Römische Geschichte Book 5
by
Theodor Mommsen

Part 1 out of 11







The following e-text of Mommsen's Roemische Geschichte contains some
(ancient) Greek quotations. The character set used for those
quotations is a modern Greek character set. Therefore, aspirations are
not marked in Greek words, nor is there any differentiation between
the different accents of ancient Greek and the subscript iotas are
missing as well.

Theodor Mommsen
Roemische Geschichte

Fuenftes Buch
Die Begruendung der Militaermonarchie
Wie er sich sieht so um und um,
Kehrt es ihm fast den Kopf herum,
Wie er wollt' Worte zu allem finden?
Wie er moecht' so viel Schwall verbinden
Wie er moecht' immer mutig bleiben
So fort und weiter fort zu schreiben?
Goethe
1. Kapitel
Marcus Lepidus und Quintus Sertorius
Als Sulla im Jahre 676 (78) starb, beherrschte die von ihm restaurierte
Oligarchie unbeschraenkt den roemischen Staat; allein wie sie durch Gewalt
gegruendet war, bedurfte sie auch ferner der Gewalt, um sich gegen ihre
zahlreichen heimlichen und offenen Gegner zu behaupten. Was ihr entgegenstand,
war nicht etwa eine einfache Partei mit klar ausgesprochenen Zwecken und unter
bestimmt anerkannten Fuehrern, sondern eine Masse der mannigfaltigsten Elemente,
die wohl im allgemeinen unter dem Namen der Popularpartei sich zusammenfassten,
aber doch in der Tat aus den verschiedenartigsten Gruenden und in der
verschiedenartigsten Absicht gegen die Sullanische Ordnung des Gemeinwesens
Opposition machten. Da waren die Maenner des positiven Rechts, die Politik weder
machten noch verstanden, denen aber Sullas willkuerliches Schalten mit dem Leben
und Eigentum der Buerger ein Greuel war. Noch bei Lebzeiten Sullas, waehrend
jede andere Opposition schwieg, lehnten die strengen Juristen gegen den Regenten
sich auf: es wurden zum Beispiel die Cornelischen Gesetze, welche verschiedenen
italischen Buergerschaften das roemische Buergerrecht aberkannten, in
gerichtlichen Entscheidungen als nichtig behandelt, ebenso das Buergerrecht von
den Gerichten erachtet als nicht aufgehoben durch die Kriegsgefangenschaft und
den Verkauf in die Sklaverei waehrend der Revolution. Da waren ferner die
Ueberreste der alten liberalen Senatsminoritaet, welche in frueheren Zeiten auf
eine Transaktion mit der Reformpartei und mit den Italikern hingearbeitet hatte
und jetzt in aehnlicher Weise geneigt war, die starr oligarchische Verfassung
Sullas durch Zugestaendnisse an die Popularen zu mildern. Da waren ferner die
eigentlichen Popularen, die ehrlich glaeubigen bornierten Radikalen, die fuer
die Schlagwoerter des Parteiprogramms Vermoegen und Leben einsetzten, um nach
dem Siege mit schmerzlichem Erstaunen zu erkennen, dass sie nicht fuer eine
Sache, sondern fuer eine Phrase gefochten hatten. Ihnen galt es vornehmlich um
die Wiederherstellung der von Sulla zwar nicht aufgehobenen, aber doch ihrer
wesentlichsten Befugnisse entkleideten tribunizischen Gewalt, welche nur mit um
so geheimnisvollerem Zauber auf die Menge wirkte, weil das Institut ohne
handgreiflichen praktischen Nutzen und in der Tat ein leeres Gespenst war - hat
doch der Name des Volkstribuns noch ueber ein Jahrtausend spaeter Rom
revolutioniert. Da waren vor allem die zahlreichen und wichtigen Klassen, die
die Sullanische Restauration unbefriedigt gelassen oder geradezu in ihren
politischen oder Privatinteressen verletzt hatte. Aus solchen Ursachen gehoerte
der Opposition an die dichte und wohlhabende Bevoelkerung der Landschaft
zwischen dem Po und den Alpen, die natuerlich die Gewaehrung des launischen
Rechts im Jahre 665 (89) nur als eine Abschlagszahlung auf das volle roemische
Buergerrecht betrachtete und der Agitation einen willfaehrigen Boden gewaehrte.
Desgleichen die ebenfalls durch Anzahl und Reichtum einflussreichen und durch
ihre Zusammendraengung in der Hauptstadt noch besonders gefaehrlichen
Freigelassenen, die es nicht verschmerzen konnten, durch die Restauration wieder
auf ihr frueheres, praktisch nichtiges Stimmrecht zurueckgefuehrt worden zu
sein. Desgleichen ferner die hohe Finanz, die zwar vorsichtig sich still
verhielt, aber ihren zaehen Groll und ihre nicht minder zaehe Macht nach wie vor
sich bewahrte. Ebenso missvergnuegt war die hauptstaedtische Menge, die die
wahre Freiheit im freien Brotkorn erkannte. Noch tiefere Erbitterung gaerte in
den von den Sullanischen Konfiskationen betroffenen Buergerschaften, mochten sie
nun, wie zum Beispiel die Pompeianer, in ihrem durch die Sullanischen Kolonisten
geschmaelerten Eigentum innerhalb desselben Stadtgebiets mit diesen zusammen und
mit ihnen in ewigem Hader leben oder, wie die Arretiner und Volaterraner, zwar
noch im tatsaechlichen Besitz ihrer Mark, aber unter dem Damoklesschwert der vom
roemischen Volke ueber sie verhaengten Konfiskation sich befinden oder endlich,
wie dies besonders in Etrurien der Fall war, als Bettler in ihren ehemaligen
Wohnsitzen oder als Raeuber in den Waeldern verkommen. Es war endlich in Gaerung
der ganze Familien- und Freigelassenenanhang derjenigen demokratischen Haeupter,
die infolge der Restauration das Leben verloren hatten oder in allem Elend des
Emigrantenrums teils an den mauretanischen Kuesten umherirrten, teils am Hofe
und im Heere Mithradats verweilten; denn nach der von strenger
Familiengeschlossenheit beherrschten politischen Gesinnung dieser Zeit galt es
den Zurueckgebliebenen als Ehrensache ^1, fuer die fluechtigen Angehoerigen die
Rueckkehr in die Heimat, fuer die toten wenigstens Aufhebung der auf ihrem
Andenken und auf ihren Kindern haftenden Makel und Rueckgabe des vaeterlichen
Vermoegens auszuwirken. Vor allem die eigenen Kinder der Geaechteten, die der
Regent von Rechts wegen zu politischen Parias herabgesetzt hatte, hatten damit
gleichsam von dem Gesetze selbst die Aufforderung empfangen, gegen die
bestehende Ordnung sich zu empoeren.
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^1 Ein bezeichnender Zug ist es, dass ein angesehener Literaturlehrer, der
Freigelassene Staberius Eros, die Kinder der Geaechteten unentgeltlich an seinem
Kursus teilnehmen liess.
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Zu allen diesen oppositionellen Fraktionen kam weiter hinzu die ganze Masse
der ruinierten Leute. All das vornehme und geringe Gesindel, dem im eleganten
oder im banausischen Schlemmen Habe und Haltung darauf gegangen war; die adligen
Herren, an denen nichts mehr vornehm war als ihre Schulden; die Sullanischen
Lanzknechte, die der Machtspruch des Regenten wohl in Gutsbesitzer, aber nicht
in Ackerbauer hatte umschaffen koennen, und die nach der verprassten ersten
Erbschaft der Geaechteten sich sehnten, eine zweite aehnliche zu tun - sie alle
warteten nur auf die Entfaltung der Fahne, die zum Kampfe gegen die bestehenden
Verhaeltnisse einlud, mochte sonst was immer darauf geschrieben sein. Mit
gleicher Notwendigkeit schlossen alle aufstrebenden und der Popularitaet
beduerftigen Talente der Opposition sich an, sowohl diejenigen, denen der streng
geschlossene Optimatenkreis die Aufnahme oder doch das rasche Emporkommen
verwehrte und die deshalb in die Phalanx gewaltsam sich einzudraengen und die
Gesetze der oligarchischen Exklusivitaet und Anciennitaet durch die Volksgunst
zu brechen versuchten, als auch die gefaehrlicheren Maenner, deren Ehrgeiz nach
einem hoeheren Ziel strebte, als die Geschicke der Welt innerhalb der
kollegialischen Umtriebe bestimmen zu helfen. Namentlich auf der
Advokatentribuene, dem einzigen von Sulla offengelassenen Boden gesetzlicher
Opposition, ward schon bei Lebzeiten des Regenten von solchen Aspiranten mit den
Waffen der formalen Jurisprudenz und der schlagfertigen Rede lebhaft gegen die
Restauration gestritten; zum Beispiel der gewandte Sprecher Marcus Tullius
Cicero (geboren 3. Januar 648 106), eines Gutsbesitzers von Arpinum Sohn, machte
durch seine halb vorsichtige, halb dreiste Opposition gegen den Machthaber sich
rasch einen Namen. Dergleichen Bestrebungen hatten nicht viel zu bedeuten, wenn
der Opponent nichts weiter begehrte, als den kurulischen Stuhl damit sich
einzuhandeln und sodann als Befriedigter den Rest seiner Jahre auf demselben zu
versitzen. Wenn freilich einem populaeren Mann dieser Stuhl nicht genuegen und
Gaius Gracchus einen Nachfolger finden sollte, so war ein Kampf auf Tod und
Leben unvermeidlich; indes fuer jetzt wenigstens war noch kein Name zu nennen,
dessen Traeger ein so hohes Ziel sich vorgesteckt haette.
Derart war die Opposition, mit der das von Sulla eingesetzte oligarchische
Regiment zu kaempfen hatte, nachdem dasselbe, frueher als Sulla selbst gedacht
haben mochte, durch seinen Tod auf sich selber angewiesen worden war. Die
Aufgabe war an sich nicht leicht und ward noch erschwert durch die sonstigen
sozialen und politischen Uebelstaende dieser Zeit, vor allem durch die ungemeine
Schwierigkeit, teils die Militaerchefs in den Provinzen in Unterwuerfigkeit
gegen die hoechste buergerliche Obrigkeit zu erhalten, teils in der Hauptstadt
mit den Massen des daselbst sich anhaeufenden italischen und ausseritalischen
Gesindels und der in Rom grossenteils in faktischer Freiheit lebenden Sklaven
fertig zu werden, ohne doch Truppen zur Verfuegung zu haben. Der Senat stand wie
in einer von allen Seiten ausgesetzten und bedrohten Festung, und ernstliche
Kaempfe konnten nicht ausbleiben. Aber auch die von Sulla geordneten
Widerstandsmittel waren ansehnlich und nachhaltig; und wenngleich die Majoritaet
der Nation der Regierung, wie Sulla sie eingesetzt hatte, offenbar abgeneigt, ja
ihr feindselig gesinnt war, so konnte nichtsdestoweniger gegen die irre und
wirre Masse einer Opposition, welche weder im Ziel noch im Weg zusammen und
hauptlos in hundert Fraktionen auseinanderging, die Regierung sehr wohl noch auf
lange hinaus in ihrer festen Burg sich behaupten. Nur freilich musste sie auch
sich behaupten wollen und wenigstens einen Funken jener Energie, die ihre
Festung gebaut hatte, zu deren Verteidigung heranbringen; fuer eine Besatzung,
die sich nicht wehren will, zieht der groesste Schanzkuenstler vergebens seine
Mauern und Graeben.
Je mehr schliesslich alles ankam auf die Persoenlichkeit der leitenden
Maenner auf beiden Seiten, desto uebler war es, dass es genau genommen auf
beiden Seiten an Fuehrern fehlte. Die Politik dieser Zeit ward durchaus
beherrscht von dem Koteriewesen in seiner schlimmsten Gestalt. Wohl war dasselbe
nichts Neues; die Familien- und Klubgeschlossenheit ist untrennbar von der
aristokratischen Ordnung des Staats und war seit Jahrhunderten in Rom
uebermaechtig. Aber allmaechtig wurde dieselbe doch erst in dieser Epoche, wie
denn ihr Einfluss auch erst jetzt (zuerst 690 64) durch gesetzliche
Repressivmassregeln weniger gehemmt als konstatiert ward. Alle Vornehmen, die
popular Gesinnten nicht minder als die eigentliche Oligarchie, taten sich in
Hetaerien zusammen; die Masse der Buergerschaft, soweit sie ueberhaupt an den
politischen Vorgaengen regelmaessig sich beteiligte, bildete nach den
Stimmbezirken gleichfalls geschlossene und fast militaerisch organisierte
Vereine, die an den Vorstehern der Bezirke, den "Bezirksverteilern" (divisores
tribuum), ihre natuerlichen Hauptleute und Mittelsmaenner fanden. Feil war
diesen politischen Klubs alles: die Stimme des Waehlers vor allem, aber auch die
des Ratsmanns und des Richters, auch die Faeuste, die den Strassenkrawall
machten, und die Rottenfuehrer, die ihn lenkten - nur im Tarif unterschieden
sich die Assoziationen der Vornehmen und der Geringen. Die Hetaerie entschied
die Wahlen, die Hetaerie beschloss die Anklagen, die Hetaerie leitete die
Verteidigung; sie gewann den angesehenen Advokaten, sie akkordierte im Notfall
wegen der Freisprechung mit einem der Spekulanten, die den eintraeglichen Handel
mit Richterstimmen im grossen betrieben. Die Hetaerie beherrschte durch ihre
geschlossenen Banden die Strassen der Hauptstadt und damit nur zu oft den Staat.
All diese Dinge geschahen nach einer gewissen Regel und sozusagen oeffentlich;
das Hetaerienwesen war besser geordnet und besorgt als irgendein Zweig der
Staatsverwaltung; wenn auch, wie es unter zivilisierten Gaunern ueblich ist, von
dem verbrecherischen Treiben nach stillschweigendem Einverstaendnis nicht
geradezu gesprochen ward, so hatte doch niemand dessen ein Hehl, und angesehene
Sachwalter scheuten sich nicht, ihr Verhaeltnis zu den Hetaerien ihrer Klienten
oeffentlich und verstaendlich anzudeuten. Fand sich hier und da ein einzelner
Mann, der diesem Treiben und nicht zugleich dem oeffentlichen Leben sich entzog,
so war er sicher, wie Marcus Cato, ein politischer Don Quichotte. An die Stelle
der Parteien und des Parteienkampfes traten die Klubs und deren Konkurrenz, an
die Stelle des Regiments die Intrige. Ein mehr als zweideutiger Charakter,
Publius Cethegus, einst einer der eifrigsten Marianer, spaeter als Ueberlaeufer
zu Sulla zu Gnaden aufgenommen, spielte in dem politischen Treiben dieser Zeit
eine der einflussreichsten Rollen, einzig als schlauer Zwischentraeger und
Vermittler zwischen den senatorischen Fraktionen und als staatsmaennischer
Kenner aller Kabalengeheimnisse; zu Zeiten entschied ueber die Besetzung der
wichtigsten Befehlshaberstellen das Wort seiner Maetresse Praecia. Eine solche
Misere war eben nur moeglich, wo keiner der politisch taetigen Maenner sich
ueber die Linie des Gewoehnlichen erhob; jedes ausserordentliche Talent haette
diese Faktionenwirtschaft wie Spinnweben weggefegt; aber eben an politischen und
militaerischen Kapazitaeten war der bitterste Mangel. Von dem aelteren
Geschlecht hatten die Buergerkriege keinen einzigen angesehenen Mann
uebriggelassen als den alten, klugen, redegewandten Lucius Philippus (Konsul 663
91),. der, frueher popular gesinnt, darauf Fuehrer der Kapitalistenpartei gegen
den Senat und mit den Marianern eng verknuepft, endlich zeitig genug, um Dank
und Lohn zu ernten, uebergetreten zu der siegenden Oligarchie, zwischen den
Parteien durchgeschluepft war. Unter den Maennern der folgenden Generation waren
die namhaftesten Haeupter der reinen Aristokratie Quintus Metellus Pius (Konsul
674 80), Sullas Genosse in Gefahren und Siegen; Quintus Lutatius Catulus, Konsul
in Sullas Todesjahr 676 (78), der Sohn des Siegers von Vercellae; und zwei
juengere Offiziere, die beiden Brueder Lucius und Marcus Lucullus, von denen
jener in Asien, dieser in Italien mit Auszeichnung unter Sulla gefochten hatten;
um zu schweigen von Optimaten wie Quintus Hortensius (640-704 114-50), der nur
als Sachwalter etwas bedeutete, oder gar wie Decimus Iunius Brutus (Konsul 677
77), Mamercus Aemilius Lepidus Livianus (Konsul 677 77) und andern solchen
Nullitaeten, an denen der vollklingende aristokratische Name das gute Beste war.
Aber auch jene vier Maenner erhoben sich wenig ueber den Durchschnittswert der
vornehmen Adligen dieser Zeit. Catulus war gleich seinem Vater ein
feingebildeter Mann und ehrlicher Aristokrat, aber von maessigen Talenten und
namentlich kein Soldat. Metellus war nicht bloss ein persoenlich achtbarer
Charakter, sondern auch ein faehiger und erprobter Offizier: nicht so sehr wegen
seiner engen verwandtschaftlichen und kollegialischen Beziehungen zu dem
Regenten, als besonders wegen seiner anerkannten Tuechtigkeit war er im Jahre
675 (79) nach Niederlegung des Konsulats nach Spanien gesandt worden, als dort
die Lusitaner und die roemischen Emigranten unter Quintus Sertorius abermals
sich regten. Tuechtige Offiziere waren auch die beiden Lucullus, namentlich der
aeltere, der ein sehr achtbares militaerisches Talent mit gruendlicher
literarischer Bildung und schriftstellerischen Neigungen vereinigte und auch als
Mensch ehrenwert erschien. Allein als Staatsmaenner waren doch selbst diese
besseren Aristokraten nicht viel weniger schlaff und kurzsichtig als die
Dutzendsenatoren der Zeit. Dem aeusseren Feind gegenueber bewaehrten die
namhafteren darunter sich wohl als brauchbar und brav; aber keiner von ihnen
bezeigte Lust und Geschick, die eigentlich politischen Aufgaben zu loesen und
das Staatsschiff durch die bewegte See der Intrigen und Parteiungen als rechter
Steuermann zu lenken. Ihre politische Weisheit beschraenkte sich darauf,
aufrichtig zu glauben an die alleinseligmachende Oligarchie, dagegen die
Demagogie ebenso wie jede sich emanzipierende Einzelgewalt herzlich zu hassen
und mutig zu verwuenschen. Ihr kleiner Ehrgeiz nahm mit wenigem vorlieb. Was von
Metellus in Spanien erzaehlt wird, dass er nicht bloss die wenig harmonische
Leier der spanischen Gelegenheitspoeten sich gefallen, sondern sogar, wo er
hinkam, sich gleich einem Gotte mit Weinspenden und Weihrauchduft empfangen und
bei Tafel von niederschwebenden Viktorien unter Theaterdonner das Haupt mit dem
goldenen Siegeslorbeer sich kraenzen liess, ist nicht besser beglaubigt als die
meisten geschichtlichen Anekdoten; aber auch in solchem Klatsch spiegelt sich
der heruntergekommene Ehrgeiz der Epigonengeschlechter. Selbst die Besseren
waren befriedigt, wenn nicht Macht und Einfluss, sondern das Konsulat und der
Triumph und im Rate ein Ehrenplatz errungen war, und traten da, wo sie bei
rechtem Ehrgeiz erst angefangen haben wuerden, ihrem Vaterland und ihrer Partei
wahrhaft nuetzlich zu sein, von der politischen Buehne zurueck, um in
fuerstlichem Luxus unterzugehen. Maenner wie Metellus und Lucius Lucullus waren
schon als Feldherren nicht weniger als auf die Erweiterung des roemischen
Gebiets durch neu unterworfene Koenige und Voelkerschaften bedacht auf die der
endlosen Wildbret-, Gefluegel- und Dessertliste der roemischen Gastronomie durch
neue afrikanische und kleinasiatische Delikatessen und haben den besten Teil
ihres Lebens in mehr oder minder geistreichem Muessiggang verdorben. Das
traditionelle Geschick und die individuelle Resignation, auf denen alles
oligarchische Regiment beruht, waren der verfallenen und kuenstlich
wiederhergestellten roemischen Aristokratie dieser Zeit abhanden gekommen; ihr
galt durchgaengig der Cliquengeist als Patriotismus, die Eitelkeit als Ehrgeiz,
die Borniertheit als Konsequenz. Waere die Sullanische Verfassung unter die
Obhut von Maennern gekommen, wie sie wohl im roemischen Kardinalskollegium und
im venezianischen Rat der Zehn gesessen haben, so ist es nicht zu sagen, ob die
Opposition vermocht haben wuerde, sie so bald zu erschuettern; mit solchen
Verteidigern war allerdings jeder Angriff eine ernste Gefahr.
Unter den Maennern, die weder unbedingte Anhaenger noch offene Gegner der
Sullanischen Verfassung waren, zog keiner mehr die Augen der Menge auf sich als
der junge, bei Sullas Tode achtundzwanzigjaehrige Gnaeus Pompeius (geb. 29.
September 648 106). Es war das ein Unglueck fuer den Bewunderten wie fuer die
Bewunderer; aber es war natuerlich. Gesund an Leib und Seele, ein tuechtiger
Turner, der noch als Oberoffizier mit seinen Soldaten um die Wette sprang, lief
und hob, ein kraeftiger und gewandter Reiter und Fechter, ein kecker
Freischarenfuehrer, war der Juengling in einem Alter, das ihn von jedem Amt und
vom Senat ausschloss, Imperator und Triumphator geworden und hatte in der
oeffentlichen Meinung den ersten Platz naechst Sulla, ja von dem laesslichen,
halb anerkennenden, halb ironischen Regenten selbst den Beinamen des Grossen
sich erworben. Zum Unglueck entsprach seine geistige Begabung diesen unerhoerten
Erfolgen schlechterdings nicht. Er war kein boeser und kein unfaehiger, aber ein
durchaus gewoehnlicher Mensch, durch die Natur geschaffen, ein tuechtiger
Wachtmeister, durch die Umstaende berufen, Feldherr und Staatsmann zu sein. Ein
einsichtiger, tapferer und erfahrener, durchaus vorzueglicher Soldat, war er
doch auch als Militaer ohne eine Spur hoeherer Begabung; als Feldherr wie
ueberhaupt ist es ihm eigen, mit einer an Aengstlichkeit grenzenden Vorsicht zu
Werke zu gehen und womoeglich den entscheidenden Schlag erst dann zu fuehren,
wenn die ungeheuerste Ueberlegenheit ueber den Gegner hergestellt ist. Seine
Bildung ist die Dutzendbildung der Zeit; obwohl durch und durch Soldat
versaeumte er doch nicht, als er nach Rhodos kam, die dortigen Redekuenstler
pflichtmaessig zu bewundern und zu beschenken. Seine Rechtschaffenheit war die
des reichen Mannes, der mit seinem betraechtlichen ererbten und erworbenen
Vermoegen verstaendig Haus haelt; er verschmaehte es nicht, in der ueblichen
senatorischen Weise Geld zu machen, aber er war zu kalt und zu reich, um
deswegen sich in besondere Gefahren zu begeben und hervorragende Schande sich
aufzuladen. Die unter seinen Zeitgenossen im Schwange gehende Lasterhaftigkeit
hat mehr als seine eigene Tugend ihm den - relativ allerdings wohl
gerechtfertigten - Ruhm der Tuechtigkeit und Uneigennuetzigkeit verschafft. Sein
"ehrliches Gesicht" ward fast sprichwoertlich, und noch nach seinem Tode war er
ein wuerdiger und sittlicher Mann; in der Tat war er ein guter Nachbar, welcher
die empoerende Sitte der Grossen jener Zeit, ihre Gebietsgrenzen durch
Zwangskaeufe oder, noch Schlimmeres, auf Kosten der kleineren Nachbarn
auszudehnen, nicht mitmachte, und zeigte er im Familienleben Anhaenglichkeit an
Frau und Kinder; es gereicht ihm ferner zur Ehre, dass er zuerst von der
barbarischen Sitte abging, die gefangenen feindlichen Koenige und Feldherrn nach
ihrer Auffuehrung im Triumph hinrichten zu lassen. Aber das hielt ihn nicht ab,
wenn sein Herr und Meister Sulla befahl, sich von der geliebten Frau zu
scheiden, weil sie einem verfemten Geschlecht angehoerte, und auf desselben
Gebieters Wink Maenner, die ihm in schwerer Zeit hilfreich beigestanden hatten,
mit grosser Seelenruhe vor seinen Augen hinrichten zu lassen; er war nicht
grausam, wie man ihm vorwarf, aber, was vielleicht schlimmer ist, kalt und im
Guten wie im Boesen ohne Leidenschaft. Im Schlachtgetuemmel sah er dem Feinde
das Weisse im Auge; im buergerlichen Leben war er ein schuechterner Mann, dem
bei der geringsten Veranlassung das Blut in die Wangen stieg und der nicht ohne
Verlegenheit oeffentlich sprach, ueberhaupt eckig, steif und ungelenk im
Verkehr. Bei all seinem hoffaertigen Eigensinn war er, wie ja in der Regel
diejenigen es sind, die ihre Selbstaendigkeit zur Schau tragen, ein lenksames
Werkzeug in der Hand derjenigen, die ihn zu nehmen verstanden, namentlich seiner
Freigelassenen und Klienten, von denen er nicht fuerchtete, beherrscht zu
werden. Zu nichts war er minder geschaffen als zum Staatsmann. Unklar ueber
seine Ziele, ungewandt in der Wahl seiner Mittel, im kleinen wie im grossen
kurzsichtig und ratlos, pflegte er seine Unschluessigkeit und Unsicherheit unter
feierlichem Schweigen zu verbergen und, wenn er fein zu spielen meinte, nur mit
dem Glauben andere zu taeuschen, sich selber zu betruegen. Durch seine
militaerische Stellung und seine landsmannschaftlichen Beziehungen fiel ihm fast
ohne sein Zutun eine ansehnliche, ihm persoenlich ergebene Partei zu, mit der
sich die groessten Dinge haetten durchfuehren lassen; allein Pompeius war in
jeder Beziehung unfaehig, eine Partei zu leiten und zusammenzuhalten, und wenn
sie dennoch zusammenhielt, so geschah dies gleichfalls ohne sein Zutun durch das
blosse Schwergewicht der Verhaeltnisse. Hierin wie in andern Dingen erinnert er
an Marius; aber Marius ist mit seinem bauerhaft rohen, sinnlich
leidenschaftlichen Wesen doch noch minder unertraeglich als dieser langweiligste
und steifleinenste aller nachgemachten grossen Maenner. Seine politische
Stellung war durchaus schief. Er war Sullanischer Offizier und fuer die
restaurierte Verfassung einzustehen verpflichtet, und doch auch wieder in
Opposition gegen Sulla persoenlich wie gegen das ganze senatorische Regiment.
Das Geschlecht der Pompeier, das erst seit etwa sechzig Jahren in den
Konsularverzeichnissen genannt ward, galt in den Augen der Aristokratie noch
keineswegs als voll; auch hatte der Vater dieses Pompeius gegen den Senat eine
sehr gehaessige Zwitterstellung eingenommen und er selbst einst in den Reihen
der Cinnaner gestanden - Erinnerungen, die wohl verschwiegen, aber nicht
vergessen wurden. Die hervorragende Stellung, die Pompeius unter Sulla sich
erwarb, entzweite ihn innerlich ebensosehr mit der Aristokratie, wie sie ihn
aeusserlich mit derselben verflocht. Schwachkoepfig wie er war, ward Pompeius
auf der so bedenklich rasch und leicht erklommenen Ruhmeshoehe vom Schwindel
ergriffen. Gleich als wolle er seine duerr prosaische Natur durch die Parallele
mit der poetischsten aller Heldengestalten selber verhoehnen, fing er an sich
mit Alexander dem Grossen zu vergleichen und sich fuer einen einzigen Mann zu
halten, dem es nicht gezieme, bloss einer von den fuenfhundert roemischen
Ratsherren zu sein. In der Tat war niemand mehr geschaffen, in ein
aristokratisches Regiment als Glied sich einzufuegen, als er. Pompeius'
wuerdevolles Aeussere, seine feierliche Foermlichkeit, seine persoenliche
Tapferkeit, sein ehrbares Privatleben, sein Mangel an aller Initiative haetten
ihm, waere er zweihundert Jahre frueher geboren worden, neben Quintus Maximus
und Publius Decius einen ehrenvollen Platz gewinnen moegen; zu der
Wahlverwandtschaft, die zwischen Pompeius und der Masse der Buergerschaft und
des Senats zu allen Zeiten bestand, hat diese echt optimatische und echt
roemische Mediokritaet nicht am wenigsten beigetragen. Auch in seiner Zeit noch
haette es eine klare und ansehnliche Stellung fuer ihn gegeben, wofern er damit
sich genuegen liess, der Feldherr des Rates zu sein, zu dem er von Haus aus
bestimmt war. Es genuegte ihm nicht und so geriet er in die verhaengnisvolle
Lage, etwas anderes sein zu wollen als er sein konnte. Bestaendig trachtete er
nach einer Sonderstellung im Staat und wenn sie sich darbot, konnte er sich
nicht entschliessen, sie einzunehmen; mit tiefer Erbitterung nahm er es auf,
wenn Personen und Gesetze nicht unbedingt vor ihm sich beugten, und doch trat er
selbst mit nicht bloss affektierter Bescheidenheit ueberall auf als einer von
vielen Gleichberechtigten und zitterte vor dem blossen Gedanken, etwas
Verfassungswidriges zu beginnen. Also bestaendig in gruendlicher Spannung mit
und doch zugleich der gehorsame Diener der Oligarchie, bestaendig gepeinigt von
einem Ehrgeiz, der vor seinem eigenen Ziele erschrickt, verfloss ihm in ewigem
innerem Widerspruch freudelos sein vielbewegtes Leben.
Ebensowenig als Pompeius kann Marcus Crassus zu den unbedingten Anhaengern
der Oligarchie gezaehlt werden. Er ist eine fuer diese Epoche hoechst
charakteristische Figur. Wie Pompeius, dem er im Alter um wenige Jahre
voranging, gehoerte auch er zu dem Kreise der hohen roemischen Aristokratie,
hatte die gewoehnliche standesmaessige Erziehung erhalten und gleich Pompeius
unter Sulla im Italischen Kriege mit Auszeichnung gefochten. An geistiger
Begabung, literarischer Bildung und militaerischem Talent weit zurueckstehend
hinter vielen seinesgleichen, ueberfluegelte er sie durch seine grenzenlose
Ruehrigkeit und durch die Beharrlichkeit, mit der er rang, alles zu besitzen und
zu bedeuten. Vor allen Dingen warf er sich in die Spekulation. Gueterkaeufe
waehrend der Revolution begruendeten sein Vermoegen; aber er verschmaehte keinen
Erwerbszweig; er betrieb das Baugeschaeft in der Hauptstadt ebenso grossartig
wie vorsichtig; er ging mit seinen Freigelassenen bei den mannigfaltigsten
Unternehmungen in Kompagnie; er machte in und ausser Rom, selbst oder durch
seine Leute den Bankier; er Schoss seinen Kollegen Im Senat Geld vor und
unternahm es, fuer ihre Rechnung wie es fiel Arbeiten auszufuehren oder
Richterkollegien zu bestechen. Waehlerisch im Profitmachen war er eben nicht.
Schon bei den Sullanischen Aechtungen war ihm eine Faelschung in den Listen
nachgewiesen worden, weshalb Sulla sich von da an in Staatsgeschaeften seiner
nicht weiter bedient hatte; die Erbschaft nahm er darum nicht weniger, weil die
Testamentsurkunde, in der sein Name stand, notorisch gefaelscht war; er hatte
nichts dagegen, wenn seine Meier die kleinen Anlieger ihres Herrn von ihren
Laendereien gewaltsam oder heimlich verdraengten. Uebrigens vermied er offene
Kollisionen mit der Kriminaljustiz und lebte als echter Geldmann selbst
buergerlich und einfach. Auf diesem Wege ward Crassus binnen wenig Jahren aus
einem Mann von gewoehnlichem senatorischen, der Herr eines Vermoegens, das nicht
lange vor seinem Tode nach Bestreitung ungeheurer ausserordentlicher Ausgaben
sich noch auf 170 Mill. Sesterzen (13 Mill. Taler) belief: er war der reichste
Roemer geworden und damit zugleich eine politische Groesse. Wenn nach seiner
Aeusserung niemand sich reich nennen durfte, der nicht aus seinen Zinsen ein
Kriegsheer zu unterhalten vermochte, so war, wer dies vermochte, kaum noch ein
blosser Buerger. In der Tat war Crassus' Blick auf ein hoeheres Ziel gerichtet
als auf den Besitz der gefuelltesten Geldkiste in Rom. Er liess es sich keine
Muehe verdriessen, seine Verbindungen auszudehnen. Jeden Buerger der Hauptstadt
wusste er beim Namen zu gruessen. Keinem Bittenden versagte er seinen Beistand
vor Gericht. Zwar die Natur hatte nicht viel fuer ihn als Sprecher getan: seine
Rede war trocken, der Vortrag eintoenig, er hoerte schwer; aber sein zaeher
Sinn, den keine Langeweile abschreckte wie kein Genuss abzog, ueberwand die
Hindernisse. Nie erschien er unvorbereitet, nie extemporierte er, und so ward er
ein allzeit gesuchter und allzeit fertiger Anwalt, dem es keinen Eintrag tat,
dass ihm nicht leicht eine Sache zu schlecht war und dass er nicht bloss durch
sein Wort, sondern auch durch seine Verbindungen und vorkommenden Falls durch
sein Gold auf die Richter einzuwirken verstand. Der halbe Rat war ihm
verschuldet; seine Gewohnheit, den Freunden Geld ohne Zinsen auf beliebige
Rueckforderung vorzuschiessen, machte eine Menge einflussreicher Maenner von ihm
abhaengig, um so mehr, da er als echter Geschaeftsmann keinen Unterschied unter
den Parteien machte, ueberall Verbindungen unterhielt und bereitwillig jedem
borgte, der zahlungsfaehig oder sonst brauchbar war. Die verwegensten
Parteifuehrer, die ruecksichtslos nach allen Seiten hin ihre Angriffe richteten,
hueteten sich, mit Crassus anzubinden; man verglich ihn dem Stier der Herde, den
zu reizen fuer keinen raetlich war. Dass ein so gearteter und so gestellter Mann
nicht nach niedrigen Zielen streben konnte, leuchtet ein; und, anders als
Pompeius, wusste Crassus genau wie ein Bankier, worauf und womit er politisch
spekulierte. Seit Rom stand, war daselbst das Kapital eine politische Macht; die
Zeit war von der Art, dass dem Golde wie dem Eisen alles zugaenglich schien.
Wenn in der Revolutionszeit eine Kapitalistenaristokratie daran hatte denken
moegen, die Oligarchie der Geschlechter zu stuerzen, so durfte auch ein Mann wie
Crassus die Blicke hoeher erheben als zu den Rutenbuendeln und dem gestickten
Mantel der Triumphatoren. Augenblicklich war er Sullaner und Anhaenger des
Senats; allein er war viel zu sehr Finanzmann, um einer bestimmten politischen
Partei sich zu eigen zu geben und etwas anderes zu verfolgen als seinen
persoenlichen Vorteil. Warum sollte Crassus, der reichste und der intriganteste
Mann in Rom und kein scharrender Geizhals, sondern ein Spekulant im groessten
Massstab, nicht spekulieren auch auf die Krone? Vielleicht vermochte er allein
es nicht, dies Ziel zu erreichen; aber er hatte ja schon manches grossartige
Gesellschaftsgeschaeft gemacht: es war nicht unmoeglich, dass auch hierfuer ein
passender Teilnehmer sich darbot. Es gehoerte zur Signatur der Zeit, dass ein
mittelmaessiger Redner und Offizier, ein Politiker, der seine Ruehrigkeit fuer
Energie, seine Begehrlichkeit fuer Ehrgeiz hielt, der im Grunde nichts hatte als
ein kolossales Vermoegen und das kaufmaennische Talent, Verbindungen
anzuknuepfen - dass ein solcher Mann, gestuetzt auf die Allmacht der Koterien
und Intrigen, den ersten Feldherren und Staatsmaennern der Zeit sich ebenbuertig
achten und mit ihnen um den hoechsten Preis ringen durfte, der dem politischen
Ehrgeiz winkt.
In der eigentlichen Opposition, sowohl unter den liberalen Konservativen
als unter den Popuhren, hatten die Stuerme der Revolution mit erschreckender
Gruendlichkeit aufgeraeumt. Unter jenen war der einzig uebriggebliebene namhafte
Mann Gaius Cotta (630 bis ca. 681 124 -73), der Freund und Bundesgenosse des
Drusus und deswegen im Jahre 663 (91) verbannt, sodann durch Sullas Krieg
zurueckgefuehrt in die Heimat; er war ein kluger Mann und ein tuechtiger Anwalt,
aber weder durch das Gewicht seiner Partei noch durch das seiner Persoenlichkeit
zu mehr berufen als zu einer achtbaren Nebenrolle. In der demokratischen Partei
zog unter dem jungen Nachwuchs der vierundzwanzigjaehrige Gaius Iulius Caesar
(geb. 12. Juli 652? 102) ^2 die Blicke von Freund und Feind auf sich. Seine
Verschwaegerung mit Marius und Cinna - seines Vaters Schwester war Marius'
Gemahlin gewesen, er selbst mit Cinnas Tochter vermaehlt -; die mutige Weigerung
des kaum dem Knabenalter entwachsenen Juenglings, nach dem Befehl des Diktators
seiner jungen Gemahlin Cornelia den Scheidebrief zuzusenden, wie es doch im
gleichen Falle Pompeius getan; ein keckes Beharren auf dem ihm von Marius
zugeteilten, von Sulla aber wieder aberkannten Priesteramt; seine Irrfahrten
waehrend der ihm drohenden und muehsam durch Fuerbitte seiner Verwandten
abgewandten Aechtung; seiner Tapferkeit in den Gefechten vor Mytilene und in
Kilikien, die dem zaertlich erzogenen und fast weiblich stutzerhaften Knaben
niemand zugetraut hatte; selbst die Warnungen Sullas vor dem "Knaben im
Unterrock", in dem mehr als ein Marius stecke - alles dies waren ebenso viele
Empfehlungen in den Augen der demokratischen Partei. Indes an Caesar konnten
doch nur Hoffnungen fuer die Zukunft sich knuepfen; und die Maenner, die durch
ihr Alter und ihre Stellung im Staat schon jetzt berufen gewesen sein wuerden,
der Zuegel der Partei und des Staates sich zu bemaechtigen, waren saemtliche tot
oder geaechtet. So war die Fuehrerschaft der Demokratie in Ermangelung eines
wahrhaft Berufenen fuer jeden zu haben, dem es belieben mochte, sich zum
Vertreter der unterdrueckten Volksfreiheit aufzuwerfen; und in dieser Weise kam
sie an Marcus Aemilius Lepidus, einen Sullaner, der aus mehr als zweideutigen
Beweggruenden ueberging in das Lager der Demokratie. Einst ein eifriger Optimat
und stark beteiligt bei den ueber die Gueter der Geaechteten abgehaltenen
Auktionen, hatte er als Statthalter von Sizilien die Provinz so arg gepluendert,
dass ihm eine Anklage drohte, und, um dieser zu entgehen, sich in die Opposition
geworfen. Es war ein Gewinn von zweifelhaftem Werte. Zwar ein bekannter Name,
ein vornehmer Mann, ein hitziger Redner auf dem Markt war damit der Opposition
erworben; aber Lepidus war ein unbedeutender und unbesonnener Kopf, der weder im
Rate noch im Felde verdiente, an der Spitze zu stehen. Nichtsdestoweniger hiess
die Opposition ihn willkommen, und dem neuen Demokratenfuehrer gelang es nicht
bloss, seine Anklaeger von der Fortsetzung des gegen ihn begonnenen Angriffs
abzuschrecken, sondern auch, seine Wahl zum Konsul fuer 676 (78) durchzusetzen,
wobei ihm uebrigens ausser den in Sizilien erpressten Schaetzen auch Pompeius'
albernes Bestreben foerderlich war, bei dieser Gelegenheit Sulla und den reinen
Sullanern zu zeigen, was er vermoege. Da also, als Sulla starb, die Opposition
an Lepidus wieder ein Haupt gefunden hatte und da dieser ihr Fuehrer der
hoechste Beamte des Staats geworden war, so liess sich der nahe Ausbruch einer
neuen Revolution in der Hauptstadt mit Sicherheit vorhersehen.
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^2 Als Caesars Geburtsjahr pflegt man das Jahr 654 (100) anzusetzen, weil
er nach Sueton (Caes. 88), Plutarch (Caes. 69) und Appian (civ. 2 149) bei
seinem Tode (15. Maerz 710 44) im 56. Jahre stand; womit auch die Angabe, dass
er zur Zeit der Sullanischen Proskription (672 82) achtzehn Jahre alt gewesen
(Vell. 2, 41), ungefaehr uebereinstimmt. Aber in unaufloeslichem Widerspruch
damit steht es, dass Caesar im Jahre 689 (65) die Aedilitaet, 692 (62) die
Praetur, 695 (59) das Konsulat bekleidet hat und jene Aemter nach den
Annalgesetzen fruehestens resp. im 37/38., 40/41. und 43/44. Lebensjahr
bekleidet werden durften. Es ist nicht abzusehen, wie Caesar saemtliche
kurulischen Aemter zwei Jahre vor der gesetzlichen Zeit bekleidet haben, noch
weniger, dass hiervon nirgends Erwaehnung geschehen sein sollte. Vielmehr legen
diese Tatsachen die Vermutung nahe, dass er, da sein Geburtstag unbezweifelt auf
den 12. Juli fiel, nicht 654 (100), sondern 652 (102) geboren ist, also im Jahre
672 (82) im 20/21. Lebensjahre stand und nicht im 56., sondern 57 Jahre 8 Monate
alt starb. Fuer diesen letzteren Ansatz laesst sich ferner geltend machen, was
man auffallenderweise dagegen angefuehrt hat, dass Caesar "paene puer" von
Marius und Cinna zum Flamen des Jupiter bestellt wurde (Vell. 2, 43); denn
Marius starb im Januar 668 (86), wo Caesar nach dem gewoehnlichen Ansatz
dreizehn Jahre und sechs Monate alt, also nicht "beinahe", wie Velleius sagt,
sondern wirklich noch Knabe und aus diesem Grunde eines solchen Priestertums
kaum faehig war. War er dagegen im Juli 652 (102) geboren, so stand er bei dem
Tode des Marius im sechzehnten Lebensjahr; und dazu stimmt die Bezeichnung bei
Velleius wie die allgemeine Regel, dass buergerliche Stellungen nicht vor Ablauf
des Knabenalters uebernommen werden. Zu diesem letzteren Ansatz passt es ferner
allein, dass die um den Ausbruch des Buergerkrieges von Caesar geschlagenen
Denare mit der Zahl LII, wahrscheinlich dem Lebensjahr, bezeichnet sind; denn
als er begann, war Caesar hiernach etwas ueber 52 Jahre alt. Auch ist es nicht
so verwegen, wie es uns an regelmaessige und amtliche Geburtslisten Gewoehnten
erscheint, in dieser Hinsicht unsere Gewaehrsmaenner eines Irrtum zu zeihen.
Jene vier Angaben koennen sehr wohl alle auf eine gemeinschaftliche Quelle
zurueckgehen und duerfen ueberhaupt, da fuer die aeltere Zeit vor dem Beginn der
acta diurna die Angaben ueber die Geburtsjahre auch der bekanntesten und
hoechstgestellten Roemer, zum Beispiel ueber das des Pompeius, in der
auffallendsten Weise schwanken, auf keine sehr hohe Glaubwuerdigkeit Anspruch
machen. Vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 1, S. 570.
In dem 'Leben Caesars' von Napoleon III. (Bd. 2, Kap. 1) ist hiergegen
eingewandt worden, teils dass das Annalgesetz fuer Caesars Geburtsjahr nicht auf
652 (102), sondern 651 (103) fuehren wuerde, teils besonders, dass auch sonst
Faelle bekannt sind, wo dasselbe nicht befolgt worden ist. Allein die erste
Behauptung beruht auf einem Versehen; denn wie Ciceros Beispiel zeigt, forderte
das Annalgesetz nur, dass bei Antritt des Amtes das 43. Lebensjahr begonnen,
nicht dass es zurueckgelegt sei. Die behaupteten Ausnahmen aber von der Regel
treffen saemtlich nicht zu. Wenn Tacitus (ann. 11, 22) sagt, dass man ehemals
bei der Vergebung der Aemter gar keine Ruecksicht auf das Alter genommen und
Konsulat und Diktatur an ganz junge Leute uebertragen habe, so hat er
natuerlich, wie auch alle Erklaerer anerkennen, dabei die aeltere Zeit im Sinne,
vor Erlass der Annalgesetze, das Konsulat des dreiundzwanzigjaehrigen M.
Valerius Corvus und aehnliche Faelle. Dass Lucullus das hoechste Amt vor dem
gesetzlichen Alter empfing, ist falsch; es wird nur berichtet (Cic. ac. 2. 1,
1), dass auf Grund einer uns nicht naeher bekannten Ausnahmeklausel zur
Belohnung fuer irgendwelche von ihm verrichtete Tat er von dem gesetzlichen
zweijaehrigen Intervall zwischen Aedilitaet und Praetur dispensiert war - in der
Tat war er 675 Aedil, wahrscheinlich 677 Praetor, 680 Konsul. Dass der Fall des
Pompeius ein gaenzlich verschiedener ist, liegt auf der Hand; aber auch von
Pompeius wird mehrfach ausdruecklich gemeldet (Cic. imp. Cn. Pomp. 21, 62; App.
civ. 3, 88), dass der Senat ihn von den Altersgesetzen entband. Dass dies fuer
Pompeius geschah, der als sieggekroenter Oberfeldherr und Triumphator, an der
Spitze eines Heeres und seit seiner Koalition mit Crassus auch einer maechtigen
Partei, sich um das Konsulat bewarb, ist ebenso begreiflich, als es im hoechsten
Grade auffallend sein wuerde, wenn dasselbe fuer Caesar bei seiner Bewerbung um
die minderen Aemter geschehen sein sollte, wo er wenig mehr bedeutete als andere
politische Anfaenger; und noch viel auffallender ist es, dass wohl von jener
selbstverstaendlichen Ausnahme, aber nicht von dieser mehr als seltsamen sich
Erwaehnung findet, so nahe solche Erwaehnungen, namentlich im Hinblick auf den
21jaehrigen Konsul Caesar den Sohn auch gelegen haben wuerden (vgl. z. B. App.
civ. 3, 88). Wenn aus diesen unzutreffenden Beispielen dann die Folgerung
gezogen wird, dass "man in Rom das Gesetz wenig beachtet habe, wenn es sich um
ausgezeichnete Maenner handelte", so ist ueber Rom und die Roemer wohl nie etwas
Irrigeres gesagt worden als dieser Satz. Die Groesse des roemischen Gemeinwesens
wie nicht minder die seiner grossen Feldherren und Staatsmaenner beruht vor
allen Dingen darauf, dass das Gesetz auch fuer sie galt.
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Schon frueher aber als die Demokraten in der Hauptstadt hatten sich in
Spanien die demokratischen Emigranten wieder geregt. Die Seele dieser Bewegung
war Quintus Sertorius. Dieser vorzuegliche Mann, geboren in Nursia im
Sabinerland, war von Haus aus zart und selbst weich organisiert - die fast
schwaermerische Liebe fuer seine Mutter Raia zeigt es - und zugleich von der
ritterlichsten Tapferkeit, wie die aus dem Kimbrischen, dem Spanischen und dem
Italischen Krieg heimgebrachten ehrenvollen Narben bewiesen. Obwohl als Redner
gaenzlich ungeschult, erregte er durch den natuerlichen Fluss und die treffende
Sicherheit seiner Rede die Bewunderung der gelernten Sachwalter. Sein ungemeines
militaerisches und staatsmaennisches Talent hatte er namentlich in dem von den
Demokraten so ueber die Massen elend und kopflos gefuehrten Revolutionskrieg
Gelegenheit gefunden in glaenzendem Kontrast zu beweisen: anerkanntermassen war
er der einzige demokratische Offizier, der den Krieg vorzubereiten und zu leiten
verstand, und der einzige demokratische Staatsmann, der dem gedankenlosen
Treiben und Wueten seiner Partei mit staatsmaennischer Energie entgegentrat.
Seine spanischen Soldaten nannten ihn den neuen Hannibal und nicht bloss
deswegen, weil er gleich diesem im Kriege ein Auge eingebuesst hatte. Er
erinnert in der Tat an den grossen Phoeniker durch seine ebenso verschlagene als
mutige Kriegfuehrung, sein seltenes Talent, den Krieg durch den Krieg zu
organisieren, seine Gewandtheit, fremde Nationen in sein Interesse zu ziehen und
seinen Zwecken dienstbar zu machen, seine Besonnenheit im Glueck und Unglueck,
seine erfinderische Raschheit in der Benutzung seiner Siege wie in der Abwendung
der Folgen seiner Niederlagen. Man darf zweifeln, ob irgendein roemischer
Staatsmann der frueheren oder der gegenwaertigen Zeit an allseitigem Talent mit
Sertorius sich vergleichen laesst. Nachdem Sullas Feldherren ihn gezwungen
hatten, aus Spanien zu weichen, hatte er an den spanischen und afrikanischen
Kuesten ein unstetes Abenteuerleben gefuehrt, bald im Bunde, bald im Kriege mit
den auch hier einheimischen kilikischen Piraten und den Haeuptlingen der
schweifenden Staemme Libyens. Selbst hierhin hatte die siegreiche roemische
Restauration ihn verfolgt; als er Tingis (Tanger) belagerte, war dem Fuersten
der Stadt zu Hilfe aus dem roemischen Afrika ein Korps unter Pacciaecus
erschienen; aber Pacciaecus ward von Sertorius voellig geschlagen und Tingis
genommen. Auf das weithin erschallende Geruecht von solchen Kriegstaten des
roemischen Fluechtlings sandten die Lusitaner, die trotz ihrer angeblichen
Unterwerfung unter die roemische Oberhoheit tatsaechlich ihre Unabhaengigkeit
behaupteten und jaehrlich mit den Statthaltern des Jenseitigen Spaniens fochten,
Botschaft an Sertorius nach Afrika, um ihn zu sich einzuladen und ihm das
Feldherrnamt ueber ihre Miliz zu uebertragen. Sertorius, der zwanzig Jahre zuvor
unter Titus Didius in Spanien gedient hatte und die Hilfsquellen des Landes
kannte, beschloss, der Einladung Folge zu leisten, und schiffte mit
Zuruecklassung eines kleinen Postens an der mauretanischen Kueste nach Spanien
sich ein (um 674 80). Die Meerenge, die Spanien und Afrika scheidet, war besetzt
durch ein roemisches, von Cotta gefuehrtes Geschwader; sich durchzuschleichen
war nicht moeglich; so schlug Sertorius sich durch und gelangte gluecklich zu
den Lusitanern. Es waren nicht mehr als zwanzig lusitanische Gemeinden, die sich
unter seine Befehle stellten, und auch von "Roemern" musterte er nur 2600 Mann,
von denen ein guter Teil Uebergetretene aus dem Heer des Pacciaecus oder
roemisch bewaffnete Afrikaner waren. Sertorius erkannte es, dass alles darauf
ankam, den losen Guerillaschwaermen einen festen Kern roemisch organisierter und
disziplinierter Truppen zu geben; er verstaerkte zu diesem Ende seine
mitgebrachte Schar durch Aushebung von 4000 Fusssoldaten und 700 Reitern und
rueckte mit dieser einen Legion und den Schwaermen der spanischen Freiwilligen
gegen die Roemer vor. Den Befehl im jenseitigen Spanien fuehrte Lucius Fufidius,
der durch seine unbedingte und bei den Aechtungen erprobte Hingebung an Sulla
vom Unteroffizier zum Propraetor aufgerueckt war; am Baetis ward dieser voellig
geschlagen; 2000 Roemer bedeckten die Walstatt. Eilige Boten beriefen den
Statthalter der benachbarten Ebroprovinz, Marcus Domitius Calvinus, um dem
weiteren Vordringen der Sertorianer ein Ziel zu setzen; bald erschien (675 79)
auch der erprobte Feldherr Quintus Metellus, von Sulla gesandt, um den
unbrauchbaren Fufidius im suedlichen Spanien abzuloesen. Aber es gelang doch
nicht, des Aufstandes Herr zu werden. In der Ebroprovinz wurde von dem
Unterfeldherrn des Sertorius, dem Quaestor Lucius Hirtuleius, nicht bloss
Calvinus' Heer vernichtet und er selbst getoetet, sondern auch Lucius Manlius,
der Statthalter des jenseitigen Galliens, der seinem Kollegen zu Hilfe mit drei
Legionen die Pyrenaeen ueberschritten, von demselben tapferen Fuehrer
vollstaendig geschlagen. Muehsam rettete Manlius sich mit weniger Mannschaft
nach Ilerda (Lerida) und von da in seine Provinz, auf welchem Marsch er noch
durch einen Ueberfall der aquitanischen Voelkerschaften sein ganzes Gepaeck
einbuesste. Im Jenseitigen Spanien drang Metellus in das lusitanische Gebiet
ein; allein es gelang Sertorius, waehrend der Belagerung von Longobriga (unweit
der Tajomuendung) eine Abteilung unter Aquinus in einen Hinterhalt zu locken und
dadurch Metellus selbst zur Aufhebung der Belagerung und zur Raeumung des
lusitanischen Gebietes zu zwingen. Sertorius folgte ihm, schlug am Anas
(Guadiana) das Korps des Thorius und tat dem feindlichen Oberfeldherrn selbst
unsaeglichen Abbruch im kleinen Kriege. Metellus, ein methodischer und etwas
schwerfaelliger Taktiker, war in Verzweiflung ueber diesen Gegner, der die
Entscheidungsschlacht beharrlich verweigerte, aber Zufuhr und Kommunikationen
ihm abschnitt und von allen Seiten ihn bestaendig umschwaermte.
Diese ungemeinen Erfolge, die Sertorius in beiden spanischen Provinzen
erfocht, waren im so bedeutsamer, als sie nicht bloss durch die Waffen errungen
wurden und nicht bloss militaerischer Natur waren. Die Emigrierten als solche
waren nicht furchtbar; auch an einzelnen Erfolgen der Lusitaner unter diesem
oder jenem fremden Fuehrer war wenig gelegen. Aber mit dem sichersten
politischen und patriotischen Takt trat Sertorius, sowie er irgend es vermochte,
statt als Condottiere der gegen Rom empoerten Lusitaner auf als roemischer
Feldherr und Statthalter von Spanien, in welcher Eigenschaft er ja von den
ehemaligen Machthabern dorthin gesandt worden war. Er fing an ^3, aus den
Haeuptern der Emigration einen Senat zu bilden, der bis auf dreihundert
Mitglieder steigen und in roemischen Formen die Geschaefte leiten und die
Beamten ernennen sollte. Er betrachtete sein Heer als ein roemisches und
besetzte die Offiziersstellen ohne Ausnahme mit Roemern. Den Spaniern gegenueber
war er der Statthalter, der kraft seines Amtes Mannschaft und sonstige
Unterstuetzung von ihnen einmahnte; aber freilich ein Statthalter, der statt des
gewohnten despotischen Regiments bemueht war, die Provinzialen an Rom und an
sich persoenlich zu fesseln. Sein ritterliches Wesen machte ihm das Eingehen auf
die spanische Weise leicht und erweckte bei dem spanischen Adel fuer den
wahlverwandten wunderbaren Fremdling die gluehendste Begeisterung; nach der auch
hier wie bei den Kelten und den Deutschen bestehenden kriegerischen Sitte der
Gefolgschaft schworen Tausende der edelsten Spanier, zu ihrem roemischen
Feldherrn treu bis zum Tode zu stehen, und Sertorius fand in ihnen
zuverlaessigere Waffengefaehrten als in seinen Landsleuten und Parteigenossen.
Er verschmaehte es nicht, auch den Aberglauben der roheren spanischen
Voelkerschaften fuer sich nutzbar zu machen und seine kriegerischen Plaene als
Befehle der Diana durch die weisse Hindin der Goettin sich zutragen zu lassen.
Durchaus fuehrte er ein gerechtes und gelindes Regiment. Seine Truppen mussten,
wenigstens so weit sein Auge und sein Arm reichten, die strengste Mannszucht
halten; so mild er im allgemeinen im Strafen war, so unerbittlich erwies er sich
bei jedem von seinen Leuten auf befreundetem Gebiet veruebten Frevel. Aber auch
auf dauernde Erleichterung der Lage der Provinzialen war er bedacht; er setzte
die Tribute herab und wies die Soldaten an, sich fuer den Winter Baracken zu
erbauen, wodurch die drueckende Last der Einquartierung wegfiel und damit eine
Quelle unsaeglicher Uebelstaende und Quaelereien verstopft ward. Fuer die Kinder
der vornehmen Spanier ward in Osca (Huesca) eine Akademie errichtet, in der sie
den in Rom gewoehnlichen hoeheren Jugendunterricht empfingen, roemisch und
griechisch reden und die Toga tragen lernten - eine merkwuerdige Massregel, die
keineswegs bloss den Zweck hatte, von den Verbuendeten die in Spanien nun einmal
unvermeidlichen Geiseln in moeglichst schonender Form zu nehmen, sondern vor
allem ein Ausfluss und eine Steigerung war des grossen Gedankens des Gaius
Gracchus und der demokratischen Partei, die Provinzen allmaehlich zu
romanisieren. Hier zuerst wurde der Anfang dazu gemacht, die Romanisierung nicht
durch Ausrottung der alten Bewohner und Ersetzung derselben durch italische
Emigranten zu bewerkstelligen, sondern die Provinzialen selbst zu romanisieren.
Die Optimaten in Rom spotteten ueber den elenden Emigranten, den Ausreisser aus
der italischen Armee, den letzten von der Raeuberbande des Carbo; der duerftige
Hohn fiel auf sie selber zurueck. Man rechnete die Massen, die gegen Sertorius
ins Feld gefuehrt worden waren, mit Einschluss des spanischen Landsturms auf
120000 Mann zu Fuss, 2000 Bogenschuetzen und Schleuderer und 6000 Reiter. Gegen
diese ungeheure Uebermacht hatte Sertorius nicht bloss sich in einer Kette von
gluecklichen Gefechten und Siegen behauptet, sondern auch den groessten Teil
Spaniens in seine Gewalt gebracht. In der jenseitigen Provinz sah sich Metellus
beschraenkt auf die unmittelbar von seinen Truppen besetzten Gebietsteile; hier
hatten alle Voelkerschaften, die es konnten, Partei fuer Sertorius ergriffen. In
der diesseitigen gab es nach den Siegen des Hirtuleius kein roemisches Heer
mehr. Sertorianische Emissaere durchstreiften das ganze gallische Gebiet; schon
fingen auch hier die Staemme an, sich zu regen, und zusammengerottete Haufen,
die Alpenpaesse unsicher zu machen. Die See endlich gehoerte ebensosehr den
Insurgenten wie der legitimen Regierung, da die Verbuendetem jener, die
Korsaren, in den spanischen Gewaessern fast so maechtig waren wie die roemischen
Kriegsschiffe. Auf dem Vorgebirge der Diana (jetzt Denia zwischen Valencia und
Alicante) richtet Sertorius jenen eine feste Station ein, wo sie teils den
roemischen Schiffen auflauerten, die den roemischen Seestaedten und dem Heer
ihren Bedarf zufuehrten, teils den Insurgenten die Waren abnahmen oder
lieferten, teils deren Verkehr mit Italien und Kleinasien vermittelten. Dass
diese allzeit fertigen Vermittler von der lohenden Brandstaette ueberall hin die
Funken trugen, war in hohem Grade besorgniserregend, zumal in einer Zeit, wo
ueberall im Roemischen Reiche so viel Brennstoff aufgehaeuft war.
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^3 Wenigstens die Grundzuege dieser Organisation muessen in die Jahre 674
(80), 675 (79), 676 (78) fallen, wenngleich die Ausfuehrung ohne Zweifel zum
guten Teil erst den spaeteren Jahren angehoert.
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In diese Verhaeltnisse hinein traf Sullas ploetzlicher Tod (676 78).
Solange der Mann lebte, auf dessen Stimme ein geuebtes und zuverlaessiges
Veteranenheer jeden Augenblick sich zu erheben bereit war, mochte die Oligarchie
den fast, wie es schien, entschiedenen Verlust der spanischen Provinzen an die
Emigranten sowie die Wahl des Fuehrers der Opposition daheim zum hoechsten
Beamten des Reiches allenfalls als voruebergehende Missgeschicke ertragen und,
freilich in ihrer kurzsichtigen Art, aber doch nicht ganz mit Unrecht, darauf
sich verlassen, dass entweder die Opposition es nicht wagen werde, zum offenen
Kampfe zu schreiten, oder dass, wenn sie es wage, der zweimalige Erretter der
Oligarchie dieselbe zum dritten Male herstellen werde. Jetzt war der Stand der
Dinge ein anderer geworden. Die demokratischen Heisssporne in der Hauptstadt,
laengst ungeduldig ueber das endlose Zoegern und angefeuert durch die
glaenzenden Botschaften aus Spanien, draengten zum Losschlagen, und Lepidus, bei
dem augenblicklich die Entscheidung stand, ging mit dem ganzen Eifer des
Renegaten und mit der ihm persoenlich eigenen Leichtfertigkeit darauf ein. Einen
Augenblick schien es, als solle an der Fackel, die den Scheiterhaufen des
Regenten anzuendete, auch der Buergerkrieg sich entflammen; indes Pompeius'
Einfluss und die Stimmung der Sullanischen Veteranen bestimmten die Opposition,
das Leichenbegaengnis des Regenten noch ruhig voruebergehen zu lassen. Allein
nur um so offener traf man sodann die Einleitung zur abermaligen Revolution.
Bereits hallte der Markt der Hauptstadt wider von Anklagen gegen den
"karikierten Romulus" und seine Schergen. Noch bevor der Gewaltige die Augen
geschlossen hatte, wurden von Lepidus und seinen Anhaengern der Umsturz der
Sullanischen Verfassung, die Wiederherstellung der Getreideverteilungen, die
Wiedereinsetzung der Volkstribune in den vorigen Stand, die Zurueckfuehrung der
gesetzwidrig Verbannten, die Rueckgabe der konfiszierten Laendereien offen als
das Ziel der Agitation bezeichnet. Jetzt wurden mit den Geaechteten Verbindungen
angeknuepft; Marcus Perpenna, in der cinnanischen Zeit Statthalter von Sizilien,
fand sich ein in der Hauptstadt. Die Soehne der Sullanischen Hochverraeter, auf
denen die Restaurationsgesetze mit unertraeglichem Drucke lasteten, und
ueberhaupt die namhafteren marianisch gesinnten Maenner wurden zum Beitritt
aufgefordert; nicht wenige, wie der junge Lucius Cinna, schlossen sich an;
andere freilich folgten dem Beispiele Gaius Caesars, der zwar auf die Nachricht
von Sullas Tode und Lepidus' Plaenen aus Asien heimgekehrt war, aber nachdem er
den Charakter des Fuehrers und der Bewegung genauer kennengelernt hatte,
vorsichtig sich zurueckzog. In der Hauptstadt ward auf Lepidus' Rechnung in den
Weinhaeusern und den Bordellen gezecht und geworben. Unter den etruskischen
Missvergnuegten endlich ward eine Verschwoerung gegen die neue Ordnung der Dinge
angezettelt ^4.
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^4 Die folgende Erzaehlung beruht wesentlich auf dem Bericht des
Licinianus, der, so truemmerhaft er auch gerade hier ist, dennoch ueber die
Insurrektion des Lepidus wichtige Aufschluesse gibt.
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Alles dies geschah unter den Augen der Regierung. Der Konsul Catulus sowie
die verstaendigeren Optimaten drangen darauf, sofort entschieden einzuschreiten
und den Aufstand im Keime zu ersticken; allein die schlaffe Majoritaet konnte
sich nicht entschliessen, den Kampf zu beginnen, sondern versuchte so lange wie
moeglich, durch ein System von Transaktionen und Konzessionen sich selber zu
taeuschen. Lepidus ging zunaechst auf dasselbe auch seinerseits ein. Das
Ansinnen, die Zurueckgabe der den Volkstribunen entzogenen Befugnisse zu
beantragen, wies er nicht minder ab wie sein Kollege Catulus. Dagegen wurde die
Gracchische Kornverteilung in beschraenktem Umfang wiederhergestellt. Es
scheinen danach nicht wie nach dem Sempronischen Gesetz alle, sondern nur eine
bestimmte Anzahl - vermutlich 40000 - aermere Buerger die frueheren Spenden, wie
sie Gracchus bestimmt hatte, fuenf Scheffel monatlich fuer den Preis von 6 1/3
Assen (2_ Groschen) empfangen zu haben - eine Bestimmung, aus der dem Aerar ein
jaehrlicher Nettoverlust von mindestens 300000 Talern erwuchs ^5. Die
Opposition, durch diese halbe Nachgiebigkeit natuerlich ebensowenig befriedigt
wie entschieden ermutigt, trat in der Hauptstadt nur um so schroffer und
gewaltsamer auf; und in Etrurien, dem rechten Herd aller italischen
Proletarierinsurrektionen, brach bereits der Buergerkrieg aus: die
expropriierten Faesulaner setzten sich mit gewaffneter Hand wieder in den Besitz
ihrer verlorenen Gueter und mehrere der von Sulla daselbst angesiedelten
Veteranen kamen bei dem Auflauf um. Der Senat beschloss auf diese Nachricht, die
beiden Konsuln dorthin zu senden, um Truppen aufzubieten und den Aufstand zu
unterdruecken ^6. Es war nicht moeglich, kopfloser zu verfahren. Der Senat
konstatierte der Insurrektion gegenueber seine Schwachmuetigkeit und seine
Besorgnisse durch die Wiederherstellung des Getreidegesetzes: er gab, um vor dem
Strassenlaerm Ruhe zu haben, dem notorischen Haupte der Insurrektion ein Heer;
und wenn die beiden Konsuln durch den feierlichsten Eid, den man zu ersinnen
vermochte, verpflichtet wurden, die ihnen anvertrauten Waffen nicht
gegeneinander zu kehren, so gehoerte wahrlich die daemonische Verstocktheit
oligarchischer Gewissen dazu, um ein solches Bollwerk gegen die drohende
Insurrektion aufrichten zu moegen. Natuerlich ruestete Lepidus in Etrurien nicht
fuer den Senat, sondern fuer die Insurrektion, hoehnisch erklaerend, dass der
geleistete Eid nur fuer das laufende Jahr ihn binde. Der Senat setzte die
Orakelmaschine in Bewegung, um ihn zur Rueckkehr zu bestimmen, und uebertrug ihm
die Leitung der bevorstehenden Konsulwahlen: allein Lepidus wich aus, und
waehrend die Boten deswegen kamen und gingen und ueber Vergleichsvorschlaegen
das Amtsjahr zu Ende lief, schwoll seine Mannschaft zu einem Heer an. Als
endlich im Anfang des folgenden Jahres (677 77) an Lepidus der bestimmte Befehl
des Senats erging, nun ungesaeumt zurueckzukehren, weigerte der Prokonsul
trotzig den Gehorsam und forderte seinerseits die Erneuerung der ehemaligen
tribunizischen Gewalt und die Wiedereinsetzung der gewalttaetig Vertriebenen in
ihr Buergerrecht und ihr Eigentum, ueberdies fuer sich die Wiederwahl zum Konsul
fuer das laufende Jahr, das heisst die Tyrannis in gesetzlicher Form. Damit war
der Krieg erklaert. Die Senatspartei konnte, ausser auf die Sullanischen
Veteranen, deren buergerliche Existenz durch Lepidus bedroht ward, zaehlen auf
das von dem Prokonsul Catulus unter die Waffen gerufene Heer; und auf die
dringenden Mahnungen der Einsichtigen, namentlich des Philippus, wurde
demgemaess die Verteidigung der Hauptstadt und die Abwehr der in Etrurien
stehenden Hauptmacht der Demokratenpartei dem Catulus vom Senat uebertragen,
auch gleichzeitig Gnaeus Pompeius mit einem anderen Haufen ausgesandt, um seinem
ehemaligen Schuetzling das Potal zu entreissen, das dessen Unterbefehlshaber
Marcus Brutus besetzt hielt. Waehrend Pompeius rasch seinen Auftrag vollzog und
den feindlichen Feldherrn eng in Mutina einschloss, erschien Lepidus vor der
Hauptstadt, um, wie einst Marius, sie mit stuermender Hand fuer die Revolution
zu erobern. Das rechte Tiberufer geriet ganz in seine Gewalt und er konnte sogar
den Fluss ueberschreiten; auf dem Marsfelde, hart unter den Mauern der Stadt,
wurde die entscheidende Schlacht geschlagen. Allein Catulus siegte; Lepidus
musste zurueckweichen nach Etrurien, waehrend eine andere Abteilung unter
Lepidus' Sohn Scipio sich in die Festung Alba warf. Damit war der Aufstand im
wesentlichen zu Ende. Mutina ergab sich an Pompeius; Brutus wurde trotz des ihm
zugestandenen sicheren Geleits nachtraeglich auf Befehl des Pompeius getoetet.
Ebenso ward Alba nach langer Belagerung durch Hunger bezwungen und der Fuehrer
gleichfalls hingerichtet. Lepidus, durch Catulus und Pompeius von zwei Seiten
gedraengt, lieferte am etrurischen Gestade noch ein Treffen, um nur den Rueckzug
sich zu ermoeglichen, und schiffte dann in dem Hafen Cosa nach Sardinien sich
ein, von wo aus er der Hauptstadt die Zufuhr abzuschneiden und die Verbindung
mit den spanischen Insurgenten zu gewinnen hoffte. Allein der Statthalter der
Insel leistete ihm kraeftigen Widerstand, und er selbst starb nicht lange nach
seiner Landung an der Schwindsucht (677 77), womit in Sardinien der Krieg zu
Ende war. Ein Teil seiner Soldaten verlief sich; mit dem Kern der
Insurrektionsarmee und mit wohlgefuellten Kassen begab sich der gewesene Praetor
Marcus Perpenna nach Ligurien und von da nach Spanien zu der Sertorianern.
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^5 Unter dem Jahre 676 (78) berichtet Licinianus (p. 23 Pertz, p. 42 Bonn):
(Lepidus) [Ie]gem frumentari[am] nullo resistente l[argi]tus est ut annon[ae]
quinque modi popu[lo da]rentur. Danach hat also das Gesetz der Konsuln des
Jahres 681 (73) Marcus Terentius Lucullus und Gaius Cassius Varus, welches
Cicero (Verr. 3, 70, 136; 5, 21, 52) erwaehnt und auf das auch Sallust (hist. 3,
61, 19 Dietsch) sich bezieht, die fuenf Scheffel nicht erst wiederhergestellt,
sondern nur durch Regulierung der sizilischen Getreideankaeufe die Kornspenden
gesichert und vielleicht im einzelnen manches geaendert. Dass das Sempronische
Gesetz jedem in Rom domizilierenden Buerger gestattete, an den Getreidespenden
teilzunehmen, steht fest. Allein die spaetere Getreideverteilung hat diesen
Umfang nicht gehabt; denn da das Monatkorn der roemischen Buergerschaft wenig
mehr als 33000 Medimnen = 198000 roem. Scheffel betrug (Cic. Verr. 3, 30, 72),
so empfingen damals nur etwa 40000 Buerger Getreide, waehrend doch die Zahl der
in der Hauptstadt domizilierenden Buerger sicher weit betraechtlicher war. Diese
Einrichtung ruehrt wahrscheinlich aus dem Octavischen Gesetze her, das im
Gegensatze zu der uebertriebenen Sempronischen eine "maessige, fuer den Staat
ertraegliche und fuer das gemeine Volk notwendige Spendung" (Cic. off. 2, 21,
72; Brut. 62, 222) einfuehrte; und allem Anschein nach ist ebendies Gesetz die
von Licinianus erwaehnte lex frumentaria. Dass Lepidus sich auf einen solchen
Ausgleichsvorschlag einliess, stimmt zu seinem Verhalten in Betreff der
Restitution des Tribunats. Ebenso passt es zu den Verhaeltnissen, dass die
Demokratie durch die hiermit herbeigefuehrte Regulierung der Kornverteilung sich
keineswegs befriedigt fand (Sallust a. a. O.).
Die Verlustsumme ist danach berechnet, dass das Getreide mindestens den
doppelten Wert hatte; wenn die Piraterie oder andere Ursachen die Kornpreise in
die Hoehe trieben, musste sich ein noch weit betraechtlicherer Schaden
herausstellen.
^6 Aus den Truemmern des Licinianischen Berichts (p. 44 Bonn) geht auch
dies hervor, dass der Beschluss des Senats: "uti Lepidus et Catulus decretis
exercitibus maturrume proficiscerentur" (Sall. hist. 1, 14 Dietsch) - nicht von
einer Entsendung der Konsuln vor Ablauf des Konsulats in ihre prokonsularischen
Provinzen zu verstehen ist, wozu es auch an jedem Grunde gefehlt haben wuerde,
sondern von der Sendung nach Etrurien gegen die aufstaendischen Faesulaner, ganz
aehnlich wie im Catilinarischen Kriege der Konsul Gaius Antonius ebendorthin
geschickt ward. Wenn Philippus bei Sallust (hist. 1, 84, 4) sagt dass Lepidus ob
seditionem provinciam cum exercitu adeptus est so ist dies damit vollstaendig im
Einklang; denn das ausserordentliche konsularische Kommando in Etrurien ist
ebensowohl eine provincia wie das ordentliche prokonsularische im
Narbonensischen Gallien.
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Ueber Lepidus also hafte die Oligarchie gesiegt; dagegen sah sie sich durch
die gefaehrliche Wendung des Sertorianischen Krieges zu Zugestaendnissen
genoetigt, die den Buchstaben wie den Geist der Sullanischen Verfassung
verletzten. Es war schlechterdings notwendig, ein starkes Heer und einen
faehigen Feldherrn nach Spanien zu senden; und Pompeius gab sehr deutlich zu
verstehen, dass er diesen Auftrag wuensche oder vielmehr fordere. Die Zumutung
war stark. Es war schon uebel genug, dass man diesen geheimen Gegner in dem
Drange der Lepidianischen Revolution wieder zu einem ausserordentlichen Kommando
hatte gelangen lassen; aber noch viel bedenklicher war es, mit Beseitigung aller
von Sulla aufgestellten Regeln der Beamtenhierarchie einem Manne, der noch kein
buergerliches Amt bekleidet hatte, eine der wichtigsten ordentlichen
Provinzialstatthalterschaften in einer Art zu uebertragen, wobei an Einhaltung
der gesetzlichen Jahresfrist nicht zu denken war. Die Oligarchie hatte somit,
auch abgesehen von der ihrem Feldherrn Metellus schuldigen Ruecksicht, wohl
Ursache, diesem neuen Versuch des ehrgeizigen Juenglings, seine Sonderstellung
zu verewigen, allen Ernstes sich zu widersetzen; allein leicht war dies nicht.
Zunaechst fehlte es ihr durchaus an einem fuer den schwierigen spanischen
Feldherrnposten geeigneten Mann. Keiner der Konsuln des Jahres bezeigte Lust,
sich mit Sertorius zu messen, und man musste es hinnehmen, was Lucius Philippus
in voller Ratsversammlung sagte, dass unter den saemtlichen namhaften Senatoren
nicht einer faehig und willig sei, in einem ernsthaften Kriege zu kommandieren.
Vielleicht haette man dennoch hierueber sich hinweggesetzt und nach
Oligarchenart, da man keinen faehigen Kandidaten hatte, die Stelle mit
irgendeinem Lueckenbuesser ausgefuellt, wenn Pompeius den Befehl bloss
gewuenscht und nicht ihn an der Spitze einer Armee gefordert haette. Catulus'
Weisungen, das Heer zu entlassen, hatte er bereits ueberhoert; es war mindestens
zweifelhaft, ob die des Senats eine bessere Aufnahme finden wuerden, und die
Folgen eines Bruchs konnte niemand berechnen - gar leicht konnte die Schale der
Aristokratie emporschnellen, wenn in die entgegengesetzte das Schwert eines
bekannten Generals fiel. So entschloss sich die Majoritaet zur Nachgiebigkeit.
Nicht vom Volke, das hier, wo es um die Bekleidung eines Privatmannes mit der
hoechsten Amtsgewalt sich handelte, verfassungsmaessig haette befragt werden
muessen, sondern vom Senate empfing Pompeius die prokonsularische Gewalt und den
Oberbefehl im diesseitigen Spanien und ging vierzig Tage nach dessen Empfang, im
Sommer 677 (77), ueber die Alpen.
Zunaechst fand der neue Feldherr im Keltenland zu tun, wo zwar eine
foermliche Insurrektion nicht ausgebrochen, aber doch an mehreren Orten die Ruhe
ernstlich gestoert worden war; infolgedessen Pompeius den Kantons der Volker-
Arekomiker und der Helvier ihre Selbstaendigkeit entzog und sie unter Massalia
legte. Auch ward von ihm durch Anlegung einer neuen Alpenstrasse ueber den
Kottischen Berg (Mont Genevre; 2, 105) eine kuerzere Verbindung zwischen dem
Potal und dem Keltenlande hergestellt. ueber dieser Arbeit verfloss die gute
Jahreszeit: erst spaet im Herbst ueberschritt Pompeius die Pyrenaeen.
Sertorius hatte inzwischen nicht gefeiert. Er hatte Hirtuleius in die
jenseitige Provinz entsandt, um Metellus in Schach zu halten, und war selbst
bemueht, seinen vollstaendigen Sieg in der diesseitigen zu verfolgen und sich
auf Pompeius' Empfang vorzubereiten. Die einzelnen keltiberischen Staedte, die
hier noch zu Rom hielten, wurden angegriffen und eine nach der andern bezwungen;
zuletzt, schon mitten im Winter, war das feste Contrebia (suedoestlich von
Saragossa) gefallen. Vergeblich hatten die bedraengten Staedte Boten ueber Boten
an Pompeius gesandt: er liess sich durch keine Bitten aus seinem gewohnten
Geleise langsamen Vorschreitens bringen. Mit Ausnahme der Seestaedte, die durch
die roemische Flotte verteidigt wurden, und der Distrikte der Indigeten und
Laletaner im nordoestlichen Winkel Spaniens, wo Pompeius, als er endlich die
Pyrenaeen ueberschritten, sich festsetzte und seine ungeuebten Truppen, um sie
an die Strapazen zu gewoehnen, den Winter hindurch biwakieren liess, war am Ende
des Jahres 677 (77) das ganze diesseitige Spanien durch Vertrag oder Gewalt von
Sertorius abhaengig geworden, und die Landschaft am oberen und mittleren Ebro
blieb seitdem die festeste Stuetze seiner Macht. Selbst die Besorgnis, die das
frische roemische Heer und der gefeierte Name des Feldherrn in der
Insurgentenarmee hervorrief, hatte fuer dieselbe heilsame Folgen. Marcus
Perpenna, der bis dahin als Sertorius im Range gleich auf ein selbstaendiges
Kommando ueber die von ihm aus Ligurien mitgebrachte Mannschaft Anspruch gemacht
hatte, wurde auf die Nachricht von Pompeius' Eintreffen in Spanien von seinen
Soldaten genoetigt, sich unter die Befehle seines faehigeren Kollegen zu
stellen.
Fuer den Feldzug des Jahres 678 (76) verwandte Sertorius gegen Metellus
wieder das Korps das Hirtuleius, waehrend Perpenna mit einem starken Heer am
unteren Laufe des Ebro sich aufstellte, um Pompeius den Uebergang ueber diesen
Fluss zu wehren, wenn er, wie zu erwarten war, in der Absicht, Metellus die Hand
zu reichen, in suedlicher Richtung und, der Verpflegung seiner Truppen wegen, an
der Kueste entlang marschieren wuerde. Zu Perpennas Unterstuetzung war zunaechst
das Korps des Gaius Herennius bestimmt; weiter landeinwaerts, am oberen Ebro,
holte Sertorius selbst die Unterwerfung einzelner, roemisch gesinnter Distrikte
nach und hielt zugleich sich dort bereit, nach den Umstaenden Perpenna oder
Hirtuleius zu Hilfe zu eilen. Auch diesmal war seine Absicht darauf gerichtet,
jeder Hauptschlacht auszuweichen und den Feind durch kleine Kaempfe und
Abschneiden der Zufuhr aufzureiben. Indes Pompeius erzwang gegen Perpenna den
Uebergang ueber den Ebro und nahm Stellung am Fluss Pallantia bei Saguntum,
unweit des Vorgebirgs der Diana, von wo aus, wie schon gesagt ward, die
Sertorianer ihre Verbindungen mit Italien und dem Osten unterhielten. Es war
Zeit, dass Sertorius selber erschien und die Ueberlegenheit seiner Truppenzahl
und seines Genies gegen die groessere Tuechtigkeit der Soldaten seines Gegners
in die Waagschale warf. Um die Stadt Lauro (am Xucar suedlich von Valencia), die
sich fuer Pompeius erklaert hatte und deshalb von Sertorius belagert ward,
konzentrierte der Kampf sich laengere Zeit. Pompeius strengte sich aufs
aeusserste an, sie zu entsetzen; allein nachdem vorher ihm mehrere Abteilungen
einzeln ueberfallen und zusammengehauen worden waren, sah sich der grosse
Kriegsmann, ebenda er die Sertorianer umzingelt zu haben meinte und schon die
Belagerten eingeladen hatte, dem Abfangen der Belagerungsarmee zuzuschauen,
ploetzlich vollstaendig ausmanoevriert und musste, um nicht selber umzingelt zu
werden, die Einnahme und Einaescherung der verbuendeten Stadt und die Abfuehrung
der Einwohner nach Lusitanien von seinem Lager aus ansehen - ein Ereignis, das
eine Reihe schwankend gewordener Staedte im mittleren und oestlichen Spanien
wieder an Sertorius festzuhalten bestimmte. Gluecklicher focht inzwischen
Metellus. In einem heftigen Treffen bei Italica (unweit Sevilla), das Hirtuleius
unvorsichtig gewagt hatte und in dem beide Feldherrn persoenlich ins Handgemenge
kamen, Hirtuleius auch verwundet ward, schlug er diesen und zwang ihn, das
eigentliche roemische Gebiet zu raeumen und sich nach Lusitanien zu werfen.
Dieser Sieg gestattete Metellus, sich mit Pompeius zu vereinigen. Die
Winterquartiere 678/79 (76/75) nahmen beide Feldherren an den Pyrenaeen. Fuer
den naechsten Feldzug 679 (75), beschlossen sie, den Feind in seiner Stellung
bei Valentia gemeinschaftlich anzugreifen. Aber waehrend Metellus heranzog, bot
Pompeius, um die Scharte von Lauro auszuwetzen und die gehofften Lorbeeren
womoeglich allein zu gewinnen, vorher dem feindlichen Hauptheer die Schlacht an.
Mit Freuden ergriff Sertorius die Gelegenheit, mit Pompeius zu schlagen, bevor
Metellus eintraf. Am Flusse Sucro (Xucar) trafen die Heere aufeinander; nach
heftigem Gefecht ward Pompeius auf dem rechten Fluegel geschlagen und selbst
schwer verwundet vom Schlachtfelde weggetragen. Zwar siegte Afranius mit dem
linken und nahm das Lager der Sertorianer, allein waehrend der Pluenderung von
Sertorius ueberrascht, ward auch er gezwungen zu weichen. Haette Sertorius am
folgenden Tage die Schlacht zu erneuern vermocht, Pompeius' Heer waere
vielleicht vernichtet worden. Allein inzwischen war Metellus herangekommen,
hatte das gegen ihn aufgestellte Korps des Perpenna niedergerannt und dessen
Lager genommen; es war nicht moeglich, die Schlacht gegen die beiden vereinigten
Heere wiederaufzunehmen. Die Erfolge des Metellus, die Vereinigung der
feindlichen Streitkraefte, das ploetzliche Stocken nach dem Sieg verbreiteten
Schrecken unter den Sertorianern, und wie es bei spanischen Heeren nicht selten
vorkam, verlief infolge dieses Umschwungs der Dinge sich der groesste Teil der
sertorianischen Soldaten. Indes die Entmutigung verflog so rasch wie sie
gekommen war; die weisse Hindin, die die militaerischen Plaene des Feldherrn bei
der Menge vertrat, war bald wieder populaerer als je; in kurzer Zeit trat in der
gleichen Gegend, suedlich von Saguntum (Murviedro), das fest an Rom hielt,
Sertorius mit einer neuen Armee den Roemern entgegen, waehrend die
sertorianischen Kaper den Roemern die Zufuhr von der Seeseite erschwerten und
bereits im roemischen Lager der Mangel sich bemerklich machte. Es kam abermals
zur Schlacht in den Ebenen des Turiaflusses (Guadalaviar), und lange schwankte
der Kampf. Pompeius mit der Reiterei ward von Sertorius geschlagen und sein
Schwager und Quaestor, der tapfere Lucius Memmius, getoetet; dagegen ueberwand
Metellus den Perpenna und schlug den gegen ihn gerichteten Angriff der
feindlichen Hauptarmee siegreich zurueck, wobei er selbst im Handgemenge eine
Wunde empfing. Abermals zerstreute sich hierauf das Sertorianische Heer.
Valentia, das Gaius Herennius fuer Sertorius besetzt hielt, ward eingenommen und
geschleift. Roemischerseits mochte man einen Augenblick der Hoffnung sich
hingeben mit dem zaehen Gegner fertig zu sein. Die Sertorianische Armee war
verschwunden; die roemischen Truppen, tief in das Binnenland eingedrungen,
belagerten den Feldherrn selbst in der Festung Clunia am oberen Duero. Allein
waehrend sie vergeblich diese Felsenburg umstanden, sammelten sich anderswo die
Kontingente der insurgierten Gemeinden; Sertorius entschluepfte aus der Festung
und stand noch vor Ablauf des Jahres wieder als Feldherr an der Spitze einer
Armee. Wieder mussten die roemischen Feldherrn mit der trostlosen Aussicht auf
die unausbleibliche Erneuerung der sisypheischen Kriegsarbeit die
Winterquartiere beziehen. Es war nicht einmal moeglich, sie in dem wegen der
Kommunikation mit Italien und dem Osten so wichtigen, aber von Freund und Feind
entsetzlich verheerten Gebiet von Valentia zu nehmen; Pompeius fuehrte seine
Truppen zunaechst in das Gebiet der Vasconen ^7 (Biscaya) und ueberwinterte dann
in dem der Vaccaeer (um Valladolid), Metellus gar in Gallien.
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^7 In den neu gefundenen Sallustischen Bruchstuecken, welche dem Ende des
Feldzuges von 75 anzugehoeren scheinen, gehoeren hierher die Worte: Romanus
[exer]citus (des Pompeius) frumenti gra[tia r]emotus in Vascones i .. [it]emque
Sertorius mon ...o, cuius multum in[terer]at, ne ei perinde Asiae [iter et
Italiae intercluderetur].
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Fuenf Jahre waehrte also der Sertorianische Krieg und noch war weder hueben
noch drueben ein Ende abzusehen. Unbeschreiblich litt unter demselben der Staat.
Eine Bluete der italischen Jugend ging in den aufreibenden Strapazen dieser
Feldzuege zugrunde. Die oeffentlichen Kassen entbehrten nicht bloss die
spanischen Einnahmen, sondern hatten auch fuer die Besoldung und Verpflegung der
spanischen Heere jaehrlich sehr ansehnliche Summen nach Spanien zu senden, die
man kaum aufzubringen wusste. Dass Spanien veroedete und verarmte und die so
schoen daselbst sich entfaltende roemische Zivilisation einen schweren Stoss
erhielt, versteht sich von selbst, zumal bei einem so erbittert gefuehrten und
nur zu oft die Vernichtung ganzer Gemeinden veranlassenden Insurrektionskrieg.
Selbst die Staedte, die zu der in Rom herrschenden Partei hielten, hatten
unsaegliche Not zu erdulden; die an der Kueste gelegenen mussten durch die
roemische Flotte mit dem Notwendigen versehen werden, und die Lage der treuen
binnenlaendischen Gemeinden war beinahe verzweifelt. Fast nicht weniger litt die
gallische Landschaft, teils durch die Requisitionen an Zuzug zu Fuss und zu
Pferde, an Getreide und Geld, teils durch die drueckende Last der
Winterquartiere, die infolge der Missernte 680 (74) sich ins unertraegliche
steigerte; fast alle Gemeindekassen waren genoetigt, zu den roemischen Bankiers
ihre Zuflucht zu nehmen und eine erdrueckende Schuldenlast sich aufzubuerden.
Feldherren und Soldaten fuehrten den Krieg mit Widerwillen. Die Feldherren waren
getroffen auf einen an Talent weit ueberlegenen Gegner, auf einen langweilig
zaehen Widerstand, auf einen Krieg sehr ernsthafter Gefahren und schwer
erfochtener, wenig glaenzender Erfolge; es ward behauptet, dass Pompeius damit
umgehe, sich aus Spanien abberufen und irgend anderswo ein erwuenschteres
Kommando sich uebertragen zu lassen. Die Soldaten waren gleichfalls wenig erbaut
von einem Feldzug, in dem es nicht allein weiter nichts zu holen gab als harte
Schlaege und wertlose Beute, sondern auch ihr Sold ihnen hoechst unregelmaessig
gezahlt ward; Pompeius berichtete Ende 679 (75) an den Senat, dass seit zwei
Jahren der Sold im Rueckstand sei und das Heer sich aufzuloesen drohe. Einen
ansehnlichen Teil dieser Uebelstaende haette die roemische Regierung allerdings
zu beseitigen vermocht, wenn sie es ueber sich haette gewinnen koennen, den
Spanischen Krieg mit minderer Schlaffheit, um nicht zu sagen mit besserem Willen
zu fuehren. In der Hauptsache aber war es weder ihre Schuld noch die Schuld der
Feldherren, dass ein so ueberlegenes Genie, wie Sertorius war, auf einem fuer
den Insurrektions- und Korsarenkrieg so ueberaus guenstigen Boden aller
numerischen und militaerischen Ueberlegenheit zum Trotz den kleinen Krieg Jahre
und Jahre fortzufuehren vermochte. Ein Ende war hier so wenig abzusehen, dass
vielmehr die Sertorianische Insurrektion sich mit andern gleichzeitigen
Aufstaenden verschlingen und dadurch ihre Gefaehrlichkeit steigern zu wollen
schien. Ebendamals ward auf allen Meeren mit den Flibustierflotten, ward in
Italien mit den aufstaendischen Sklaven, in Makedonien mit den Voelkerschaften
an der unteren Donau gefochten, und entschloss sich im Osten Koenig Mithradates,
mitbestimmt durch die Erfolge der spanischen Insurrektion, das Glueck der Waffen
noch einmal zu versuchen. Dass Sertorius mit den italischen und makedonischen
Feinden Roms Verbindungen angeknuepft hat, laesst sich nicht bestimmt erweisen,
obwohl er allerdings mit den Marianern in Italien in bestaendigem Verkehr stand;
mit den Piraten dagegen hatte er schon frueher offenes Buendnis gemacht, und mit
dem pontischen Koenig, mit welchem er laengst durch Vermittlung der an dessen
Hof verweilenden roemischen Emigranten Einverstaendnisse unterhalten hatte,
schloss er jetzt einen foermlichen Allianztraktat, in dem Sertorius dem Koenig
die kleinasiatischen Klientelstaaten, nicht aber die roemische Provinz Asia
abtrat, ueberdies ihm einen zum Fuehrer seiner Truppen geeigneten Offizier und
eine Anzahl Soldaten zu senden versprach, der Koenig dagegen ihm 40 Schiffe und
3000 Talente (4« Mill. Taler) zu ueberweisen sich anheischig machte. Schon
erinnerten die klugen Politiker in der Hauptstadt an die Zeit, als Italien sich
durch Philippos und durch Hannibal von Osten und von Westen aus bedroht sah; der
neue Hannibal, meinte man, koenne, nachdem er, wie sein Vorfahr, Spanien durch
sich selbst bezwungen, eben wie dieser mit den Steilkraeften Spaniens in Italien
gar leicht frueher als Pompeius eintreffen, um, wie einst der Phoeniker, die
Etrusker und Samniten gegen Rom unter die Waffen zu rufen.
Indes dieser Vergleich war doch mehr witzig als richtig. Sertorius war bei
weitem nicht stark genug, um das Riesenunternehmen Hannibals zu erneuern; er war
verloren, wenn er Spanien verliess, an dessen Landes- und Volkseigentuemlichkeit
all seine Erfolge hingen, und auch hier mehr und mehr genoetigt, der Offensive
zu entsagen. Sein bewundernswertes Fuehrergeschick konnte die Beschaffenheit
seiner Truppen nicht aendern; der spanische Landsturm blieb, was er war,
unzuverlaessig wie die Welle und der Wind, bald in Massen bis zu 150000 Koepfen
versammelt, bald wieder auf eine Handvoll Leute zusammengeschmolzen; in gleicher
Weise blieben die roemischen Emigranten unbotmaessig, hoffaertig und
eigensinnig. Die Waffengattungen, die laengeres Zusammenhalten der Korps
erfordern, wie namentlich die Reiterei, waren natuerlich in seinem Heer sehr
ungenuegend vertreten. Seine faehigsten Offiziere und den Kern seiner Veteranen
rieb der Krieg allmaehlich auf, und auch die zuverlaessigsten Gemeinden fingen
an, der Plackerei durch die Roemer und der Misshandlung durch die
Sertorianischen Offiziere muede zu werden und Zeichen der Ungeduld und der
schwankenden Treue zu geben. Es ist bemerkenswert, dass Sertorius, auch darin
Hannibal gleich, niemals ueber die Hoffnungslosigkeit seiner Stellung sich
getaeuscht hat; er liess keine Gegenheil voruebergehen, um einen Vergleich
herbeizufuehren und waere jeden Augenblick bereit gewesen, gegen die
Zusicherung, in seiner Heimat friedlich leben zu duerfen, seinen Kommandostab
niederzulegen. Allein die politische Orthodoxie weiss nichts von Vergleich und
Versoehnung. Sertorius durfte nicht rueckwaerts noch seitwaerts; unvermeidlich
musste er weiter auf der einmal betretenen Bahn, wie sie auch schmaler und
schwindelnder ward.
Pompeius' Vorstellungen in Rom, denen Mithradates' Auftreten im Osten
Nachdruck gab, hatten Erfolg. Er erhielt vom Senat die noetigen Gelder zugesandt
und Verstaerkung durch zwei frische Legionen. So gingen die beiden Feldherren im
Fruehjahr 680 (74) wieder an die Arbeit und ueberschritten aufs neue den Ebro.
Das oestliche Spanien war infolge der Schlachten am Xucar und Guadalaviar den
Sertorianern entrissen; der Kampf konzentrierte sich fortan am oberen und
mittleren Ebro um die Hauptwaffenplaetze der Sertorianer Calagurris, Osca,
Ilerda. Wie Metellus in den frueheren Feldzuegen das Beste getan hatte, so
gewann er auch diesmal die wichtigsten Erfolge. Sein alter Gegner Hirtuleius,
der ihm wieder entgegentrat, ward vollstaendig geschlagen und fiel selbst mit
seinem Bruder - ein unersetzlicher Verlust fuer die Sertorianer. Sertorius, den
die Ungluecksbotschaft erreichte, als er selbst im Begriff war, die ihm
gegenueberstehenden Feinde anzugreifen, stiess den Boten nieder, damit die
Nachricht die Seinigen nicht entmutigte; aber lange war die Kunde nicht zu
verbergen. Eine Stadt nach der andern ergab sich. Metellus besetzte die
keltiberischen Staedte Segobriga (zwischen Toledo und Cuenca) und Bilbilis (bei
Calatayud). Pompeius belagerte Pallantia (Palencia oberhalb Valladolid), das
aber Sertorius entsetzte und den Pompeius noetigte, sich auf Metellus
zurueckzuziehen; vor Calagurris (Calahorra am oberen Ebro), wohin Sertorius sich
geworfen, erlitten sie beide empfindliche Verluste. Dennoch konnten sie, als sie
in die Winterquartiere gingen, Pompeius nach Gallien, Metellus in seine eigene
Provinz, auf betraechtliche Erfolge zuruecksehen; ein grosser Teil der
Insurgenten hatte sich gefuegt oder war mit den Waffen bezwungen worden.
In aehnlicher Weise verlief der Feldzug des folgenden Jahres (681 78); in
diesem war es vor allem Pompeius, der langsam, aber stetig das Gebiet der
Insurrektion einschraenkte.
Der Rueckschlag des Niedergangs ihrer Waffen auf die Stimmung im
Insurgentenlager blieb nicht aus. Wie Hannibals wurden auch Sertorius'
kriegerische Erfolge notwendig immer geringer; man fing an, sein militaerisches
Talent in Zweifel zu ziehen; er sei nicht mehr der alte, hiess es, er verbringe
der Tag beim Schmaus oder beim Becher und verschleudere die Gelder wie die
Stunden. Die Zahl der Ausreisser, der abfallenden Gemeinden mehrte sich. Bald
kamen Plaene der roemischen Emigranten gegen das Leben des Feldherrn bei diesem
zur Anzeige; sie klangen glaublich genug, zumal da so manche Offiziere der
Insurgentenarmee, namentlich Perpenna, nur widerwillig sich unter den Oberbefehl
des Sertorius gefuegt hatten und seit langem von den roemischen Statthaltern dem
Moerder des feindlichen Oberfeldherrn Amnestie und ein hohes Blutgeld ausgelobt
war. Sertorius entzog auf jene Inzichten hin die Hut seiner Person den
roemischen Soldaten und gab sie erlesenen Spaniern. Gegen die Verdaechtigen
selbst schritt er mit furchtbarer, aber notwendiger Strenge ein und verurteilte,
ohne wie sonst Ratmaenner zuzuziehen, verschiedene Angeschuldigte zum Tode; den
Freunden, hiess es darauf in den Kreisen der Missvergnuegten, sei er jetzt
gefaehrlicher als den Feinden. Bald ward eine zweite Verschwoerung entdeckt, die
ihren Sitz in seinem eigenen Stabe hatte; wer zur Anzeige gebracht ward, musste
fluechtig werden oder sterben, aber nicht alle wurden verraten und die uebrigen
Verschworenen, unter ihnen vor allem Perpenna, fanden hierin nur einen Antrieb,
sich zu eilen. Man befand sich im Hauptquartier zu Osca. Hier ward auf Perpennas
Veranstaltung dem Feldherrn ein glaenzender Sieg berichtet, den seine Truppen
erfochten haetten; und bei der zur Feier dieses Sieges von Perpenna
veranstalteten festlichen Mahlzeit erschien denn auch Sertorius, begleitet, wie
er pflegte, von seinem spanischen Gefolge. Gegen den sonstigen Brauch im
Sertorianischen Hauptquartier ward das Fest bald zum Bacchanal; wueste Reden
flogen ueber den Tisch, und es schien, als wenn einige der Gaeste Gelegenheit
suchten, einen Wortwechsel zu beginnen; Sertorius warf sich auf seinem Lager
zurueck und schien den Laerm ueberhoeren zu wollen. Da klirrte eine Trinkschale
auf den Boden: Perpenna gab das verabredete Zeichen. Marcus Antonius, Sertorius'
Nachbar bei Tische, fuehrte den ersten Streich gegen ihn, und da der Getroffene
sich umwandte und sich aufzurichten versuchte, stuerzte der Moerder sich ueber
ihn und hielt ihn nieder, bis die uebrigen Tischgaeste, saemtlich Teilnehmer der
Verschwoerung, sich auf die Ringenden warfen und den wehrlosen, an beiden Armen
festgehaltenen Feldherrn erstachen (682 72). Mit ihm starben seine treuen
Begleiter. So endigte einer der groessten, wo nicht der groesste Mann, den Rom
bisher hervorgebracht, ein Mann, der unter gluecklicheren Umstaenden vielleicht
der Regenerator seines Vaterlandes geworden sein wuerde, durch den Verrat der
elenden Emigrantenbande, die er gegen die Heimat zu fuehren verdammt war. Die
Geschichte liebt die Coriolane nicht; auch mit diesem hochherzigsten,
genialsten, bedauernswertesten unter allen hat sie keine Ausnahme gemacht.
Die Erbschaft des Gemordeten dachten die Moerder zu tun. Nach Sertorius'
Tode machte Perpenna als der hoechste unter den roemischen Offizieren der
spanischen Armee Ansprueche auf den Oberbefehl. Man fuegte sich, aber
misstrauend und widerstrebend. Wie man auch gegen Sertorius bei seinen Lebzeiten
gemurrt hatte, der Tod setzte den Helden wieder in sein Recht ein, und gewaltig
brauste der Unwille der Soldaten auf, als bei der Publikation seines Testaments
unter den Namen der Erben auch der des Perpenna verlesen ward. Ein Teil der
Soldaten, namentlich die lusitanischen, verliefen sich; die zurueckgebliebenen
beschlich die Ahnung, dass mit Sertorius' Tode der Geist und das Glueck von
ihnen gewichen sei. Bei der ersten Begegnung mit Pompeius wurden denn auch die
elend gefuehrten und mutlosen Insurgentenhaufen vollstaendig zersprengt und
unter anderen Offizieren auch Perpenna gefangen eingebracht. Durch die
Auslieferung der Korrespondenz des Sertorius, die zahlreiche angesehene Maenner
in Italien kompromittiert haben wuerde, suchte der Elende sich das Leben zu
erkaufen; indes Pompeius befahl, die Papiere ungelesen zu verbrennen und
ueberantwortete ihn sowie die uebrigen Insurgentenchefs dem Scharfrichter. Die
entkommenen Emigranten verliefen sich und gingen groesstenteils in die
mauretanischen Wuesten oder zu den Piraten. Einem Teil derselben eroeffnete bald
darauf das Plotische Gesetz, das namentlich der junge Caesar eifrig
unterstuetzte, die Rueckkehr in die Heimat; diejenigen aber, die von ihnen an
dem Morde des Sertorius teilgenommen hatten, starben, mit Ausnahme eines
einzigen, saemtlich eines gewaltsamen Todes. Osca und ueberhaupt die meisten
Staedte, die im Diesseitigen Spanien noch zu Sertorius gehalten hatten,
oeffneten dem Pompeius jetzt freiwillig ihre Tore; nur Uxama (Osma), Clunia und
Calagurris mussten mit den Waffen bezwungen werden. Die beiden Provinzen wurden
neu geordnet; in der jenseitigen erhoehte Metellus den schuldigsten Gemeinden
die Jahrestribute; in der diesseitigen schaltete Pompeius belohnend und
bestrafend, wie zum Beispiel Calagurris seine Selbstaendigkeit verlor und unter
Osca gelegt ward. Einen Haufen Sertorianischer Soldaten, der in den Pyrenaeen
sich zusammengefunden hatte, bewog Pompeius zur Unterwerfung und siedelte ihn
nordwaerts der Pyrenaeen bei Lugudunum (St. Bertrand im Departement Haute-
Garonne) als die Gemeinde der "Zusammengelaufenen" (convenae) an. Auf der
Passhoehe der Pyrenaeen wurden die roemischen Siegeszeichen errichtet; am Ende
des Jahres 683 (71) zogen Metellus und Pompeius mit ihren Heeren durch die
Strassen der Hauptstadt, um den Dank der Nation fuer die Besiegung der Spanier
dem Vater Jovis auf dem Kapitol darzubringen. Noch ueber das Grab hinaus schien
Sullas Glueck mit seiner Schoepfung zu sein und dieselbe besser zu schirmen als
die zu ihrer Hut bestellten unfaehigen und schlaffen Waechter. Die italische
Opposition hatte durch die Unfaehigkeit und Vorschnelligkeit ihres Fuehrers, die
Emigration durch inneren Zwist sich selber gesprengt. Diese Niederlagen, obwohl
weit mehr das Werk ihrer eigenen Verkehrtheit und Zerfahrenheit als der
Anstrengungen ihrer Gegner, waren doch ebensoviele Siege der Oligarchie. Noch
einmal waren die kurulischen Stuehle befestigt.
2. Kapitel
Die Sullanische Restaurationsherrschaft
Als nach Unterdrueckung der den Senat in seiner Existenz bedrohenden
Cinnanischen Revolution es der restaurierten Senatsregierung moeglich ward, der
inneren und aeusseren Sicherheit des Reiches wiederum die erforderliche
Aufmerksamkeit zu widmen, zeigten sich der Angelegenheiten genug, deren Loesung
nicht verschoben werden konnte, ohne die wichtigsten Interessen zu verletzen und
gegenwaertige Unbequemlichkeiten zu kuenftigen Gefahren anwachsen zu lassen.
Abgesehen von der sehr ernsten Verwicklung in Spanien war es schlechterdings
notwendig teils die Barbaren in Thrakien und den Donaulaendern, die Sulla bei
seinem Marsch durch Makedonien nur oberflaechlich hatte zuechtigen koennen,
nachhaltig zu Paaren zu treiben und die verwirrten Verhaeltnisse an der
Nordgrenze der griechischen Halbinsel militaerisch zu regulieren, teils den
ueberall, namentlich aber in den oestlichen Gewaessern herrschenden
Flibustierbanden gruendlich das Handwerk zu legen, teils endlich in die unklaren
kleinasiatischen Verhaeltnisse eine bessere Ordnung zu bringen. Der Friede, den
Sulla im Jahre 670 (84) mit Koenig Mithradates von Pontos abgeschlossen hatte
und von dem der Vertrag mit Murena 673 (81) wesentlich eine Wiederholung war,
trug durchaus den Stempel eines notduerftig fuer den Augenblick hergestellten
Provisoriums; und das Verhaeltnis der Roemer zu Koenig Tigranes von Armenien,
mit dem sie doch faktisch Krieg gefuehrt hatten, war in diesem Frieden ganz
unberuehrt geblieben. Mit Recht hatte Tigranes darin die stillschweigende
Erlaubnis gefunden, die roemischen Besitzungen in Asien in seine Gewalt zu
bringen. Wenn dieselben nicht preisgegeben bleiben sollten, war es notwendig in
Guete oder Gewalt mit dem neuen Grosskoenig Asiens sich abzufinden.
Betrachten wir, nachdem in dem vorhergehenden Kapitel die mit dem
demokratischen Treiben zusammenhaengende Bewegung in Italien und Spanien und
deren Ueberwaeltigung durch die senatorische Regierung dargestellt wurde, in
diesem das aeussere Regiment, wie die von Sulla eingesetzte Behoerde es gefuehrt
oder auch nicht gefuehrt hat.
Man erkennt noch Sullas kraeftige Hand in den energischen Massregeln, die
in der letzten Zeit seiner Regentschaft der Senat ungefaehr gleichzeitig gegen
die Sertorianer, gegen die Dalmater und Thraker und gegen die kilikischen
Piraten verfuegte.
Die Expedition nach der griechisch-illyrischen Halbinsel hatte den Zweck,
teils die barbarischen Staemme botmaessig oder doch zahm zu machen, die das
ganze Binnenland vom Schwarzen bis zum Adriatischen Meere durchstreiften und
unter denen vornehmlich die Besser (im grossen Balkan), wie man damals sagte,
selbst unter den Raeubern als Raeuber verrufen waren, teils die namentlich im
dalmatischen Litoral sich bergenden Korsaren zu vernichten. Wie gewoehnlich ging
der Angriff gleichzeitig von Dalmatien und von Makedonien aus, in welcher
letzteren Provinz ein Heer von fuenf Legionen hierzu gesammelt ward. Der
gewesene Praetor Gaius Cosconius, welcher in Dalmatien den Befehl fuehrte,
durchstreifte das Land nach allen Richtungen und erstuermte nach zweijaehriger
Belagerung die Festung Salona. In Makedonien versuchte der Prokonsul Appius
Claudius (676 bis 678 78-76) zunaechst sich an der makedonisch-thrakischen
Grenze der Berglandschaften am linken Ufer des Karasu zu bemeistern. Von beiden
Seiten ward der Krieg mit arger Wildheit gefuehrt; die Thraker zerstoerten die
eroberten Ortschaften und metzelten die Gefangenen nieder und die Roemer
vergalten Gleiches mit Gleichem. Ernstliche Erfolge aber wurden nicht erreicht;
die beschwerlichen Maersche und die bestaendigen Gefechte mit den zahlreichen
und tapferen Gebirgsbewohnern dezimierten nutzlos die Armee; der Feldherr selbst
erkrankte und starb. Sein Nachfolger Gaius Scribonius Curio (679-681 75-73)
wurde durch mancherlei Hindernisse, namentlich auch durch einen nicht
unbedeutenden Militaeraufstand bewogen, die schwierige Expedition gegen die
Thraker fallen zu lassen und dafuer sich nach der makedonischen Nordgrenze zu
wenden, wo er die schwaecheren Dardaner (in Serbien) unterwarf und bis an die
Donau gelangte. Erst der tapfere und faehige Marcus Lucullus (682, 683 72, 71)
rueckte wieder gegen Osten vor, schlug die Besser in ihren Bergen, nahm ihre
Hauptstadt Uscudama (Adrianopel) und zwang sie, der roemischen Oberhoheit sich
zu fuegen. Der Koenig der Odrysen, Sadalas, und die griechischen Staedte an der
Ostkueste noerdlich und suedlich vom Balkangebirge: Istropolis, Tomoi, Kallatis,
Odessos (bei Varna), Mesembria und andere, wurden abhaengig von den Roemern;
Thrakien, von dem die Roemer bisher kaum mehr inne gehabt hatten als die
attalischen Besitzungen auf dem Chersones, ward jetzt ein freilich wenig
botmaessiger Teil der Provinz Makedonien.
Aber weit nachteiliger als die immer doch auf einen geringen Teil des
Reiches sich beschraenkenden Raubzuege der Thraker und Dardaner war fuer den
Staat wie fuer die einzelnen die Piraterie, die immer weiter um sich griff und
immer fester sich organisierte. Der Seeverkehr war auf dem ganzen Mittelmeer in
ihrer Gewalt. Italien konnte weder seine Produkte aus-, noch das Getreide aus
den Provinzen einfuehren; dort hungerten die Leute, hier stockte wegen Mangels
an Absatz die Bestellung der Getreidefelder. Keine Geldsendung, kein Reisender
war mehr sicher; die Staatskasse erlitt die empfindlichsten Verluste; eine
grosse Anzahl angesehener Roemer wurde von den Korsaren aufgebracht und musste
mit schweren Summen sich ranzionieren, wenn es nicht gar den Piraten beliebte,
an einzelnen derselben das Blutgericht zu vollstrecken, das dann auch wohl mit
wildem Humor gewuerzt ward. Die Kaufleute, ja die nach dem Osten bestimmten
roemischen Truppenabteilungen fingen an, ihre Fahrten vorwiegend in die
unguenstige Jahreszeit zu verlegen und die Winterstuerme weniger zu scheuen als
die Piratenschiffe, die freilich selbst in dieser Jahreszeit doch nicht ganz vom
Meere verschwanden. Aber wie empfindlich die Sperrung der See war, sie war eher
zu ertragen als die Heimsuchung der griechischen und kleinasiatischen Inseln und
Kuesten. Ganz wie spaeter in der Normannenzeit liefen die Korsarengeschwader bei
den Seestaedten an und zwangen sie, entweder mit grossen Summen sich
loszukaufen, oder belagerten und stuermten sie mit gewaffneter Hand. Wenn unter
Sullas Augen nach geschlossenem Frieden mit Mithradates Samothrake, Klazomenae,
Samos, Iassos von den Piraten ausgeraubt wurden (670 84), so kann man sich
denken, wie es da zuging, wo weder eine roemische Flotte noch ein roemisches
Heer in der Naehe stand. All die alten reichen Tempel an den griechischen und
kleinasiatischen Kuesten wurden nach der Reihe gepluendert; allein aus
Samothrake soll ein Schatz von 1000 Talenten (1500000 Talern) weggefuehrt worden
sein. Apollon, heisst es bei einem roemischen Dichter dieser Zeit, ist durch die
Piraten so arm geworden, dass er, wenn die Schwalbe bei ihm auf Besuch ist, aus
all seinen Schaetzen auch nicht ein Quentchen Gold mehr ihr vorzeigen kann. Man
rechnete ueber vierhundert von den Piraten eingenommene oder gebrandschatzte
Ortschaften, darunter Staedte wie Knidos, Samos, Kolophon; aus nicht wenigen
frueher bluehenden Insel- und Kuestenplaetzen wanderte die gesamte Bevoelkerung
aus, um nicht von den Piraten fortgeschleppt zu werden. Nicht einmal im
Binnenland mehr war man vor denselben sicher; es kam vor, dass sie ein bis zwei
Tagemaersche von der Kueste belegene Ortschaften ueberfielen. Die entsetzliche
Verschuldung, der spaeterhin alle Gemeinden im griechischen Osten erliegen,
stammt grossenteils aus diesen verhaengnisvollen Zeiten. Das Korsarenwesen hatte
seinen Charakter gaenzlich veraendert. Es waren nicht mehr dreiste
Schnapphaehne, die in den kretischen Gewaessern zwischen Kyrene und dem
Peloponnes - in der Flibustiersprache dem "goldenen Meer" - von dem grossen Zug
des italisch-orientalischen Sklaven- und Luxushandels ihren Tribut nahmen; auch
nicht mehr bewaffnete Sklavenfaenger, die "Krieg, Handel und Piraterie"
ebenmaessig nebeneinander betrieben, es war ein Korsarenstaat mit einem
eigentuemlichen Gemeingeist; mit einer festen, sehr respektablen Organisation,
mit einer eigenen Heimat und den Anfaengen einer Symmachie, ohne Zweifel auch
mit bestimmten politischen Zwecken. Die Flibustier nannten sich Kiliker; in der
Tat fanden auf ihren Schiffen die Verzweifelten und Abenteurer aller Nationen
sich zusammen: die entlassenen Soeldner von den kretischen Werbeplaetzen, die
Buerger der vernichteten Ortschaften Italiens, Spaniens und Asiens, die Soldaten
und Offiziere aus Fimbrias und Sertorius' Heeren, ueberhaupt die verdorbenen
Leute aller Nationen, die gehetzten Fluechtlinge aller ueberwundenen Parteien,
alles was elend und verwegen war - und wo war nicht Jammer und Frevel in dieser
unseligen Zeit? Es war keine zusammengelaufene Diebesbande mehr, sondern ein
geschlossener Soldatenstaat, in dem die Freimaurerei der Aechtung und der
Missetat an die Stelle der Nationalitaet trat und innerhalb dessen das
Verbrechen, wie so oft, vor sich selbst sich rettete in den hochherzigsten
Gemeinsinn. In einer zuchtlosen Zeit, wo Feigheit und Unbotmaessigkeit alle
Bande der gesellschaftlichen Ordnung erschlafft hatten, mochten die legitimen
Gemeinwesen sich ein Muster nehmen an diesem Bastardstaat der Not und Gewalt, in
den allein von allen das unverbruechliche Zusammenstehen, der kameradschaftliche
Sinn, die Achtung vor dem gegebenen Treuwort und den selbstgewaehlten Haeuptern,
die Tapferkeit und die Gewandtheit sich gefluechtet zu haben schienen. Wenn auf
der Fahne dieses Staats die Rache an der buergerlichen Gesellschaft geschrieben
war, die, mit Recht oder mit Unrecht, seine Mitglieder von sich ausgestossen
hatte, so liess sich darueber streiten, ob diese Devise viel schlechter war als
die der italischen Oligarchie und des orientalischen Sultanismus, die im Zuge
schienen, die Welt unter sich zu teilen. Die Korsaren wenigstens fuehlten jedem
legitimen Staate sich ebenbuertig; von ihrem Raeuberstolz, ihrer Raeuberpracht
und ihrem Raeuberhumor zeugt noch manche echte Flibustiergeschichte toller
Lustigkeit und ritterlicher Banditenweise; sie meinten, und ruehmten sich
dessen, in einem gerechten Krieg mit der ganzen Welt zu leben; was sie darin
gewannen, das hiess ihnen nicht Raubgut, sondern Kriegsbeute; und wenn dem
ergriffenen Flibustier in jedem roemischen Hafen das Kreuz gewiss war, so nahmen
auch sie als ihr Recht in Anspruch, jeden ihrer Gefangenen hinrichten zu
duerfen. Ihre militaerisch-politische Organisation war namentlich seit dem
Mithradatischen Krieg festgeschlossen. Ihre Schiffe, groesstenteils
"Mauskaehne", das heisst kleine, offene, schnellsegelnde Barken, nur zum
kleineren Teil Zwei- und Dreidecker, fuhren jetzt regelmaessig in Geschwader
vereinigt und unter Admiralen, deren Barken in Gold und Purpur zu glaenzen
pflegten. Dem bedrohten Kameraden, mochte er auch voellig unbekannt sein,
weigerte kein Piratenkapitaen den erbetenen Beistand; der mit einem aus ihrer
Mitte abgeschlossene Vertrag ward von der ganzen Gesellschaft unweigerlich
anerkannt, aber auch jede einem zugefuegte Unbill von allen geahndet. Ihre
rechte Heimat war das Meer von den Saeulen des Herkules bis in die syrischen und
aegyptischen Gewaesser; die Zufluchtsstaetten, deren sie fuer sich und ihre
schwimmenden Haeuser auf dem Festlande bedurften, gewaehrten ihnen bereitwillig
die mauretanischen und dalmatischen Gestade, die Insel Kreta, vor allem die an
Vorspruengen und Schlupfwinkeln reiche, die Hauptstrasse des Seehandels jener
Zeit beherrschende und so gut wie herrenlose Suedkueste Kleinasiens. Der
lykische Staedtebund daselbst und die pamphylischen Gemeinden hatten wenig zu
bedeuten; die seit 652 (102) in Kilikien bestehende roemische Station reichte
zur Beherrschung der weitlaeufigen Kueste bei weitem nicht aus; die syrische
Herrschaft ueber Kilikien war immer nur nominell gewesen und seit kurzem gar
ersetzt worden durch die armenische, deren Inhaber als echter Grosskoenig um das
Meer gar nicht sich kuemmerte und dasselbe bereitwillig den Kilikern zur
Pluenderung preisgab. So war es kein Wunder, wenn die Korsaren hier gediehen wie
nirgends sonst. Nicht bloss besassen sie hier ueberall am Ufer Signalplaetze und
Stationen, sondern auch weiter landeinwaerts, in den abgelegensten Verstecken
des unwegsamen und gebirgigen lykischen, pamphylischen, kilikischen
Binnenlandes, hatten sie sich ihre Felsschloesser erbaut, in denen, waehrend sie
selbst zur See fuhren, sie ihre Weiber, Kinder und Schaetze bargen, auch wohl in
gefaehrlichen Zeiten selbst dort eine Zufluchtsstaette fanden. Namentlich gab es
solche Korsarenschloesser in grosser Zahl in dem rauhen Kilikien, dessen
Waldungen zugleich den Piraten das vortrefflichste Holz zum Schiffbau lieferten
und wo deshalb ihre hauptsaechlichsten Schiffbaustaetten und Arsenale sich
befanden. Es war nicht zu verwundern, dass dieser geordnete Militaerstaat unter
den mehr oder minder sich selber ueberlassenen und sich selber verwaltenden
griechischen Seestaedten sich eine feste Klientel bildete, die mit den Piraten
wie mit einer befreundeten Macht auf Grund bestimmter Vertraege in
Handelsverkehr trat und der Aufforderung der roemischen Statthalter, Schiffe
gegen sie zu stellen, nicht nachkam; wie denn zum Beispiel die nicht
unbetraechtliche Stadt Side in Pamphylien den Piraten gestattete auf ihren
Werften Schiffe zu bauen und die gefangenen Freien auf ihrem Marktplatz
feilzubieten.
Eine solche Seeraeuberschaft war eine politische Macht; und als politische
Macht gab sie sich und ward sie genommen, seit zuerst der syrische Koenig
Tryphon sie als solche benutzt und seine Herrschaft auf sie gestuetzt hatte. Wir
finden die Piraten als Verbuendete des Koenigs Mithradates von Pontos sowie der
roemischen demokratischen Emigration; wir finden sie Schlachten liefern gegen
die Flotten Sullas in den oestlichen wie in den westlichen Gewaessern. Wir
finden einzelne Piratenfuersten, die ueber eine Kette von ansehnlichen
Kuestenplaetzen gebieten. Es laesst sich nicht sagen, wieweit die innere
politische Entwicklung dieses schwimmenden Staates bereits gediehen war; aber
unleugbar liegt in diesen Bildungen der Keim eines Seekoenigtums, das bereits
sich ansaessig zu machen beginnt und aus dem unter guenstigen Verhaeltnissen
wohl ein dauernder Staat sich haette entwickeln moegen.
Es ist hiermit ausgesprochen und ward zum Teil schon frueher bezeichnet,
wie die Roemer auf "ihrem Meere" die Ordnung hielten oder vielmehr nicht
hielten. Roms Schutzherrschaft ueber die Aemter bestand wesentlich in der
militaerischen Vormundschaft; fuer die in der Hand der Roemer vereinigte
Verteidigung zur See und zu Lande zahlten oder zinsten den Roemern die
Provinzialen. Aber wohl niemals hat ein Vormund seinen Muendel unverschaemter
betrogen als die roemische Oligarchie die untertaenigen Gemeinden. Statt dass
Rom eine allgemeine Reichsflotte aufgestellt und die Seepolizei zentralisiert
haette, liess der Senat die einheitliche Oberleitung des Seepolizeiwesens, ohne
die ebenhier gar nichts auszurichten war, gaenzlich fallen und ueberliess es
jedem einzelnen Statthalter und jedem einzelnen Klientelstaat, sich der Piraten
zu erwehren, wie jeder wollte und konnte. Statt dass Rom, wie es sich anheischig
gemacht, das Flottenwesen mit seinem und der formell souveraen gebliebenen
Klientelstaaten Gut und Blut ausschliesslich bestritten haette, liess man die
italische Kriegsmarine eingehen und lernte sich behelfen mit den von den
einzelnen Kaufstaedten requirierten Schiffen oder noch haeufiger mit den
ueberall organisierten Strandwachen, wo dann in beiden Faellen alle Kosten und
Beschwerden die Untertanen trafen. Die Provinzialen mochten sich gluecklich
schaetzen, wenn der roemische Statthalter die fuer die Kuestenverteidigung
ausgeschriebenen Requisitionen nur wirklich zu diesem Zwecke verwandte und nicht
fuer sich unterschlug, oder wenn sie nicht, wie sehr haeufig geschah, angewiesen
wurden, fuer einen von den Seeraeubern gefangenen vornehmen Roemer die Ranzion
zu bezahlen. Was etwa Verstaendiges begonnen ward, wie die Besetzung Kilikiens
652 (102), verkuemmerte sicher in der Ausfuehrung. Wer von den Roemern dieser
Zeit nicht gaenzlich in der gangbaren duseligen Vorstellung von nationaler
Groesse befangen war, der haette wuenschen muessen, von der Rednerbuehne auf dem
Markte die Schiffsschnaebel herabreissen zu duerfen, um wenigstens nicht stets
durch sie an die in besserer Zeit erfochtenen Seesiege sich gemahnt zu finden.
Indes tat doch Sulla, der in dem Kriege gegen Mithradates wahrlich
hinreichend sich hatte ueberzeugen koennen, welche Gefahren die
Vernachlaessigung des Flottenwesens mit sich bringe, verschiedene Schritte, um
dem Uebel ernstlich zu steuern. Der Auftrag zwar, welchen er den von ihm in
Asien eingesetzten Statthaltern zurueckgelassen, in den Seestaedten eine Flotte
gegen die Seeraeuber auszuruesten, hatte wenig gefruchtet, da Murena es vorzog,
Krieg mit Mithradates anzufangen, und der Statthalter von Kilikien, Gnaeus
Dolabella, sich ganz unfaehig erwies. Deshalb beschloss im Jahre 675 (79) der
Senat, einen der Konsuln nach Kilikien zu senden; das Los traf den tuechtigen
Publius Servilius. Er schlug in einem blutigen Treffen die Flotte der Piraten
und wandte sich darauf zur Zerstoerung derjenigen Staedte an der
kleinasiatischen Suedkueste, die ihnen als Ankerplaetze und Handelsstationen
dienten. Die Festungen des maechtigen Seefuersten Zeniketes: Olympos, Korykos,
Phaselis im oestlichen Lykien, Attaleia in Pamphylien wurden gebrochen, und in
den Flammen der Burg Olympos fand der Fuerst selbst den Tod. Weiter ging es
gegen die Isaurer, welche im nordwestlichen Winkel des rauben Kilikiens am
noerdlichen Abhang des Tauros ein mit prachtvollen Eichenwaeldern bedecktes
Labyrinth von steilen Bergruecken, zerkluefteten Felsen und tiefgeschnittenen
Taelern bewohnten - eine Gegend, die noch heute von den Erinnerungen an die alte
Raeuberzeit erfuellt ist. Um diese isaurischen Felsennester, die letzten und
sichersten Zufluchtsstaetten der Flibustier, zu bezwingen, fuehrte Servilius die
erste roemische Armee ueber den Tauros und brach die feindlichen Festungen
Oroanda und vor allem Isaura selbst, das Ideal einer Raeuberstadt, auf der Hoehe
eines schwer zugaenglichen Bergzuges gelegen und die weite Ebene von Ikonion
vollstaendig ueberschauend und beherrschend. Der erst im Jahre 679 (75)
beendigte Krieg, aus dem Publius Servilius fuer sich und seine Nachkommen den
Beinamen des Isaurikers heimbrachte, war nicht ohne Frucht; eine grosse Anzahl
von Korsaren und Korsarenschiffen geriet durch denselben in die Gewalt der
Roemer; Lykien, Pamphylien, Westkilikien wurden arg verheert, die Gebiete der
zerstoerten Staedte eingezogen und die Provinz Kilikien mit ihnen erweitert.
Allein es lag in der Natur der Sache, dass die Piraterie doch damit keineswegs
unterdrueckt war, sondern nur sich zunaechst nach andern Gegenden, namentlich
nach der aeltesten Herberge der Korsaren des Mittelmeers, nach Kreta, zog. Nur
umfassend und einheitlich durchgefuehrte Repressivmassregeln oder vielmehr nur
die Einrichtung einer staendigen Seepolizei konnten hier durchgreifende Abhilfe
gewaehren.
In vielfacher Beziehung mit diesem Seekrieg standen die Verhaeltnisse des
kleinasiatischen Festlandes. Die Spannung, die hier zwischen Rom und den
Koenigen von Pontos und Armenien bestand, liess nicht nach, sondern steigerte
sich mehr und mehr. Auf der einen Seite griff Koenig Tigranes von Armenien in
der ruecksichtslosesten Weise erobernd um sich. Die Parther, deren in dieser
Zeit auch durch innere Unruhen zerrissener Staat tief daniederlag, wurden in
andauernden Fehden weiter und weiter in das innere Asien zurueckgedraengt. Von
den Landschaften zwischen Armenien, Mesopotamien und Iran wurden Corduene
(noerdliches Kurdistan) und das Atropatenische Medien (Aserbeidschan) aus
parthischen in armenische Lehnkoenigreiche verwandelt und das Reich von Ninive
(Mosul) oder Adiabene, wenigstens voruebergehend, gleichfalls gezwungen, in die
armenische Klientel einzutreten. Auch in Mesopotamien, namentlich in und um
Nisibis, ward die armenische Herrschaft begruendet; nur die suedliche,
grossenteils wueste Haelfte, scheint nicht in festen Besitz des neuen
Grosskoenigs gekommen und namentlich Seleukeia am Tigris ihm nicht untertaenig
geworden zu sein. Das Reich von Edessa oder Osrhoene uebergab er einem Stamme
der schweifenden Araber, den er aus dem suedlichen Mesopotamien hierher
verpflanzte und hier ansaessig machte, um durch ihn den Euphratuebergang und die
grosse Handelsstrasse zu beherrschen ^1. Aber Tigranes beschraenkte seine
Eroberungen keineswegs auf das oestliche Ufer des Euphrat. Vor allem Kappadokien
war das Ziel seiner Angriffe und erlitt, wehrlos wie es war, von dem
uebermaechtigen Nachbar vernichtende Schlaege. Die oestliche Landschaft Melitene
riss Tigranes von Kappadokien ab und vereinigte sie mit der gegenueberliegenden
armenischen Provinz Sophene, wodurch er den Euphratuebergang mit der grossen
kleinasiatisch-armenischen Handelsstrasse in seine Gewalt bekam. Nach Sullas
Tode rueckten die Armenier sogar in das eigentliche Kappadokien ein und fuehrten
die Bewohner der Hauptstadt Mazaka (spaeter Caesarea) und elf anderer griechisch
geordneter Staedte weg nach Armenien. Nicht mehr Widerstand vermochte das in
voller Aufloesung begriffene Seleukidenreich dem neuen Grosskoenig
entgegenzustellen. Hier herrschte im Sueden von der aegyptischen Grenze bis nach
Stratons Turm (Caesarea) der Judenfuerst Alexandros Jannaeos, der im Kampfe mit
den syrischen, aegyptischen und arabischen Nachbarn und mit den Reichsstaedten
seine Herrschaft Schritt vor Schritt erweiterte und befestigte. Die groesseren
Staedte Syriens, Gaza, Stratons Turm, Ptolemais, Beroea versuchten, sich bald
als freie Gemeinden, bald unter sogenannten Tyrannen auf eigene Hand zu
behaupten; vor allem die Hauptstadt Antiocheia war so gut wie selbstaendig.
Damaskos und die Libanostaeler hatten sich dem nabataeischen Fuersten Aretas von
Petra unterworfen. In Kilikien endlich herrschten die Seeraeuber oder die
Roemer. Und um diese in tausend Splitter zerschellende Krone fuhren die
Seleukidenprinzen, als gaelte es das Koenigtum allen zum Spott und zum Aergernis
zu machen, beharrlich fort, untereinander zu hadern, ja, waehrend von diesem
gleich dem Hause des Laios zum ewigen Zwiste verfluchten Geschlechte die eigenen
Untertanen alle abtruennig wurden, sogar Ansprueche auf den durch den erblosen
Abgang des Koenigs Alexander Il. erledigten Thron von Aegypten zu erheben. So
griff Koenig Tigranes hier ohne Umstaende zu. Das oestliche Kilikien ward mit
Leichtigkeit von ihm unterworfen und die Buergerschaften von Soloi und anderen
Staedten ebenwie die kappadokischen nach Armenien abgefuehrt. Ebenso wurde die
obere syrische Landschaft, mit Ausnahme der tapfer verteidigten Stadt Seleukeia
an der Muendung des Orontes, und der groesste Teil von Phoenike mit den Waffen
bezwungen: um 680 (74) ward Ptolemais von den Armeniern eingenommen und schon
der Judenstaat ernstlich von ihnen bedroht. Die alte Hauptstadt der Seleukiden
Antiocheia ward eine der Residenzen des Grosskoenigs. Bereits von dem Jahre 671
(83) an, dem naechsten nach dem Frieden zwischen Sulla und Mithradates, wird
Tigranes in den syrischen Jahrbuechern als der Landesherr bezeichnet und
erscheint Kilikien und Syrien als eine armenische Satrapie unter dem Statthalter
des Grosskoenigs Magadates. Die Zeit der Koenige von Ninive, der Salmanassar und
Sanherib, schien sich zu erneuern: wieder lastete der orientalische Despotismus
schwer auf der handeltreibenden Bevoelkerung der syrischen Kueste, wie einst auf
Tyros und Sidon; wieder warfen binnenlaendische Grossstaaten sich auf die
Landschaften am Mittelmeer; wieder standen asiatische Heere von angeblich einer
halben Million Streiter an den kilikischen und syrischen Kuesten. Wie einst
Salmanassar und Nebukadnezar die Juden nach Babylon gefuehrt hatten, so mussten
jetzt aus allen Grenzlandschaften des neuen Reiches, aus Corduene, Adiabene,
Assyrien, Kilikien, Kappadokien, die Einwohner, namentlich die griechischen oder
halbgriechischen Stadtbuerger, mit ihrer gesamten Habe bei Strafe der
Konfiskation alles dessen, was sie zuruecklassen wuerden, sich zusammensiedeln
in der neuen Residenz, einer von jenen mehr die Nichtigkeit der Voelker als die
Groesse der Herrscher verkuendigenden Riesenstaedten, wie sie in den
Euphratlandschaften bei jedem Wechsel des Oberkoenigtums auf das Machtwort des
neuen Grosssultans aus der Erde springen. Die neue "Tigranesstadt",
Tigranokerta, gegruendet an der Grenze Armeniens und Mesopotamiens und bestimmt
zur Hauptstadt der neu fuer Armenien gewonnenen Gebiete, ward eine Stadt wie
Ninive und Babylon, mit Mauern von fuenfzig Ellen Hoehe und den zum Sultanismus
nun einmal mitgehoerigen Palast-, Garten- und Parkanlagen. Auch sonst
verleugnete der neue Grosskoenig sich nicht: wie in der ewigen Kindheit des
Ostens ueberhaupt die kindlichen Vorstellungen von den Koenigen mit wirklichen
Kronen auf dem Haupte niemals verschwunden sind, so erschien auch Tigranes, wo
er oeffentlich sich zeigte, in Pracht und Tracht eines Nachfolgers des Dareios
und Xerxes, mit dem purpurnen Kaftan, dem halb weissen, halb purpurnen
Untergewand, den langen faltigen Beinkleidern, dem hohen Turban und der
koeniglichen Stirnbinde, wo er ging und stand von vier "Koenigen" in Sklavenart
begleitet und bedient.
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^1 Das Reich von Edessa, dessen Gruendung die einheimischen Chroniken 620
(134) setzen, kam erst einige Zeit nach seiner Entstehung unter die arabische
Dynastie der Abgaros und Mannos, die wir spaeter daselbst finden. Offenbar
haengt dies zusammen mit der Ansiedlung vieler Araber durch Tigranes den Grossen
in der Gegend von Edessa, Kallirhoe, Karrhae (Plin. nat. 5, 20, 85; 21, 86; 6,
28, 142); wovon auch Plutarch (Luc. 21) berichtet, dass Tigranes, die Sitten der
Zeltaraber umwandelnd, sie seinem Reiche naeher ansiedelte, um durch sie des
Handels sich zu bemaechtigen. Vermutlich ist dies so zu verstehen, dass die
Beduinen, die gewohnt waren, durch ihr Gebiet Handelsstrassen zu eroeffnen und
auf diesen feste Durchgangszoelle zu erheben (Strab. 14, 748), dem Grosskoenig
als eine Art von Zollkontrolleuren dienen und an der Euphratpassage fuer ihn und
fuer sich Zoelle erheben sollten. Diese "osrhoenischen Araber" (Orei Arabes),
wie sie Plinius nennt, muessen auch die Araber am Berg Amanos sein, die Afranius
ueberwand (Plut. Pomp. 39).
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Bescheidener trat Koenig Mithradates auf. Er enthielt sich in Kleinasien
der Uebergriffe und begnuegte sich, was kein Traktat ihm verbot, seine
Herrschaft am Schwarzen Meere fester zu begruenden und die Landschaften, die das
Bosporanische jetzt unter seiner Oberhoheit von seinem Sohn Machares beherrschte
Koenigreich von dem Pontischen trennten, allmaehlich in bestimmtere
Abhaengigkeit zu bringen. Aber auch er wandte alle Anstrengungen darauf, seine
Flotte und sein Heer instand zu setzen und namentlich das letztere nach
roemischem Muster zu bewaffnen und zu organisieren, wobei die roemischen
Emigranten, die in grosser Zahl an seinem Hofe verweilten, ihm wesentliche
Dienste leisteten.
Den Roemern war nichts daran gelegen, in die orientalischen Angelegenheiten
noch weiter verwickelt zu werden, als sie es bereits waren. Es zeigt sich dies
namentlich mit schlagender Deutlichkeit darin, dass die Gelegenheit, die in
dieser Zeit sich darbot, das Aegyptische Reich auf friedlichem Wege unter
unmittelbare roemische Herrschaft zu bringen, vom Senat verschmaeht ward. Die
legitime Deszendenz des Ptolemaeos Lagos Sohns war zu Ende gegangen, als der
nach dem Tode des Ptolemaeos Soter II. Koenigs Lathyros von Sulla eingesetzte
Koenig Alexandros II., ein Sohn Koenigs Alexandros I., wenige Tage nach seiner
Thronbesteigung bei einem Auflauf in der Hauptstadt getoetet ward (673 81).
Dieser Alexandros hatte in seinem Testament ^2 zum Erben die roemische Gemeinde
eingesetzt. Die Echtheit dieses Dokuments ward zwar bestritten; allein diese
erkannte der Senat an, indem er auf Grund desselben die in Tyros fuer Rechnung
des verstorbenen Koenigs niedergelegten Summen erhob. Nichtsdestoweniger
gestattete er zwei notorisch illegitimen Soehnen des Koenigs Lathyros, dem
einen, Ptolemaeos XI., der neue Dionysos oder der Floetenblaeser (Auletes)
genannt, Aegypten, dem andern, Ptolemaeos dem Kyprier, Kypros tatsaechlich in
Besitz zu nehmen; sie wurden zwar vom Senat nicht ausdruecklich anerkannt, aber
doch auch keine bestimmte Forderung auf Herausgabe der Reiche an sie gerichtet.
Die Ursache, weshalb der Senat diesen unklaren Zustand fortdauern liess und
nicht dazu kam, in bindender Weise auf Aegypten und Kypros zu verzichten, war
ohne Zweifel die ansehnliche Rente, welche jene gleichsam auf Bittbesitz
herrschenden Koenige fuer die Fortdauer desselben den roemischen
Koteriehaeuptern fortwaehrend zahlten. Allein der Grund, jenem lockenden Erwerb
ueberhaupt zu entsagen, liegt anderswo. Aegypten gab durch seine eigentuemliche
Lage und seine finanzielle Organisation jedem dort befehligenden Statthalter
eine Geld- und Seemacht und ueberhaupt eine unabhaengige Gewalt in die Haende,
wie sie mit dem argwoehnischen und schwaechlichen Regiment der Oligarchie sich
schlechterdings nicht vertrug; von diesem Standpunkt aus war es verstaendig, dem
unmittelbaren Besitz der Nillandschaft zu entsagen.
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^2 Die streitige Frage, ob dies angebliche oder wirkliche Testament von
Alexander I. (+ 666 88) oder Alexander II. (+ 673 81) herruehre, wird
gewoehnlich fuer die erste Alternative entschieden. Allein die Gruende sind
unzulaenglich; denn Cicero (leg. agr. 1, 4, 12; 15, 38; 16, 41) sagt nicht, dass
Aegypten im Jahre 666 (88), sondern dass es in oder nach diesem Jahr an Rom
gefallen sei; und wenn man daraus, dass Alexander I. im Ausland, Alexander II.
in Alexandreia umkam, gefolgert hat, dass die in dem fraglichen Testament
erwaehnten in Tyros lagernden Schaetze dem ersteren gehoert haben werden, so ist
uebersehen, dass Alexander II. neunzehn Tage nach seiner Ankunft in Aegypten
getoetet ward (J. A. Letronne, Recueil des inscriptions grecques et latines de
l'Egypte. Bd. 2, Paris 1848, S. 20), wo seine Kasse noch sehr wohl in Tyros sein
konnte. Entscheidend ist dagegen der Umstand, dass der zweite Alexander der
letzte echte Lagide war, da bei den aehnlichen Erwerbungen von Pergamon Kyrene
und Bithynien Rom stets von dem letzten Spross der berechtigten Herrscherfamilie
eingesetzt worden ist. Das alte Staatsrecht, wie es wenigstens fuer die
roemischen Klientelstaaten massgebend gewesen ist, scheint dem Regenten das
letztwillige Verfuegungsrecht ueber sein Reich nicht unbedingt, sondern nur in
Ermangelung erbberechtigter Agnaten zugestanden zu haben. Vgl. Gutschmids
Anmerkung zu der deutschen Uebersetzung von S. Sharper, Geschichte Aegyptens.
Bd. 2, S. 17. Ob das Testament echt oder falsch war, ist nicht auszumachen und
auch ziemlich gleichgueltig; besondere Gruende, eine Faelschung anzunehmen,
liegen nicht vor.
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Weniger laesst es sich rechtfertigen, dass der Senat es unterliess, in die
kleinasiatischen und syrischen Angelegenheiten unmittelbar einzugreifen. Die
roemische Regierung erkannte zwar den armenischen Eroberer nicht als Koenig von
Kappadokien und Syrien an; aber sie tat doch auch nichts, um ihn
zurueckzudraengen, wie nahe immer der Krieg, den sie 676 (78) notgedrungen in
Kilikien gegen die Piraten begann, ihr namentlich das Einschreiten in Syrien
legte. In der Tat gab sie, indem sie den Verlust Kappadokiens und Syriens ohne
Kriegserklaerung hinnahm, damit nicht bloss ihre Schutzbefohlenen, sondern die
wichtigsten Grundlagen ihrer eigenen Machtstellung preis. Es war schon
bedenklich, wenn sie in den griechischen Ansiedlungen und Reichen am Euphrat und
Tigris die Vorwerke ihrer Herrschaft opferte; aber wenn sie die Asiaten am
Mittelmeer sich festsetzen liess, welches die politische Basis ihres Reiches
war, so war dies nicht ein Beweis von Friedensliebe, sondern das Bekenntnis,
dass die Oligarchie durch die Sullanische Restauration wohl oligarchischer, aber
weder klueger noch energischer geworden war, und fuer die roemische Weltmacht
der Anfang des Endes.
Auch auf der andern Seite wollte man den Krieg nicht. Tigranes hatte keine
Ursache, ihn zu wuenschen, wenn Rom ihm auch ohne Krieg all seine Bundesgenossen
preisgab. Mithradates, der denn doch nicht bloss Sultan war und Gelegenheit
genug gehabt hatte, im Glueck und Unglueck Erfahrungen ueber Freunde und Feinde
zu machen, wusste sehr wohl, dass er in einem zweiten roemischen Krieg sehr
wahrscheinlich ebenso allein stehen wuerde wie in dem ersten und dass er nichts
Kluegeres tun konnte, als sich ruhig zu verhalten und sein Reich im Innern zu
staerken. Dass es ihm mit seinen friedlichen Erklaerungen Ernst war, hatte er in
dem Zusammentreffen mit Murena hinreichend bewiesen; er fuhr fort, alles zu
vermeiden, was dazu fuehren musste, die roemische Regierung aus ihrer
Passivitaet herauszudraengen.
Allein wie schon der Erste Mithradatische Krieg sich entsponnen hatte, ohne
dass eine der Parteien ihn eigentlich wuenschte, so entwickelte auch jetzt aus
den entgegengesetzten Interessen sich gegenseitiger Argwohn, aus diesem
gegenseitige Verteidigungsanstalten, und es fuehrten diese endlich durch ihr
eigenes Schwergewicht zum offenen Bruch. Das seit langem die roemische Politik
beherrschende Misstrauen in die eigene Schlagfertigkeit und Kampfbereitschaft,
welches bei dem Mangel stehender Armeen und dem wenig musterhaften
kollegialischen Regiment wohl erklaerlich ist, machte es gleichsam zu einem
Axiom der roemischen Politik, jeden Krieg nicht bloss bis zur Ueberwaeltigung,
sondern bis zur Vernichtung des Gegners zu fuehren; man war insofern mit dem
Frieden Sullas von Haus aus in Rom so wenig zufrieden wie einst mit den
Bedingungen, die Scipio Africanus den Karthagern gewaehrt hatte. Die vielfach
geaeusserte Besorgnis, dass ein zweiter Angriff des pontischen Koenigs
bevorstehe, ward einigermassen gerechtfertigt durch die ungemeine Aehnlichkeit
der gegenwaertigen Verhaeltnisse mit denen vor zwoelf Jahren. Wieder traf ein
gefaehrlicher Buergerkrieg zusammen mit ernstlichen Ruestungen Mithradats;
wieder ueberschwemmten die Thraker Makedonien und bedeckten die Korsarenflotten
das ganze Mittelmeer; wieder kamen und gingen die Emissaere, wie einst zwischen
Mithradates und den Italikern, so jetzt zwischen den roemischen Emigranten in
Spanien und denen am Hofe von Sinope. Schon im Anfang des Jahres 677 (77) ward
es im Senat ausgesprochen, dass der Koenig nur auf die Gelegenheit warte,
waehrend des italischen Buergerkriegs ueber das roemische Asien herzufallen; die
roemischen Armeen in Asia und Kilikien wurden verstaerkt, um moeglichen
Ereignissen zu begegnen.
Andererseits verfolgte auch Mithradates mit steigender Besorgnis die
Entwicklung der roemischen Politik. Er musste es fuehlen, dass ein Krieg der
Roemer gegen Tigranes, wie sehr auch der schwaechliche Senat davor sich scheute,
doch auf die Laenge kaum vermeidlich sei und er nicht umhin koennen werde, sich
an demselben zu beteiligen. Der Versuch, das immer noch mangelnde schriftliche
Friedensinstrument von dem roemischen Senat zu erlangen, war in die Wirren der
Lepidianischen Revolution gefallen und ohne Erfolg geblieben; Mithradates fand
darin ein Anzeichen der bevorstehenden Erneuerung des Kampfes. Die Einleitung
dazu schien die Expedition gegen die Seeraeuber, die mittelbar doch auch die
Koenige des Ostens traf, deren Verbuendete sie waren. Noch bedenklicher waren
die schwebenden Ansprueche Roms auf Aegypten und Kypros; es ist bezeichnend,
dass der pontische Koenig den beiden Ptolemaeern, denen der Senat fortfuhr, die
Anerkennung zu weigern, seine beiden Toechter Mithradatis und Nyssa verlobte.
Die Emigranten draengten zum Losschlagen; Sertorius' Stellung in Spanien, die zu
erkunden Mithradates unter passenden Vorwaenden Boten in das Pompeianische
Hauptquartier abordnete, und die in der Tat eben um diese Zeit imposant war,
eroeffnete dem Koenig die Aussicht, nicht wie in dem ersten Krieg gegen die
beiden roemischen Parteien, sondern mit der einen gegen die andere zu fechten.
Ein guenstigerer Moment konnte kaum gehofft werden, und am Ende war es immer
besser, den Krieg zu erklaeren, als ihn sich erklaeren zu lassen. Da starb im
Jahre 679 (75) Koenig Nikomedes III. Philopator von Bithynien und hinterliess
als der letzte seines Stammes - denn ein von der Nysa geborener Sohn war oder
hiess unecht - sein Reich im Testament den Roemern, welche diese mit der
roemischen Provinz grenzende und laengst von roemischen Beamten und Kaufleuten
erfuellte Landschaft in Besitz zu nehmen nicht saeumten. Gleichzeitig wurde auch
Kyrene, das bereits seit dem Jahr 658 (96) den Roemern angefallen war, endlich
als Provinz eingerichtet und ein roemischer Statthalter dorthin geschickt (679
75). Diese Massregeln in Verbindung mit den um dieselbe Zeit an der Suedkueste
von Kleinasien gegen die Piraten ausgefuehrten Angriffen muessen in dem Koenige
Besorgnisse erregt haben; die Einziehung Bithyniens namentlich machte die Roemer
zu unmittelbaren Nachbarn des Pontischen Reiches; und dies vermutlich gab den
Ausschlag. Der Koenig tat den entscheidenden Schritt und erklaerte im Winter
679/80 (75/74) den Roemern den Krieg.
Gern haette Mithradates die schwere Arbeit nicht allein uebernommen. Sein
naechster und natuerlicher Bundesgenosse war der Grosskoenig Tigranes; allein
der kurzsichtige Mann lehnte den Antrag seines Schwiegervaters ab. So blieben
nur die Insurgenten und die Piraten. Mithradates liess es sich angelegen sein,
mit beiden durch starke, nach Spanien und nach Kreta entsandte Geschwader sich
in Verbindung zu setzen. Mit Sertorius ward ein foermlicher Vertrag
abgeschlossen, durch den Rom an den Koenig Bithynien, Paphlagonien, Galanen und
Kappadokien abtrat - freilich lauter Erwerbungen, die erst auf dem Schlachtfeld
ratifiziert werden mussten. Wichtiger war die Unterstuetzung, die der spanische
Feldherr dem Koenig durch Sendung roemischer Offiziere zur Fuehrung seiner Heere
und Flotten gewaehrte. Die taetigsten unter den Emigranten im Osten, Lucius
Magius und Lucius Fannius, wurden von Sertorius zu seinen Vertretern am Hofe von
Sinope bestellt. Auch von den Piraten kam Hilfe; sie stellten in grosser Anzahl
im Pontischen Reich sich ein, und namentlich durch sie scheint es dem Koenige
gelungen zu sein, eine durch die Zahl wie durch die Tuechtigkeit der Schiffe
imponierende Seemacht zu bilden. Die Hauptstuetze blieben die eigenen
Streitkraefte, mit denen der Koenig, bevor die Roemer in Asien eintreffen
wuerden, sich ihrer Besitzungen daselbst bemaechtigen zu koennen hoffte, zumal
da in der Provinz Asia die durch die Sullanische Kriegssteuer hervorgerufene
finanzielle Not, in Bithymen der Widerwille gegen das neue roemische Regiment,
in Kilikien und Pamphylien der von dem kuerzlich beendigten verheerenden Krieg
zurueckgebliebene Brandstoff einer pontischen Invasion guenstige Aussichten
eroeffnete. An Vorraeten fehlte es nicht; in den koeniglichen Speichern lagen
zwei Millionen Medimnen Getreide. Flotte und Mannschaft waren zahlreich und
wohlgeuebt, namentlich die bastarnischen Soldknechte eine auserlesene, selbst
italischen Legionaeren gewachsene Schar. Auch diesmal war es der Koenig, der die
Offensive begann. Ein Korps unter Diophantos ruckte in Kappadokien ein, um die
Festungen daselbst zu besetzen und den Roemern den Weg in das Pontische Reich zu
verlegen; der von Sertorius gesandte Fuehrer, der Propraetor Marcus Marius, ging
in Gemeinschaft mit dem pontischen Offizier Eumachos nach Phrygien, um die
roemische Provinz und das Taurusgebirge zu insurgieren; die Hauptarmee, ueber
100000 Mann nebst 16000 Reitern und 100 Sichelwagen, gefuehrt von Taxiles und
Hermokrates unter der persoenlichen Oberleitung des Koenigs, und die von
Aristonikos befehligte Kriegsflotte von 400 Segeln bewegten sich die
kleinasiatische Nordkueste entlang, um Paphlagonien und Bithymen zu besetzen.
Roemischerseits ward zur Fuehrung des Krieges in erster Reihe der Konsul des
Jahres 680 (74), Lucius Lucullus, ausersehen, der als Statthalter von Asien und
Kilikien an die Spitze der in Kleinasien stehenden vier Legionen und einer
fuenften von ihm aus Italien mitgebrachten gestellt und angewiesen ward, mit
dieser auf 30000 Mann zu Fuss und 1600 Reiter sich belaufenden Armee durch
Phrygien in das Pontische Reich einzudringen. Sein Kollege Marcus Cotta ging mit
der Flotte und einem anderen roemischen Korps nach der Propontis, um Asia und
Bithynien zu decken. Endlich wurde eine allgemeine Armierung der Kuesten,
namentlich der von der pontischen Flotte zunaechst bedrohten thrakischen,
angeordnet und die Saeuberung der saemtlichen Meere und Kuesten von den Piraten
und ihren pontischen Genossen ausserordentlicherweise einem einzigen Beamten
uebertragen, wofuer die Wahl auf den Praetor Marcus Antonius fiel, den Sohn des
Mannes, der dreissig Jahre zuvor zuerst die kilikischen Korsaren gezuechtigt
hatte. Ausserdem stellte der Senat dem Lucullus eine Summe von 72 Mill.
Sesterzen (5« Mill. Talern) zur Verfuegung, um davon eine Flotte zu erbauen; was
Lucullus indes ablehnte. Aus allem sieht man, dass die roemische Regierung in
der Vernachlaessigung des Seewesens den Kern des Uebels erkannte und hierin
wenigstens so weit Ernst machte, als ihre Dekrete reichten.
So begann im Jahre 680 (74) der Krieg auf allen Punkten. Es war ein
Unglueck fuer Mithradates, dass eben im Moment seiner Kriegserklaerung der
Wendepunkt im Sertorianischen Kriege eintrat, wodurch von vornherein eine seiner
hauptsaechlichsten Hoffnungen ihm zugrunde ging und es der roemischen Regierung
moeglich ward, ihre ganze Macht auf den See- und den kleinasiatischen Krieg zu
verwenden. In Kleinasien dagegen erntete Mithradat die Vorteile der Offensive
und der weiten Entfernung der Roemer von dem unmittelbaren Kriegsschauplatz. Dem
Sertorianischen Propraetor, der in der roemischen Provinz Asia vorangestellt
ward, oeffneten eine betraechtliche Anzahl kleinasiatischer Staedte die Tore und
metzelten wie im Jahre 666 (88) die bei ihnen ansaessigen roemischen Familien
nieder; die Pisider, Isaurer, Kiliker ergriffen gegen Rom die Waffen. Die Roemer
hatten an den bedrohten Punkten augenblicklich keine Truppen. Einzelne tuechtige
Maenner versuchten wohl auf ihre eigene Hand dieser Aufwiegelung der
Provinzialen zu steuern - so verliess auf die Kunde von diesen Ereignissen der
junge Gaius Caesar Rhodos, wo er seiner Studien wegen sich aufhielt, und warf
sich mit einer rasch zusammengerafften Schar den Insurgenten entgegen; allein
viel konnten solche Freikorps nicht ausrichten. Wenn nicht der tapfere
Vierfuerst des um Pessinus ansaessigen Keltenstammes der Tolistoboger,
Deiotarus, die Partei der Roemer ergriffen und gluecklich gegen die pontischen
Feldherrn gefochten haette, so haette Lucullus damit beginnen muessen, das
Binnenland der roemischen Provinz dem Feind wiederabzunehmen. Auch so aber
verlor er mit der Beruhigung der Landschaft und mit der Zurueckdraengung des
Feindes eine kostbare Zeit, die durch die geringen Erfolge, welche seine
Reiterei dabei erfocht, nichts weniger als verguetet ward. Unguenstiger noch als
in Phrygien gestalteten sich die Dinge fuer die Roemer an der Nordkueste
Kleinasiens. Hier hatte die grosse Armee und die Flotte der Pontiker sich
Bithyniens vollstaendig bemeistert und den roemischen Konsul Cotta genoetigt,
mit seiner wenig zahlreichen Mannschaft und seinen Schiffen in den Mauern und
dem Hafen von Kalchedon Schutz zu suchen, wo Mithradates sie blockiert hielt.
Indes war diese Einschliessung insofern ein guenstiges Ereignis fuer die Roemer,
als, wenn Cotta die pontische Armee vor Kalchedon festhielt und Lucullus
ebendahin sich wandte, die saemtlichen roemischen Streitkraefte bei Kalchedon
sich vereinigen und schon hier statt in dem ferneren und unwegsamen pontischen
Land, die Waffenentscheidung erzwingen konnten. Lucullus schlug auch die Strasse
nach Kalchedon ein; allein Cotta, um noch vor dem Eintreffen des Kollegen auf
eigene Hand eine Grosstat auszufuehren, liess seinen Flottenfuehrer Publius
Rutilius Nudus einen Ausfall machen, der nicht bloss mit einer blutigen
Niederlage der Roemer endigte, sondern auch den Pontikern es moeglich machte,
den Hafen anzugreifen, die Kette, die denselben sperrte, zu sprengen und
saemtliche daselbst befindliche roemische Kriegsschiffe, gegen siebzig an der
Zahl, zu verbrennen. Auf die Nachricht von diesen Unfaellen, die Lucullus am
Fluss Sangarios erhielt, beschleunigte derselbe seinen Marsch, zur grossen
Unzufriedenheit seiner Soldaten, welche nach ihrer Meinung Cotta nichts anging
und die weit lieber ein unverteidigtes Land gepluendert als ihre Kameraden
siegen gelehrt haetten. Sein Eintreffen machte die erlittenen Unfaelle zum Teil
wieder gut: der Koenig hob die Belagerung von Kalchedon auf, ging aber nicht
nach Pontos zurueck, sondern suedwaerts in die altroemische Provinz, wo er an
der Propontis und am Hellespont sich ausbreitete, Lampsakos besetzte und die
grosse und reiche Stadt Kyzikos zu belagern begann. Immer fester verrannte er
sich also in die Sackgasse, die er eingeschlagen hatte, statt, was allein fuer
ihn Erfolg versprach, die weiten Entfernungen gegen die Roemer ins Spiel zu
bringen. In Kyzikos hatte die alte hellenische Gewandtheit und Tuechtigkeit sich
so rein erhalten wie an wenigen anderen Orten; ihre Buergerschaft, obwohl sie in
der ungluecklichen Doppelschlacht von Kalchedon an Schiffen und Mannschaft
starke Einbusse erlitten hatte, leistete dennoch den entschlossensten
Widerstand. Kyzikos lag auf einer Insel unmittelbar dem Festland gegenueber und
durch eine Bruecke mit demselben verbunden. Die Belagerer bemaechtigten sich
sowohl des Hoehenzuges auf dem Festland, der an der Bruecke endigt, und der hier
gelegenen Vorstadt, als auch auf der Insel selbst der beruehmten Dindymenischen
Hoehen, und auf der Festland- wie auf der Inselseite boten die griechischen
Ingenieure alle ihre Kunst auf, den Sturm moeglich zu machen. Allein die
Bresche, die endlich zu machen gelang, wurde waehrend der Nacht wieder von den
Belagerten geschlossen und die Anstrengungen der koeniglichen Armee blieben
ebenso fruchtlos wie die barbarische Drohung des Koenigs, die gefangenen
Kyzikener vor den Mauern toeten zu lassen, wenn die Buergerschaft noch laenger
die Uebergabe verweigere. Die Kyzikener setzten die Verteidigung mit Mut und
Glueck fort; es fehlte nicht viel, so haetten sie im Laufe der Belagerung den
Koenig selbst gefangengenommen. Inzwischen hatte Lucullus sich einer sehr festen
Position im Ruecken der pontischen Armee bemaechtigt, die ihm zwar nicht
gestattete, der bedraengten Stadt unmittelbar zu Hilfe zu kommen, aber wohl dem
Feinde alle Zufuhr zu Lande abzuschneiden. So stand die ungeheure, mit dem Tross
auf 300000 Koepfe geschaetzte Mithradatische Armee, weder imstande zu schlagen,
noch zu marschieren, fest eingekeilt zwischen der unbezwinglichen Stadt und dem
unbeweglich stehenden roemischen Heer und fuer allen ihren Bedarf einzig
angewiesen auf die See, die zum Glueck fuer die Pontiker ihre Flotte
ausschliesslich beherrschte. Aber die schlechte Jahreszeit brach herein; ein
Unwetter zerstoerte einen grossen Teil der Belagerungsbauten; der Mangel an
Lebensmitteln und vor allem an Pferdefutter fing an unertraeglich zu werden. Die
Lasttiere und der Tross wurden unter Bedeckung des groessten Teils der
pontischen Reiterei weggesandt mit dem Auftrag, um jeden Preis sich
durchzuschleichen oder durchzuschlagen; aber am Fluss Rhyndakos oestlich von
Kyzikos holte Lucullus sie ein und hieb den ganzen Haufen zusammen. Eine andere
Reiterabteilung unter Metrophanes und Lucius Fannius musste nach langer Irrfahrt
im westlichen Kleinasien wieder in das Lager vor Kyzikos zurueckkehren. Hunger
und Seuchen raeumten unter den pontischen Scharen fuerchterlich auf. Als der
Fruehling herankam (681 73), verdoppelten die Belagerten ihre Anstrengungen und
nahmen die auf dem Dindymon angelegten Schanzen; es blieb dem Koenig nichts
uebrig, als die Belagerung aufzuheben und mit Hilfe der Flotte zu retten, was zu
retten war. Er selber ging mit der Flotte nach dem Hellespont, erlitt aber teils
bei der Abfahrt, teils unterwegs durch Stuerme betraechtliche Einbusse. Eben
dahin brach auch das Landheer unter Hermaeos und Marius auf, um in Lampsakos und
von dessen Mauern geschuetzt sich einzuschiffen. Ihr Gepaeck liessen sie im
Stich, sowie die Kranken und Verwundeten, die von den erbitterten Kyzikenern
saemtlich niedergemacht wurden. Unterwegs fuegte ihnen Lucullus beim Uebergang
ueber die Fluesse Aesepos und Granikos sehr ansehnlichen Verlust zu; doch
erreichten sie ihr Ziel: die pontischen Schiffe entfuehrten die Ueberreste der
grossen Armee und die lampsakenische Buergerschaft selbst aus dem Bereiche der
Roemer.
Lucullus' folgerechte und bedaechtige Kriegfuehrung hatte nicht bloss die
Fehler seines Kollegen wieder gutgemacht, sondern auch, ohne eine Hauptschlacht
zu liefern, den Kern der feindlichen Armee - angeblich 200 000 Soldaten -
aufgerieben. Haette er noch die Flotte gehabt, die im Hafen von Kalchedon
verbrannt war, so wuerde er die ganze feindliche Armee vernichtet haben; so
blieb das Zerstoerungswerk unvollendet, und er musste sogar es leiden, dass
trotz der Katastrophe von Kyzikos die pontische Flotte in der Propontis sich
aufstellte, Perinthos und Byzantion auf der europaeischen Kueste von ihr
blockiert, Priapos auf der asiatischen ausgeraubt, das koenigliche Hauptquartier
nach dem bithynischen Hafen Nikomedeia gelegt ward. Ja ein erlesenes Geschwader
von fuenfzig Segeln, das 10000 erlesene Leute, darunter Marcus Marius und den
Kern der roemischen Emigranten trug, fuhr sogar hinaus in das Aegaeische Meer;
es ging die Rede, dass es bestimmt sei, in Italien zu landen, um dort aufs neue
den Buergerkrieg zu entfachen. Indes fingen die Schiffe, die Lucullus nach dem
Unfall von Kalchedon von den asiatischen Gemeinden eingefordert hatte, an, sich
einzustellen und ein Geschwader lief aus, um das in das Aegaeische Meer
abgegangene feindliche aufzusuchen. Lucullus selbst, als Flottenfuehrer erprobt,
uebernahm das Kommando. Vor dem Achaeerhafen, in den Gewaessern zwischen der
troischen Kueste und der Insel Tenedos, wurden dreizehn feindliche, auf der
Fahrt nach Lemnos begriffene Fuenfruderer unter Isidoros ueberfallen und
versenkt. Bei der kleinen Insel Neae zwischen Lemnos und Skyros sodann, an
welchem wenig besuchten Punkte die pontische Flottille von 32 Segeln auf den
Strand gezogen lag, fand sie Lucullus, griff zugleich die Schiffe und die auf
der Insel zerstreute Bemannung an und bemaechtigte sich des ganzen Geschwaders.
Hier fanden Marcus Marius und die tuechtigsten der roemischen Emigrierten
entweder im Kampfe oder nachher durch das Henkerbeil den Tod. Die ganze
aegaeische Flotte der Feinde war von Lucullus vernichtet. Den Krieg in Bithynien
hatten inzwischen mit dem durch Nachsendungen aus Italien verstaerkten Landheer
und einem in Asien zusammengezogenen Geschwader Cotta und die Legaten Luculls
Voconius, Gaius Valerius Triarius und Barba fortgesetzt. Barba nahm im
Binnenland Prusias am Olymp und Nikaea, Triarius an der Kueste Apameia (sonst
Myrleia) und Prusias am Meer (sonst Kios). Man vereinigte sich dann zu einem
gemeinschaftlichen Unternehmen gegen Mithradates selbst in Nikomedeia; indes der
Koenig, ohne nur den Kampf zu versuchen, entwich auf seine Schiffe und fuhr
heimwaerts, und auch dies gelang ihm nur, weil der mit der Blockierung des
Hafens von Nikomedeia beauftragte roemische Flottenfuehrer Voconius zu spaet
eintraf. Unterwegs ward zwar das wichtige Herakleia an den Koenig verraten und
von ihm besetzt; aber ein Sturm in diesen Gewaessern versenkte ueber sechzig
seiner Schiffe und zerstreute die uebrigen; fast allein gelangte der Koenig nach
Sinope. Die Offensive Mithradats endigte mit einer vollstaendigen und durchaus
nicht, am wenigsten fuer den obersten Leiter, ruehmlichen Niederlage der
pontischen Land- und Seemacht.
Lucullus ging jetzt seinerseits zum Angriff vor. Triarius uebernahm den
Befehl ueber die Flotte mit dem Auftrag, vor allem den Hellespont zu sperren und
den aus Kreta und Spanien rueckkehrenden pontischen Schiffen aufzupassen, Cotta
die Belagerung von Herakleia; das schwierige Verpflegungsgeschaeft ward den
treuen und taetigen Galaterfuersten und dem Koenig Ariobarzanes von Kappadokien
uebertragen; Lucullus selbst rueckte im Herbst 681 (73) ein in die gesegnete und
seit langem von keinem Feinde betretene pontische Landschaft. Mithradates, jetzt
entschlossen zur strengsten Defensive, wich, ohne eine Schlacht zu liefern,
zurueck von Sinope nach Amisos, von Amisos nach Kabeira (spaeter Neo-Caesarea,
jetzt Niksar) am Lykos, einem Nebenfluss des Iris; er begnuegte sich, den Feind
immer tiefer landeinwaerts sich nachzuziehen und ihm die Zufuhren und
Verbindungen zu erschweren. Rasch folgte Lucullus; Sinope blieb seitwaerts
liegen; die alte Grenze des roemischen Machtgebiets, der Halys, ward
ueberschritten, die ansehnlichen Staedte Amisos, Eupatoria (am Iris), Themiskyra
(am Thermodon) umstellt, bis endlich der Winter den Maerschen, aber nicht den
Einschliessungen der Staedte ein Ende machte. Die Soldaten Luculls murrten ueber
das unaufhaltsame Vordringen, das ihnen nicht gestattete, die Fruechte ihrer
Anstrengungen zu ernten, und ueber die weitlaeufigen und in der rauben
Jahreszeit beschwerlichen Blockaden. Allein es war nicht Lucullus' Art, auf
dergleichen Klagen zu hoeren; im Fruehjahr 682 (72) ging es sofort weiter gegen
Kabeira unter Zuruecklassung zweier Legionen vor Amisos unter Lucius Murena. Der
Koenig hatte waehrend des Winters neue Versuche gemacht, den Grosskoenig von
Armenien zum Eintritt in den Kampf zu bestimmen; sie blieben wie die frueheren
vergeblich oder fuehrten doch nur zu leeren Verheissungen. Noch weniger
bezeigten die Parther Lust, bei der verlorenen Sache sich zu beteiligen. Indes
hatte sich, besonders durch Werbungen im Skythenland, wieder eine ansehnliche
Armee unter Diophantos und Taxiles bei Kabeira zusammengefunden. Das roemische
Heer, das nur noch drei Legionen zaehlte und das an Reiterei den Pontikern
entschieden nachstand, sah sich genoetigt, das Blachfeld moeglichst zu
vermeiden, und gelangte nach Kabeira auf schwierigen Nebenpfaden, nicht ohne
Beschwerden und Verluste. Bei dieser Stadt lagerten die beiden Armeen laengere
Zeit einander gegenueber. Gestritten ward hauptsaechlich um die Zufuhr, die auf
beiden Seiten knapp war; Mithradates bildete deswegen aus dem Kern seiner
Reiterei und einer Abteilung erlesener Fusssoldaten unter Diophantos und Taxiles
ein fliegendes Korps, das bestimmt war, zwischen dem Lykos und dem Halys zu
streifen und die aus Kappadokien kommenden roemischen Lebensmitteltransporte
aufzufangen. Allein der Unterbefehlshaber Lucullus, Marcus Fabius Hadrianus, der
einen solchen Zug eskortierte, schlug nicht bloss die ihm auflauernde Schar in
dem Engpass, wo sie ihn zu ueberfallen gedachte, vollstaendig aufs Haupt,
sondern auch, nachdem er Verstaerkung aus dem Lager erhalten hatte, die Armee
des Diophantos und Taxiles selbst, so dass dieselbe voellig sich aufloeste. Es
war fuer den Koenig ein unersetzlicher Verlust, dass seine Reiterei, auf die er
allein vertraute, ihm hier zugrunde gegangen war; sowie er durch die ersten vom
Schlachtfeld nach Kabeira gelangenden Fluechtlinge - bezeichnend genug die
geschlagenen Generale selbst - die Hiobspost, frueher noch als Lucullus die
Nachricht von dem Sieg, erhalten hatte, beschloss er sofortigen weiteren
Rueckzug. Aber der gefasste Entschluss des Koenigs verbreitete sich mit
Blitzesschnelle unter seiner naechsten Umgebung; und wie die Soldaten die
Vertrauten des Koenigs eiligst einpacken sahen, wurden auch sie von panischem
Schreck ergriffen. Niemand wollte bei dem Aufbruch der letzte sein; Vornehme und
Geringe liefen durcheinander wie gescheuchtes Wild; keine Autoritaet, nicht
einmal die des Koenigs, ward noch beachtet und der Koenig selbst fortgerissen in
dem wilden Getuemmel. Die Verwirrung gewahrend, griff Lucullus an, und fast ohne
Widerstand zu leisten liessen die pontischen Scharen sich niedermetzeln. Haetten
die Legionen Mannszucht zu halten und ihre Beutegier zu maessigen vermocht, so
waere kaum ein Mann ihnen entronnen und der Koenig ohne Zweifel selbst gefangen
worden. Mit Not entkam Mithradates mit wenigen Begleitern durch die Berge nach
Komana (unweit Tokat und der Irisquelle), von wo ihn aber auch bald eine
roemische Schar unter Marcus Pompeius wiederaufscheuchte und ihn verfolgte, bis
er, von nicht mehr als 2000 Reitern begleitet, in Talaura in Klein-Armenien die
Grenze seines Reiches ueberschritt. In dem Reiche des Grosskoenigs fand er eine
Zufluchtsstaette, aber auch nicht mehr (Ende 682 72). Tigranes liess seinem
fluechtigen Schwiegervater zwar koenigliche Ehre erzeigen, aber er lud ihn nicht
einmal an seinen Hof, sondern hielt ihn in der abgelegenen Grenzlandschaft, wo
er sich befand, in einer Art von anstaendiger Haft. Ganz Pontos und Klein-
Armenien ueberschwemmten die roemischen Truppen und bis nach Trapezus hinauf
unterwarf sich das platte Land ohne Widerstand dem Sieger. Auch die Befehlshaber
der koeniglichen Schatzhaeuser ergaben sich nach kuerzerem oder laengerem
Zaudern und lieferten ihre Kassenvorraete aus. Die Frauen des koeniglichen
Harems, die koeniglichen Schwestern, seine zahlreichen Gemahlinnen und Kebse
liess der Koenig, da sie zu fluechten nicht moeglich war, durch einen seiner
Verschnittenen in Pharnakeia (Kerasunt) saemtlich toeten. Hartnaeckigen
Widerstand leisteten nur die Staedte. Zwar die wenigen im Binnenland, Kabeira,
Amaseia, Eupatoria, waren bald in der Gewalt der Roemer; aber die groesseren
Seestaedte, Amisos und Sinope in Pontos, Amastris in Paphlagonien, Tios und das
pontische Herakleia in Bithynien, wehrten sich wie Verzweifelte, teils
begeistert durch die Anhaenglichkeit an den Koenig und die von ihm geschirmte
freie hellenische Stadtverfassung, teils terrorisiert durch die Scharen der vom
Koenig herbeigerufenen Korsaren. Sinope und Herakleia liessen sogar die Schiffe
gegen die Roemer auslaufen, und das sinopische Geschwader bemaechtigte sich
einer roemischen Flottille, die von der Taurischen Halbinsel fuer Lucullus' Heer
Getreide brachte. Herakleia unterlag erst nach zweijaehriger Belagerung, nachdem
die roemische Flotte der Stadt den Verkehr mit den griechischen Staedten auf der
Taurischen Halbinsel abgeschnitten hatte und in den Reihen der Besatzung
Verraeterei ausgebrochen war. Als Amisos aufs aeusserste gebracht war, zuendete
die Besatzung die Stadt an und bestieg unter dem Schutze der Flammen ihre
Schiffe. In Sinope, wo der kecke Piratenkapitaen Seleukos und der koenigliche
Verschnittene Bakchides die Verteidigung leiteten, pluenderte die Besatzung die
Haeuser, bevor sie abzog, und steckte die Schiffe, die sie nicht mitnehmen
konnte, in Brand; es sollen hier, obwohl der groesste Teil der Verteidiger sich
hatte einschiffen koennen, doch noch 8000 Korsaren von Lucullus getoetet worden
sein. Zwei volle Jahre nach der Schlacht von Kabeira und darueber (682-684 72-
70) waehrten diese Staedtebelagerungen, die Lucullus grossenteils durch seine
Unterbefehlshaber betrieb, waehrend er selbst die Verhaeltnisse der Provinz Asia
ordnete, die eine gruendliche Reform erheischten und erhielten. Wie
geschichtlich merkwuerdig auch jener hartnaeckige Widerstand der pontischen
Kaufstaedte gegen die siegreichen Roemer ist, so kam doch zunaechst wenig dabei
heraus; die Sache des Koenigs Mithradates war darum nicht minder verloren. Der


 


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