Römische Geschichte Book 5
by
Theodor Mommsen

Part 9 out of 11



nur mittelbare Bestaetigung, sondern sie wird von dem Zeitgenossen Cicero (div.
2, 54, 119) sogar ausdruecklich fuer falsch erklaert und von den spaeteren
Geschichtschreibern, namentlich von Sueton (79) und Dio (44, 15) nur als ein
Geruecht berichtet, das sie weit entfernt sind, verbuergen zu wollen; und sie
wird denn auch dadurch nicht besser beglaubigt, dass Plutarch (Caes. 60, 64;
Brut. 10) und Appian (civ. 2, 110) ihrer Gewohnheit gemaess jener anekdotenhaft,
dieser pragmatisierend, sie wiederholen. Es ist diese Erzaehlung aber nicht
bloss unbezeugt, sondern auch innerlich unmoeglich. Wenn man auch davon absehen
will, dass Caesar zu viel Geist und zu viel politischen Takt hatte, um nach
Oligarchenart wichtige Staatsfragen durch einen Schlag mit der Orakelmaschine zu
entscheiden, so konnte er doch nimmermehr daran denken, den Staat, den er
nivellieren wollte, also foermlich und rechtlich zu spalten.
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Indes wie auch die definitive Titulatur gedacht gewesen sein mag, der Herr
war da, und sogleich richtete denn auch der Hof in obligatem Pomp und obligater
Geschmacklosigkeit und Leerheft sich ein. Caesar erschien oeffentlich statt in
dem mit Purpurstreifen verbraemten Gewande der Konsuln in dem ganzpurpurnen, das
im Altertum als das Koenigskleid galt, und empfing, auf seinem Goldsessel
sitzend, ohne sich von demselben zu erheben, den feierlichen Zug des Senats. Die
Geburtstags-, Sieges- und Geluebdefeste zu seinen Ehren fuellten den Kalender.
Wenn Caesar nach der Hauptstadt kam, zogen die vornehmsten seiner Diener
scharenweise auf weite Strecken ihm entgegen ihn einzuholen. Ihm nahe zu sein
fing an so viel zu bedeuten, dass die Mietpreise in dem von ihm bewohnten
Stadtviertel in die Hoehe gingen. Durch die Menge der zur Audienz sich
draengenden Personen ward die persoenliche Verhandlung mit ihm so erschwert,
dass Caesar sogar mit seinen Vertrauten vielfach schriftlich zu verkehren sich
genoetigt sah und dass auch die Vornehmsten stundenlang im Vorzimmer zu warten
hatten. Man empfand es, deutlicher als es Caesar selber lieb war, dass man nicht
mehr zu einem Mitbuerger kam. Es entstand ein monarchischer Adel, welcher in
merkwuerdiger Weise zugleich neu und alt war und aus dem Gedanken entsprang, den
Adel der Oligarchie durch den des Koenigtums, die Nobilitaet durch das Patriziat
in Schatten zu stellen. Noch immer bestand die Patrizierschaft, wenngleich ohne
wesentliche staendische Vorrechte, doch als geschlossene Junkergilde fort; aber
da sie keine neuen Geschlechter aufnehmen konnte, war sie im Laufe der
Jahrhunderte mehr und mehr zusammengestorben: nicht mehr als fuenfzehn bis
sechzehn Patriziergeschlechter waren zu Caesars Zeit noch vorhanden. Indem
Caesar, selber einem derselben entsprossen, das Recht, neue patrizische
Geschlechter zu kreieren, durch Volksbeschluss dem Imperator erteilen liess,
gruendete er, im Gegensatz zu der republikanischen Nobilitaet, den neuen Adel
des Patriziats, der alle Erfordernisse eines monarchischen Adels: altersgrauen
Zauber, vollstaendige Abhaengigkeit von der Regierung und gaenzliche
Bedeutungslosigkeit auf das gluecklichste vereinigte. Nach allen Seiten hin
offenbarte sich das neue Herrenrum.
Unter einem also tatsaechlich unumschraenkten Monarchen konnte kaum von
einer Verfassung die Rede sein, geschweige denn von denn Fortbestand des
bisherigen, auf dem gesetzlichen Zusammenwirken der Buergerschaft, des Senats
und der einzelner. Beamten beruhenden Gemeinwesens. Mit voller Bestimmtheit ging
Caesar zurueck auf die Ueberlieferung der Koenigszeit: die
Buergerschaftsversammlung blieb, was sie schon in der Koenigszeit gewesen war,
neben und mit dem Koenig der hoechste und letzte Ausdruck des souveraenen
Volkswillens; der Senat ward wieder auf seine urspruengliche Bestimmung
zurueckgefuehrt, dem Herrn auf dessen Verlangen Rat zu erteilen; der Herrscher
endlich konzentrierte in seiner Person aufs neue die gesamte Beamtengewalt, so
dass es einen anderen selbstaendigen Staatsbeamten neben ihm so wenig gab wie
neben den Koenigen der aeltesten Zeit.
Fuer die Gesetzgebung hielt der demokratische Monarch fest an dem uralten
Satz des roemischen Staatsrechts, dass nur die Volksgemeinde in Gemeinschaft mit
dem sie berufenden Koenig vermoegend sei, das Gemeinwesen organisch zu
regulieren, und sanktionierte seine konstitutiven Verfuegungen regelmaessig
durch Volksschluss. Die freie Kraft und die sittlich-staatliche Autoritaet, die
das Ja oder Nein jener alten Wehrmannschaften in sich getragen hatte, liess sich
freilich den sogenannten Komitien dieser Zeit nicht wiedereinfloessen; die
Mitwirkung der Buergerschaft bei der Gesetzgebung, die in der alten Verfassung
hoechst beschraenkt, aber wirklich und lebendig gewesen war, war in der neuen in
praktischer Hinsicht ein wesenloser Schatten. Besonderer beschraenkender
Massregeln gegen die Komitien bedurfte es darum auch nicht; eine vieljaehrige
Erfahrung hatte gezeigt, dass mit diesem formellen Souveraen jede Regierung, die
Oligarchie wie der Monarch, bequem auskam. Nur insofern, als diese Caesarischen
Komitien dazu dienten, die Volkssouveraenitaet prinzipiell festzuhalten und
energisch gegen den Sultanismus zu protestieren, waren sie ein wichtiges Moment
in dem Caesarischen System und mittelbar von praktischer Bedeutung.
Daneben aber wurde, wie nicht bloss an sich klar, sondern auch bestimmt
bezeugt ist, schon von Caesar selbst und nicht erst von seinen Nachfolgern auch
der andere Satz des aeltesten Staatsrechts wieder aufgenommen, dass, was der
hoechste oder vielmehr einzige Beamte befiehlt, unbedingt Gueltigkeit hat,
solange er im Amte bleibt, und die Gesetzgebung zwar nur dem Koenig und der
Buergerschaft gemeinschaftlich zukommt, die koenigliche Verordnung aber,
wenigstens bis zum Abgang ihres Urhebers, dem Gesetz gleichsteht.
Wenn der Demokratenkoenig also der Volksgemeinde wenigstens einen formellen
Anteil an der Souveraenitaet zugestand, so war es dagegen keineswegs seine
Absicht, mit der bisherigen Regierung, dem Senatorenkollegium, die Gewalt zu
teilen. Caesars Senat sollte - ganz anders als der spaetere Augusteische -
nichts sein als ein hoechster Reichsrat, den er benutzte, um die Gesetze mit ihm
vorzuberaten und die wichtigeren administrativer. Verfuegungen durch ihn oder
wenigstens unter seinem Namen zu erlassen, denn es kam freilich auch vor, dass
Senatsbeschluesse ergingen, von denen selbst von den als bei der Redaktion
gegenwaertig aufgefuehrten Senatoren keiner eine Ahnung hatte. Es hatte keine
wesentlichen Formschwierigkeiten, den Senat wieder auf seine urspruengliche
beratende Stellung zurueckzufuehren, aus der er mehr tatsaechlich als rechtlich
herausgetreten war; dagegen war es hier notwendig, sich vor praktischem
Widerstand zu schuetzen, da der roemische Senat ebenso der Herd der Opposition
gegen Caesar war wie der attische Areopag derjenige gegen Perikles.
Hauptsaechlich aus diesem Grunde wurde die Zahl der Senatoren, die bisher
hoechstens sechshundert im Normalbestand betragen hatte und durch die letzten
Krisen stark zusammengeschwunden war, durch ausserordentliche Ergaenzung bis auf
neunhundert gebracht und zugleich, um sie mindestens auf dieser Hoehe zu halten,
die Zahl der jaehrlich zu ernennenden Quaestoren, das heisst der jaehrlich in
den Senat eintretenden Mitglieder, von zwanzig auf vierzig erhoeht ^13. Die
ausserordentliche Ergaenzung des Senats nahm der Monarch allein vor. Bei der
ordentlichen sicherte er einen dauernden Einfluss sich dadurch, dass die
Wahlkollegien durch Gesetz ^14 verpflichtet wurden, den ersten zwanzig vom
Monarchen mit Empfehlungsschreiben versehenen Bewerbern um die Quaestur ihre
Stimmen zu geben; ueberdies stand es der Krone frei, die an die Quaestur oder
ein derselben uebergeordnetes Amt geknuepften Ehrenrechte, also namentlich den
Sitz im Senat, ausnahmsweise auch an nichtqualifizierte Individuen zu vergeben.
Die ausserordentlichen Ergaenzungswahlen fielen natuerlich wesentlich auf
Anhaenger der neuen Ordnung der Dinge und brachten neben angesehenen Rittern
auch manche zweifelhafte und plebejische Individuen in die hohe Korporation:
ehemalige, durch den Zensor oder infolge eines Richterspruchs von der Liste
gestrichene Senatoren, Auslaender aus Spanien und Gallien, welche zum Teil erst
im Senat ihr Lateinisch zu lernen hatten, gewesene Unteroffiziere, die bisher
nicht einmal den Ritterring gehabt, Soehne von freigelassenen Leuten oder von
solchen, die unehrenhafte Gewerbe betrieben, und dergleichen Elemente mehr. Die
exklusiven Kreise der Nobilitaet, denen diese Umgestaltung des senatorischen
Personals natuerlich zum bittersten Aerger gereichte, sahen darin eine
absichtliche Herabwuerdigung der Institution des Senats selbst. Einer solchen
sich selber vernichtenden Staatskunst war Caesar nicht faehig; er war ebenso
entschlossen, sich nicht von seinem Rat regieren zu lassen, als ueberzeugt von
der Notwendigkeit des Instituts an sich. Richtiger haetten sie in diesem
Verfahren die Absicht des Monarchen erkannt, dem Senat seinen bisherigen
Charakter der ausschliesslichen Repraesentation des oligarchischen Adels zu
nehmen und ihn wieder zu dem zu machen, was er in der Koenigszeit gewesen war:
zu einem alle Klassen der Staatsangehoerigen durch ihre intelligentesten
Elemente vertretenden und auch den niedrig geborenen und selbst den fremden Mann
nicht mit Notwendigkeit ausschliessenden Reichsrat - gerade wie jene aeltesten
Koenige Nichtbuerger, zog Caesar Nichtitaliker in seinen Senat.
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^13 Nach der frueher angenommenen Wahrscheinlichkeitsrechnung wuerde dies
eine durchschnittliche Gesamtzahl von 1000-1200 Senatoren ergeben.
^14 Dasselbe bezog sich allerdings nur auf die Wahlen fuer das Jahr 711
(43) und 712 (42) (Roemisches Staatsrecht, Bd. 2, 3. Aufl., S. 730); aber gewiss
sollte die Einrichtung bleibend werden.
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Wenn hiermit das Regiment der Nobilitaet beseitigt und ihre Existenz
untergraben, der Senat in seiner neuen Gestalt aber nichts als ein Werkzeug des
Monarchen war, so wurde zugleich in der Verwaltung und Regierung des Staats die
Autokratie in der schaerfsten Weise durchgefuehrt und die gesamte Exekutive in
der Hand des Monarchen vereinigt. Vor allen Dingen entschied natuerlich in jeder
irgend wesentlichen Frage der Imperator in eigener Person. Caesar hat es
vermocht, das persoenliche Regiment in einer Ausdehnung durchzufuehren, die fuer
uns geringe Menschen kaum fasslich ist und die doch nicht allein aus der
beispiellosen Raschheit und Sicherheit seines Arbeitens sich erklaert, sondern
ausserdem noch begruendet ist in einer allgemeineren Ursache. Wenn wir Caesar,
Sulla, Gaius Gracchus, ueberhaupt die roemischen Staatsmaenner durchweg eine
unsere Vorstellungen von menschlicher Arbeitskraft uebersteigende Taetigkeit
entwickeln sehen, so liegt die Ursache nicht in der seit jener Zeit veraenderten
Menschennatur, sondern in der seit jener Zeit veraenderten Organisation des
Hauswesens. Das roemische Haus war eine Maschine, in der dem Herrn auch die
geistigen Kraefte seiner Sklaven und Freigelassenen zuwuchsen; ein Herr, der
diese zu regieren verstand, arbeitete gleichsam mit unzaehligen Geistern. Es war
das Ideal buerokratischer Zentralisation, dem unser Kontorwesen zwar mit Eifer
nachstrebt, aber doch hinter dem Urbild ebenso weit zurueckbleibt wie die
heutige Kapitalherrschaft hinter dem antiken Sklavensystem. Caesar verstand
diesen Vorteil zu nutzen: wo ein Posten besonderes Vertrauen in Anspruch nimmt,
sehen wir grundsaetzlich, soweit irgend andere Ruecksichten es gestatten, ihn
denselben mit seinen Sklaven, Freigelassenen, niedrig geborenen Klienten
besetzen. Seine Werke im ganzen zeigen, was ein organisierendes Genie wie das
seinige mit einem solchen Werkzeug auszurichten vermochte; auf die Frage, wie im
einzelnen diese wunderbaren Leistungen durchgefuehrt wurden, haben wir keine
hinreichende Antwort - die Buerokratie gleicht der Fabrik auch darin, dass das
geschaffene Werk nicht als das des einzelnen erscheint, der es gearbeitet hat,
sondern als das der Fabrik, die es stempelt. Nur das ist vollkommen klar, dass
Caesar durchaus keinen Gehilfen bei seinem Werke gehabt hat, der von
persoenlichem Einfluss auf dasselbe oder auch nur in den ganzen Plan eingeweiht
gewesen waere; er war nicht nur allein Meister, sondern er arbeitete auch ohne
Gesellen, nur mit Handlangern.
Im einzelnen versteht sich von selbst, dass in den eigentlich politischen
Angelegenheiten Caesar soweit irgend moeglich jede Stellvertretung vermied. Wo
sie unumgaenglich war, wie denn Caesar namentlich waehrend seiner haeufigen
Abwesenheit von Rom eines hoeheren Organs daselbst durchaus bedurfte, wurde in
bezeichnender Weise hierzu nicht der legale Stellvertreter des Monarchen, der
Stadtpraefekt, bestimmt, sondern ein Vertrauensmann ohne offiziell anerkannte
Kompetenz, gewoehnlich Caesars Bankier, der kluge und geschmeidige phoenikische
Kaufmann Lucius Cornelius Balbus aus Gades. In der Verwaltung war Caesar vor
allem darauf bedacht, die Schluessel der Staatskasse, die der Senat nach dem
Sturze des Koenigtums sich zugeeignet und mittels deren er sich des Regiments
bemaechtigt hatte, wiederum an sich zu nehmen und sie nur solchen Dienern
anzuvertrauen, die mit ihrem Kopfe unbedingt und ausschliesslich ihm hafteten.
Zwar dem Eigentum nach blieb das Privatvermoegen des Monarchen von dem Staatsgut
natuerlich streng geschieden; aber die Verwaltung des ganzen Finanz- und
Geldwesens des Staates nahm Caesar in die Hand und fuehrte sie durchaus in der
Art, wie er, und ueberhaupt die roemischen Grossen, die Verwaltung ihres eigenen
Vermoegens zu fuehren pflegten. Fuer die Zukunft wurden die Erhebung der
Provinzialgefaelle und in der Hauptsache auch die Leitung des Muenzwesens den
Sklaven und Freigelassenen des Imperators uebertragen und die Maenner
senatorischen Standes davon ausgeschlossen - ein folgenreicher Schritt, aus dem
im Laufe der Zeit der so wichtige Prokuratorenstand und das "kaiserliche Haus"
sich entwickelt haben. Dagegen von den Statthalterschaften, die, nachdem sie
ihre finanziellen Geschaefte an die neuen kaiserlichen Steuereinnehmer
abgegeben, mehr noch als bisher wesentlich Militaerkommandos waren, ging nur das
aegyptische Kommando an die eigenen Leute des Monarchen ueber. Die in
eigentuemlicher Art geographisch isolierte und politisch zentralisierte
Landschaft am Nil war, wie schon die waehrend der letzten Krise mehrfach
vorgekommenen Versuche bedraengter italischer Parteichefs, daselbst sich
festzusetzen, hinreichend bewiesen, wie kein anderer Distrikt geeignet, unter
einem faehigen Fuehrer auf die Dauer sich von der Zentralgewalt loszumachen.
Wahrscheinlich war es eben diese Ruecksicht, die Caesar bestimmte, das Land
nicht foermlich zur Provinz zu erklaeren, sondern die ungefaehrlichen Lagiden
daselbst zu belassen; und sicher wurden aus diesem Grunde die in Aegypten
stationierenden Legionen nicht einem dem Senat, das heisst der ehemaligen
Regierung angehoerigen Manne anvertraut, sondern dieses Kommando, aehnlich wie
die Steuereinnehmerstellen, als ein Gesindeposten behandelt. Im allgemeinen aber
ueberwog bei Caesar die Ruecksicht, die Soldaten Roms nicht, wie die der Koenige
des Ostens, durch Lakaien kommandieren zu lassen. Es blieb Regel, die
bedeutenderen Statthalterschaften mit gewesenen Konsuln, die geringeren mit
gewesenen Praetoren zu besetzen; anstatt des fuenfjaehrigen Zwischenraums, den
das Gesetz von 702 (52) vorgeschrieben, knuepfte wahrscheinlich wieder in alter
Weise der Anfang der Statthalterschaft unmittelbar an das Ende der staedtischen
Amtstaetigkeit an. Dagegen die Verteilung der Provinzen unter die qualifizierten
Kandidaten, die bisher bald durch Volks- oder Senatsbeschluss, bald durch
Vereinbarung der Beamten oder durch das Los erfolgt war, ging ueber an den
Monarchen; und indem die Konsuln haeufig veranlasst wurden, vor Ende des Jahres
abzudanken und nachgewaehlten Konsuln (consules suffecti) Platz zu machen,
ferner die Zahl der jaehrlich ernannten Praetoren von acht auf sechzehn erhoeht
und dem Imperator die Ernennung der Haelfte derselben in aehnlicher Art wie die
der Haelfte der Quaestoren uebertragen ward, endlich demselben das Recht
reserviert blieb, zwar nicht Titularkonsuln, aber doch Titularpraetoren wie
Titularquaestoren zu ernennen, sicherte Caesar sich fuer die Besetzung der
Statthalterschaften eine hinreichende Zahl ihm genehmer Kandidaten. Die
Abberufung blieb natuerlich dem Ermessen des Regenten anheimgestellt, ebenso wie
die Ernennung; als Regel wurde angenommen, dass der konsularische Statthalter
nicht ueber zwei, der praetorische nicht ueber ein Jahr in der Provinz bleiben
solle. Was endlich die Verwaltung der Haupt- und Residenzstadt anlangt, so
beabsichtigte der Imperator eine Zeitlang offenbar, auch diese in aehnlicher
Weise von ihm ernannten Beamten anzuvertrauen. Er rief die alte
Stadtverweserschaft der Koenigszeit wieder ins Leben; zu verschiedenen Malen
uebertrug er waehrend seiner Abwesenheit die Verwaltung der Hauptstadt einem
oder mehreren solchen von ihm ohne Befragen des Volkes und auf unbestimmte Zeit
ernannten Stellvertretern, welche die Geschaefte der saemtlichen
Verwaltungsbeamten in sich vereinigten und sogar das Recht besassen, mit eigenem
Namen, obwohl natuerlich nicht mit eigenem Bilde, Muenze zu schlagen. In dem
Jahre 707 (47) und in den ersten neun Monaten des Jahres 709 (45) gab es ferner
weder Praetoren noch kurulische Aedilen noch Quaestoren; auch die Konsuln wurden
in jenem Jahre erst gegen das Ende ernannt, und in diesem war gar Caesar Konsul
ohne Kollegen. Es sieht dies ganz aus wie ein Versuch, die alte koenigliche
Gewalt auch innerhalb der Stadt Rom, bis auf die durch die demokratische
Vergangenheit des neuen Monarchen gebotenen Beschraenkungen, vollstaendig zu
erneuern, also von Beamten, ausser dem Koenig selbst, nur den Stadtpraefekten
waehrend des Koenigs Abwesenheit und die zum Schutz der Volksfreiheit bestellten
Tribunen und Volksaedilen bestehen zu lassen, aber das Konsulat, die Zensur, die
Praetur, die kurulische Aedilitaet und die Quaestur wiederabzuschaffen ^15.
Indes ging Caesar hiervon spaeter wieder ab: weder nahm er selbst den
Koenigstitel an, noch tilgte er jene ehrwuerdigen, mit der glorreichen
Geschichte der Republik verwachsenen Namen. Den Konsuln, Praetoren, Aedilen,
Tribunen und Quaestoren blieb im wesentlichen ihre bisherige formelle Kompetenz,
allein ihre Stellung ward dennoch gaenzlich umgewandelt. Es war der politische
Grundgedanke der Republik, dass das Roemische Reich in der Stadt Rom aufgehe,
und deshalb waren konsequent die hauptstaedtischen Munizipal- durchaus als
Reichsbeamte behandelt worden. In Caesars Monarchie fiel mit jener Auffassung
auch diese Folge weg; die Beamten Roms bildeten fortan nur die erste unter den
vielen Reichsmunizipalitaeten, und namentlich das Konsulat ward ein reiner
Titularposten, der nur durch die daran geknuepfte Expektanz einer hoeheren
Statthalterschaft eine gewisse praktische Bedeutung bewahrte. Das Schicksal, das
die roemische Gemeinde den unterworfenen zu bereiten gewohnt gewesen, widerfuhr
durch Caesar ihr selber: ihre Souveraenitaet ueber das Roemische Reich
verwandelte sich in eine beschraenkte Kommunalfreiheit innerhalb des roemischen
Staates. Dass zugleich die Zahl der Praetoren und Quaestoren verdoppelt ward,
wurde schon erwaehnt; das gleiche geschah hinsichtlich der Volksaedilen, zu
denen zwei neue "Getreideaedilen" (aediles Ceriales) zur Ueberwachung der
hauptstaedtischen Zufuhr hinzukamen. Die Besetzung dieser Aemter blieb der
Gemeinde und ward hinsichtlich der Konsuln, vielleicht auch der Volkstribune und
der Volksaedilen, nicht beschraenkt; dass fuer die Haelfte der jaehrlich zu
ernennenden Praetoren, kurulischen Aedilen und Quaestoren der Imperator ein die
Waehler bindendes Vorschlagsrecht erhielt, ward in der Hauptsache schon
erwaehnt. Ueberhaupt wurden die altheiligen Palladien der Volksfreiheit nicht
angetastet; was natuerlich nicht hinderte, gegen den einzelnen aufsaetzigen
Volkstribun ernstlich einzuschreiten, ja ihn abzusetzen und von der Liste der
Senatoren zu streichen. Indem also der Imperator fuer die allgemeineren und
wichtigeren Fragen sein eigener Minister war; indem er die Finanzen durch seine
Bedienten, das Heer durch seine Adjutanten beherrschte; indem die alten
republikanischen Staatsaemter wieder in Gemeindeaemter der Stadt Rom umgewandelt
waren, war die Autokratie hinreichend begruendet.
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^15 Daher denn auch die vorsichtigen Wendungen bei Erwaehnung dieser Aemter
in Caesars Gesetzen: cum censor aliusve quis magistratus Romae populi censum
aget (Lex Iul. munic., Z. 144); praetor isve quei Romae iure deicundo praerit
(Lex Rubr. oft); quaestor urbanes queive aerario praerit (Lex Iul. munic., Z. 37
u. oe.).
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In der geistlichen Hierarchie dagegen hat Caesar, obwohl er auch ueber
diesen Teil des Staatshaushalts ein ausfuehrliches Gesetz erliess, nichts
Wesentliches geneuert, ausser dass er das Oberpontifikat und vielleicht die
Mitgliedschaft der hoeheren Priesterkollegien ueberhaupt mit der Person des
Regenten verknuepfte; womit es teilweise zusammenhaengt, dass in den drei
hoechsten Kollegien je eine, in dem vierten der Schmausherren drei neue Stellen
geschaffen wurden. Hatte die roemische Staatskirche bisher der herrschenden
Oligarchie zur Stuetze gedient, so konnte sie ebendenselben Dienst auch der
neuen Monarchie leisten. Die konservative Religionspolitik des Senats ging ueber
auf die neuen Koenige von Rom; als der streng konservative Varro um diese Zeit
seine 'Altertuemer der goettlichen Dinge', das Haupt- und Grundbuch der
roemischen Staatstheologie, bekannt machte, durfte er dieselben dem Oberpontifex
Caesar zueignen. Der matte Glanz, den der Joviskult noch zu geben vermochte,
umfloss den neugegruendeten Thron, und der alte Landesglaube ward in seinen
letzten Stadien das Werkzeug eines freilich von Haus aus hohlen und
schwaechlichen Caesaropapismus.
Im Gerichtswesen ward zunaechst die alte koenigliche Gerichtsbarkeit
wiederhergestellt. Wie der Koenig urspruenglich in Kriminal- und Zivilsachen
Richter gewesen war, ohne in jenen an die Gnadeninstanz des Volkes, in diesen an
die Ueberweisung der Entscheidung der streitigen Frage an Geschworene rechtlich
gebunden zu sein: so nahm auch Caesar das Recht in Anspruch, Blutgerichte wie
Privatprozesse zu alleiniger und endgueltiger Entscheidung an sich zu ziehen und
sie im Falle seiner Anwesenheit selbst, im Fall seiner Abwesenheit durch den
Stadtverweser zu erledigen. In der Tat finden wir ihn, ganz nach der Weise der
alten Koenige, teils oeffentlich auf dem Markte der Hauptstadt zu Gericht sitzen
ueber des Hochverrats angeklagte roemische Buerger, teils in seinem Hause
Gericht halten ueber die des gleichen Vergehens beschuldigten Klientelfuersten;
so dass das Vorrecht, das die roemischen Buerger vor den uebrigen Untertanen des
Koenigs voraus hatten, allein in der Oeffentlichkeit der Gerichtsverhandlung
bestanden zu haben scheint. Indes dieses wiedererweckte koenigliche
Oberrichtertum konnte, wenngleich Caesar mit Unparteilichkeit und Sorgfalt sich
demselben unterzog, doch der Natur der Sache nach tatsaechlich nur in
Ausnahmefaellen zur Anwendung kommen. Fuer den gewoehnlichen Rechtsgang in
Kriminal- und Zivilsachen blieb daneben die bisherige republikanische
Rechtspflege im wesentlichen bestehen. Die Kriminalsachen fanden nach wie vor
ihre Erledigung vor den verschiedener, fuer die einzelnen Verbrechen kompetenten
Geschworenenkommissionen, die Zivilsachen teils vor dem Erbschafts- oder dem
sogenannten "Hundertmaennergericht", teils vor den Einzelgeschworenen; die
Leitung der Gerichte ward, wie bisher, in der Hauptstadt hauptsaechlich von den
Praetoren, in den Provinzen von den Statthaltern beschafft. Auch die politischen
Verbrechen blieben selbst unter der Monarchie einer Geschworenenkommission
ueberwiesen; die neue Ordnung, die Caesar fuer dieselbe erliess, spezifizierte
die gesetzlich strafbaren Handlungen genau und in liberaler, jede
Gesinnungsverfolgung ausschliessender Weise und setzte als Strafe nicht den Tod
fest, sondern die Verbannung. Hinsichtlich der Auswahl der Geschworenen, die die
Senatorenpartei ausschliesslich aus dem Senat, die strengen Gracchaner
ausschliesslich aus dem Ritterstand erkoren wissen wollten, liess Caesar, getreu
dem Grundsatz der Versoehnung der Parteien, es bei dem Transaktionsgesetze
Cottas, jedoch mit der wahrscheinlich schon durch das Gesetz des Pompeius vom
Jahre 699 (55) vorbereiteten Modifikation, dass die aus den unteren Schichten
des Volkes hervorgegangenen Aerartribunen beseitigt, damit also ein
Geschworenenzensus von mindestens 400000 Sesterzen (30000 Taler) festgesetzt
ward, und Senatoren und Ritter in die Geschworenenfunktionen, die so lange der
Zankapfel zwischen ihnen gewesen waren, jetzt sich teilten.
Das Verhaeltnis der koeniglichen und der republikanischen Gerichtsbarkeit
war im ganzen konkurrierender Art, so dass jede Sache sowohl vor dem
Koenigsgericht als vor dem beikommenden republikanischen Gerichtshof anhaengig
gemacht werden konnte, wobei im Kollisionsfall natuerlich der letztere
zurueckstand; wenn dagegen das eine oder das andere Gericht den Spruch gefaellt
hatte, die Sache damit endgueltig erledigt war.
Zur Umstossung eines in einer Zivil- oder in einer Kriminalsache von den
berufenen Geschworenen gefaellten Verdikts war auch der neue Herrscher nicht
befugt, ausgenommen wo besondere Momente, zum Beispiel Bestechung oder Gewalt,
schon nach dem Recht der Republik die Kassation des Geschworenenspruchs
herbeifuehrten. Dagegen erhielt der Satz, dass wegen eines jeden bloss
magistratischen Dekrets der dadurch Beschwerte an den Vorgesetzten des
Dezernenten zu appellieren befugt sei, wahrscheinlich schon jetzt die grosse
Ausdehnung, aus der die spaetere kaiserliche Appellationsinstanz hervorgegangen
ist: es wurden vielleicht saemtliche rechtsprechende Magistrate, mindestens aber
die Statthalter der saemtlichen Provinzen insofern als Unterbeamte des
Herrschers angesehen, dass von jedem ihrer Dekrete Berufung an denselben
eingelegt werden konnte.
Allerdings haben diese Neuerungen, von denen die wichtigste, die
Generalisierung der Appellation, nicht einmal unbedingt zu den Besserungen
gezaehlt werden kann, die Schaeden, an denen die roemische Rechtspflege
daniederlag, keineswegs ausgeheilt. Der Kriminalprozess kann in keinem
Sklavenstaat gesund sein, da das Verfahren gegen Sklaven wenn nicht rechtlich,
doch tatsaechlich in der Hand des Herrn liegt. Der roemische Herr ahndete
begreiflicherweise das Verbrechen seines Knechts durchgaengig nicht als solches,
sondern nur insofern es den Sklaven ihm unbrauchbar oder unangenehm machte; die
Verbrechersklaven wurden eben nur ausrangiert, etwa wie die stoessigen Ochsen,
und, wie diese an den Schlaechter, so jene in die Fechtbude verkauft. Aber auch
der Kriminalprozess gegen Freie, der von Haus aus politischer Prozess gewesen
und zum guten Teil immer geblieben war, hatte in dem wuesten Treiben der letzten
Generationen aus einem ernstlichen Rechtshandel sich umgewandelt in eine mit
Gunst, Geld und Gewalt zu schlagende Cliquenschlacht. Die Schuld lag an allen
Beteiligten zugleich, an den Beamten, der Jury, den Parteien, sogar dem
Zuschauerpublikum; aber die unheilbarsten Wunden schlug dem Rechte das Treiben
der Advokaten. Indem die Schmarotzerpflanze der roemischen Advokatenberedsamkeit
gedieh, wurden alle positiven Rechtsbegriffe zersetzt und der dem Publikum so
schwer einleuchtende Unterschied zwischen Meinung und Beweis aus der roemischen
Kriminalpraxis recht eigentlich ausgetrieben. "Ein recht schlechter
Angeklagter", sagt ein vielerfahrener roemischer Advokat dieser Zeit, "kann auf
jedes beliebige Verbrechen, das er begangen oder nicht begangen hat, angeklagt
werden und wird sicher verurteilt." Es sind aus dieser Epoche zahlreiche
Plaedoyers in Kriminalsachen erhalten; kaum eines ist darunter, das auch nur
ernstlich versuchte, das fragliche Verbrechen zu fixieren und den Beweis oder
Gegenbeweis zu formulieren ^16. Dass der gleichzeitige Zivilprozess ebenfalls
vielfach ungesund war, bedarf kaum der Erwaehnung; auch er litt unter den Folgen
der in alles sich mengenden Parteipolitik, wie denn zum Beispiel in dem Prozess
des Publius Quinctius (671-673 83-81) die widersprechendsten Entscheidungen
fielen, je nachdem Cinna oder Sulla in Rom die Oberhand hatte; und die Anwaelte,
haeufig Nichtjuristen, stifteten auch hier absichtlich und unabsichtlich
Verwirrung genug. Aber es lag doch in der Natur der Sache, dass teils die Partei
hier nur ausnahmsweise sich einmengte, teils die Advokatenrabulistik nicht so
rasch und nicht so tief die Rechtsbegriffe aufzuloesen vermochte; wie denn auch
die Zivilplaedoyers, die wir aus dieser Epoche besitzen, zwar nicht nach unseren
strengeren Begriffen gute Advokatenschriften, aber doch weit weniger
libellistischen und weit mehr juristischen Inhalts sind als die gleichzeitigen
Kriminalreden. Wenn Caesar der Advokatenberedsamkeit den von Pompeius ihr
angelegten Maulkorb liess oder gar ihn noch verschaerfte, war damit wenigstens
nichts verloren; und viel war gewonnen, wenn besser gewaehlte und besser
beaufsichtigte Beamte und Geschworene ernannt wurden und die handgreifliche
Bestechung und Einschuechterung der Gerichte ein Ende nahm. Aber das heilige
Rechtsgefuehl und die Ehrfurcht vor dem Gesetz, schwer in den Gemuetern der
Menge zu zerruetten, sind schwerer noch wiederzuerzeugen. Wie auch der
Gesetzgeber mannigfaltigen Missbrauch abstellte, den Grundschaden vermochte er
nicht zu heilen; und man durfte zweifeln, ob die Zeit, die alles Heilbare heilt,
hier Hilfe bringen werde.
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^16 "Weit oefter", sagt Cicero in seiner Anweisung zur Redekunst (De orat.
2, 42, 178), zunaechst in Beziehung auf den Kriminalprozess, "bestimmen
Abneigung oder Zuneigung oder Parteilichkeit oder Erbitterung oder Schmerz oder
Freude oder Hoffnung oder Furcht oder Taeuschung oder ueberhaupt eine
Leidenschaft den Wahrspruch der Leute als der Beweis oder die Vorschrift oder
eine Rechtsregel oder die Prozessinstruktion oder die Gesetze." Darauf wird denn
die weitere Unterweisung fuer den angehenden Sachwalter begruendet.
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Das roemische Heerwesen dieser Zeit war ungefaehr in derselben Verfassung
wie das karthagische zur Zeit Hannibals. Die regierenden Klassen sendeten nur
noch die Offiziere; die Untertanenschaft, Plebejer und Provinzialen, bildeten
das Heer. Der Feldherr war von der Zentralregierung finanziell und militaerisch
fast unabhaengig und im Glueck wie im Unglueck wesentlich auf sich selbst und
auf die Hilfsquellen seines Sprengels angewiesen. Buerger- und sogar
Nationalsinn waren aus dem Heere verschwunden und als innerliches Band einzig
der Korpsgeist uebriggeblieben. Die Armee hatte aufgehoert ein Werkzeug des
Gemeinwesens zu sein; politisch hatte sie einen eigenen Willen nicht, wohl aber
vermochte sie den des Werkmeisters sich anzueignen; militaerisch sank sie unter
den gewoehnlichen elenden Fuehrern zu einer aufgeloesten, unbrauchbaren Rotte
herab, entwickelte aber auch unter dem rechten Feldherrn sich zu einer dem
Buergerheer unerreichbaren militaerischen Vollkommenheit. Der Offiziersstand vor
allem war im tiefsten Verfall. Die hoeheren Staende, Senatoren und Ritter
entwoehnten immer mehr sich der Waffen. Wenn man sonst um die
Stabsoffizierstellen eifrig geworben hatte, so war jetzt jeder Mann von
Ritterrang, welcher dienen mochte, einer Kriegstribunenstelle sicher und schon
mussten manche dieser Posten mit Maennern niedrigeren Standes besetzt werden;
wer aber ueberhaupt von den Vornehmen noch diente, suchte wenigstens seine
Dienstzeit in Sizilien oder einer anderen Provinz abzutun, wo man sicher war,
nicht vor den Feind zu kommen. Offiziere von gewoehnlicher Bravour und
Brauchbarkeit wurden wie Meerwunder angestaunt; wie denn namentlich mit Pompeius
seine Zeitgenossen eine sie in jeder Hinsicht kompromittierende militaerische
Vergoetterung trieben. Zum Ausreissen wie zur Meuterei gab in der Regel der Stab
das Signal; trotz der straeflichen Nachsicht der Kommandierenden waren Antraege
auf Kassation vornehmer Offiziere alltaegliche Vorfaelle. Noch besitzen wir das
von Caesars eigener Hand nicht ohne Ironie gezeichnete Bild, wie in seinem
eigenen Hauptquartier, als es gegen Ariovist gehen sollte, geflucht und geweint
und an Testamenten und sogar an Urlaubsgesuchen gearbeitet ward. In der
Soldatenschaft war von den besseren Staenden keine Spur mehr zu entdecken.
Gesetzlich bestand die allgemeine Wehrpflicht noch, allein die Aushebung
erfolgte, wenn es neben der Anwerbung dazu kam, in regelloser Weise; zahlreiche
Pflichtige wurden uebergangen und die einmal Eingetretenen dreissig Jahre und
laenger bei den Adlern festgehalten. Die roemische Buergerreiterei vegetierte
nur noch als eine Art berittener Nobelgarde, deren salbenduftende Kavaliere und
ausgesuchte Luxuspferde einzig bei den hauptstaedtischen Festen eine Rolle
spielten; das sogenannte Buergerfussvolk war eine aus den niedrigsten Schichten
der Buergerbevoelkerung zusammengeraffte Lanzknechttruppe; die Untertanen
stellten die Reiterei und die leichten Truppen ausschliesslich und fingen an,
auch im Fussvolk immer staerker mitverwendet zu werden. Die Rottenfuehrerstellen
in den Legionen, auf denen bei der damaligen Kriegfuehrung die Tuechtigkeit der
Abteilungen wesentlich beruhte und zu denen nach der nationalen Kriegsverfassung
der Soldat mit der Pike sich empordiente, wurden jetzt nicht bloss regelmaessig
nach Gunst vergeben, sondern sogar nicht selten an den Meistbietenden verkauft.
Die Zahlung des Soldes erfolgte bei der schlechten Finanzwirtschaft der
Regierung und der Feilheit und Betruegerei der grossen Majoritaet der Beamten
hoechst mangelhaft und unregelmaessig.
Die notwendige Folge hiervon war, dass im gewoehnlichen Laufe der Dinge die
roemischen Armeen die Provinzen ausraubten, gegen die Offiziere meuterten und
vor dem Feinde davonliefen; es kam vor, dass betraechtliche Heere, wie das
makedonische des Piso im Jahre 697 (57), ohne eigentliche Niederlage, bloss
durch diese Misswirtschaft vollstaendig ruiniert wurden. Faehige Fuehrer
dagegen, wie Pompeius, Caesar, Gabinius, bildeten wohl aus dem vorhandenen
Material tuechtige und schlagfertige, zum Teil musterhafte Armeen; allein es
gehoerten diese Armeen viel mehr ihrem Heerfuehrer als dem Gemeinwesen. Der noch
weit vollstaendigere Verfall der roemischen Marine, die zu allem andern den
Roemern antipathisch geblieben und nie voellig nationalisiert worden war, bedarf
kaum der Erwaehnung. Es war eben auch hier nach allen Seiten hin unter dem
oligarchischen Regiment ruiniert worden, was ueberhaupt ruiniert werden konnte.
Caesars Reorganisation des roemischen Militaerwesens beschraenkte sich im
wesentlichen darauf, die unter der bisherigen schlaffen und unfaehigen
Oberleitung gelockerten Zuegel der Disziplin wieder straff und fest anzuziehen.
Einer radikalen Reform schien ihm das roemische Heerwesen entweder nicht
beduerftig oder auch nicht faehig; die Elemente der Armee akzeptierte er,
ebenwie Hannibal sie akzeptiert hatte. Die Bestimmung seiner Gemeindeordnung,
dass, um vor dem dreissigsten Jahre ein Gemeindeamt zu bekleiden oder im
Gemeinderat zu sitzen, ein dreijaehriger Dienst zu Pferde - das heisst als
Offizier - oder ein sechsjaehriger zu Fuss erforderlich sei, beweist wohl, dass
er die besseren Staende in das Heer zu ziehen wuenschte, aber ebenso deutlich
auch, dass bei dem immer mehr einreissenden unkriegerischen Geist der Nation er
selbst es nicht mehr fuer moeglich hielt, die Bekleidung eines Ehrenamtes an die
Ueberstehung der Dienstzeit unbedingt wie ehedem zu knuepfen. Ebendaraus wird es
sich erklaeren, dass Caesar keinen Versuch gemacht hat, die roemische
Buergerreiterei wiederherzustellen. Die Aushebung ward besser geordnet, die
Dienstzeit geregelt und abgekuerzt; uebrigens blieb es dabei, dass die
Linieninfanterie vorwiegend aus den niederen Staenden der roemischen
Buergerschaft, die Reiterei und die leichte Infanterie aus der Untertanenschaft
ausgehoben ward - dass fuer die Reorganisation der Kriegsflotte nichts geschah,
ist auffallend. Eine ohne Zweifel ihrem Urheber selbst bedenkliche Neuerung, zu
der die Unzuverlaessigkeit der Untertanenreiterei zwang, war es, dass Caesar
zuerst von dem altroemischen System abwich, niemals mit Soeldnern zu fechten,
und in die Reiterei gemietete Auslaender, namentlich Deutsche, einstellte. Eine
andere Neuerung war die Einsetzung der Legionsadjutanten (legati legionis). Bis
dahin hatten die teils von der Buergerschaft, teils von dem betreffenden
Statthalter ernannten Kriegstribune in der Art die Legionen gefuehrt, dass jeder
derselben je sechs vorgesetzt waren und unter diesen das Kommando wechselte;
einen Einzelkommandanten der Legion bestellte nur voruebergehend und
ausserordentlicherweise der Feldherr. In spaeterer Zeit dagegen erscheinen jene
Legionsobersten oder Legionsadjutanten teils als eine bleibende und organische
Institution, teils als ernannt nicht mehr von dem Statthalter, dem sie
gehorchen, sondern von dem Oberkommando in Rom; beides scheint auf Caesars an
das Gabinische Gesetz anknuepfende Einrichtungen zurueckzugehen. Der Grund der
Einfuehrung dieser wichtigen Zwischenstufe in die militaerische Hierarchie wird
teils in dem Beduerfnis einer energischen Zentralisierung des Kommandos, teils
in dem fuehlbaren Mangel an faehigen Oberoffizieren, teils und vor allem in der
Absicht zu suchen sein, durch Zuordnung eines oder mehrerer vom Imperator
ernannten Obersten dem Statthalter ein Gegengewicht zu geben. Die wesentlichste
Veraenderung im Heerwesen bestand in der Aufstellung eines bleibenden
Kriegshauptes in dem Imperator, welcher anstatt des bisherigen unmilitaerischen
und in jeder Beziehung unfaehigen Regierungskollegiums das gesamte Armeeregiment
in seinen Haenden vereinigte und dasselbe also aus einer meist bloss nominellen
Direktion in ein wirkliches und energisches Oberkommando umschuf. Wir sind nicht
gehoerig darueber unterrichtet, in welcher Weise dies Oberkommando sich zu den
bis dahin in ihren Sprengeln allmaechtigen Spezialkommandos stellte.
Wahrscheinlich lag dabei im allgemeinen die Analogie des zwischen dem Praetor
und dem Konsul oder auch dem Konsul und dem Diktator obwaltenden Verhaeltnisses
zu Grunde, so dass der Statthalter zwar an sich die hoechste militaerische
Gewalt in seinem Sprengel behielt, aber der Imperator in jedem Augenblick
dieselbe ihm ab und sie fuer sich oder seine Beauftragten zu nehmen befugt war
und dass, waehrend die Gewalt des Statthalters auf den Sprengel beschraenkt war,
die des Imperators wieder, wie die koenigliche und die aeltere konsularische,
sich ueber das gesamte Reich erstreckte. Ferner ist hoechst wahrscheinlich schon
jetzt die Ernennung der Offiziere, sowohl der Kriegstribune als der Centurionen,
soweit sie bisher dem Statthalter zugestanden ^17, ebenso wie die Ernennung der
neuen Legionsadjutanten unmittelbar an den Imperator gekommen und ebenso moegen
schon jetzt die Anordnung der Aushebungen, die Abschiedserteilung, die
wichtigeren Kriminalfaelle an das Oberkommando gezogen worden sein. Bei dieser
Beschraenkung der Kompetenz der Statthalter und bei der regulierten Kontrolle
des Imperators war fernerhin nicht leicht, weder eine voellige Verwahrlosung der
Armeen noch eine Umwandlung derselben in persoenliche Gefolgschaften der
einzelnen Offiziere zu befuerchten. Indes, so entschieden auch die Verhaeltnisse
zur Militaermonarchie hindraengten und so bestimmt Caesar das Oberkommando
ausschliesslich fuer sich nahm, war er dennoch keineswegs gesonnen, seine Gewalt
durch und auf das Heer zu begruenden. Er hielt zwar eine stehende Armee
notwendig fuer seinen Staat, aber nur, weil derselbe seiner geographischen Lage
nach einer umfassenden Grenzregulierung und stehender Grenzbesatzungen bedurfte.
Teils in frueheren Epochen, teils waehrend des letzten Buergerkrieges hatte er
an Spaniens Befriedigung gearbeitet und in Afrika laengs der grossen Wueste, im
Nordwesten des Reiches an der Rheinlinie feste Stellungen fuer die
Grenzverteidigung eingerichtet. Mit aehnlichen Plaenen beschaeftigte er sich
fuer die Landschaften am Euphrat und an der Donau. Vor allen Dingen gedachte er
gegen die Parther zu ziehen und den Tag von Karrhae zu raechen; er hatte drei
Jahre fuer diesen Krieg bestimmt und war entschlossen, mit diesen gefaehrlichen
Feinden ein fuer allemal und ebenso vorsichtig wie gruendlich abzurechnen.
Ebenso hatte er den Plan entworfen, den zu beiden Seiten der Donau gewaltig um
sich greifenden Getenkoenig Burebistas anzugreifen und auch im Nordosten Italien
durch aehnliche Marken zu schuetzen, wie er sie ihm im Keltenland geschaffen.
Dagegen liegen durchaus keine Beweise dafuer vor, dass Caesar gleich Alexander
einen Siegeslauf in die unendliche Ferne im Sinn hatte; es wird wohl erzaehlt,
dass er von Parthien aus an das Kaspische und von diesem an das Schwarze Meer,
sodann an dem Nordufer desselben bis zur Donau zu ziehen, ganz Skythien und
Germanien bis an den - nach damaliger Vorstellung vom Mittelmeer nicht allzu
fernen - noerdlichen Ozean zum Reiche zu bringen und durch Gallien heimzukehren
beabsichtigt habe; allein keine irgend glaubwuerdige Autoritaet verbuergt die
Existenz dieser fabulosen Projekte. Bei einem Staat, der, wie der roemische
Caesars, bereits eine schwer zu bewaeltigende Masse barbarischer Elemente in
sich schloss und mit deren Assimilierung noch auf Jahrhunderte hinaus mehr als
genug zu tun hatte, waeren solche Eroberungen, auch ihre militaerische
Ausfuehrbarkeit angenommen, doch nichts gewesen als noch weit glaenzendere und
noch weit schlimmere Fehler als die indische Heerfahrt Alexanders. Sowohl nach
Caesars Verfahren in Britannien und Deutschland wie nach dem Verhalten
derjenigen, die die Erben seiner politischen Gedanken wurden, ist es in hohem
Grade wahrscheinlich, dass Caesar, mit Scipio Aemilianus, die Goetter nicht
anrief, das Reich zu mehren, sondern es zu erhalten, und dass seine
Eroberungsplaene sich beschraenkten auf eine, freilich nach seinem grossartigen
Massstab bemessene, Grenzregulierung, welche die Euphratlinie sichern und
anstatt der voellig schwankenden und militaerisch nichtigen nordoestlichen
Reichsgrenze die Donaulinie feststellen und verteidigungsfaehig machen sollte.
Indes wenn es nur wahrscheinlich bleibt, dass Caesar nicht in dem Sinne als
Welteroberer bezeichnet werden darf wie Alexander und Napoleon, so ist das
vollkommen gewiss, dass er seine neue Monarchie nicht zunaechst auf die Armee zu
stuetzen, ueberhaupt nicht die militaerische Gewalt ueber die buergerliche zu
setzen, sondern sie dem buergerlichen Gemeinwesen ein- und soweit moeglich
unterzuordnen gedachte. Die unschaetzbaren Stuetzen eines Soldatenstaates, jene
alten vielgefeierten gallischen Legionen, wurden eben wegen ihres mit einem
buergerlichen Gemeinwesen unvertraeglichen Korpsgeistes in ehrenvoller Weise
annulliert und ihre ruhmvollen Namen pflanzten nur sich fort in neugegruendeten
staedtischen Gemeinden. Die von Caesar bei der Entlassung mit Landlosen
beschenkten Soldaten wurden nicht wie die Sullas in eigenen Kolonien gleichsam
militaerisch zusammengesiedelt, sondern, namentlich soweit sie in Italien
ansaessig wurden, moeglichst vereinzelt und durch die ganze Halbinsel zerstreut;
nur war es freilich nicht zu vermeiden, dass auf den zur Verfuegung gebliebenen
Teilen des kampanischen Ackers die alten Soldaten Caesars dennoch in Masse sich
zusammenfanden. Der schwierigen Aufgabe, die Soldaten einer stehenden Armee
innerhalb der Kreise des buergerlichen Lebens zu halten, suchte Caesar zu
genuegen teils durch Festhaltung der bisherigen nur gewisse Dienstjahre, nicht
aber einen eigentlich stehenden, das heisst durch keine Entlassung
unterbrochenen Dienst vorschreibenden Ordnung, teils durch die schon erwaehnte
Verkuerzung der Dienstzeit, welche einen rascheren Wechsel des Soldatenpersonals
herbeifuehrte, teils durch regelmaessige Ansiedlung der ausgedienten Soldaten
als Ackerkolonisten, teils und vornehmlich dadurch, dass die Armee von Italien
und ueberhaupt von den eigentlichen Sitzen des buergerlichen und politischen
Lebens der Nation ferngehalten und der Soldat dahin gewiesen ward, wo er nach
der Meinung des grossen Koenigs allein an seinem Platze war: in die
Grenzstationen zur Abwehr des auswaertigen Feindes. Das rechte Kriterium des
Militaerstaates, die Entwicklung und Bevorzugung der Gardetruppe, findet
ebenfalls bei Caesar sich nicht. Obwohl in der aktiven Armee das Institut einer
besonderen Leibwache des Feldherrn bereits seit langem bestand, so tritt diese
doch in Caesars Heerfuehrung vollstaendig in den Hintergrund; seine praetorische
Kohorte scheint wesentlich nur aus Ordonnanzoffizieren oder nichtmilitaerischen
Begleitern bestanden zu haben und niemals ein eigentliches Elitenkorps, also
auch niemals Gegenstand der Eifersucht der Linientruppen gewesen zu sein. Wenn
Caesar schon als Feldherr die Leibwache tatsaechlich fallen liess, so duldete er
um so weniger als Koenig eine Garde um sich. Obwohl bestaendig, und ihm wohl
bewusst, von Moerdern umschlichen, wies er dennoch den Antrag des Senats auf
Errichtung einer Nobelgarde zurueck, entliess, sowie die Dinge einigermassen
sich beruhigten, die spanische Eskorte, deren er in der ersten Zeit in der
Hauptstadt sich bedient hatte, und begnuegte sich mit dem Gefolge von
Gerichtsdienern, wie es fuer die roemischen Oberbeamten hergebracht war. Wie
viel auch Caesar von dem Gedanken seiner Partei und seiner Jugend, ein
perikleisches Regiment in Rom nicht kraft des Saebels, sondern kraft des
Vertrauens der Nation zu begruenden, im Kampfe mit den Realitaeten hatte muessen
fallen lassen - den Grundgedanken, keine Militaermonarchie zu stiften, hielt er
auch jetzt noch mit einer Energie fest, zu der die Geschichte kaum eine
Parallele darbietet. Allerdings war auch dies ein unausfuehrbares Ideal - es war
die einzige Illusion, in der das sehnsuechtige Verlangen in diesem starken
Geiste maechtiger war als der klare Verstand. Ein Regiment, wie es Caesar im
Sinne trug, war nicht bloss notwendig hoechst persoenlicher Natur und musste mit
dem Tode des Urhebers ebenso zugrunde gehen wie die verwandten Schoepfungen
Perikles' und Cromwells mit dem Tode ihrer Stifter; sondern bei dem tief
zerruetteten Zustand der Nation war es nicht einmal glaublich, dass es dem
achten Koenig von Rom auch nur fuer seine Lebenszeit gelingen werde, so wie
seine sieben Vorgaenger seine Mitbuerger bloss kraft Gesetz und Recht zu
beherrschen, und ebensowenig wahrscheinlich, dass es ihm gelingen werde, das
stehende Heer, nachdem es im letzten Buergerkrieg seine Macht kennengelernt und
die Scheu verlernt hatte, wieder als dienendes Glied in die buergerliche Ordnung
einzufuegen. Wer kaltbluetig erwog, bis zu welchem Grade die Furcht vor dem
Gesetz aus den untersten wie aus den obersten Schichten der Gesellschaft
entwichen war, dem musste die erstere Hoffnung vielmehr ein Traum duenken; und
wenn mit der Marianischen Reform des Heerwesens der Soldat ueberhaupt aufgehoert
hat, Buerger zu sein, so zeigten die kampanische Meuterei und das Schlachtfeld
von Thapsus mit leidiger Deutlichkeit, in welcher Art jetzt die Armee dem
Gesetze ihren Arm lieh. Selbst der grosse Demokrat vermochte die Gewalten, die
er entfesselt hatte, nur muehsam und mangelhaft wieder zu baendigen; Tausende
von Schwertern flogen noch auf seinen Wink aus der Scheide, aber zurueck in die
Scheide kehrten sie schon nicht mehr auf seinen Wink. Das Verhaengnis ist
maechtiger als das Genie. Caesar wollte der Wiederhersteller des buergerlichen
Gemeinwesens werden und ward der Gruender der von ihm verabscheuten
Militaermonarchie; er stuerzte den Aristokraten- und Bankierstaat im Staate nur,
um an deren Platz den Soldatenstaat im Staate zu setzen, und das Gemeinwesen
blieb wie bisher tyrannisiert und exploitiert von einer privilegierten
Minoritaet. Aber dennoch ist es ein Privilegium der hoechsten Naturen, also
schoepferisch zu irren. Die genialen Versuche grosser Maenner, das Ideal zu
realisieren, wenn sie auch ihr Ziel nicht erreichen, bilden den besten Schatz
der Nationen. Es ist Caesars Werk, dass der roemische Militaerstaat erst nach
mehreren Jahrhunderten zum Polizeistaat ward und dass die roemischen
Imperatoren, wie wenig sie sonst auch dem grossen Begruender ihrer Herrschaft
glichen, doch den Soldaten wesentlich nicht gegen den Buerger verwandten,
sondern gegen den Feind, und Nation und Armee beide zu hoch achteten, um diese
zum Konstabler ueber jene zu setzen.
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^17 An die Ernennung eines Teiles der Kriegstribune durch die Buergerschaft
hat Caesar, auch hierin Demokrat, nicht geruehrt.
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Die Ordnung des Finanzwesens machte bei den soliden Grundlagen, die die
ungeheure Groesse des Reiches und der Ausschluss des Kreditsystems gewaehrten,
verhaeltnismaessig geringe Schwierigkeit. Wenn der Staat bisher in bestaendiger
Finanzverlegenheit sich befunden hatte, so war daran die Unzulaenglichkeit der
Staatseinnahmen am wenigsten schuld; vielmehr hatten diese eben in den letzten
Jahren sich ungemein vermehrt. Zu der aelteren Gesamteinnahme, die auf 200 Mill.
Sesterzen (15 Mill. Taler) angeschlagen wird, waren durch die Einrichtung der
Provinzen Bithynien-Pontus und Syrien 85 Mill. Sesterzen (6500000 Taler)
gekommen; welcher Zuwachs, nebst den sonstigen neueroeffneten oder gesteigerten
Einnahmequellen, namentlich durch den bestaendig steigenden Ertrag der
Luxusabgaben, den Verlust der kampanischen Pachtgelder weit ueberwog. Ausserdem
waren durch Lucullus, Metellus, Pompeius, Cato und andere
ausserordentlicherweise dem Staatsschatz ungeheure Summen zugeflossen. Die
Ursache der finanziellen Verlegenheiten lag vielmehr teils in den gesteigerten
ordentlichen und ausserordentlichen Ausgaben, teils in der geschaeftlichen
Verwirrung. Unter jenen nahm die Getreideverteilung an die hauptstaedtische
Menge fast unerschwingliche Summen in Anspruch: durch die von Cato 691 (63) ihr
gegebene Ausdehnung stieg die jaehrliche Ausgabe dafuer auf 30 Mill. Sesterzen
(2300000 Taler), und seit Abschaffung der bisher gezahlten Verguetung im Jahre
696 (58) verschlang dieselbe gar den fuenften Teil der Staatseinkuenfte. Auch
das Militaerbudget war gestiegen, seit zu den Besatzungen von Spanien,
Makedonien und den uebrigen Provinzen noch die von Kilikien, Syrien und Gallien
hinzukamen. Unter den ausserordentlichen Ausgaben sind in erster Linie die
grossen Kosten der Flottenruestungen zu nennen, wofuer zum Beispiel fuenf Jahre
nach der grossen Razzia von 687 (67) auf einmal 34 Mill. Sesterzen (2600000
Taler) verausgabt wurden. Dazu kamen die sehr ansehnlichen Summen, welche die
Kriegszuege und Kriegsvorbereitungen wegnahmen, wie denn bloss fuer Ausruestung
des makedonischen Heeres an Piso auf einmal 18 Mill. Sesterzen (1370000 Taler),
an Pompeius fuer die Unterhaltung und Besoldung der spanischen Armee gar
jaehrlich 24 Mill. Sesterzen (1826000 Taler) und aehnliche Summen an Caesar fuer
die gallischen Legionen gezahlt wurden. So betraechtlich aber auch diese
Ansprueche waren, die an die roemische Staatskasse gemacht wurden, so haette
dennoch dieselbe ihnen zu genuegen vermocht, wenn nicht ihre einst so
musterhafte Verwaltung von der allgemeinen Schlaffheit und Unehrlichkeit dieser
Zeit mitergriffen worden waere; oft stockten die Zahlungen des Aerars bloss
deshalb, weil man dessen ausstehende Forderungen einzumahnen versaeumte. Die
vorgesetzten Beamten, zwei von den Quaestoren, junge, jaehrlich gewechselte
Menschen, verhielten im besten Fall sich passiv; unter dem frueherhin seiner
Ehrenhaftigkeit wegen mit Recht hoch angesehenen Schreiber- und sonstigen
Bueropersonal waren jetzt, namentlich seit diese Posten kaeuflich geworden
waren, die aergsten Missbraeuche im Schwange.
Sowie indes die Faeden des roemischen Staatsfinanzwesens nicht mehr wie
bisher im Senat, sondern in Caesars Kabinett zusammenliefen, kam von selbst
neues Leben, strengere Ordnung und festerer Zusammenhang in alle Raeder und
Triebfedern dieser grossen Maschine. Die beiden von Gaius Gracchus herruehrenden
und Krebsschaeden gleich das roemische Finanzwesen zerfressenden Institutionen:
die Verpachtung der direkten Abgaben und die Getreideverteilungen, wurden teils
abgeschafft, teils umgestaltet. Caesar wollte nicht wie sein Vorlaeufer die
Nobilitaet durch die Bankieraristokratie und den hauptstaedtischen Poebel in
Schach halten, sondern sie beseitigen und das Gemeinwesen von saemtlichen
Parasiten hohen und niederen Ranges befreien; und darum ging er in diesen beiden
wichtigen Fragen nicht mit Gaius Gracchus, sondern mit dem Oligarchen Sulla. Das
Verpachtungssystem blieb fuer die indirekten Abgaben bestehen, bei denen es
uralt war und, bei der auch von Caesar unverbruechlich festgehaltenen Maxime der
roemischen Finanzverwaltung, die Abgabenerhebung um jeden Preis einfach und
uebersichtlich zu erhalten, schlechterdings nicht entbehrt werden konnte. Die
direkten Abgaben aber wurden fortan durchgaengig entweder, wie die afrikanischen
und sardinischen Korn- und Oellieferungen, behandelt als unmittelbar an den
Staat abzufuehrende Naturalleistungen, oder, wie die kleinasiatischen Gefaelle,
in feste Geldabgaben verwandelt und die Einziehung der Einzelbetraege den
Steuerdistrikten selbst ueberlassen. Die Kornverteilungen in der Hauptstadt
waren bisher als nutzbares Recht der herrschenden und, weil sie herrschte, von
den Untertanen zu speisenden Gemeinde angesehen worden. Dieser ehrlose Grundsatz
ward von Caesar beseitigt; aber es konnte nicht uebersehen werden, dass eine
Menge gaenzlich unvermoegender Buerger lediglich durch diese Speisungen vor dem
Verhungern geschuetzt worden war. In diesem Sinne hielt Caesar dieselben fest.
Hatte nach der Sempronischen, von Cato wiedererneuerten Ordnung jeder in Rom
angesessene roemische Buerger rechtlich Anspruch gehabt auf unentgeltliches
Brotkorn, so wurde diese Empfaengerliste, welche zuletzt bis auf 320000 Nummern
gestiegen war, durch Ausscheidung aller wohlhabenden oder anderweit versorgten
Individuen auf 150000 herabgebracht und diese Zahl als Maximalzahl der
Freikornstellen ein fuer allemal fixiert, zugleich eine jaehrliche Revision der
Liste angeordnet, um die durch Austritt oder Tod leergewordenen Plaetze mit den
beduerftigsten unter den Bewerbern wieder zu besetzen. Indem also das politische
Privilegium in eine Armenversorgung umgewandelt ward, trat ein in sittlicher wie
in geschichtlicher Hinsicht bemerkenswerter Satz zum erstenmal in lebendige
Wirksamkeit. Nur langsam und von Stufe zu Stufe ringt die buergerliche
Gesellschaft sich durch zu der Solidaritaet der Interessen; im frueheren
Altertum schuetzte der Staat die Seinigen wohl vor dem Landesfeind und dem
Moerder, aber er war nicht verpflichtet, durch Verabreichung der notwendigen
Subsistenzmittel den gaenzlich hilflosen Mitbuerger vor dem schlimmeren Feinde
des Mangels zu bewahren. Die attische Zivilisation ist es gewesen, die in der
Solonischen und nachsolonischen Gesetzgebung zuerst den Grundsatz entwickelt
hat, dass es Pflicht der Gemeinde ist, fuer ihre Invaliden, ja fuer ihre Armen
ueberhaupt zu sorgen; und zuerst Caesar hat, was in der beschraenkten Enge des
attischen Lebens Gemeindesache geblieben war, zu einer organischen
Staatsinstitution entwickelt und eine Einrichtung, die fuer den Staat eine Last
und eine Schmach war, umgeschaffen in die erste jener heute so unzaehlbaren wie
segensreichen Anstalten, in denen das unendliche menschliche Erbarmen mit dem
unendlichen menschlichen Elend ringt.
Ausser diesen prinzipiellen Reformen fand eine durchgaengige Revision des
Einnahme- und Ausgabewesens statt. Die ordentlichen Einnahmen wurden ueberall
reguliert und fixiert. Nicht wenigen Gemeinden, ja ganzen Landschaften ward, sei
es mittelbar durch Verleihung des roemischen oder latinischen Buergerrechts, sei
es unmittelbar durch Privilegium, die Steuerfreiheit bewilligt; so erhielten sie
zum Beispiel alle sizilischen ^18 Gemeinden auf jenem, die Stadt Ilion auf
diesem Wege. Noch groesser war die Zahl derjenigen, deren Steuerquantum
herabgesetzt ward; wie denn den Gemeinden im Jenseitigen Spanien schon nach
Caesars Statthalterschaft auf dessen Betrieb eine Steuerherabsetzung vom Senat
bewilligt worden war, und jetzt der am meisten gedrueckten Provinz Asia nicht
bloss die Hebung ihrer direkten Steuern erleichtert, sondern auch der dritte
Teil derselben ganz erlassen ward. Die neu hinzukommenden Abgaben, wie die der
in Illyrien unterworfenen und vor allem der gallischen Gemeinden, welche
letztere zusammen 40 Mill. Sesterzen (3 Mill. Taler) jaehrlich entrichteten,
waren durchgaengig niedrig gegriffen. Freilich ward dagegen auch einzelnen
Staedten, wie Klein-Leptis in Afrika, Sulci auf Sardinien und mehreren
spanischen Gemeinden, zur Strafe ihres Verhaltens waehrend des letzten Krieges
die Steuer erhoeht. Die sehr eintraeglichen, in den letzten Zeiten der Anarchie
abgeschafften italischen Hafenzoelle wurden um so mehr wiederhergestellt, als
diese Abgabe wesentlich die aus dem Osten eingehenden Luxuswaren traf. Zu diesen
neu- oder wiedereroeffneten ordentlichen Einnahmequellen kamen die Summen hinzu,
die ausserordentlicherweise, namentlich infolge des Buergerkrieges, an den
Sieger gelangten: die in Gallien gesammelte Beute; der hauptstaedtische
Kassenbestand; die aus den italischen und spanischen Tempeln entnommenen
Schaetze, die in Formen der Zwangsanleihe, des Zwangsgeschenkes oder der Busse
von den abhaengigen Gemeinden und Dynasten erhobenen Summen und die in
aehnlicher Weise durch Rechtsspruch oder auch bloss durch Zusendung des
Zahlungsbefehls einzelnen reichen Roemern auferlegten Strafgelder; vor allen
Dingen aber der Erloes aus dem Vermoegen der geschlagenen Gegner. Wie ergiebig
diese Einnahmequellen waren, mag man daraus abnehmen, dass allein die Busse der
afrikanischen Grosshaendler, die in dem Gegensenat gesessen, sich auf 100 Mill.
Sesterzen (7« Mill. Taler) und der von den Kaeufern des Vermoegens des Pompeius
gezahlte Preis auf 70 Mill. Sesterzen (5300000 Taler) belief. Dieses Verfahren
war notwendig, weil die Macht der geschlagenen Nobilitaet zum guten Teil auf
ihrem kolossalen Reichtum ruhte und nur dadurch wirksam gebrochen werden konnte,
dass ihr die Tragung der Kriegskosten auferlegt ward. Die Gehaessigkeit der
Konfiskationen aber ward einigermassen dadurch gemildert, dass Caesar ihren
Ertrag allein dem Staate zugute kommen liess und, statt in Sullas Weise seinen
Guenstlingen jeden Unterschleif nachzusehen, selbst von seinen treuesten
Anhaengern, zum Beispiel von Marcus Antonius, die Kaufgelder mit Strenge
beitrieb.
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^18 Den Wegfall der sizilischen Zehnten bezeugt Varro in einer nach Ciceros
Tode publizierten Schrift (rust. 2 praef.), indem er als die Kornprovinzen, aus
denen Rom seine Subsistenz entnimmt, nur Afrika und Sardinien, nicht mehr
Sizilien nennt. Die Latinitaet, wie sie Sizilien erhielt, muss also wohl die
Immunitaet eingeschlossen haben (vgl. Roemisches Staatsrecht, Bd. 3, S. 684).
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In den Ausgaben wurde zunaechst durch die ansehnliche Beschraenkung der
Getreidespenden eine Verminderung erzielt. Die beibehaltene Kornverteilung an
die hauptstaedtischen Armen sowie die verwandte, von Caesar neu eingefuehrte
Oellieferung fuer die hauptstaedtischen Baeder ward wenigstens zum grossen Teil
ein- fuer allemal fundiert auf die Naturalabgaben von Sardinien und namentlich
von Afrika und schied dadurch aus dem Kassenwesen ganz oder groesstenteils aus.
Andererseits stiegen die regelmaessigen Ausgaben fuer das Militaerwesen, teils
durch die Vermehrung des stehenden Heeres, teils durch die Erhoehung der
bisherigen Loehnung des Legionaers, von jaehrlich 480 (36 Taler) auf jaehrlich
900 Sesterzen (68« Taler). Beides war in der Tat unerlaesslich. Eine ernstliche
Grenzverteidigung mangelte ganz und die unerlaessliche Voraussetzung derselben
war eine ansehnliche Vermehrung der Armee. Die Verdoppelung des Soldes hat
Caesar wohl benutzt, um seine Soldaten fest an sich zu ketten, aber nicht aus
diesem Grunde als bleibende Neuerung eingefuehrt. Der bisherige Sold von 1 1/3
Sesterz (2 Groschen) den Tag war festgesetzt worden in uralten Zeiten, wo das
Geld einen ganz anderen Wert hatte als in dem damaligen Rom; nur deshalb hatte
er bis in eine Zeit hinein, wo der gemeine Tageloehner in der Hauptstadt mit
seiner Haende Arbeit taeglich durchschnittlich 3 Sesterzen (5 Groschen)
verdiente, beibehalten werden koennen, weil in diesen Zeiten der Soldat nicht
des Soldes halber, sondern hauptsaechlich wegen der groesstenteils unerlaubten
Akzidentien des Militaerdienstes in das Heer eintrat. Zu einer ernstlichen
Reform des Militaerwesens und zur Beseitigung des meist den Provinzialen
aufgebuerdeten unregelmaessigen Soldatenverdienstes war die erste Bedingung eine
zeitgemaesse Erhoehung der regulaeren Loehnung; und die Fixierung derselben auf
2« Sesterzen (4 Groschen) darf als eine billige, die dem Aerar dadurch
aufgebuerdete grosse Last als eine notwendige und in ihren Folgen segensreiche
betrachtet werden. Von dem Belauf der ausserordentlichen Ausgaben, die Caesar
uebernehmen musste oder freiwillig uebernahm, ist es schwer, sich eine
Vorstellung zu machen. Die Kriege selbst frassen ungeheure Summen; und
vielleicht nicht geringere wurden erfordert, um die Zusicherungen zu erfuellen,
die Caesar waehrend des Buergerkrieges zu machen genoetigt worden war. Es war
ein schlimmes und fuer die Folgezeit leider nicht verlorenes Beispiel, dass
jeder gemeine Soldat fuer seine Teilnahme am Buergerkrieg 20000 Sesterzen (1500
Taler), jeder Buerger der hauptstaedtischen Menge fuer seine Nichtbeteiligung an
demselben als Zulage zum Brotkorn 300 Sesterzen (22 Taler) empfing; Caesar
indes, nachdem er einmal in dem Drange der Umstaende sein Wort verpfaendet, war
zu sehr Koenig, um davon abzudingen. Ausserdem genuegte Caesar unzaehligen
Anforderungen ehrenhafter Freigebigkeit und machte namentlich fuer das Bauwesen,
das waehrend der Finanznot der letzten Zeit der Republik schmaehlich
vernachlaessigt worden war, ungeheure Summen fluessig - man berechnete den
Kostenbetrag seiner teils waehrend der gallischen Feldzuege, teils nachher in
der Hauptstadt ausgefuehrten Bauten auf 160 Mill. Sesterzen (12 Mill. Taler).
Das Gesamtresultat der finanziellen Verwaltung Caesars ist darin ausgesprochen,
dass er durch einsichtige und energische Reformen und durch die rechte
Vereinigung von Sparsamkeit und Liberalitaet allen billigen Anspruechen
reichlich und voellig genuegte und dennoch bereits im Maerz 710 (44) in der
Kasse des Staats 700, in seiner eigenen 100 Mill. Sesterzen (zusammen 61 Mill.
Taler) bar lagen - eine Summe, die den Kassenbestand der Republik in ihrer
bluehendsten Zeit um das Zehnfache ueberstieg.
Aber die Aufgabe, die alten Parteien aufzuloesen und das neue Gemeinwesen
mit einer angemessenen Verfassung, einer schlagfertigen Armee und geordneten
Finanzen auszustatten, so schwierig sie war, war nicht der schwierigste Teil von
Caesars Werk. Sollte in Wahrheit die italische Nation wiedergeboren werden, so
bedurfte es einer Reorganisation, die alle Teile des grossen Reiches, Rom,
Italien und die Provinzen, umwandelte. Versuchen wir auch hier sowohl die alten
Zustaende als auch die Anfaenge einer neuen und leidlicheren Zeit zu schildern.
Aus Rom war der gute Stamm latinischer Nation laengst voellig verschwunden.
Es liegt in den Verhaeltnissen, dass die Hauptstadt ihr munizipales und selbst
ihr nationales Gepraege schneller verschleift als jedes untergeordnete
Gemeinwesen. Hier scheiden die hoeheren Klassen rasch aus dem staedtischen
Gemeinleben aus, um mehr in dem ganzen Staate als in einer einzelnen Stadt ihre
Heimat zu finden; hier konzentriert sich unvermeidlich die auslaendische
Ansiedlung, die fluktuierende Bevoelkerung von Vergnuegens- und
Geschaeftsreisenden, die Masse des muessigen, faulen, verbrecherischen,
oekonomisch und moralisch bankrotten und eben darum kosmopolitischen Gesindels.
Auf Rom fand dies alles in hervorragender Weise Anwendung. Der wohlhabende
Roemer betrachtete sein Stadthaus haeufig nur als ein Absteigequartier. Indem
aus der staedtischen Munizipalitaet die Reichsaemter hervorgingen, das
staedtische Vogtding die Versammlung der Reichsbuerger ward, kleinere, sich
selber regierende Bezirks- oder sonstige Gemeinschaften innerhalb der Hauptstadt
nicht geduldet wurden, hoerte jedes eigentliche Kommunalleben fuer Rom auf. Aus
dem ganzen Umfange des weitumfassenden Reiches stroemte man nach Rom, um zu
spekulieren, zu debauchieren, zu intrigieren, zum Verbrecher sich auszubilden
oder auch daselbst vor dem Auge des Gesetzes sich zu verbergen. Diese Uebel
gingen aus dem hauptstaedtischen Wesen gewissermassen mit Notwendigkeit hervor;
andere, mehr zufaellige und vielleicht noch ernstere gesellten sich dazu. Es hat
vielleicht nie eine Grossstadt gegeben, die so durchaus nahrungslos war wie Rom;
teils die Einfuhr, teils die haeusliche Fabrikation durch Sklaven machten hier
jede freie Industrie von vornherein unmoeglich. Die nachteiligen Folgen des
Grunduebels der Staatenbildung im Altertum ueberhaupt, des Sklavensystems,
traten in der Hauptstadt schaerfer als irgendwo sonst hervor. Nirgends haeuften
solche Sklavenmassen sich an wie in den hauptstaedtischen Palaesten der grossen
Familien oder der reichen Emporkoemmlinge. Nirgends mischten sich so wie in der
hauptstaedtischen Sklavenschaft die Nationen dreier Weltteile, Syrer, Phryger
und andere Halbhellenen mit Libyern und Mohren, Geten und Iberer mit den immer
zahlreicher einstroemenden Kelten und Deutschen. Die von der Unfreiheit
unzertrennliche Demoralisation und der scheussliche Widerspruch des formellen
und des sittlichen Rechts kamen weit greller zum Vorschein bei dem halb oder
ganz gebildeten, gleichsam vornehmen Stadtsklaven als bei dem Ackerknecht, der
das Feld gleich dem gefesselten Stier in Ketten bestellte. Schlimmer noch als
die Sklavenmassen waren die der rechtlich oder auch bloss tatsaechlich
freigegebenen Leute, ein Gemisch bettelhaften Gesindels und schwerreicher
Parvenus, nicht mehr Sklaven und doch nicht voellig Buerger, oekonomisch und
selbst rechtlich von ihrem Herrn abhaengig und doch mit den Anspruechen freier
Maenner; und eben die Freigelassenen zogen sich vor allem nach der Hauptstadt,
wo es Verdienst mancherlei Art gab und der Kleinhandel wie das kleine Handwerk
fast ganz in ihren Haenden waren. Ihr Einfluss auf die Wahlen wird ausdruecklich
bezeugt; und dass sie auch bei den Strassenkrawallen voran waren, zeigt schon
das gewoehnliche Signal, wodurch diese von den Demagogen gleichsam angesagt
wurden, die Schliessung der Buden und Verkaufslokale. Zu allem dem kam, dass die
Regierung nicht bloss nichts tat, um dieser Korrumpierung der hauptstaedtischen
Bevoelkerung entgegenzuwirken, sondern sogar ihrer egoistischen Politik zuliebe
ihr Vorschub leistete. Die verstaendige Gesetzvorschrift, welche dem wegen
Kapitalverbrechens verurteilten Individuum den Aufenthalt in der Hauptstadt
untersagte, ward von der schlaffen Polizei nicht zur Ausfuehrung gebracht. Die
dringend nahegelegte polizeiliche Ueberwachung der Assoziation des Gesindels
ward anfangs vernachlaessigt, spaeterhin als freiheitswidrige Volksbeschraenkung
sogar fuer strafbar erklaert. Die Volksfeste hatte man so anwachsen lassen, dass
die sieben ordentlichen allein, die roemischen, die plebejischen, die der
Goettermutter, der Ceres, des Apoll, der Flora und der Victoria, zusammen
zweiundsechzig Tage waehrten, wozu dann noch die Fechterspiele und unzaehlige
andere ausserordentliche Lustbarkeiten kamen. Die bei einem solchen, durchaus
von der Hand in den Mund lebenden Proletariat unumgaengliche Fuersorge fuer
niedrige Getreidepreise ward mit dem gewissenlosesten Leichtsinn gehandhabt, und
die Preisschwankungen des Brotkorns waren fabelhafter und unberechenbarer Art
^19. Endlich, die Getreideverteilungen luden das gesamte nahrungslose und
arbeitsscheue Buergerproletariat offiziell ein, seinen Sitz in der Hauptstadt
aufzuschlagen. Es war eine arge Saat und die Ernte entsprach ihr. Das Klub- und
Bandenwesen auf dem politischen Gebiet, auf dem religioesen der Isisdienst und
der gleichartige fromme Schwindel hatten hier ihre Wurzeln. Man war bestaendig
im Angesicht einer Teuerung und nicht selten in voller Hungersnot. Nirgends war
man seines Lebens weniger sicher als in der Hauptstadt: der gewerbsmaessig
betriebene Banditenmord war das einzige derselben eigene Handwerk; es war die
Einleitung zur Ermordung, dass das Schlachtopfer nach Rom gelockt ward; niemand
wagte sich ohne bewaffnetes Gefolge in die Umgegend der Hauptstadt. Auch die
aeussere Beschaffenheit derselben entsprach dieser inneren Zerruettung und
schien eine lebendige Satire auf das aristokratische Regiment. Fuer die
Regulierung des Tiberstromes ward nichts getan; kaum dass man die einzige
Bruecke, mit der man immer noch sich behalf, wenigstens bis zur Tiberinsel von
Stein auffuehren liess. Fuer die Planierung der Siebenhuegelstadt war
ebensowenig etwas geschehen, ausser wo etwa die Schutthaufen ausgeglichen
hatten. Die Strassen gingen eng und winkelig Huegel auf und ab und waren elend
gehalten, die Trottoirs schmal und schlecht gepflastert. Die gewoehnlichen
Haeuser waren von Ziegeln ebenso liederlich wie schwindelnd hoch gebaut,
meistens von spekulierenden Baumeistern fuer Rechnung der kleinen Besitzer,
wobei jene steinreich, diese zu Bettlern wurden. Wie einzelne Inseln in diesem
Meer von elenden Gebaeuden erschienen die glaenzenden Palaeste der Reichen, die
den kleinen Haeusern ebenso den Raum verengten wie ihre Besitzer den kleinen
Leuten ihr Buergerrecht im Staat und neben deren Marmorsaeulen und griechischen
Statuen die verfallenden Tempel mit ihren grossenteils noch holzgeschnitzten
Goetterbildern eine traurige Figur machten. Von einer Strassen-, einer Ufer-,
Feuer- und Baupolizei war kaum die Rede; wenn die Regierung um die alljaehrlich
eintretenden Ueberschwemmungen, Feuersbruenste und Haeusereinstuerze ueberhaupt
sich bekuemmerte, so geschah es, um von den Staatstheologen Bericht und Bedenken
ueber den wahren Sinn solcher Zeichen und Wunder zu begehren. Man versuche sich
ein London zu denken mit der Sklavenbevoelkerung von New Orleans, mit der
Polizei von Konstantinopel, mit der Industrielosigkeit des heutigen Rom und
bewegt von einer Politik nach dem Muster der Pariser von 1848, und man wird eine
ungefaehre Vorstellung von der republikanischen Herrlichkeit gewinnen, deren
Untergang Cicero und seine Genossen in ihren Schmollbriefen betrauern.
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^19 In dem Produktionsland Sizilien ward der roemische Scheffel innerhalb
weniger Jahre zu 2 und zu 20 Sesterzen verkauft; man rechne danach, wie die
Preisschwankungen in Rom sich stellen mussten, das von ueberseeischem Korn lebte
und der Sitz der Spekulanten war.
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Caesar trauerte nicht, aber er suchte zu helfen, soweit zu helfen war. Rom
blieb natuerlich, was es war, eine Weltstadt. Der Versuch ihm wiederum einen
spezifisch italischen Charakter zu geben, waere nicht bloss unausfuehrbar
gewesen, sondern haette auch in Caesars Plan nicht gepasst. Aehnlich wie
Alexander fuer sein griechisch-orientalisches Reich eine angemessene Hauptstadt
in dem hellenisch-juedisch-aegyptischen und vor allem kosmopolitischen
Alexandreia fand, so sollte auch die im Mittelpunkt des Orients und Okzidents
gelegene Hauptstadt des neuen roemisch-hellenischen Weltreichs nicht eine
italische Gemeinde sein, sondern die denationalisierte Kapitale vieler Nationen.
Darum duldete es Caesar, dass neben dem Vater Jovis die neu angesiedelten
aegyptischen Goetter verehrt wurden, und gestattete sogar den Juden die freie
Uebung ihres seltsam fremdartigen Rituals auch in der Hauptstadt des Reiches.
Wie widerlich bunt immer die parasitische, namentlich hellenisch-orientalische
Bevoelkerung in Rom sich mischte, er trat ihrer Ausbreitung nirgends in den Weg;
es ist bezeichnend, dass er bei seinen hauptstaedtischen Volksfesten Schauspiele
nicht bloss in lateinischer und griechischer, sondern auch in anderen Zungen,
vermutlich in phoenikischer, hebraeischer, syrischer, spanischer auffuehren
liess.
Aber wenn Caesar den Grundcharakter der Hauptstadt so, wie er ihn fand, mit
vollem Bewusstsein akzeptierte, so wirkte er doch energisch hin auf die
Besserung der daselbst obwaltenden klaeglichen und schimpflichen Zustaende.
Leider waren eben die Grunduebel am wenigsten austilgbar. Die Sklaverei mit
ihrem Gefolge von Landplagen konnte Caesar nicht abstellen; es muss
dahingestellt bleiben, ob er mit der Zeit versucht haben wuerde, die
Sklavenbevoelkerung in der Hauptstadt wenigstens zu beschraenken, wie er dies
auf einem anderen Gebiete unternahm. Ebensowenig vermochte Caesar eine freie
hauptstaedtische Industrie aus dem Boden zu zaubern; doch halfen die ungeheuren
Bauten der Nahrungslosigkeit daselbst einigermassen ab und eroeffneten dem
Proletariat eine Quelle schmalen, aber ehrlichen Erwerbes. Dagegen wirkte Caesar
energisch darauf hin, die Masse des freien Proletariats zu vermindern. Der
stehende Zufluss von solchen, die die Getreidespenden nach Rom fuehrten, ward
durch Verwandlung derselben in eine auf eine feste Kopfzahl beschraenkte
Armenversorgung wenn nicht ganz verstopfte ^20, doch sehr wesentlich
beschraenkt. Unter dem vorhandenen Proletariat raeumten einerseits die Gerichte
auf, die angewiesen wurden, mit unnachsichtlicher Strenge gegen das Gesindel
einzuschreiten, andererseits die umfassende ueberseeische Kolonisation; von den
80000 Kolonisten, die Caesar in den wenigen Jahren seiner Regierung ueber das
Meer fuehrte, wird ein sehr grosser Teil den unteren Schichten der
hauptstaedtischen Bevoelkerung entnommen sein, wie denn die meisten
korinthischen Ansiedler Freigelassene waren. Dass in Abweichung von der
bisherigen Ordnung, die dem Freigelassenen jedes staedtische Ehrenamt
verschloss, Caesar ihnen in seinen Kolonien die Tuere des Rathauses eroeffnete,
geschah ohne Zweifel, um die besser gestellten von ihnen fuer die Auswanderung
zu gewinnen. Diese Auswanderung muss aber auch mehr gewesen sein als eine bloss
voruebergehende Veranstaltung; Caesar, ueberzeugt wie jeder andere verstaendige
Mann, dass die einzige wahrhafte Hilfe gegen das Elend des Proletariats in einem
wohlregulierten Kolonisierungssystem besteht, und durch die Beschaffenheit des
Reiches in den Stand gesetzt, dasselbe in fast ungemessener Ausdehnung zu
verwirklichen, wird die Absicht gehabt haben, hiermit dauernd fortzufahren und
dem stets wieder sich erzeugenden Uebel einen bleibenden Abzug zu eroeffnen.
Massregeln wurden ferner ergriffen, um den argen Preisschwankungen der
wichtigsten Nahrungsmittel auf den hauptstaedtischen Maerkten Grenzen zu setzen.
Die neu geordneten und liberal verwalteten Staatsfinanzen lieferten hierzu die
Mittel und zwei neu ernannte Beamte, die Getreideaedilen, uebernahmen die
spezielle Beaufsichtigung der Lieferanten und des Marktes der Hauptstadt. Dem
Klubwesen wurde wirksamer, als es durch Prohibitivgesetze moeglich war,
gesteuert durch die veraenderte Verfassung, indem mit der Republik und den
republikanischen Wahlen und Gerichten die Bestechung und Vergewaltigung der
Wahl- und Richterkollegien, ueberhaupt die politischen Saturnalien der Kanaille
von selbst ein Ende hatten. Ausserdem wurden die durch das Clodische Gesetz ins
Leben getretenen Verbindungen aufgeloest und das ganze Assoziationswesen unter
die Oberaufsicht der Regierungsbehoerden gestellt. Mit Ausnahme der
althergebrachten Zuenfte und Vergesellschaftungen, der religioesen Vereinigungen
der Juden und anderer besonders ausgenommener Kategorien, wofuer die einfache
Anzeige an den Senat genuegt zu haben scheint, wurde die Erlaubnis, eine
bleibende Gesellschaft mit festen Versammlungsfristen und stehenden Einschuessen
zu konstituieren, an eine vom Senat und regelmaessig wohl erst nach eingeholter
Willensmeinung des Monarchen zu erteilende Konzession geknuepft. Dazu kam eine
strengere Kriminalrechtspflege und eine energische Polizei. Die Gesetze,
namentlich hinsichtlich des Verbrechens der Vergewaltigung, wurden verschaerft
und die unvernuenftige Bestimmung des republikanischen Rechts, dass der
ueberwiesene Verbrecher befugt sei, durch Selbstverbannung einem Teil der
verwirkten Strafe sich zu entziehen, wie billig beseitigt. Das detaillierte
Regulativ, das Caesar ueber die hauptstaedtische Polizei erliess, ist
grossenteils noch erhalten und es kann, wer da will, sich ueberzeugen, dass der
Imperator es nicht verschmaehte, die Hausbesitzer zur Instandsetzung der
Strassen und zur Pflasterung der Trottoirs in ihrer ganzen Breite mit behauenen
Steinen anzuhalten und geeignete Bestimmungen ueber das Tragen der Saenften und
das Fahren der Wagen zu erlassen, die bei der Beschaffenheit der Strassen nur
zur Abend- und Nachtzeit in der Hauptstadt frei zirkulieren durften. Die
Oberaufsicht ueber die Lokalpolizei blieb wie bisher hauptsaechlich den vier
Aedilen, welche, wenn nicht schon frueher, wenigstens jetzt angewiesen wurden,
jeder einen bestimmt abgegrenzten Polizeidistrikt innerhalb der Hauptstadt zu
ueberwachen. Endlich das hauptstaedtische Bauwesen und die damit
zusammenhaengende Fuersorge fuer die gemeinnuetzigen Anstalten ueberhaupt nahm
durch Caesar, der die Baulust des Roemers und des Organisators in sich
vereinigte, ploetzlich einen Aufschwung, der nicht bloss die Misswirtschaft der
letzten anarchischen Zeiten beschaemte, sondern auch alles, was die roemische
Aristokratie in ihrer besten Zeit geleistet hatte, so weit hinter sich liess wie
Caesars Genie das redliche Bemuehen der Marcier und der Aemilier. Es war nicht
bloss die Ausdehnung der Bauten an sich und die Groesse der darauf verwandten
Summen, durch die Caesar seine Vorgaenger uebertraf, sondern der echt
staatsmaennische und gemeinnuetzige Sinn, der das, was Caesar fuer die
oeffentlichen Anstalten Roms tat, vor allen aehnlichen Leistungen auszeichnet.
Er baute nicht, wie seine Nachfolger, Tempel und sonstige Prachtgebaeude,
sondern er entlastete den Markt von Rom, auf dem sich immer noch die
Buergerversammlungen, die Hauptgerichtsstaetten, die Boerse und der taegliche
Geschaeftsverkehr wie der taegliche Muessiggang zusammendraengten, wenigstens
von den Versammlungen und den Gerichten, indem er fuer jene eine neue
Dingstaette, die Saepta Iulia auf dem Marsfeld, fuer diese einen besonderen
Gerichtsmarkt, das Forum Iulium zwischen Kapitol und Palatin, anlegen liess.
Verwandten Geistes ist die von ihm herruehrende Einrichtung, dass den
hauptstaedtischen Baedern jaehrlich 3 Millionen Pfund Oel, groesstenteils aus
Afrika, geliefert und diese dadurch in den Stand gesetzt wurden, den Badenden
das zum Salben des Koerpers erforderliche Oel unentgeltlich zu verabfolgen -
eine nach der alten wesentlich auf Baden und Salben gegruendeten Diaetetik
hoechst zweckmaessige Massregel der Reinlichkeits- und Gesundheitspolizei. Indes
diese grossartigen Einrichtungen waren nur die ersten Anfaenge einer
vollstaendigen Umwandlung Roms. Bereits waren die Entwuerfe gemacht zu einem
neuen Rathaus, einem neuen prachtvollen Basar, einem mit dem Pompeischen
wetteifernden Theater, einer oeffentlichen lateinischen und griechischen
Bibliothek nach dem Muster der kuerzlich zugrunde gegangenen von Alexandreia -
die erste Anstalt derart in Rom -, endlich zu einem Tempel des Mars, der an
Reichtum und Herrlichkeit alles bisher Dagewesene ueberboten haben wuerde.
Genialer noch war der Gedanke, einmal durch die Pomptinischen Suempfe einen
Kanal zu legen und deren Wasser nach Tarracina abzuleiten, sodann den unteren
Lauf des Tiberstroms zu aendern und ihn von dem heutigen Ponte Molle an, statt
zwischen dem Vaticanischen und dem Marsfelde hindurch, vielmehr um das
Vaticanische Feld und das Ianiculum herum nach Ostia zu fuehren, wo die
schlechte Reede einem vollgenuegenden Kunsthafen Platz machen sollte. Durch
diesen Riesenplan wurde einerseits der gefaehrlichste Feind der Hauptstadt, die
boese Luft der Nachbarschaft, gebannt, andrerseits auf einen Schlag die
aeusserst beschraenkte Baugelegenheit in der Hauptstadt in der Art erweitert,
dass das damit auf das linke Tiberufer verlegte Vaticanische Feld an die Stelle
des Marsfeldes treten und das geraeumige Marsfeld fuer oeffentliche und
Privatbauten verwendet werden konnte, waehrend sie zugleich den so schmerzlich
vermissten sicheren Seehafen erhielt. Es schien, als wolle der Imperator Berge
und Fluesse versetzen und mit der Natur selber den Wettlauf wagen. Indessen so
sehr auch durch die neue Ordnung die Stadt Rom an Bequemlichkeit und
Herrlichkeit gewann, ihre politische Suprematie ging ihr, wie schon gesagt ward,
durch ebendieselbe unwiderbringlich verloren. Dass der roemische Staat mit der
Stadt Rom zusammenfalle, war zwar im Laufe der Zeit immer unnatuerlicher und
verkehrter geworden; aber der Satz war doch so innig mit dem Wesen der
roemischen Republik verwachsen, dass er nicht vor dieser selbst zugrunde gehen
konnte. Erst in dem neuen Staate Caesars ward er, etwa mit Ausnahme einiger
legaler Fiktionen, vollstaendig beseitigt und das hauptstaedtische Gemeinwesen
rechtlich auf eine Linie mit allen uebrigen Munizipalitaeten gestellt; wie denn
Caesar, hier wie ueberall bemueht, nicht bloss die Sache zu ordnen, sondern auch
sie offiziell bei dem rechten Namen zu nennen, seine italische Gemeindeordnung,
ohne Zweifel absichtlich, zugleich fuer die Hauptstadt und fuer die uebrigen
Stadtgemeinden erliess. Man kann hinzufuegen, dass Rom, eben weil es eines
lebendigen Kommunalwesens als Hauptstadt nicht faehig war, hinter den uebrigen
Munizipalitaeten der Kaiserzeit sogar wesentlich zurueckstand. Das
republikanische Rom war eine Raeuberhoehle, aber zugleich der Staat; das Rom der
Monarchie, obwohl es mit allen Herrlichkeiten dreier Weltteile sich zu
schmuecken und in Gold und Marmor zu schimmern begann, war doch nichts im Staate
als das Koenigsschloss in Verbindung mit dem Armenhaus, das heisst ein
notwendiges uebel.
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^20 Es ist nicht ohne Interesse, dass ein spaeterer, aber einsichtiger
politischer Schriftsteller, der Verfasser der unter Sallustius' Namen an Caesar
gerichteten Briefe, diesem den Rat erteilt, die hauptstaedtische
Getreideverteilung in die einzelnen Munizipien zu verlegen. Die Kritik hat ihren
guten Sinn; wie denn bei der grossartigen munizipalen Waisenversorgung unter
Traian offenbar aehnliche Gedanken gewaltet haben.
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Wenn es in der Hauptstadt sich nur darum handelte, durch polizeiliche
Ordnungen im groessten Massstab handgreifliche Uebelstaende hinwegzuraeumen, so
war es dagegen eine bei weitem schwierigere Aufgabe, der tief zerruetteten
italischen Volkswirtschaft aufzuhelfen. Die Grundleiden waren die bereits
frueher ausfuehrlich hervorgehobenen, das Zusammenschwinden der ackerbauenden
und die unnatuerliche Vermehrung der kaufmaennischen Bevoelkerung, woran ein
unabsehbares Gefolge anderer Uebelstaende sich anschloss. Wie es mit der
italischen Bodenwirtschaft stand, wird dem Leser unvergessen sein. Trotz der
ernstlichsten Versuche, der Vernichtung des kleinen Grundbesitzes zu steuern,
war doch in dieser Epoche kaum mehr in einer Landschaft des eigentlichen
Italien, etwa mit Ausnahme der Apenninen- und Abruzzentaeler, die
Bauernwirtschaft die vorwiegende Wirtschaftsweise. Was die Gutswirtschaft
anlangt, so ist zwischen der frueher dargestellten Catonischen und derjenigen,
die uns Varro schildert, kein wesentlicher Unterschied wahrzunehmen, nur dass
die letztere im Guten wie im Schlimmen von dem gesteigerten grossstaedtischen
Leben in Rom die Spuren zeigt. "Sonst", sagt Varro, "war die Scheune auf dem Gut
groesser als das Herrenhaus; jetzt pflegt es umgekehrt zu sein." In der
tusculanischen und tiburtinischen Feldmark, an den Gestaden von Tarracina und
Baiae erhoben sich da, wo die alten latinischen und italischen Bauernschaften
gesaet und geerntet hatten, jetzt in unfruchtbarem Glanz die Landhaeuser der
roemischen Grossen, von denen manches mit den dazu gehoerigen Gartenanlagen und
Wasserleitungen, den Suess- und Salzwasserreservoirs zur Aufbewahrung und
Zuechtung von Fluss- und Seefischen, den Schnecken- und
Siebenschlaeferzuechtungen, den Wildschonungen zur Hegung von Hasen, Kaninchen,
Hirschen, Rehen und Wildschweinen und den Vogelhaeusern, in denen selbst
Kraniche und Pfauen gehalten wurden, den Raum einer maessigen Stadt bedeckte.
Aber der grossstaedtische Luxus macht auch manche fleissige Hand reich und
ernaehrt mehr Arme als die almosenspendende Menschenliebe. Jene Vogelhaeuser und
Fischteiche der vornehmen Herren waren natuerlich in der Regel eine sehr
kostspielige Liebhaberei. Allein extensiv und intensiv hatte diese Wirtschaft
sich so hoch entwickelt, dass zum Beispiel der Bestand eines Taubenhauses bis
auf 100000 Sesterzen (7600 Taler) geschaetzt ward; dass eine rationelle
Maestungswirtschaft entstanden war und der in den Vogelhaeusern gewonnene
Duenger landwirtschaftlich in Betracht kam; dass ein einziger Vogelhaendler auf
einmal 5000 Krammetsvoegel - denn auch diese wusste man zu hegen - das Stueck zu
3 Denaren (21 Groschen), ein einziger Fischteichbesitzer 2000 Muraenen zu
liefern imstande war und aus den von Lucius Lucullus hinterlassenen Fischen
40000 Sesterzen (3050 Taler) geloest wurden. Begreiflicherweise konnte unter
solchen Umstaenden, wer diese Wirtschaft geschaeftlich und intelligent betrieb,
mit verhaeltnismaessig geringem Anlagekapital sehr hohen Gewinn erzielen. Ein
kleiner Bienenzuechter dieser Zeit verkaufte von seinem nicht mehr als einen
Morgen grossen, in der Naehe von Falerii gelegenen Thymiangaertchen Jahr aus
Jahr ein an Honig fuer mindestens 10000 Sesterzen (760 Taler). Der Wetteifer der
Obstzuechter ging so weit, dass in eleganten Landhaeusern die marmorgetaefelte
Obstkammer nicht selten zugleich als Tafelzimmer eingerichtet, auch wohl
gekauftes Prachtobst dort zur Schau als eigenes Gewaechs gestellt ward. In
dieser Zeit wurden auch zuerst die kleinasiatische Kirsche und andere
auslaendische Fruchtbaeume in den italischen Gaerten angepflanzt. Die
Gemuesegaerten, die Rosen- und Veilchenbeete in Latium und Kampanien warfen
reichen Ertrag ab und der "Naschmarkt" (forum cupedinis) neben der Heiligen
Strasse, wo Fruechte, Honig und Kraenze feilgeboten zu werden pflegten, spielte
eine wichtige Rolle im hauptstaedtischen Leben. Ueberhaupt stand die
Gutswirtschaft, Plantagenwirtschaft wie sie war, oekonomisch auf einer schwer zu
uebertreffenden Hoehe der Entwicklung. Das Tal von Rieti, die Umgegend des
Fuciner Sees, die Landschaften am Liris und Volturnus, ja Mittelitalien
ueberhaupt, waren landwirtschaftlich in dem bluehendsten Zustand; selbst gewisse
Industrien, die geeignet waren, sich an den Betrieb des Guts mittels Sklaven
anzuschliessen, wurden von den intelligenten Landwirten mit aufgenommen und, wo
die Verhaeltnisse guenstig waren, Wirtshaeuser, Webereien und besonders
Ziegeleien auf dem Gute angelegt. Die italischen Produzenten, namentlich von
Wein und Oel, versorgten nicht bloss die italischen Maerkte, sondern machten
auch in beiden Artikeln ansehnliche ueberseeische Ausfuhrgeschaefte. Eine
schlichte fachwissenschaftliche Schrift dieser Zeit vergleicht Italien einem
grossen Fruchtgarten; und die Schilderungen, die ein gleichzeitiger Dichter von
seinem schoenen Heimatland entwirft, wo die wohlbewaesserte Wiese, das ueppige
Kornfeld, der lustige Rebenhuegel von der dunklen Zeile der Oelbaeume umsaeumt
wird, wo der Schmuck des Landes, lachend in mannigfaltiger Anmut, die holdesten
Gaerten in seinem Schosse hegt und selber von nahrunggebenden Baeumen umkraenzt
wird diese Schilderungen, offenbar treue Gemaelde der dem Dichter taeglich vor
Augen stehenden Landschaft, versetzen uns in die bluehendsten Striche von
Toscana und Terra di lavoro. Die Weidewirtschaft freilich, die aus den frueher
entwickelten Ursachen besonders im Sueden und Suedosten Italiens immer weiter
vordrang, war in jeder Beziehung ein Rueckschritt; allein auch sie nahm doch bis
zu einem gewissen Grade teil an der allgemeinen Steigerung des Betriebes, wie
denn fuer die Verbesserung der Rassen vieles geschah und zum Beispiel Zuchtesel
mit 60000 (4600 Taler), 100000 (7570 Taler), ja 400000 Sesterzen (30000 Taler)
bezahlt wurden. Die gediegene italische Bodenwirtschaft erzielte in dieser Zeit,
wo die allgemeine Entwicklung der Intelligenz und die Fuelle der Kapitalien sie
befruchtete, bei weitem glaenzendere Resultate als jemals die alte
Bauernwirtschaft hatte geben koennen, und ging sogar schon hinaus ueber die
Grenzen Italiens, indem der italische Oekonom auch in den Provinzen grosse
Strecken viehzuechtend und selbst kornbauend exploitierte.
Welche Dimensionen aber neben dieser auf dem Ruin der kleinen Bauernschaft
unnatuerlich gedeihenden Gutswirtschaft die Geldwirtschaft angenommen, wie die
italische Kaufmannschaft mit den Juden um die Wette in alle Provinzen und
Klientelstaaten des Reiches sich ergossen hatte, alles Kapital endlich in Rom
zusammenfloss, dafuer wird es, nach dem frueher darueber Gesagten, hier
genuegen, auf die einzige Tatsache hinzuweisen, dass auf dem hauptstaedtischen
Geldmarkt der regelmaessige Zinsfuss in dieser Zeit sechs vom Hundert, das Geld
daselbst also um die Haelfte billiger war als sonst durchschnittlich im
Altertume.
Infolge dieser agrarisch wie merkantil auf Kapitalmassen und Spekulation
begruendeten Volkswirtschaft ergab sich das fuerchterlichste Missverhaeltnis in
der Verteilung des Vermoegens. Die oft gebrauchte und oft gemissbrauchte Rede
von einem aus Millionaeren und Bettlern zusammengesetzten Gemeinwesen trifft
vielleicht nirgends so vollstaendig zu wie bei dem Rom der letzten Zeit der
Republik; und nirgends wohl auch ist der Kernsatz des Sklavenstaats, dass der
reiche Mann, der von der Taetigkeit seiner Sklaven lebt, notwendig respektabel,
der arme Mann, der von seiner Haende Arbeit lebt, notwendig gemein ist, mit so
grauenvoller Sicherheit als der unwidersprechliche Grundgedanke des ganzen
oeffentlichen und privaten Verkehrs anerkannt worden ^21. Einen wirklichen
Mittelstand in unserm Sinne gibt es nicht, wie es denn in keinem vollkommen
entwickelten Sklavenstaat einen solchen geben kann; was gleichsam als guter
Mittelstand erscheint und gewissermassen auch es ist, sind diejenigen reichen
Geschaeftsmaenner und Grundbesitzer, die so ungebildet oder auch so gebildet
sind, um sich innerhalb der Sphaere ihrer Taetigkeit zu bescheiden und vom
oeffentlichen Leben sich fernzuhalten. Unter den Geschaeftsmaennern, wo die
zahlreichen Freigelassenen und sonstigen emporgekommenen Leute in der Regel von
dem Schwindel erfasst wurden, den vornehmen Mann zu spielen, gab es solcher
Verstaendigen nicht allzuviel: ein Musterbild dieser Gattung ist der in den
Berichten aus dieser Zeit haeufig erwaehnte Titus Pomponius Atticus, der teils
mit der grossen Gutswirtschaft, welche er in Italien und in Epirus betrieb,
teils mit seinen durch ganz Italien, Griechenland, Makedonien, Kleinasien sich
verzweigenden Geldgeschaeften ein ungeheures Vermoegen gewann, dabei aber
durchaus der einfache Geschaeftsmann blieb, sich nicht verleiten liess, um ein
Amt zu werben oder auch nur Staatsgeldgeschaefte zu machen, und, dem geizigen
Knausern ebenso fern wie dem wuesten und laestigen Luxus dieser Zeit - seine
Tafel zum Beispiel ward mit 100 Sesterzen (7« Talern) taeglich bestritten -,
sich genuegen liess an einer bequemen, die Anmut des Land- und des Stadtlebens,
die Freuden des Verkehrs mit der besten Gesellschaft Roms und Griechenlands und
jeden Genuss der Literatur und der Kunst sich aneignenden Existenz. Zahlreicher
und tuechtiger waren die italischen Gutsbesitzer alten Schlages. Die
gleichzeitige Literatur bewahrt in der Schilderung des Sextus Roscius, der bei
den Proskriptionen 673 (81) mitermordet ward, das Bild eines solchen
Landedelmanns (pater familias rusticanus); sein Vermoegen, angeschlagen auf 6
Mill. Sesterzen (457000 Taler), ist wesentlich angelegt in seinen dreizehn
Landguetern; die Wirtschaft betreibt er selbst rationell und mit Leidenschaft;
nach der Hauptstadt kommt er selten oder nie, und wenn er dort erscheint, so
sticht er mit seinen ungehobelten Manieren nicht minder von dem feinen Senator
ab wie die zahllosen Scharen seiner rauben Ackerknechte von dem zierlichen
hauptstaedtischen Bedientenschwarm. Mehr als die kosmopolitisch gebildeten
Adelskreise und der ueberall und nirgends heimische Kaufmannsstand bewahrten
diese Gutsbesitzer und die wesentlich durch dieselben gehaltenen "Ackerstaedte"
(municipia rusticana) sowohl die Zucht und Sitte der Vaeter als auch deren reine
und edle Sprache. Der Gutsbesitzerstand gilt als der Kern der Nation; der
Spekulant, der sein Vermoegen gemacht hat und unter die Notabeln des Landes
einzutreten wuenscht, kauft sich an und sucht wenn nicht selbst Squire zu
werden, doch wenigstens einen Sohn dazu zu erziehen. Den Spuren dieser
Gutsbesitzerschaft begegnen wir, wo in der Politik eine volkstuemliche Regung
sich zeigt und wo die Literatur einen gruenen Spross treibt: aus ihr sog die
patriotische Opposition gegen die neue Monarchie ihre beste Kraft; ihr gehoeren
Varro, Lucretius, Catullus an; und vielleicht nirgends tritt die relative
Frische dieser Gutsbesitzerexistenz charakteristischer hervor als in der
anmutigen arpinatischen Einleitung zu dem zweiten Buche der Schrift Ciceros von
den Gesetzen, einer gruenen Oase in der fuerchterlichen Oede dieses ebenso
leeren wie voluminoesen Skribenten.
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^21 Charakteristisch ist die folgende Auseinandersetzung in Ciceros
'Pflichtenlehre' (off. 1, 42): "Darueber, welche Geschaefte und Erwerbszweige
als anstaendig gelten koennen und welche als gemein, herrschen im allgemeinen
folgende Vorstellungen. Bescholten sind zunaechst die Erwerbszweige, wobei man
den Hass des Publikums sich zuzieht, wie der der Zolleinnehmer, der der
Geldverleiher. Unanstaendig und gemein ist auch das Geschaeft der Lohnarbeiter,
denen ihre koerperliche, nicht ihre Geistesarbeit bezahlt wird; denn fuer diesen
selben Lohn verkaufen sie gleichsam sich in die Sklaverei. Gemeine Leute sind
auch die von dem Kaufmann zu sofortigem Verschleiss einkaufenden Troedler; denn
sie kommen nicht fort, wenn sie nicht ueber alle Massen luegen, und nichts ist
minder ehrenhaft als der Schwindel. Auch die Handwerker treiben saemtlich
gemeine Geschaefte; denn man kann nicht Gentleman sein in der Werkstatt. Am
wenigsten ehrbar sind die Handwerker, die der Schlemmerei an die Hand gehen, zum
Beispiel: 'Wurstmacher, Salzfischhaendler, Koch, Gefluegelverkaeufer, Fischer'
mit Terenz (Eun. 2, 2, 26) zu reden; dazu noch etwa die Parfuemerienhaendler,
die Tanzmeister und die ganze Sippschaft der Spielbuden. Diejenigen
Erwerbszweige aber, welche entweder eine hoehere Bildung voraussetzen oder einen
nicht geringen Ertrag abwerfen, wie die Heilkunst, die Baukunst, der Unterricht
in anstaendigen Gegenstaenden, sind anstaendig fuer diejenigen, deren Stande sie
angemessen sind. Der Handel aber, wenn er Kleinhandel ist, ist gemein; der
grosse Kaufmann freilich, der aus den verschiedensten Laendern eine Menge von
Waren einfuehrt und sie an eine Menge von Leuten ohne Schwindel absetzt, ist
nicht gerade sehr zu schelten; ja wenn er, des Gewinstes satt oder vielmehr mit
dem Gewinste zufrieden, wie oft zuvor vom Meere in den Hafen, so schliesslich
aus dem Hafen selbst zu Grundbesitz gelangt, so darf man wohl mit gutem Recht
ihn loben. Aber unter allen Erwerbszweigen ist keiner besser, keiner ergiebiger,
keiner erfreulicher, keiner dem freien Manne anstaendiger als der Grundbesitz."
Also der anstaendige Mann muss streng genommen Gutsbesitzer sein; das
Kaufmannsgewerbe passiert ihm nur, insofern es Mittel zu diesem letzten Zweck
ist, die Wissenschaft als Profession nur den Griechen und den nicht den
herrschenden Staenden angehoerigen Roemern, welche damit sich in den vornehmen
Kreisen allenfalls fuer ihre Person eine gewisse Duldung erkaufen duerfen. Es
ist die vollkommen ausgebildete Plantagenbesitzeraristokratie, mit einer starken
Schattierung von kaufmaennischer Spekulation und einer leisen Nuance von
allgemeiner Bildung.
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Aber die gebildete Kaufmannschaft und der tuechtige Gutsbesitzerstand wird
weit ueberwuchert von den beiden tonangebenden Klassen der Gesellschaft: dem
Bettelvolk und der eigentlichen vornehmen Welt. Wir haben keine statistischen
Ziffern, um das relative Mass der Armut und des Reichtums fuer diese Epoche
scharf zu bezeichnen; doch darf hier wohl wieder an die Aeusserung erinnert
werden, die etwa fuenfzig Jahre frueher ein roemischer Staatsmann tat: dass die
Zahl der Familien von festgegruendetem Reichtum innerhalb der roemischen
Buergerschaft nicht auf 2000 sich belaufe. Die Buergerschaft war seitdem eine
andere geworden; aber dass das Missverhaeltnis zwischen arm und reich sich
wenigstens gleichgeblieben war, dafuer sprechen deutliche Spuren. Die
fortschreitende Verarmung der Menge offenbart sich nur zu grell in dem Zudrang
zu den Getreidespenden und zur Anwerbung unter das Heer; die entsprechende
Steigerung des Reichtums bezeugt ausdruecklich ein Schriftsteller dieser
Generation, indem er, von den Verhaeltnissen der marianischen Zeit sprechend,
ein Vermoegen von 2 Mill. Sesterzen (152 000 Taler) "nach damaligen
Verhaeltnissen Reichtum" nennt; und ebendahin fuehren die Angaben, die wir ueber
das Vermoegen einzelner Individuen finden. Der schwerreiche Lucius Domitius
Ahenobarbus verhiess zwanzigtausend Soldaten jedem vier Jugera Land aus eigenem
Besitz; das Vermoegen des Pompeius belief sich auf 70 Mill. Sesterzen (5300000
Taler), das des Schauspielers Aesopus auf 20 (1520000 Taler); Marcus Crassus,
der reichste der Reichen, besass am Anfang seiner Laufbahn 7 (530000 Taler), am
Ausgang derselben nach Verspendung ungeheurer Summen an das Volk 170 Millionen
Sesterzen (13 Mill. Taler). Die Folgen solcher Armut und solchen Reichtums waren
nach beiden Seiten eine aeusserlich verschiedene, aber wesentlich gleichartige
oekonomische und sittliche Zerruettung. Wenn der gemeine Mann einzig durch die
Unterstuetzung aus Staatsmitteln vor dem Verhungern gerettet ward, so war es die
notwendige Folge dieses Bettlerelends, die freilich wechselwirkend auch wieder
als Ursache auftrat, dass er der Bettlerfaulheit und dem bettlerhaften Wohlleben
sich ergab. Statt zu arbeiten, gaffte der roemische Plebejer lieber im Theater;
die Schenken und Bordelle hatten solchen Zuspruch, dass die Demagogen ihre
Rechnung dabei fanden, vorwiegend die Besitzer derartiger Etablissements in ihr
Interesse zu ziehen. Die Fechterspiele, die Offenbarung wie die Nahrung der
aergsten Demoralisation in der alten Welt, waren zu solcher Bluete gelangt, dass
mit dem Verkauf der Programme derselben ein eintraegliches Geschaeft gemacht
ward, und nahmen in dieser Zeit die entsetzliche Neuerung auf, dass ueber Leben
und Tod des Besiegten nicht das Duellgesetz oder die Willkuer des Siegers,
sondern die Laune des zuschauenden Publikums entschied und nach dessen Wink der
Sieger den daniederliegenden Besiegten entweder verschonte oder durchbohrte. Das
Handwerk des Fechters war so im Preise gestiegen oder auch die Freiheit so im
Preise gesunken, dass die Unerschrockenheit und der Wetteifer, die auf den
Schlachtfeldern dieser Zeit vermisst wurden, in den Heeren der Arena allgemein
waren und, wo das Duellgesetz es mit sich brachte, jeder Gladiator lautlos und
ohne zu zucken sich durchbohren liess, ja dass freie Maenner nicht selten sich
den Unternehmern fuer Kost und Lohn als Fechtknechte verkauften. Auch die
Plebejer des fuenften Jahrhunderts hatten gedarbt und gehungert, aber ihre
Freiheit hatten sie nicht verkauft; und noch weniger wuerden die Rechtweiser
jener Zeit sich dazu hergegeben haben, den ebenso sitten- wie rechtswidrigen
Kontrakt eines solchen Fechtknechts, "sich unweigerlich fesseln, peitschen,
brennen oder toeten zu lassen, wenn die Gesetze der Anstalt dies mit sich
bringen wuerden", auf unfeinen juristischen Schleichwegen als statthaft und
klagbar hinzustellen.
In der vornehmen Welt kam nun dergleichen nicht vor; aber im Grunde war sie
kaum anders, am wenigsten besser. Im Nichtstun nahm es der Aristokrat dreist mit
dem Proletarier auf; wenn dieser auf dem Pflaster lungerte, dehnte jener sich
bis in den hellen Tag hinein in den Feldern. Die Verschwendung regierte hier
ebenso mass- wie geschmacklos. Sie warf sich auf die Politik wie auf das
Theater, natuerlich zu beider Verderben: man kaufte das Konsulamt um
unglaublichen Preis - im Sommer 700 (54) ward allein die erste Stimmabteilung
mit 10 Mill. Sesterzen (760000 Talern) bezahlt - und verdarb durch den tollen
Dekorationsluxus dem Gebildeten alle Freude am Buehnenspiel. Die Mietpreise
scheinen in Rom durchschnittlich vierfach hoeher als in den Landstaedten sich
gestellt zu haben; ein Haus daselbst ward einmal fuer 15 Mill. Sesterzen
(1150000 Taler) verkauft. Das Haus des Marcus Lepidus (Konsul 676 78), als Sulla
starb, das schoenste in Rom, war ein Menschenalter spaeter noch nicht der
hundertste in der Rangfolge der roemischen Palaeste. Des mit den Landhaeusern
getriebenen Schwindels ward bereits gedacht; wir finden, dass fuer ein solches,
das hauptsaechlich seines Fischteiches wegen geschaetzt war, 4 Mill. Sesterzen
(300000 Taler) bezahlt wurden; und der ganz vornehme Mann bedurfte jetzt schon
wenigstens zweier Landhaeuser, eines in den Sabiner- oder Albaner Bergen bei der
Hauptstadt und eines zweiten in der Naehe der kampanischen Baeder, dazu noch
womoeglich eines Gartens unmittelbar vor den Toren Roms. Noch unsinniger als
diese Villen- waren die Grabpalaeste, von denen einzelne noch bis auf den
heutigen Tag es bezeugen, welches himmelhohen Quaderhaufens der reiche Roemer
bedurfte, um standesmaessig gestorben zu sein. Die Pferde- und Hundeliebhaber
fehlten auch nicht; fuer ein Luxuspferd waren 24000 Sesterzen (1830 Taler) ein
nicht ungewoehnlicher Preis. Man raffinierte auf Moebel von feinem Holz - ein
Tisch von afrikanischem Zypressenholz ward mit 1 Mill. Sesterzen (67000 Taler)
bezahlt; auf Gewaender von Purpurstoffen oder durchsichtiger Gaze und daneben
auch auf die zierlich vor dem Spiegel zurechtgelegten Falten - der Redner
Hortensius soll einen Kollegen wegen Injurien belangt haben, weil er ihm im
Gedraenge den Rock zerknittert; auf Edelsteine und Perlen, die zuerst in dieser
Zeit an die Stelle des alten, unendlich schoeneren und kunstvolleren
Goldschmucks traten: es war schon vollkommenes Barbarentum, wenn bei Pompeius'
Triumph ueber Mithradates das Bild des Siegers ganz von Perlen gearbeitet
erschien und wenn man im Speisesaal die Sofas und die Etageren mit Silber
beschlagen, ja das Kuechengeschirr von Silber fertigen liess. Gleicher Art ist
es, wenn die Sammler dieser Zeit aus den alten Silberbechern die kunstvollen
Medaillons herausbrachen um sie in goldene Gefaesse wiedereinzusetzen. Auch der
Reiseluxus ward nicht vermisst. "Wenn der Statthalter reiste", erzaehlt Cicero
von einem der sizilischen, "was natuerlich im Winter nicht geschah, sondern erst
mit Fruehlingsanfang, nicht dem des Kalenders, sondern dem Anfang der Rosenzeit,
so liess er, wie es bei den Koenigen von Bithynien Brauch war, sich auf einer
Achttraegersaenfte befoerdern, sitzend auf Kissen von maltesischer Gaze und mit
Rosenblaettern gestopft, einen Kranz auf dem Kopf, einen zweiten um den Hals
geschlungen, ein feines, leinenes, kleingetuepfeltes, mit Rosen angefuelltes
Riechsaeckchen an die Nase haltend; und so liess er bis vor sein Schlafzimmer
sich tragen." Aber keine Gattung des Luxus bluehte so wie die roheste von allen,
der Luxus der Tafel. Die ganze Villeneinrichtung und das ganze Villenleben lief
schliesslich hinaus auf das Dinieren; man hatte nicht bloss verschiedene
Tafelzimmer fuer Winter und Sommer, sondern auch in der Bildergalerie, in der
Obstkammer, im Vogelhaus wurde serviert oder auf einer im Wildpark
aufgeschlagenen Estrade, um welche dann, wenn der bestellte "Orpheus" im
Theaterkostuem erschien und Tusch blies, die dazu abgerichteten Rehe und
Wildschweine sich draengten. So ward fuer Dekoration gesorgt, aber die Realitaet
darueber durchaus nicht vergessen. Nicht bloss der Koch war ein graduierter
Gastronom, sondern oft machte der Herr selbst den Lehrmeister seiner Koeche.
Laengst war der Braten durch Seefische und Austern in den Schatten gestellt;
jetzt waren die italischen Flussfische voellig von der guten Tafel verbannt und
galten die italischen Delikatessen und die italischen Weine fast fuer gemein. Es
wurden jetzt schon bei Volksfesten ausser dem italischen Falerner drei Sorten
auslaendischen Weines - Sizilianer, Lesbier, Chier - verteilt, waehrend ein
Menschenalter zuvor es auch bei grossen Schmaeusen genuegt hatte, einmal
griechischen Wein herumzugeben; in dem Keller des Redners Hortensius fand sich
ein Lager von 10000 Kruegen (zu 33 Berliner Quart) fremden Weines. Es war kein
Wunder, dass die italischen Weinbauer anfingen, ueber die Konkurrenz der
griechischen Inselweine zu klagen. Kein Naturforscher kann eifriger die Laender
und Meere nach neuen Tieren und Pflanzen durchsuchen, als es von den
Esskuenstlern jener Zeit wegen neuer Kuechenelegantien geschah ^22. Wenn dann
der Gast, um den Folgen der ihm vorgesetzten Mannigfaltigkeiten zu entgehen,
nach der Mahlzeit ein Vomitiv nahm, so fiel dies niemand mehr auf. Die Debauche
aller Art ward so systematisch und so schwerfaellig, dass sie ihre Professoren
fand, die davon lebten, vornehmen Juenglingen theoretisch und praktisch als
Lastermeister zu dienen. Es wird nicht noetig sein, bei diesem wuesten Gemaelde
eintoenigster Mannigfaltigkeit noch laenger zu verweilen; um so weniger, als ja
auch auf diesem Gebiet die Roemer nichts weniger als originell waren und sich
darauf beschraenkten, von dem hellenisch-orientalischen Luxus eine noch mass-
und noch geistlosere Kopie zu liefern. Natuerlich verschlingt Plutos seine
Kinder so gut wie Kronos; die Konkurrenz um alle jene meist nichtigen
Gegenstaende vornehmer Begehrlichkeit trieb die Preise so in die Hoehe, dass den
mit dem Strome Schwimmenden in kurzer Zeit das kolossalste Vermoegen zerrann und
auch diejenigen, die nur Ehren halber das Notwendigste mitmachten, den ererbten
und festgegruendeten Wohlstand rasch sich unterhoehlen sahen. Die Bewerbung um
das Konsulat zum Beispiel war die gewoehnliche Landstrasse zum Ruin angesehener
Haeuser; und fast dasselbe gilt von den Spielen, den grossen Bauten und all
jenen andern, zwar lustigen, aber teuren Metiers. Der fuerstliche Reichtum jener
Zeit wird nur von der noch fuerstlicheren Verschuldung ueberboten: Caesar
schuldete um 692 (62) nach Abzug seiner Aktiva 25 Mill. Sesterzen (1900000
Taler), Marcus Antonius als Vierundzwanzigjaehriger 6 Mill. Sesterzen (460000
Taler), vierzehn Jahre spaeter 40 (3 Mill. Taler), Curio 60 (4« Mill. Taler),
Milo 70 Mill. (5« Mill. Taler). Wie durchgaengig jenes verschwenderische Leben
und Treiben der vornehmen roemischen Welt auf Kredit beruhte, davon zeugt die
Tatsache, dass durch die Anleihen der verschiedenen Konkurrenten um das Konsulat
einmal in Rom der Monatzins ploetzlich von vier auf acht vom Hundert aufschlug.
Die Insolvenz, statt rechtzeitig den Konkurs oder doch die Liquidation
herbeizufuehren und damit wenigstens wieder ein klares Verhaeltnis herzustellen,
ward in der Regel von dem Schuldner, solange es irgend ging, verschleppt; statt
seine Habe, namentlich seine Grundstuecke zu verkaufen, fuhr er fort, zu borgen
und den Scheinreichen weiter zu spielen, bis denn der Krach nur um so aerger kam
und Konkurse ausbrachen wie zum Beispiel der des Milo, bei dem die Glaeubiger
etwas ueber vier vom Hundert der liquidierten Summen erhielten. Es gewann bei
diesem rasend schnellen Umschlagen vom Reichtum zum Bankrott und diesem
systematischen Schwindel natuerlich niemand als der kuehle Bankier, der es
verstand, Kredit zu geben und zu verweigern. So kamen denn die
Kreditverhaeltnisse fast auf demselben Punkte wieder an, wo sie in den
schlimmsten Zeiten der sozialen Krise des fuenften Jahrhunderts gestanden
hatten: die nominellen Grundeigentuemer waren gleichsam die Bittbesitzer ihrer
Glaeubiger, die Schuldner entweder ihren Glaeubigern knechtisch untertan, so
dass die geringeren von ihnen, gleich den Freigelassenen, in dem Gefolge
derselben erschienen, die vornehmeren selbst im Senat nach dem Wink ihres
Schuldherrn sprachen und stimmten, oder auch im Begriff, dem Eigentum selbst den
Krieg zu erklaeren und ihre Glaeubiger entweder durch Drohungen zu terrorisieren
oder gar sich ihrer durch Komplott und Buergerkrieg zu entledigen. Auf diesen
Verhaeltnissen ruhte die Macht des Crassus; aus ihnen entsprangen die Auflaeufe,
deren Signal das "freie Folium" war, des Cinna und bestimmter noch des Catilina,
des Caelius, des Dolabella, vollkommen gleichartig jenen Schlachten der
Besitzenden und Nichtbesitzenden, die ein Jahrhundert zuvor die hellenische Welt
bewegten. Dass bei so unterhoehlten oekonomischen Zustaenden jede finanzielle
oder politische Krise die entsetzlichste Verwirrung hervorrief, lag in der Natur
der Dinge: es bedarf kaum gesagt zu werden, dass die gewoehnlichen
Erscheinungen: das Verschwinden des Kapitals, die ploetzliche Entwertung der
Grundstuecke, zahllose Bankrotte und eine fast allgemeine Insolvenz, ebenwie
waehrend des Bundesgenoessischen und Mithradatischen, so auch jetzt waehrend des
Buergerkrieges sich einstellten.
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^22 Wir haben noch (Macr. Sat. 3, 13) den Speisezettel derjenigen Mahlzeit,
welche Lucius Lentulus Niger vor 691 (63) bei Antritt seines Pontifikats gab und
an der die Pontifices - darunter Caesar -, die Vestalischen Jungfrauen und
einige andere Priester und nah verwandte Damen Anteil nahmen. Vor der Mahlzeit
kamen Meerigel; frische Austern soviel die Gaeste wollten; Gienmuscheln;
Lazarusklappen; Krammetsvoegel mit Spargeln; gemaestetes Huhn; Auster- und
Muschelpastete; schwarze und weisse Meereicheln; noch einmal Lazarusklappen;
Glykymarismuscheln; Nesselmuscheln; Feigenschnepfen; Rehrippen; Schweinsrippen;
Gefluegel in Mehl gebacken; Feigenschnepfen; Purpurmuscheln, zwei Sorten. Die
Mahlzeit selbst bestand aus Schweinsbrust, Schweinskopf; Fischpastete;
Schweinspastete; Enten; Kriechenten gekocht; Hasen; gebratenem Gefluegel;
Kraftmehlbackwerk; pontischem Backwerk.
Das sind die Kollegienschmaeuse, von denen Varro (rust. 3, 2, 16) sagt,
dass sie die Preise aller Delikatessen in die Hoehe trieben. Derselbe zaehlt in
einer seiner Satiren als die namhaftesten auslaendischen Delikatessen folgende
auf: Pfauen von Samos; Haselhuehner aus Phrygien; Kraniche von Melos; Zicklein
von Ambrakia; Thunfische von Kalchedon; Muraenen aus der Gaditanischen Meerenge;
Edelfische (?) von Pessinus. Austern und Muscheln von Tarent; Stoere (?) von
Rhodos; Scarusfische (?) von Kilikien; Nuesse von Thasos; Datteln aus Aegypten;
spanische Eicheln.
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Dass Sittlichkeit und Familienleben unter solchen Verhaeltnissen in allen
Schichten der Gesellschaft zur Antiquitaet wurden, versteht sich von selbst. Es
war nicht mehr der aergste Schimpf und das schlimmste Verbrechen, arm zu sein,
sondern das einzige: um Geld verkaufte der Staatsmann den Staat, der Buerger
seine Freiheit; um Geld war die Offizierstelle wie die Kugel des Geschworenen
feil; um Geld gab die vornehme Dame so gut sich preis wie die gemeine Dirne;
Urkundenfaelschung und Meineide waren so gemein geworden, dass bei einem
Volkspoeten dieser Zeit der Eid "das Schuldenpflaster" heisst. Man hatte
vergessen, was Ehrlichkeit war; wer eine Bestechung zurueckwies, galt nicht fuer
einen rechtschaffenen Mann, sondern fuer einen persoenlichen Feind. Die
Kriminalstatistik aller Zeiten und Laender wird schwerlich ein Seitenstueck
bieten zu einem Schaudergemaelde so mannigfaltiger, so entsetzlicher und so
widernatuerlicher Verbrechen, wie es der Prozess des Aulus Cluentius in dem
Schoss einer der angesehensten Familien einer italischen Ackerstadt vor uns
aufrollt.
Wie aber im tiefen Grunde des Volkslebens der Schlamm immer giftiger und
immer bodenloser sich sammelte, so legte sich um so viel glatter und gleissender
ueber die Oberflaeche der Firnis feiner Sitten und allgemeiner Freundschaft.
Alle Welt besuchte sich einander, so dass in den vornehmen Haeusern es schon
noetig wird, die jeden Morgen zum Lever sich einstellenden Personen in einer
gewissen, von dem Herrn oder gelegentlich auch dem Kammerdiener festgesetzten
Reihenfolge vorzulassen, auch nur den namhafteren einzeln Audienz zu geben, die
uebrigen aber teils in Gruppen, teils schliesslich in Masse abzufertigen, mit
welcher Scheidung Gaius Gracchus, auch hierin der Pfadfinder der neuen
Monarchie, vorangegangen sein soll. Eine ebenso grosse Ausdehnung wie die
Hoeflichkeitsbesuche hat auch der Hoeflichkeitsbriefwechsel gewonnen; zwischen
Personen, die weder ein persoenliches Verhaeltnis noch Geschaefte miteinander
haben, fliegen dennoch die "freundschaftlichen" Briefe ueber Land und Meer, und
umgekehrt kommen eigentliche und foermliche Geschaeftsbriefe fast nur da noch
vor, wo das Schreiben an eine Korporation gerichtet ist. In der gleichen Weise
werden die Einladungen zur Tafel, die ueblichen Neujahrsgeschenke, die
haeuslichen Feste ihrem Wesen entfremdet und fast in oeffentliche Festlichkeiten
verwandelt; ja, der Tod selbst befreit nicht von diesen Ruecksichten auf die
unzaehligen "Naechsten", sondern, um anstaendig gestorben zu sein, muss der
Roemer jeden derselben wenigstens mit einem Andenken bedacht haben. Ebenwie in
gewissen Kreisen unserer Boersenwelt war der eigentliche innige haeusliche und
hausfreundliche Zusammenhang dem damaligen Rom so vollstaendig abhanden
gekommen, dass mit den inhaltlos gewordenen Formen und Floskeln desselben der
gesamte Geschaefts- und Bekanntenverkehr sich staffieren und dann allmaehlich an
die Stelle der wirklichen jenes Gespenst der "Freundschaft" treten konnte,
welches unter den mancherlei ueber den Aechtungen und Buergerkriegen dieser Zeit
schwebenden Hoellengeistern nicht den letzten Platz einnimmt.
Ein ebenso charakteristischer Zug in dem schimmernden Verfall dieser Zeit
ist die Emanzipation der Frauenwelt. oekonomisch hatten die Frauen laengst sich
selbstaendig gemacht; in der gegenwaertigen Epoche begegnen schon eigene
Frauenanwaelte, die einzelnstehenden reichen Damen bei ihrer
Vermoegensverwaltung und ihren Prozessen dienstbeflissen zur Hand gehen, durch
Geschaefts- und Rechtskenntnis ihnen imponieren und damit reichlichere
Trinkgelder und Erbschaftsquoten herausschlagen als andere Pflastertreter der
Boerse. Aber nicht bloss der oekonomischen Vormundschaft des Vaters oder des
Mannes fuehlten die Frauen sich entbunden. Liebeshaendel aller Art waren
bestaendig auf dem Tapet. Ballettaenzerinnen (mimae) nahmen an Mannigfaltigkeit
und Virtuositaet ihrer Industrien mit den heutigen es vollkommen auf; ihre
Primadonnen, die Cytheris und wie sie weiter heissen, beschmutzen selbst die
Blaetter der Geschichte. Indes ihrem gleichsam konzessionierten Gewerbe tat sehr
wesentlichen Abbruch die freie Kunst der Damen der aristokratischen Kreise.
Liaisons in den ersten Haeusern waren so haeufig geworden, dass nur ein ganz
ausnehmendes Aergernis sie zum Gegenstand besonderen Klatsches machen konnte;
ein gerichtliches Einschreiten nun gar schien beinahe laecherlich. Ein Skandal
ohnegleichen, wie ihn Publius Clodius 693 (61) bei dem Weiberfest im Hause des
Oberpontifex auffuehrte, obwohl tausendmal aerger als die Vorfaelle, die noch
fuenfzig Jahre zuvor zu einer Reihe von Todesurteilen gefuehrt hatten, ging fast
ohne Untersuchung und ganz ohne Strafe hin. Die Badesaison - im April, wo die
Staatsgeschaefte ruhten und die vornehme Welt in Baiae und Puteoli
zusammenstroemte - zog ihren Hauptreiz mit aus den erlaubten und unerlaubten
Verhaeltnissen, die neben Musik und Gesang und eleganten Fruehstuecken im Nachen
oder am Ufer die Gondelfahrten belebten. Hier herrschten die Damen
unumschraenkt; indes begnuegten sie sich keineswegs mit dieser ihnen von Rechts
wegen zustehenden Domaene, sondern sie machten auch Politik, erschienen in
Parteizusammenkuenften und beteiligten sich mit ihrem Geld und ihren Intrigen an
dem wuesten Koterietreiben der Zeit. Wer diese Staatsmaenninnen auf der Buehne
Scipios und Catos agieren sah und daneben den jungen Elegant, wie er mit glattem
Kinn, feiner Stimme und trippelndem Gang, mit Kopf- und Busentuechern,
Manschettenhemden und Frauensandalen das lockere Dirnchen kopierte, dem mochte
wohl grauen vor der unnatuerlichen Welt, in der die Geschlechter die Rollen
schienen wechseln zu wollen. Wie man in den Kreisen dieser Aristokratie ueber
Ehescheidung dachte, laesst das Verfahren ihres besten und sittlichsten Mannes
Marcus Cato erkennen, der auf Bitten eines heiratslustigen Freundes von seiner
Frau sich zu scheiden, keinen Anstand nahm und ebensowenig daran, nach dem Tode
dieses Freundes dieselbe Frau zum zweitenmal zu heiraten. Ehe- und
Kinderlosigkeit griffen vornehmlich in den hoeheren Staenden immer weiter um
sich. Wenn unter diesen die Ehe laengst als eine Last galt, die man hoechstens
im oeffentlichen Interesse ueber sich nahm, so begegnen wir jetzt schon auch bei
Cato und Catos Gesinnungsgenossen der Maxime, aus der ein Jahrhundert zuvor
Polybios den Verfall von Hellas ableitete: dass es Buergerpflicht sei, die
grossen Vermoegen zusammenzuhalten und darum nicht zu viel Kinder zu zeugen. Wo
waren die Zeiten, als die Benennung "Kinderzeuger" (proletarius) fuer den Roemer
ein Ehrenname gewesen war!
Infolge dieser sozialen Zustaende schwand der latinische Stamm in Italien
in erschreckender Weise zusammen und legte sich ueber die schoenen Landschaften
teils die parasitische Einwanderung, teils die reine Oede. Ein ansehnlicher Teil
der Bevoelkerung Italiens stroemte in das Ausland. Schon die Summe von
Kapazitaeten und Arbeitskraeften, welche die Lieferung von italischen Beamten
und italischen Besatzungen fuer das gesamte Mittelmeergebiet in Anspruch nahm,
ueberstieg die Kraefte der Halbinsel, zumal da die also in die Fremde gesandten
Elemente zum grossen Teil der Nation fuer immer verloren gingen. Denn je mehr
die roemische Gemeinde zu einem viele Nationen umfassenden Reiche erwuchs, desto
mehr entwoehnte sich die regierende Aristokratie, Italien als ihre
ausschliessliche Heimat zu betrachten; von der zum Dienst ausgehobenen oder
angeworbenen Mannschaft aber ging ein ansehnlicher Teil in den vielen Kriegen,
namentlich in dem blutigen Buergerkriege zugrunde, und ein anderer ward durch
die lange, zuweilen auf ein Menschenalter sich erstreckende Dienstzeit der
Heimat voellig entfremdet. In gleicher Weise wie der oeffentliche Dienst hielt
die Spekulation einen Teil der Grundbesitzer- und fast die ganze Kaufmannschaft
wenn nicht auf zeitlebens, doch auf lange Zeit ausser Landes fest und entwoehnte
namentlich die letztere in dem demoralisierenden Handelsreiseleben ueberhaupt
der buergerlichen Existenz im Mutterlande und der vielfach bedingten innerhalb
der Familie. Als Ersatz dafuer erhielt Italien teils das Sklaven- und
Freigelassenenproletariat, teils die aus Kleinasien, Syrien und Aegypten
einstroemenden Handwerker und Haendler, die vornehmlich in der Hauptstadt und
mehr noch in den Hafenstaedten Ostia, Puteoli, Brundisium wucherten. Aber in dem
groessten und wichtigsten Teil Italiens trat nicht einmal ein solcher Ersatz der
reinen Elemente durch unreine ein, sondern schwand die Bevoelkerung sichtlich
hin. Vor allem galt dies von den Weidelandschaften, wie denn das gelobte Land
der Viehzucht, Apulien, von Gleichzeitigen der menschenleerste Teil Italiens
genannt wird, und von der Umgegend Roms, wo die Campagna unter der steten
Wechselwirkung des zurueckgehenden Ackerbaues und der zunehmenden boesen Luft
jaehrlich mehr veroedete. Labici, Gabii, Bovillae, einst freundliche
Landstaedtchen, waren so verfallen, dass es schwer hielt, Vertreter derselben
fuer die Zeremonie des Latinerfestes aufzutreiben. Tusculum, obwohl immer noch
eine der angesehensten Gemeinden Latiums, bestand fast nur noch aus einigen
vornehmen Familien, die in der Hauptstadt lebten, aber ihr tusculanisches
Heimatrecht festhielten, und stand an Zahl der stimmfaehigen Buerger weit
zurueck selbst hinter kleinen Gemeinden des inneren Italiens. Der Stamm der
waffenfaehigen Mannschaft war in diesem Landstrich, auf dem einst Roms
Wehrhaftigkeit wesentlich beruht hatte, so vollstaendig ausgegangen, dass man
die im Vergleich mit den gegenwaertigen Verhaeltnissen fabelhaft klingenden
Berichte der Chronik von den Aequer- und Volskerkriegen mit Staunen und
vielleicht mit Grauen las. Nicht ueberall war es so arg, namentlich nicht in den
uebrigen Teilen Mittelitaliens und in Kampanien: aber dennoch "standen", wie
Varro klagt, durchgaengig einst menschenreiche Staedte veroedet.
Es ist ein grauenvolles Bild, dies Bild Italiens unter dem Regiment der
Oligarchie. Zwischen der Welt der Bettler und der Welt der Reichen ist der
verhaengnisvolle Gegensatz durch nichts vermittelt oder gemildert. Je deutlicher
und peinlicher er auf beiden Seiten empfunden ward, je schwindelnd hoeher der
Reichtum stieg, je tiefer der Abgrund der Armut gaehnte, desto haeufiger ward in
dieser wechselvollen Welt der Spekulation und des Gluecksspiels der einzelne aus
der Tiefe in die Hoehe und wieder aus der Hoehe in die Tiefe geschleudert. Je
weiter aeusserlich die beiden Welten auseinanderklafften, desto vollstaendiger
begegneten sie sich in der gleichen Vernichtung des Familienlebens, das doch
aller Nationalitaet Keim und Kern ist, in der gleichen Faulheit und Ueppigkeit,
der gleichen bodenlosen Oekonomie, der gleichen unmaennlichen Abhaengigkeit, der
gleichen, nur im Tarif unterschiedenen Korruption, der gleichen
Verbrecherentsittlichung, dem gleichen Geluesten, mit dem Eigentum den Krieg zu
beginnen. Reichtum und Elend im innigen Bunde treiben die Italiker aus Italien
aus und fuellen die Halbinsel halb mit Sklavengewimmel, halb mit schauerlicher
Stille. Es ist ein grauenvolles Bild, aber kein eigentuemliches; ueberall, wo
das Kapitalistenregiment im Sklavenstaat sich vollstaendig entwickelt, hat es
Gottes schoene Welt in gleicher Weise verwuestet. Wie die Stroeme in
verschiedenen Farben spiegeln, die Kloake aber ueberall sich gleich sieht, so
gleicht auch das Italien der ciceronischen Epoche wesentlich dem Hellas des
Polybios und bestimmter noch dem Karthago der hannibalischen Zeit, wo in ganz
aehnlicher Weise das allmaechtig regierende Kapital den Mittelstand zugrunde
gerichtet, den Handel und die Gutswirtschaft zur hoechsten Bluete gesteigert und
schliesslich eine gleissend uebertuenchte sittliche und politische Verwesung der
Nation herbeigefuehrt hatte. Alles, was in der heutigen Welt das Kapital an
argen Suenden gegen Nation und Zivilisation begangen hat, bleibt so tief unter
den Greueln der alten Kapitalistenstaaten, wie der freie Mann, sei er auch noch
so arm, ueber dem Sklaven bleibt; und erst wenn Nordamerikas Drachensaat reift,
wird die Welt wieder aehnliche Fruechte zu ernten haben.
Diese Leiden, an denen die italische Volkswirtschaft daniederlag, waren
ihrem tiefsten Kerne nach unheilbar, und was daran noch geheilt werden konnte,
musste wesentlich das Volk und die Zeit bessern; denn auch die weiseste
Regierung vermag so wenig wie der geschickteste Arzt, die verdorbenen Saefte des
Organismus in frische zu verwandeln oder bei tieferliegenden Uebeln mehr zu tun,
als die Zufaelligkeiten abzuwehren, die die Heilkraft der Natur in ihrem Wirken
hindern. Eine solche Abwehr gewaehrte an sich schon die friedliche Energie des
neuen Regiments, durch welche einige der aergsten Auswuechse von selber
wegfielen, wie zum Beispiel die kuenstliche Grossziehung des Proletariats, die
Straflosigkeit der Verbrechen, der Aemterkauf und anderes mehr. Allein etwas
mehr konnte die Regierung doch tun als bloss nicht schaden. Caesar gehoerte
nicht zu den ueberklugen Leuten, die das Meer darum nicht eindaemmen, weil der
Springflut doch kein Deich zu trotzen vermag. Es ist besser, wenn die Nation und
ihre Oekonomie von selbst die naturgemaesse Bahn geht; aber da sie aus dieser
ausgewichen war, so setzte Caesar alle seine Energie ein, um von oben herab die
Nation in das heimatliche und Familienleben zurueckzubringen und die
Volksoekonomie durch Gesetz und Dekret zu reformieren. Um der dauernden
Abwesenheit der Italiker aus Italien zu steuern und die vornehme Welt und die
Kaufmannschaft zur Gruendung eigener Herde in der Heimat zu veranlassen, wurde
nicht bloss die Dienstzeit der Soldaten verkuerzt, sondern auch den Maennern
senatorischen Standes ueberhaupt untersagt, anders als in oeffentlichen
Geschaeften ihren Aufenthalt ausserhalb Italiens zunehmen, den uebrigen
Italikern in heiratsfaehigem Alter (vom zwanzigsten bis zum vierzigsten Jahr)
vorgeschrieben, nicht ueber drei Jahre hintereinander von Italien abwesend zu
sein. In demselben Sinn hatte Caesar schon in seinem ersten Konsulat bei
Gruendung der Kolonie Capua die Vaeter mehrerer Kinder vorzugsweise bedacht und
setzte nun als Imperator den Vaetern zahlreicher Familien ausserordentliche
Belohnungen aus, waehrend er zugleich als oberster Richter der Nation Scheidung
und Ehebruch mit einem nach roemischen Begriffen unerhoerten Rigorismus
behandelte. Er verschmaehte es sogar nicht, ein detailliertes Luxusgesetz zu
erlassen, das unter anderm die Bauverschwendung wenigstens in einem ihrer
unsinnigsten Auswuechse, den Grabmonumenten, beschnitt, den Gebrauch von
Purpurgewaendern und Perlen auf gewisse Zeiten, Alters- und Rangklassen
beschraenkte und ihn erwachsenen Maennern ganz untersagte, dem Tafelaufwand ein
Maximum setzte und eine Anzahl Luxusgerichte geradezu verbot. Dergleichen
Verordnungen waren freilich nicht neu; neu aber war es, dass der "Sittenmeister"
ernstlich ueber deren Befolgung hielt, die Esswarenmaerkte durch bezahlte
Aufpasser ueberwachte, ja, den vornehmen Herren durch seine Gerichtsdiener die
Tafel revidieren und die verbotenen Schuesseln auf dieser selbst konfiszieren
liess. Durch solche theoretische und praktische Unterweisung in der Maessigkeit,
welche die neue monarchische Polizei der vornehmen Welt erteilte, konnte
freilich kaum mehr erreicht werden, als dass der Luxus sich etwas mehr in die
Verborgenheit zurueckzog; allein wenn die Heuchelei die Huldigung ist, die das
Laster der Tugend darbringt, so war unter den damaligen Verhaeltnissen selbst
eine polizeilich hergestellte Scheinehrbarkeit ein nicht zu verachtender
Fortschritt zum Bessern.
Ernsterer Art waren und mehr Erfolg versprachen die Massregeln Caesars zur
besseren Regulierung der italischen Geld- und Bodenwirtschaft. Zunaechst
handelte es sich hier um transitorische Bestimmungen hinsichtlich des
Geldmangels und der Schuldenkrise ueberhaupt. Das durch den Laerm ueber die
zurueckgehaltenen Kapitalien hervorgerufene Gesetz, dass niemand ueber 60000
Sesterzen (4600 Taler) an barem Gold und Silber vorraetig haben duerfe, mag wohl
nur erlassen sein, um den Zorn des blinden Publikums gegen die Wucherer zu
beschwichtigen; die Form der Publikation, wobei fingiert ward, dass hiermit nur
ein aelteres, in Vergessenheit geratenes Gesetz wieder eingeschaerft werde,
zeigt es, dass Caesar dieser Verfuegung sich schaemte, und schwerlich wird von
ihr wirklich Anwendung gemacht sein. Eine weit ernstere Frage war die Behandlung
der schwebenden Forderungen, deren vollstaendigen Erlass die Partei, die sich
die seine nannte, von Caesar mit Ungestuem begehrte. Dass derselbe auf dieses
Begehren so nicht einging, ward schon gesagt; indes wurden doch, und zwar schon
im Jahre 705 (49), den Schuldnern zwei wichtige Zugestaendnisse gemacht. Einmal
wurden die rueckstaendigen Zinsen niedergeschlagen ^23 und die gezahlten vom
Kapital abgezogen. Zweitens ward der Glaeubiger genoetigt, die bewegliche und
unbewegliche Habe des Schuldners an Zahlungs Statt nach demjenigen Taxwert
anzunehmen, welchen die Sachen vor dem Buergerkrieg und der durch denselben
herbeigefuehrten allgemeinen Entwertung gehabt hatten. Die letztere Festsetzung
war nicht unbillig; wenn der Glaeubiger tatsaechlich als der Eigentuemer der
Habe seines Schuldners bis zum Belauf der ihm geschuldeten Summe anzusehen war,
so war es wohl gerechtfertigt, dass er an der allgemeinen Entwertung des
Besitzes seinen Anteil mittrug. Dagegen die Annullierung der geleisteten oder
ausstehenden Zinszahlungen, durch welche der Sache nach die Glaeubiger ausser
den Zinsen selbst von dem, was sie zur Zeit der Erlassung des Gesetzes an
Kapital zu fordern hatten, durchschnittlich 25 Prozent einbuessten, war in der
Tat nichts anderes als eine teilweise Gewaehrung der von den Demokraten so
ungestuem begehrten Kassation der aus Darlehen herruehrenden Forderungen; und
wie arg auch die Zinswucherer gewirtschaftet haben mochten, so ist es doch nicht
moeglich, damit die rueckwirkende Vernichtung aller Zinsforderungen ohne
Unterschied zu rechtfertigen. Um diese Agitation wenigstens zu begreifen, muss
man sich erinnern, wie die demokratische Partei zu der Zinsfrage stand. Das
gesetzliche Verbot, Zinsen zu nehmen, das die alte Plebejeropposition im Jahre
412 (342) erzwungen hatte, war zwar durch die mittels der Praetur den
Zivilprozess beherrschende Nobilitaet tatsaechlich ausser Anwendung gesetzt,
aber doch formell seit jener Zeit in Gueltigkeit geblieben; und die Demokraten
des siebenten Jahrhunderts, die sich durchaus als die Fortsetzer jener alten
staendisch-sozialen Bewegung betrachteten, hatten die Nichtigkeit der
Zinszahlungen zu jeder Zeit behauptet, auch schon in den Wirren der marianischen
Zeit dieselbe wenigstens voruebergehend praktisch geltend gemacht. Es ist nicht
glaublich, dass Caesar die kruden Ansichten seiner Partei ueber die Zinsfrage
teilte; wenn er in seinem Bericht ueber die Liquidationsangelegenheit der
Verfuegung ueber die Hingabe der Habe der Schuldner an Zahlungs Statt gedenkt,
aber von der Kassation der Zinsen schweigt, so ist dies vielleicht ein stummer
Selbstvorwurf. Allein wie jeder Parteifuehrer hing doch auch er von seiner
Partei ab und konnte die traditionellen Saetze der Demokratie in der Zinsfrage
nicht geradezu verleugnen; um so mehr, als er ueber diese Frage nicht als der
allmaechtige Sieger von Pharsalos, sondern schon vor seinem Abgang nach Epirus
zu entscheiden hatte. Wenn er aber diesen Bruch in die Rechtsordnung und das
Eigentum vielleicht mehr zuliess als bewirkte, so ist es sicher sein Verdienst,
dass jenes ungeheuerliche Begehren der Kassation saemtlicher Darlehnsforderungen
zurueckgewiesen ward: und es darf wohl als eine Ehrenrettung fuer ihn angesehen
werden, dass die Schuldner ueber das ihnen gemachte, nach ihrer Ansicht hoechst
ungenuegende Zugestaendnis noch weit ungehaltener waren als die verkuerzten
Glaeubiger und unter Caelius und Dolabella jene toerichten und, wie bereits
frueher erzaehlt, rasch vereitelten Versuche machten, das, was Caesar ihnen
verweigert hatte, durch Krawall und Buergerkrieg zu erzwingen.
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^23 Dieses ist zwar nicht ueberliefert, folgt aber notwendig aus der
Gestattung, die durch Barzahlung oder Anweisung gezahlten Zinsen (si quid usurae
nomine numeratum auf perscriptum fuisset: Suet. Caes. 42) als gesetzwidrig
gezahlt an dem Kapital zu kuerzen.
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Aber Caesar beschraenkte sich nicht darauf, dem Schuldner fuer den
Augenblick zu helfen, sondern er tat, was er als Gesetzgeber tun konnte, um die
fuerchterliche Allmacht des Kapitals auf die Dauer zu beugen. Vor allen Dingen
ward der grosse Rechtssatz proklamiert, dass die Freiheit nicht ein dem Eigentum
kommensurables Gut ist, sondern ein ewiges Menschenrecht, das der Staat nur dem
Schuldigen, nicht dem Schuldner abzuerkennen das Recht hat. Es ist Caesar, der,
vielleicht auch hier angeregt durch die humanere aegyptische und griechische,
besonders die Solonische Gesetzgebung ^24, dieses den Satzungen der aelteren
Konkursordnung schnurstracks widersprechende Prinzip eingefuehrt hat in das
gemeine Recht, wo es seit ihm unangefochten sich behauptet. Nach roemischem
Landrecht ward der zahlungsunfaehige Schuldner Knecht seines Glaeubigers. Das
Poetelische Gesetz hatte zwar dem nur durch Verlegenheiten, nicht durch wahre
Ueberschuldung augenblicklich zahlungsunfaehig Gewordenen verstattet, durch
Abtretung seiner Habe die persoenliche Freiheit zu retten; fuer den wirklich
Ueberschuldeten jedoch war jener Rechtssatz wohl in Nebenpunkten gemildert, aber
in der Hauptsache durch ein halbes Jahrtausend unveraendert festgehalten worden;
ein zunaechst auf das Vermoegen gerichteter Konkurs kam nur ausnahmsweise vor
dann, wenn der Schuldner tot oder seines Buergerrechts verlustig gegangen oder
nicht aufzufinden war. Erst Caesar gab dem ueberschuldeten Manne das Recht,
worauf noch unsere heutigen Konkursordnungen beruhen: durch foermliche Abtretung
der Habe an die Glaeubiger, mochte sie zu ihrer Befriedigung ausreichen oder
nicht, allemal seine persoenliche Freiheit, wenn auch mit geschmaelerten Ehren-
und politischen Rechten, zu erretten und eine neue Vermoegensexistenz zu
beginnen, in der er wegen der aus der aelteren Zeit herruehrenden und im Konkurs
nicht gedeckten Forderungen nur dann eingeklagt werden durfte, wenn er sie
bezahlen konnte, ohne wiederum sich oekonomisch zu ruinieren. Wenn also dem
grossen Demokraten die unvergaengliche Ehre zuteil ward, die persoenliche
Freiheit prinzipiell vom Kapital zu emanzipieren, so versuchte er ferner, die
Uebermacht des Kapitals durch Wuchergesetze auch polizeilich einzudaemmen. Die
demokratische Antipathie gegen die Zinsvertraege verleugnete auch er nicht. Fuer
den italischen Geldverkehr wurde eine Maximalsumme der dem einzelnen
Kapitalisten zu gestattenden Zinsdarlehen festgestellt, welche sich nach dem
einem jeden zustaendigen italischen Grundbesitz gerichtet zu haben scheint und
vielleicht die Haelfte des Wertes desselben betrug. Uebertretungen dieser
Bestimmung wurden, nach Art des in den republikanischen Wuchergesetzen
vorgeschriebenen Verfahrens, als Kriminalvergehen behandelt und vor eine eigene
Geschworenenkommission gewiesen. Wenn es gelang, diese Vorschriften praktisch
durchzufuehren, so wurde jeder italische Geschaeftsmann dadurch genoetigt, vor
allem zugleich auch italischer Grundbesitzer zu werden, und die Klasse der bloss
von ihren Zinsen zehrenden Kapitalisten verschwand in Italien gaenzlich.
Mittelbar wurde damit auch die nicht minder schaedliche Kategorie der
ueberschuldeten und der Sache nach nur fuer ihre Glaeubiger das Gut verwaltenden
Grundeigentuemer wesentlich beschraenkt, indem die Glaeubiger, wenn sie ihr
Zinsgeschaeft fortfuehren wollten, gezwungen wurden, selber sich anzukaufen.
Schon hierin uebrigens liegt es, dass Caesar keineswegs jenes naive Zinsverbot
der alten Popularpartei einfach erneuern, sondern vielmehr das Zinsnehmen
innerhalb gewisser Grenzen gestatten wollte. Sehr wahrscheinlich aber hat er
dabei sich nicht auf jene bloss fuer Italien gueltige Anordnung eines
Maximalsatzes der auszuleihenden Summen beschraenkt, sondern auch, namentlich
mit Ruecksicht auf die Provinzen, fuer die Zinsen selbst Maximalsaetze
vorgeschrieben. Die Verfuegungen, dass es unstatthaft sei, hoehere Zinsen als
eins vom Hundert monatlich oder von rueckstaendigen Zinsen wieder Zinsen zu
nehmen oder endlich an rueckstaendigen Zinsen mehr als eine dem Kapital
gleichkommende Summe gerichtlich geltend zu machen, wurden, wahrscheinlich
ebenfalls nach griechisch-aegyptischem Muster ^25, im Roemischen Reiche zuerst
von Lucius Lucullus fuer Kleinasien aufgestellt und daselbst von seinen besseren
Nachfolgern beibehalten, sodann bald auch auf andere Provinzen durch
Statthalterverordnungen uebertragen und endlich wenigstens ein Teil derselben
durch einen Beschluss des roemischen Senats vom Jahre 704 (50) mit Gesetzeskraft
in allen Provinzen versehen. Wenn diese Lucullischen Verfuegungen spaeterhin in
ihrem vollen Umfang als Reichsgesetz erscheinen und durchaus die Grundlage der
roemischen, ja der heutigen Zinsgesetzgebung geworden sind, so darf auch dies
vielleicht auf eine Bestimmung Caesars zurueckgefuehrt werden.
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^24 Die aegyptischen Koenigsgesetze (Diod. 1, 79) und ebenso das Solonische
Recht (Plut. Sol. 13, 15) untersagten die Schuldbriefe, worin auf die
Nichtzahlung der Verlust der persoenlichen Freiheit des Schuldners gesetzt war;
und wenigstens das letztere legte auch im Falle des Konkurses dem Schuldner
nicht mehr auf als die Abtretung seiner saemtlichen Aktiva.
^25 Wenigstens der letztere Satz kehrt wieder in den alten aegyptischen
Koenigsgesetzen (Diod. 1, 79). Dagegen kennt das Solonische Recht keine
Zinsbeschraenkungen, erlaubt vielmehr ausdruecklich, Zinsen von jeder beliebigen
Hoehe auszumachen.
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Hand in Hand mit diesen Bestrebungen, der Kapitaluebermacht zu wehren,
gingen die Bemuehungen, die Bodenwirtschaft in diejenige Bahn zurueckzuleiten,
die dem Gemeinwesen die foerderlichste war. Sehr wesentlich war hierfuer schon
die Verbesserung der Rechtspflege und der Polizei. Wenn bisher niemand in
Italien seines Lebens und seines beweglichen oder unbeweglichen Eigentums sicher
gewesen war, wenn zum Beispiel die roemischen Bandenfuehrer in den
Zwischenzeiten, wo ihre Leute nicht in der Hauptstadt Politik machen halfen, in
den Waeldern Etruriens dem Raube obgelegen oder auch die Landgueter ihrer
Soldherren durch Eroberungen arrondiert hatten, so hatte dergleichen Faustrecht
nunmehr ein Ende; und vor allem die ackerbauende Bevoelkerung aller Klassen
musste davon die wohltaetigen Folgen empfinden. Auch Caesars Bauplaene, die sich
durchaus nicht auf die Hauptstadt beschraenkten, waren bestimmt, hier
einzugreifen; so sollte zum Beispiel die Anlegung einer bequemen Fahrstrasse von
Rom durch die Apenninenpaesse zum Adriatischen Meer den italischen Binnenverkehr
beleben, die Niedrigerlegung des Fuciner Sees der marsischen Bauernschaft zugute
kommen. Allein auch unmittelbar griff Caesar in die wirtschaftlichen Zustaende
Italiens ein. Den italischen Viehzuechtern wurde auferlegt, wenigstens den
dritten Teil ihrer Hirten aus freigeborenen, erwachsenen Leuten zu nehmen,
wodurch zugleich dem Banditenwesen gesteuert und dem freien Proletariat eine
Erwerbsquelle geoeffnet ward. In der agrarischen Frage ging Caesar, der bereits
in seinem ersten Konsulat in die Lage gekommen war, sie zu regulieren,
verstaendiger als Tiberius Gracchus, nicht darauf aus, die Bauernwirtschaft
wiederherzustellen um jeden Preis, selbst um den einer unter juristischen
Klauseln versteckten Revolution gegen das Eigentum; ihm wie jedem andern echten
Staatsmann galt vielmehr als die erste und unverbruechlichste aller politischen
Maximen die Sicherheit dessen, was Eigentum ist oder doch im Publikum als
Eigentum gilt, und nur innerhalb der hierdurch gezogenen Schranken suchte er die
Hebung des italischen Kleinbesitzes, die auch ihm als eine Lebensfrage der
Nation erschien, zu bewerkstelligen. Es liess auch so noch viel in dieser
Beziehung sich tun. Jedes Privatrecht, mochte es Eigentum oder titulierter
Erbbesitz heissen, auf Gracchus oder auf Sulla zurueckgehen, ward unbedingt von
ihm respektiert. Dagegen das saemtliche wirkliche Domanialland in Italien, mit
Einschluss eines ansehnlichen Teils der in den Haenden geistlicher Innungen
befindlichen, rechtlich dem Staate zustaendigen Liegenschaften, wurde von
Caesar, nachdem er in seiner streng sparsamen, auch im kleinen keine
Verschleuderung und Vernachlaessigung duldenden Weise durch die wiedererweckte
Zwanzigerkommission eine allgemeine Revision der italischen Besitztitel
veranstaltet hatte, zur Verteilung in gracchanischer Weise bestimmt, natuerlich
soweit es sich zum Ackerbau eignete - die dem Staate gehoerigen apulischen
Sommer- und samnitischen Winterweiden blieben auch ferner Domaene; und es war
wenigstens die Absicht des Imperators, wenn diese Domaenen nicht ausreichen
wuerden, das weiter erforderliche Land durch Ankauf italischer Grundstuecke aus
der Staatskasse zu beschaffen. Bei der Auswahl der neuen Bauern wurden
natuerlich vor allen die gedienten Soldaten beruecksichtigt und soweit moeglich
die Last, welche die Aushebung fuer das Mutterland war, dadurch in eine Wohltat
umgewandelt, dass Caesar den als Rekruten ausgehobenen Proletarier ihm als Bauer
zurueckgab; bemerkenswert ist es auch, dass die veroedeten latinischen
Gemeinden, wie zum Beispiel Veii und Capena, vorzugsweise mit neuen Kolonisten
bedacht worden zu sein scheinen. Die Vorschrift Caesars, dass die neuen
Eigentuemer erst nach zwanzig Jahren befugt sein sollten, die empfangenen
Laendereien zu veraeussern, war ein gluecklicher Mittelweg zwischen der
voelligen Freigebung des Veraeusserungsrechts, die den groessten Teil des
verteilten Landes rasch wieder in die Haende der grossen Kapitalisten
zurueckgefuehrt haben wuerde, und den bleibenden Beschraenkungen der
Verkehrsfreiheit, wie sie Tiberius Gracchus und Sulla, beide gleich vergeblich,
verfuegt hatten.
Wenn also die Regierung energisch dazu tat, die kranken Elemente des
italischen Volkslebens zu entfernen und die gesunden zu staerken, so sollte
endlich das neu regulierte Munizipalwesen, nachdem sich dasselbe erst juengst
aus der Krise des Bundesgenossenkriegs in und neben dem Staatswesen entwickelt
hatte, der neuen absoluten Monarchie das mit ihr vertraegliche Gemeindeleben
mitteilen und die stockende Zirkulation der edelsten Elemente des oeffentlichen
Lebens wieder zu rascheren Pulsschlaegen erwecken. Als leitender Grundsatz in
den beiden im Jahre 705 (49) fuer das Cisalpinische Gallien, im Jahre 709 (45)
fuer Italien erlassenen Gemeindeordnungen ^26, von denen namentlich die letztere
fuer die ganze Folgezeit Grundgesetz blieb, erscheint teils die strenge
Reinigung der staedtischen Kollegien von allen unsittlichen Elementen, waehrend
von politischer Polizei darin keine Spur vorkommt, teils die moeglichste
Beschraenkung des Zentralisierens und die moeglichst freie Bewegung der
Gemeinden, denen auch jetzt noch die Wahl der Beamten und eine wenngleich
beschraenkte Zivil- und Kriminalgerichtsbarkeit verblieb. Die allgemeinen
polizeilichen Bestimmungen, zum Beispiel die Beschraenkungen des
Assoziationsrechts, griffen freilich auch hier Platz.
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^26 Von beiden Gesetzen sind betraechtliche Bruchstuecke noch vorhanden.
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Dies sind die Ordnungen, durch die Caesar versuchte, die italische
Volkswirtschaft zu reformieren. Es ist leicht, sowohl ihre Unzulaenglichkeit
darzutun, indem auch sie noch eine Menge von Uebelstaenden bestehen liessen, als
auch nachzuweisen, dass sie vielfach schaedlich wirkten, indem sie die
Verkehrsfreiheit zum Teil sehr empfindlich beschraenkten. Es ist noch leichter
nachzuweisen, dass die Schaeden der italischen Volkswirtschaft ueberhaupt
unheilbarer Art waren. Aber trotzdem wird der praktische Staatsmann das Werk wie
den Meister bewundern. Es war schon etwas, dass da, wo ein Mann wie Sulla, an
Abhilfe verzweifelnd, mit einer bloss formalen Reorganisation sich begnuegt
hatte, das Uebel an seinem eigentlichen Sitze angefasst und hier mit ihm
gerungen ward; und wir duerfen wohl urteilen, dass Caesar mit seinen Reformen
dem Masse des Moeglichen so nahe kam, als zu kommen dem Staatsmann und dem
Roemer gegeben war. Die Verjuengung Italiens hat auch er von ihnen nicht
erwarten koennen noch erwartet, sondern diese vielmehr auf einem sehr
verschiedenen Wege zu erreichen gesucht, den darzulegen es noetig wird,
zunaechst die Lage der Provinzen, wie Caesar sie vorfand, ins Auge zu fassen.
Die Provinzen, welche Caesar vorfand, waren vierzehn an der Zahl; sieben
europaeische: das Jenseitige und das Diesseitige Spanien; das Transalpinische
Gallien; das Italische Gallien mit Illyricum; Makedonien mit Griechenland;
Sizilien; Sardinien mit Korsika; fuenf asiatische: Asia; Bithynien und Pontus;
Kilikien mit Kypros; Syrien; Kreta; und zwei afrikanische: Kyrene und Afrika;
wozu Caesar durch die Einrichtung der beiden neuen Statthalterschaften des
Lugdunensischen Galliens und Belgiens und durch Konstituierung Illyricums als
einer eigenen Provinz noch drei neue Sprengel hinzufuegte ^27.
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^27 Da nach Caesars Ordnung jaehrlich sechzehn Propraetoren und zwei
Prokonsuln in die Statthalterschaften sich teilten und die letzteren zwei Jahre
im Amt blieben, so moechte man schliessen dass er die Zahl der Provinzen
insgesamt auf zwanzig zu bringen beabsichtigte. Zu einer Gewissheit ist indes
hier um so weniger zu gelangen, als Caesar vielleicht absichtlich weniger Aemter
einrichtete als Kandidaturen.
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In dem Regiment ueber diese Provinzen war die oligarchische Misswirtschaft
auf einem Punkte angekommen, wie ihn wenigstens im Okzident, trotz mancher
achtbarer Leistungen in diesem Fach, keine zweite Regierung jemals erreicht hat
und wo nach unserer Fassungskraft eine Steigerung nicht mehr moeglich scheint.
Allerdings traf die Verantwortung hierfuer die Roemer nicht allein. Fast
ueberall hatte bereits vor ihnen das griechische, phoenikische oder asiatische
Regiment den Voelkern den hoeheren Sinn und das Rechts- und Freiheitsgefuehl
besserer Zeiten ausgetrieben. Es war wohl arg, dass jeder angeschuldigte
Provinziale auf Verlangen in Rom persoenlich zur Verantwortung sich zu stellen
verpflichtet war; dass der roemische Statthalter beliebig in die Rechtspflege
und in die Verwaltung der abhaengigen Gemeinden eingriff, Bluturteile faellte
und Verhandlungen des Gemeinderats kassierte; dass er im Kriegsfall mit den
Milizen nach Gutduenken und oft in schandbarer Weise schaltete, wie zum Beispiel
Cotta bei der Belagerung des pontischen Herakleia der Miliz alle gefaehrlichen
Posten anwies, um seine Italiker zu schonen, und, da die Belagerung nicht nach
Wunsch ging, seinen Werkmeistern den Kopf vor die Fuesse zu legen befahl. Es war
wohl arg, dass keine Vorschrift der Sittlichkeit oder des Strafrechts weder die
roemischen Voegte noch ihr Gefolge band und dass Vergewaltigungen, Schaendungen
und Ermordungen mit oder ohne Form Rechtens in den Provinzen alltaegliche
Auftritte waren. Allein es war dies wenigstens nichts Neues: fast ueberall war
man sklavischer Behandlung laengst gewohnt und es kam am Ende wenig darauf an,
ob ein karthagischer Vogt, ein syrischer Satrap oder ein roemischer Prokonsul
den Lokaltyrannen spielte. Das materielle Wohlbefinden, ziemlich das einzige,
wofuer man in den Provinzen noch Sinn hatte, ward durch jene Vorgaenge, die zwar
bei den vielen Tyrannen viele, aber doch nur einzelne Individuen trafen, weit
minder gestoert als durch die auf allen zugleich lastende finanzielle
Exploitierung, welche mit solcher Energie doch niemals noch aufgetreten war. Die
Roemer bewaehrten ihre alte Meisterschaft im Geldwesen jetzt auf diesem Gebiet
in einer entsetzlichen Weise. Es ist frueher versucht worden, das roemische
System der Provinzialbelastung in seinen bescheidenen und verstaendigen
Grundlagen wie in seiner Steigerung und Verderbung darzustellen. Dass die
letztere progressiv zunahm, versteht sich von selbst. Die ordentlichen Abgaben
wurden weit drueckender durch die Ungleichheit der Steuerverteilung und durch
das verkehrte Hebesystem als durch ihre Hoehe. Ueber die Einquartierungslast
aeusserten roemische Staatsmaenner selbst, dass eine Stadt ungefaehr gleich viel
leide, wenn der Feind sie erstuerme und wenn ein roemisches Heer Winterquartier
in ihr nehme. Waehrend die Besteuerung nach ihrem urspruenglichen Charakter die
Verguetung fuer die von Rom uebernommene Kriegslast gewesen war und die
steuernde Gemeinde also ein Recht darauf hatte, vom ordentlichen Dienst
verschont zu bleiben, wurde jetzt, wie zum Beispiel fuer Sardinien bezeugt ist,
der Besatzungsdienst groesstenteils den Provinzialen aufgebuerdet und sogar in
den ordentlichen Heeren ausser anderen Leistungen die ganze schwere Last des
Reiterdienstes auf sie abgewaelzt. Die ausserordentlichen Leistungen, wie zum
Beispiel die Kornlieferungen gegen geringe oder gar keine Verguetung zum Besten
des hauptstaedtischen Proletariats, die haeufigen und kostspieligen
Flottenruestungen und Strandverteidigungen, um der Piraterie zu steuern, die
Aufgaben, Kunstwerke, wilde Bestien oder andere Beduerfnisse des wahnwitzigen
roemischen Theater- und Tierhetzenluxus herbeizuschaffen, die militaerischen
Requisitionen im Kriegsfall, waren ebenso haeufig wie erdrueckend und
unberechenbar. Ein einzelnes Beispiel mag zeigen, wie weit die Dinge gingen.
Waehrend der dreijaehrigen Verwaltung Siziliens durch Gaius Verres sank die Zahl
der Ackerwirte in Leontinoi von 84 auf 32, in Motuka von 187 auf 86, in Herbita
von 252 auf 120, in Agyrion von 250 auf 80; so dass in vier der fruchtbarsten
Distrikte Siziliens von hundert Grundbesitzern 59 ihre Aecker lieber brach
liegen liessen, als sie unter diesem Regiment bestellten. Und diese Ackerwirte
waren, wie schon ihre geringe Zahl zeigt und auch ausdruecklich gesagt wird,
keineswegs kleine Bauern, sondern ansehnliche Plantagenbesitzer und zum grossen
Teil roemische Buerger!
In den Klientelstaaten waren die Formen der Besteuerung etwas verschieden,
aber die Lasten selbst womoeglich noch aerger, da ausser den Roemern hier auch
noch die einheimischen Hoefe erpressten. In Kappadokien und Aegypten war der
Bauer wie der Koenig bankrott und jener den Steuereinnehmer, dieser den
roemischen Glaeubiger zu befriedigen ausserstande. Dazu kamen denn die
eigentlichen Erpressungen nicht bloss des Statthalters selbst, sondern auch
seiner "Freunde", von denen jeder gleichsam eine Anweisung auf den Statthalter
zu haben meinte und ein Anrecht, durch ihn aus der Provinz als ein gemachter
Mann zurueckzukommen. Die roemische Oligarchie glich in dieser Beziehung
vollstaendig einer Raeuberbande und betrieb das Pluendern der Provinzialen
berufs- und handwerksmaessig: ein tuechtiges Mitglied griff nicht allzu


 


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