Römische Geschichte Book 5
by
Theodor Mommsen

Part 4 out of 11



Richtstaette gefuehrt wurden. An der Tuere des Kerkers wurden sie den
Dreimaennern uebergeben, die die Hinrichtungen leiteten, und in dem
unterirdischen Gewoelbe bei Fackelschein erdrosselt. Vor der Tuere hatte, bis
die Exekutionen vollzogen waren, der Konsul gewartet und rief darauf ueber den
Markt hin mit seiner lauten wohlbekannten Stimme der stumm harrenden Menge die
Worte zu: "Sie sind tot!" Bis tief in die Nacht hinein wogten die Haufen durch
die Strassen und begruessten jubelnd den Konsul, dem sie meinten, die Sicherung
ihrer Haeuser und ihrer Habe schuldig geworden zu sein. Der Rat ordnete
oeffentliche Dankfeste an und die ersten Maenner der Nobilitaet, Marcus Cato und
Quintus Catulus, begruessten den Urheber des Todesurteils mit dem - hier zuerst
vernommenen - Namen eines Vaters des Vaterlandes.
Aber es war eine grauenvolle Tat und nur um so grauenvoller, weil sie einem
ganzen Volke als gross und preisenswert erschien. Elender hat sich wohl nie ein
Gemeinwesen bankrott erklaert, als Rom durch diesen, mit kaltem Blute von der
Majoritaet der Regierung gefassten, von der oeffentlichen Meinung gebilligten
Beschluss, einige politische Gefangene, die nach den Gesetzen zwar strafbar
waren, aber das Leben nicht verwirkt hatten, eiligst umzubringen, weil man der
Sicherheit der Gefaengnisse nicht traute und es keine ausreichende Polizei gab!
Es war der humoristische Zug, der selten einer geschichtlichen Tragoedie fehlt,
dass dieser Akt der brutalsten Tyrannei von dem haltungslosesten und
aengstlichsten aller roemischen Staatsmaenner vollzogen werden musste und dass
der "erste demokratische Konsul" dazu ausersehen war, das Palladium der alten
roemischen Gemeindefreiheit, das Provokationsrecht, zu zerstoeren.
Nachdem in der Hauptstadt die Verschwoerung erstickt worden war noch bevor
sie zum Ausbruch kam, blieb es noch uebrig, der Insurrektion in Etrurien ein
Ende zu machen. Der Heerbestand von etwa 2000 Mann, den Catilina vorfand, hatte
sich durch die zahlreich herbeistroemenden Rekruten nahezu verfuenffacht und
bildete schon zwei ziemlich vollzaehlige Legionen, worin freilich nur etwa der
vierte Teil der Mannschaft genuegend bewaffnet war. Catilina hatte sich mit
ihnen in die Berge geworfen und ein Schlacht mit den Truppen des Antonius
vermieden, um die Organisierung seiner Scharen zu vollenden und den Ausbruch des
Aufstandes in Rom abzuwarten. Aber die Nachricht von dem Scheitern desselben
sprengte auch die Armee der Insurgenten: die Masse der minder Kompromittierten
ging daraufhin wieder nach Hause. Der zurueckbleibende Rest entschlossener oder
vielmehr verzweifelter Leute machte einen Versuch, sich durch die
Apenninenpaesse nach Gallien durchzuschlagen; aber als die kleine Schar an dem
Fuss des Gebirges bei Pistoria (Pistoja) anlangte, fand sie sich hier von zwei
Heeren in die Mitte genommen. Vor sich hatte sie das Korps des Quintus Metellus,
das von Ravenna und Ariminum herangezogen war, um den noerdlichen Abhang des
Apennin zu besetzen; hinter sich die Armee des Antonius, der dem Draengen seiner
Offiziere endlich nachgegeben und sich zu einem Winterfeldzuge verstanden hatte.
Catilina war nach beiden Seiten hin eingekeilt und die Lebensmittel gingen zu
Ende; es blieb nichts uebrig, als sich auf den naeherstehenden Feind, das heisst
auf Antonius zu werfen. In einem engen von felsigen Bergen eingeschlossenen Tale
kam es zum Kampfe zwischen den Insurgenten und den Truppen des Antonius, welche
derselbe, um die Exekution gegen seine ehemaligen Verbuendeten wenigstens nicht
selbst vollstrecken zu muessen, fuer diesen Tag unter einem Vorwand einem
tapferen, unter den Waffen ergrauten Offizier, dem Marcus Petreius, anvertraut
hatte. Die Uebermacht der Regierungsarmee kam bei der Beschaffenheit des
Schlachtfeldes wenig in Betracht. Catilina wie Petreius stellten ihre
zuverlaessigsten Leute in die vordersten Reihen; Quartier ward weder gegeben
noch genommen. Lange stand der Kampf und von beiden Seiten fielen viele tapfere
Maenner; Catilina, der vor dem Anfange der Schlacht sein Pferd und die der
saemtlichen Offiziere zurueckgeschickt hatte, bewies an diesem Tage, dass ihn
die Natur zu nicht gewoehnlichen Dingen bestimmt hatte und dass er es verstand,
zugleich als Feldherr zu kommandieren und als Soldat zu fechten. Endlich
sprengte Petreius mit seiner Garde das Zentrum des Feindes und fasste, nachdem
er dies geworfen hatte, die beiden Fluegel von innen; der Sieg war damit
entschieden. Die Leichen der Catilinarier - man zaehlte ihrer 3000 - deckten
gleichsam in Reihe und Glied den Boden, wo sie gefochten hatten; die Offiziere
und der Feldherr selbst hatten, da alles verloren war, sich in die Feinde
gestuerzt und dort den Tod gesucht und gefunden (Anfang 692 62). Antonius ward
wegen dieses Sieges vom Senat mit dem Imperatorentitel gebrandmarkt und neue
Dankfeste bewiesen, dass Regierung und Regierte anfingen, sich an den
Buergerkrieg zu gewoehnen.
Das anarchistische Komplott war also in der Hauptstadt wie in Italien mit
blutiger Gewalt niedergeschlagen worden; man ward nur noch an dasselbe erinnert
durch die Kriminalprozesse, die in den etruskischen Landstaedten und in der
Hauptstadt unter den Affiliierten der geschlagenen Partei aufraeumten, und durch
die anschwellenden italischen Raeuberbanden, wie deren zum Beispiel eine aus den
Resten der Heere des Spartacus und des Catilina erwachsene im Jahre 694 (60) im
Gebiet von Thurii durch Militaergewalt vernichtet ward. Aber es ist wichtig, es
im Auge zu behalten, dass der Schlag keineswegs bloss die eigentlichen
Anarchisten traf, die zur Anzuendung der Hauptstadt sich verschworen und bei
Pistoria gefochten hatten, sondern die ganze demokratische Partei. Dass diese,
insbesondere Crassus und Caesar, hier so gut wie bei dem Komplott von 688 (66)
die Hand im Spiele hatten, darf als eine nicht juristisch, aber historisch
ausgemachte Tatsache angesehen werden. Zwar dass Catulus und die uebrigen
Haeupter der Senatspartei den Fuehrer der Demokraten der Mitwisserschaft um das
anarchistische Komplott ziehen und dass dieser als Senator gegen den von der
Oligarchie beabsichtigten brutalen Justizmord sprach und stimmte, konnte nur von
der Parteischikane als Beweis seiner Beteiligung an den Plaenen Catilinas
geltend gemacht werden. Aber mehr ins Gewicht faellt eine Reihe anderer
Tatsachen. Nach ausdruecklichen und unabweisbaren Zeugnissen waren es vor allen
Crassus und Caesar, die Catilinas Bewerbung um das Konsulat unterstuetzten. Als
Caesar 690 (64) die Schergen Sullas vor das Mordgericht zog, liess er die
uebrigen verurteilen, den schuldigsten und schaedlichsten aber von ihnen allen,
den Catilina, freisprechen. Bei den Enthuellungen des dritten Dezember nannte
Cicero zwar unter den Namen der bei ihm angezeigten Verschworenen die der beiden
einflussreichen Maenner nicht; allein es ist notorisch, dass die Denunzianten
nicht bloss auf diejenigen aussagten, gegen die nachher die Untersuchung
gerichtet ward, sondern ausserdem noch auf "viele Unschuldige", die der Konsul
Cicero aus dem Verzeichnis zu streichen fuer gut fand; und in spaeteren Jahren,
als er keine Ursache hatte, die Wahrheit zu entstellen, hat eben er
ausdruecklich Caesar unter den Mitwissern genannt. Eine indirekte, aber sehr
verstaendliche Bezichtigung liegt auch darin, dass von den vier am dritten
Dezember Verhafteten die beiden am wenigsten gefaehrlichen, Statilius und
Gabinius, den Senatoren Caesar und Crassus zur Bewachung uebergeben wurden;
offenbar sollten sie entweder, wenn sie sie entrinnen liessen, vor der
oeffentlichen Meinung als Mitschuldige oder, wenn sie in der Tat sie
festhielten, vor ihren Mitverschworenen als Abtruennige kompromittiert werden.
Bezeichnend fuer die Situation ist die folgende im Senat vorgefallene Szene.
Unmittelbar nach der Verhaftung des Lentulus und seiner Genossen wurde ein von
den Verschworenen in der Hauptstadt an Catilina abgesandter Bote von den Agenten
der Regierung aufgegriffen und derselbe, nachdem ihm Straflosigkeit zugesichert
war, in voller Senatssitzung ein umfassendes Gestaendnis abzulegen veranlasst.
Wie er aber an die bedenklichen Teile seiner Konfession kam und namentlich als
seinen Auftraggeber den Crassus nannte, ward er von den Senatoren unterbrochen
und auf Ciceros Vorschlag beschlossen, die ganze Angabe ohne weitere
Untersuchung zu kassieren, ihren Urheber aber ungeachtet der zugesicherten
Amnestie so lange einzusperren, bis er nicht bloss die Angabe zurueckgenommen,
sondern auch bekannt haben werde, wer ihn zu solchem falschen Zeugnis
aufgestiftet habe! Hier liegt es deutlich zu Tage, nicht bloss dass jener Mann
die Verhaeltnisse recht genau kannte, der auf die Aufforderung, einen Angriff
auf Crassus zu machen, zur Antwort gab, er habe keine Lust, den Stier der Herde
zu reizen, sondern auch dass die Senatsmajoritaet, Cicero an der Spitze, unter
sich einig geworden war, die Enthuellungen nicht ueber eine bestimmte Grenze
vorschreiten zu lassen. Das Publikum war so heikel nicht; die jungen Leute, die
zur Abwehr der Mordbrenner die Waffen ergriffen hatten, waren gegen keinen so
erbittert wie gegen Caesar; sie richteten am fuenften Dezember, als er die Kurie
verliess, die Schwerter auf seine Brust und es fehlte nicht viel, dass er schon
jetzt an derselben Stelle sein Leben gelassen haette, wo siebzehn Jahre spaeter
ihn der Todesstreich traf; laengere Zeit hat er die Kurie nicht wieder betreten.
Wer ueberall den Verlauf der Verschwoerung unbefangen erwaegt, wird des Argwohns
sich nicht zu erwehren vermoegen, dass waehrend dieser ganzen Zeit hinter
Catilina maechtigere Maenner standen, welche, gestuetzt auf den Mangel rechtlich
vollstaendiger Beweise und auf die Lauheit und Feigheit der nur halb
eingeweihten und nach jedem Vorwande zur Untaetigkeit begierig greifenden
Senatsmehrheit, es verstanden, jedes ernstliche Einschreiten der Behoerden gegen
die Verschwoerung zu hemmen, dem Chef der Insurgenten freien Abzug zu
verschaffen und selbst die Kriegserklaerung und Truppensendungen gegen die
Insurrektion so zu lenken, dass sie beinahe auf die Sendung einer Hilfsarmee
hinauslief. Wenn also der Gang der Ereignisse selbst dafuer zeugt, dass die
Faeden des Catilinarischen Komplotts weit hoeher hinaufreichen als bis zu
Lentulus und Catilina, so wird auch das Beachtung verdienen, dass in viel
spaeterer Zeit, als Caesar an die Spitze des Staates gelangt war, er mit dem
einzigen noch uebrigen Catilinarier, dem mauretanischen Freischarenfuehrer
Publius Sittius, im engsten Buendnis stand, und dass er das Schuldrecht ganz in
dem Sinne milderte, wie es die Proklamationen des Manlius begehrten.
All diese einzelnen Inzichten reden deutlich genug; waere das aber auch
nicht, die verzweifelte Lage der Demokratie gegenueber der seit den Gabinisch-
Manilischen Gesetzen drohender als je ihr zur Seite sich erhebenden
Militaergewalt macht es an sich schon fast zur Gewissheit, dass sie, wie es in
solchen Faellen zu gehen pflegt, in den geheimen Komplotten und dem Buendnis mit
der Anarchie eine letzte Hilfe gesucht hat. Die Verhaeltnisse waren denen der
cinnanischen Zeit sehr aehnlich. Wenn im Osten Pompeius eine Stellung einnahm
ungefaehr wie damals Sulla, so suchten Crassus und Caesar ihm gegenueber in
Italien eine Gewalt aufzurichten, wie Marius und Cinna sie besessen hatten, um
sie dann womoeglich besser als diese zu benutzen. Der Weg dahin ging wieder
durch Terrorismus und Anarchie, und diesen zu bahnen war Catilina allerdings der
geeignete Mann. Natuerlich hielten die reputierlicheren Fuehrer der Demokratie
sich hierbei moeglichst im Hintergrund und ueberliessen den unsauberen Genossen
die Ausfuehrung der unsauberen Arbeit, deren politisches Resultat sie spaeterhin
sich zuzueignen hofften. Noch mehr wandten, als das Unternehmen gescheitert war,
die hoehergestellten Teilnehmer alles an, um ihre Beteiligung daran zu
verhuellen. Und auch in spaeterer Zeit, als der ehemalige Konspirator selbst die
Zielscheibe der politischen Komplotte geworden war, zog ebendarum ueber diese
duesteren Jahre in dem Leben des grossen Mannes der Schleier nur um so dichter
sich zusammen und wurden in diesem Sinne sogar eigene Apologien fuer ihn
geschrieben ^6.
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^6 Eine solche ist der 'Catilina' des Sallustius, der von dem Verfasser,
einem notorischen Caesarianer, nach dem Jahre 708 (46) entweder unter Caesars
Alleinherrschaft oder wahrscheinlicher unter dem Triumvirat seiner Erben
veroeffentlicht wurde; offenbar als politische Tendenzschrift, welche sich
bemueht, die demokratische Partei, auf welcher ja die roemische Monarchie
beruht, zu Ehren zu bringen und Caesars Andenken von dem schwaerzesten Fleck,
der darauf haftete, zu reinigen, nebenher auch den Oheim des Trimvirn Marcus
Antonius moeglichst weisszuwaschen (vgl. z. B. c. 59 mit Dio 37, 39). Ganz
aehnlich soll der 'Jugurtha' desselben Verfassers teils die Erbaermlichkeit des
oligarchischen Regiments aufdecken, teils den Koryphaeen der Demokratie Gaius
Marius verherrlichen. Dass der gewandte Schriftsteller den apologetischen und
akkusatorischen Charakter dieser seiner Buecher zuruecktreten laesst, beweist
nicht, dass sie keine, sondern dass sie gute Parteischriften sind.
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Seit fuenf Jahren stand Pompeius im Osten an der Spitze seiner Heere und
Flotten; seit fuenf Jahren konspirierte die Demokratie daheim, um ihn zu
stuerzen. Das Ergebnis war entmutigend. Mit unsaeglichen Anstrengungen hatte man
nicht bloss nichts erreicht, sondern moralisch wie materiell ungeheure Einbusse
gemacht. Schon die Koalition vom Jahre 683 (71) musste den Demokraten vom reinen
Wasser ein Aergernis sein, obwohl die Demokratie damals nur mit zwei angesehenen
Maennern der Gegenpartei sich einliess und diese auf ihr Programm verpflichtete.
Jetzt aber hatte die demokratische Partei gemeinschaftliche Sache gemacht mit
einer Bande von Moerdern und Bankerottierern, die fast alle gleichfalls
Ueberlaeufer aus dem Lager der Aristokratie waren, und hatte deren Programm, das
heisst den Cinnanischen Terrorismus, wenigstens vorlaeufig akzeptiert. Die
Partei der materiellen Interessen, eines der Hauptelemente der Koalition von 683
(71) wurde hierdurch der Demokratie entfremdet und zunaechst den Optimaten,
ueberhaupt aber jeder Macht, die Schutz vor der Anarchie gewaehren wollte und
konnte, in die Arme getrieben. Selbst die hauptstaedtische Menge, die zwar gegen
einen Strassenkrawall nichts einzuwenden hatte, aber es doch unbequem fand, sich
das Haus ueber dem Kopfe anzuenden zu lassen, ward einigermassen scheu. Es ist
merkwuerdig, dass eben in diesem Jahr (691 63) die volle Wiederherstellung der
Sempronischen Getreidespenden stattfand, und zwar von Seiten des Senats auf den
Antrag Catos. Offenbar hatte der Bund der Demokratenfuehrer mit der Anarchie
zwischen jene und die Stadtbuergerschaft einen Keil getrieben, und suchte die
Oligarchie, nicht ohne wenigstens augenblicklichen Erfolg, diesen Riss zu
erweitern und die Massen auf ihre Seite hinueberzuziehen. Endlich war Gnaeus
Pompeius durch all diese Kabalen teils gewarnt, teils erbittert worden; nach
allem, was vorgefallen war, und nachdem die Demokratie die Bande, die sie mit
Pompeius verknuepften, selber so gut wie zerrissen hatte, konnte sie nicht mehr
schicklicherweise von ihm begehren, was im Jahre 684 (70) eine gewisse
Billigkeit fuer sich gehabt hatte, dass er die demokratische Macht, die er und
die ihn emporgebracht, nicht selber mit dem Schwerte zerstoere. So war die
Demokratie entehrt und geschwaecht; vor allen Dingen aber war sie laecherlich
geworden durch die unbarmherzige Aufdeckung ihrer Ratlosigkeit und Schwaeche. Wo
es sich um die Demuetigung des gestuerzten Regiments und aehnliche Nichtigkeiten
handelte, war sie gross und gewaltig; aber jeder ihrer Versuche, einen wirklich
politischen Erfolg zu erreichen, war platt zur Erde gefallen. Ihr Verhaeltnis zu
Pompeius war so falsch wie klaeglich. Waehrend sie ihn mit Lobspruechen und
Huldigungen ueberschuettete, spann sie gegen ihn eine Intrige nach der anderen,
die eine nach der anderen, Seifenblasen gleich, von selber zerplatzten. Der
Feldherr des Ostens und der Meere, weit entfernt, sich dagegen zur Wehr zu
setzen, schien das ganze geschaeftige Treiben nicht einmal zu bemerken und seine
Siege ueber sie zu erfechten wie Herakles den ueber die Pygmaeen, ohne selber
darum gewahr zu werden. Der Versuch, den Buergerkrieg zu entflammen, war
jaemmerlich gescheitert; hatte die anarchistische Fraktion wenigstens einige
Energie entwickelt, so hatte die reine Demokratie die Rotten wohl zu dingen
verstanden, aber weder sie zu fuehren, noch sie zu retten, noch mit ihnen zu
sterben. Selbst die alte todesmatte Oligarchie hatte, gestaerkt durch die aus
den Reihen der Demokratie zu ihr uebertretenden Massen und vor allem durch die
in dieser Angelegenheit unverkennbare Gleichheit ihrer Interessen und derjenigen
des Pompeius, es vermocht, diesen Revolutionsversuch niederzuschlagen und damit
noch einen letzten Sieg ueber die Demokratie zu erfechten. Inzwischen war Koenig
Mithradates gestorben, Kleinasien und Syrien geordnet, Pompeius' Heimkehr nach
Italien jeden Augenblick zu erwarten. Die Entscheidung war nicht fern; aber
konnte in der Tat noch die Rede sein von einer Entscheidung zwischen dem
Feldherrn, der ruhmvoller und gewaltiger als je zurueckkam, und der beispiellos
gedemuetigten und voellig machtlosen Demokratie? Crassus schickte sich an, seine
Familie und sein Gold zu Schiffe zu bringen und irgendwo im Osten eine Freistatt
aufzusuchen; und selbst eine so elastische und so energische Natur wie Caesar
schien im Begriff, das Spiel verloren zu geben. In dieses Jahr (691 63) faellt
seine Bewerbung um die Stelle des Oberpontifex; als er am Morgen der Wahl seine
Wohnung verliess, aeusserte er, wenn auch dieses ihm fehlschlage, werde er, die
Schwelle seines Hauses nicht wieder ueberschreiten.
6. Kapitel
Pompeius' Ruecktritt und die Koalition der Praetendenten
Als Pompeius nach Erledigung der ihm aufgetragenen Verrichtungen seine
Blicke wieder der Heimat zuwandte, fand er zum zweiten Male das Diadem zu seinen
Fuessen. Laengst neigte die Entwicklung des roemischen Gemeinwesens einer
solchen Katastrophe sich zu; es war jedem Unbefangenen offenbar und war
tausendmal gesagt worden, dass, wenn der Herrschaft der Aristokratie ein Ende
gemacht sein werde, die Monarchie unausbleiblich sei. Jetzt war der Senat
gestuerzt zugleich durch die buergerliche, liberale Opposition und die
soldatische Gewalt; es konnte sich nur noch darum handeln, fuer die neue Ordnung
der Dinge die Personen, die Namen und Formen festzustellen, die uebrigens in den
teils demokratischen, teils militaerischen Elementen der Umwaelzung bereits klar
genug angedeutet waren. Die Ereignisse der letzten fuenf Jahre hatten auf diese
bevorstehende Umwandlung des Gemeinwesens gleichsam das letzte Siegel gedrueckt.
In den neu eingerichteten asiatischen Provinzen, die in ihrem Ordner den
Nachfolger des grossen Alexander koeniglich verehrten und schon seine
beguenstigten Freigelassenen wie Prinzen empfingen, hatte Pompeius den Grund
seiner Herrschaft gelegt und zugleich die Schaetze, das Heer und den Nimbus
gefunden, deren der kuenftige Fuerst des roemischen Staats bedurfte. Die
anarchistische Verschwoerung aber in der Hauptstadt mit dem daran sich
knuepfenden Buergerkrieg hatte es jedem, der politische oder auch nur materielle
Interessen hegte, mit empfindlicher Schaerfe dargelegt, dass eine Regierung ohne
Autoritaet und ohne militaerische Macht, wie die des Senats war, den Staat der
ebenso laecherlichen wie furchtbaren Tyrannei der politischen Industrieritter
aussetzte und dass eine Verfassungsaenderung, welche die Militaergewalt enger
mit dem Regiment verknuepfte, eine unabweisliche Notwendigkeit war, wenn die
gesellschaftliche Ordnung ferner Bestand haben sollte. So war im Osten der
Herrscher aufgestanden, in Italien der Thron errichtet; allem Anschein nach war
das Jahr 692 (62) das letzte der Republik, das erste der Monarchie.
Zwar ohne Kampf war an dieses Ziel nicht zu gelangen. Die Verfassung, die
ein halbes Jahrtausend gedauert hatte und unter der die unbedeutende Stadt am
Tiber zu beispielloser Groesse und Herrlichkeit gediehen war, hatte ihre Wurzeln
man wusste nicht wie tief in den Boden gesenkt, und es liess sich durchaus nicht
berechnen, bis in welche Schichten hinab der Versuch, sie umzustuerzen, die
buergerliche Gesellschaft aufwuehlen werde. Mehrere Nebenbuhler waren in dem
Wettlauf nach dem grossen Ziel von Pompeius ueberholt, aber nicht voellig
beseitigt worden. Es lag durchaus nicht ausser der Berechnung, dass alle diese
Elemente sich verbanden, um den neuen Machthaber zu stuerzen und Pompeius sich
gegenueber Quintus Catulus und Marcus Cato mit Marcus Crassus, Gaius Caesar und
Titus Labienus vereinigt fand. Aber nicht leicht konnte der unvermeidliche und
unzweifelhaft ernste Kampf unter guenstigeren Verhaeltnissen aufgenommen werden.
Es war in hohem Grade wahrscheinlich, dass unter dem frischen Eindrucke des
Catilinarischen Aufstandes einem Regimente, das Ordnung und Sicherheit,
wenngleich um den Preis der Freiheit, verhiess, die gesamte Mittelpartei sich
fuegen werde, vor allem die einzig um ihre materiellen Interessen bekuemmerte
Kaufmannschaft, aber nicht minder ein grosser Teil der Aristokratie, die, in
sich zerruettet und politisch hoffnungslos, zufrieden sein musste, durch zeitige
Transaktion mit dem Fuersten sich Reichtum, Rang und Einfluss zu sichern;
vielleicht sogar mochte ein Teil der von den letzten Schlaegen schwer
getroffenen Demokratie sich bescheiden, von einem durch sie auf den Schild
gehobenen Militaerchef die Realisierung eines Teils ihrer Forderungen zu
erhoffen. Aber wie auch immer die Parteiverhaeltnisse sich stellten, was kam,
zunaechst wenigstens, auf die Parteien in Italien ueberhaupt noch an, Pompeius
gegenueber und seinem siegreichen Heer? Zwanzig Jahre zuvor hatte Sulla, nachdem
er mit Mithradates einen Notfrieden abgeschlossen hatte, gegen die gesamte, seit
Jahren massenhaft ruestende liberale Partei, von den gemaessigten Aristokraten
und der liberalen Kaufmannschaft an bis hinab zu den Anarchisten, mit seinen
fuenf Legionen eine der natuerlichen Entwicklung der Dinge zuwiderlaufende
Restauration durchzusetzen vermocht. Pompeius' Aufgabe war weit minder schwer.
Er kam zurueck, nachdem er zur See und zu Lande seine verschiedenen Aufgaben
vollstaendig und gewissenhaft geloest hatte. Er durfte erwarten, auf keine
andere ernstliche Opposition zu treffen als auf die der verschiedenen extremen
Parteien, von denen jede einzeln gar nichts vermochte und die, selbst
verbuendet, immer nicht mehr waren als eine Koalition eben noch hitzig sich
befehdender und innerlich gruendlich entzweiter Faktionen. Vollkommen
ungeruestet waren sie ohne Heer und Haupt, ohne Organisation in Italien, ohne
Rueckhalt in den Provinzen, vor allen Dingen ohne einen Feldherrn; es war in
ihren Reihen kaum ein namhafter Militaer, geschweige denn ein Offizier, der es
haette wagen duerfen, die Buerger zum Kampfe gegen Pompeius aufzurufen. Auch das
durfte in Anschlag kommen, dass der jetzt seit siebzig Jahren rastlos flammende
und an seiner eigenen Glut zehrende Vulkan der Revolution sichtlich ausbrannte
und anfing, in sich selber zu erloeschen. Es war sehr zweifelhaft, ob es jetzt
gelingen werde, die Italiker so fuer Parteiinteressen zu bewaffnen, wie noch
Cinna und Carbo dies vermocht hatten. Wenn Pompeius zugriff, wie konnte es ihm
fehlen, eine Staatsumwaelzung durchzusetzen, die in der organischen Entwicklung
des roemischen Gemeinwesens mit einer gewissen Naturnotwendigkeit vorgezeichnet
war?
Pompeius hatte den Moment erfasst, indem er die Mission nach dem Orient
uebernahm; er schien fortfahren zu wollen. Im Herbste des Jahres 691 (63) traf
Quintus Metellus Nepos aus dem Lager des Pompeius in der Hauptstadt ein und trat
auf als Bewerber um das Tribunat, in der ausgesprochenen Absicht, als
Volkstribun Pompeius das Konsulat fuer das Jahr 693 (61) und zunaechst durch
speziellen Volksbeschluss die Fuehrung des Krieges gegen Catilina zu
verschaffen. Die Aufregung in Rom war gewaltig. Es war nicht zu bezweifeln, dass
Nepos im direkten oder indirekten Auftrag des Pompeius handelte; Pompeius'
Begehren, in Italien an der Spitze seiner asiatischen Legionen als Feldherr
aufzutreten und daselbst die hoechste militaerische und die hoechste
buergerliche Gewalt zugleich zu verwalten, ward aufgefasst als ein weiterer
Schritt auf dem Wege zum Throne, Nepos' Sendung als die halboffizielle
Ankuendigung der Monarchie.
Es kam alles darauf an, wie die beiden grossen politischen Parteien zu
diesen Eroeffnungen sich verhielten; ihre kuenftige Stellung und die Zukunft der
Nation hingen davon ab. Die Aufnahme aber, die Nepos fand, war selbst wieder
bestimmt durch das damalige Verhaeltnis der Parteien zu Pompeius, das sehr
eigentuemlicher Art war. Als Feldherr der Demokratie war Pompeius nach dem Osten
gegangen. Er hatte Ursache genug, mit Caesar und seinem Anhang unzufrieden zu
sein, aber ein offener Bruch war nicht erfolgt. Es ist wahrscheinlich, dass
Pompeius, der weit entfernt und mit andern Dingen beschaeftigt war, ueberdies
der Gabe, sich politisch zu orientieren, durchaus entbehrte, den Umfang und den
Zusammenhang der gegen ihn gesponnenen demokratischen Umtriebe damals wenigstens
keineswegs durchschaute, vielleicht sogar in seiner hochmuetigen und
kurzsichtigen Weise einen gewissen Stolz darein setzte, diese
Maulwurfstaetigkeit zu ignorieren. Dazu kam, was bei einem Charakter von
Pompeius' Art sehr ins Gewicht fiel, dass die Demokratie den aeusseren Respekt
gegen den grossen Mann nie aus den Augen gesetzt, ja eben jetzt (691 63),
unaufgefordert wie er es liebte, ihm durch einen besonderen Volksschluss
unerhoerte Ehren und Dekorationen gewaehrt hatte. Indes waere auch alles dies
nicht gewesen, so lag es in Pompeius' eigenem wohlverstandenen Interesse, sich
wenigstens aeusserlich fortwaehrend zur Popularpartei zu halten; Demokratie und
Monarchie stehen in so enger Wahlverwandtschaft, dass Pompeius, indem er nach
der Krone griff, kaum anders konnte, als sich wie bisher den Vorfechter der
Volksrechte nennen. Wie also persoenliche und politische Gruende,
zusammenwirkten, um trotz allem Vorgefallenen Pompeius und die Fuehrer der
Demokratie bei ihrer bisherigen Verbindung festzuhalten, so geschah auf der
entgegengesetzten Seite nichts, um die Kluft auszufuellen, die ihn seit seinem
Uebertritt in das Lager der Demokratie von seinen sullanischen Parteigenossen
trennte. Sein persoenliches Zerwuerfnis mit Metellus und Lucullus uebertrug sich
auf deren ausgedehnte und einflussreiche Koterien. Eine kleinliche, aber fuer
einen so kleinlich zugeschnittenen Charakter eben ihrer Kleinlichkeit wegen um
so tiefer erbitternde Opposition des Senats hatte ihn auf seiner ganzen
Feldherrnlaufbahn begleitet. Er empfand es schmerzlich, dass der Senat nicht das
geringste getan, um den ausserordentlichen Mann nach Verdienst, das heisst
ausserordentlich zu ehren. Endlich ist es nicht aus der Acht zu lassen, dass die
Aristokratie eben damals von ihrem frischen Siege berauscht, die Demokratie tief
gedemuetigt war, und dass die Aristokratie von dem bocksteifen und halb
naerrischen Cato, die Demokratie von dem schmiegsamen Meister der Intrige Caesar
geleitet ward.
In diese Verhaeltnisse traf das Auftreten des von Pompeius gesandten
Emissaers. Die Aristokratie betrachtete nicht bloss die Antraege, die derselbe
zu Pompeius' Gunsten ankuendigte, als eine Kriegserklaerung gegen die bestehende
Verfassung, sondern behandelte sie auch oeffentlich als solche und gab sich
nicht die mindeste Muehe, ihre Besorgnis und ihren Ingrimm zu verhehlen: in der
ausgesprochenen Absicht, diese Antraege zu bekaempfen, liess sich Marcus Cato
mit Nepos zugleich zum Volkstribun waehlen und wies Pompeius' wiederholten
Versuch, sich ihm persoenlich zu naehern, schroff zurueck. Es ist begreiflich,
dass Nepos hiernach sich nicht veranlasst fand, die Aristokratie zu schonen,
dagegen den Demokraten sich um so bereitwilliger anschloss, als diese,
geschmeidig wie immer, in das Unvermeidliche sich fuegten und das Feldherrnamt
in Italien wie das Konsulat lieber freiwillig zugestanden als es mit den Waffen
sich abzwingen liessen. Das herzliche Einverstaendnis offenbarte sich bald.
Nepos bekannte sich (Dezember 691 63) oeffentlich zu der demokratischen
Auffassung der von der Senatsmajoritaet kuerzlich verfuegten Exekutionen als
verfassungswidriger Justizmorde; und dass auch sein Herr und Meister sie nicht
anders ansah, bewies sein bedeutsames Stillschweigen auf die voluminoese
Rechtfertigungsschrift, die ihm Cicero uebersandt hatte. Andererseits war es der
erste Akt, womit Caesar seine Praetur eroeffnete, dass er den Quintus Catulus
wegen der bei dem Wiederaufbau des Kapitolinischen Tempels angeblich von ihm
unterschlagenen Gelder zur Rechenschaft zog und die Vollendung des Tempels an
Pompeius uebertrug. Es war das ein Meisterzug. Catulus baute an dem Tempel jetzt
bereits im sechzehnten Jahr und schien gute Lust zu haben, als Oberaufseher der
kapitolinischen Bauten wie zu leben so zu sterben; ein Angriff auf diesen, nur
durch das Ansehen des vornehmen Beauftragten zugedeckten Missbrauch eines
oeffentlichen Auftrags war der Sache nach vollkommen begruendet und in hohem
Masse populaer. Indem aber zugleich dadurch Pompeius die Aussicht eroeffnet
ward, an dieser stolzesten Stelle der ersten Stadt des Erdkreises den Namen des
Catulus tilgen und den seinigen eingraben zu duerfen, ward ihm ebendas geboten,
was ihn vor allem reizte und der Demokratie nicht schadete, ueberschwengliche,
aber leere Ehre, und ward zugleich die Aristokratie, die doch ihren besten Mann
unmoeglich fallen lassen konnte, auf die aergerlichste Weise mit Pompeius
verwickelt.
Inzwischen hatte Nepos seine Pompeius betreffenden Antraege bei der
Buergerschaft eingebracht. Am Tage der Abstimmung interzedierten Cato und sein
Freund und Kollege Quintus Minucius. Als Nepos sich daran nicht kehrte und mit
der Verlesung fortfuhr, kam es zu einem foermlichen Handgemenge: Cato und
Minucius warfen sich ueber ihren Kollegen und zwangen ihn innezuhalten; eine
bewaffnete Schar befreite ihn zwar und vertrieb die aristokratische Fraktion vom
Markte; aber Cato und Minucius kamen wieder, nun gleichfalls von bewaffneten
Haufen begleitet, und behaupteten schliesslich das Schlachtfeld fuer die
Regierung. Durch diesen Sieg ihrer Bande ueber die des Gegners ermutigt,
suspendierte der Senat den Tribun Nepos sowie den Praetor Caesar, der denselben
bei der Einbringung des Gesetzes nach Kraeften unterstuetzt hatte, von ihren
Aemtern; die Absetzung, die im Senat beantragt ward, wurde, mehr wohl wegen
ihrer Verfassungs- als wegen ihrer Zweckwidrigkeit, von Cato verhindert. Caesar
kehrte sich an den Beschluss nicht und fuhr in seinen Amtshandlungen fort, bis
der Senat Gewalt gegen ihn brauchte. Sowie dies bekannt ward, erschien die Menge
vor seinem Hause und stellte sich ihm zur Verfuegung; es haette nur von ihm
abgehangen, den Strassenkampf zu beginnen oder wenigstens die von Metellus
gestellten Antraege jetzt wiederaufzunehmen und Pompeius das von ihm gewuenschte
Militaerkommando in Italien zu verschaffen; allein dies lag nicht in seinem
Interesse, und so bewog er die Haufen, sich wieder zu zerstreuen, worauf der
Senat die gegen ihn verhaengte Strafe zuruecknahm. Nepos selbst hatte sogleich
nach seiner Suspension die Stadt verlassen und sich nach Asien eingeschifft, um
Pompeius von dem Erfolg seiner Sendung Bericht zu erstatten.
Pompeius hatte alle Ursache, mit der Wendung der Dinge zufrieden zu sein.
Der Weg zum Thron ging nun einmal notwendig durch den Buergerkrieg; und diesen
mit gutem Fug beginnen zu koennen dankte er Catos unverbesserlicher
Verkehrtheit. Nach der rechtswidrigen Verurteilung der Anhaenger Catilinas, nach
den unerhoerten Gewaltsamkeiten gegen den Volkstribun Metellus konnte Pompeius
ihn fuehren zugleich als Verfechter der beiden Palladien der roemischen
Gemeindefreiheit, des Berufungsrechts und der Unverletzlichkeit des
Volkstribunats, gegen die Aristokratie und als Vorkaempfer der Ordnungspartei
gegen die Catilinarische Bande. Es schien fast unmoeglich, dass Pompeius dies
unterlassen und mit sehenden Augen sich zum zweitenmal in die peinliche
Situation begeben werde, in die die Entlassung seiner Armee im Jahre 684 (70)
ihn versetzt und aus der erst das Gabinische Gesetz ihn erloest hatte. Indes,
wie nahe es ihm auch gelegt war, die weisse Binde um seine Stirn zu legen, wie
sehr seine eigene Seele danach geluestete: als es galt, den Griff zu tun,
versagten ihm abermals Herz und Hand. Dieser in allem, nur in seinen Anspruechen
nicht, ganz gewoehnliche Mensch haette wohl gern ausserhalb des Gesetzes sich
gestellt, wenn dies nur haette geschehen koennen, ohne den gesetzlichen Boden zu
verlassen. Schon sein Zaudern in Asien liess dies ahnen. Er haette, wenn er
gewollt, sehr wohl im Januar 692 (62) mit Flotte und Heer im Hafen von
Brundisium eintreffen und Nepos hier empfangen koennen. Dass er den ganzen
Winter 691/92 (63/62) in Asien saeumte, hatte zunaechst die nachteilige Folge,
dass die Aristokratie, die natuerlich den Feldzug gegen Catilina nach Kraeften
beschleunigte, inzwischen mit dessen Banden fertiggeworden war und damit der
schicklichste Vorwand, die asiatischen Legionen in Italien zusammenzuhalten,
hinwegfiel. Fuer einen Mann von Pompeius' Art, der in Ermangelung des Glaubens
an sich und an seinen Stern sich im oeffentlichen Leben aengstlich an das
formale Recht anklammerte, und bei dem der Vorwand ungefaehr ebensoviel wog wie
der Grund, fiel dieser Umstand schwer ins Gewicht. Er mochte sich ferner sagen,
dass, selbst wenn er sein Heer entlasse, er dasselbe nicht voellig aus der Hand
gebe und im Notfall doch noch eher als jedes andere Parteihaupt eine
schlagfertige Armee aufzubringen vermoege; dass die Demokratie in unterwuerfiger
Haltung seines Winkes gewaertig und mit dem widerspenstigen Senat auch ohne
Soldaten fertig zu werden sei und was weiter sich von solchen Erwaegungen
darbot, in denen gerade genug Wahres war, um sie dem, der sich selber betruegen
wollte, plausibel erscheinen zu lassen. Den Anschlag gab natuerlich wiederum
Pompeius' eigenstes Naturell. Er gehoerte zu den Menschen, die wohl eines
Verbrechens faehig sind, aber keiner Insurbordination; im guten wie im schlimmen
Sinne war er durch und durch Soldat. Bedeutende Individualitaeten achten das
Gesetz als die sittliche Notwendigkeit, gemeine als die hergebrachte
alltaegliche Regel; ebendarum fesselt die militaerische Ordnung, in der mehr als
irgendwo sonst das Gesetz als Gewohnheit auftritt, jeden nicht ganz in sich
festen Menschen wie mit einem Zauberbann. Es ist oft beobachtet worden, dass der
Soldat, auch wenn er den Entschluss gefasst hat, seinen Vorgesetzten den
Gehorsam zu versagen, dennoch, wenn dieser Gehorsam gefordert wird,
unwillkuerlich wieder in Reihe und Glied tritt; es war dies Gefuehl, das
Lafayette und Dumouriez im letzten Augenblick vor dem Treuebruch schwanken und
scheitern machte, und eben demselben ist auch Pompeius unterlegen.
Im Herbst 692 (62) schiffte Pompeius nach Italien sich ein. Waehrend in der
Hauptstadt alles sich bereitete, den neuen Monarchen zu empfangen, kam der
Bericht, dass Pompeius, kaum in Brundisium gelandet, seine Legionen aufgeloest
und mit geringem Gefolge die Reise nach der Hauptstadt angetreten habe. Wenn es
ein Glueck ist, eine Krone muehelos zu gewinnen, so hat das Glueck nie mehr fuer
einen Sterblichen getan, als es fuer Pompeius tat; aber an den Mutlosen
verschwenden die Goetter alle Gunst und alle Gabe umsonst.
Die Parteien atmeten auf. Zum zweiten Male hatte Pompeius abgedankt; die
schon ueberwundenen Mitbewerber konnten abermals den Wettlauf beginnen, wobei
wohl das wunderlichste war, dass in diesem Pompeius wieder mitlief. Im Januar
693 (61) kam er nach Rom. Seine Stellung war schief und schwankte so unklar
zwischen den Parteien, dass man ihm den Spottnamen Gnaeus Cicero verlieh. Er
hatte es eben mit allen verdorben. Die Anarchisten sahen in ihm einen
Widersacher, die Demokraten einen unbequemen Freund, Marcus Crassus einen
Nebenbuhler, die vermoegende Klasse einen unzuverlaessigen Beschuetzer, die
Aristokratie einen erklaerten Feind ^1. Er war wohl immer noch der maechtigste
Mann im Staat; sein durch ganz Italien zerstreuter militaerischer Anhang, sein
Einfluss in den Provinzen, namentlich den oestlichen, sein militaerischer Ruf,
sein ungeheurer Reichtum gaben ihm ein Gewicht wie es kein anderer hatte; aber
statt des begeisterten Empfanges, auf den er gezaehlt hatte, war die Aufnahme,
die er fand, mehr als kuehl, und noch kuehler behandelte man die Forderungen,
die er stellte. Er begehrte fuer sich, wie er schon durch Nepos hatte
ankuendigen lassen, das zweite Konsulat, ausserdem natuerlich die Bestaetigung
der vor. ihm im Osten getroffenen Anordnungen und die Erfuellung des seinen
Soldaten gegebenen Versprechens, sie mit Laendereien auszustatten. Hiergegen
erhob sich im Senat eine systematische Opposition, zu der die persoenliche
Erbitterung des Lucullus und des Metellus Creticus, der alte Groll des Crassus
und Catos gewissenhafte Torheit die hauptsaechlichsten Elemente hergaben. Das
gewuenschte zweite Konsulat ward sofort und unverbluemt verweigert. Gleich die
erste Bitte, die der heimkehrende Feldherr an den Senat richtete, die Wahl der
Konsuln fuer 693 (61) bis nach seinem Eintreffen in der Hauptstadt
aufzuschieben, war ihm abgeschlagen worden; viel weniger war daran zu denken,
die erforderliche Dispensation von dem Gesetze Sullas ueber die Wiederwahl vom
Senat zu erlangen. Fuer die in den oestlichen Provinzen von ihm getroffenen
Anordnungen begehrte Pompeius die Bestaetigung natuerlich im ganzen; Lucullus
setzte es durch, dass ueber jede Verfuegung besonders verhandelt und abgestimmt
ward, womit fuer endlose Trakasserien und eine Menge Niederlagen im einzelnen
das Feld eroeffnet war. Das Versprechen einer Landschenkung an die Soldaten der
asiatischen Armee ward vom Senat wohl im allgemeinen ratifiziert, jedoch
zugleich ausgedehnt auf die kretischen Legionen des Metellus und, was schlimmer
war, es wurde nicht ausgefuehrt, da die Gemeindekasse leer und der Senat nicht
gemeint war, die Domaenen fuer diesen Zweck anzugreifen. Pompeius, daran
verzweifelnd, der zaehen und tueckischen Opposition des Rates Herr zu werden,
wandte sich an die Buergerschaft. Allein auf diesem Gebiet verstand er noch
weniger sich zu bewegen. Die demokratischen Fuehrer, obwohl sie ihm nicht offen
entgegentraten, hatten doch auch durchaus keine Ursache, seine Interessen zu den
ihrigen zu machen und hielten sich beiseite. Pompeius' eigene Werkzeuge, wie zum
Beispiel die durch seinen Einfloss und zum Teil durch sein Geld gewaehlten
Konsuln Marcus Pupius Piso 693 (61) und Lucius Afranius 694 (60), erwiesen sich
als ungeschickt und unbrauchbar. Als endlich durch den Volkstribun Lucius
Flavius in Form eines allgemeinen Ackergesetzes die Landanweisung fuer Pompeius'
alte Soldaten an die Buergerschaft gebracht :ward, blieb der von den Demokraten
nicht unterstuetzte, von den Aristokraten offen bekaempfte Antrag in der
Minoritaet (Anfang 694 60). Fast demuetig buhlte der hochgestellte Feldherr
jetzt um die Gunst der Massen, wie denn auf seinem Antrieb durch ein von dem
Praetor Metellus Nepos eingebrachtes Gesetz die italischen Zoelle abgeschafft
wanden (694 60). Aber er spielte den Demagogen ohne Geschick und ohne Glueck;
sein Ansehen litt darunter, und was er wollte, erreichte er nicht. Er hatte sich
vollstaendig festgezogen. Einer seiner Gegner fusst seine damalige politische
Stellung dahin zusammen, dass er bemueht sei, "seinen gestickten Triumphalmantel
schweigend zu konservieren". Es blieb ihm in der Tat nichts uebrig, als sich zu
aergern.
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^1 Der Eindruck der ersten Ansprache, die Pompeius nach seiner Rueckkehr an
die Buergerschaft richtete, wird von Cicero (Art. 1, 14) so geschildert: prima
contio Pornpei non iucunda miseris, inanis improbis, beatis non grata, bonis non
gravis;
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Da bot sich eine neue Kombination dar. Der Fuehrer der demokratischem
Partei hatte die politische Windstille, die zunaechst auf den Ruecktritt des
bisherigen Machthabers gefolgt war, in seinem Interesse taetig benutzt. Als
Pompeius aus Asien zurueckkam, war Caesar wenig mehr gewesen als was auch
Catilina war: der Chef einer fast zu einem Verschwoererklub eingeschwundenen
politischen Partei und ein bankrotter Mann. Seitdem aber hatte er nach
verwalteter Praetur (692 62) die Statthalterschaft des Jenseitigen Spanien
uebernommen und dadurch Mittel gefunden, teils seiner Schulden sich zu
entledigen; teils zu seinem militaerischen Ruf den Grund zu legen. Sein alter
Freund und Bundesgenosse Crassus hatte durch die Hoffnung, den. Rueckhalt gegen
Pompeius, den er an Piso verloren, jetzt an Caesar wiederzufinden, sich
bestimmen lassen, ihn noch vor seinem Abgang in die Provinz von dem
drueckendsten Teil seiner Schuldenlast zu befreien. Er selbst hatte den kurzen
Aufenthalt daselbst energisch benutzt. Im Jahre 694 (60) mit gefuellten Kassen
und als Imperator mit wohlgegruendeten Anspruechen auf den Triumph aus Spanien
zurueckgekehrt, trat er fuer das folgende Jahr als Bewerber um das Konsulat auf,
um dessentwillen er, da der Senat ihm die Erlaubnis, abwesend sich zu der
Konsulwahl zu melden, abschlug, die Ehre des Triumphes unbedenklich darangab.
Seit Jahren hatte die Demokratie danach gerungen, einen der Ihrigen in den
Besitz des hoechsten Amtes zu bringen, um auf dieser Bruecke zu einer eigenen
militaerischen Macht zu gelangen. Laengst war es ja den Einsichtigen aller
Farben klar geworden, dass der Parteienstreit nicht durch buergerlichen Kampf,
sondern nur noch durch Militaermacht entschieden werden koenne; der Verlauf aber
der Koalition zwischen der Demokratie und den maechtigen Militaerchefs, durch
die der Senatsherrschaft ein Ende gemacht worden war, zeigte mit unerbittlicher
Schaerfe, dass jede solche Allianz schliesslich auf eine Unterordnung der
buergerlichen unter die militaerischen Elemente hinauslief und dass die
Volkspartei, wenn sie wirklich herrschen wollte, nicht mit ihr eigentlich
fremden, ja feindlichen Generalen sich verbuenden, sondern ihre Fuehrer selbst
zu Generalen machen muesse. Die dahin zielenden Versuche, Catilinas Wahl zum
Konsul durchzusetzen, in Spanien oder Aegypten einen militaerischen Rueckhalt zu
gewinnen, waren gescheitert; jetzt bot sich ihr die Moeglichkeit, ihrem
bedeutendsten Manne das Konsulat und die Konsularprovinz auf dem gewoehnlichen,
verfassungsmaessigen Wege zu verschaffen und durch Begruendung, wenn man so
sagen darf, einer demokratischen Hausmacht sich von dem zweifelhaften und
gefaehrlichen Bundesgenossen Pompeius unabhaengig zu machen.
Aber je mehr der Demokratie daran gelegen sein musste, sich diese Bahn zu
eroeffnen, die ihr nicht so sehr die guenstigste als die einzige Aussicht auf
ernstliche Erfolge darbot, desto gewisser konnte sie dabei auf den
entschlossenen Widerstand ihrer politischen Gegner zaehlen. Es kam darauf an,
wen sie hierbei sich gegenueber fand. Die Aristokratie vereinzelt war nicht
furchtbar; aber es hatte doch soeben in der Catilinarischen Angelegenheit sich
herausgestellt, dass sie da allerdings noch etwas vermochte, wo sie von den
Maennern der materiellen Interessen und von den Anhaengern des Pompeius mehr
oder minder offen unterstuetzt ward. Sie hatte Catilinas Bewerbung um das
Konsulat mehrmals vereitelt, und dass sie das gleiche gegen Caesar versuchen
werde, war gewiss genug. Aber wenn auch vielleicht Caesar ihr zum Trotze
gewaehlt ward, so reichte die Wahl allein nicht aus. Er bedurfte mindestens
einige Jahre ungestoerter Wirksamkeit ausserhalb Italiens, um eine feste
militaerische Stellung zu gewinnen, und sicherlich liess die Nobilitaet kein
Mittel unversucht, um waehrend dieser Vorbereitungszeit seine Plaene zu
durchkreuzen. Der Gedanke lag nahe, ob es nicht gelingen koenne, die
Aristokratie wieder, wie im Jahre 683/84 (71 /70) zu isolieren und zwischen den
Demokraten nebst ihrem Bundesgenossen Crassus einer- und Pompeius und der hohen
Finanz andererseits ein auf gemeinschaftlichen Vorteil fest begruendetes
Buendnis aufzurichten. Fuer Pompeius war ein solches allerdings ein politischer
Selbstmord. Sein bisheriges Gewicht im Staate beruhte darauf, dass er das
einzige Parteihaupt war, das zugleich ueber Legionen, wenn auch jetzt
aufgeloeste, doch immer noch in einem gewissen Masse verfuegte. Der Plan der
Demokratie war ebendarauf gerichtet, ihn dieses Uebergewichtes zu berauben und
ihm in ihrem eigenen Haupt einen militaerischen Nebenbuhler zur Seite zu
stellen. Nimmermehr durfte er hierauf eingehen, am allerwenigsten aber einem
Manne wie Caesar, der schon als blosser politischer Agitator ihm genug zu
schaffen gemacht und soeben in Spanien die glaenzendsten Beweise auch
militaerischer Kapazitaet gegeben hatte, selber zu einer Oberfeldherrnstelle
verhelfen. Allein auf der anderen Seite war, infolge der schikanoesen Opposition
des Senats und der Gleichgueltigkeit der Menge fuer Pompeius und Pompeius'
Wuensche, seine Stellung, namentlich seinen alten Soldaten gegenueber, so
peinlich und so demuetigend geworden, dass man bei seinem Charakter wohl
erwarten konnte, um den Preis der Erloesung aus dieser unbequemen Lage ihn fuer
eine solche Koalition zu gewinnen. Was aber die sogenannte Ritterpartei anlangt,
so fand diese ueberall da sich ein, wo die Macht war, und es verstand sich von
selbst, dass sie nicht lange auf sich werde warten lassen, wenn sie Pompeius und
die Demokratie aufs neue ernstlich sich verbuenden sah. Es kam hinzu, dass wegen
Catos uebrigens sehr loeblicher Strenge gegen die Steuerpaechter die hohe Finanz
eben jetzt wieder mit dem Senat in heftigem Hader lag.
So ward im Sommer 694 (60) die zweite Koalition abgeschlossen. Caesar liess
sich das Konsulat fuer das folgende Jahr und demnaechst die Statthalterschaft
zusichern; Pompeius ward die Ratifikation seiner im Osten getroffenen
Verfuegungen und Anweisung von Laendereien an die Soldaten der asiatischen Armee
zugesagt; der Ritterschaft versprach Caesar gleichfalls das, was der Senat
verweigert hatte, ihr durch die Buergerschaft zu verschaffen; Crassus endlich,
der unvermeidliche, durfte wenigstens dem Bunde sich anschliessen, freilich ohne
fuer den Beitritt, den er nicht verweigern konnte, bestimmte Zusagen zu
erhalten. Es waren genau dieselben Elemente, ja dieselben Personen, die im
Herbst 683 (71) und die im Sommer 684 (70) den Bund miteinander schlossen; aber
wie so ganz anders standen doch damals und jetzt die Parteien! Damals war die
Demokratie nichts als eine politische Partei, ihre Verbuendeten siegreiche, an
der Spitze ihrer Armeen stehende Feldherren; jetzt war der Fuehrer der
Demokraten selber ein sieggekroenter, von grossartigen militaerischen Entwuerfen
erfuellter Imperator, die Bundesgenossen gewesene Generale ohne Armee. Damals
siegte die Demokratie in Prinzipienfragen und raeumte um diesen Preis die
hoechsten Staatsaemter ihren beiden Verbuendeten ein; jetzt war sie praktischer
geworden und nahm die hoechste buergerliche und militaerische Gewalt fuer sich
selber, wogegen nur in untergeordneten Dingen den Bundesgenossen Konzessionen
gemacht und, bezeichnend genug, nicht einmal Pompeius' alte Forderung eines
zweiten Konsulats beruecksichtigt wurde. Damals gab sich die Demokratie ihren
Verbuendeten hin; jetzt mussten diese sich ihr anvertrauen. Alle Verhaeltnisse
sind vollstaendig veraendert, am meisten jedoch der Charakter der Demokratie
selbst. Wohl hatte dieselbe, seit sie ueberhaupt war, im innersten Kern ein
monarchisches Element in sich getragen; allein das Verfassungsideal, wie es
ihren besten Koepfen in mehr oder minder deutlichen Umrissen vorschwebte, blieb
doch immer ein buergerliches Gemeinwesen, eine perikleische Staatsordnung, in
der die Macht des Fuersten darauf beruhte, dass er die Buergerschaft in edelster
und vollkommenster Weise vertrat und der vollkommenste und edelste Teil der
Buergschaft ihren rechten Vertrauensmann in ihm erkannte. Auch Caesar ist von
solchen Anschauungen ausgegangen; aber es waren nun einmal Ideale, die wohl auf
die Realitaeten einwirken, aber nicht geradezu realisiert werden konnten. Weder
die einfache buergerliche Gewalt, wie Gaius Gracchus sie besessen, noch die
Bewaffnung der demokratischen Partei, wie sie Cinna, freilich in sehr
unzulaenglicher Art, versucht hatte, vermochten in dem roemischen Gemeinwesen
als dauerndes Schwergewicht sich zu behaupten; die nicht fuer eine Partei,
sondern fuer einen Feldherrn fechtende Heeresmaschine, die rohe Macht der
Condottieri zeigte sich, nachdem sie zuerst im Dienste der Restauration auf den
Schauplatz getreten war, bald allen politischen Parteien unbedingt ueberlegen.
Auch Caesar musste im praktischen Parteitreiben hiervon sich ueberzeugen und
also reifte in ihm der verhaengnisvolle Entschluss, diese Heeresmaschine selbst
seinen Idealen dienstbar zu machen und das Gemeinwesen, wie er es im Sinne trug,
durch Condottiergewalt aufzurichten. In dieser Absicht schloss er im Jahre 683
(71) den Bund mit den Generalen der Gegenpartei, welcher, ungeachtet dieselben
das demokratische Programm akzeptiert hatten, doch die Demokratie und Caesar
selbst an den Rand des Unterganges fuehrte. In der gleichen Absicht trat elf
Jahre spaeter er selber als Condottiere auf. Es geschah in beiden Faellen mit
einer gewissen Naivitaet, mit dem guten Glauben an die Moeglichkeit, ein freies
Gemeinwesen wo nicht durch fremde, doch durch den eigenen Saebel begruenden zu
koennen. Man sieht es ohne Muehe ein, dass dieser Glaube trog und dass niemand
den boesen Geist zum Diener nimmt, ohne ihm selbst zum Knecht zu werden; aber
die groessten Maenner sind nicht die, welche am wenigsten irren. Wenn noch nach
Jahrtausenden wir ehrfurchtsvoll uns neigen vor denn, was Caesar gewollt und
getan hat, so liegt die Ursache nicht darin, dass er eine Krone begehrt und
gewonnen hat, was an sich so wenig etwas Grosses ist wie die Krone selbst,
sondern darin, dass sein maechtiges Ideal: eines freien Gemeinwesens unter einem
Herrscher - ihn nie verlassen und auch als Monarchen ihn davor bewahrt hat, in
das gemeine Koenigtum zu versinken.
Ohne Schwierigkeit ward von den vereinigten Parteien Caesars Wahl zum
Konsul fuer das Jahr 695 (59) durchgesetzt. Die Aristokratie musste zufrieden
sein, durch einen selbst in dieser Zeit tiefster Korruption Aufsehen erregenden
Stimmenkauf, wofuer der ganze Herrenstand die Mittel zusammenschoss, ihm in der
Person des Marcus Bibulus einen Kollegen zuzugesellen, dessen bornierter
Starrsinn in ihren Kreisen als konservative Energie betrachtet ward und an
dessen gutem Willen wenigstens es nicht lag, wenn die vornehmen Herren ihre
patriotischen Auslagen nicht wieder herausbekamen.
Als Konsul brachte Caesar zunaechst die Begehren seiner Verbuendeten zur
Verhandlung, unter denen die Landanweisung an die Veteranen des asiatischen
Heeres bei weitem das wichtigste war. Das zu diesem Ende von Caesar entworfene
Ackergesetz hielt im allgemeinen fest an den Grundzuegen, wie sie der das Jahr
zuvor in Pompeius' Auftrag eingebrachte, aber gescheiterte Gesetzesentwurf
aufgestellt hatte. Zur Verteilung ward nur das italische Domanialland bestimmt,
das heisst wesentlich das Gebiet von Capua, und, wenn dies nicht ausreichen
sollte, anderer italischer Grundbesitz, der aus dem Ertrage der neuen oestlichen
Provinzen zu dem in den zensorischen Listen verzeichneten Taxationswert
angekauft werden sollte; alle bestehenden Eigentums- und Erbbesitzrechte blieben
also unangetastet. Die einzelnen Parzellen waren klein. Die Landempfaenger
sollten arme Buerger, Vaeter von wenigstens drei Kindern sein; der bedenkliche
Grundsatz, dass der geleistete Militaerdienst Anspruch auf Grundbesitz gebe,
ward nicht aufgestellt, sondern es wurden nur, wie es billig und zu allen Zeiten
geschehen war, die alten Soldaten sowie nicht minder die auszuweisenden
Zeitpaechter den Landausteilern vorzugsweise zur Beruecksichtigung empfohlen.
Die Ausfuehrung ward einer Kommission von zwanzig Maennern uebertragen, in die
Caesar bestimmt erklaerte, sich selber nicht waehlen lassen zu wollen.
Die Opposition hatte gegen diesen Vorschlag einen schweren Stand. Es liess
sich vernuenftigerweise nicht leugnen, dass die Staatsfinanzen nach Einrichtung
der Provinzen Pontus und Syrien imstande sein mussten, auf die kampanischen
Pachtgelder zu verzichten; dass es unverantwortlich war, einen der schoensten
und eben zum Kleinbesitz vorzueglich geeigneten Distrikt Italiens dem
Privatverkehr zu entziehen; dass es endlich ebenso ungerecht wie laecherlich
war, noch jetzt nach der Erstreckung des Buergerrechts auf ganz Italien der
Ortschaft Capua die Munizipalrechte vorzuenthalten. Der ganze Vorschlag trug den
Stempel der Maessigung, der Ehrlichkeit und der Solidaritaet, womit sehr
geschickt der demokratische Parteicharakter verbunden war; denn im wesentlichen
lief derselbe doch hinaus auf die Wiederherstellung der in der marianischen Zeit
gegruendeten und von Sulla wiederaufgehobenen capuanischen Kolonie. Auch in der
Form beobachtete Caesar jede moegliche Ruecksicht. Er legte den Entwurf des
Ackergesetzes, sowie zugleich den Antrag, die von Pompeius im Osten erlassenen
Verfuegungen in Bausch und Bogen zu ratifizieren und die Petition der
Steuerpaechter um Nachlass eines Drittels der Pachtsummen, zunaechst dem Senat
zur Begutachtung vor und erklaerte sich bereit, Abaenderungsvorschlaege
entgegenzunehmen und zu diskutieren. Das Kollegium hatte jetzt Gelegenheit, sich
zu ueberzeugen, wie toericht es gehandelt hatte, durch Verweigerung dieser
Begehren Pompeius und die Ritterpartei dem Gegner in die Arme zu treiben.
Vielleicht war es das stille Gefuehl hiervon, das die hochgeborenen Herren zu
dem lautesten und mit dem gehaltenen Auftreten Caesars uebel kontrastierenden
Widerbellen trieb. Das Ackergesetz ward von ihnen einfach und selbst ohne
Diskussion zurueckgewiesen. Der Beschluss ueber Pompeius' Einrichtungen in Asien
fand ebensowenig Gnade vor ihren Augen. Den Antrag hinsichtlich der
Steuerpaechter versuchte Cato nach der unloeblichen Sitte des roemischen
Parlamentarismus totzusprechen, das heisst bis zu der gesetzlichen Schlussstunde
der Sitzung seine Rede fortzuspinnen; als Caesar Miene machte, den stoerrigen
Mann verhaften zu lassen, ward schliesslich auch dieser Antrag verworfen.
Natuerlich gingen nun saemtliche Antraege an die Buergerschaft. Ohne sich
weit von der Wahrheit zu entfernen, konnte Caesar der Menge sagen, dass der
Senat die vernuenftigsten und notwendigsten, in der achtungsvollsten Form an ihn
gebrachten Vorschlaege, bloss weil sie von dem demokratischen Konsul kamen,
schnoede zurueckgewiesen habe. Wenn er hinzufuegte, dass die Aristokraten ein
Komplott gesponnen haetten, um die Verwerfung der Antraege zu bewirken, und die
Buergerschaft, namentlich Pompeius selbst und dessen alte Soldaten, aufforderte,
gegen List und Gewalt ihm beizustehen, so war auch dies keineswegs aus der Luft
gegriffen. Die Aristokratie, voran der eigensinnige Schwachkopf Bibulus und der
standhafte Prinzipiennarr Cato, hatte in der Tat vor, die Sache bis zu
offenbarer Gewalt zu treiben. Pompeius, von Caesar veranlasst, sich ueber seine
Stellung zu der obschwebenden Frage auszusprechen, erklaerte unumwunden, wie es
sonst seine Art nicht war, dass, wenn jemand wagen sollte, das Schwert zu
zuecken, auch er nach dem seinigen greifen und dann den Schild nicht zu Hause
lassen werde; ebenso sprach Crassus sich aus. Pompeius' alte Soldaten wurden
angewiesen, am Tage der Abstimmung, die ja zunaechst sie anging, zahlreich mit
Waffen unter den Kleidern auf dem Stimmplatz zu erscheinen.
Die Nobilitaet liess dennoch kein Mittel unversucht, um die Antraege
Caesars zu vereiteln. An jedem Tage, wo Caesar vor dem Volke auftrat, stellte
sein Kollege Bibulus die bekannten politischen Wetterbeobachtungen an, die alle
oeffentlichen Geschaefte unterbrachen; Caesar kuemmerte sich um den Himmel
nicht, sondern fuhr fort, seine irdischen Geschaefte zu betreiben. Die
tribunizische Interzession ward eingelegt; Caesar begnuegte sich, sie nicht zu
beachten. Bibulus und Cato sprangen auf die Rednertribuene, harangierten die
Menge und veranlassten den gewoehnlichen Krawall; Caesar liess sie durch
Gerichtsdiener vom Markte hinwegfuehren und uebrigens dafuer sorgen, dass ihnen
kein Leides geschah - es lag auch in seinem Interesse, dass die politische
Komoedie das blieb, was sie war. Alles Schikanierens und alles Folterns der
Nobilitaet ungeachtet, wurden das Ackergesetz, die Bestaetigung der asiatischen
Organisationen und der Nachlass fuer die Steuerpaechter von der Buergerschaft
angenommen, die Zwanzigerkommission, an ihrer Spitze Pompeius und Crassus,
erwaehlt und in ihr Amt eingesetzt; mit allen ihren Anstrengungen hatte die
Aristokratie nichts weiter erreicht, als dass ihre blinde und gehaessige
Widersetzlichkeit die Bande der Koalition noch fester gezogen und ihre Energie,
deren sie bald bei. wichtigeren Dingen beduerfen sollte, an diesen im Grunde
gleichgueltigen Angelegenheiten sich erschoepft hatte. Man beglueckwuenschte
sich untereinander ueber den bewiesenen Heldenmut; dass Bibulus erklaert hatte,
lieber sterben als weichen zu wollen, dass Cato noch in den Haenden der Buettel
fortgefahren hatte zu perorieren, waren grosse patriotische Taten; uebrigens
ergab man sich in sein Schicksal. Der Konsul Bibulus schloss sich fuer den noch
uebrigen Teil des Jahres in sein Haus ein, wobei er zugleich durch oeffentlichen
Anschlag bekannt machte, dass er die fromme Absicht habe, an allen in diesem
Jahr zu Volksversammlungen geeigneten Tagen nach Himmelszeichen zu spaehen.
Seine Kollegen bewunderten wieder den grossen Mann, der, gleich wie Ennius von
dem alten Fabius gesagt, "den Staat durch Zaudern errette", und taten wie er;
die meisten derselben, darunter Cato, erschienen nicht mehr im Senat und halfen
innerhalb ihrer vier Waende ihrem Konsul sich aergern, dass der politischen
Astronomie zum Trotz die Weltgeschichte weiterging. Dem Publikum erschien diese
Passivitaet des Konsuls sowie der Aristokratie ueberhaupt wie billig als
politische Abdikation; und die Koalition war natuerlich sehr wohl damit
zufrieden, dass man sie die weiteren Schritte fast ungestoert tun liess. Der
wichtigste darunter war die Regulierung der kuenftigen Stellung Caesars.
Verfassungsmaessig lag es dem Senat ob, die Kompetenzen des zweiten
konsularischen Amtsjahrs nach vor der Wahl der Konsuln festzustellen; demgemaess
hatte er denn auch, in Voraussicht der Wahl Caesars, dazu fuer 696 (58) zwei
Provinzen ausersehen, in denen der Statthalter nichts anderes vorzunehmen fand
als Strassenbauten und dergleichen nuetzliche Dinge mehr. Natuerlich konnte es
nicht dabei bleiben; es war unter den Verbuendeten ausgemacht, dass Caesar ein
ausserordentliches nach dem Muster der Gabinisch-Manilischen Gesetze
zugeschnittenes Kommando durch Volksschluss erhalten solle. Caesar indes hatte
oeffentlich erklaert, keinen Antrag zu seinen eigenen Gunsten einbringen zu
wollen; der Volkstribun Publius Vatinius uebernahm es also, den Antrag bei der
Buergerschaft zu stellen, die natuerlich unbedingt gehorchte. Caesar erhielt
dadurch die Statthalterschaft des cisalpinischen Galliens und den Oberbefehl der
drei daselbst stehenden, schon im Grenzkrieg unter Lucius Afranius erprobten
Legionen, ferner propraetorischen Rang fuer seine Adjutanten, wie die
Pompeianischen ihn gehabt hatten; auf fuenf Jahre hinaus, auf laengere Zeit, als
je frueher ein ueberhaupt auf bestimmte Zeit beschraenkter Feldherr bestellt
worden war, ward dies Amt ihm gesichert. Den Kern seiner Statthalterschaft
bildeten die Transpadaner, seit Jahren schon, in Hoffnung auf das Buergerrecht,
die Klienten der demokratischen Partei in Rom und insbesondere Caesars. Sein
Sprengel erstreckte sich suedlich bis zum Arnus und zum Rubico und schloss Luca
und Ravenna ein. Nachtraeglich ward dann noch die Provinz Narbo mit der einen
daselbst befindlichen Legion zu Caesars Amtsbezirk hinzugefuegt, was auf
Pompeius' Antrag der Senat beschloss, um wenigstens nicht auch dies Kommando
durch ausserordentlichen Buergerschaftsbeschluss auf Caesar uebergehen zu sehen.
Man hatte damit, was man wollte. Da verfassungsmaessig in dem eigentlichen
Italien keine Truppen stehen durften, so beherrschte der Kommandant der
norditalischen und gallischen Legionen auf die naechsten fuenf Jahre zugleich
Italien und Rom; und wer auf fuenf Jahre, ist auch Herr auf Lebenszeit. Caesars
Konsulat hatte seinen Zweck erreicht. Es versteht sich, dass die neuen
Machthaber nebenbei nicht versaeumten, die Menge durch Spiele und Lustbarkeiten
aller Art bei guter Laune zu erhalten, und dass sie jede Gelegenheit ergriffen,
ihre Kasse zu fuellen; wie denn zum Beispiel dem Koenig von Aegypten der
Volksschluss, der ihn als legitimen Herrscher anerkannte, von der Koalition um
hohen Preis verkauft ward, und ebenso andere Dynasten und Gemeinden Freibriefe
und Privilegien bei dieser Gelegenheit erwarben.
Auch die Dauerhaftigkeit der getroffenen Einrichtungen schien hinlaenglich
gesichert. Das Konsulat ward wenigstens fuer das naechste Jahr sicheren Haenden
anvertraut. Das Publikum glaubte anfangs, dass es Pompeius und Crassus selber
bestimmt sei; die Machthaber zogen es indes vor, zwei untergeordnete, aber
zuverlaessige Maenner ihrer Partei, Aulus Gabinius, den besten unter Pompeius'
Adjutanten, und Lucius Piso, der minder bedeutend, aber Caesars Schwiegervater
war, fuer 696 (58) zu Konsuln waehlen zu lassen. Pompeius uebernahm es
persoenlich, Italien zu bewachen, wo er an der Spitze der Zwanzigerkommission
die Ausfuehrung des Ackergesetzes betrieb und gegen 20000 Buerger, grossenteils
alte Soldaten aus seiner Armee, im Gebiete von Capua mit Grundbesitz
ausstattete; als Rueckhalt gegen die hauptstaedtische Opposition dienten ihm
Caesars norditalische Legionen. Auf einen Bruch unter den Machthabern selbst war
zunaechst wenigstens keine Aussicht. Die von Caesar als Konsul erlassenen
Gesetze, an deren Aufrechterhaltung Pompeius wenigstens ebensoviel gelegen war
als Caesar, verbuergten die Fortdauer der Spaltung zwischen Pompeius und der
Aristokratie, deren Spitzen, namentlich Cato, fortfuhren, die Gesetze als
nichtig zu behandeln, und damit den Fortbestand der Koalition. Es kam hinzu,
dass auch die persoenlichen Bande zwischen ihren Haeuptern sich enger
zusammenzogen. Caesar hatte seinen Verbuendeten redlich und treulich Wort
gehalten, ohne sie in dem Versprochenen zu beknappen oder zu schikanieren, und
namentlich das in Pompeius' Interesse beantragte Ackergesetz voellig wie seine
eigene Sache mit Gewandtheit und Energie durchgefochten; Pompeius war nicht
unempfaenglich fuer rechtliches Verhalten und gute Treue und wohlwollend
gestimmt gegen denjenigen, der ihm ueber die seit drei Jahren gespielte
armselige Petentenrolle mit einem Schlag hinweggeholfen hatte. Der haeufige und
vertraute Verkehr mit einem Manne von der unwiderstehlichen Liebenswuerdigkeit
Caesars tat das uebrige, um den Bund der Interessen in einen Freundschaftsbund
umzugestalten. Das Ergebnis und das Unterpfand dieser Freundschaft, freilich
zugleich auch eine oeffentliche, schwer misszuverstehende Ankuendigung der
neubegruendeten Gesamtherrschaft, war die Ehe, die Pompeius mit Caesars
einziger, dreiundzwanzigjaehriger Tochter einging. Julia, die die Anmut ihres
Vaters geerbt hatte, lebte mit ihrem um das doppelte aelteren Gemahl in der
gluecklichsten Haeuslichkeit, und die nach so vielen Noeten und Krisen Ruhe und
Ordnung herbeisehnende Buergerschaft sah in diesem Ehebuendnis die Gewaehr einer
friedlichen und gedeihlichen Zukunft.
Je fester und enger also das Buendnis zwischen Pompeius und Caesar sich
knuepfte, desto hoffnungsloser gestaltete sich die Sache der Aristokratie. Sie
fuehlte das Schwert ueber ihrem Haupte schweben und kannte Caesar hinlaenglich,
um nicht zu bezweifeln, dass er, wenn noetig, es unbedenklich brauchen werde.
"Von allen Seiten", schrieb einer von ihnen, "stehen wir im Schach; schon haben
wir aus Furcht vor dem Tode oder vor der Verbannung auf die 'Freiheit'
verzichtet; jeder seufzt, zu reden wagt keiner". Mehr konnten die Verbuendeten
nicht verlangen. Aber wenn auch die Majoritaet der Aristokratie in dieser
wuenschenswerten Stimmung sich befand, so fehlte es doch natuerlich in dieser
Partei auch nicht an Heissspornen. Kaum hatte Caesar das Konsulat niedergelegt,
als einige der hitzigsten Aristokraten, Lucius Domitius und Gaius Memmius, im
vollen Senat den Antrag stellten, die Julischen Gesetze zu kassieren. Es war das
freilich nichts als eine Torheit, die nur zum Vorteil der Koalition ausschlug;
denn da Caesar nun selbst darauf bestand, dass der Senat die Gueltigkeit der
angefochtenen Gesetze untersuchen moege, konnte dieser nicht anders, als deren
Legalitaet foermlich anerkennen. Allein begreiflicherweise fanden dennoch die
Machthaber hierin eine neue Aufforderung, an einigen der namhaftesten und
vorlautesten Opponenten ein Exempel zu statuieren, und dadurch sich zu
versichern, dass die uebrige Masse bei jenem zweckmaessigen Seufzen und
Schweigen beharre. Anfangs hatte man gehofft, dass die Klausel des
Ackergesetzes, welche wie ueblich den Eid auf das neue Gesetz von den
saemtlichen Senatoren bei Verlust ihrer politischen Rechte forderte, die
heftigsten Widersacher bestimmen werde, nach dem Vorgange des Metellus Numidicus
sich durch die Eidverweigerung selber zu verbannen. Allein so gefaellig erwiesen
sich dieselben doch nicht; selbst der gestrenge Cato bequemte sich zu schwoeren,
und seine Sanchos folgten ihm nach. Ein zweiter wenig ehrbarer Versuch, die
Haeupter der Aristokratie wegen eines angeblich gegen Pompeius gesponnenen
Mordanschlags mit Kriminalanklagen zu bedrohen und dadurch sie in die Verbannung
zu treiben, ward durch die Unfaehigkeit der Werkzeuge vereitelt; der Denunziant,
ein gewisser Vettius, uebertrieb und widersprach sich so arg und der Tribun
Vatinius, der die unsaubere Maschine dirigierte, zeigte sein Einverstaendnis mit
jenem Vettius so deutlich, dass man es geraten fand, den letzteren im Gefaengnis
zu erdrosseln und die ganze Sache fallen zu lassen. Indes hatte man bei dieser
Gelegenheit von der vollstaendigen Aufloesung der Aristokratie und der
grenzenlosen Angst der vornehmen Herren sich sattsam ueberzeugt; selbst ein Mann
wie Lucius Lucullus hatte sich persoenlich Caesar zu Fuessen geworfen und
oeffentlich erklaert, dass er seines hohen Alters wegen sich genoetigt sehe, vom
oeffentlichen Leben zurueckzutreten. Man liess sich denn endlich an einigen
wenigen Opfern genuegen. Hauptsaechlich galt es Cato zu entfernen, welcher
seiner Ueberzeugung von der Nichtigkeit der saemtlichen Julischen Gesetze keinen
Hehl hatte, und der Mann war so, wie er dachte zu handeln. Ein solcher Mann war
freilich Marcus Cicero nicht, und man gab sich nicht die Muehe, ihn zu
fuerchten. Allein die demokratische Partei, die in der Koalition die erste Rolle
spielte, konnte den Justizmord des 5. Dezember 691 (63), den sie so laut und mit
so gutem Rechte getadelt hatte, unmoeglich nach ihrem Siege ungeahndet lassen.
Haette man die wirklichen Urheber des verhaengnisvollen Beschlusses zur
Rechenschaft ziehen wollen, so masste man freilich sich nicht an den
schwachmuetigen Konsul halten, sondern an die Fraktion der strengen
Aristokratie, die den aengstlichen Mann zu jener Exekution gedraengt hatte. Aber
nach formellem Recht waren fuer dieselbe allerdings nicht die Ratgeber des
Konsuls, sondern der Konsul selbst verantwortlich, und vor allem war es der
mildere Weg, nur den Konsul zur Rechenschaft zu ziehen und das Senatskollegium
ganz aus dem Spiele zu lassen, weshalb auch in den Motiven des gegen Cicero
gerichteten Antrags der Senatsbeschluss, kraft dessen derselbe die Hinrichtung
anordnete, geradezu als untergeschoben bezeichnet ward. Selbst gegen Cicero
haetten die Machthaber gern Aufsehen erregende Schritte vermieden; allein
derselbe konnte es nicht ueber sich gewinnen, weder den Machthabern die
verlangten Garantien zu geben, noch unter einem der mehrfach ihm dargebotenen
schicklichen Vorwaende sich selbst von Rom zu verbannen, noch auch nur zu
schweigen. Bei dem besten Willen, jeden Anstoss zu vermeiden, und der
aufrichtigsten Angst hatte er doch nicht Haltung genug, um vorsichtig zu sein;
das Wort masste heraus, wenn ein petulanter Witz ihn prickelte oder wenn sein
durch das Lob so vieler adliger Herren fast uebergeschnapptes Selbstbewusstsein
die wohlkadenzierten Perioden des plebejischen Advokaten schwellte. Die
Ausfuehrung der gegen Cato und Cicero beschlossenen Massregeln ward dem lockeren
und wuesten, aber gescheiten und vor allen Dingen dreisten Publius Clodius
uebertragen, der seit Jahren mit Cicero in der bittersten Feindschaft lebte und,
um diese befriedigen und als Demagog eine Rolle spielen zu koennen, unter
Caesars Konsulat sich durch eilige Adoption aus einem Patrizier in einen
Plebejer verwandelt und dann fuer das Jahr 696 (58) zum Volkstribun hatte
waehlen lassen. Als Rueckhalt fuer Clodius verweilte der Prokonsul Caesar, bis
der Schlag gegen die beiden Opfer gefallen war, in der unmittelbaren Naehe der
Hauptstadt. Den erhaltenen Auftraegen gemaess schlug Clodius der Buergerschaft
vor, Cato mit der Regulierung der verwickelten Gemeindeverhaeltnisse der
Byzantier und mit der Einziehung des Koenigreichs Kypros zu beauftragen, welches
ebenso wie Aegypten durch das Testament Alexanders II. den Roemern angefallen
war und nicht, wie Aegypten, die roemische Einziehung abgekauft, dessen Koenig
ueberdies den Clodius vor Zeiten persoenlich beleidigt hatte. Hinsichtlich
Ciceros brachte Clodius einen Gesetzentwurf ein, welcher die Hinrichtung eines
Buergers ohne Urteil und Recht als ein mit Landesverweisung zu bestrafendes
Verbrechen bezeichnete. Cato also ward durch eine ehrenvolle Sendung entfernt,
Cicero wenigstens mit der moeglichst gelinden Strafe belegt, ueberdies in dem
Antrag doch nicht mit Namen genannt. Das Vergnuegen aber versagte man sich
nicht, einerseits einen notorisch zaghaften und zu der Gattung der politischen
Wetterfahnen zaehlenden Mann wegen von ihm bewiesener Energie zu bestrafen,
andererseits den verbissenen Gegner aller Eingriffe der Buergerschaft in die
Administration und aller ausserordentlichen Kommandos durch
Buergerschaftsbeschluss selbst mit einem solchen auszustatten; und mit gleichem
Humor ward der Cato betreffende Antrag motiviert mit der abnormen
Tugendhaftigkeit dieses Mannes, welche ihn vor jedem andern geeignet erscheinen
lasse, einen so kitzlichen Auftrag, wie die Einziehung des ansehnlichen
kyprischen Kronschatzes war, auszufuehren, ohne zu stehlen. Beide Antraege
tragen ueberhaupt den Charakter ruecksichtsvoller Deferenz und kuehler Ironie,
der Caesars Verhalten dem Senat gegenueber durchgaengig bezeichnet. Auf
Widerstand stiessen sie nicht. Es half natuerlich nichts, dass die
Senatsmajoritaet, um doch auf irgendeine Art gegen die Verhoehnung und
Brandmarkung ihres Beschlusses in der Catilinarischen Sache zu protestieren,
oeffentlich das Trauergewand anlegte und dass Cicero selbst, nun da es zu spaet
war, bei Pompeius kniefaellig um Gnade bat; er musste, noch bevor das Gesetz
durchging, das ihm die Heimat verschloss, sich selber verbannen (April 696 58).
Cato liess es gleichfalls nicht darauf ankommen, durch Ablehnung des ihm
gewordenen Auftrags schaerfere Massregeln zu provozieren, sondern nahm denselben
an und schiffte sich ein nach dem Osten. Das Naechste war getan; auch Caesar
konnte Italien verlassen, um sich ernsteren Aufgaben zu widmen.

7. Kapitel
Die Unterwerfung des Westens

Wenn von dem armseligen Einerlei des politischen Egoismus, der in der Kurie
und auf den Strassen der Hauptstadt seine Schlachten schlug, sich der Gang der
Geschichte wieder zu Dingen wendet, die wichtiger sind als die Frage, ob der
erste Monarch Roms Gnaeus, Gaius oder Marcus heissen wird, so mag es wohl
gestattet sein, an der Schwelle eines Ereignisses, dessen Folgen noch heute die
Geschicke der Welt bestimmen, einen Augenblick umzuschauen und den Zusammenhang
zu bezeichnen, in welchem die Eroberung des heutigen Frankreich durch die Roemer
und ihre ersten Beruehrungen mit den Bewohnern Deutschlands und Grossbritanniens
weltgeschichtlich aufzufassen sind.
Kraft des Gesetzes, dass das zum Staat entwickelte Volk die politisch
unmuendigen, das zivilisierte die geistig unmuendigen Nachbarn in sich aufloest
- kraft dieses Gesetzes, das so allgemeingueltig und so sehr Naturgesetz ist wie
das Gesetz der Schwere, war die italische Nation, die einzige des Altertums,
welche die hoehere politische Entwicklung und die hoehere Zivilisation, wenn
auch letztere nur in unvollkommener und aeusserlicher Weise, miteinander zu
verbinden vermocht hat, befugt, die zum Untergang reifen griechischen Staaten
des Ostens sich untertan zu machen und die Voelkerschaften niedrigerer
Kulturgrade im Westen, Libyer, Iberer, Kelten, Germanen, durch ihre Ansiedler zu
verdraengen - eben wie England mit gleichem Recht in Asien eine ebenbuertige,
aber politisch impotente Zivilisation sich unterworfen, in Amerika und
Australien ausgedehnte barbarische Landschaften mit dem Stempel seiner
Nationalitaet bezeichnet und geadelt hat und noch fortwaehrend bezeichnet und
adelt. Die Vorbedingung dieser Aufgabe, die Einigung Italiens, hatte die
roemische Aristokratie vollbracht; die Aufgabe selber hat sie nicht geloest,
sondern die ausseritalischen Eroberungen stets nur entweder als notwendiges
Uebel oder auch als einen gleichsam ausserhalb des Staates stehenden
Rentenbesitz betrachtet. Es ist der unvergaengliche Ruhm der roemischen
Demokratie oder Monarchie - denn beides faellt zusammen -, dass sie jene
hoechste Bestimmung richtig begriffen und kraeftig verwirklicht hat. Was die
unwiderstehliche Macht der Verhaeltnisse durch den wider seinen Willen die
Grundlagen der kuenftigen roemischen Herrschaft im Westen wie im Osten
feststellenden Senat vorbereitet hatte, was dann die roemische Emigration in die
Provinzen, die zwar als Landplage kam, aber in die westlichen Landschaften doch
auch als Pionier einer hoeheren Kultur, instinktmaessig betrieb, das hat der
Schoepfer der roemischen Demokratie Gaius Gracchus mit staatsmaennischer
Klarheit und Sicherheit erfasst und durchzufuehren begonnen. Die beiden
Grundgedanken der neuen Politik: das Machtgebiet Roms, soweit es hellenisch war,
zu reunieren, soweit es nicht hellenisch war, zu kolonisieren, waren mit der
Einziehung des Attalischen Reiches, mit den transalpinischen Eroberungen des
Flaccus bereits in der gracchischen Zeit praktisch anerkannt worden; aber die
obsiegende Reaktion liess sie wieder verkuemmern. Der roemische Staat blieb eine
wueste Laendermasse ohne intensive Okkupation und ohne gehoerige Grenzen;
Spanien und die griechisch-asiatischen Besitzungen waren durch weite, kaum in
ihren Kuestensaeumen den Roemern untertaenige Gebiete von dem Mutterland
geschieden, an der afrikanischen Nordkueste nur die Gebiete von Karthago und
Kyrene inselartig okkupiert, selbst von dem untertaenigen Gebiet grosse
Strecken, namentlich in Spanien, den Roemern nur dem Namen nach unterworfen: von
Seiten der Regierung aber geschah zur Konzentrierung und Arrondierung der
Herrschaft schlechterdings nichts, und der Verfall der Flotte schien endlich das
letzte Band zwischen den entlegenen Besitzungen zu loesen. Wohl versuchte die
Demokratie, wie sie nur wieder ihr Haupt erhob, auch die aeussere Politik im
Geiste des Gracchus zu gestalten, wie denn namentlich Marius mit solchen Ideen
sich trug; aber da sie nicht auf die Dauer ans Ruder kam, blieb es bei
Entwuerfen. Erst als mit dem Sturz der Sullanischen Verfassung im Jahre 684 (70)
die Demokratie tatsaechlich das Regiment in die Hand nahm, trat auch in dieser
Hinsicht ein Umschwung ein. Vor allen Dingen ward die Herrschaft auf dem
Mittellaendischen Meere wiederhergestellt, die erste Lebensfrage fuer einen
Staat wie der roemische war. Gegen Osten wurde weiter durch die Einziehung der
pontischen und syrischen Landschaften die Euphratgrenze gesichert. Aber noch war
es uebrig, jenseits der Alpen zugleich das roemische Gebiet gegen Norden und
Westen abzuschliessen und der hellenischen Zivilisation, der noch keineswegs
gebrochenen Kraft des italischen Stammes hier einen neuen jungfraeulichen Boden
zu gewinnen. Dieser Aufgabe hat Gaius Caesar sich unterzogen. Es ist mehr als
ein Irrtum, es ist ein Frevel gegen den in der Geschichte maechtigen heiligen
Geist, wenn man Gallien einzig als den Exerzierplatz betrachtet, auf dem Caesar
sich und seine Legionen fuer den bevorstehenden Buergerkrieg uebte. Wenn auch
die Unterwerfung des Westens fuer Caesar insofern ein Mittel zum Zweck war, als
er in den transalpinischen Kriegen seine spaetere Machtstellung begruendet hat,
so ist ebendies das Privilegium des staatsmaennischen Genius, dass seine Mittel
selbst wieder Zwecke sind. Caesar bedurfte wohl fuer seine Parteizwecke einer
militaerischen Macht; Gallien aber hat er nicht als Parteimann erobert. Es war
zunaechst fuer Rom eine politische Notwendigkeit, der ewig drohenden Invasion
der Deutschen schon jenseits der Alpen zu begegnen und dort einen Damm zu
ziehen, der der roemischen Welt den Frieden sicherte. Aber auch dieser wichtige
Zweck war noch nicht der hoechste und letzte, weshalb Gallien von Caesar erobert
ward. Als der roemischen Buergerschaft die alte Heimat zu eng geworden war und
sie in Gefahr stand zu verkuemmern, rettete die italische Eroberungspolitik des
Senats dieselbe vom Untergang. Jetzt war auch die italische Heimat wieder zu eng
geworden; wieder siechte der Staat an denselben in gleicher Art, nur in
groesseren Verhaeltnissen sich wiederholenden sozialen Missstaenden. Es war ein
genialer Gedanke, eine grossartige Hoffnung, welche Caesar ueber die Alpen
fuehrte: der Gedanke und die Zuversicht, dort seinen Mitbuergern eine neue,
grenzenlose Heimat zu gewinnen und den Staat zum zweitenmal dadurch zu
regenerieren, dass er auf eine breitere Basis gestellt ward.
Gewissermassen laesst sich zu den auf die Unterwerfung des Westens
abzielenden Unternehmungen schon der Feldzug rechnen, den Caesar im Jahre 693
(61) im Jenseitigen Spanien unternahm. Wielange auch Spanien schon den Roemern
gehorchte, immer noch war selbst nach der Expedition des Decimus Brutus gegen
die Callaeker das westliche Gestade von den Roemern wesentlich unabhaengig
geblieben und die Nordkueste noch gar von ihnen nicht betreten worden; und die
Raubzuege, denen von dort aus die untertaenigen Landschaften fortwaehrend sich
ausgesetzt sahen, taten der Zivilisierung und Romanisierung Spaniens nicht
geringen Eintrag. Hiergegen richtete sich Caesars Zug an der Westkueste hinauf.
Er ueberschritt die den Tajo noerdlich begrenzende Kette der Herminischen Berge
(Sierra de Estrella), nachdem er die Bewohner derselben ueberwunden und zum Teil
in die Ebene uebergesiedelt hatte, unterwarf die Landschaft zu beiden Seiten des
Duero und gelangte bis an die nordwestliche Spitze der Halbinsel, wo er mit
Hilfe einer von Gades herbeigezogenen Flottille Brigantium (Coru¤a) einnahm.
Dadurch wurden die Anwohner des Atlantischen Ozeans, Lusitaner und Callaeker zur
Anerkennung der roemischen Suprematie gezwungen, waehrend der Ueberwinder
zugleich darauf bedacht war, durch Herabsetzung der nach Rom zu entrichtenden
Tribute und Regulierung der oekonomischen Verhaeltnisse der Gemeinden die Lage
der Untertanen ueberhaupt leidlicher zu gestalten.
Indes wenn auch schon in diesem militaerischen und administrativen Debuet
des grossen Feldherrn und Staatsmannes dieselben Talente und dieselben leitenden
Gedanken durchschimmern, die er spaeter auf groesseren Schauplaetzen bewaehrt
hat, so war doch seine Wirksamkeit auf der Iberischen Halbinsel viel zu
voruebergehend, um tief einzugreifen, um so mehr als bei deren eigentuemlichen
physischen und nationalen Verhaeltnissen nur eine laengere Zeit hindurch mit
Stetigkeit fortgesetzte Taetigkeit hier eine dauernde Wirkung aeussern konnte.
Eine bedeutendere Rolle in der romanischen Entwicklung des Westens war der
Landschaft bestimmt, welche zwischen den Pyrenaeen und dem Rheine, dem
Mittelmeer und dem Atlantischen Ozean sich ausbreitet und an der seit der
augustinischen Zeit der Name des Keltenlandes, Gallien, vorzugsweise haftet,
obwohl genau genommen das Keltenland teils enger ist, teils viel weiter sich
erstreckt und jene Landschaft niemals eine nationale und nicht vor Augustus eine
politische Einheit gebildet hat. Es ist eben darum nicht leicht, von den in sich
sehr ungleichartigen Zustaenden, die Caesar bei seinem Eintreffen daselbst im
Jahre 696 (58) vorfand, ein anschauliches Bild zu entwerfen.
In der Landschaft am Mittelmeer, welche ungefaehr, im Westen der Rhone
Languedoc, im Osten Dauphine und Provence umfassend, seit sechzig Jahren
roemische Provinz war, hatten seit dem kimbrischen Sturm, der auch ueber sie
hingebraust war, die roemischen Waffen selten geruht. 664 (90) hatte Gaius
Caelius mit den Salyern um Aquae Sextiae, 674 (80) Gaius Flaccus auf dem Marsch
nach Spanien mit anderen keltischen Gauen gekaempft. Als im Sertorianischen
Krieg der Statthalter Lucius Manlius, genoetigt, seinen Kollegen jenseits der
Pyrenaeen zu Hilfe zu eilen, geschlagen von Ilerda (Lerida) zurueckkam und auf
dem Heimweg von den westlichen Nachbarn der roemischen Provinz, den Aquitanern,
zum zweitenmal besiegt ward (um 676 78), scheint dies einen allgemeinen Aufstand
der Provinzialen zwischen den Pyrenaeen und der Rhone, vielleicht selbst derer
zwischen Rhone und Alpen hervorgerufen zu haben. Pompeius musste sich durch das
empoerte Gallien seinen Weg nach Spanien mit dem Schwerte bahnen und gab zur
Strafe fuer die Empoerung die Marken der Volker-Arekomiker und der Helvier
(Departement Gard und Ardeche) den Massalioten zu eigen; der Statthalter Manius
Fonteius (678-680 76-74) fuehrte diese Anordnungen aus und stellte die Ruhe in
der Provinz wieder her, indem er die Vocontier (Departement Drome) niederwarf,
Massalia vor den Aufstaendischen schuetzte und die roemische Hauptstadt Narbo,
die sie berannten, wieder befreite. Die Verzweiflung indes und die oekonomische
Zerruettung, welche die Mitleidenschaft unter dem Spanischen Krieg und
ueberhaupt die amtlichen und nichtamtlichen Erpressungen der Roemer ueber die
gallischen Besitzungen brachten, liess dieselben nicht zur Ruhe kommen und
namentlich der von Narbo am weitesten entfernte Kanton der Allobrogen war in
bestaendiger Gaerung, von der die "Friedensstiftung", die Gaius Piso dort 688
(66) vornahm, sowie das Verhalten der allobrogischen Gesandtschaft in Rom bei
Gelegenheit des Anarchistenkomplotts 691 (63) Zeugnis ablegen und die bald
darauf (693 61) in offene Empoerung ausbrach. Catugnatus, der Fuehrer der
Allobrogen in diesem Kriege der Verzweiflung, ward, nachdem er anfangs nicht
ungluecklich gefochten, bei Solonium nach ruehmlicher Gegenwehr von dem
Statthalter Gaius Pomptinus ueberwunden.
Trotz aller dieser Kaempfe wurden die Grenzer. des roemischen Gebiets nicht
wesentlich vorgeschoben; Lugudunum Convenarum, wo Pompeius die Truemmer der
Sertorianischen Armee angesiedelt hatte, Tolosa, Vienna und Genava waren immer
noch die aeussersten roemischen Ortschaften gegen Westen und Norden. Dabei aber
war die Bedeutung dieser gallischen Besitzungen fuer das Mutterland bestaendig
im Steigen; das herrliche, dem italischen verwandte Klima, die guenstigen
Bodenverhaeltnisse, das dem Handel so foerderliche grosse und reiche Hinterland
mit seinen bis nach Britannien reichenden Kaufstrassen, der bequeme Land- und
Seeverkehr mit der Heimat gaben rasch dem suedlichen Kettenland eine
oekonomische Wichtigkeit fuer Italien, die viel aeltere Besitzungen, wie zum
Beispiel die spanischen, in Jahrhunderten nicht erreicht hatten; und wie die
politisch schiffbruechigen Roemer in dieser Zeit vorzugsweise in Massalia eine
Zufluchtsstaette suchten und dort italische Bildung wie italischen Luxus
wiederfanden, so zogen sich auch die freiwilligen Auswanderer aus Italien mehr
und mehr an die Rhone und die Garonne. "Die Provinz Gallien", heisst es in einer
zehn Jahre vor Caesars Ankunft entworfenen Schilderung, "ist voll von
Kaufleuten; sie wimmelt von roemischen Buergern. Kein Gallier macht ein
Geschaeft ohne Vermittlung eines Roemers; jeder Pfennig, der in Gallien aus
einer Hand in die andere kommt, geht durch die Rechnungsbuecher der roemischen
Buerger". Aus derselben Schilderung ergibt sich, dass in Gallien auch ausser den
Kolonisten von Narbo roemische Landwirte und Viehzuechter in grosser Anzahl sich
aufhielten; wobei uebrigens nicht ausser acht zu lassen ist, dass das meiste von
Roemern besessene Provinzland, eben wie in fruehester Zeit der groesste Teil der
englischen Besitzungen in Nordamerika, in den Haenden des hohen, in Italien
lebenden Adels war und jene Ackerbauer und Viehzuechter zum groessten Teil aus
deren Verwaltern, Sklaven oder Freigelassenen bestanden. Es ist begreiflich,
dass unter solchen Verhaeltnissen die Zivilisierung und die Romanisierung unter
den Eingeborenen rasch um sich griff. Diese Kelten liebten den Ackerbau nicht;
ihre neuen Herren aber zwangen sie, das Schwert mit dem Pfluge zu vertauschen,
und es ist sehr glaublich, dass der erbitterte Widerstand der Allobrogen zum
Teil eben durch dergleichen Anordnungen hervorgerufen ward. In aelteren Zeiten
hatte der Hellenismus auch diese Landschaften bis zu einem gewissen Grade
beherrscht; die Elemente hoeherer Gesittung, die Anregungen zu Wein- und Oelbau,
zum Gebrauche der Schrift ^1 und zur Muenzpraegung kamen ihnen von Massalia.
Auch durch die Roemer ward die hellenische Kultur hier nichts weniger als
verdraengt; Massalia gewann durch sie mehr an Einfluss als es verlor, und noch
in der roemischen Zeit wurden griechische Aerzte und Rhetoren in den gallischen
Kantons von Gemeinde wegen angestellt. Allein begreiflicherweise erhielt doch
der Hellenismus im suedlichen Keltenland durch die Roemer denselben Charakter
wie in Italien: die spezifisch hellenische Zivilisation wich der lateinisch-
griechischen Mischkultur, die bald hier Proselyten in grosser Anzahl machte. Die
"Hosengallier", wie man im Gegensatz zu den norditalischen "Galliern in der
Toga" die Bewohner des suedlichen Keltenlandes nannte, waren zwar nicht wie jene
bereits vollstaendig romanisiert, aber sie unterschieden sich doch schon sehr
merklich von den "langhaarigen Galliern" der noch unbezwungenen noerdlichen
Landschaften. Die bei ihnen sich einbuergernde Halbkultur gab zwar Stoff genug
her zu Spoettereien ueber ihr barbarisches Latein, und man unterliess es nicht,
dem, der im Verdacht keltischer Abstammung stand, seine "behoste Verwandtschaft"
zu Gemuete zu fuehren; aber dies schlechte Latein reichte doch dazu aus, dass
selbst die entfernten Allobrogen mit den roemischen Behoerden in
Geschaeftsverkehr treten und sogar in roemischen Gerichten ohne Dolmetsch
Zeugnis ablegen konnten.
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^1 So ward zum Beispiel in Vaison im Vocontischen Gau eine in keltischer
Sprache mit gewoehnlichem griechischen Alphabet geschriebene Inschrift gefunden.
Sie lautet: segomaros oyilloneos tooytioys namaysatis e/o/royb/e/l/e/samisosin
nem/e/ton. Das letzte Wort heisst "heilig".
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Wenn also die keltische und ligurische Bevoelkerung dieser Gegenden auf dem
Wege war, ihre Nationalitaet einzubuessen und daneben siechte und verkuemmerte
unter einem politischen und oekonomischen Druck, von dessen Unertraeglichkeit
die hoffnungslosen Aufstaende hinreichend Zeugnis ablegen, so ging doch hier der
Untergang der eingeborenen Bevoelkerung Hand in Hand mit der Einbuergerung
derselben hoeheren Kultur, welche wir in dieser Zeit in Italien finden. Aquae
Sextiae und mehr noch Narbo waren ansehnliche Ortschaften, die wohl neben
Benevent und Capua genannt werden mochten; und Massalia, die bestgeordnete,
freieste, wehrhafteste, maechtigste unter allen von Rom abhaengigen griechischen
Staedten, unter ihrem streng aristokratischen Regiment, auf das die roemischen
Konservativen wohl als auf das Muster einer guten Stadtverfassung hinwiesen, im
Besitz eines bedeutenden und von den Roemern noch ansehnlich vergroesserten
Gebiets und eines ausgebreiteten Handels, stand neben jenen launischen Staedten
wie in Italien neben Capua und Benevent Rhegion und Neapolis.
Anders sah es aus, wenn man die roemische Grenze ueberschritt. Die grosse
keltische Nation, die in den suedlichen Landschaften schon von der italischen
Einwanderung anfing unterdrueckt zu werden, bewegte sich noerdlich der Cevennen
noch in althergebrachter Freiheit. Es ist nicht das erste Mal, dass wir ihr
begegnen; mit den Auslaeufern und Vorposten des ungeheuren Stammes hatten die
Italiker bereits am Tiber und am Po, in den Bergen Kastiliens und Kaerntens, ja
tief im inneren Kleinasien gefochten, erst hier aber ward der Hauptstock in
seinem Kerne von ihren Angriffen erfasst. Der Keltenstamm hatte bei seiner
Ansiedlung in Mitteleuropa sich vornehmlich ueber die reichen Flusstaeler und
das anmutige Huegelland des heutigen Frankreich mit Einschluss der westlichen
Striche Deutschlands und der Schweiz ergossen und von hier aus wenigstens den
suedlichen Teil von England, vielleicht schon damals ganz Grossbritannien und
Irland besetzt ^2; mehr als irgendwo sonst bildete er hier eine breite,
geographisch geschlossene Voelkermasse. Trotz der Unterschiede in Sprache und
Sitte, die natuerlich innerhalb dieses weiten Gebietes nicht fehlten, scheint
dennoch ein enger gegenseitiger Verkehr, ein geistiges Gefuehl der Gemeinschaft
die Voelkerschaften von der Rhone und Garonne bis zum Rhein und der Themse
zusammengeknuepft zu haben; wogegen dieselben mit den Kelten in Spanien und im
heutigen Oesterreich wohl oertlich gewissermassen zusammenhingen, aber doch
teils die gewaltigen Bergscheiden der Pyrenaeen und der Alpen, teils die hier
ebenfalls einwirkenden Obergriffe der Roemer und der Germanen den Verkehr und
den geistigen Zusammenhang der Stammverwandten ganz anders unterbrachen als der
schmale Meerarm den der kontinentalen und der britischen Kelten. Leider ist es
uns nicht vergoennt, die innere Entwicklungsgeschichte des merkwuerdigen Volkes
in diesen seinen Hauptsitzen von Stufe zu Stufe zu verfolgen; wir muessen uns
begnuegen, dessen kulturhistorischen und politischen Zustand, wie er hier zu
Caesars Zeit uns entgegentritt, wenigstens in seinen Umrissen darzustellen.
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^2 Auf eine laengere Zeit hindurch fortgesetzte Einwanderung belgischer
Kelten nach Britannien deuten die von belgischen Gauen entlehnten Namen
englischer Voelkerschaften an beiden Ufern der Themse, wie der Atrebaten, der
Belgen, ja der Britanner selbst, welcher von den an der Somme unterhalb Amiens
ansaessigen Britonen zuerst auf einen englischen Gau und sodann auf die ganze
Insel uebertragen zu sein scheint. Auch die englische Goldmuenzung ist aus der
belgischen abgeleitet und urspruenglich mit ihr identisch.
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Gallien war nach den Berichten der Alten verhaeltnismaessig wohl
bevoelkert. Einzelne Angaben lassen schliessen, dass in den belgischen
Distrikten etwa 900 Koepfe auf die Quadratmeile kamen - ein Verhaeltnis, wie es
heutzutage etwa fuer Wallis und fuer Livland gilt, - in dem helvetischen Kanton
etwa 1100 ^3; es ist wahrscheinlich, dass in den Distrikten, die kultivierter
waren als die belgischen und weniger gebirgig als der helvetische, wie bei den
Biturigen, Arvernern, Haeduern, sich die Ziffer noch hoeher stellte. Der
Ackerbau ward in Gallien wohl getrieben, wie denn schon Caesars Zeitgenossen in
der Rheinlandschaft die Sitte des Mergelns auffiel ^4 und die uralte keltische
Sitte, aus Gerste Bier (cervesia) zu bereiten, ebenfalls fuer die fruehe und
weite Verbreitung der Getreidekultur spricht; allein er ward nicht geachtet.
Selbst in dem zivilisierteren Sueden galt es noch fuer den freien Kelten als
nicht anstaendig, den Pflug zu fuehren. Weit hoeher stand bei den Kelten die
Viehzucht, fuer welche die roemischen Gutsbesitzer dieser Epoche sich sowohl des
keltischen Viehschlags als auch der tapferen, des Reitens kundigen und mit der
Pflege der Tiere vertrauten keltischen Sklaven vorzugsweise gern bedienten ^5.
Namentlich in den noerdlichen keltischen Landschaften ueberwog die Viehzucht
durchaus. Die Bretagne war zu Caesars Zeit ein kornarmes Land. Im Nordosten
reichten dichte Waelder, an den Kern der Ardennen sich anschliessend, fast
ununterbrochen von der Nordsee bis zum Rheine, und auf den heute so gesegneten
Fluren Flanderns und Lothringens weidete damals der menapische und treverische
Hirte im undurchdringlichen Eichenwald seine halbwilden Saeue. Ebenwie im Potal
durch die Roemer an die Stelle der keltischen Eichelmast Wollproduktion und
Kornbau getreten sind, so gehen auch die Schafzucht und die Ackerwirtschaft in
den Ebenen der Schelde und der Maas auf sie zurueck. In Britannien gar war das
Dreschen des Kornes noch nicht ueblich, und in den noerdlicheren Strichen hoerte
hier der Ackerbau ganz auf und war die Viehzucht die einzige bekannte
Bodenbenutzung. Der Oel- und Weinbau, der den Massalioten reichen Ertrag abwarf,
ward jenseits der Cevennen zu Caesars Zeiten noch nicht betrieben.
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^3 Das erste Aufgebot der belgischen Kantone ausschliesslich der Remer,
also der Landschaft zwischen Seine und Schelde und oestlich bis gegen Reims und
Andernach von 2000-2200 Quadratmeilen, wird auf etwa 300000 Mann berechnet;
wonach, wenn man das fuer die Bellovaker angegebene Verhaeltnis des ersten
Aufgebots zu der gesamten waffenfaehigen Mannschaft als allgemein gueltig
betrachtet, die Zahl der waffenfaehigen Belgen auf 500000 und danach die
Gesamtbevoelkerung auf mindestens 2 Millionen sich stellt. Die Helvetier mit den
Nebenvoelkern zaehlten vor ihrem Auszug 336000 Koepfe; wenn man annimmt, dass
sie damals schon vom rechten Rheinufer verdraengt waren, kann ihr Gebiet auf
ungefaehr 300 Quadratmeilen angeschlagen werden. Ob die Knechte hierbei
mitgezaehlt sind, laesst sich um so weniger entscheiden, als wir nicht wissen,
welche Form die Sklaverei bei den Kelten angenommen hatte; was Caesar (Gall. 1,
4) von Orgetorix' Sklaven, Hoerigen und Schuldnern erzaehlt, spricht eher fuer
als gegen die Mitzaehlung.
Dass uebrigens jeder solche Versuch, das, was der alten Geschichte vor
allen Dingen fehlt, die statistische Grundlage, durch Kombination zu ersetzen,
mit billiger Vorsicht aufgenommen werden muss, wird der verstaendige Leser
ebensowenig verkennen als ihn darum unbedingt wegwerfen.
^4 "In Gallien, jenseits der Alpen im Binnenland am Rhein, habe ich,"
erzaehlt Scrofa bei Varro rust. 1, 7, 8, "als ich dort kommandierte, einige
Striche betreten, wo weder die Rebe noch die Olive noch der Obstbaum fortkommt,
wo man mit weisser Grubenkreide die Aecker duengt, wo man weder Gruben- noch
Seesalz hat, sondern die salzige Kohle gewisser verbrannter Hoelzer statt Salz
benutzt." Diese Schilderung bezieht sich wahrscheinlich auf die vorcaesarische
Zeit und auf die oestlichen Striche der alten Provinz, wie zum Beispiel die
allobrogische Landschaft; spaeter beschreibt Plinius (nat. 17, 6, 42f.)
ausfuehrlich das gallisch-britannische Mergeln.
^5 "Von gutem Schlag sind in Italien besonders die gallischen Ochsen, zur
Feldarbeit naemlich; wogegen die ligurischen nichts Rechtes beschaffen" (Varr.
rust. 2, 5, 9). Hier ist zwar das Cisalpinische Gallien gemeint, allein die
Viehwirtschaft daselbst geht doch unzweifelhaft zurueck auf die keltische
Epoche. Der "gallischen Klepper" (Gallici canterii) gedenkt schon Plautus (Aul.
3, 5, 21). "Nicht jede Rasse schickt sich fuer das Hirtengeschaeft; weder die
Bastuler noch die Turduler (beide in Andalusien) eignen sich dafuer; am besten
sind die Kelten, besonders fuer Reit- und Lasttiere (iumenta)" (Varro rust. 2,
10, 4).
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Dem Zusammensiedeln waren die Gallier von Haus aus geneigt; offene Doerfer
gab es ueberall und allein der helvetische Kanton zaehlte deren im Jahre 696
(58) vierhundert ausser einer Menge einzelner Hoefe. Aber es fehlte auch nicht
an ummauerten Staedten, deren Mauern von Fachwerk sowohl durch ihre
Zweckmaessigkeit als durch die zierliche Ineinanderfuegung von Balken und
Steinen den Roemern auffielen, waehrend freilich selbst in den Staedten der
Allobrogen die Gebaeude allein aus Holz aufgefuehrt waren. Solcher Staedte
hatten die Helvetier zwoelf und ebensoviele die Suessionen; wogegen allerdings
in den noerdlicheren Distrikten, zum Beispiel bei den Nerviern, es wohl auch
Staedte gab, aber doch die Bevoelkerung im Kriege mehr in den Suempfen und
Waeldern als hinter den Mauern Schutz suchte und jenseits der Themse gar die
primitive Schutzwehr der Waldverhacke durchaus an die Stelle der Staedte trat
und im Krieg die einzige Zufluchtsstaette fuer Menschen und Herden war. Mit der
verhaeltnismaessig bedeutenden Entwicklung des staedtischen Lebens steht in
enger Verbindung die Regsamkeit des Verkehrs zu Lande und zu Wasser. Ueberall
gab es Strassen und Bruecken. Die Flussschiffahrt, wozu Stroeme wie Rhone,
Garonne, Loire und Seine von selber aufforderten, war ansehnlich und ergiebig.
Aber weit merkwuerdiger noch ist die Seeschiffahrt der Kelten. Nicht bloss sind
die Kelten allem Anschein nach diejenige Nation, die zuerst den Atlantischen
Ozean regelmaessig befahren hat, sondern wir finden auch hier die Kunst, Schiffe
zu bauen und zu lenken, auf einer bemerkenswerten Hoehe. Die Schiffahrt der
Voelker des Mittelmeers ist, wie dies bei der Beschaffenheit der von ihnen
befahrenen Gewaesser begreiflich ist, verhaeltnismaessig lange bei dem Ruder
stehengeblieben: die Kriegsfahrzeuge der Phoeniker, Hellenen und Roemer waren zu
allen Zeiten Rudergaleeren, auf welchen das Segel nur als gelegentliche
Verstaerkung des Ruders verwendet wurde; nur die Handelsschiffe sind in der
Epoche der entwickelten antiken Zivilisation eigentliche Segler gewesen ^6. Die
Gallier dagegen bedienten zwar auf dem Kanal sich zu Caesars Zeit wie noch lange
nachher einer Art tragbarer lederner Kaehne, die im wesentlichen gewoehnliche
Ruderboote gewesen zu sein scheinen; aber an der Westkueste Galliens fuhren die
Santonen, die Pictonen, vor allem die Veneter mit grossen, freilich plump
gebauten Schiffen, die nicht mit Rudern bewegt wurden, sondern mit Ledersegeln
und eisernen Ankerketten versehen waren, und verwandten diese nicht nur fuer
ihren Handelsverkehr mit Britannien, sondern auch im Seegefecht. Hier also
begegnen wir nicht bloss zuerst der Schiffahrt auf dem freien Ozean, sondern
hier hat auch zuerst das Segelschiff voellig den Platz des Ruderbootes
eingenommen - ein Fortschritt, den freilich die sinkende Regsamkeit der alten
Welt nicht zu nutzen verstanden hat und dessen unuebersehliche Resultate erst
unsere verjuengte Kulturperiode beschaeftigt ist, allmaehlich zu ziehen.
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^6 Dahin fuehrt die Benennung des Kauffahrtei- oder des "runden" im
Gegensatz zu dem "langen" oder dem Kriegsschiff und die aehnliche
Gegeneinanderstellung der "Ruderschiffe" (epik/o/poi n/e/es) und der
"Kauffahrer" (olkades" Dion. Hal. 3, 44); ferner die geringe Bemannung der
Kauffahrteischiffe, die auf den allergroessten nicht mehr betrug als 200 Mann
(Rheinisches Museum N. F. 11, 1874, S. 625), waehrend auf der gewoehnlichen
Galeere von drei Verdecken schon 170 Ruderer gebraucht wurden. Vgl. F. K.
Movers, Die Phoenicier. Bonn-Berlin 1840-56, Bd. 2, 3, S. 167f.
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Bei diesem regelmaessigen Seeverkehr zwischen der britischen und der
gallischen Kueste ist die ueberaus enge politische Verbindung zwischen den
beiderseitigen Anwohnern des Kanals ebenso erklaerlich wie das Aufbluehen des
ueberseeischen Handels und der Fischerei. Es waren die Kelten, namentlich der
Bretagne, die das Zinn der Gruben von Cornwallis aus England holten und es auf
den Fluss- und Landstrassen des Keltenlandes nach Narbo und Massalia verfuhren.
Die Angabe, dass zu Caesars Zeit einzelne Voelkerschaften an der Rheinmuendung
von Fischen und Vogeleiern lebten, darf man wohl darauf beziehen, dass hier die
Seefischerei und das Einsammeln der Seevoegeleier in ausgedehntem Umfang
betrieben ward. Fasst man die vereinzelten und spaerlichen Angaben, die ueber
den keltischen Handel und Verkehr uns geblieben sind, in Gedanken ergaenzend
zusammen, so begreift man es, dass die Zoelle der Fluss- und Seehaefen in den
Budgets einzelner Kantons, zum Beispiel in denen der Haeduer und der Veneter,
eine grosse Rolle spielten und dass der Hauptgott der Nation ihr galt als der
Beschuetzer der Strassen und des Handels und zugleich als Erfinder der Gewerke.
Ganz nichtig kann danach auch die keltische Industrie nicht gewesen sein; wie
denn die ungemeine Anstelligkeit der Kelten und ihr eigentuemliches Geschick,
jedes Muster nachzuahmen und jede Anweisung auszufuehren auch von Caesar
hervorgehoben wird. In den meisten Zweigen scheint aber doch das Gewerk bei
ihnen sich nicht ueber das Mass des Gewoehnlichen erhoben zu haben; die spaeter
im mittleren und noerdlichen Gallien bluehende Fabrikation leinener und wollener
Stoffe ist nachweislich erst durch die Roemer ins Leben gerufen worden. Eine
Ausnahme, und soviel wir wissen die einzige, macht die Bearbeitung der Metalle.
Das nicht selten technisch vorzuegliche und noch jetzt geschmeidige
Kupfergeraet, das in den Graebern des Keltenlandes zum Vorschein kommt, und die
sorgfaeltig justierten arvernischen Goldmuenzen sind heute noch lebendige Zeugen
der Geschicklichkeit der keltischen Kupfer- und Goldarbeiter; und wohl stimmen
dazu die Berichte der Alten, dass die Roemer von den Biturigen das Verzinnen,
von den Alesiern das Versilbern lernten - Erfindungen, von denen die erste durch
den Zinnhandel nahe genug gelegt war und die doch wahrscheinlich beide noch in
der Zeit der keltischen Freiheit gemacht worden sind. Hand in Hand mit der
Gewandtheit in der Bearbeitung der Metalle ging die Kunst, sie zu gewinnen, die
zum Teil, namentlich in den Eisengruben an der Loire, eine solche bergmaennische
Hoehe erreicht hatte, dass die Grubenarbeiter bei den Belagerungen eine
bedeutende Rolle spielten. Die den Roemern dieser Zeit gelaeufige Meinung, dass
Gallien eines der goldreichsten Laender der Erde sei, wird freilich widerlegt
durch die wohlbekannten Bodenverhaeltnisse und durch die Fundbestaende der
keltischen Graeber, in denen Gold nur sparsam und bei weitem minder haeufig
erscheint als in den gleichartigen Funden der wahren Heimatlaender des Goldes;
es ist auch diese Vorstellung wohl nur hervorgerufen worden durch das, was
griechische Reisende und roemische Soldaten, ohne Zweifel nicht ohne starke
Uebertreibung, ihren Landsleuten von der Pracht der arvernischen Koenige und den
Schaetzen der tolosanischen Tempel zu erzaehlen wussten. Aber voellig aus der
Luft griffen die Erzaehler doch nicht. Es ist sehr glaublich, dass in und an den
Fluessen, welche aus den Alpen und den Pyrenaeen stroemen, Goldwaeschereien und
Goldsuchereien, die bei dem heutigen Wert der Arbeitskraft unergiebig sind, in
roheren Zeiten und bei Sklavenwirtschaft mit Nutzen und in bedeutendem Umfang
betrieben wurden; ueberdies moegen die Handelsverhaeltnisse Galliens, wie nicht
selten die der halbzivilisierten Voelker, das Aufhaeufen eines toten Kapitals
edler Metalle beguenstigt haben.
Bemerkenswert ist der niedrige Stand der bildenden Kunst, der bei der
mechanischen Geschicklichkeit in Behandlung der Metalle nur um so greller
hervortritt. Die Vorliebe fuer bunte und glaenzende Zieraten zeigt den Mangel an
Schoenheitssinn, und eine leidige Bestaetigung gewaehren die gallischen Muenzen
mit ihren bald uebereinfach, bald abenteuerlich, immer aber kindisch entworfenen
und fast ohne Ausnahme mit unvergleichlicher Roheit ausgefuehrten Darstellungen.
Es ist vielleicht ohne Beispiel, dass eine Jahrhunderte hindurch mit einem
gewissen technischen Geschick geuebte Muenzpraegung sich wesentlich darauf
beschraenkt hat, zwei oder drei griechische Stempel immer wieder und immer
entstellter nachzuschneiden. Dagegen wurde die Dichtkunst von den Kelten hoch
geschaetzt und verwuchs eng mit den religioesen und selbst mit den politischen
Institutionen der Nation; wir finden die geistliche wie die Hof- und
Bettelpoesie in Bluete. Auch Naturwissenschaft und Philosophie fanden,
wenngleich in den Formen und den Banden der Landestheologie, bei den Kelten eine
gewisse Pflege und der hellenische Humanismus eine bereitwillige Aufnahme, wo
und wie er an sie herantrat. Die Kunde der Schrift war wenigstens bei den
Priestern allgemein. Meistenteils bediente man in dem freien Gallien zu Caesars
Zeit sich der griechischen, wie unter andern die Helvetier taten; nur in den
suedlichsten Distrikten desselben war schon damals infolge des Verkehrs mit den
romanisierten Kelten die lateinische ueberwiegend, der wir zum Beispiel auf den
arvernischen Muenzen dieser Zeit begegnen.
Auch die politische Entwicklung der keltischen Nation bietet sehr
bemerkenswerte Erscheinungen. Die staatliche Verfassung ruht bei ihr wie
ueberall auf dem Geschlechtsgau mit dem Fuersten, dem Rat der Aeltesten und der
Gemeinde der freien waffenfaehigen Maenner; dies aber ist ihr eigentuemlich,
dass sie ueber diese Gauverfassung niemals hinausgelangt ist. Bei den Griechen
und Roemern trat sehr frueh an die Stelle des Gaues als die Grundlage der
politischen Einheit der Mauerring: wo zwei Gaue in denselben Mauern sich
zusammenfanden, verschmolzen sie zu einem Gemeinwesen; wo eine Buergerschaft
einem Teil ihrer Mitbuerger einen neuen Mauerring anwies, entstand regelmaessig
damit auch ein neuer, nur durch die Bande der Pietaet und hoechstens der
Klientel mit der Muttergemeinde, verknuepfter Staat. Bei den Kelten dagegen
bleibt die "Buergerschaft" zu allen Zeiten der Clan; dem Gau und nicht
irgendeiner Stadt stehen Fuerst und Rat vor, und der allgemeine Gautag bildet
die letzte Instanz im Staate. Die Stadt hat, wie im Orient, nur merkantile und
strategische, nicht politische Bedeutung; weshalb denn auch die gallischen
Ortschaften, selbst ummauerte und sehr ansehnliche wie Vienna und Genava, den
Griechen und Roemern nichts sind als Doerfer. Zu Caesars Zeit bestand die
urspruengliche Clanverfassung noch wesentlich ungeaendert bei den Inselkelten
und in den noerdlichen Gauen des Festlandes: die Landesgemeinde behauptete die
hoechste Autoritaet; der Fuerst ward in wesentlichen Fragen durch ihre
Beschluesse gebunden; der Gemeinderat war zahlreich - er zaehlte in einzelnen
Clans sechshundert Mitglieder -, scheint aber nicht mehr bedeutet zu haben als
der Senat unter den roemischen Koenigen. Dagegen in dem regsameren Sueden des
Landes war ein oder zwei Menschenalter vor Caesar - die Kinder der letzten
Koenige lebten noch zu seiner Zeit - wenigstens bei den groesseren Clans, den
Arvernern, Haeduern, Sequanern, Helvetiern, eine Umwaelzung eingetreten, die die
Koenigsherrschaft beseitigte und dem Adel die Gewalt in die Haende gab. Es ist
nur die Kehrseite des ebenbezeichneten vollstaendigen Mangels staedtischer
Gemeinwesen bei den Kelten, dass der entgegengesetzte Pol der politischen
Entwicklung, das Rittertum, in der keltischen Clanverfassung so voellig
ueberwiegt. Die keltische Aristokratie war allem Anschein nach ein hoher Adel,
groesstenteils vielleicht die Glieder der koeniglichen oder ehemals koeniglichen
Familien, wie es denn bemerkenswert ist, dass die Haeupter der entgegengesetzten
Parteien in demselben Clan sehr haeufig dem gleichen Geschlecht angehoeren.
Diese grossen Familien vereinigten in ihrer Hand die oekonomische, kriegerische
und politische Uebermacht. Sie monopolisierten die Pachtungen der nutzbaren
Rechte des Staates. Sie noetigen die Gemeinfreien, die die Steuerlast
erdrueckte, bei ihnen zu borgen und zuerst tatsaechlich als Schuldner, dann
rechtlich als Hoerige sich ihrer Freiheit zu begeben. Sie entwickelten bei sich
das Gefolgwesen, das heisst das Vorrecht des Adels, sich mit einer Anzahl
geloehnter reisiger Knechte, sogenannter Ambakten ^7, zu umgeben und damit einen
Staat im Staate zu bilden; und gestuetzt auf diese ihre eigenen Leute trotzten
sie den gesetzlichen Behoerden und dem Gemeindeaufgebot und sprengten
tatsaechlich das Gemeinwesen. Wenn in einem Clan, dar etwa 80000 Waffenfaehige
zaehlte, ein einzelner Adliger mit 10000 Knechten, ungerechnet die Hoerigen und
die Schuldner, auf dem Landtage erscheinen konnte, so ist es einleuchtend, dass
ein solcher mehr ein unabhaengiger Dynast war als ein Buerger seines Clans. Es
kam hinzu, dass die vornehmen Familien der verschiedenen Clans innig unter sich
zusammenhingen und durch Zwischenheiraten und Sondervertraege gleichsam einen
geschlossenen Bund bildeten, dem gegenueber der einzelne Clan ohnmaechtig war.
Darum vermochten die Gemeinden nicht laenger den Landfrieden aufrecht zu halten
und regierte durchgaengig das Faustrecht. Schutz fand nur noch der hoerige Mann
bei seinem Herrn, den Pflicht und Interesse noetigten, die seinem Klienten
zugefuegte Unbill zu ahnden; die Freien zu beschirmen hatte der Staat die Gewalt
nicht mehr, weshalb diese zahlreich sich als Hoerige einem Maechtigen zu eigen
gaben. Die Gemeindeversammlung verlor ihre politische Bedeutung; und auch das
Fuerstentum, das den Uebergriffen des Adels haette steuern sollen, erlag
demselben bei den Kelten so gut wie in Latium. An die Stelle des Koenigs trat
der "Rechtswirker" oder Vergobretus ^8, der wie der roemische Konsul nur auf ein
Jahr ernannt ward. Soweit der Gau ueberhaupt noch zusammenhielt, ward er durch
den Gemeinderat geleitet, in dem natuerlich die Haeupter der Aristokratie die
Regierung an sich rissen. Es versteht sich von selbst, dass unter solchen
Verhaeltnissen es in den einzelnen Clans in ganz aehnlicher Weise gaerte, wie es
in Latium nach der Vertreibung der Koenige Jahrhunderte lang gegaert hatte:
waehrend die Adelschaften der verschiedenen Gemeinden sich zu einem der
Gemeindemacht feindlichen Sonderbuendnis zusammentaten, hoerte die Menge nicht
auf, die Wiederherstellung des Koenigtums zu begehren, und versuchte nicht
selten ein hervorragender Edelmann, wie Spurius Cassius in Rom getan, gestuetzt
auf die Masse der Gauangehoerigen, die Macht seiner Standesgenossen zu brechen
und zu seinem Besten die Krone wieder in ihre Rechte einzusetzen.
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^7 Dies merkwuerdige Wort muss schon im sechsten Jahrhundert Roms bei den
Kelten im Potal gebraeuchlich gewesen sein; denn bereits Ennius kennt es, und es
kann nur von da her in so frueher Zeit den Italikern zugekommen sein. Es ist
dasselbe aber nicht bloss keltisch, sondern auch deutsch, die Wurzel unseres
"Amt"; wie ja auch das Gefolgwesen selbst den Kelten und den Deutschen gemeinsam
ist. Von grosser geschichtlicher Wichtigkeit waere es, auszumachen ob das Wort
und also auch die Sache zu den Kelten von den Deutschen oder zu den Deutschen
von den Kelten kam. Wenn, wie man gewoehnlich annimmt, das Wort urspruenglich
deutsch ist und zunaechst den in der Schlacht dem Herrn "gegen den Ruecken" (and
= gegen, bak = Ruecken) stehenden Knecht bezeichnet, so ist dies mit dem
auffallend fruehen Vorkommen dieses Wortes bei den Kelten nicht gerade
unvereinbar. Nach allen Analogien kann das Recht Ambakten, das ist do?loi
misth/o/toi, zu halten, dem keltischen Adel nicht von Haus aus zugestanden,
sondern erst allmaehlich im Gegensatz zu dem aelteren Koenigtum wie zu der
Gleichheit der Gemeinfreien sich entwickelt haben. Wenn also das Ambaktentum bei
den Kelten keine altnationale, sondern eine relativ junge Institution ist, so
ist es auch, bei dem zwischen den Kelten und Deutschen Jahrhunderte lang
bestehenden und weiterhin zu eroerternden Verhaeltnis, nicht bloss moeglich,
sondern sogar wahrscheinlich, dass die Kelten, in Italien wie in Gallien, zu
diesen gedungenen Waffenknechten hauptsaechlich Deutsche nahmen. Die "Schweizer"
wuerden also in diesem Falle um einige Jahrtausende aelter sein, als man meint.
Sollte die Benennung, womit, vielleicht nach dem Beispiel der Kelten, die
Roemer die Deutschen als Nation bezeichnen, der Name Germani wirklich keltischen
Ursprungs sein, so steht dies damit, wie man sieht, im besten Einklang.
Freilich werden diese Annahmen immer zurueckstehen muessen, falls es
gelingt, das Wort ambactus in befriedigender Weise aus keltischer Wurzel zu
erklaeren; wie denn J. K. Zeuss (Grammatica celtica. Leipzig 1853, S. 796),
wenngleich zweifelnd, dasselbe auf ambi = um und ag = agere, = Herumbeweger oder
Herumbewegter, also Begleiter, Diener zurueckfuehrt. Dass das Wort auch als
keltischer Eigenname vorkommt (Zeuss, S. 77) und vielleicht noch in dem
cambrischen amaeth = Bauer, Arbeiter erhalten ist (Zeuss, S. 156), kann nach
keiner Seite hin entscheiden.
^8 Von den keltischen Woertern guerg = Wirker und breth = Gericht.
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Wenn also die einzelnen Gaue unheilbar hinsiechten, so regte sich wohl
daneben maechtig in der Nation das Gefuehl der Einheit und suchte in mancherlei
Weise Form und Halt zu gewinnen. Jenes Zusammenschliessen des gesamten
keltischen Adels im Gegensatz gegen die einzelnen Gauverbaende zerruettete zwar
die bestehende Ordnung der Dinge, aber weckte und naehrte doch auch die
Vorstellung der Zusammengehoerigkeit der Nation. Ebendahin wirkten die von
aussen her gegen die Nation gerichteten Angriffe und die fortwaehrende
Schmaelerung ihres Gebiets im Kriege mit den Nachbarn. Wie die Hellenen in den
Kriegen gegen die Perser, die Italiker in denen gegen die cisalpinischen Kelten,
so scheinen die transalpinischen Gallier in den Kriegen gegen Rom des Bestehens
und der Macht der nationalen Einheit sich bewusst geworden zu sein. Unter dem
Hader der rivalisierenden Clans und all jenem feudalistischen Gezaenk machten
doch auch die Stimmen derer sich bemerklich, die die Unabhaengigkeit der Nation
um den Preis der Selbstaendigkeit der einzelnen Gaue und selbst um den der
ritterschaftlichen Herrenrechte zu erkaufen bereit waren. Wie durchweg populaer
die Opposition gegen die Fremdherrschaft war, bewiesen die Kriege Caesars, dem
gegenueber die keltische Patriotenpartei eine ganz aehnliche Stellung hatte wie
die deutschen Patrioten gegen Napoleon: fuer ihre Ausdehnung und ihre
Organisation zeugt unter anderem die Telegraphengeschwindigkeit, mit der sie
sich Nachrichten mitteilte.
Die Allgemeinheit und die Maechtigkeit des keltischen Nationalbewusstseins
wuerden unerklaerlich sein, wenn nicht bei der groessten politischen
Zersplitterung die keltische Nation seit langem religioes und selbst theologisch
zentralisiert gewesen waere. Die keltische Priesterschaft oder, mit dem
einheimischen Namen, die Korporation der Druiden umfasste sicher die Britischen
Inseln und ganz Gallien, vielleicht noch andere Keltenlaender mit einem
gemeinsamen religioes-nationalen Bande. Sie stand unter einem eigenen Haupte,
das die Priester selber sich waehlten, mit eigenen Schulen, in denen die sehr
umfaengliche Tradition fortgepflanzt ward, mit eigenen Privilegien, namentlich
Befreiung von Steuer und Kriegsdienst, welche jeder Clan respektierte, mit
jaehrlichen Konzilien, die bei Chartres im "Mittelpunkt der keltischen Erde"
abgehalten wurden, und vor allen Dingen mit einer glaeubigen Gemeinde, die an
peinlicher Froemmigkeit und an blindem Gehorsam gegen ihre Priester den heutigen
Iren nichts nachgegeben zu haben scheint. Es ist begreiflich, dass eine solche
Priesterschaft auch das weltliche Regiment an sich zu reissen versuchte und
teilweise an sich riss: sie leitete, wo das Jahrkoenigtum bestand, im Fall eines
Interregnums die Wahlen; sie nahm mit Erfolg das Recht in Anspruch, einzelne
Maenner und ganze Gemeinden von der religioesen und folgeweise auch der
buergerlichen Gemeinschaft auszuschliessen; sie wusste die wichtigsten
Zivilsachen, namentlich Grenz- und Erbschaftsprozesse an sich zu ziehen, sie
entwickelte, gestuetzt wie es scheint auf ihr Recht, aus der Gemeinde
auszuschliessen, und vielleicht auch auf die Landesgewohnheit, dass zu den
ueblichen Menschenopfern vorzugsweise Verbrecher genommen wurden, eine
ausgedehnte priesterliche Kriminalgerichtsbarkeit, die mit der der Koenige und
Vergobreten konkurrierte; sie nahm sogar die Entscheidung ueber Krieg und
Frieden in Anspruch. Man war nicht fern von einem Kirchenstaat mit Papst und
Konzilien, mit Immunitaeten, Interdikten und geistlichen Gerichten; nur dass
dieser Kirchenstaat nicht, wie der der Neuzeit, von den Nationen abstrahierte,
sondern vielmehr vor allen Dingen national war.
Aber wenn also das Gefuehl der Zusammengehoerigkeit unter den keltischen
Staemmen mit voller Lebendigkeit erwacht war, so blieb es dennoch der Nation
versagt, zu einem Haltpunkt politischer Zentralisation zu gelangen, wie ihn
Italien an der roemischen Buergerschaft, Hellenen und Germanen an den
makedonischen und fraenkischen Koenigen fanden. Die keltische Priester- und
ebenso die Adelschaft, obwohl beide in gewissem Sinn die Nation vertraten und
verbanden, waren doch einerseits ihrer staendisch-partikularistischen Interessen
wegen unfaehig, sie zu einigen, andererseits maechtig genug, um keinem Koenig
und keinem Gau das Werk der Einigung zu gestatten. Ansaetze zu demselben fehlen
nicht; sie gingen, wie die Gauverfassung es an die Hand gab, den Weg des
Hegemoniesystems. Der maechtige Kanton bestimmte den schwaecheren, sich ihm in
der Art unterzuordnen, dass die fuehrende Gemeinde nach aussen die andere
mitvertrat und in Staatsvertraegen fuer sie mitstipulierte, der Klientelgau
dagegen sich zur Heeresfolge, auch wohl zur Erlegung eines Tributs
verpflichtete. Auf diesem Wege entstanden eine Reihe von Sonderbuenden: einen
fuehrenden Gau fuer das ganze Keltenland, einen wenn auch noch so losen Verband
der gesamten Nation gab es nicht. Es ward bereits erwaehnt, dass die Roemer bei
dem Beginn ihrer transalpinischen Eroberungen dort im Norden einen britisch-
belgischen Bund unter Fuehrung der Suessionen, im mittleren und suedlichen
Gallien die Arvernerkonfoederation vorfanden, mit welcher letzteren die Haeduer
mit ihrer schwaecheren Klientel rivalisierten. In Caesars Zeit finden wir die
Belgen im nordoestlichen Gallien zwischen Seine und Rhein noch in einer solchen
Gemeinschaft, die sich indes wie es scheint auf Britannien nicht mehr erstreckt;
neben ihnen erscheint in der heutigen Normandie und Bretagne der Bund der
aremorikanischen, das heisst der Seegaue; im mittleren oder dem eigentlichen
Gallien ringen wie ehemals zwei Parteien um die Hegemonie, an deren Spitze
einerseits die Haeduer stehen, andererseits, nachdem die Arverner, durch die
Kriege mit Rom geschwaecht, zurueckgetreten waren, die Sequaner. Diese
verschiedenen Eidgenossenschaften standen unabhaengig nebeneinander; die
fuehrenden Staaten des mittleren Gallien scheinen ihre Klientel nie auf das
nordoestliche und ernstlich wohl auch nicht auf den Nordwesten Galliens
erstreckt zu haben. Der Freiheitsdrang der Nation fand in diesen Gauverbaenden
eine gewisse Befriedigung; aber sie waren doch in jeder Hinsicht ungenuegend.
Die Verbindung war von der lockersten, bestaendig zwischen Allianz und Hegemonie
schwankenden Art, die Repraesentation der Gesamtheit im Frieden durch die
Bundestage, im Kriege durch den Herzog ^9 im hoechsten Grade schwaechlich. Nur
die belgische Eidgenossenschaft scheint etwas fester zusammengehalten zu haben;
der nationale Aufschwung, aus dem die glueckliche Abwehr der Kimbrer hervorging,
mag ihr zugute gekommen sein. Die Rivalitaeten um die Hegemonie machten einen
Riss in jeden einzelnen Bund, den die Zeit nicht schloss, sondern erweiterte,
weil selbst der Sieg des einen Nebenbuhlers dem Gegner die politische Existenz
liess und demselben, auch wenn er in die Klientel sich gefuegt hatte, immer
gestattet blieb, den Kampf spaeterhin zu erneuern. Der Wettstreit der
maechtigeren Gaue entzweite nicht bloss diese, sondern in jedem abhaengigen
Clan, in jedem Dorfe, ja oft in jedem Hause setzte er sich fort, indem jeder
einzelne nach seinen persoenlichen Verhaeltnissen Partei ergriff. Wie Hellas
sich aufrieb nicht so sehr in dem Kampfe Athens gegen Sparta als in dem inneren
Zwist athenischer und lakedaemonischer Faktionen in jeder abhaengigen Gemeinde,
ja in Athen selbst: so hat auch die Rivalitaet der Arverner und Haeduer mit
ihren Wiederholungen in kleinem und immer kleinerem Massstab das Kelterwolk
vernichtet.
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^9 Welche Stellung ein solcher Bundesfeldherr seinen Leuten gegenueber
einnahm, zeigt die gegen Vercingetorix erhobene Anklage auf Landesverrat (Caes.
Gall. 7, 20).
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Die Wehrhaftigkeit der Nation empfand den Rueckschlag dieser politischen
und sozialen Verhaeltnisse. Die Reiterei war durchaus die vorwiegende Waffe,
woneben bei den Belgen und mehr noch auf den Britischen Inseln die altnationalen
Streitwagen in bemerkenswerter Vervollkommnung erscheinen. Diese ebenso
zahlreichen wie tuechtigen Reiter- und Wagenkaempferscharen wurden gebildet aus
dem Adel und dessen Mannen, der denn auch echt ritterlich an Hunden und Pferden
seine Lust hatte und es sich viel kosten liess, edle Rosse auslaendischer Rasse
zu reiten. Fuer den Geist und die Kampfweise dieser Edelleute ist es
bezeichnend, dass, wenn das Aufgebot erging, wer irgend von ihnen sich zu Pferde
halten konnte, selbst der hochbejahrte Greis mit aufsass, und dass sie, im
Begriff mit einem gering geschaetzten Feinde ein Gefecht zu beginnen, Mann fuer
Mann schwuren, Haus und Hof meiden zu wollen, wenn ihre Schar nicht wenigstens
zweimal durch die feindliche Linie setzen werde. Unter den gedungenen Mannen
herrschte das Lanzknechttum mit all seiner entsittlichten und entgeistigten
Gleichgueltigkeit gegen fremdes und eigenes Leben - das zeigen die Erzaehlungen,
wie anekdotenhaft sie auch gefaerbt sind, von der keltischen Sitte, beim
Gastmahl zum Scherz zu rapieren und gelegentlich auf Leben und Tod zu fechten;
von dem dort herrschenden, selbst die roemischen Fechterspiele noch
ueberbietenden Gebrauch, sich gegen eine bestimmte Geldsumme oder eine Anzahl
Faesser Wein zum Schlachten zu verkaufen und vor den Augen der ganzen Menge auf
dem Schilde hingestreckt den Todesstreich freiwillig hinzunehmen.
Neben diesen Reisigen trat das Fussvolk in den Hintergrund. In der
Hauptsache glich es wesentlich noch den Keltenscharen, mit denen die Roemer in
Italien und Spanien gefochten hatten. Der grosse Schild war wie damals die
hauptsaechlichste Wehr; unter den Waffen spielte dagegen statt des Schwertes
jetzt die lange Stosslanze die erste Rolle. Wo mehrere Gaue verbuendet Krieg
fuehrten, lagerte und stritt natuerlich Clan gegen Clan; es findet sich keine
Spur, dass man das Aufgebot des einzelnen Gaues militaerisch gegliedert und
kleinere und regelrechtere taktische Abteilungen gebildet haette. Noch immer
schleppte ein langer Wagentross dem Keltenheer das Gepaeck nach; anstatt des
verschanzten Lagers, wie es die Roemer allabendlich schlugen, diente noch immer
das duerftige Surrogat der Wagenburg. Von einzelnen Gauen, wie zum Beispiel den
Nerviern, wird ausnahmsweise die Tuechtigkeit ihres Fussvolks hervorgehoben;
bemerkenswert ist es, dass eben diese keine Ritterschaft hatten und vielleicht
sogar kein keltischer, sondern ein eingewanderter deutscher Stamm waren. Im
allgemeinen aber erscheint das keltische Fussvolk dieser Zeit als ein
unkriegerischer und schwerfaelliger Landsturm; am meisten in den suedlicheren
Landschaften, wo mit der Rohen auch die Tapferkeit geschwunden war. Der Kelte,
sagt Caesar, wagt es nicht, dem Germanen im Kampfe ins Auge zu sehen; noch
schaerfer als durch dieses Urteil kritisierte der roemische Feldherr die
keltische Infanterie dadurch, dass, nachdem er sie in seinem ersten Feldzug
kennengelernt hatte, er sie nie wieder in Verbindung mit der roemischen verwandt
hat.
Ueberblicken wir den Gesamtzustand der Kelten, wie ihn Caesar in den
transalpinischen Landschaften vorfand, so ist, verglichen mit der Kulturstufe,
auf der anderthalb Jahrhunderte zuvor die Kelten im Potal uns entgegentraten,
ein Fortschritt in der Zivilisation unverkennbar. Damals ueberwog in den Heeren
durchaus die in ihrer Art vortreffliche Landwehr (I, 340); jetzt nimmt die
Ritterschaft den ersten Platz ein. Damals wohnten die Kelten in offenen Flecken;
jetzt umgaben ihre Ortschaften wohlgefuegte Mauern. Auch die lombardischen
Graeberfunde stehen, namentlich in dem Kupfer- und Glasgeraet, weit zurueck
hinter denen des noerdlichen Keltenlandes. Vielleicht der zuverlaessigste Messer
der steigenden Kultur ist das Gefuehl der Zusammengehoerigkeit der Nation;
sowenig davon in den auf dem Boden der heutigen Lombardei geschlagenen
Keltenkaempfen zu Tage tritt, so lebendig erscheint es in den Kaempfen gegen
Caesar. Allem Anschein nach hatte die keltische Nation, als Caesar ihr
gegenuebertrat, das Maximum der ihr beschiedenen Kultur bereits erreicht und war
schon wieder im Sinken. Die Zivilisation der transalpinischen Kelten in der
caesarischen Zeit bietet selbst fuer uns, die wir nur sehr unvollkommen ueber
sie berichtet sind, manche achtbare und noch mehr interessante Seite; in mehr
als einer Hinsicht schliesst sie sich enger der modernen an als der hellenisch-
roemischen, mit ihren Segelschiffen, ihrem Rittertum, ihrer Kirchenverfassung,
vor allen Dingen mit ihren, wenn auch unvollkommenen Versuchen, den Staat nicht
auf die Stadt, sondern auf den Stamm und in hoeherer Potenz auf die Nation zu
bauen. Aber ebendarum, weil wir hier der keltischen Nation auf dem Hoehepunkt
ihrer Entwicklung begegnen, tritt um so bestimmter ihre mindere sittliche
Begabung oder, was dasselbe ist, ihre mindere Kulturfaehigkeit hervor. Sie
vermochte aus sich weder eine nationale Kunst noch einen nationalen Staat zu
erzeugen und brachte es hoechstens zu einer nationalen Theologie und einem
eigenen Adeltum. Die urspruengliche naive Tapferkeit war nicht mehr; der auf
hoehere Sittlichkeit und zweckmaessige Ordnungen gestuetzte militaerische Mut,
wie er im Gefolge der gesteigerten Zivilisation eintritt, hatte nur in sehr
verkuemmerter Gestalt sich eingestellt in dem Rittertum. Wohl war die
eigentliche Barbarei ueberwunden; die Zeiten waren nicht mehr, wo im Keltenland
das fette Hueftstueck dem tapfersten der Gaeste zugeteilt ward, aber jedem der
Mitgeladenen, der sich dadurch verletzt erachtete, freistand, den Empfaenger
deswegen zum Kampfe zu fordern, und wo man mit dem verstorbenen Haeuptling seine
treuesten Gefolgsmaenner verbrannte. Aber doch dauerten die Menschenopfer noch
fort, und der Rechtssatz, dass die Folterung des freien Mannes unzulaessig, aber
die der freien Frau erlaubt sei so gut wie die Folterung des Sklaven, wirft ein
unerfreuliches Licht auf die Stellung, die das weibliche Geschlecht bei den
Kelten auch noch in ihrer Kulturzeit einnahm. Die Vorzuege, die der primitiven
Epoche der Nationen eigen sind, hatten die Kelten eingebuesst, aber diejenigen
nicht erworben, die die Gesittung dann mit sich bringt, wenn sie ein Volk
innerlich und voellig durchdringt.
Also war die keltische Nation in ihren inneren Zustaenden beschaffen. Es
bleibt noch uebrig, ihre aeusseren Beziehungen zu den Nachbarn darzustellen und
zu schildern, welche Rolle sie in diesem Augenblick einnahmen in dem gewaltigen
Wettlauf und Wettkampf der Nationen, in dem das Behaupten sich ueberall noch
schwieriger erweist als das Erringen. An den Pyrenaeen hatten die Verhaeltnisse
der Voelker laengst sich friedlich geordnet und waren die Zeiten laengst vorbei,
wo die Kelten hier die iberische, das heisst baskische Urbevoelkerung
bedraengten und zum Teil verdraengten. Die Taeler der Pyrenaeen wie die Gebirge
Bearns und der Gascogne und ebenso die Kuestensteppen suedlich von der Garonne
standen zu Caesars Zeit im unangefochtenen Besitz der Aquitaner, einer grossen
Anzahl kleiner, wenig unter sich und noch weniger mit dem Ausland sich
beruehrender Voelkerschaften iberischer Abstammung; hier war nur die
Garonnemuendung selbst mit dem wichtigen Hafen Burdigala (Bordeaux) in den
Haenden eines keltischen Stammes, der Bituriger-Vivisker.
Von weit groesserer Bedeutung waren die Beruehrungen der keltischen Nation
mit dem Roemervolk und mit den Deutschen. Es soll hier nicht wiederholt werden,
was frueher erzaehlt worden ist, wie die Roemer in langsamem Vordringen die
Kelten allmaehlich zurueckgedrueckt, zuletzt auch den Kuestensaum zwischen den
Alpen und den Pyrenaeen besetzt und sie dadurch von Italien, Spanien und dem
Mittellaendischen Meer gaenzlich abgeschnitten hatten, nachdem bereits
Jahrhunderte zuvor durch die Anlage der hellenischen Zwingburg an der
Rhonemuendung diese Katastrophe vorbereitet worden war; daran aber muessen wir
hier wieder erinnern, dass nicht bloss die Ueberlegenheit der roemischen Waffen
die Kelten bedraengte, sondern ebensosehr die der roemischen Kultur, der die
ansehnlichen Anfaenge der hellenischen Zivilisation im Keltenlande ebenfalls in
letzter Instanz zugute kamen. Auch hier bahnten Handel und Verkehr wie so oft
der Eroberung den Weg. Der Kelte liebte nach nordischer Weise feurige Getraenke;
dass er den edlen Wein wie der Skythe unvermischt und bis zum Rausche trank,
erregte die Verwunderung und den Ekel des maessigen Suedlaenders, aber der
Haendler verkehrt nicht ungern mit solchen Kunden. Bald ward der Handel nach dem
Keltenland eine Goldgrube fuer den italischen Kaufmann; es war nichts Seltenes,
dass daselbst ein Krug Wein um einen Sklaven getauscht ward. Auch andere
Luxusartikel, wie zum Beispiel italische Pferde, fanden in dem Keltenland
vorteilhaften Absatz. Es kam sogar bereits vor, dass roemische Buerger jenseits
der roemischen Grenze Grundbesitz erwarben und denselben nach italischer Art
nutzten, wie denn zum Beispiel roemische Landgueter im Kanton der Segusiaver
(bei Lyon) schon um 673 (81) erwaehnt werden. Ohne Zweifel ist es hiervon eine
Folge, dass, wie schon gesagt ward, selbst in dem freien Gallien, zum Beispiel
bei den Arvernern, die roemische Sprache schon vor der Eroberung nicht unbekannt
war; obwohl sich freilich diese Kunde vermutlich noch auf wenige beschraenkte
und selbst mit den Vornehmen des verbuendeten Gaues der Haeduer durch
Dolmetscher verkehrt werden musste. So gut wie die Haendler mit Feuerwasser und
die Squatters die Besetzung Nordamerikas einleiteten, so wiesen und winkten
diese roemischen Weinhaendler und Gutsbesitzer den kuenftigen Eroberer Galliens
heran. Wie lebhaft man auch auf der entgegengesetzten Seite dies empfand, zeigt
das Verbot, das einer der tuechtigsten Staemme des Keltenlandes, der Gau der
Nervier, gleich einzelnen deutschen Voelkerschaften, gegen den Handelsverkehr
mit den Roemern erliess.
Ungestuemer noch als vom Mittellaendischen Meere die Roemer, draengten vom
Baltischen und der Nordsee herab die Deutschen, ein frischer Stamm aus der
grossen Voelkerwiege des Ostens, der sich Platz machte neben seinen aelteren
Bruedern mit jugendlicher Kraft, freilich auch mit jugendlicher Roheit. Wenn
auch die naechst am Rhein wohnenden Voelkerschaften dieses Stammes, die
Usipeten, Tencterer, Sugambrer, Ubier, sich einigermassen zu zivilisieren
angefangen und wenigstens aufgehoert hatten, freiwillig ihre Sitze zu wechseln,
so stimmen doch alle Nachrichten dahin zusammen, dass weiter landeinwaerts der
Ackerbau wenig bedeutete und die einzelnen Staemme kaum noch zu festen Sitzen
gelangt waren. Es ist bezeichnend dafuer, dass die westlichen Nachbarn in dieser
Zeit kaum eines der Voelker des inneren Deutschlands seinem Gaunamen nach zu
nennen wussten, sondern dieselben ihnen nur bekannt sind unter den allgemeinen
Bezeichnungen der Sueben, das ist der schweifenden Leute, der Nomaden, und der
Markomannen, das ist der Landwehr ^10 - Namen, die in Caesars Zeit schwerlich
schon Gaunamen waren, obwohl sie den Roemern als solche erschienen und spaeter
auch vielfach Gaunamen geworden sind. Der gewaltigste Andrang dieser grossen
Nation traf die Kelten. Die Kaempfe, die die Deutschen um den Besitz der
Landschaften oestlich vom Rheine mit den Kelten gefuehrt haben moegen, entziehen
sich vollstaendig unseren Blicken. Wir vermoegen nur zu erkennen, dass um das
Ende des siebenten Jahrhunderts Roms schon alles Land bis zum Rhein den Kelten
verloren war, die Boier, die einst in Bayern und Boehmen gesessen haben mochten,
heimatlos herumirrten und selbst der ehemals von den Helvetiern besessene
Schwarzwald wenn auch noch nicht von den naechstwohnenden deutschen Staemmen in
Besitz genommen, doch wenigstens wuestes Grenzstreitland war - vermutlich schon
damals das, was es spaeter hiess: die helvetische Einoede. Die barbarische
Strategik der Deutschen, durch meilenweite Wuestlegung der Nachbarschaft sich
vor feindlichen Ueberfaellen zu sichern, scheint hier im groessten Massstab
Anwendung gefunden zu haben.
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^10 So sind Caesars Sueben wahrscheinlich die Chatten; aber dieselbe
Benennung kam sicher zu Caesars Zeit und noch viel spaeter auch jedem anderen
deutschen Stamme zu, der als ein regelmaessig wandernder bezeichnet werden
konnte. Wenn also auch, wie nicht zu bezweifeln, der "Koenig der Sueben" bei
Mela (3, 1) und Plinius (nat. 2, 67, 170) Ariovist ist, so folgt darum noch
keineswegs, dass Ariovist ein Chatte war. Die Markomannen als ein bestimmtes
Volk lassen sich vor Marbod nicht nachweisen; es ist sehr moeglich, dass das
Wort bis dahin nichts bezeichnet als was es etymologisch bedeutet, die Land-
oder Grenzwehr. Wenn Caesar (Galt. 1, 51) unter den im Heere Ariovists
fechtenden Voelkern Markomannen erwaehnt, so kann er auch hier eine bloss
appellative Bezeichnung ebenso missverstanden haben, wie dies bei den Sueben
entschieden der Fall ist.
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Aber die Deutschen waren nicht stehen geblieben am Rheine. Der seinem Kern
nach aus deutschen Staemmen zusammengesetzte Heereszug der Kimbrer und Teutonen,
der fuenfzig Jahre zuvor ueber Pannonien, Gallien, Italien und Spanien so
gewaltig hingebraust war, schien nichts gewesen zu sein als eine grossartige
Rekognoszierung. Schon hatten westlich vom Rhein, namentlich dem untern Lauf
desselben, verschiedene deutsche Staemme bleibende Sitze gefunden: als Eroberer
eingedrungen, fuhren diese Ansiedler fort, von ihren gallischen Umwohnern gleich
wie von Untertanen Geiseln einzufordern und jaehrlichen Tribut zu erheben. Dahin
gehoerten die Aduatuker, die aus einem Splitter der Kimbrermasse zu einem
ansehnlichen Gau geworden waren, und eine Anzahl anderer, spaeter unter dem
Namen der Tungrer zusammengefasster Voelkerschaften an der Maas in der Gegend
von Luettich; sogar die Treverer (um Trier) und die Nervier (im Hennegau), zwei
der groessten und maechtigsten Voelkerschaften dieser Gegend, bezeichnen
achtbare Autoritaeten geradezu als Germanen. Die vollstaendige Glaubwuerdigkeit
dieser Berichte muss allerdings dahingestellt bleiben, da es, wie Tacitus in
Beziehung auf die zuletzt erwaehnten beiden Voelker bemerkt, spaeterhin
wenigstens in diesen Strichen fuer eine Ehre galt, von deutschem Blute
abzustammen und nicht zu der gering geachteten keltischen Nation zu gehoeren:
doch scheint die Bevoelkerung in dem Gebiet der Schelde, Maas und Mosel
allerdings in der einen oder andern Weise sich stark mit deutschen Elementen
gemischt oder doch unter deutschen Einfluessen gestanden zu haben. Die deutschen
Ansiedlungen selbst waren vielleicht geringfuegig; unbedeutend waren sie nicht,
denn in dem chaotischen Dunkel, in dem wir um diese Zeit die Voelkerschaften am
rechten Rheinufer auf- und niederwogen sehen, laesst sich doch wohl erkennen,
dass groessere deutsche Massen auf der Spur jener Vorposten sich anschickten,
den Rhein zu ueberschreiten. Von zwei Seiten durch die Fremdherrschaft bedroht
und in sich zerrissen, war es kaum zu erwarten, dass die unglueckliche keltische
Nation sich jetzt noch emporraffen und mit eigener Kraft sich erretten werde.
Die Zersplitterung und der Untergang in der Zersplitterung war bisher ihre
Geschichte; wie sollte eine Nation, die keinen Tag nannte gleich denen von
Marathon und Salamis, von Aricia und dem Raudischen Felde, eine Nation, die
selbst in ihrer frischen Zeit keinen Versuch gemacht hatte, Massalia mit
gesamter Hand zu vernichten, jetzt, da es Abend ward, so furchtbarer Feinde sich
erwehren?
Je weniger die Kelten, sich selbst ueberlassen, den Germanen gewachsen
waren, desto mehr Ursache hatten die Roemer, die zwischen den beiden Nationen
obwaltenden Verwicklungen sorgsam zu ueberwachen. Wenn auch die daraus
entspringenden Bewegungen sie bis jetzt nicht unmittelbar beruehrt hatten, so
waren sie doch bei dem Ausgang derselben mit ihren wichtigsten Interessen
beteiligt. Begreiflicherweise hatte die innere Haltung der keltischen Nation
sich mit ihren auswaertigen Beziehungen rasch und nachhaltig verflochten. Wie in
Griechenland die lakedaemonische Partei sich gegen die Athener mit Persien
verband, so hatten die Roemer von ihrem ersten Auftreten jenseits der Alpen an
gegen die Arverner, die damals unter den suedlichen Kelten die fuehrende Macht
waren, an deren Nebenbuhlern um die Hegemonie, den Haeduern, eine Stuetze
gefunden und mit Hilfe dieser neuen "Brueder der roemischen Nation" nicht bloss
die Allobrogen und einen grossen Teil des mittelbaren Gebiets der Arverner sich
untertaenig gemacht, sondern auch in dem freigebliebenen Gallien durch ihren
Einfluss den Uebergang der Hegemonie von den Arvernern auf diese Haeduer
veranlasst. Allein wenn den Griechen nur von einer Seite her fuer ihre
Nationalitaet Gefahr drohte, so sahen sich die Kelten zugleich von zwei
Landesfeinden bedraengt, und es war natuerlich, dass man bei dem einen vor dem
anderen Schutz suchte und dass, wenn die eine Keltenpartei sich den Roemern
anschloss, ihre Gegner dagegen mit den Deutschen Buendnis machten. Am naechsten
lag dies den Belgen, die durch Nachbarschaft und vielfaeltige Mischung den
ueberrheinischen Deutschen genaehert waren und ueberdies bei ihrer minder
entwickelten Kultur sich dem stammfremden Sueben wenigstens ebenso verwandt
fuehlen mochten als dem gebildeten allobrogischen oder helvetischen Landsmann.
Aber auch die suedlichen Kelten, bei welchen jetzt, wie schon gesagt, der
ansehnliche Gau der Sequaner (um Besan‡on) an der Spitze der den Roemern
feindlichen Partei stand, hatten alle Ursache, gegen die sie zunaechst
bedrohenden Roemer ebenjetzt die Deutschen herbeizurufen; das laessige Regiment
des Senats und die Anzeichen der in Rom sich vorbereitenden Revolution, die den
Kelten nicht unbekannt geblieben waren, liessen gerade diesen Moment als
geeignet erscheinen, um des roemischen Einflusses sich zu entledigen und
zunaechst deren Klienten, die Haeduer, zu demuetigen. Ueber die Zoelle auf der
Saone, die das Gebiet der Haeduer von dem der Sequaner schied, war es zwischen
den beiden Gauen zum Bruch gekommen und um das Jahr 683 (71) hatte der deutsche
Fuerst Ariovist mit etwa 15000 Bewaffneten als Condottiere der Sequaner den
Rhein ueberschritten. Der Krieg zog manches Jahr unter wechselnden Erfolgen sich
hin; im ganzen waren die Ergebnisse den Haeduern unguenstig. Ihr Fuehrer
Eporedorix bot endlich die ganze Klientel auf und zog mit ungeheurer Uebermacht
aus gegen die Germanen. Diese verweigerten beharrlich den Kampf und hielten sich
gedeckt in Suempfen und Waeldern. Als aber dann die Clans, des Harrens muede,
anfingen aufzubrechen und sich aufzuloesen, erschienen die Deutschen in freiem
Felde und nun erzwang bei Admagetobriga Ariovist die Schlacht, in der die Bluete
der Ritterschaft der Haeduer auf dem Kampfplatze blieb. Die Haeduer, durch diese
Niederlage gezwungen, auf die Bedingungen, wie der Sieger sie stellte, Frieden
zu schliessen, mussten auf die Hegemonie verzichten und mit ihrem ganzen Anhang
in die Klientel der Sequaner sich fuegen, auch sich anheischig machen, den
Sequanern oder vielmehr dem Ariovist Tribut zu zahlen und die Kinder ihrer
vornehmsten Adligen als Geiseln zu stellen, endlich eidlich versprechen, weder
diese Geiseln je zurueckzufordern noch die Intervention der Roemer anzurufen.
Dieser Friede ward, wie es scheint, um 693 (61) geschlossen ^11. Ehre und
Vorteil geboten den Roemern, dagegen aufzutreten; der vornehme Haeduer
Divitiacus, das Haupt der roemischen Partei in seinem Clan und darum jetzt von
seinen Landsleuten verbannt, ging persoenlich nach Rom, um ihre Dazwischenkunft
zu erbitten; eine noch ernstere Warnung war der Aufstand der Allobrogen 693
(61), der Nachbarn der Sequaner, welcher ohne Zweifel mit diesen Ereignissen
zusammenhing. In der Tat ergingen Befehle an die gallischen Statthalter, den
Haeduern beizustehen; man sprach davon, Konsuln und konsularische Armeen ueber
die Alpen zu senden; allein der Senat, an den diese Angelegenheiten zunaechst
zur Entscheidung kamen, kroente schliesslich auch hier grosse Worte mit kleinen
Taten: die allobrogische Insurrektion ward mit den Waffen unterdrueckt, fuer die
Haeduer aber geschah nicht nur nichts, sondern es ward sogar Ariovist im Jahre
695 (59) in das Verzeichnis der den Roemern befreundeten Koenige eingeschrieben
^12. Der deutsche Kriegsfuerst nahm dies begreiflicherweise als Verzicht der
Roemer auf das nicht von ihnen eingenommene Keltenland; er richtete demgemaess
sich hier haeuslich ein und fing an, auf gallischem Boden ein deutsches
Fuerstentum zu begruenden. Die zahlreichen Haufen, die er mitgebracht hatte, die
noch zahlreicheren, die auf seinen Ruf spaeter aus der Heimat nachkamen - man
rechnete, dass bis zum Jahre 696 (58) etwa 120000 Deutsche den Rhein
ueberschritten -, diese ganze gewaltige Einwanderung der deutschen Nation,
welche durch die einmal geoeffneten Schleusen stromweise ueber den schoenen
Westen sich ergoss, gedachte er daselbst ansaessig zu machen und auf dieser
Grundlage seine Herrschaft ueber das Keltenland aufzubauen. Der Umfang der von
ihm am linken Rheinufer ins Leben gerufenen deutschen Ansiedlungen laesst sich
nicht bestimmen; ohne Zweifel reichte er weit und noch viel weiter seine
Entwuerfe. Die Kelten wurden von ihm als eine im ganzen unterworfene Nation
behandelt und zwischen den einzelnen Gauen kein Unterschied gemacht. Selbst die
Sequaner, als deren gedungener Feldhauptmann er den Rhein ueberschritten hatte,
mussten dennoch, als waeren auch sie besiegte Feinde, ihm fuer seine Leute ein
Drittel ihrer Mark abtreten - vermutlich den spaeter von den Tribokern bewohnten
oberen Elsass, wo Ariovist sich mit den Seinigen auf die Dauer einrichtete; ja
als sei dies nicht genug, ward ihnen nachher fuer die nachgekommenen Haruder
noch ein zweites Drittel abverlangt. Ariovist schien im Keltenland die Rolle des
makedonischen Philipp uebernehmen und ueber die germanisch gesinnten Kelten
nicht minder wie ueber die den Roemern anhaengenden den Herrn spielen zu wollen.
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^11 Ariovists Ankunft in Gallien ist nach Caesar (Gall. 1, 36) auf 683
(71), die Schlacht von Admagetobriga (denn so heisst der einer falschen
Inschrift zuliebe jetzt gewoehnlich Magetobriga genannte Ort) nach Caesar (Gall.
1, 35) und Cicero (Art. 1, 19) auf 693 (61) gesetzt worden.
^12 Um diesen Hergang der Dinge nicht unglaublich zu finden oder demselben
gar tiefere Motive unterzulegen, als staatsmaennische Unwissenheit und Faulheit
sind, wird man wohltun, den leichtfertigen Ton sich zu vergegenwaertigen, in dem
ein angesehener Senator wie Cicero in seiner Korrespondenz sich ueber diese
wichtigen transalpinischen Angelegenheiten auslaesst.
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Das Auftreten des kraeftigen deutschen Fuersten in einer so gefaehrlichen
Naehe, das schon an sich die ernstesten Besorgnisse der Roemer erwecken musste,
erschien noch bedrohlicher insofern, als dasselbe keineswegs vereinzelt stand.
Auch die am rechten Rheinufer ansaessigen Usipeten und Tencterer waren, der
unaufhoerlichen Verheerung ihres Gebiets durch die uebermuetigen Suebenstaemme
muede, das Jahr bevor Caesar in Gallien eintraf (695 59) aus ihren bisherigen
Sitzen aufgebrochen, um sich andere an der Rheinmuendung zu suchen. Schon hatten
sie dort den Menapiern den auf dem rechten Ufer belegenen Teil ihres Gebiets
weggenommen, und es war vorherzusehen, dass sie den Versuch machen wuerden, auch
auf dem linken sich festzusetzen. Zwischen Koeln und Mainz sammelten ferner sich
suebische Haufen und drohten in dem gegenueberliegenden Keltengau der Treverer
als ungeladene Gaeste zu erscheinen. Endlich ward auch das Gebiet des
oestlichsten Clans der Kelten, der streitbaren und zahlreichen Helvetier, immer
nachdruecklicher von den Germanen heimgesucht, so dass die Helvetier, die
vielleicht schon ohnehin durch das Zurueckstroemen ihrer Ansiedler aus dem
verlorenen Gebiet nordwaerts vom Rheine an Ueberbevoelkerung litten, ueberdies
durch die Festsetzung Ariovists im Gebiet der Sequaner, einer voelligen
Isolierung von ihren Stammgenossen entgegengingen, den verzweifelten Entschluss
fassten, ihr bisheriges Gebiet freiwillig den Germanen zu raeumen und westlich
vom Jura geraeumigere und fruchtbarere Sitze und zugleich womoeglich die
Hegemanie im inneren Gallien zu gewinnen - ein Plan, den schon waehrend der
kimbrischen Invasion einige ihrer Distrikte gefasst und auszufuehren versucht
hatten. Die Rauraker, deren Gebiet (Basel und der suedliche Elsass) in
aehnlicher Weise bedroht war, ferner die Reste der Boier, die bereits frueher
von den Germanen gezwungen waren, ihrer Heimat den Ruecken zu kehren, und nun
unstet umherirrten, und andere kleinere Staemme machten mit den Helvetiern
gemeinschaftliche Sache. Bereits 693 (61) kamen ihre Streiftrupps ueber den Jura
und selbst bis in die roemische Provinz; der Aufbruch selbst konnte nicht mehr
lange sich verzoegern; unvermeidlich rueckten alsdann germanische Ansiedler nach
in die von ihren Verteidigern verlassene wichtige Landschaft zwischen dem Boden-
und dem Genfersee. Von den Rheinquellen bis zum Atlantischen Ozean waren die
deutschen Staemme in Bewegung, die ganze Rheinlinie von ihnen bedroht; es war
ein Moment wie da die Alamannen und Franken sich ueber das sinkende Reich der
Caesaren warfen, und jetzt gleich schien gegen die Kelten ebendas ins Werk
gesetzt werden zu sollen, was ein halbes Jahrtausend spaeter gegen die Roemer
gelang.
Unter diesen Verhaeltnissen traf der neue Statthalter Gaius Caesar im
Fruehling 696 (58) in dem Narbonensischen Gallien ein, das zu seiner
urspruenglichen, das Diesseitige Gallien nebst Istrien und Dalmatien umfassenden
Statthalterschaft durch Senatsbeschluss hinzugefuegt worden war. Sein Amt, das
ihm zuerst auf fuenf (bis Ende 700 54), dann im Jahre 699 (55) auf weitere fuenf
Jahre (bis Ende 705 49) uebertragen ward, gab ihm das Recht, zehn
Unterbefehlshaber von propraetorischem Rang zu ernennen, und - wenigstens nach
seiner Auslegung - aus der besonders im Diesseitigen Gallien zahlreichen
Buergerbevoelkerung des ihm gehorchenden Gebiets nach Gutduenken seine Legionen
zu ergaenzen oder auch neue zu bilden. Das Heer, das er in den beiden Provinzen
uebernahm, bestand an Linienfussvolk aus vier geschulten und kriegsgewohnten
Legionen, der siebenten, achten, neunten und zehnten, oder hoechstens 24000
Mann, wozu dann, wie ueblich, die Untertanenkontingente hinzutraten. Reiterei
und Leichtbewaffnete waren ausserdem vertreten durch Reiter aus Spanien und
numidische, kretische, balearische Schuetzen und Schleuderer. Caesars Stab, die
Elite der hauptstaedtischen Demokratie, enthielt neben nicht wenigen
unbrauchbaren, vornehmen jungen Maennern einzelne faehige Offiziere, wie Publius
Crassus, den juengeren Sohn des alten politischen Bundesgenossen Caesars, und
Titus Labienus, der dem Haupt der Demokratie als treuer Adjutant vom Forum auf
das Schlachtfeld gefolgt war. Bestimmte Auftraege hatte Caesar nicht erhalten;
fuer den Einsichtigen und Mutigen lagen sie in den Verhaeltnissen. Auch hier war
nachzuholen, was der Senat versaeumt hatte, und vor allen Dingen der Strom der
deutschen Voelkerwanderung zu hemmen. Ebenjetzt begann die mit der deutschen eng
verflochtene und seit langen Jahren vorbereitete helvetische Invasion. Um die
verlassenen Huetten nicht den Germanen zu goennen, und um sich selber die
Rueckkehr unmoeglich zu machen, hatten die Helvetier ihre Staedte und Weiler
niedergebrannt, und ihre langen Wagenzuege, mit Weibern, Kindern und dem besten
Teil der Fahrnis beladen, trafen von allen Seiten her am Leman bei Genava (Genf)
ein, wo sie und ihre Genossen sich zum 28. Maerz ^13 dieses Jahres Rendezvous
gegeben hatten. Nach ihrer eigenen Zaehlung bestand die gesamte Masse aus 368000
Koepfen, wovon etwa der vierte Teil imstande war, die Waffen zu tragen. Das
Juragebirge, das vom Rhein bis zur Rhone sich erstreckend die helvetische
Landschaft gegen Westen fast vollstaendig abschloss und dessen schmale Defileen
fuer den Durchzug einer solchen Karawane ebenso schlecht geeignet waren wie gut
fuer die Verteidigung, hatten darum die Fuehrer beschlossen, in suedlicher
Richtung zu umgehen und den Weg nach Westen sich da zu eroeffnen, wo zwischen
dem suedwestlichen und hoechsten Teil des Jura und den savoyischen Bergen bei
dem heutigen Fort de l'Ecluse die Rhone die Gebirgsketten durchbrochen hat.
Allein am rechten Ufer treten hier die Felsen und Abgruende so hart an den
Fluss, dass nur ein schmaler, leicht zu sperrender Pfad uebrig bleibt und die
Sequaner, denen dies Ufer gehoerte, den Helvetiern mit Leichtigkeit den Pass
verlegen konnten. Sie zogen es darum vor, oberhalb des Durchbruchs der Rhone auf
das linke allobrogische Ufer ueberzugehen, um weiter stromabwaerts, wo die Rhone
in die Ebene eintritt, wieder das rechte zu gewinnen und dann weiter nach dem
ebenen Westen Galliens zu ziehen; dort war der fruchtbare Kanton der Santonen
(Saintonge, das Tal der Charente) am Atlantischen Meer von den Wanderern zu
ihrem neuen Wohnsitz ausersehen. Dieser Marsch fuehrte, wo er das linke
Rhoneufer betrat, durch roemisches Gebiet; und Caesar, ohnehin nicht gemeint,
sich die Festsetzung der Helvetier im westlichen Gallien gefallen zu lassen, war
fest entschlossen, ihnen den Durchzug nicht zu gestatten. Allein von seinen vier
Legionen standen drei weit entfernt bei Aquileia; obwohl er die Milizen der
jenseitigen Provinz schleunigst aufbot, schien es kaum moeglich, mit einer so
geringen Mannschaft dem zahllosen Keltenschwarm den Uebergang ueber die Rhone,
von ihrem Austritt aus dem Leman bei Genf bis zu ihrem Durchbruch, auf einer


 


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