbestrittenen topographischen Fragen, die an diese beruehmte
Expedition sich knuepfen, koennen als erledigt und im wesentlichen als geloest
gelten durch die musterhaft gefuehrte Untersuchung der Herren Wickham und
Gramer. Ueber die chronologischen, die gleichfalls Schwierigkeiten darbieten,
moegen hier ausnahmsweise einige Bemerkungen stehen.
Als Hannibal auf den Gipfel des Bernhard gelangte, "fingen die Spitzen
schon an, sich dicht mit Schnee zu bedecken" (Polyb. 3, 54); auf dem Wege lag
Schnee (Polyb. 3, 55), aber vielleicht groesstenteils nicht frisch gefallener,
sondern Schnee von herabgestuerzten Lawinen. Auf dem Bernhard beginnt der Winter
um Michaelis, der Schneefall im September; als Ende August die genannten
Englaender den Berg ueberstiegen, fanden sie fast gar keinen Schnee auf ihrem
Wege, aber zu beiden Seiten die Bergabhaenge davon bedeckt. Hiernach scheint
Hannibal Anfang September auf dem Pass angelangt zu sein; womit auch wohl
vereinbar ist, dass er dort eintraf, "als schon der Winter herannahte" - denn
mehr ist synaptein t/e/n t/e/s pleiados d?sin (Polyb. 3, 54) nicht, am wenigsten
der Tag des Fruehuntergangs der Plejaden (etwa 26. Oktober); vgl. C. L. Ideler,
Lehrbuch der Chronologie. Berlin 1831. Bd. 1, S. 241.
Kam Hannibal neun Tage spaeter, also Mitte September in Italien an, so ist
auch Platz fuer die von da bis zur Schlacht an der Trebia gegen Ende Dezember
(peri cheimerinas tropas Polyb. 3, 72) eingetretenen Ereignisse, namentlich die
Translokation des nach Afrika bestimmten Heeres von Lilybaeon nach Placentia. Es
passt dazu ferner, dass in einer Heerversammlung ypo t/e/n earin/e/n /o/ran
(Polyb. 3, 34), also gegen Ende Maerz, der Tag des Abmarsches bekannt gemacht
ward und der Marsch fuenf (oder nach App. Hisp. 7, 4 sechs) Monate waehrte. Wenn
also Hannibal Anfang September auf dem Bernhard war, so war er, da er von der
Rhone bis dahin 30 Tage gebraucht, an der Rhone Anfang August eingetroffen, wo
denn freilich Scipio, der im Anfang des Sommers (Polyb. 3, 41), also spaetestens
Anfang Juni sich einschiffte unterwegs sich sehr verweilt oder in Massalia in
seltsamer Untaetigkeit laengere Zeit gesessen haben muss.
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Das Ziel war erreicht, aber mit schweren Opfern. Von den 50000 zu Fuss, den
9000 zu Ross dienenden alten Soldaten, welche die Armee nach dem
Pyrenaeenuebergang zaehlte, waren mehr als die Haelfte das Opfer der Gefechte,
der Maersche und der Flussuebergaenge geworden; Hannibal zaehlte nach seiner
eigenen Angabe jetzt nicht mehr als 20000 zu Fuss - davon drei Fuenftel Libyer,
zwei Fuenftel Spanier - und 6000 zum Teil wohl demontierte Reiter, deren
verhaeltnismaessig geringer Verlust nicht minder fuer die Trefflichkeit der
numidischen Kavallerie spricht wie fuer die wohlueberlegte Schonung, mit der der
Feldherr diese ausgesuchte Truppe verwandte. Ein Marsch von 526 Miglien oder
etwa 33 maessigen Tagemaerschen, dessen Fortsetzung und Beendigung durch keinen
besonderen, nicht vorherzusehenden groesseren Unfall gestoert, vielmehr nur
durch unberechenbare Gluecksfaelle und noch unberechenbarere Fehler des Feindes
moeglich ward und der dennoch nicht bloss solche Opfer kostete, sondern die
Armee so strapazierte und demoralisierte, dass sie einer laengeren Rast
bedurfte, um wieder kampffaehig zu werden, ist eine militaerische Operation von
zweifelhaftem Werte, und es darf in Frage gestellt werden, ob Hannibal sie
selber als gelungen betrachtete. Nur duerfen wir daran nicht unbedingt einen
Tadel des Feldherrn knuepfen; wir sehen wohl die Maengel des von ihm befolgten
Operationsplans, koennen aber nicht entscheiden, ob er imstande war, sie
vorherzusehen - fuehrte doch sein Weg durch unbekanntes Barbarenland -, und ob
ein anderer Plan, etwa die Kuestenstrasse einzuschlagen oder in Cartagena oder
Karthago sich einzuschiffen, ihn geringeren Gefahren ausgesetzt haben wuerde.
Die umsichtige und meisterhafte Ausfuehrung des Planes im einzelnen ist auf
jeden Fall bewundernswert, und worauf am Ende alles ankam - sei es nun mehr
durch die Gunst des Schicksals oder sei es mehr durch die Kunst des Feldherrn,
Hamilkars grosser Gedanke, in Italien den Kampf mit Rom aufzunehmen, war jetzt
zur Tat geworden. Sein Geist ist es, der diesen Zug entwarf; und wie Steins und
Scharnhorsts Aufgabe schwieriger und grossartiger war als die von York und
Bluecher, so hat auch der sichere Takt geschichtlicher Erinnerung das letzte
Glied der grossen Kette von vorbereitenden Taten, den Uebergang ueber die Alpen,
stets mit groesserer Bewunderung genannt als die Schlachten am Trasimenischen
See und auf der Ebene von Cannae.
5. Kapitel.
Der Hannibalische Krieg bis zur Schlacht bei Cannae
Durch das Erscheinen der karthagischen Armee diesseits der Alpen war mit
einem Schlag die Lage der Dinge verwandelt und der roemische Kriegsplan
gesprengt. Von den beiden roemischen Hauptarmeen war die eine in Spanien
gelandet und dort schon mit dem Feinde handgemein; sie zurueckzuziehen, war
nicht mehr moeglich. Die zweite, die unter dem Oberbefehl des Konsuls Tiberius
Sempronius nach Afrika bestimmt war, stand gluecklicherweise noch in Sizilien;
die roemische Zauderei bewies sich hier einmal von Nutzen. Von den beiden
karthagischen nach Italien und Sizilien bestimmten Geschwadern war das erste
durch den Sturm zerstreut und einige der Schiffe desselben bei Messana von den
syrakusanischen aufgebracht worden; das zweite hatte vergeblich versucht,
Lilybaeon zu ueberrumpeln und darauf in einem Seegefecht vor diesem Hafen den
kuerzeren gezogen. Doch war das Verweilen der feindlichen Geschwader in den
italischen Gewaessern so unbequem, dass der Konsul beschloss, bevor er nach
Afrika ueberfuhr, die kleinen Inseln um Sizilien zu besetzen und die gegen
Italien operierende karthagische Flotte zu vertreiben. Mit der Eroberung von
Melite und dem Aufsuchen des feindlichen Geschwaders, das er bei den Liparischen
Inseln vermutete, waehrend es bei Vibo (Monteleone) gelandet die brettische
Kueste brandschatzte, endlich mit der Erkundung eines geeigneten Landungsplatzes
an der afrikanischen Kueste war ihm der Sommer vergangen, und so traf der Befehl
des Senats, so schleunig wie moeglich zur Verteidigung der Heimat
zurueckzukehren, Heer und Flotte noch in Lilybaeon.
Waehrend also die beiden grossen, jede fuer sich der Armee Hannibals an
Zahl gleichen roemischen Armeen in weiter Ferne von dem Potal verweilten, war
man hier auf einen Angriff schlechterdings nicht gefasst. Zwar stand dort ein
roemisches Heer infolge der unter den Kelten schon vor Ankunft der karthagischen
Armee ausgebrochenen Insurrektion. Die Gruendung der beiden roemischen
Zwingburgen Placentia und Cremona, von denen jede 6000 Kolonisten erhielt, und
namentlich die Vorbereitungen zur Gruendung von Mutina im boischen Lande hatten
schon im Fruehling 536 (218), vor der mit Hannibal verabredeten Zeit, die Boier
zum Aufstand getrieben, dem sich die Insubrer sofort anschlossen. Die schon auf
dem mutinensischen Gebiet angesiedelten Kolonisten, ploetzlich ueberfallen,
fluechteten sich in die Stadt. Der Praetor Lucius Manlius, der in Ariminum den
Oberbefehl fuehrte, eilte schleunig mit seiner einzigen Legion herbei, um die
blockierten Kolonisten zu entsetzen; allein in den Waeldern ueberrascht, blieb
ihm nach starkem Verlust nichts anderes uebrig, als sich auf einem Huegel
festzusetzen und hiervon den Boiern sich gleichfalls belagern zu lassen, bis
eine zweite von Rom gesandte Legion unter dem Praetor Lucius Atilius Heer und
Stadt gluecklich befreite und den gallischen Aufstand fuer den Augenblick
daempfte. Dieser voreilige Aufstand der Boier, der einerseits, insofern er
Scipios Abfahrt nach Spanien verzoegerte, Hannibals Plan wesentlich gefoerdert
hatte, war anderseits die Ursache, dass er das Potal nicht bis auf die Festungen
voellig unbesetzt fand. Allein das roemische Korps, dessen zwei stark dezimierte
Legionen keine 20000 Soldaten zaehlten, hatte genug zu tun, die Kelten im Zaum
zu halten, und dachte nicht daran, die Alpenpaesse zu besetzen, deren Bedrohung
man auch in Rom erst erfuhr, als im August der Konsul Publius Scipio ohne sein
Heer von Massalia nach Italien zurueckkam, und vielleicht selbst damals wenig
beachtete, da ja das tollkuehne Beginnen allein an den Alpen scheitern werde.
Also stand in der entscheidenden Stunde an dem entscheidenden Platz nicht einmal
ein roemischer Vorposten; Hannibal hatte volle Zeit, sein Heer auszuruhen, die
Hauptstadt der Tauriner, die ihm die Tore verschloss, nach dreitaegiger
Belagerung zu erstuermen und alle ligurischen und keltischen Gemeinden im oberen
Potal zum Buendnis zu bewegen oder zu schrecken, bevor Scipio, der das Kommando
im Potal uebernommen hatte, ihm in den Weg trat. Dieser, dem die schwierige
Aufgabe zufiel, mit einem bedeutend geringeren, namentlich an Reiterei sehr
schwachen Heer das Vordringen der ueberlegenen feindlichen Armee auf- und die
ueberall sich regende keltische Insurrektion niederzuhalten, war, vermutlich bei
Placentia, ueber den Po gegangen und rueckte an diesem hinauf dem Feind
entgegen, waehrend Hannibal nach der Einnahme von Turin flussabwaerts
marschierte, um den Insubrern und Boiern Luft zu machen. In der Ebene zwischen
dem Ticino und der Sesia unweit Vercellae traf die roemische Reiterei, die mit
dem leichten Fussvolk zu einer forcierten Rekognoszierung vorgegangen war, auf
die zu gleichem Zwecke ausgesendete phoenikische, beide gefuehrt von den
Feldherren in Person. Scipio nahm das angebotene Gefecht trotz der
Ueberlegenheit des Feindes an; allein sein leichtes Fussvolk, das vor der Front
der Reiter aufgestellt war, riss vor dem Stoss der feindlichen schweren Reiterei
aus und waehrend diese von vorn die roemischen Reitermassen engagierte, nahm die
leichte numidische Kavallerie, nachdem sie die zersprengten Scharen des
feindlichen Fussvolks beiseite gedraengt hatte, die roemischen Reiter in die
Flanken und den Ruecken. Dies entschied das Gefecht. Der Verlust der Roemer war
sehr betraechtlich; der Konsul selbst, der als Soldat gutmachte, was er als
Feldherr gefehlt hatte, empfing eine gefaehrliche Wunde und verdankte seine
Rettung nur der Hingebung seines siebzehnjaehrigen Sohnes, der mutig in die
Feinde hineinsprengend seine Schwadron zwang, ihm zu folgen und den Vater
heraushieb. Scipio, durch dies Gefecht aufgeklaert ueber die Staerke des
Feindes, begriff den Fehler, den er gemacht hatte, mit einer schwaecheren Armee
sich in der Ebene mit dem Ruecken gegen den Fluss aufzustellen und entschloss
sich, unter den Augen des Gegners auf das rechte Poufer zurueckzukehren. Wie die
Operationen sich auf einen engeren Raum zusammenzogen und die Illusionen der
roemischen Unwiderstehlichkeit von ihm wichen, fand er sein bedeutendes
militaerisches Talent wieder, das der bis zur Abenteuerlichkeit verwegene Plan
seines jugendlichen Gegners auf einen Augenblick paralysiert hatte. Waehrend
Hannibal sich zur Feldschlacht bereit machte, gelangte Scipio durch einen rasch
entworfenen und sicher ausgefuehrten Marsch gluecklich auf das zur Unzeit
verlassene rechte Ufer des Flusses und brach die Pobruecke hinter dem Heere ab,
wobei freilich das mit der Deckung des Abbruchs beauftragte roemische
Detachement von 600 Mann abgeschnitten und gefangen wurde. Indes konnte, da der
obere Lauf des Flusses in Hannibals Haenden war, es diesem nicht verwehrt
werden, dass er stromaufwaerts marschierend auf einer Schiffbruecke uebersetzte
und in wenigen Tagen auf dem rechten Ufer dem roemischen Heere gegenuebertrat.
Dies hatte in der Ebene vorwaerts von Placentia Stellung genommen; allein die
Meuterei einer keltischen Abteilung im roemischen Lager und die ringsum aufs
neue ausbrechende gallische Insurrektion zwang den Konsul, die Ebene zu raeumen
und sich auf den Huegeln hinter der Trebia festzusetzen, was ohne namhaften
Verlust bewerkstelligt ward, da die nachsetzenden numidischen Reiter mit dem
Pluendern und Anzuenden des verlassenen Lagers die Zeit verdarben. In dieser
starken Stellung, den linken Fluegel gelehnt an den Apennin, den rechten an den
Po und die Festung Placentia, von vorn gedeckt durch die in dieser Jahreszeit
nicht unbedeutende Trebia, vermochte er zwar die reichen Magazine von Clastidium
(Casteggio), von dem ihn in dieser Stellung die feindliche Armee abschnitt,
nicht zu retten und die insurrektionelle Bewegung fast aller gallischen Kantone
mit Ausnahme der roemisch gesinnten Cenomanen nicht abzuwenden. Aber Hannibals
Weitermarsch war voellig gehemmt und derselbe genoetigt, sein Lager dem
roemischen gegenueber zu schlagen; ferner hinderte die von Scipio genommene
Stellung sowie die Bedrohung der insubrischen Grenzen durch die Cenomanen die
Hauptmasse der gallischen Insurgenten, sich unmittelbar dem Feinde
anzuschliessen, und gab dem zweiten roemischen Heer, das mittlerweile von
Lilybaeon in Ariminum eingetroffen war, Gelegenheit, mitten durch das
insurgierte Land ohne wesentliche Hinderung Placentia zu erreichen und mit der
Poarmee sich zu vereinigen. Scipio hatte also seine schwierige Aufgabe
vollstaendig und glaenzend geloest. Das roemische Heer, jetzt nahe an 40000 Mann
stark und dem Gegner wenn auch an Reiterei nicht gewachsen, doch an Fussvolk
wenigstens gleich, brauchte bloss da stehen zu bleiben, wo es stand, um den
Feind entweder zu noetigen, in der winterlichen Jahreszeit den Flussuebergang
und den Angriff auf das roemische Lager zu versuchen oder sein Vorruecken
einzustellen und den Wankelmut der Gallier durch die laestigen Winterquartiere
auf die Probe zu setzen. Indes so einleuchtend dies war, so war es nicht minder
unzweifelhaft, dass man schon im Dezember stand und bei jenem Verfahren zwar
vielleicht Rom den Sieg gewann, aber nicht der Konsul Tiberius Sempronius, der
infolge von Scipios Verwundung den Oberbefehl allein fuehrte und dessen Amtsjahr
in wenigen Monaten ablief. Hannibal kannte den Mann und versaeumte nichts, ihn
zum Kampf zu reizen; die den Roemern treugebliebenen keltischen Doerfer wurden
grausam verheert und als darueber ein Reitergefecht sich entspann, gestattete
Hannibal den Gegnern, sich des Sieges zu ruehmen. Bald darauf, an einem rauhen
regnerischen Tage, kam es, den Roemern unvermutet, zu der Hauptschlacht. Vom
fruehesten Morgen an hatten die roemischen leichten Truppen herumgeplaenkelt mit
der leichten Reiterei der Feinde; diese wich langsam, und hitzig eilten die
Roemer ihr nach durch die hochangeschwollene Trebia, den errungenen Vorteil zu
verfolgen. Ploetzlich standen die Reiter; die roemische Vorhut fand sich auf dem
von Hannibal gewaehlten Schlachtfeld seiner zur Schlacht geordneten Armee
gegenueber - sie war verloren, wenn nicht das Gros der Armee schleunigst ueber
den Bach folgte. Hungrig, ermuedet und durchnaesst kamen die Roemer an und
eilten sich, in Reihe und Glied zu stellen; die Reiter wie immer auf den
Fluegeln, das Fussvolk im Mitteltreffen. Die leichten Truppen, die auf beiden
Seiten die Vorhut bildeten, begannen das Gefecht; allein die roemischen hatten
fast schon gegen die Reiterei sich verschossen und wichen sofort, ebenso auf den
Fluegeln die Reiterei, welche die Elefanten von vorn bedraengten und die weit
zahlreicheren karthagischen Reiter links und rechts ueberfluegelten. Aber das
roemische Fussvolk bewies sich seines Namens wert; es focht zu Anfang der
Schlacht mit der entschiedensten Ueberlegenheit gegen die feindliche Infanterie,
und selbst als die Zurueckdraengung der roemischen Reiter der feindlichen
Kavallerie und den Leichtbewaffneten gestattete, ihre Angriffe gegen das
roemische Fussvolk zu kehren, stand dasselbe zwar vom Vordringen ab, aber zum
Weichen war es nicht zu bringen. Da ploetzlich erschien eine auserlesene
karthagische Schar, 1000 Mann zu Fuss und ebensoviele zu Pferd unter der
Fuehrung von Mago, Hannibals juengstem Bruder, aus einem Hinterhalt in dem
Ruecken der roemischen Armee und hieb ein in die dicht verwickelten Massen. Die
Fluegel der Armee und die letzten Glieder des roemischen Zentrums wurden durch
diesen Angriff aufgeloest und zersprengt. Das erste Treffen, 10000 Mann stark,
durchbrach, sich eng zusammenschliessend, die karthagische Linie und bahnte
mitten durch die Feinde sich seitwaerts einen Ausweg, der der feindlichen
Infanterie, namentlich den gallischen Insurgenten teuer zu stehen kam; diese
tapfere Truppe gelangte also, nur schwach verfolgt, nach Placentia. Die uebrige
Masse ward zum groessten Teil bei dem Versuch, den Fluss zu ueberschreiten, von
den Elefanten und den leichten Truppen des Feindes niedergemacht; nur ein Teil
der Reiterei und einige Abteilungen des Fussvolks vermochten den Fluss
durchwatend das Lager zu gewinnen, wohin ihnen die Karthager nicht folgten, und
erreichten von da gleichfalls Placentia ^1. Wenige Schlachten machen dem
roemischen Soldaten mehr Ehre als diese an der Trebia und wenige zugleich sind
eine schwerere Anklage gegen den Feldherrn, der sie schlug; obwohl der billig
Urteilende nicht vergessen wird, dass die an einem bestimmten Tage ablaufende
Feldhauptmannschaft eine unmilitaerische Institution war und von Dornen sich
einmal keine Feigen ernten lassen. Auch den Siegern kam der Sieg teuer zu
stehen. Wenngleich der Verlust im Kampfe hauptsaechlich auf die keltischen
Insurgenten gefallen war, so erlagen doch nachher den infolge des rauhen und
nassen Wintertages entstandenen Krankheiten eine Menge von Hannibals alten
Soldaten und saemtliche Elefanten bis auf einen einzigen.
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^1 Polybios' Bericht ueber die Schlacht an der Trebia ist vollkommen klar.
Wenn Placentia auf dem rechten Ufer der Trebia an deren Muendung in den Po lag,
und wenn die Schlacht auf dem linken Ufer geliefert ward, waehrend das roemische
Lager auf dem rechten geschlagen war - was beides wohl bestritten worden, aber
nichtsdestoweniger unbestreitbar ist -, so mussten allerdings die roemischen
Soldaten, ebensogut um Placentia wie um das Lager zu gewinnen, die Trebia
passieren. Allein bei dem Uebergang in das Lager haetten sie durch die
aufgeloesten Teile der eigenen Armee und durch das feindliche Umgehungskorps
sich den Weg bahnen und dann fast im Handgemenge mit dem Feinde den Fluss
ueberschreiten muessen. Dagegen ward der Uebergang bei Placentia bewerkstelligt,
nachdem die Verfolgung nachgelassen hatte, das Korps mehrere Meilen vom
Schlachtfeld entfernt und im Bereiche einer roemischen Festung angelangt war; es
kann sogar sein, obwohl es sich nicht beweisen laesst, dass hier eine Bruecke
ueber die Trebia fuehrte und der Brueckenkopf am anderen Ufer von der
placentinischen Garnison besetzt war. Es ist einleuchtend, dass die erste
Passage ebenso schwierig wie die zweite leicht war und Polybios also, Militaer
wie er war, mit gutem Grunde von dem Korps der Zehntausend bloss sagt, dass es
in geschlossenen Kolonnen nach Placentia sich durchschlug (3, 74, 6), ohne des
hier gleichgueltigen Uebergangs ueber den Fluss zu gedenken.
Die Verkehrtheit der Livianischen Darstellung, welche das phoenikische
Lager auf das rechte, das roemische auf das linke Ufer der Trebia verlegt, ist
neuerdings mehrfach hervorgehoben worden. Es mag nur noch daran erinnert werden,
dass die Lage von Clastidium bei dem heutigen Casteggio jetzt durch Inschriften
festgestellt ist (Orelli-Henzen 5117).
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Die Folge dieses ersten Sieges der Invasionsarmee war, dass die nationale
Insurrektion sich nun im ganzen Kettenland ungestoert erhob und organisierte.
Die Ueberreste der roemische Poarmee warfen sich in die Festungen Placentia und
Cremona; vollstaendig abgeschnitten von der Heimat, mussten sie ihre Zufuhren
auf dem Fluss zu Wasser beziehen. Nur wie durch ein Wunder entging der Konsul
Tiberius Sempronius der Gefangenschaft, als er mit einem schwachen Reitertrupp
der Wahlen wegen nach Rom ging. Hannibal, der nicht durch weitere Maersche in
der rauben Jahreszeit die Gesundheit seiner Truppen aufs Spiel setzen wollte,
bezog, wo er war, das Winterbiwak und begnuegte sich, da ein ernstlicher Versuch
auf die groesseren Festungen zu nichts gefuehrt haben wuerde, durch Angriffe auf
den Flusshafen von Placentia und andere kleinere roemische Positionen den Feind
zu necken. Hauptsaechlich beschaeftigte er sich damit, den gallischen Aufstand
zu organisieren; ueber 60000 Fusssoldaten und 4000 Berittene sollen von den
Kelten sich seinem Heer angeschlossen haben.
Fuer den Feldzug des Jahres 537 (217) wurden in Rom keine
ausserordentlichen Anstrengungen gemacht; der Senat betrachtete, und nicht mit
Unrecht, trotz der verlorenen Schlacht die Lage noch keineswegs als ernstlich
gefahrvoll. Ausser den Kuestenbesatzungen, die nach Sardinien, Sizilien und
Tarent, und den Verstaerkungen, die nach Spanien abgingen, erhielten die beiden
neuen Konsuln Gaius Flaminius und Gnaeus Servilius nur soviel Mannschaft, als
noetig war, um die vier Legionen wieder vollzaehlig zu machen; einzig die
Reiterei wurde verstaerkt. Sie sollten die Nordgrenze decken und stellten sich
deshalb an den beiden Kunststrassen auf, die von Rom nach Norden fuehrten, und
von denen die westliche damals bei Arretium, die oestliche bei Ariminum endigte;
jene besetzte Gaius Flaminius, diese Gnaeus Servilius. Hier zogen sie die
Truppen aus den Pofestungen, wahrscheinlich zu Wasser, wieder an sich und
erwarteten den Beginn der besseren Jahreszeit, um in der Defensive die
Apenninpaesse zu besetzen und, zur Offensive uebergehend, in das Potal
hinabzusteigen und etwa bei Placentia sich die Hand zu reichen. Allein Hannibal
hatte keineswegs die Absicht, das Potal zu verteidigen. Er kannte Rom besser
vielleicht, als die Roemer selbst es kannten, und wusste sehr genau, wie
entschieden er der Schwaechere war und es blieb trotz der glaenzenden Schlacht
an der Trebia; er wusste auch, dass sein letztes Ziel, die Demuetigung Roms, von
dem zaehen roemischen Trotz weder durch Schreck noch durch Ueberraschung zu
erreichen sei, sondern nur durch die tatsaechliche Ueberwaeltigung der stolzen
Stadt. Es lag klar am Tage, wie unendlich ihm, dem von daheim nur unsichere und
unregelmaessige Unterstuetzung zukam und der in Italien zunaechst nur auf das
schwankende und latinische Kelterwolk sich zu lehnen vermochte, die italische
Eidgenossenschaft an politischer Festigkeit und an militaerischen Hilfsmitteln
ueberlegen war; und wie tief trotz aller angewandten Muehe der phoenikische
Fusssoldat unter dem Legionaer taktisch stand, hatte die Defensive Scipios und
der glaenzende Rueckzug der geschlagenen Infanterie an der Trebia vollkommen
erwiesen. Aus dieser Einsicht flossen die beiden Grundgedanken, die Hannibals
ganze Handlungsweise in Italien bestimmt haben: den Krieg mit stetem Wechsel des
Operationsplans und des Schauplatzes, gewissermassen abenteuernd zu fuehren, die
Beendigung desselben aber nicht von den militaerischen Erfolgen, sondern von den
politischen, von der allmaehlichen Lockerung und der endlichen Sprengung der
italischen Eidgenossenschaft zu erwarten. Jene Fuehrung war notwendig, weil das
einzige, was Hannibal gegen so viele Nachteile in die Waagschale zu werfen
hatte, sein militaerisches Genie nur dann vollstaendig ins Gewicht fiel, wenn er
seine Gegner stets durch unvermutete Kombinationen deroutierte, und er verloren
war, sowie der Krieg zum Stehen kam. Dieses Ziel war das von der richtigen
Politik ihm gebotene, weil er, der gewaltige Schlachtensieger, sehr deutlich
einsah, dass er jedesmal die Generale ueberwand und nicht die Stadt, und nach
jeder neuen Schlacht die Roemer den Karthagern ebenso ueberlegen blieben, wie er
den roemischen Feldherren. Dass Hannibal selbst auf dem Gipfel des Gluecks sich
nie hierueber getaeuscht hat, ist bewunderungswuerdiger als seine bewundertsten
Schlachten.
Dies und nicht die Bitten der Gallier um Schonung ihres Landes, die ihn
nicht bestimmen durften, ist auch die Ursache, warum Hannibal seine neugewonnene
Operationsbasis gegen Italien jetzt gleichsam fallen liess und den
Kriegsschauplatz nach Italien selbst verlegte. Vorher hiess er alle Gefangenen
sich vorfuehren. Die Roemer liess er aussondern und mit Sklavenfesseln belasten
- dass Hannibal alle waffenfaehigen Roemer, die ihm hier und sonst in die Haende
fielen, habe niedermachen lassen, ist ohne Zweifel mindestens stark
uebertrieben; dagegen wurden die saemtlichen italischen Bundesgenossen ohne
Loesegeld entlassen, um daheim zu berichten, dass Hannibal nicht gegen Italien
Krieg fuehre, sondern gegen Rom; dass er jeder italischen Gemeinde die alte
Unabhaengigkeit und die alten Grenzen wieder zusichere und dass den Befreiten
der Befreier auf dem Fusse folge als Retter und als Raecher. In der Tat bracher,
da der Winter zu Ende ging, aus dem Potal auf, um sich einen Weg durch die
schwierigen Defileen des Apennin zu suchen. Gaius Flaminius mit der etruskischen
Armee stand vorlaeufig noch bei Arezzo, um von hier aus zur Deckung des
Arnotales und der Apenninpaesse etwa nach Lucca abzuruecken, sowie es die
Jahreszeit erlaubte. Allein Hannibal kam ihm zuvor. Der Apenninuebergang ward in
moeglichst westlicher Richtung, das heisst moeglichst weit vom Feinde, ohne
grosse Schwierigkeit bewerkstelligt; allein die sumpfigen Niederungen zwischen
dem Serchio und dem Arno waren durch die Schneeschmelze und die Fruehlingsregen
so ueberstaut, dass die Armee vier Tage im Wasser zu marschieren hatte, ohne
auch nur zur naechtlichen Rast einen anderen trockenen Platz zu finden, als den
das zusammengehaeufte Gepaeck und die gefallenen Saumtiere darboten. Die Truppen
litten unsaeglich, namentlich das gallische Fussvolk, das hinter dem
karthagischen in den schon grundlosen Wegen marschierte; es murrte laut und
waere ohne Zweifel in Masse ausgerissen, wenn nicht die karthagische Reiterei
unter Mago, die den Zug beschloss, ihm die Flucht unmoeglich gemacht haette. Die
Pferde, unter denen die Klauenseuche ausbrach, fielen haufenweise; andere
Seuchen dezimierten die Soldaten; Hannibal selbst verlor infolge einer
Entzuendung das eine Auge. Indes das Ziel ward erreicht; Hannibal lagerte bei
Fiesole, waehrend Gaius Flaminius noch bei Arezzo abwartete, dass die Wege
gangbar wuerden, um sie zu sperren. Nachdem die roemische Defensivstellung somit
umgangen war, konnte der Konsul, der vielleicht stark genug gewesen waere, um
die Bergpaesse zu verteidigen, aber sicher nicht imstande war, Hannibal jetzt im
offenen Felde zu stehen, nichts Besseres tun als warten, bis das zweite, nun bei
Ariminum voellig ueberfluessig gewordene Heer herankam. Indes er selber urteilte
anders. Er war ein politischer Parteifuehrer, durch seine Bemuehungen, die Macht
des Senats zu beschraenken, in die Hoehe gekommen, durch die gegen ihn waehrend
seiner Konsulate gesponnenen aristokratischen Intrigen auf die Regierung
erbittert, durch die wohl gerechtfertigte Opposition gegen deren parteilichen
Schlendrian fortgerissen zu trotziger Ueberhebung ueber Herkommen und Sitte,
berauscht zugleich von der blinden Liebe des gemeinen Mannes und ebenso sehr von
dem bitteren Hass der Herrenpartei, und ueber alles dies mit der fixen Idee
behaftet, dass er ein militaerisches Genie sei. Sein Feldzug gegen die Insubrer
von 531 (223), der fuer unbefangene Urteiler nur bewies, dass tuechtige Soldaten
oefters gutmachen, was schlechte Generale verderben, galt ihm und seinen
Anhaengern als der unumstoessliche Beweis, dass man nur den Gaius Flaminius an
die Spitze des Heeres zu stellen brauche, um dem Hannibal ein schnelles Ende zu
bereiten. Solche Reden hatten ihm das zweite Konsulat verschafft, und solche
Hoffnungen hatten jetzt eine derartige Menge von unbewaffneten Beutelustigen in
sein Lager gefuehrt, dass deren Zahl nach der Versicherung nuechterner
Geschichtschreiber die der Legionarier ueberstieg. Zum Teil hierauf gruendete
Hannibal seinen Plan. Weit entfernt, ihn anzugreifen, marschierte er an ihm
vorbei und liess durch die Kelten, die das Pluendern gruendlich verstanden, und
die zahlreiche Reiterei die Landschaft rings umher brandschatzen. Die Klagen und
die Erbitterung der Menge, die sich musste auspluendern lassen unter den Augen
des Helden, der sie zu bereichern versprochen; das Bezeigen des Feindes, dass er
ihm weder die Macht noch den Entschluss zutraue, vor der Ankunft seines Kollegen
etwas zu unternehmen, mussten einen solchen Mann bestimmen, sein strategisches
Genie zu entwickeln und dem unbesonnenen hochmuetigen Feind eine derbe Lektion
zu erteilen. Nie ist ein Plan vollstaendiger gelungen. Eilig folgte der Konsul
dem Marsch des Feindes, der an Arezzo vorueber langsam durch das reiche
Chianatal gegen Perugia zog; er erreichte ihn in der Gegend von Cortona, wo
Hannibal, genau unterrichtet von dem Marsch seines Gegners, volle Zeit gehabt
hatte, sein Schlachtfeld zu waehlen, ein enges Defilee zwischen zwei steilen
Bergwaenden, das am Ausgang ein hoher Huegel, am Eingang der Trasimenische See
schloss. Mit dem Kern seiner Infanterie verlegte er den Ausweg; die leichten
Truppen und die Reiterei stellten zu beiden Seiten verdeckt sich auf.
Unbedenklich rueckten die roemischen Kolonnen in den unbesetzten Pass; der
dichte Morgennebel verbarg ihnen die Stellung des Feindes. Wie die Spitze des
roemischen Zuges sich dein Huegel naeherte, gab Hannibal das Zeichen zur
Schlacht; zugleich schloss die Reiterei, hinter den Huegeln vorrueckend, den
Eingang des Passes und auf den Raendern rechts und links zeigten die
verziehenden Nebel ueberall phoenikische Waffen. Es war kein Treffen, sondern
nur eine Niederlage. Was ausserhalb des Defilees geblieben war, wurde von den
Reitern in den See gesprengt, der Hauptzug in dem Passe selbst fast ohne
Gegenwehr vernichtet und die meisten, darunter der Konsul selbst, in der
Marschordnung niedergehauen. Die Spitze der roemischen Heersaeule, 6000 Mann zu
Fuss schlugen sich zwar durch das feindliche Fussvolk durch und bewiesen
wiederum die unwiderstehliche Gewalt der Legionen; allein abgeschnitten und ohne
Kunde von dem uebrigen Heer, marschierten sie aufs Geratewohl weiter, wurden am
folgenden Tag auf einem Huegel, den sie besetzt hatten, von einem karthagischen
Reiterkorps umzingelt und da die Kapitulation, die ihnen freien Abzug versprach,
von Hannibal verworfen ward, saemtlich als kriegsgefangen behandelt. 15000
Roemer waren gefallen, ebenso viele gefangen, das heisst das Heer war
vernichtet; der geringe karthagische Verlust - 1500 Mann - traf wieder
vorwiegend die Gallier ^2. Und als waere dies nicht genug, so ward gleich nach
der Schlacht am Trasimenischen See die Reiterei des ariminensischen Heeres unter
Gaius Centenius, 4000 Mann stark, die Gnaeus Servilius, selber langsam
nachrueckend, vorlaeufig seinem Kollegen zu Hilfe sandte, gleichfalls von dem
phoenikischen Heer umzingelt und teils niedergemacht, teils gefangen. Ganz
Etrurien war verloren und ungehindert konnte Hannibal auf Rom marschieren. Dort
machte man sich auf das Aeusserste gefasst; man brach die Tiberbruecken ab und
ernannte den Quintus Fabius Maximus zum Diktator, um die Mauern instand zu
setzen und die Verteidigung zu leiten, fuer welche ein Reserveheer gebildet
ward. Zugleich wurden zwei neue Legionen anstatt der vernichteten unter die
Waffen gerufen und die Flotte, die im Fall einer Belagerung wichtig werden
konnte, instand gesetzt.
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^2 Das Datum der Schlacht, 23. Juni nach dem unberichtigten Kalender, muss
nach dem berichtigten etwa in den April fallen, da Quintus Fabius seine Diktatur
nach sechs Monaten in der Mitte des Herbstes (Liv. 22, 31, 7; 32, 1)
niederlegte, also sie etwa Anfang Mai antrat. Die Kalenderverwirrung war schon
in dieser Zeit in Rom sehr arg.
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Allein Hannibal sah weiter als Koenig Pyrrhos. Er marschierte nicht auf
Rom; auch nicht gegen Gnaeus Servilius, der, ein tuechtiger Feldherr, seine
Armee mit Hilfe der Festungen an der Nordstrasse auch jetzt unversehrt erhalten
und vielleicht den Gegner sich gegenueber festgehalten haben wuerde. Es geschah
wieder einmal etwas ganz Unerwartetes. An der Festung Spoletium vorbei, deren
Ueberrumpelung fehlschlug, marschierte Hannibal durch Umbrien, verheerte
entsetzlich das ganz mit roemischen Bauernhoefen bedeckte picenische Gebiet und
machte Halt an den Ufern des Adriatischen Meeres. Menschen und Pferde in seinem
Heer hatten noch die Nachwehen der Fruehlingskampagne nicht verwunden; hier
hielt er eine laengere Rast, um in der anmutigen Gegend und der schoenen
Jahreszeit sein Heer sich erholen zu lassen und sein libysches Fussvolk in
roemischer Weise zu reorganisieren, wozu die Masse der erbeuteten roemischen
Waffen ihm die Mittel darbot. Von hier aus knuepfte er ferner die lange
unterbrochenen Verbindungen mit der Heimat wieder an, indem er zu Wasser seine
Siegesbotschaften nach Karthago sandte. Endlich, als sein Heer hinreichend sich
wiederhergestellt hatte und der neue Waffendienst genugsam geuebt war, brach er
auf und marschierte langsam an der Kueste hinab in das suedliche Italien hinein.
Er hatte richtig gerechnet, als er zu dieser Umgestaltung der Infanterie
sich jetzt entschloss; die Ueberraschung der bestaendig eines Angriffs auf die
Hauptstadt gewaertigen Gegner liess ihm mindestens vier Wochen ungestoerter
Musse zur Verwirklichung des beispiellos verwegenen Experiments, im Herzen des
feindlichen Landes mit einer noch immer verhaeltnismaessig geringen Armee sein
militaerisches System vollstaendig zu aendern und den Versuch zu machen, den
unbesiegbaren italischen afrikanische Legionen gegenueberzustellen. Allein seine
Hoffnung, dass die Eidgenossenschaft nun anfangen werde, sich zu lockern,
erfuellte sich nicht. Auf die Etrusker, die schon ihre letzten
Unabhaengigkeitskriege vorzugsweise mit gallischen Soeldnern gefuehrt hatten,
kam es hierbei am wenigsten an; der Kern der Eidgenossenschaft, namentlich in
militaerischer Hinsicht, waren naechst den latinischen die sabellischen
Gemeinden, und mit gutem Grund hatte Hannibal jetzt diesen sich genaehert.
Allein eine Stadt nach der andern schloss ihre Tore; nicht eine einzige
italische Gemeinde machte Buendnis mit dem Phoeniker. Damit war fuer die Roemer
viel, ja alles gewonnen; indes man begriff in der Hauptstadt, wie unvorsichtig
es sein wuerde, die Treue der Bundesgenossen auf eine solche Probe zu stellen,
ohne dass ein roemisches Heer das Feld hielt. Der Diktator Quintus Fabius zog
die beiden in Rom gebildeten Ersatzlegionen und das Heer von Ariminum zusammen,
und als Hannibal an der roemischen Festung Luceria vorbei gegen Arpi
marschierte, zeigten sich in seiner rechten Flanke bei Aeca die roemischen
Feldzeichen. Ihr Fuehrer indes verfuhr anders als seine Vorgaenger. Quintus
Fabius war ein hochbejahrter Mann, von einer Bedachtsamkeit und Festigkeit, die
nicht wenigen als Zauderei und Eigensinn erschien; ein eifriger Verehrer der
guten alten Zeit, der politischen Allmacht des Senats und des
Buergermeisterkommandos erwartete er das Heil des Staates naechst Opfern und
Gebeten von der methodischen Kriegfuehrung. Politischer Gegner des Gaius
Flaminius und durch die Reaktion gegen dessen toerichte Kriegsdemagogie an die
Spitze der Geschaefte gerufen, ging er ins Lager ab, ebenso fest entschlossen,
um jeden Preis eine Hauptschlacht zu vermeiden, wie sein Vorgaenger, um jeden
Preis eine solche zu liefern, und ohne Zweifel ueberzeugt, dass die ersten
Elemente der Strategik Hannibal verbieten wuerden vorzuruecken, solange das
roemische Heer intakt ihm gegenueberstehe, und dass es also nicht schwer halten
werde, die auf das Fouragieren angewiesene feindliche Armee im kleinen Gefecht
zu schwaechen und allmaehlich auszuhungern. Hannibal, wohlbedient von seinen
Spionen in Rom und im roemischen Heer, erfuhr den Stand der Dinge sofort und
richtete wie immer seinen Feldzugsplan ein nach der Individualitaet des
feindlichen Anfuehrers. An dem roemischen Heer vorbei marschierte er ueber den
Apennin in das Herz von Italien nach Benevent, nahm die offene Stadt Telesia an
der Grenze von Samnium und Kampanien und wandte sich von da gegen Capua, das als
die bedeutendste unter allen von Rom abhaengigen italischen Staedten und die
einzige Rom einigermassen ebenbuertige darum den Druck des roemischen Regiments
schwerer als irgendeine andere empfand. Er hatte dort Verbindungen angeknuepft,
die den Abfall der Kampaner vom roemischen Buendnis hoffen liessen: allein diese
Hoffnung schlug ihm fehl. So wieder rueckwaerts sich wendend schlug er die
Strasse nach Apulien ein. Der Diktator war waehrend dieses ganzen Zuges der
karthagischen Armee auf die Hoehen gefolgt und hatte seine Soldaten zu der
traurigen Rolle verurteilt, mit den Waffen in der Hand zuzusehen, wie die
numidischen Reiter weit und breit die treuen Bundesgenossen pluenderten und in
der ganzen Ebene die Doerfer in Flammen aufgingen. Endlich eroeffnete er der
erbitterten roemischen Armee die sehnlich herbeigewuenschte Gelegenheit, an den
Feind zu kommen. Wie Hannibal den Rueckmarsch angetreten, sperrte ihm Fabius den
Weg bei Casilinum (dem heutigen Capua), indem er auf dem linken Ufer des
Volturnus diese Stadt stark besetzte und auf dem rechten die kroenenden Hoehen
mit seiner Hauptarmee einnahm, waehrend eine Abteilung von 4000 Mann auf der am
Fluss hinfuehrenden Strasse selbst sich lagerte. Allein Hannibal hiess seine
Leichtbewaffneten die Anhoehen, die unmittelbar neben der Strasse sich erhoben,
erklimmen und von hier aus eine Anzahl Ochsen mit angezuendeten Reisbuendeln auf
den Hoernern vortreiben, so dass es schien, als zoege dort die karthagische
Armee in naechtlicher Weile bei Fackelschein ab. Die roemische Abteilung, die
die Strasse sperrte, sich umgangen und die fernere Deckung der Strasse
ueberfluessig waehnend, zog sich seitwaerts auf dieselben Anhoehen; auf der
dadurch freigewordenen Strasse zog Hannibal dann mit dem Gros seiner Armee ab,
ohne dem Feind zu begegnen, worauf er am anderen Morgen ohne Muehe und mit
starkem Verlust fuer die Roemer seine leichten Truppen degagierte und
zuruecknahm. Ungehindert setzte Hannibal darauf seinen Marsch in nordoestlicher
Richtung fort und kam auf weiten Umwegen, nachdem er die Landschaften der
Hirpiner, Kampaner, Samniten, Paeligner und Frentaner ohne Widerstand durchzogen
und gebrandschatzt hatte, mit reicher Beute und voller Kasse wieder in der
Gegend von Luceria an, als dort eben die Ernte beginnen sollte. Nirgend auf dem
weiten Marsch hatte er taetigen Widerstand, aber nirgend auch Bundesgenossen
gefunden. Wohl erkennend, dass ihm nichts uebrig blieb, als sich auf
Winterquartiere im offenen Felde einzurichten, begann er die schwierige
Operation, den Winterbedarf des Heeres durch dieses selbst von den Feldern der
Feinde einbringen zu lassen. Die weite, groesstenteils flache nordapulische
Landschaft, die Getreide und Futter im Ueberfluss darbot und von seiner
ueberlegenen Reiterei gaenzlich beherrscht werden konnte, hatte er hierzu sich
ausersehen. Bei Gerunium, fuenf deutsche Meilen noerdlich von Luceria, ward ein
verschanztes Lager angelegt, aus dem zwei Drittel des Heeres taeglich zum
Einbringen der Vorraete ausgesendet wurden, waehrend Hannibal mit dem Rest
Stellung nahm, um das Lager und die ausgesendeten Detachements zu decken. Der
Reiterfuehrer Marcus Minucius, der im roemischen Lager in Abwesenheit des
Diktators den Oberbefehl stellvertretend fuehrte, hielt die Gelegenheit
geeignet, um naeher an den Feind heranzuruecken und bezog ein Lager im
larinatischen Gebiet, wo er auch teils durch seine blosse Anwesenheit die
Detachierungen und dadurch die Verproviantierung des feindlichen Heeres
hinderte, teils in einer Reihe gluecklicher Gefechte, die seine Truppen gegen
einzelne phoenikische Abteilungen und sogar gegen Hannibal selbst bestanden, die
Feinde aus ihren vorgeschobenen Stellungen verdraengte und sie noetigte, sich
bei Gerunium zu konzentrieren. Auf die Nachricht von diesen Erfolgen, die
begreiflich bei der Darstellung nicht verloren, brach in der Hauptstadt der
Sturm gegen Quintus Fabius los. Er war nicht ganz ungerechtfertigt. So weise es
war, sich roemischerseits verteidigend zu verhalten und den Haupterfolg von dem
Abschneiden der Subsistenzmittel des Feindes zu erwarten, so war es doch ein
seltsames Verteidigungs- und Aushungerungssystem, das dem Feind gestattete,
unter den Augen einer an Zahl gleichen roemischen Armee ganz Mittelitalien
ungehindert zu verwuesten und durch eine geordnete Fouragierung im groessten
Massstab sich fuer den Winter hinreichend zu verproviantieren. So hatte Publius
Scipio, als er im Potal kommandierte, die defensive Haltung nicht verstanden,


 


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