Römische Geschichte Book 8
by
Theodor Mommsen

Part 4 out of 12



gegeben haette.
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^18 Die Teilung ergibt sich aus Dio 55, 23.
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Dass finanziell die Provinz mehr kostete, als sie eintrug, kann hiernach
nicht verwundern. Fuer die Wehrkraft des Reiches dagegen kam Britannien
erheblich in Betracht; das Kompensationsverhaeltnis von Besteuerung und
Aushebung wird auch fuer die Insel in Anwendung gekommen sein und die britischen
Truppen galten neben den illyrischen fuer die besten der Armee. Gleich
anfaenglich sind dort sieben Kohorten aus den Eingeborenen aufgestellt und diese
weiter bis auf Hadrian stetig vermehrt worden; nachdem dieser das System
aufgebracht hatte, die Truppen moeglichst aus ihren Garnisonsbezirken zu
rekrutieren, scheint Britannien dies fuer seine starke Besatzung wenigstens zum
grossen Teil geleistet zu haben. Es war ein ernster und tapferer Sinn in den
Leuten; sie trugen die Steuern und die Aushebung willig, nicht aber Hoffart und
Brutalitaet der Beamten.
Fuer die innere Ordnung Britanniens bot als Grundlage sich die dort zur
Zeit der Eroberung bestehende Gauverfassung, welche, wie schon bemerkt ward, von
derjenigen der Kelten des Kontinents sich nur darin wesentlich entfernte, dass
die einzelnen Voelkerschaften der Insel, es scheint saemtlich, unter Fuersten
standen. Aber diese Ordnung scheint nicht beibehalten und der Gau (civitas) in
Britannien, wie in Spanien, ein geographischer Begriff geworden zu sein;
wenigstens ist es kaum anders zu erklaeren, dass die britannischen
Voelkerschaften genau genommen verschwinden, sowie sie unter roemische
Herrschaft geraten, und von den einzelnen Gauen nach ihrer Unterwerfung so gut
wie gar nicht die Rede ist. Wahrscheinlich sind die einzelnen Fuerstentuemer,
wie sie unterworfen und eingezogen wurden, in kleinere Gemeinden zerschlagen
worden; es ward dies dadurch erleichtert, dass auf der Insel sich nicht, wie auf
dem Kontinent, eine ohne monarchische Spitze geordnete Gauverfassung vorfand.
Damit haengt auch wohl zusammen, dass, waehrend die gallischen Gaue eine
gemeinsame Hauptstadt und in dieser eine politische und religioese
Gesamtvertretung besessen haben, von Britannien nichts aehnliches gemeldet wird.
Gefehlt hat der Provinz ein Concilium und ein gemeinsamer Kaiserkultus nicht;
aber waere der Altar des Claudius in Camalodunum ^19 auch nur annaehernd
gewesen, was der des Augustus in Lugudunum, so wuerde davon wohl etwas
verlauten. Die freie und grosse politische Gestaltung, welche dem gallischen
Lande von Caesar gewaehrt und von seinem Sohne bestaetigt worden war, passt in
den Rahmen der spaeteren Kaiserpolitik nicht mehr.
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^19 Auf ihn geht wohl das Epigramm des Seneca (vol. 4, p. 69 Baehrens):
oceanus que tuas ultra se respicit aras. Auch der Tempel, der nach der
Spottschrift desselben Seneca (8, 3) dem Claudius bei Lebzeiten in Britannien
errichtet ward, und der damit sicher identische Tempel des Gottes Claudius in
Camalodunum (Tac. ann. 14, 31) ist wohl nicht als staedtisches Heiligtum zu
fassen, sondern nach Analogie der Augustusheiligtuemer von Lugudunum und
Tarraco. Die delecti sacerdotes, welche specie religionis omnes fortunas
effundebant, sind die bekannten Provinzialpriester und Spielgeber.
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Von der mit der Invasion ziemlich gleichzeitigen Gruendung der Kolonie
Camalodunum war schon die Rede, wie es auch bereits hervorgehoben wurde, dass
die italische Stadtverfassung frueh in einer Reihe britannischer Ortschaften
eingefuehrt worden ist. Auch hierin ist Britannien mehr nach dem Muster Spaniens
als nach dem des keltischen Kontinents behandelt worden.
Die inneren Zustaende Britanniens muessen, trotz der allgemeinen Gebrechen
des Reichsregiments, wenigstens im Vergleich mit anderen Gebieten, nicht
unguenstige gewesen sein. Kannte man im Norden nur Jagd und Weide und waren hier
die Einwohner wie die Anwohner zu Fehde und Raub jederzeit bei der Hand, so
entwickelte sich der Sueden in dem ungestoerten Friedensstand vor allem durch
Ackerbau, daneben durch Viehzucht und Bergwerksbetrieb zu maessiger Wohlfahrt:
die gallischen Redner der diocletianischen Zeit preisen den Reichtum der
fruchtbaren Insel, und oft genug haben die Rheinlegionen ihr Getreide aus
Britannien empfangen.
Das Strassennetz der Insel, das ungemein entwickelt ist und fuer das
namentlich Hadrian in Verbindung mit seinem Wallbau viel getan hat, hat
natuerlich zunaechst militaerischen Zwecken gedient; aber neben, ja vor den
Legionslagern nimmt Londinium darin einen Platz ein, welcher seine leitende
Stellung im Verkehr deutlich vor Augen bringt. Nur in Wales gab es
Reichsstrassen allein in der naechsten Naehe der roemischen Lager, von Isca nach
Nidum (Neath) und von Deva zur Ueberfahrt nach Mona.
Zu der Romanisierung verhielt sich das roemische Britannien aehnlich wie
das noerdliche und mittlere Gallien. Die nationalen Gottheiten, der Mars
Belatucadrus oder Cocidius, die der Minerva gleichgesetzte Goettin Sulis, nach
welcher die heutige Stadt Bath hiess, sind auch in lateinischer Sprache noch
vielfach auf der Insel verehrt worden. Ein exotisches Gewaechs ist die aus
Italien eindringende Sprache und Sitte auf der Insel noch mehr gewesen als auf
dem Kontinent; noch gegen das Ende des ersten Jahrhunderts lehnten die
angesehenen Familien dort sowohl die lateinische Sprache ab wie die roemische
Tracht. Die grossen staedtischen Zentren, die eigentlichen Herde der neuen
Kultur, sind in Britannien schwaecher entwickelt; wir wissen nicht bestimmt,
welche englische Stadt fuer das Concilium der Provinz und die gemeinschaftliche
Kaiserverehrung als Sitz gedient und in welchem der drei Legionslager der
Statthalter der Provinz residiert hat; wenn, wie es scheint, die Zivilhauptstadt
Britanniens Camalodunum gewesen ist, die Militaerhauptstadt Eburacum ^20, so
kann dieses sich so wenig mit Mainz messen wie jenes mit Lyon. Die
Truemmerstaetten auch der namhaften Ortschaften, der Claudischen Veteranenstadt
Camalodunum und der volkreichen Kaufstadt Londinium, nicht minder die
vielhundertjaehrigen Legionslager von Deva, Isca, Eburacum haben Inschriftsteine
nur in geringfuegiger Zahl, namhafte Staedte roemischen Rechts wie die Kolonie
Glevum (Gloucester), das Municipium Verulamium bis jetzt nicht einen einzigen
ergeben; die Sitte des Denksteinsetzens, auf deren Ergebnisse wir fuer solche
Fragen grossenteils angewiesen sind, hat in Britannien nie recht
durchgeschlagen. Im inneren Wales und in anderen weniger zugaenglichen Strichen
sind roemische Denkmaeler ueberhaupt nicht zum Vorschein gekommen. Daneben aber
stehen deutliche Zeugen des von Tacitus hervorgehobenen regen Handels und
Verkehrs, so die zahllosen Trinkschalen, die aus den Ruinen Londons
hervorgegangen sind, und das Londoner Strassennetz. Wenn Agricola bemueht war,
den munizipalen Wetteifer in der Ausschmueckung der eigenen Stadt durch Bauten
und Denkmaeler, wie er von Italien sich auf Afrika und Spanien uebertragen
hatte, auch nach Britannien zu verpflanzen, und die vornehmen Insulaner zu
bestimmen, in ihrer Heimat die Maerkte zu schmuecken und Tempel und Palaeste zu
errichten, wie dies anderswo ueblich war, so ist ihm das fuer die Gemeindebauten
nur in geringem Umfang gelungen. Aber in der Privatwirtschaft ist es anders; die
stattlichen, roemisch angelegten und geschmueckten Landhaeuser, von denen jetzt
nur noch die Mosaikfussboeden uebrig geblieben sind, finden sich im suedlichen
Britannien bis in die Gegend von York hinauf ^21 ebenso haeufig wie im
Rheinland. Die hoehere schulmaessige Jugendbildung drang von Gallien aus
allmaehlich in Britannien ein. Unter Agricolas administrativen Erfolgen wird
angefuehrt, dass der roemische Hofmeister in die vornehmen Haeuser der Insel
anfange, seinen Weg zu finden. In hadrianischer Zeit wird Britannien als ein von
den gallischen Schulmeistern erobertes Gebiet bezeichnet, und "schon spricht
Thule davon, sich einen Professor zu mieten". Diese Schulmeister waren zunaechst
Lateiner, aber es kamen auch Griechen; Plutarchos erzaehlt von einer
Unterhaltung, die er in Delphi pflog mit einem aus Britannien heimkehrenden
griechischen Sprachlehrer aus Tarsos. Wenn im heutigen England, abgesehen von
Wales, und bis vor kurzem von Cornwall, die alte Landessprache verschwunden ist,
so ist sie nicht den Angeln oder den Sachsen, sondern dem roemischen Idiom
gewichen; und wie es in Grenzlaendern zu geschehen pflegt, in der spaeteren
Kaiserzeit stand keiner treuer zu Rom als der britannische Mann. Nicht
Britannien hat Rom aufgegeben, sondern Rom Britannien - das letzte, was wir von
der Insel erfahren, sind die flehentlichen Bitten der Bevoelkerung bei Kaiser
Honorius um Schutz gegen die Sachsen, und dessen Antwort, dass sie sich selber
helfen moechten, wie sie koennten.
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^20 Das hier stationierte Kommando war wenigstens in spaeterer Zeit ohne
Frage das wichtigste unter den britannischen; und es wird auch dort (denn an
Eburacum ist hier ohne Zweifel gedacht) ein Palatium erwaehnt (vita Severi 22).
Das praeto rium, unterhalb Eburacum wohl an der Kueste gelegen (Irin. Anton.
Aug., p. 466), mag der Sommersitz des Statthalters gewesen sein.
^21 Noerdlich von Aldborough und Easingwold (beide etwas noerdlich von
York) haben sich keine gefunden (J. C. Bruce, Description of the Roman wall. 3.
Aufl. 1867, S. 61).
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6. Kapitel
Die Donaulaender und die Kriege an der Donau
Wie die Rheingrenze Caesars, so ist die Donaugrenze das Werk des Augustus.
Als er an das Ruder kam, waren die Roemer auf der italischen Halbinsel kaum
Herren der Alpen, auf der griechischen kaum des Haemus (Balkan) und der
Kuestenstreifen am Adriatischen und am Schwarzen Meer; nirgends reichte ihr
Gebiet an den maechtigen Strom, der das suedliche Europa vom noerdlichen
scheidet; sowohl das noerdliche Italien wie auch die illyrischen und pontischen
Handelsstaedte und mehr noch die zivilisierten Landschaften Makedoniens und
Thrakiens waren den Raubzuegen der rohen und unruhigen Nachbarstaemme stetig
ausgesetzt. Als Augustus starb, waren an die Stelle der einen, kaum zu
selbstaendiger Verwaltung gelangten Provinz Illyricum fuenf grosse roemische
Verwaltungsbezirke getreten, Raetien, Noricum, Unterillyrien oder Pannonien,
Oberillyrien oder Dalmatien und Moesien, und die Donau in ihrem ganzen Lauf,
wenn nicht ueberall die militaerische, doch die politische Reichsgrenze
geworden. Die verhaeltnismaessig leichte Unterwerfung dieser weiten Gebiete
sowie die schwere Insurrektion der Jahre 6 bis 9 und das dadurch veranlasste
Aufgeben der frueher beabsichtigten Verlegung der Grenzlinie von der oberen
Donau nach Boehmen und an die Elbe sind frueher dargestellt worden. Es bleibt
uebrig, die Entwicklung dieser Landschaften in der Zeit nach Augustus und die
Beziehungen der Roemer zu den jenseits der Donau wohnhaften Staemmen
darzustellen.
Die Schicksale Raetiens sind mit denen der Obergermanischen Provinz so eng
verflochten, dass dafuer auf die fruehere Darstellung verwiesen werden kann. Die
roemische Zivilisation hat hier, im ganzen genommen, sich wenig entwickelt. Das
Hochland der Alpen mit den Taelern des oberen Inn und des oberen Rhein umschloss
eine schwache und eigenartige Bevoelkerung, wahrscheinlich diejenige, die
einstmals die oestliche Haelfte der norditalischen Ebene besessen hatte,
vielleicht den Etruskern verwandt. Von dort zurueckgedraengt durch die Kelten
und vielleicht auch die Illyriker, behauptete sie sich in den noerdlichen
Gebirgen. Waehrend die nach Sueden sich oeffnenden Taeler, wie das der Etsch, zu
Italien gezogen wurden, boten jene den Suedlaendern wenig Platz und noch weniger
Reiz zur Ansiedelung und Staedtegruendung. Weiter noerdlich, auf der Hochebene
zwischen dem Bodensee und dem Inn, welche von den keltischen Staemmen der
Vindeliker eingenommen war, waere wohl fuer roemische Kultur Raum und Staette
gewesen; aber es scheint in diesem Gebiet, das nicht so wie das norische
unmittelbare Fortsetzung Italiens werden konnte und das, gleich dem angrenzenden
sogenannten Decumatenland, wohl zunaechst nur als Scheide gegen die Germanen
fuer die Roemer von Wert war, die Politik der frueheren Kaiserzeit die Kultur
vielmehr zurueckgehalten zu haben. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass
gleich nach der Eroberung man bedacht war, die Landschaft zu entvoelkern. Diesem
geht zur Seite, dass in der frueheren Kaiserzeit keine roemisch organisierte
Gemeinde hier entstanden ist. Zwar von der Anlage der grossen Strasse, die
gleich mit der Eroberung selbst von dem aelteren Drusus durch die Hochalpen an
die Donau gefuehrt ward, war die Gruendung der Augusta der Vindeliker, des
heutigen Augsburg, ein notwendiger Teil; aber es war und blieb dieser rasch
aufbluehende Ort ueber ein Jahrhundert ein Marktflecken, bis endlich Hadrian
auch in dieser Hinsicht die von Augustus vorgezeichnete Bahn verliess und die
Landschaft der Vindeliker in die Romanisierung des Nordens hineinzog. Die
Verleihung des roemischen Stadtrechts an den Vorort der Vindeliker durch Hadrian
wird damit zusammengestellt werden duerfen, dass ungefaehr um dieselbe Zeit die
Militaergrenze am Oberrhein vorgeschoben ward und roemische Staedte im
ehemaligen Decumatenland entstanden; indes ist in Raetien auch spaeter Augusta
der einzige groessere Mittelpunkt roemischer Zivilisation geblieben. Auch die
militaerischen Einrichtungen haben auf das Zurueckhalten derselben eingewirkt.
Die Provinz stand von Anfang an unter kaiserlicher Verwaltung und konnte nicht
ohne Besatzung gelassen werden; aber besondere Ruecksichten noetigten, wie dies
frueher gezeigt ward, die Regierung, nach Raetien lediglich Truppen zweiter
Klasse zu legen, und wenn diese auch der Zahl nach nicht unbetraechtlich waren,
so haben doch die kleineren Standlager der Alen und Kohorten nicht die
zivilisierende und staedtebildende Wirkung ausueben koennen wie die
Legionslager. Unter Marcus ist allerdings infolge des Markomannischen Krieges
das raetische Hauptquartier, die castra Regina, das heutige Regensburg, mit
einer Legion belegt worden; aber selbst dieser Ort scheint in roemischer Zeit
bloss Militaerniederlassung geblieben zu sein und kaum mit den Lagern zweiten
Ranges am Rhein, wie zum Beispiel Bonna, in der staedtischen Entwicklung auf
einer Linie gestanden zu haben.
Dass die Grenze Raetiens schon zu Traianus' Zeit von Regensburg westlich
eine Strecke ueber die Donau hinaus vorgeschoben war, ist frueher bemerkt und
daselbst auch ausgefuehrt worden, dass dieses Gebiet wahrscheinlich ohne
Anwendung von Waffengewalt, aehnlich wie das Decumatenland, zum Reiche gezogen
worden ist. Es wurde ebenfalls schon erwaehnt, dass die Befestigung dieses
Gebiets vielleicht mit den unter Marcus bis hierher sich erstreckenden
Einfaellen der Chatten zusammenhaengt, sowie dass diese und spaeter die
Alamannen im dritten Jahrhundert sowohl dies Vorland wie Raetien selbst
heimsuchten und schliesslich unter Gallienus den Roemern entrissen.
Die Nachbarprovinz Noricum ist wohl in der provinzialen Einrichtung
aehnlich wie Raetien behandelt worden, aber hat sich sonst anders entwickelt.
Nach keiner Richtung hin ist Italien fuer den Landverkehr so wie gegen Nordosten
aufgeschlossen; die Handelsbeziehungen Aquileias sowohl durch das Friaul nach
der oberen Donau und zu den Eisenwerken von Noreia wie ueber die Julische Alpe
zum Savetal haben hier der augustischen Grenzerweiterung vorgearbeitet wie
nirgends sonst im Donaugebiet. Nauportus (Oberlaibach), jenseits des Passes, war
ein roemischer Handelsflecken schon in republikanischer Zeit, Emona (Laibach)
eine spaeter foermlich Italien einverleibte, der Sache nach seit ihrer Gruendung
durch Augustus zu Italien gehoerige roemische Buergerkolonie. Daher genuegte,
wie frueher schon hervorgehoben ward, fuer die Umwandlung dieses "Koenigreichs"
in eine roemische Provinz wahrscheinlich die blosse Ankuendigung. Die
urspruenglich wohl illyrische, spaeter zum guten Teil keltische Bevoelkerung
zeigt keine Spur von demjenigen Festhalten an der nationalen Weise und Sprache,
welche wir bei den Kelten des Westens wahrnehmen. Roemische Sprache und
roemische Sitte muss hier frueh Eingang gefunden haben, und von Kaiser Claudius
wurde dann das gesamte Gebiet, selbst der noerdliche, durch die Tauernkette vom
Drautal getrennte Teil, nach italischer Gemeindeverfassung organisiert. Waehrend
in den Nachbarlaendern Raetien und Pannonien die Denkmaeler roemischer Sprache
entweder fehlen oder doch nur in den groesseren Zentren erscheinen, sind die
Taeler der Drau, der Mut und der Salzach und ihrer Nebenfluesse bis in das hohe
Gebirge hinauf erfuellt mit Zeugnissen der hier tief eingedrungenen
Romanisierung. Noricum ward ein Vorland und gewissermassen ein Teil Italiens;
bei der Aushebung fuer die Legion und fuer die Garde ist, so lange hier die
Italiker ueberhaupt bevorzugt wurden, diese Bevorzugung auf keine andere Provinz
so voellig erstreckt worden wie auf diese.
Hinsichtlich der militaerischen Belegung gilt von Noricum dasselbe wie von
Raetien. Aus den schon entwickelten Gruenden gab es auch in Noricum waehrend der
ersten zwei Jahrhunderte der Kaiserzeit nur Alen- und Kohortenlager; Carnuntum
(Petronell bei Wien), das in der augustischen Zeit zu Noricum gehoerte, ist, als
die illyrischen Legionen dorthin gelegt wurden, eben darum zu Pannonien gezogen
worden. Die kleineren norischen Standlager an der Donau und selbst das von
Marcus, der auch in diese Provinz eine Legion legte, fuer diese eingerichtete
Lager von Lauriacum (bei Enns) sind fuer die staedtische Entwicklung von keiner
Bedeutung gewesen; die grossen Ortschaften Noricums, wie Celeia (Cilli) im
Sanntal, Aguontum (Lienz), Teurnia (unweit Spittal), Virunum (Zollfeld bei
Klagenfurt), im Norden Iuvavum (Salzburg) sind rein aus buergerlichen Elementen
hervorgegangen.
Illyricum, das heisst das roemische Gebiet zwischen Italien und Makedonien,
wurde in republikanischer Zeit zum kleineren Teil mit der griechisch-
makedonischen Statthalterschaft vereinigt, zum groesseren als Nebenland von
Italien und, nach der Einrichtung der Statthalterschaft des Cisalpinischen
Galliens, als ein Teil von dieser verwaltet. Das Gebiet deckt sich bis zu einem
gewissen Grade mit dem weitverbreiteten Stamm, von dem es die Roemer benannt
haben: es ist derjenige, dessen duerftiger Rest an dem suedlichen Ende seines
ehemals weitgedehnten Besitzes unter dem Namen der Skipetaren, welchen sie sich
selbst beilegen, oder, wie ihre Nachbarn sie heissen, der Arnauten oder
Albanesen noch heute seine alte Nationalitaet und seine eigene Sprache bewahrt
hat. Es ist derselbe ein Glied der indogermanischen Familie und innerhalb
derselben wohl am naechsten dem griechischen Kreise verwandt, wie dies auch den
oertlichen Verhaeltnissen angemessen ist; aber er steht neben diesem wenigstens
ebenso selbstaendig wie der lateinische und der keltische. In ihrer
urspruenglichen Ausdehnung erfuellte diese Nation die Kueste des Adriatischen
Meeres von der Muendung des Po durch Istrien, Dalmatien und Epirus bis gegen
Akarnanien und Aetolien, ferner im Binnenlande das obere Makedonien sowie das
heutige Serbien und Bosnien und das ungarische Gebiet auf dem rechten Ufer der
Donau; sie grenzt also oestlich an die thrakischen Voelkerschaften, westlich an
die keltischen, von welchen letzteren Tacitus sie ausdruecklich unterscheidet.
Es ist ein kraeftiger Schlag suedlaendischer Art, mit schwarzem Haar und dunklen
Augen, sehr verschieden von den Kelten und mehr noch von den Germanen,
nuechterne, maessige, unerschrockene, stolze Leute, vortreffliche Soldaten, aber
buergerlicher Entwicklung wenig zugaenglich, mehr Hirten als Ackerbauer. Zu
einer groesseren politischen Entwicklung ist er nicht gelangt. An der italischen
Kueste traten ihnen wahrscheinlich zunaechst die Kelten entgegen; die
wahrscheinlich illyrischen Voelkerschaften daselbst, insbesondere die Veneter,
wurden durch die Rivalitaet mit den Kelten frueh zu fuegsamen Untertanen der
Roemer. Am Ende des 6. Jahrhunderts der Stadt engte die Gruendung von Aquileia
und die Unterwerfung der Halbinsel Istrien weiter ihre Grenzen ein. An der
Ostkueste des Adriatischen Meeres waren die wichtigeren Inseln und die
Suedhaefen des Kontinents seit langem von den kuehnen hellenischen Schiffern
okkupiert. Als dann in Skodra (Scutari), gewissermassen in alter Zeit wie
heutzutage dem Zentralpunkt des illyrischen Landes, die Herrscher anfingen, sich
zu eigener Macht zu entwickeln und besonders auf dem Meere die Griechen zu
befehden, schlug Rom schon vor dem Hannibalischen Kriege sie mit gewaltiger Hand
nieder und nahm die ganze Kueste unter seine Schutzherrschaft, welche bald,
nachdem der Herr von Skodra mit dem Koenig Perseus von Makedonien den Krieg und
die Niederlage geteilt hatte, die voellige Aufloesung dieses Fuerstentums
herbeifuehrte. Am Ende des 6. Jahrhunderts der Stadt und in der ersten Haelfte
des siebenten wurde in langjaehrigen Kaempfen auch die Kueste zwischen Istrien
und Skodra von den Roemern besetzt. Im Binnenland wurden die Illyrier in
republikanischer Zeit von den Roemern wenig beruehrt; dafuer aber muessen, von
Westen her vordringend, die Kelten einen guten Teil urspruenglich illyrischen
Gebiets in ihre Gewalt gebracht haben, so das spaeterhin ueberwiegend keltische
Noricum. Kelten sind auch die Latobiker im heutigen Krain; und in dem gesamten
Gebiet zwischen Save und Drau, ebenso im Raabtal sassen die beiden grossen
Staemme im Gemenge, als Caesar Augustus die suedlichen Distrikte Pannoniens der
roemischen Herrschaft unterwarf. Wahrscheinlich hat diese starke Mischung mit
keltischen Elementen neben der ebenen Bodenbeschaffenheit zu dem fruehen
Untergang der illyrischen Nation in den pannonischen Landschaften ihren Teil
beigetragen. In die suedliche Haelfte der von Illyriern bewohnten Landschaften
dagegen sind von den Kelten nur die Skordisker vorgedrungen, deren Festsetzung
an der unteren Save bis zur Morawa und deren Streifereien bis in die Naehe von
Thessalonike frueher erwaehnt worden sind. Die Griechen aber haben hier ihnen
gewissermassen den Platz geraeumt; das Sinken der makedonischen Macht und die
Veroedung von Epirus und Aetolien muessen die Ausbreitung der illyrischen
Nachbarn gefoerdert haben. Bosnien, Serbien, vor allem Albanien sind in der
Kaiserzeit illyrisch gewesen, und Albanien ist es noch heute.
Es ist frueher erzaehlt worden, dass Illyricum schon nach der Absicht des
Diktators Caesar als eigene Statthalterschaft konstituiert werden sollte und
diese Absicht bei der Teilung der Provinzen zwischen Augustus und dem Senat zur
Ausfuehrung kam; dass diese anfangs dem Senat ueberwiesene Statthalterschaft
wegen der daselbst notwendigen Kriegfuehrung auf den Kaiser ueberging; dass
Augustus diese Statthalterschaft teilte und die bis dahin im ganzen nur
nominelle Herrschaft ueber das Binnenland sowohl in Dalmatien wie im Savegebiet
effektiv machte; dass er endlich die gewaltige nationale Insurrektion, die bei
den dalmatischen wie bei den pannonischen Illyriern im Jahre 6 n. Chr. ausbrach,
nach schwerem vierjaehrigem Kampf ueberwaeltigte. Es bleibt uebrig, die ferneren
Schicksale zunaechst der suedlichen Provinz zu berichten.
Nach den bei der Insurrektion gemachten Erfahrungen schien es erforderlich,
nicht bloss die in Illyricum ausgehobenen Mannschaften statt wie bisher in ihrer
Heimat, vielmehr auswaerts zu verwenden, sondern auch die Dalmater wie die
Pannonier durch ein Kommando ersten Ranges in Botmaessigkeit zu halten. Dasselbe
hat seinen Zweck rasch erfuellt. Der Widerstand, den die Illyriker unter
Augustus der ungewohnten Fremdherrschaft entgegensetzten, hat sich ausgetobt mit
dem einen gewaltigen Sturm; spaeterhin verzeichnen unsere Berichte keine
aehnliche auch nur partielle Bewegung. Fuer das suedliche oder, nach dem
roemischen Ausdruck, das obere Illyricum, die Provinz Dalmatien, wie sie seit
der Zeit der Flavier gewoehnlich heisst, begann mit dem Kaiserregiment eine neue
Epoche. Die griechischen Kaufleute hatten wohl auf der ihnen naechst liegenden
Kueste die beiden grossen Emporien Apollonia (bei Valona) und Dyrrachium
(Durazzo) gegruendet; eben darum war dieser Teil schon unter der Republik der
griechischen Verwaltung ueberwiesen worden. Aber weiter nordwaerts hatten die
Hellenen nur auf den vorliegenden Inseln Issa (Lissa), Pharos (Lesina), Schwarz-
Kerkyra (Curzola) sich angesiedelt und von da aus den Verkehr mit den
Eingeborenen, namentlich an der Kueste von Narona und in den Salonae
vorliegenden Ortschaften, unterhalten. Unter der roemischen Republik hatten die
italischen Haendler, welche hier die Erbschaft der griechischen antraten, in den
Haupthaefen Epitaurum (Ragusa vecchia), Narona, Salonae, Iader (Zara) sich in
solcher Zahl niedergelassen, dass sie in dem Kriege zwischen Caesar und Pompeius
eine nicht unwesentliche Rolle spielen konnten. Aber Verstaerkung durch dort
angesiedelte Veteranen und, was die Hauptsache war, staedtisches Recht empfingen
diese Ortschaften erst durch Augustus, und zugleich kam teils die energische
Unterdrueckung der auf den Inseln noch bestehenden Piratenschlupfwinkel, teils
die Unterwerfung des Binnenlandes und die Vorschiebung der roemischen Grenze
gegen die Donau insbesondere diesen auf der Ostkueste des Adriatischen Meeres
angesiedelten Italikern zugute. Vor allem die Hauptstadt des Landes, der Sitz
des Statthalters und der gesamten Verwaltung, Salonae, bluehte rasch auf und
ueberfluegelte weit die aelteren griechischen Ansiedlungen Apollonia und
Dyrrachium, obwohl in die letztere Stadt, ebenfalls unter Augustus, italische
Kolonisten, freilich nicht Veteranen, sondern expropriierte Italiker, gesendet
und die Stadt als roemische Buergergemeinde eingerichtet wurde. Vermutlich hat
bei dem Aufbluehen Dalmatiens und dem Verkuemmern der illyrisch-makedonischen
Kueste der Gegensatz des kaiserlichen und des Senatsregimentes eine wesentliche
Rolle gespielt, die bessere Verwaltung sowohl wie die Bevorzugung bei dem
eigentlichen Machthaber. Damit wird weiter zusammenhaengen, dass die illyrische
Nationalitaet sich in dem Bereich der makedonischen Statthalterschaft besser
behauptet hat als in dem der dalmatischen: in jenem lebt sie heute noch fort und
es muss in der Kaiserzeit, abgesehen von dem griechischen Apollonia und der
italischen Kolonie Dyrrachium, neben den beiden Reichssprachen im Binnenland,
die des Volkes, die illyrische, geblieben sein. In Dalmatien dagegen wurden die
Kueste und die Inseln, soweit sie irgend sich eigneten - die unwirtliche Strecke
nordwaerts von Iader blieb in der Entwicklung notwendig zurueck -, nach
italischer Ordnung kommunalisiert, und bald sprach die ganze Kueste lateinisch,
etwa wie heutzutage venezianisch. Dem Vordringen der Zivilisation in das
Binnenland traten oertliche Schwierigkeiten entgegen. Dalmatiens bedeutende
Stroeme bilden mehr Wasserfaelle als Wasserstrassen; und auch die Herstellung
der Landstrassen stoesst bei der Beschaffenheit seines Bergnetzes auf
ungewoehnliche Schwierigkeiten. Die roemische Regierung hat ernstliche
Anstrengungen gemacht, das Land aufzuschliessen. Unter dem Schutz des
Legionslagers von Burnum entwickelte im Kerkatal, in dem der Cettina unter dem
des Lagers von Delminium, welche Lager auch hier die Traeger der Zivilisierung
und der Latinisierung gewesen sein werden, sich die Bodenbestellung nach
italischer Art, auch die Pflanzung der Rebe und der Olive und ueberhaupt
italische Ordnung und Gesittung. Dagegen jenseits der Wasserscheide, zwischen
dem Adriatischen Meer und der Donau, sind die auch fuer den Ackerbau wenig
guenstigen Taeler von der Kulpa bis zum Drin in roemischer Zeit in aehnlichen
primitiven Verhaeltnissen verblieben, wie sie das heutige Bosnien aufweist.
Kaiser Tiberius allerdings hat durch die Soldaten der dalmatinischen Lager von
Salonae bis in die Taeler Bosniens verschiedene Chausseen gefuehrt; aber die
spaeteren Regierungen liessen, wie es scheint, die schwierige Aufgabe fallen. An
der Kueste und in den der Kueste naehergelegenen Strichen bedurfte Dalmatien
bald keiner weiteren militaerischen Hut; die Legionen des Kerka- und des
Cettinatales konnte schon Vespasian von dort wegziehen und anderweitig
verwenden. Unter dem allgemeinen Verfall des Reiches im dritten Jahrhundert hat
Dalmatien verhaeltnismaessig wenig gelitten, ja Salonae wohl erst damals seine
hoechste Bluete erreicht. Freilich ist dies zum Teil dadurch veranlasst, dass
der Regenerator des roemischen Staates, Kaiser Diocletianus, ein geborener
Dalmatiner war und sein auf die Dekapitalisierung Roms gerichtetes Streben der
Hauptstadt seines Heimatlandes vorzugsweise zugute kommen liess: er baute neben
derselben den gewaltigen Palast, von dem die heutige Hauptstadt der Provinz den
Namen Spalato traegt, innerhalb dessen sie zum groessten Teil Platz gefunden hat
und dessen Tempel ihr heute als Dom und als Baptisterium ^1 dienen. Aber zur
Grossstadt hat nicht erst Diocletian Salonae gemacht, sondern, weil sie es war,
sie fuer seine Privatresidenz gewaehlt; Handel und Schiffahrt und Gewerbe
muessen damals in diesen Gewaessern vorzugsweise in Aquileia und in Salonae sich
konzentriert haben und die Stadt eine der volkreichsten und wohlhabendsten des
Okzidents gewesen sein. Die reichen Eisengruben Bosniens waren, wenigstens in
der spaeteren Kaiserzeit, in starkem Betrieb; ebenso lieferten die Waelder der
Provinz massenhaftes und vorzuegliches Bauholz; auch von der bluehenden
Textilindustrie des Landes bewahrt die priesterliche Dalmatica noch heute eine
Erinnerung. Ueberhaupt ist die Zivilisierung und die Romanisierung Dalmatiens
eine der eigensten und eine der bedeutendsten Erscheinungen der Kaiserzeit. Die
Grenze Dalmatiens und Makedoniens ist zugleich die politische und die
sprachliche Scheide des Okzidents und des Orients. Bei Skodra beruehren sich,
wie die Herrschaftsgebiete Caesars und Marc Antons, so auch nach der
Reichsteilung des vierten Jahrhunderts die von Rom und Byzanz. Hier grenzt die
lateinische Provinz Dalmatien mit der griechischen Provinz Makedonien; und
kraeftig emporstrebend und ueberlegen, mit gewaltig treibender Propaganda, steht
hier die juengere neben der aelteren Schwester.
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^1 Das Baptisterium ist vielleicht das Grabmal des Kaisers.
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Wenn die suedliche illyrische Provinz und ihr Friedensregiment bald in
geschichtlicher Beziehung nicht ferner hervortritt, so bildet das noerdliche
Illyricum oder, wie es gewoehnlich heisst, Pannonien in der Kaiserzeit eines der
grossen militaerischen und somit auch politischen Zentren. In dem Donauheer
haben die pannonischen Lager die fuehrende Stellung wie im Westen die
rheinischen, und die dalmatischen und die moesischen schliessen ihnen in
aehnlicher Weise sich an und ordnen ihnen sich unter wie den rheinischen die
Legionen Spaniens und Britanniens. Die roemische Zivilisation steht und bleibt
hier unter dem Einfluss der Lager, die in Pannonien nicht, wie in Dalmatien, nur
einige Generationen hindurch, sondern dauernd verblieben. Nach der
Ueberwaeltigung des Batonischen Aufstandes belief die regelmaessige Besatzung
der Provinz sich zuerst auf drei, spaeter, wie es scheint, nur auf zwei
Legionen, und durch deren Standlager und ihre Vorschiebung ist die weitere
Entwicklung bedingt. Wenn Augustus nach dem ersten Kriege gegen die Dalmater
Siscia an der Muendung der Kulpa in die Save zum Hauptwaffenplatz ausersehen
hatte, so waren, nachdem Tiberius Pannonien mindestens bis an die Drau
unterworfen hatte, die Lager an diese vorgeschoben worden, und wenigstens eines
der pannonischen Hauptquartiere befand sich seitdem in Poetovio (Pettau) an der
norischen Grenze. Die Ursache, weshalb die pannonische Armee ganz oder zum Teil
im Drautal verblieb, kann nur die gleiche gewesen sein, welche zu der Anlage der
dalmatinischen Legionslager gefuehrt hat: man brauchte hier die Truppen, um die
Untertanen sowohl in dem nahen Noricum wie vor allem im Draugebiet selbst in
Gehorsam zu halten. Auf der Donau hielt die roemische Flotte Wacht, die schon im
Jahre 50 erwaehnt wird und vermutlich mit der Einrichtung der Provinz entstanden
war. Legionslager gab es am Flusse selbst unter der Julisch-Claudischen Dynastie
vielleicht noch nicht ^2, wobei in Betracht kommt, dass der zunaechst der
Provinz vorliegende Suebenstaat von Rom damals vollstaendig abhaengig war und
fuer die Grenzdeckung einigermassen genuegte. Wie die dalmatinischen, hat dann,
wie es scheint, Vespasian auch die Lager an der Drau aufgehoben und sie an die
Donau selbst verlegt; seitdem ist das grosse Hauptquartier der pannonischen
Armee das frueher norische Carnuntum (Petronell oestlich von Wien) und daneben
Vindobona (Wien).
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^2 Dass im Jahre 50 noch keine Legionen an der Donau selbst standen, folgt
aus Tac. ann. 12, 29; sonst waere es nicht noetig gewesen, zur Aufnahme der
uebertretenden Sueben eine Legion dorthin zu schicken. Auch die Anlage des
claudischen Savaria passt besser, wenn die Stadt damals norisch war, als wenn
sie schon zu Pannonien gehoerte; und da die Zuteilung dieser Stadt zu Pannonien
mit der gleichen Abtrennung von Carnuntum und mit der Verlegung der Legion dahin
sicher der Zeit nach zusammengehoert, so duerfte dies alles erst in
nachclaudischer Zeit stattgefunden haben. Auch die geringe Zahl der in den
Donaulagern gefundenen Inschriften von Italikern (Eph. epigr. 5, p. 225) deutet
auf spaetere Entstehung. Allerdings haben sich in Carnuntum einige Grabschriften
von Soldaten der 15. Legion gefunden, die nach der aeusseren Form und nach dem
Fehlen des Cognomen aelter zu sein scheinen (O. Hirschfeld in Aerchaeologisch-
epigraphische Mittheilungen 5, 1881, S. 217). Derartige Zeitbestimmungen
koennen, wo es sich um ein Dezennium handelt, volle Sicherheit nicht in Anspruch
nehmen; indes muss eingeraeumt werden, dass auch jene Argumente keinen vollen
Beweis machen und die Translokation frueher, etwa unter Nero, begonnen haben
kann. Fuer die Anlegung oder Erweiterung dieses Lagers durch Vespasian spricht
die einen derartigen Bau bezeugende Inschrift von Carnuntum aus dem Jahre 73
(Hirschfeld a. a. O.).
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Die buergerliche Entwicklung, wie wir sie in Noricum und an der Kueste
Dalmatiens fanden, zeigt in Pannonien in gleicher Weise sich nur in einigen, an
der norischen Grenze gelegenen und zum Teil urspruenglich zu Noricum gehoerigen
Distrikten; Emona und das obere Savetal stehen mit Noricum gleich, und wenn
Savaria (Steinamanger) zugleich mit den norischen Staedten italische
Stadtverfassung empfangen hat, so wird, solange Carnuntum eine norische Stadt
war, wohl auch jener Ort zu Noricum gehoert haben. Erst seitdem die Truppen an
der Donau standen, ging die Regierung daran, das Hinterland staedtisch zu
organisieren. In dem westlichen, urspruenglich norischen Gebiet erhielt
Scarbantia (Oedenburg am Neusiedler See) unter den Flaviern Stadtrecht, waehrend
Vindobona und Carnuntum von selbst zu Lagerstaedten wurden. Zwischen Save und
Drau empfingen Siscia und Sirmium unter den Flaviern, an der Drau Poetovio
(Pettau) unter Traianus Stadtrecht, Mursa (Eszeg) unter Hadrian Kolonialrecht,
um hier nur der Hauptorte zu gedenken. Dass die ueberwiegend illyrische, aber
zum guten Teil auch keltische Bevoelkerung der Romanisierung keinen energischen
Widerstand entgegensetzte, ist schon ausgesprochen worden; die alte Sprache und
die alte Sitte schwanden, wo die Roemer hinkamen, und hielten sich nur in den
entfernteren Bezirken. Die weiten, aber wenig zur Ansiedelung einladenden
Striche oestlich vom Raabfluss und noerdlich der Drau bis zur Donau sind wohl
schon seit Augustus zum Reiche gerechnet worden, aber vielleicht in nicht viel
anderer Weise als Germanien vor der Varusschlacht; hier hat die staedtische
Entwicklung weder damals noch spaeter rechten Boden gefunden, und auch
militaerisch ist dieses Gebiet lange Zeit wenig oder gar nicht belegt worden.
Dies hat sich erst infolge der Einverleibung Dakiens unter Traian einigermassen
geaendert; die dadurch herbeigefuehrte Vorschiebung der pannonischen Lager gegen
die Ostgrenze der Provinz und die weitere innere Entwicklung Pannoniens wird
besser im Zusammenhang mit den Traianischen Kriegen geschildert.
Das letzte Stueck des rechten Donauufers, das Bergland zu beiden Seiten des
Margus (Morawa) und das zwischen dem Haemus und der Donau lang sich
hinstreckende Flachland, war bewohnt von thrakischen Voelkerschaften; und es
erscheint zunaechst erforderlich, auf diesen grossen Stamm als solchen einen
Blick zu werfen. Er geht dem illyrischen in gewissem Sinne parallel. Wie die
Illyrier einst die Landschaften vom Adriatischen Meer bis zur mittleren Donau
erfuellten, so sassen ehemals die Thraker oestlich von ihnen, vom Aegaeischen
Meer bis zur Donaumuendung und nicht minder einerseits auf dem linken Donauufer
namentlich in dem heutigen Siebenbuergen, andererseits jenseits des Bosporus
wenigstens in Bithynien und bis nach Phrygien; nicht mit Unrecht nennt Herodot
die Thraker das groesste der ihm bekannten Voelker nach den Indern. Wie der
illyrische ist auch der thrakische Stamm zu keiner vollen Entwicklung gelangt
und erscheint mehr gedraengt und verdraengt als in eigener, geschichtliche
Erinnerung hinterlassender Entwicklung. Aber waehrend Sprache und Sitte der
Illyrier sich in einer wenngleich im Laufe der Jahrhunderte verschlissenen Form
bis auf den heutigen Tag erhalten haben und wir mit einigem Recht das Bild der
Palikaren aus der neueren Geschichte in die der roemischen Kaiserzeit
uebertragen, so gilt das gleiche von den thrakischen Staemmen nicht. Vielfach
und sicher ist es bezeugt, dass die Voelkerschaften des Gebiets, welchem infolge
der roemischen Provinzialteilung schliesslich der Name Thrakien geblieben ist,
sowie die moesischen zwischen dem Balkan und der Donau, und nicht minder die
Geten oder Daker am anderen Donauufer alle eine und dieselbe Sprache redeten. Es
hatte diese Sprache in dem roemischen Kaiserreich eine aehnliche Stellung wie
die der Kelten und der Syrer. Der Historiker und Geograph der augustischen Zeit,
Strabo, erwaehnt die Gleichheit der Sprache der genannten Voelker; in
botanischen Schriften der Kaiserzeit werden von einer Anzahl Pflanzen die
dakischen Benennungen angegeben ^3. Als seinem Zeitgenossen, dem Poeten Ovidius
Gelegenheit gegeben wurde, ueber seinen allzu flotten Lebenswandel fern in der
Dobrudscha nachzudenken, benutzte er seine Musse, um getisch zu lernen, und
wurde fast ein Getenpoet:
Und ich schrieb, o weh! ein Gedicht in getischer Sprache,
Gratulierst du mir nicht, dass ich den Geten gefiel?
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^3 Thrakischer, getischer, dakischer Orts- und Personennamen kennen wir
ganze Reihen; sprachlich bemerkenswert ist eine mit -centhus zusammengesetzte
Gruppe von Personennamen: Bithicenthus, Zipacenthus, Disacenthus, Tracicenthus,
Linicenthus (BCH 6, 1882, S. 179), von denen die ersten beiden in ihrer anderen
Haelfte (Bithus, Zipa) auch isoliert haeufig begegnen. Eine aehnliche Gruppe
bilden die Composita mit -poris, wie Mucaporis (Thraker BCH, a. a. O., Daker
zahlreich), Cetriporis, Rhaskyporis, Bithoporis, Dirdiporis.
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Aber wenn die irischen Barden, die syrischen Missionare, die Bergtaeler
Albaniens anderen Idiomen der Kaiserzeit eine gewisse Fortdauer gewahrt haben,
so ist das thrakische unter dem Voelkergewoge des Donaugebiets und dem
uebermaechtigen Einfluss Konstantinopels verschollen, und wir vermoegen nicht
einmal die Stelle zu bestimmen, welche ihm in dem Voelkerstammbaum zukommt. Die
Schilderungen von Sitten und Gebraeuchen einzelner dazugehoeriger
Voelkerschaften, ueber welche mancherlei Notizen sich erhalten haben, ergeben
keine fuer den ganzen Stamm gueltigen individuellen Zuege und heben meistens nur
Einzelheiten hervor, wie sie bei allen Voelkern auf niederer Kulturstufe sich
zeigen. Aber ein Soldatenvolk sind sie gewesen und geblieben, als Reiter nicht
minder brauchbar wie fuer die leichte Infanterie, von den Zeiten des
Peloponnesischen Krieges und Alexanders bis hinab in die der roemischen
Caesaren, mochten sie gegen diese sich stemmen oder spaeter fuer sie fechten.
Auch die wilde, aber grossartige Weise der Goetterverehrung darf vielleicht als
ein diesem Stamm eigentuemlicher Grundzug aufgefasst werden, der gewaltige
Ausbruch der Fruehlings- und der Jugendlust, die naechtlichen Bergfeste
fackelschwingender Maedchen, die rauschende, sinnverwirrende Musik, der
stroemende Wein und das stroemende Blut, der in Aufregung aller sinnlichen
Leidenschaften zugleich rasende Taumel der Feste. Dionysos, der herrliche und
der schreckliche, ist ein thrakischer Gott, und was der Art in dem hellenischen
und dem roemischen Kult besonders hervortritt, knuepft an thrakische oder
phrygische Sitte an.
Waehrend die illyrischen Voelkerschaften in Dalmatien und Pannonien nach
der Niederwerfung der grossen Insurrektion in den letzten Jahren des Augustus
die Entscheidung der Waffen nicht wieder gegen die Roemer angerufen haben, gilt
von den thrakischen Staemmen nicht das gleiche; der oft bewiesene
Unabhaengigkeitssinn und die wilde Tapferkeit dieser Nation verleugnete auch in
ihrem Untergang sich nicht. In dem Thrakien suedlich vom Haemus blieb das alte
Fuerstenrum unter roemischer Oberhoheit. Das einheimische Herrscherhaus der
Odrysen, mit der Residenz Bizye (Wiza) zwischen Adrianopel und der Kueste des
Schwarzen Meeres, tritt schon in der frueheren Zeit unter den thrakischen
Fuerstengeschlechtern am meisten hervor; nach der Triumviralzeit ist von anderen
thrakischen Koenigen als denen dieses Hauses nicht ferner die Rede, so dass die
uebrigen Fuersten durch Augustus zu Vasallen gemacht oder beseitigt zu sein
scheinen und mit dem thrakischen Koenigtum fortan nur Glieder dieses Geschlechts
belehnt worden sind. Es geschah dies wahrscheinlich deshalb, weil waehrend des
ersten Jahrhunderts, wie weiterhin zu zeigen sein wird, an der unteren Donau
keine roemischen Legionen standen; den Grenzschutz an der Donaumuendung
erwartete Augustus von dem thrakischen Vasallen. Rhoemetalkes, welcher in der
zweiten Haelfte der Regierung des Augustus als roemischer Lehnskoenig das
gesamte Thrakien beherrschte ^4, und seine Kinder und Enkel spielten denn auch
in diesem Lande ungefaehr dieselbe Rolle wie Herodes und seine Nachkommen in
Palaestina: unbedingte Ergebenheit gegen den Oberherrn, entschiedene Hinneigung
zu roemischem Wesen, Verfeindung mit den eigenen, die nationale Unabhaengigkeit
festhaltenden Landsleuten bezeichnen die Stellung des thrakischen
Herrscherhauses. Die grosse, frueher erzaehlte thrakische Insurrektion der Jahre
741-743 (13-11) richtete sich zunaechst gegen diesen Rhoemetalkes und seinen
Bruder und Mitherrscher Kotys, der dabei umkam, und wie er damals den Roemern
die Wiedereinsetzung in seine Herrschaft verdankte, so trug er ihnen einige
Jahre spaeter seinen Dank ab, indem er bei dem Aufstand der Dalmater und der
Pannonier, dem seine dakischen Stammesgenossen sich anschlossen, treu zu den
Roemern hielt und an der Niederwerfung desselben wesentlichen Anteil hatte. Sein
Sohn Kotys war mehr Roemer oder vielmehr Grieche als Thraker; er fuehrte seinen
Stammbaum zurueck auf Eumolpos und Erichthonios und gewann die Hand einer
Verwandten des kaiserlichen Hauses, der Urenkelin des Triumvirn Antonius; nicht
bloss die griechischen und die lateinischen Poeten seiner Zeit sangen ihn an,
sondern er selbst war ebenfalls und nicht getischer Dichter ^5. Der letzte der
thrakischen Koenige, des frueh gestorbenen Kotys Sohn Rhoemetalkes, war in Rom
aufgewachsen und gleich dem Herodeer Agrippa des Kaisers Gaius Jugendgespiele.
Die thrakische Nation aber teilte keineswegs die roemischen Neigungen des
regierenden Hauses, und die Regierung ueberzeugte sich allmaehlich in Thrakien
wie in Palaestina, dass der schwankende, nur durch bestaendiges Eingreifen der
Schutzmacht aufrecht erhaltene Vasallenthron weder fuer sie noch fuer das Land
von Nutzen und die Einfuehrung der unmittelbaren Verwaltung in jeder Hinsicht
vorzuziehen sei. Kaiser Tiberius benutzte die in dem thrakischen Koenigshause
entstandenen Zerwuerfnisse, um in der Form der Vormundschaftsfuehrung ueber die
unmuendigen Prinzen im Jahre 19 einen roemischen Statthalter, Titus Trebellenus
Rufus, nach Thrakien zu schicken. Doch vollzog sich diese Okkupation nicht ohne
freilich erfolglosen, aber ernstlichen Widerstand des Volkes, das namentlich in
den Bergtaelern sich um die von Rom gesetzten Herrscher wenig kuemmerte, und
dessen Mannschaften, von ihren Stammhaeuptern gefuehrt, sich kaum als
koenigliche, noch weniger als roemische Soldaten fuehlten. Die Sendung des
Trebellenus rief im Jahre 21 einen Aufstand hervor, an dem nicht bloss die
angesehensten thrakischen Voelkerschaften sich beteiligten, sondern der
groessere Verhaeltnisse anzunehmen drohte; Boten der Insurgenten gingen ueber
den Haemus, um in Moesien und vielleicht noch weiter hin den Nationalkrieg zu
entfachen. Indes die moesischen Legionen erschienen rechtzeitig, um
Philippopolis, das die Aufstaendischen belagerten, zu entsetzen und die Bewegung
zu unterdruecken. Aber als einige Jahre spaeter (25) die roemische Regierung in
Thrakien Aushebungen anordnete, weigerten sich die Mannschaften, ausserhalb des
eigenen Landes zu dienen. Da keine Ruecksicht darauf genommen wurde, stand das
ganze Gebirge auf und es folgte ein Verzweiflungskampf, in welchem die
Insurgenten, endlich durch Durst und Hunger bezwungen, zum grossen Teil teils in
die Schwerter der Feinde, teils in die eigenen sich stuerzten und lieber dem
Leben entsagten als der altgewohnten Freiheit. Das unmittelbare Regiment dauerte
in der Form der Vormundschaftsfuehrung in Thrakien bis zum Tode des Tiberius;
und wenn Kaiser Gaius bei dem Antritt der Regierung dem thrakischen Jugendfreund
ebenso wie dem juedischen die Herrschaft zurueckgab, so machte wenige Jahre
darauf, im Jahre 46, die Regierung des Claudius ihr definitiv ein Ende. Auch
diese schliessliche Einziehung des Koenigreichs und Umwandlung in einen
roemischen Bezirk traf noch auf eine gleich hoffnungslose und gleich
hartnaeckige Gegenwehr. Aber mit der Einfuehrung der unmittelbaren Verwaltung
ist der Widerstand gebrochen. Eine Legion hat der Statthalter, anfangs von
Ritter-, seit Traian von Senatorenrang, niemals gehabt; die in das Land gelegte
Besatzung, wenn sie auch nicht staerker war als 2000 Mann nebst einem kleinen
bei Perinthos stationierten Geschwader, genuegte in Verbindung mit den sonst von
der Regierung getroffenen Vorsichtsmassregeln, um die Thraker niederzuhalten.
Mit der Anlegung der Militaerstrassen wurde gleich nach der Einziehung begonnen;
wir finden, dass die bei dem Zustand des Landes erforderlichen Stationsgebaeude
fuer die Unterkunft der Reisenden bereits im Jahre 61 von der Regierung
eingerichtet und dem Verkehr uebergeben wurden. Thrakien ist seitdem eine
gehorsame und wichtige Reichsprovinz; kaum hat irgendeine andere fuer alle Teile
der Kriegsmacht, insbesondere auch fuer die Reiterei und die Flotte, so
zahlreiche Mannschaften gestellt wie dieses alte Heimatland der Fechter und der
Lohnsoldaten.
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^4 Das sagt Tac. ann. 2, 64 ausdruecklich. Freie Thraker, vom roemischen
Standpunkt aus betrachtet, gab es damals nicht; wohl aber behauptete das
thrakische Gebirge, namentlich die Rhodope der Besser, auch im Friedensstand den
von Rom eingesetzten Fuersten gegenueber eine kaum als Untertaenigkeit zu
bezeichnende Stellung; sie erkannten wohl den Koenig an, gehorchten ihm aber,
wie Tacitus (a. a. O. und 4, 46 u. 51) sagt, nur, wenn es ihnen passte.
^5 Wir haben noch ein Kotys gewidmetes griechisches Epigramm des Antipater
von Thessalonike (Anthol. Planud. 4, 75), desselben Dichters, der auch den
Thrakersieger Piso feierte, und eine an Kotys gerichtete lateinische Epistel in
Versen des Ovidius (Pont. 2, 9).
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Die ernsten Kaempfe, welche die Roemer auf dem sogenannten thrakischen
Ufer, in der Landschaft zwischen dem Balkan und der Donau mit derselben Nation
zu bestehen hatten und welche zu der Einrichtung des moesischen Kommandos
fuehrten, bilden einen wesentlichen Bestandteil der Regulierung der Nordgrenze
in augustischer Zeit und sind in ihrem Zusammenhang bereits geschildert worden.
Von aehnlichem Widerstand, wie die Thraker ihn den Roemern entgegensetzten, wird
aus Moesien nichts berichtet; die Stimmung daselbst mag nicht anders gewesen
sein, aber in dem ebenen Lande und unter dem Druck der bei Viminacium lagernden
Legionen trat der Widerstand nicht offen hervor.
Die Zivilisation kam den thrakischen Voelkerschaften, wie den illyrischen,
von zwei Seiten: von der Kueste her und von der makedonischen Grenze die der
Hellenen, von der dalmatischen und pannonischen die lateinische. Ueber jene wird
zweckmaessiger zu handeln sein, wo wir versuchen, die Stellung der europaeischen
Griechen unter der Kaiserherrschaft zu bezeichnen; hier genuegt es im
allgemeinen hervorzuheben, dass dieselbe auch hier nicht bloss das Griechentum,
wo sie es fand, geschuetzt hat und die gesamte Kueste, auch die dem Statthalter
von Moesien untergebene, stets griechisch geblieben ist, sondern dass die
Provinz Thrakien, deren Zivilisation ernstlich erst von Traian begonnen und
durchaus ein Werk der Kaiserzeit ist, nicht in die roemische Bahn gelenkt,
sondern hellenisiert ward. Selbst die noerdlichen Abhaenge des Haemus, obwohl
administrativ zu Moesien gehoerig, sind in diese Hellenisierung hineingezogen,
Nikopolis an der Jantra und Markianopolis unweit Varna, beides Gruendungen
Traians, nach griechischem Schema organisiert worden.
Von der lateinischen Zivilisation Moesiens gilt das gleiche wie von der des
angrenzenden dalmatischen und pannonischen Binnenlandes; nur tritt dieselbe, wie
natuerlich, um so viel spaeter, schwaecher und unreiner auf, je weiter sie von
ihrem Ausgangspunkt sich entfernt. Ueberwiegend ist sie hier den Legionslagern
gefolgt und mit diesen nach Osten hin vorgedrungen, ausgehend von den
wahrscheinlich aeltesten Moesiens bei Singidunum (Belgrad) und Viminacium
(Kostolatz) ^6. Freilich hat sie, der Beschaffenheit ihrer bewaffneten Apostel
entsprechend, auch in Obermoesien sich auf sehr niedriger Stufe gehalten und den
primitiven Zustaenden noch Spielraum genug gelassen. Viminacium hat durch
Hadrian italisches Stadtrecht erhalten. Niedermoesien zwischen dem Balkan und
der Donau ist in der frueheren Kaiserzeit wohl durchaus in der Verfassung
geblieben, welche die Roemer vorfanden; erst als die Legionslager an der unteren
Donau bei Novae, Durostorum und Troesmis gegruendet wurden, was, wie weiter
unten dargelegt werden wird, wohl erst im Anfang des 2. Jahrhunderts geschah,
ist auch dieser Teil des rechten Donauufers eine Staette derjenigen italischen
Zivilisation geworden, welche mit der Lagerordnung sich vertrug. Seitdem sind
hier auch buergerliche Ansiedlungen entstanden, namentlich an der Donau selbst
zwischen den grossen Standlagern die nach italischem Muster eingerichteten
Staedte Ratiaria unweit Widin und Oescus am Einfluss der Iskra in die Donau, und
allmaehlich naeherte sich die Landschaft dem Niveau der damals noch bestehenden,
freilich in sich verfallenden roemischen Kultur. Fuer den Wegebau in
Untermoesien sind seit Hadrian, von dem die aeltesten bisher daselbst gefundenen
Meilensteine herruehren, die Regenten vielfach taetig gewesen.
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^6 Es ist eine der empfindlichsten Luecken der roemischen Kaisergeschichte,
dass die Standlager der beiden Legionen, welche unter den Julisch-Claudischen
Kaisern die Besatzung von Moesien bildeten, der 4. Scythica und der 5.
Macedonica (wenigstens standen diese dort im Jahre 33: CIL III, 1698) sich bis
jetzt nicht mit Sicherheit nachweisen lassen. Wahrscheinlich waren es Viminacium
und Singidunum in dem spaeteren Obermoesien. Unter den Legionslagern
Niedermoesiens, von denen namentlich das von Troesmis zahlreiche Monumente
aufzuweisen hat, scheint keines aelter zu sein als Hadrian; die Ueberreste der
obermoesischen sind bis jetzt so sparsam, dass sie wenigstens nicht hindern,
deren Entstehung ein Jahrhundert weiter zurueck zu legen. Wenn der Koenig von
Thrakien im Jahre 18 gegen Bastarner und Skythen ruestet (Tac. ann. 2, 65), so
haette dies auch als Vorwand nicht geltend gemacht werden koennen, wenn
niedermoesische Legionslager schon damals bestanden haetten. Eben diese
Erzaehlung zeigt, dass die Kriegsmacht dieses Lehnsfuersten nicht unbedeutend
war, und die Beseitigung eines unfuegsamen Koenigs von Thrakien Vorsicht
erheischte.
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Wenden wir uns von der Uebersicht der roemischen Herrschaft, wie sie seit
Augustus in den Laendern am rechten Ufer der Donau sich gestaltet hatte, zu den
Verhaeltnissen und den Anwohnern des linken, so ist, was ueber die westliche
Landschaft zu bemerken waere, im wesentlichen schon bei der Schilderung
Obergermaniens zur Sprache gekommen und namentlich hervorgehoben worden, dass
die zunaechst an Raetien angrenzenden Germanen, die Hermunduren, unter den
saemtlichen Nachbarn der Roemer die friedfertigsten gewesen und, soviel uns
bekannt, niemals mit denselben in Konflikt geraten sind.
Dass das Volk der Markomannen oder, wie die Roemer sie in frueherer Zeit
gewoehnlich nennen, der Sueben, nachdem es in augustischer Zeit in dem alten
Boierland, dem heutigen Boehmen, neue Sitze gefunden und durch den Koenig
Maroboduus eine festere staatliche Organisation sich gegeben hatte, waehrend der
roemisch-germanischen Kriege zwar Zuschauer blieb, aber doch durch die
Dazwischenkunft der rheinischen Germanen vor der drohenden roemischen Invasion
bewahrt ward, ist bereits erzaehlt worden; nicht minder, dass der Rueckschlag
des abermaligen Abbruchs der roemischen Offensive am Rhein diesen allzu
neutralen Staat ueber den Haufen warf. Die Vormachtstellung, welche die
Markomannen unter Maroboduus ueber die entfernteren Voelker im Elbegebiet
gewonnen hatten, ging damit verloren, und der Koenig selbst ist als vertriebener
Mann auf roemischer Erde gestorben. Die Markomannen und ihre stammverwandten
oestlichen Nachbarn, die Quaden in Maehren, gerieten insofern in roemische
Klientel, als hier, ungefaehr wie in Armenien, die um die Herrschaft streitenden
Praetendenten sich teilweise auf die Roemer stuetzten und diese das
Belehnungsrecht in Anspruch nahmen und je nach Umstaenden auch ausuebten. Der
Gotonenfuerst Catualda, der zunaechst den Maroboduus gestuerzt hatte, konnte als
dessen Nachfolger sich nicht lange behaupten, zumal da der Koenig der
benachbarten Hermunduren, Vibilius, gegen ihn eintrat; auch er musste auf
roemisches Gebiet uebertreten und, gleich Maroboduus, die kaiserliche Gnade
anrufen. Tiberius bewirkte dann, dass ein vornehmer Quade, Vannius, an seine
Stelle kam; dem zahlreichen Gefolge der beiden verbannten Koenige, das auf dem
rechten Donauufer nicht bleiben durfte, verschaffte Tiberius Sitze auf dem
linken im Marchtal ^7 und dem Vannius die Anerkennung von Seiten der mit Rom
befreundeten Hermunduren. Nach dreissigjaehriger Herrschaft wurde dieser im
Jahre 50 gestuerzt durch seine beiden Schwestersoehne Vangio und Sido, die sich
gegen ihn auflehnten und die Nachbarvoelker, die Hermunduren im Fraenkischen,
die Lugier in Schlesien, fuer sich gewannen. Die roemische Regierung, die
Vannius um Unterstuetzung anging, blieb der Politik des Tiberius getreu: sie
gewaehrte dem gestuerzten Koenig das Asylrecht, intervenierte aber nicht, da
zumal die Nachfolger, die das Gebiet unter sich teilten, bereitwillig die
roemische Oberherrschaft anerkannten. Der neue Suebenfuerst Sido und sein
Mitherrscher Italicus, vielleicht der Nachfolger Vangios, fochten in der
Schlacht, die zwischen Vitellius und Vespasian entschied, mit der roemischen
Donauarmee auf der Seite der Flavianer. In den grossen Krisen der roemischen
Herrschaft an der Donau unter Domitian und Marcus werden wir ihren Nachfolgern
wieder begegnen. Zum Roemischen Reich haben die Donausueben nicht gehoert; die
wahrscheinlich von denselben geschlagenen Muenzen zeigen wohl lateinische
Aufschriften, aber nicht roemischen Fuss, geschweige denn das Bildnis des
Kaisers; eigentliche Abgaben und Aushebungen fuer Rom haben hier nicht
stattgefunden. Aber in dem Machtbereich Roms ist, namentlich im ersten
Jahrhundert, der Suebenstaat in Boehmen und Maehren einbegriffen gewesen und,
wie schon bemerkt ward, ist dies auch auf die Aufstellung der roemischen
Grenzwacht nicht ohne Einfluss geblieben.
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^7 Dass das regnum Vannianum (Plin. nat. 4, 12, 81), der Suebenstaat (Tac.
ann. 12, 29; hist. 3, 5 u. 21) nicht bloss, wie es nach Tacitus ann. 2, 63
scheinen koennte, auf die Wohnsitze der mit Maroboduus und Catualda
uebergetretenen Leute, sondern auf das ganze Gebiet der Markomannen und Quaden
bezogen werden muss, zeigt deutlich der zweite Bericht ann. 12, 29 u. 30, da
hier als Gegner des Vannius neben seinen eigenen insurgierten Untertanen die
westlich und noerdlich an Boehmen angrenzenden Voelker, die Hermunduren und
Lugier, erscheinen. Als Grenze gegen Osten bezeichnet Plinius (a. a. O.) die
Gegend von Carnuntum (Germanorum ibi confinium), genauer den Fluss Marus oder
Duria, der die Sueben und das regnum Vannianum von ihren oestlichen Nachbarn
scheidet, mag man nun das dirimens eos mit Muellenhoff (SB Berlin 1883, S. 871)
auf die Jazygen oder, was naeher liegt, auf die Bastarner beziehen. Sachlich
grenzten wohl beide, die Jazygen suedlich, die Bastarner noerdlich, mit den
Quaden des Marchtals. Demnach ist der Marus die March und die Scheide machen die
zwischen dem March- und dem Waagtal sich erstreckenden kleinen Karpaten. Wenn
also jene Gefolgschaften inter flumen Marum et Cusum angesiedelt werden, so ist
der sonst nicht genannte Cusus, falls die Angabe genau ist, nicht die Waag oder
gar, wie Muellenhoff meinte, die, unterhalb Gran in die Donau fallende Eipel,
sondern ein Zufluss der Donau westlich der March, etwa der Gusen bei Linz. Auch
fordert die Erzaehlung bei Tacitus (ann. 12, 29 u. 30), dass das Gebiet des
Vannius westlich noch ueber die March hinausgereicht hat. Die Subskription unter
dem ersten Buch der Betrachtungen des Kaisers Marcus en Koyadois pros t/o/
Granoia beweist wohl, dass damals der Quadenstaat sich bis zum Granfluss
erstreckte; aber dieser Staat deckt sich nicht mit dem regnum Vannianum.
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In der Ebene zwischen Donau und Theiss, ostwaerts von dem roemischen
Pannonien, hat zwischen dieses und die thrakischen Daker sich ein Splitter
geschoben des wahrscheinlich zum medisch-persischen Stamm gehoerigen Volkes der
Sarmaten, das, nomadisch lebend als Hirten- und Reitervolk, die weite
osteuropaeische Ebene zum grossen Teil fuellte; es sind dies die Jazygen, die
"ausgewanderten" (metanastai) genannt zum Unterschied von dem am Schwarzen Meer
zurueckgebliebenen Hauptstamm. Die Benennung zeigt, dass sie erst
verhaeltnismaessig spaet in diese Gegenden vorgedrungen sind; vielleicht gehoert
ihre Einwanderung mit zu den Stoessen, unter denen um die Zeit der Actischen
Schlacht das Dakerreich des Burebista zusammenbrach. Uns begegnen sie hier
zuerst unter Kaiser Claudius; dem Suebenkoenig Vannius stellten die Jazygen fuer
seine Kriege die Reiterei. Die roemische Regierung war auf der Hut vor den
flinken und raeuberischen Reiterscharen, stand aber uebrigens zu ihnen nicht in
feindlichen Beziehungen. Als die Donaulegionen im Jahre 70 nach Italien
marschierten, um Vespasian auf den Thron zu setzen, lehnten sie den von den
Jazygen angebotenen Reiterzuzug ab und fuehrten nur in schicklicher Form eine
Anzahl der Vornehmsten mit sich, damit diese inzwischen fuer die Ruhe an der
entbloessten Grenze buergten.
Ernstlicher und dauernder Wacht bedurfte es weiter abwaerts an der unteren
Donau. Jenseits des maechtigen Stromes, der jetzt des Reiches Grenze war, sassen
hier in den Ebenen der Walachei und dem heutigen Siebenbuergen die Daker, in dem
oestlichen Flachland, in der Moldau, Bessarabien und weiter hin zunaechst die
germanischen Bastarner, alsdann sarmatische Staemme, wie die Roxolaner, ein
Reitervolk gleich den Jazygen, anfaenglich zwischen Dnjepr und Don, dann am
Meerufer entlang vorrueckend. In den ersten Jahren des Tiberius verstaerkte der
Lehnsfuerst von Thrakien seine Truppen, um die Bastarner und Skythen abzuwehren;
in Tiberius' spaeteren Jahren wurde unter anderen Beweisen seines mehr und mehr
alles gehen lassenden Regiments geltend gemacht, dass er die Einfaelle der Daker
und der Sarmaten ungestraft hinnehme. Wie es in den letzten Jahren Neros
diesseits und jenseits der Donaumuendung zuging, zeigt ungefaehr der zufaellig
erhaltene Bericht des damaligen Statthalters von Moesien, Tiberius Plautius
Silvanus Aelianus. Dieser "fuehrte ueber 100000 jenseits der Donau wohnhafte
Maenner mit ihren Weibern und Kindern und ihren Fuersten oder Koenigen ueber den
Fluss, so dass sie der Steuerentrichtung unterlagen. Eine Bewegung der Sarmaten
unterdrueckte er, bevor sie zum Ausbruch kam, obwohl er einen grossen Teil
seiner Truppen zur Kriegfuehrung in Armenien (an Corbulo) abgegeben hatte. Eine
Anzahl bis dahin unbekannter oder mit den Roemern in Fehde stehender Koenige
fuehrte er ueber auf das roemische Ufer und noetigte sie, vor den roemischen
Feldzeichen den Fussfall zu tun. Den Koenigen der Bastarner und der Roxolaner
sandte er die gefangenen oder den Feinden wieder abgenommenen Soehne, denen der
Daker die gefangenen Brueder zurueck ^8 und nahm von mehreren derselben Geiseln.
Dadurch wurde der Friedensstand der Provinz sowohl befestigt wie weiter
erstreckt. Auch den Koenig der Skythen bestimmte er, abzustehen von der
Belagerung der Stadt Chersonesos (Sevastopol) jenseits des Borysthenes. Es war
der erste, der durch grosse Getreidesendungen aus dieser Provinz das Brot in Rom
wohlfeiler machte". Man erkennt hier deutlich sowohl den unter der Julisch-
Claudischen Dynastie am linken Donauufer gaerenden Voelkerstrudel, wie auch den
starken Arm der Reichsgewalt, der selbst ueber den Strom hinueber die
Griechenstaedte am Dnjepr und in der Krim noch zu schuetzen suchte und
einigermassen auch zu schuetzen vermochte, wie dies bei der Darstellung der
griechischen Verhaeltnisse weiter dargelegt werden wird.
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^8 Regibus Bastarnarum et Roxolanorum filios, Dacorum fratrum captos aut
hostibus ereptos remisit (Orelli 750) ist verschrieben; es muss Fratres heissen
oder allenfalls fratrum filios. Ebenso ist nachher per quaezu lesen fuer per
quem und rege statt regem.
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Indes die Streitkraefte, ueber welche Rom hier verfuegte, waren mehr als
unzulaenglich. Die geringfuegige Besatzung Kleinasiens und die ebenfalls geringe
Flotte auf dem Schwarzen Meer kamen hoechstens fuer die griechischen Anwohner
der noerdlichen und der westlichen Kueste desselben in Betracht. Dem Statthalter
von Moesien, der mit seinen beiden Legionen das Donauufer von Belgrad bis zur
Muendung zu schirmen hatte, war eine sehr schwierige Aufgabe gestellt; und die
Beihilfe der wenig botmaessigen Thraker war unter Umstaenden eine Gefahr mehr.
Insbesondere nach der Muendung der Donau zu mangelte ein genuegendes Bollwerk
gegen die hier mit steigender Wucht andraengenden Barbaren. Der zweimalige Abzug
der Donaulegionen nach Italien in den Wirren nach Neros Tod rief mehr noch an
der Donaumuendung als am Unterrhein Einfaelle der Nachbarvoelker hervor, zuerst
der Roxolaner, dann der Daker, dann der Sarmaten, das heisst wohl der Jazygen.
Es waren schwere Kaempfe; in einem dieser Gefechte, wie es scheint gegen die
Jazygen, blieb der tapfere Statthalter von Moesien, Gaius Fonteius Agrippa.
Dennoch schritt Vespasian nicht zu einer Vermehrung der Donauarmee ^9; die
Notwendigkeit, die asiatischen Garnisonen zu verstaerken, muss noch dringender
erschienen sein und die damals besonders gebotene Sparsamkeit verbot jede
Erhoehung der Gesamtarmee. Er begnuegte sich, wie es die Befriedung des
Binnenlandes erlaubte und die an der Grenze bestehenden Verhaeltnisse sowie die
durch die Einziehung Thrakiens herbeigefuehrte Aufloesung der thrakischen
Truppen gebieterisch verlangten, die grossen Lager der Donauarmee an die
Reichsgrenze vorzuschieben. So kamen die pannonischen von der Drau weg dem
Suebenreich gegenueber nach Carnuntum und Vindobona und die dalmatischen von der
Kerka und der Cettina an die moesischen Donauufer ^10, so dass der Statthalter
von Moesien seitdem ueber die doppelte Zahl von Legionen verfuegte.
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^9 In Pannonien standen um das Jahr 70 zwei Legionen, die 13. gemina und
die 15. Apollinaris, fuer welche letztere waehrend ihrer Beteiligung am
Armenischen Krieg einige Zeit die 7. gemina eintrat (CIL III, p. 482). Von den
beiden spaeter hinzugetretenen Legionen, 1. adiutrix und 2. adiutrix, lag die
erste noch im Anfang der Regierung Traians in Obergermanien und kann erst unter
diesem nach Pannonien gekommen sein; die zweite unter Vespasian in Britannien
stationierte ist wahrscheinlich erst unter Domitian nach Pannonien gekommen.
Auch das moesische Heer zaehlte nach der Vereinigung mit dem dalmatischen unter
Vespasian wahrscheinlich nur vier Legionen, also soviel wie bisher beide Heere
zusammen, die spaeteren obermoesischen 4. Flavia und 7. Claudia und die
spaeteren untermoesischen 1. Italica und 5. Macedonica. Die durch die Hin- und
Hermaersche des Vierkaiserjahres verschobenen Stellungen (Marquardt, Roemische
Staatsverwaltung, Bd. 2, S. 435), welche zeitweilig drei Legionen nach Moesien
brachten, duerfen nicht taeuschen. Die spaetere dritte untermoesische Legion,
die 11., stand noch unter Traian in Obergermanien.
^10 Ios. bel. Iud. 7, 4, 3: pleiosi kai meizosi phylakais ton topon
dielaben, /o/s einai tois barbaroist/e/n diabasin tele/o/s ad?naton. Damit
scheint die Verlegung der beiden dalmatischen Legionen nach Mphsien gemeint.
Wohin sie gelegt wurden, wissen wir nicht. Nach der sonstigen roemischen Weise
ist es wahrscheinlicher, dass sie in dem Umkreis des bisherigen Hauptquartiers
Viminacium stationiert worden sind als in der entfernten Gegend der
Donaumuendungen. Die Entstehung der dortigen Lager ist wohl erst erfolgt bei der
Teilung des moesischen Kommandos und bei Einrichtung der selbstaendigen Provinz
Untermoesien unter Domitian.
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Eine Verschiebung der Machtverhaeltnisse zu Ungunsten Roms trat unter
Domitian ein ^11, oder es wurden vielmehr damals die Konsequenzen der
ungenuegenden Grenzverteidigung gezogen. Nach dem wenigen, was wir darueber
wissen, knuepfte die Wandlung der Dinge, ganz wie die gleiche in Caesars Zeit,
an einen einzelnen dakischen Mann an; was Koenig Burebista geplant hatte, schien
Koenig Decebalus ausfuehren zu sollen. Wie sehr in seiner Persoenlichkeit die
eigentliche Triebfeder lag, beweist die Erzaehlung, dass der Dakerkoenig Duras,
um den rechten Mann an die rechte Stelle zu bringen, zu Gunsten des Decebalus
von seinem Amt zuruecktrat. Dass Decebalus, um zu schlagen, vor allem
organisierte, beweisen die Berichte ueber seine Einfuehrung der roemischen
Disziplin bei der dakischen Armee und die Anwerbung tuechtiger Leute unter den
Roemern selbst, und selbst die nach dem Siege von ihm den Roemern gestellte
Bedingung, ihm zur Unterweisung der Seinigen in den Handwerken des Friedens wie
des Krieges die noetigen Arbeiter zu liefern. In welchem grossen Stil er sein
Werk ergriff, beweisen die Verbindungen, die er nach Westen und Osten
anknuepfte, mit den Sueben und den Jazygen und sogar mit den Parthern. Die
Angreifenden waren die Daker. Der Statthalter der Provinz Moesien, der ihnen
zuerst entgegentrat, Oppius Sabinus, liess sein Leben auf dem Schlachtfelde.
Eine Reihe kleinerer Lager wurde erobert, die grossen bedroht, der Besitz der
Provinz selbst stand in Frage. Domitianus selbst begab sich zu der Armee und
sein Stellvertreter - er selbst war kein Feldherr und blieb zurueck -, der
Gardekommandant Cornelias Fuscus, fuehrte das Heer ueber die Donau; aber er
buesste das unbedachte Vorgehen mit einer schweren Niederlage, und auch er, der
zweite Hoechstkommandierende, blieb vor dem Feind. Sein Nachfolger Iulianus, ein
tuechtiger Offizier, schlug die Daker in ihrem eigenen Gebiet in einer grossen
Schlacht bei Tapae und war auf dem Wege, dauernde Erfolge zu erreichen. Aber
waehrend der Kampf gegen die Daker schwebte, hatte Domitianus die Sueben und die
Jazygen mit Krieg ueberzogen, weil sie es unterlassen hatten, ihm Zuzug gegen
jene zu senden; die Boten, die dies zu entschuldigen kamen, liess er hinrichten
^12. Auch hier verfolgte das Missgeschick die roemischen Waffen. Die Markomannen
erfochten einen Sieg ueber den Kaiser selbst; eine ganze Legion ward von den
Jazygen umzingelt und niedergehauen. Durch diese Niederlage erschuettert,
schloss Domitian trotz der von Iulianus ueber die Daker gewonnenen Vorteile mit
diesen voreilig einen Frieden, der ihn zwar nicht hinderte, dem Vertreter des
Decebalus in Rom, Diegis, gleich als waere dieser Lehnstraeger der Roemer, die
Krone zu verleihen und als Sieger auf das Kapitol zu ziehen, der aber in
Wirklichkeit einer Kapitulation gleich kam. Wozu Decebalus bei dem Einruecken
des roemischen Heeres in Dakien sich hoehnisch erboten hatte, jeden Mann, fuer
den ihm eine jaehrliche Zahlung von 2 Assen zugesichert werde, ungeschaedigt
nach Hause zu entlassen, das wurde beinahe wahr; in dem Frieden wurden mit einer
jaehrlich zu entrichtenden Abstandssumme die Einfaelle in Moesien abgekauft.
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^11 Die Chronologie des dakischen Krieges liegt sehr im Ungewissen. Dass er
bereits vor dem Chattenkrieg (83) begonnen hat, lehrt die karthagische Inschrift
CIL VIII, 1082 eines dreimal von Domitian, im dakischen, im germanischen und
wieder im dakischen Kriege dekorierten Soldaten. Eusebius setzt den Ausbruch des
Krieges oder vielmehr den ersten grossen Kampf in das Jahr Abrahams 2101 oder
2102 = n. Chr. 85 (genauer 1. Oktober 84-30. September 85) oder 86, den Triumph
in das Jahr 2106 = 90; auf voellige Zuverlaessigkeit haben diese Zahlen freilich
keinen Anspruch. Mit einiger Wahrscheinlichkeit wird der Triumph in das Jahr 89
gesetzt (W. Henzen, Acta fratrum Arvalium. Berlin 1874, S. 116).
^12 Das Fragment Dio 67, 7, 1 Dind. steht in der Folge der Ursinischen
Exzerpte vor 67, 5, 1 bis 3 und gehoert auch nach der Folge der Ereignisse vor
die Verhandlung mit den Lugiern. Vgl. Hermes 3, 1868, S. 115.
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Hier musste Wandel geschafft werden. Auf Domitian, der wohl ein guter
Reichsverwalter, aber stumpf fuer die Forderungen der militaerischen Ehre war,
folgte nach dem kurzen Regiment Nervas Kaiser Traianus, der, zuerst und vor
allem Soldat, nicht bloss jenen Vertrag zerriss, sondern auch die Massregeln
danach traf, dass aehnliche Dinge sich nicht wiederholten. Der Krieg gegen die
Sueben und Sarmaten, der bei Domitians Tod (96) noch dauerte, ward, wie es
scheint, unter Nerva im Jahre 97 gluecklich beendigt. Der neue Kaiser ging, noch
bevor er in die Hauptstadt des Reiches seinen Einzug hielt, vom Rhein an die
Donau, wo er im Winter 98/99 verweilte, aber nicht, um sofort die Daker
anzugreifen, sondern um den Krieg vorzubereiten; in diese Zeit gehoert die an
die Strassenbauten in Obergermanien anschliessende Anlage der am rechten
Donauufer, in der Gegend von Orsowa, im Jahre 100 vollendeten Strasse. Zum
Kriege gegen die Daker, in dem er wie in allen seinen Feldzuegen selbst
kommandierte, ging er erst im Fruehjahr 101 ab. Er ueberschritt die Donau
unterhalb Viminacium und rueckte gegen die nicht weit davon entfernte Hauptstadt
des Koenigs Sarmizegetusa vor. Decebalus mit seinen Verbuendeten - die Barer und
andere nordwaerts wohnende Staemme beteiligten sich an diesem Kampf - leistete
entschlossenen Widerstand, und nur mit heftigen und blutigen Gefechten bahnten
die Roemer sich den Weg; die Zahl der Verwundeten war so gross, dass der Kaiser
seine eigene Garderobe den Aerzten zur Verfuegung stellte. Aber der Sieg
schwankte nicht. Eine feste Burg nach der anderen fiel; die Schwester des
Koenigs, die Gefangenen aus dem vorigen Krieg, die den Heeren Domitians
abgenommenen Feldzeichen fielen den Roemern in die Haende; durch Traianus selbst
und durch den tapferen Lusius Quietus in die Mitte genommen, blieb dem Koenig
nichts uebrig als vollstaendige Ergebung (102). Auch verlangte Traianus nichts
geringeres als den Verzicht auf die souveraene Gewalt und den Eintritt des
Dakischen Reiches in die roemische Klientel. Die Ueberlaeufer, die Waffen, die
Kriegsmaschinen, die einst fuer diese von Rom gestellten Arbeiter massten
abgeliefert werden und der Koenig persoenlich vor dem Sieger den Fussfall tun;
er begab sich des Rechts auf Krieg und Frieden und versprach die Heerfolge; die
Festungen wurden entweder geschleift oder den Roemern ausgeliefert und in
diesen, vor allem in der Hauptstadt, blieb roemische Besatzung. Die maechtige
steinerne Bruecke, die Traian bei Drobetae (gegenueber Turnu Severinului) ueber
die Donau schlagen liess, stellte die Verbindung auch in der schlimmen
Jahreszeit sicher und gab den dakischen Besatzungen an den nahen Legionen
Obermoesiens einen Rueckhalt. Aber die dakische Nation und vor allem der Koenig
selbst wussten sich in die Abhaengigkeit nicht so zu fuegen, wie es die Koenige
von Kappadokien und Mauretanien verstanden hatten, oder hatten vielmehr das Joch
nur auf sich genommen in der Hoffnung, bei erster Gelegenheit sich desselben
wieder zu entledigen. Die Anzeichen dafuer traten bald hervor. Ein Teil der
auszuliefernden Waffen wurde zurueckgehalten, die Kastelle nicht, wie es
bedungen war, uebergeben, roemischen Ueberlaeufern auch ferner noch eine
Freistatt gewaehrt, den mit den Dakern verfeindeten Jazygen Gebietsstuecke
entrissen oder vielleicht auch nur deren Grenzverletzungen nicht hingenommen,
mit den entfernteren, noch freien Nationen ein lebhafter und bedenklicher
Verkehr unterhalten. Traianus musste sich ueberzeugen, dass er halbe Arbeit
gemacht, und kurz entschlossen, wie er war, erklaerte er, ohne auf weitere
Verhandlungen sich einzulassen, drei Jahre nach dem Friedensschluss (105) dem
Koenig abermals den Krieg. Gern haette dieser ihn abgewandt; aber die Forderung,
sich gefangen zu geben, sprach allzu deutlich. Es blieb nichts als der Kampf der
Verzweiflung, und dazu waren nicht alle bereit; ein grosser Teil der Daker
unterwarf sich ohne Gegenwehr. Der Aufruf an die Nachbarvoelker, in die Abwehr
fuer die auch ihrer Freiheit und ihrem Volkstum drohende Gefahr mit einzutreten,
verhallte ohne Wirkung; Decebalus und die ihm treugebliebenen Daker standen in
diesem Krieg allein. Die Versuche, den kaiserlichen Feldherrn durch Ueberlaeufer
aus dem Wege zu schaffen, oder mit der Losgebung eines gefangengenommenen hohen
Offiziers ertraegliche Bedingungen zu erkaufen, scheiterten ebenfalls. Der
Kaiser zog abermals als Sieger in die feindliche Hauptstadt ein und Decebalus,
der bis zum letzten Augenblick mit dem Verhaengnis gerungen hatte, gab, als
alles verloren war, sich selber den Tod (107). Diesmal machte Traianus ein Ende;
der Krieg galt nicht mehr der Freiheit des Volkes, sondern seiner Existenz. Aus
dem besten Teile des Landes wurde die eingeborene Bevoelkerung ausgetrieben und
diese Striche mit einer, fuer die Bergwerke aus den Gebirgen Dalmatiens, sonst
ueberwiegend, wie es scheint, aus Kleinasien herangezogenen nationslosen
Bevoelkerung wiederbesetzt. In manchen Gegenden freilich blieb dennoch die alte
Bevoelkerung und behauptete sich sogar die Landessprache ^13; diese Daker sowohl
wie die ausserhalb der Grenzen hausenden Splitter haben auch nachher noch, zum
Beispiel unter Commodus und Maximinus, den Roemern zu schaffen gemacht; aber sie
standen vereinzelt und verkamen. Die Gefahr, mit der der kraeftige Thrakerstamm
mehrmals die roemische Herrschaft bedroht hatte, durfte nicht wiederkehren, und
dies Ziel hat Traianus erreicht. Das traianische Rom war nicht mehr das der
hannibalischen Zeit; aber es war immer noch gefaehrlich, die Roemer besiegt zu
haben.
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^13 Arr. takt. 44 erwaehnt unter den Aenderungen, die Hadrian bei der
Kavallerie einfuehrte, dass er den einzelnen Abteilungen ihre nationalen
Schlachtrufe gestattet habe, Keltiko?s men tois Keltois ippe?sin, Getiko?s de
tois Getais, Raitikoys de osoi ek Rait/o/n.
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Die stattliche Saeule, welche sechs Jahre darauf dem Kaiser von dem
Reichssenat auf dem neuen Traiansmarkt der Hauptstadt errichtet ward und die ihn
heute noch schmueckt, ist ein Zeugnis der verwuesteten Geschichtsueberlieferung
der roemischen Kaiserzeit, wie wir kein zweites besitzen. In ihrer ganzen Hoehe
von genau 100 roemischen Fuss ist sie bedeckt mit einzelnen Darstellungen - man
zaehlt deren 124; ein gemeisseltes Bilderbuch der dakischen Kriege, zu welchem
uns fast ueberall der Text fehlt. Wir sehen die Wachttuerme der Roemer mit ihrem
spitzen Dach, ihrem pallisadierten Hof, ihrem oberen Umgang, ihren
Feuersignalen. Die Stadt am Ufer des Donaustroms, dessen Flussgott den
roemischen Kriegern zuschaut, wie sie unter ihren Feldzeichen auf der
Schiffbruecke entlangziehen. Den Kaiser selbst im Kriegsrat, dann vor den
Waellen des Lagers am Altar opfernd. Es wird erzaehlt, dass die den Dakern
verbuendeten Burer den Traian vom Kriege abmahnten in einem lateinischen, auf
einen gewaltigen Pilz geschriebenen Spruch: man meint, diesen Pilz zu erkennen,
auf ein Saumtier geladen, von dem gestuerzt ein Barbar mit der Keule, auf dem
Boden liegend, dem heranschreitenden Kaiser mit dem Finger den Pilz weist. Wir
sehen das Lager schlagen, die Baeume faellen, Wasser holen, die Bruecke legen.
Die ersten gefangenen Daker, leicht kenntlich an ihren langaermligen Kitteln und
ihren weiten Hosen, werden, die Haende auf den Ruecken gebunden und an ihrem
langen Haarbusch von den Soldaten gefasst, vor den Kaiser gefuehrt. Wir sehen
die Gefechte, die Speer- und Steinschleuderer, die Sicheltraeger, die
Bogenschuetzen zu Fuss, die auch den Bogen fuehrenden schweren Panzerreiter, die
Drachenfahne der Daker, die feindlichen Offiziere, geschmueckt mit dem Zeichen
ihres Ranges, der runden Muetze, den Fichtenwald, in den die Daker ihre
Verwundeten tragen, die abgehauenen Koepfe der Barbaren, vor dem Kaiser
niedergelegt. Wir sehen das dakische Pfahldorf mitten im See, in dessen runde
Huetten mit spitzem Dach die Brandfackeln fliegen. Frauen und Kinder flehen den
Kaiser um Gnade an. Die Verwundeten werden gepflegt und verbunden, Ehrenzeichen
an Offiziere und Soldaten ausgeteilt. Dann geht es weiter im Kampf: die
feindlichen Verschanzungen, teils von Holz, teils Steinmauern, werden
angegriffen, das Belagerungsgeschuetz faehrt auf, die Leitern werden
herangetragen, unter dem Schilderdach greift die Sturmkolonne an. Endlich liegt
der Koenig mit seinem Gefolge zu den Fuessen Traians; die Drachenfahnen sind in
Roemerhand; die Truppen begruessen jubelnd den Imperator; vor den aufgetuermten
Waffen der Feinde steht die Victoria und beschreibt die Tafel des Sieges.. Es
folgen die Bilder des zweiten Krieges, im ganzen der ersten Reihe gleichartig;
bemerkenswert ist eine grosse Darstellung, welche, nachdem die Koenigsburg in
Flammen aufgegangen ist, die Fuersten der Daker zu zeigen scheint, sitzend um
einen Kessel und einer nach dem andern den Giftbecher leerend; eine andere, wo
des tapferen Dakerkoenigs Haupt auf einer Schuessel dem Kaiser gebracht wird;
endlich das Schlussbild, die lange Reihe der Besiegten mit Frauen, Kindern und
Herden aus der Heimat abziehend. Die Geschichte dieses Krieges hat der Kaiser
selbst geschrieben, wie Friedrich der Grosse die des Siebenjaehrigen, und nach
ihm viele andere; uns ist alles dies verloren, und wie niemand es wagen wuerde,
nach Menzels Bildern die Geschichte des Siebenjaehrigen Krieges zu erfinden, so
bleibt auch uns nur mit dem Einblick in halb verstaendliche Einzelheiten die
schmerzliche Empfindung einer bewegten und grossen, auf ewig verblassten und
selbst fuer die Erinnerung vergangenen geschichtlichen Katastrophe.
Die Grenzverteidigung im Donaugebiet wurde infolge der Verwandlung Dakiens
in eine roemische Provinz nicht in dem Grade verschoben, wie man wohl erwarten
sollte; eine eigentliche Veraenderung der Verteidigungslinie trat nicht ein,
sondern es wurde die neue Provinz im ganzen als eine exzentrische Position
behandelt, die nur nach Sueden hin, an der Donau selbst, unmittelbar mit dem
roemischen Gebiet zusammenhing, nach den anderen drei Seiten in das barbarische
Land hineinragte. Die zwischen Pannonien und Dakien sich erstreckende
Theissebene blieb auch ferner den Jazygen; es haben sich wohl Reste alter Waelle
gefunden, die von der Donau ueber die Theiss weg bis an das dakische Gebirge
fuehren und das Jazygengebiet noerdlich begrenzen, aber ueber die Zeit und die
Urheber dieser Verschanzungen ist nichts Sicheres ermittelt. Auch Bessarabien
wird von einer doppelten Sperrlinie durchschnitten, welche, vom Prut zum Dnjestr
laufend, bei Tyra endigt, und nach den darueber bis jetzt vorliegenden,
ungenuegenden Berichten von den Roemern herzuruehren scheint ^14. Ist dies der
Fall, so sind die Moldau und die suedliche Haelfte von Bessarabien sowie die
gesamte Walachei dem Roemischen Reich einverleibt gewesen. Aber mag dies auch
nominell geschehen sein, effektiv hat die Roemerherrschaft sich schwerlich auf
diese Laender erstreckt; wenigstens fehlt es an sicheren Beweisen roemischer
Ansiedlung bis jetzt sowohl in der oestlichen Walachei wie in der Moldau und in
Bessarabien voellig. Auf alle Faelle blieb hier viel mehr noch als in Germanien
der Rhein die Donau die Grenze der roemischen Zivilisation und der eigentliche
Stuetzpunkt der Grenzverteidigung. Die Positionen an dieser wurden erheblich
verstaerkt. Es war ein Gluecksfall fuer Rom, dass, waehrend die Voelkerbrandung
an der Donau stieg, sie am Rhein sank und die dort entbehrlich gewordenen
Truppen anderweitig verfuegbar wurden. Wenn noch unter Vespasian wahrscheinlich
nicht mehr als sechs Legionen an der Donau standen, so ist deren Zahl durch
Domitianus und Traianus spaeter auf zehn gesteigert, womit zusammenhaengt, dass
die bisherigen beiden Oberkommandanturen von Moesien und Pannonien, die erstere
unter Domitian, die zweite unter Traian, geteilt wurden und, indem weiter die
dakische hinzutrat, die Gesamtzahl der Kommandanturen an der unteren Donau sich
auf fuenf stellte. Anfaenglich scheint man freilich die Ecke, welche dieser
Strom unterhalb Durostorum (Silistria) macht, die heutige Dobrudscha,
abgeschnitten und von dem heutigen Ort Rassowa an, wo der Fluss bis auf sieben
deutsche Meilen sich dem Meere naehert, um dann fast im rechten Winkel nach
Norden abzubiegen, die Flusslinie durch eine befestigte Strasse nach Art der
britannischen ersetzt zu haben, welche bei Tomis die Kueste erreichte ^15. Indes
diese Ecke ist wenigstens seit Hadrian in die roemische Grenzbefestigung
eingezogen worden; denn von da an finden wir Untermoesien, das vor Traian
wahrscheinlich gar keine groesseren staendigen Besatzungen gehabt hatte, belegt
mit den drei Legionslagern von Novae (bei Svischtova), Durostorum (Silistria)
und Troesmis (Iglitza bei Galatz), von welchen das letzte eben jener Donauecke
vorliegt. Gegen die Jazygen wurde die Stellung dadurch verstaerkt, dass zu den
obermoesischen Lagern bei Singidunuum und Viminacium das unterpannonische an der
Muendung der Theiss in die Donau bei Acumincum hinzutrat. Dakien selbst ist
damals nur schwach besetzt worden. Die Hauptstadt, jetzt traianische Kolonie
Sarmizegetusa, lag nicht weit von den Hauptuebergaengen ueber die Donau in
Obermoesien; hier und an dem mittleren Marisus sowie jenseits desselben, in dem
Bezirk der Goldgruben, haben die Roemer vorzugsweise sich ansaessig gemacht;
auch die eine seit Traian in Dakien garnisonierende Legion hat ihr Hauptquartier
wenigstens bald nachher in dieser Gegend bei Apulum (Karlsburg) erhalten. Weiter
noerdlich sind Potaissa (Thorda) und Napoca (Klausenburg) wohl auch sofort von
den Roemern in Besitz genommen worden, aber erst allmaehlich schoben die grossen
pannonisch-dakischen Militaerzentren sich weiter gegen Norden vor. Die Verlegung
der unterpannonischen Legion von Acumincum nach Aquincum, dem heutigen Ofen, und
die Okkupierung dieser militaerisch beherrschenden Position faellt nicht spaeter
als Hadrian und wahrscheinlich unter ihn; wohl gleichzeitig ist die eine der
oberpannonischen Legionen nach Brigetio (gegenueber Komorn) gekommen. Unter
Commodus wurde an der Nordgrenze Dakiens in der Breite von einer deutschen Meile
jede Ansiedelung untersagt, was mit den spaeter zu erwaehnenden Grenzordnungen
nach dem Markomannenkrieg zusammenhaengen wird. Damals moegen auch die
befestigten Linien entstanden sein, welche diese Grenze, aehnlich wie die
obergermanische, sperrten. Unter Severus kam eine der bisher niedermoesischen
Legionen an die dakische Nordgrenze nach Potaissa (Thorda). Aber auch nach
diesen Verlegungen bleibt Dakien eine von Bergen und Schanzen gedeckte,
vorgeschobene Stellung am linken Ufer, bei der es wohl zweifelhaft sein mochte,
ob sie die allgemeine Defensivstellung der Roemer mehr foerderte oder mehr
beschwerte. Hadrianus hat in der Tat daran gedacht, dies Gebiet aufzugeben, also
dessen Einverleibung als einen Fehler betrachtet; nachdem sie einmal geschehen
war, ueberwog allerdings die Ruecksicht, wenn nicht auf die eintraeglichen
Goldgruben des Landes, so doch auf die rasch sich entwickelnde roemische
Zivilisation im Marisusgebiet. Aber wenigstens den Oberbau der steinernen
Donaubruecke liess er entfernen, da ihm die Besorgnis vor der Benutzung
derselben durch die Feinde schwerer wog als die Ruecksicht auf die dakische
Besatzung. Die spaetere Zeit hat von dieser Aengstlichkeit sich freigemacht;
aber die exzentrische Stellung Dakiens zu der uebrigen Grenzverteidigung ist
geblieben.
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^14 Die Waelle, welche 3 Meter hoch, 2 Meter dick, mit breitem Aussengraben
und vielen Resten von Kastellen in zwei fast parallelen Linien, teils in der
Laenge vor. 150 Kilometern vom linken Ufer des Pruth ueber Tabak und Tatarbunar
zum Dnjestr-Liman zwischen Akerman und dem Schwarzen Meer, teils in der Laenge
von 100 Kilometern von Leowa am Pruth zum Dnjestr unterhalb Bendery ziehen
(Petermanns Geographische Mittheilungen 1857, S. 129), moegen wohl auch roemisch
sein; aber es fehlt bis jetzt an jeder genaueren Feststellung.
^15 Nach v. Vinckes Aufnahme (Monatsberichte ueber die Verhandlungen der
Gesellschaft fuer Erdkunde in Berlin 1, 1839/40, S. 179 f.; vgl. in v. Moltkes
Briefen ueber Zustaende in der Tuerkei den vom 2. November 1837) sowie nach den
mir mitgeteilten Aufzeichnungen und Plaenen des Herrn Dr. C. Schuchhardt sind
hier drei Sperrungen angelegt. Die suedlichste, wahrscheinlich aelteste, ist ein
einfacher Erdwall mit (auffallender Weise) gegen Sueden vorliegendem Graben; ob
roemischen Ursprungs, kann zweifelhaft sein. Die beiden anderen Linien sind ein
jetzt noch vielfach bis 3 Meter hoher Erd- und ein niederigerer einst mit
Steinen gefuetterter Wall, die oft dicht nebeneinander her, anderswo wieder
stundenweit voneinander entfernt laufen. Man moechte sie fuer die beiden
Verteidigungslinien einer befestigten Strasse halten, wenn auch in der
oestlichen Haelfte der Erdwall, in der suedlicheren der Steinwall der
noerdlichere ist und sie in der Mitte sich kreuzen. An einer Stelle bildet der
(hier suedlichere) Erdwall die Hinterseite eines hinter dem Steinwall angelegten
Kastells. Der Erdwall ist auf der Nordseite von einem tiefen, auf der Suedseite
von einem flachen Graben gedeckt; jeden Graben schliesst ein Aufwurf ab. Dem
Steinwall liegt auch noerdlich ein Graben vor. Hinter dem Erdwall, und meist an
ihn angelehnt, finden sich je 750 Meter voneinander entfernt Kastelle; andere in
unregelmaessigen Entfernungen desgleichen hinter dem Steinwall. Alle Linien
halten sich hinter den Karasu-Seen als der natuerlichen Verteidigungsstuetze;
von da, wo diese aufhoert, bis zum Meer sind sie mit geringer Ruecksicht auf die
Terrainverhaeltnisse gefuehrt. Die Stadt Tomis liegt ausserhalb des Walls und
noerdlich davon; es sind aber ihre Festungsmauern durch einen besonderen Wall
mit der Sperrbefestigung in Verbindung gesetzt.
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Die sechzig Jahre nach den Dakerkriegen Traians sind fuer die Donaulaender
eine Zeit des Friedens und der friedlichen Entwicklung gewesen. Ganz zur Ruhe
kam es freilich, namentlich an den Donaumuendungen, nie, und auch das
bedenkliche Hilfsmittel von den angrenzenden, unruhigen Nachbarn, aehnlich wie
es mit Decebalus geschehen war, durch Aussetzung jaehrlicher Gratiale die
Grenzsicherheit zu erkaufen, ist ferner angewandt worden ^16; dennoch zeigen die
Reste des Altertums eben in dieser Zeit ueberall das Aufbluehen staedtischen
Lebens, und nicht wenige Gemeinden namentlich Pannoniens nennen als ihren
Stifter Hadrian oder Pius. Aber auf diese Stille folgte ein Sturm, wie das
Kaisertum noch keinen bestanden hatte, und der, obwohl eigentlich auch nur ein
Grenzkrieg, durch seine Ausdehnung ueber eine Reihe von Provinzen und durch
seine dreizehnjaehrige Dauer das Reich selbst erschuetterte.
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^16 Vita Hadriani 6: cum rege Roxolanorum qui de imminutis stipendiis
querebatur cognito negotio pacem composuit.
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Den nach den Markomannen benannten Krieg hat nicht eine einzelne
Persoenlichkeit vom Schlage des Hannibal und des Decebalus angefacht.
Ebensowenig haben Uebergriffe roemischerseits diesen Krieg heraufbeschworen;
Kaiser Pius verletzte keinen Nachbarn, weder den maechtigen, noch den geringen,
und hielt den Frieden fast mehr als billig hoch. Das Reich des Maroboduus und
des Vannius hatte sich seitdem, vielleicht infolge der Teilung unter Vangio und
Sido, in das Koenigtum der Markomannen im heutigen Boehmen und das der Quaden in
Maehren und Oberungarn geschieden. Konflikte mit den Roemern scheinen hier nicht
stattgefunden zu haben; das Lehnsverhaeltnis der Quadenfuersten wurde sogar
unter Pius' Regierung durch die erbetene Bestaetigung in foermlicher Weise
anerkannt. Voelkerverschiebungen, die jenseits des roemischen Horizonts liegen,
sind die naechste Ursache des grossen Krieges gewesen. Bald nach Pius' Tode
(161) erschienen Haufen von Germanen, namentlich Langobarden von der Elbe her,
aber auch Markomannen und andere Mannschaften in Pannonien, es scheint, um neue
Wohnsitze am rechten Ufer zu gewinnen. Gedraengt von den roemischen Truppen, die
ihnen entgegengeschickt wurden, entsandten sie den Markomannenfuersten
Ballomarius und mit ihm je einen Vertreter der zehn beteiligten Staemme, um ihre
Bitte um Landanweisung zu erneuern. Aber der Statthalter liess es bei dem
Bescheid und zwang sie, ueber die Donau zurueckzugehen. Dies ist der Anfang des
grossen Donaukrieges ^17. Auch der Statthalter von Obergermanien, Gaius Aufidius
Victorinus, der Schwiegersohn des literarisch bekannten Fronto, hatte bereits um
das Jahr 162 einen Ansturm der Chatten abzuschlagen, welcher ebenfalls durch
nachdraengende Voelkerschaften von der Elbe her veranlasst sein mag. Waere
gleich energisch eingeschritten worden, so haette groesserem Unheil vorgebeugt
werden koennen. Aber eben damals hatte der Armenische Krieg begonnen, in den
bald die Parther eintraten; wenn auch die Truppen nicht gerade von der bedrohten
Grenze weg nach dem Osten geschickt wurden, wofuer wenigstens keine Beweise
vorliegen ^18, so fehlte es doch an Mannschaft, um den zweiten Krieg sofort
energisch aufzunehmen. Dies Temporisieren hat sich schwer geraecht. Eben als in
Rom ueber die Koenige des Ostens triumphiert ward, brachen an der Donau die
Chatten, die Markomannen, die Quaden, die Jazygen wie mit einem Schlag ein in
das roemische Gebiet. Raetien, Noricum, beide Pannonien, Dakien waren im selben
Augenblick ueberschwemmt; im dakischen Grubendistrikt koennen noch wir die
Spuren dieses Einbruchs verfolgen. Welche Verheerungen sie in diesen
Landschaften, die seit langem keinen Feind gesehen hatten, damals anrichteten,
zeigt die Tatsache, dass mehrere Jahre spaeter die Quaden erst 13000, dann noch
50000, die Jazygen gar 100000 roemische Gefangene zurueckgaben. Es blieb nicht
einmal bei der Schaedigung der Provinzen. Es geschah, was seit drei
Jahrhunderten nicht geschehen war und anfing als unmoeglich zu gelten: die
Barbaren durchbrachen den Alpenwall und fielen in Italien selbst ein; von
Raetien aus zerstoerten sie Opitergium (Oderzo), die Scharen von der Julischen
Alpe berannten Aquileia ^19. Niederlagen einzelner roemischer Armeekorps muessen
mehrfach stattgefunden haben; wir erfahren nur, dass einer der
Gardekommandanten, Victorinus, vor dem Feind blieb und die Reihen der roemischen
Heere sich in arger Weise lichteten.
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^17 Vita Marci 14: gentibus quae pulsae a superioribus barbaris fugerant
nisi reciperentur bellum ireferentibus. Dio bei Petrus Patricius fr. 6:
Laggibard/o/n kai Obi/o/n (sonst unbekannt) exakischili/o/n Istr/o/n
perai/o/thent/o/n t/o/n peri Bindika (vielleicht schon damals praef. praetorio,
in welchem Fall die Garde wegen dieses Vorganges ausmarschiert waere) ippe/o/n
exelasant/o/n kai t/o/n amphi Kandidon pez/o/n epiphthasant/o/n eis pantel/e/
phyg/e/n oi barbaroi etraponto. eph'ois o?t/o/ prachth/e/sin en deei katastantes
ek pr/o/t/e/s epicheir/e/se/o/s oi barbaroi presbeis para Ailion Basson t/e/n
Paionian dieponta stelloysi Ballomarion te ton basilea Markoman/o/n kai eteroys
deka, kat' ethnos epilexamenoi ena. kai orkois t/e/n eir/e/n/e/n oi presbeis
pist/o/samenoi oikade ch/o/ro?sin. Dass dieser Vorfall vor den Ausbruch des
Krieges faellt, zeigt seine Stellung; fr. 7 des Patricius ist Exzerpt aus Dio
71, 11, 2.
^18 Das moesische Heer gab Soldaten zum Armenischen Krieg ab (O.
Hirschfeld, Archaeologisch-epigraphische Mittheilungen 6, S. 41); aber hier war
die Grenze nicht gefaehrdet.
^19 Die Beteiligung der rechtsrheinischen Germanen bezeugt Dio 71, 3, und
nur dadurch erklaeren sich die Massregeln, die Marcus fuer Raetia und Noricum
traf. Auch die Lage von Oderzo spricht dafuer, dass diese Angreifer ueber den
Brenner kamen.
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Der schwere Angriff traf den Staat zur ungluecklichsten Stunde. Zwar der
orientalische Krieg war beendigt; aber in seinem Gefolge hatte eine Seuche sich
in Italien und dem ganzen Westen verbreitet, die dauernder als der Krieg und in
entsetzlicherem Masse die Menschen hinraffte. Wenn die Truppen, wie es notwendig
war, zusammengezogen wurden, so fielen der Pest die Opfer nur um so zahlreicher.
Wie zu der Pestilenz immer die teure Zeit gehoert, so erschien auch hier mit ihr
Misswachs und Hungersnot und schwere Finanzkalamitaet - die Steuern gingen nicht
ein, und im Laufe des Krieges sah sich der Kaiser veranlasst, die Kleinodien
seines Palastes in oeffentlicher Auktion zu veraeussern. Es fehlte an einem
geeigneten Leiter. Eine so ausgedehnte und so verwickelte militaerisch-
politische Aufgabe konnte, wie die Dinge in Rom lagen, kein beauftragter
Feldherr, sondern allein der Herrscher selbst auf sich nehmen. Marcus hatte, in
richtiger und bescheidener Erkenntnis dessen, was ihm abging, bei der
Thronbesteigung sich seinen juengeren Adoptivbruder Lucius Verus
gleichberechtigt zur Seite gestellt, in der wohlwollenden Voraussetzung, dass
der flotte junge Mann, wie er ein tuechtiger Fechter und Jaeger war, so auch zum
faehigen Feldherrn sich entwickeln werde. Aber den scharfen Blick des
Menschenkenners besass der ehrliche Kaiser nicht; die Wahl war so ungluecklich
wie moeglich ausgefallen; der eben beendigte Parthische Krieg hatte den
nominellen Feldherrn als eine wueste Persoenlichkeit und einen unfaehigen
Offizier gezeigt. Verus' Mitregentschaft war nichts als eine Kalamitaet mehr,
die freilich durch seinen, nicht lange nach dem Ausbruch des Markomannischen
Krieges erfolgten Tod (169) in Wegfall kam. Marcus, seinen Neigungen nach mehr
reflektiv als dem praktischen Leben zugewandt und ganz und gar kein Soldat,
ueberhaupt keine hervorragende Persoenlichkeit, uebernahm die ausschliessliche
und persoenliche Leitung der erforderlichen Operationen. Er mag dabei im
einzelnen Fehler genug gemacht haben, und vielleicht geht die lange Dauer der
Kaempfe darauf mit zurueck; aber die Einheit des Oberbefehls, die klare Einsicht
in den Zweck der Kriegfuehrung, die Folgerichtigkeit des staatsmaennischen
Handelns, vor allem die Rechtschaffenheit und Festigkeit des seines schweren
Amtes mit selbstvergessener Treue waltenden Mannes haben schliesslich den
gefaehrlichen Ansturm gebrochen. Es ist dies ein um so hoeheres Verdienst, als
der Erfolg mehr dem Charakter als dem Talent verdankt wird.
Worauf man sich gefasst machte, zeigt die Tatsache, dass die Regierung,
trotz des Mangels an Menschen und an Geld, in dem ersten Jahre dieses Krieges
mit ihren Soldaten und auf ihre Kosten die Mauern der Hauptstadt Dalmatiens,
Salonae, und der Hauptstadt Thrakiens, Philippopolis, herstellen liess; sicher
sind dies nicht vereinzelte Anordnungen gewesen. Man musste sich darauf
vorbereiten, die Nordlaender ueberall die grossen Staedte des Reiches berennen
zu sehen; die Schrecken der Gotenzuege pochten schon an die Pforten und wurden
vielleicht fuer diesmal nur dadurch abgewandt, dass die Regierung sie kommen
sah. Die unmittelbare Oberleitung der militaerischen Operationen und die durch
die Sachlage geforderte Regulierung der Beziehungen zu den Grenzvoelkern und
Reformierung der bestehenden Ordnungen an Ort und Stelle durfte weder fehlen
noch dem charakterlosen Bruder oder Einzelfuehrern ueberlassen werden. In der
Tat aenderte sich die Lage der Dinge, sowie die beiden Kaiser in Aquileia
eintrafen, um von dort mit dem Heer nach dem Kriegsschauplatz abzugehen. Die
Germanen und Sarmaten, wenig in sich geeinigt und ohne gemeinschaftliche
Leitung, fuehlten sich solchem Gegenschlag nicht gewachsen. Die eingedrungenen
Haufen zogen ueberall sich zurueck; die Quaden sandten den kaiserlichen
Statthaltern ihre Unterwerfung ein, und vielfach buessten die Fuehrer der gegen
die Roemer gerichteten Bewegung diesen Rueckschlag mit dem Leben. Lucius meinte,
dass der Krieg Opfer genug gefordert habe und riet zur Rueckkehr nach Rom. Aber
die Markomannen verharrten in trotzigem Widerstand, und die Kalamitaet, die
ueber Rom gekommen war, die Hunderttausende der weggeschleppten Gefangenen, die
von den Barbaren errungenen Erfolge forderten gebieterisch eine kraeftigere
Politik und die offensive Fortsetzung des Krieges. Marcus' Schwiegersohn
Tiberius Claudius Pompeianus uebernahm ausserordentlicherweise das Kommando in
Raetien und Noricum; sein tuechtiger Unterbefehlshaber, der spaetere Kaiser
Publius Helvius Pertinax, saeuberte ohne Schwierigkeit mit der aus Pannonien
herbeigerufenen ersten Hilfslegion das roemische Gebiet. Trotz der Finanznot
wurden namentlich aus illyrischen Mannschaften, bei deren Aushebung freilich
mancher bisherige Strassenraeuber zum Landesverteidiger gemacht ward, zwei neue
Legionen gebildet und, wie schon frueher angegeben ward, die bisher
geringfuegige Grenzwacht dieser beiden Provinzen durch die neuen Legionslager
von Regensburg und Enns verstaerkt. In die oberpannonischen Lager begaben sich
die Kaiser selbst. Vor allen Dingen kam es darauf an, den Herd des Kriegsfeuers
einzuschraenken. Die von Norden kommenden Barbaren, die ihre Hilfe anboten,
wurden nicht zurueckgewiesen und fochten in roemischem Sold, soweit sie nicht,
was auch vorkam, ihr Wort brachen und mit dem Feind gemeinschaftliche Sache
machten. Den Quaden, welche um Frieden und um die Bestaetigung des neuen Koenigs
Furtius baten, wurde diese bereitwillig zugestanden und nichts gefordert als
Rueckgabe der Ueberlaeufer und der Gefangenen. Es gelang einigermassen, den
Krieg auf die beiden Hauptgegner, die Markomannen und die von alters her ihnen
verbuendeten Jazygen, zu beschraenken. Gegen diese beiden Voelker wurde in den
folgenden Jahren in schweren Kaempfen und nicht ohne Niederlage gestritten. Wir
wissen davon nur Einzelheiten, die sich nicht in festen Zusammenhang bringen
lassen. Marcus Claudius Fronto, dem die ausserordentlicherweise vereinigten
Kommandos von Obermoesien und Dakien anvertraut waren, fiel um das Jahr 171 im
Kampfe gegen Germanen und Jazygen. Ebenso fiel vor dem Feind der Gardekommandant
Marcus Macrinius Vindex. Sie und andere hochgestellte Offiziere erhielten in
diesen Jahren Ehrendenkmaeler in Rom an der Saeule Traians, weil sie in
Verteidigung des Vaterlandes den Tod gefunden hatten. Die barbarischen Staemme,
die sich fuer Rom erklaert hatten, fielen zum Teil wieder ab, so die Cotiner und
vor allem die Quaden, welche den fluechtigen Markomannen eine Freistatt
gewaehrten und ihren Vasallenkoenig Furtius vertrieben, worauf Kaiser Marcus auf
den Kopf seines Nachfolgers Ariogaesus einen Preis von 1000 Goldstuecken setzte.
Erst im sechsten Kriegsjahr (172) scheint die voellige Ueberwindung der
Markomannen erreicht worden zu sein und danach Marcus den wohlverdienten
Siegestitel Germanicus angenommen zu haben. Es folgte dann die Niederwerfung der
Quaden, endlich im Jahre 175 die der Jazygen, infolge deren der Kaiser den
weiteren Beinamen des Sarmatensiegers empfing. Die Bedingungen, welche den
ueberwundenen Voelkerschaften gestellt wurden, zeigen, dass Marcus nicht zu
strafen beabsichtigte, sondern zu unterwerfen. Den Markomannen und den Jazygen,
wahrscheinlich auch den Quaden, wurde auferlegt, einen Grenzstreifen am Flusse
in der Breite von zwei, nach spaeterer Milderung von einer deutschen Meile zu
raeumen. In die festen Plaetze am rechten Donauufer wurden roemische Besatzungen
gelegt, die allein bei den Markomannen und Quaden zusammen sich auf nicht
weniger als 20000 Mann beliefen. Alle Unterworfenen hatten Zuzug zum roemischen
Heer zu stellen, die Jazygen zum Beispiel 8000 Reiter. Waere der Kaiser nicht
durch die Insurrektion Syriens abgerufen worden, so haette er die letzteren ganz
aus ihrer Heimat getrieben, wie Traianus die Daker. Dass Marcus die abgefallenen
Transdanuvianer nach diesem Muster zu behandeln gedachte, bestaetigt der weitere
Verlauf. Kaum war jenes Hindernis beseitigt, so ging der Kaiser wieder an die
Donau und begann, eben wie Traianus, im Jahre 178 den zweiten, abschliessenden
Krieg. Die Motivierung dieser Kriegserklaerung ist nicht bekannt; der Zweck wird
ohne Zweifel richtig dahin angegeben, dass er zwei neue Provinzen, Marcomania
und Sarmatia, einzurichten gedachte. Den Jazygen, die sich den Absichten des
Kaisers fuegsam gezeigt haben werden, wurden die laestigen Auflagen
groesstenteils erlassen, ja ihnen fuer den Verkehr mit ihren oestlich von Dakien
hausenden Stammverwandten, den Roxolanern, der Durchgang durch Dakien unter
angemessener Aufsicht gewaehrt - wahrscheinlich auch nur, weil sie schon als
roemische Untertanen betrachtet wurden. Die Markomannen wurden durch Schwert und
Hunger fast aufgerieben. Die verzweifelnden Quaden wollten nach Norden
auswandern und bei den Semnonen sich Sitze suchen; aber auch dies wurde ihnen
nicht gestattet, da sie die Aecker zu bestellen hatten, um die roemischen
Besatzungen zu versorgen. Nach vierzehnjaehriger, fast ununterbrochener
Waffenarbeit stand der Kriegsfuerst wider Willen am Ziel und die Roemer zum
zweiten Mal vor der Gewinnung der oberen Elbe; jetzt fehlte in der Tat nur die
Ankuendigung, das Gewonnene festhalten zu wollen. Da starb er, noch nicht
sechzig Jahre alt, im Lager von Vindobona am 17. Maerz 180.
Man wird nicht bloss die Entschlossenheit und die Konsequenz des Herrschers
anerkennen, sondern auch einraeumen muessen, dass er tat, was die richtige
Politik gebot. Die Eroberung Dakiens durch Traian war ein zweifelhafter Gewinn,
obwohl eben in dem Markomannischen Krieg der Besitz Dakiens nicht bloss ein
gefaehrliches Element aus den Reihen der Gegner Roms entfernt, sondern
wahrscheinlich auch bewirkt hat, dass der Voelkerschwarm an der unteren Donau,
die Bastarner, die Roxolaner und andere mehr in den Markomannenkrieg nicht
eingegriffen haben. Aber nachdem der gewaltige Ansturm der Transdanuvianer
westlich von Dakien die Niederwerfung derselben zur Notwendigkeit gemacht hatte,
konnte diese nur in abschliessender Weise ausgefuehrt werden, indem Boehmen,
Maehren und die Theissebene in die roemische Verteidigungslinie eingezogen
wurden, wenn auch diesen Gebieten wohl nur, wie Dakien, eine Vorpostenstellung
zugedacht war und die strategische Grenzlinie sicher die Donau bleiben sollte.
Des Marcus Nachfolger, Kaiser Commodus, war im Lager anwesend, als der
Vater starb und trat, da er die Krone schon seit mehreren Jahren dem Namen nach
mit dem Vater teilte, mit dessen Tode sofort in den Besitz der unumschraenkten
Gewalt. Nur kurze Zeit liess der neunzehnjaehrige Nachfolger die
Vertrauensmaenner des Vaters, seinen Schwager Pompeianus und andere, die mit
Marcus die schwere Last des Krieges getragen hatten, im Sinne desselben
schalten. Commodus war in jeder Hinsicht das Gegenteil seines Vaters; kein
Gelehrter, sondern ein Fechtmeister, so feig und charakterschwach, wie dieser
entschlossen und konsequent, so traege und pflichtvergessen wie dieser taetig
und gewissenhaft. Er gab nicht bloss die Einverleibung des gewonnenen Gebiets
auf, sondern gewaehrte auch den Markomannen freiwillig Bedingungen, wie sie sie
nicht hatten hoffen duerfen. Die Regulierung des Grenzverkehrs unter roemischer
Kontrolle und die Verpflichtung, ihre den Roemern befreundeten Nachbarn nicht zu
schaedigen, verstanden sich von selbst; aber die Besatzungen wurden aus ihrem
Lande zurueckgezogen und nur das Gebot, den Grenzstreifen nicht zu besiedeln,
festgehalten. Die Leistung von Abgaben und die Stellung von Rekruten wurde wohl
ausbedungen, aber jene bald erlassen und diese sicher nie gestellt. Aehnlich
ward mit den Quaden abgeschlossen und wird mit den uebrigen Transdanuvianern
abgeschlossen worden sein. Damit waren die gemachten Eroberungen aufgegeben, und
die vieljaehrige Kriegsarbeit war umsonst; wenn man nicht mehr wollte, so war
eine aehnliche Ordnung der Dinge schon viel frueher zu erreichen. Dennoch hat
der Markomannische Krieg die Suprematie Roms in diesen Landschaften fuer die
Folgezeit sichergestellt, trotzdem Rom den Siegespreis aus der Hand gab. Nicht
von den Staemmen, welche dabei beteiligt waren, ist der Stoss gefuehrt worden,
dem die roemische Weltmacht erlag.
Eine andere bleibende Folge dieses Krieges haengt zusammen mit den durch
denselben veranlassten Oberfuehrungen der Transdanuvianer in das Roemische
Reich. An sich waren derartige Umsiedlungen zu aller Zeit vorgekommen; die unter
Augustus nach Gallien verpflanzten Sugambrer, die nach Thrakien gesandten Daker
waren nichts als neue, zu den frueher vorhandenen hinzutretende Untertanen oder
Untertanengemeinden, und etwas anderes sind wohl auch die 3000 Naristen nicht
gewesen, denen Marcus gestattete, ihre Sitze westlich von Boehmen mit solchen im
Reich zu vertauschen, waehrend den sonst unbekannten Astingern an der dakischen
Nordgrenze die gleiche Bitte abgeschlagen ward. Aber die nicht bloss im
Donauland, sondern in Italien selbst, bei Ravenna, von ihm angesiedelten
Germanen waren weder freie Untertanen noch eigentlich unfreie Leute; es sind
dies die Anfaenge der roemischen Leibeigenschaft, des Kolonats, dessen
Eingreifen in die Bodenwirtschaft des gesamten Staats in anderem Zusammenhang
darzulegen ist. Jene ravennatische Ansiedlung hat indes keinen Bestand gehabt;
die Leute lehnten sich auf und mussten wieder weggeschafft werden, so dass der
neue Kolonat zunaechst auf die Provinzen, namentlich die Donaulandschaften,
beschraenkt blieb.
Wiederum folgte auf den grossen Krieg an der mittleren Donau eine fast
sechzigjaehrige Friedenszeit, deren Segen durch das waehrend derselben stetig
steigende innere Missregiment nicht vollstaendig aufgehoben werden konnte. Wohl
zeigt manche vereinzelte Nachricht, dass die Grenze, namentlich die am meisten
exponierte dakische, nicht ohne Anfechtung blieb; aber vor allem das straffe
Militaerregiment des Severus tat hier seine Schuldigkeit, und wenigstens
Markomannen und Quaden erscheinen auch unter dessen naechsten Nachfolgern in
unbedingter Abhaengigkeit, so dass der Sohn des Severus einen Quadenfuersten vor
sich zitieren und ihm den Kopf vor die Fuesse legen konnte. Auch die in dieser
Epoche an der unteren Donau gelieferten Kaempfe sind von untergeordnetem Belang.
Aber wahrscheinlich hat in dieser Zeit eine umfassende Voelkerverschiebung von
Nordosten her gegen das Schwarze Meer stattgefunden und die roemische Grenzwacht
an der unteren Donau neuen und gefaehrlicheren Gegnern gegenuebergestellt. Bis
auf diese Zeit hatten den Roemern dort vorzugsweise sarmatische Voelkerschaften
gegenueber gestanden, unter denen sich die Roxolaner mit den Roemern am
naechsten beruehrten; von Germanen sassen damals hier nur die seit langem in
dieser Gegend heimischen Bastarner. Jetzt verschwinden die Roxolaner, vielleicht
unter den dem Anschein nach, ihnen stammverwandten Carpern, welche fortan an der
unteren Donau, etwa in den Taelern des Sereth und Pruth, die naechsten Nachbarn
der Roemer sind. Neben die Carper, ebenfalls als unmittelbare Nachbarn der
Roemer an der Donaumuendung, tritt das Volk der Goten. Dieser germanische Stamm
ist nach der einheimischen Erzaehlung, die uns erhalten ist, von Skandinavien
ueber die Ostsee nach der Weichselgegend und aus dieser zum Schwarzen Meer
gewandert; damit uebereinstimmend kennen die roemischen Geographen des 2.
Jahrhunderts sie an der Weichset und die roemische Geschichte seit dem ersten
Drittel des dritten an der nordwestlichen Kueste des Schwarzen Meeres. Von da an
erscheinen sie hier in stetigem Anschwellen; die Reste der Bastarner sind unter
Kaiser Probus, die Reste der Carper unter Kaiser Diocletian vor ihnen auf das
rechte Donauufer gewichen, waehrend ohne Zweifel ein grosser Teil dieser wie
jener sich unter die Goten mischten und ihnen sich anschlossen. ueberall darf
diese Katastrophe nur in dem Sinne als die des Gotenkrieges bezeichnet werden,
wie die unter Marcus eingetretene von den Markomannen heisst; die ganze Masse
der durch den Wanderstrom vom Nordosten zum Schwarzen Meer in Bewegung gesetzten
Voelkerschaften ist daran beteiligt, und um so mehr beteiligt, als diese
Angriffe ebenso zu Lande ueber die untere Donau, wie zu Wasser von der
Nordkueste des Schwarzen Meeres aus in einer unentwirrbaren Verschlingung der
Land- und der Seepiraterie erfolgten. Nicht unpassend nennt darum der gelehrte
Athener, der in ihm gefochten und ihn erzaehlt hat, diesen Krieg vielmehr den
Skythischen, indem er unter diesem, gleich dem pelasgischen die Verzweiflung der
Historiker machenden Namen alle germanischen und nichtgermanischen Reichsfeinde
zusammenfasst. Was ueber diese Zuege zu berichten ist, soll, soweit die der
Verwirrung dieser schrecklichen Zeiten nur zu sehr entsprechende Verwirrung der
Ueberlieferung es gestattet, hier zusammengefasst werden.
Das Jahr 238, auch ein Vierkaiserjahr des Buergerkriegs, wird bezeichnet
als dasjenige, in dem der Krieg gegen die hier zuerst genannten Goten begann
^20. Da die Muenzen von Tyra und Olbia mit Alexander (+ 235) aufhoeren, so sind
diese ausserhalb der Reichsgrenze gelegenen roemischen Besitzungen wohl schon
einige Jahre frueher eine Beute der neuen Feinde geworden. In jenem Jahr
ueberschritten sie zuerst die Donau, und die noerdlichste der moesischen
Kuestenstaedte, Istros, war das erste Opfer. Gordian, der aus den Wirren dieser
Zeit als Herrscher hervorging, wird als Besieger der Goten bezeichnet; gewisser
ist es, dass die roemische Regierung, wenn nicht schon frueher, so doch unter
ihm, sich dazu verstand, die gotischen Einfaelle abzukaufen ^21.
Begreiflicherweise forderten die Carper das gleiche, was der Kaiser den
schlechteren Goten bewilligt habe; als die Forderung nicht gewaehrt ward, fielen
sie im Jahre 245 in das roemische Gebiet ein. Kaiser Philippus - Gordianus war
damals schon tot - schlug sie zurueck, und eine energische Aktion mit der
vereinigten Kraft des grossen Reiches wuerde den Barbaren wohl hier Halt geboten
haben. Aber in diesen Jahren fand der Kaisermoerder so sicher den Thron wie
wiederum seinen Moerder und Nachfolger; eben in den gefaehrdeten
Donaulandschaften rief die Armee gegen Kaiser Philippus erst den Marinus
Pacatianus und nach dessen Beseitigung den Traianus Decius aus, welcher letztere
in der Tat in Italien seinen Gegner ueberwand und als Herrscher anerkannt ward.
Er war ein tuechtiger und tapferer Mann, nicht unwert der beiden Namen, die er
trug, und trat, sowie er konnte, entschlossen in die Kaempfe an der Donau ein;
aber was der inzwischen gefuehrte Buergerkrieg verdorben hatte, liess sich nicht
mehr einbringen. Waehrend die Roemer miteinander schlugen, hatten die Goten und
die Carper sich geeinigt und waren unter dem Gotenfuersten Cniva in das von
Truppen entbloesste Moesien eingefallen. Der Statthalter der Provinz,
Trebonianus Gallus, warf sich mit seiner Mannschaft nach Nikopolis am Haemus und
wurde hier von den Goten belagert; diese raubten zugleich Thrakien aus und
belagerten dessen Hauptstadt, das grosse und feste Philippopolis; ja sie
gelangten bis nach Makedonien und berannten Thessalonike, wo der Statthalter
Priscus eben diesen Moment geeignet fand, um sich zum Kaiser ausrufen zu lassen.
Als Decius anlangte, um zugleich den Nebenbuhler und den Landesfeind zu
bekaempfen, wurde wohl jener ohne Muehe beseitigt und gelang auch der Entsatz
von Nikopolis, wo 30000 Goten gefallen sein sollen. Aber die nach Thrakien
zurueckweichenden Goten siegten ihrerseits bei Beroe (Alt-Zagora), warfen die
Roemer nach Moesien zurueck und bezwangen sowohl Nikopolis daselbst wie in
Thrakien Anchialos und sogar Philippopolis, wo 100000 Menschen in ihre Gewalt
gekommen sein sollen. Darauf zogen sie nordwaerts, um die ungeheure Beute in
Sicherheit zu bringen. Decius entwarf den Plan, dem Feind bei dem Uebergang
ueber die Donau einen Schlag zu versetzen. Er stellte eine Abteilung unter
Gallus am Ufer auf und hoffte, diese auf die Goten werfen und ihnen den Rueckzug
abschneiden zu koennen. Aber bei dem moesischen Grenzort Abrittus entschied das
Kriegsglueck oder auch der Verrat des Gallus gegen ihn; Decius kam mit seinem
Sohn um, und Gallus, der als sein Nachfolger ausgerufen ward, begann sein
Regiment damit, den Goten die jaehrlichen Geldzahlungen abermals zuzusichern
(251) ^22. Diese voellige Niederlage der roemischen Waffen wie der roemischen
Politik, der Fall des Kaisers, des ersten, der im Kampf gegen die Barbaren das
Leben verlor, eine Kunde, welche selbst in dieser, in der Gewohnheit des Unheils
erschlaffenden Zeit tief die Gemueter erregte, die darauf folgende schimpfliche
Kapitulation, stellte in der Tat die Integritaet des Reiches in Frage. Ernste
Krisen an der mittleren Donau, wahrscheinlich der drohende Verlust Dakiens
muessen die naechste Folge gewesen sein. Noch einmal ward dieser abgewandt: der
Statthalter von Pannonien, Marcus Aemilius Aemilianus, ein guter Soldat, errang
einen bedeutenden Waffenerfolg und trieb die Feinde ueber die Grenze. Aber die
Nemesis waltete. Die Konsequenz dieses auf Gallus' Namen erfochtenen Sieges war,
dass die Armee dem Verraeter des Decius den Gehorsam aufkuendigte und ihren
Feldherrn zu seinem Nachfolger erkor. Abermals ging also der Buergerkrieg der
Grenzverteidigung vor, und waehrend Aemilianus in Italien zwar den Gallus
ueberwand, aber bald darauf dem Feldherrn desselben, Valerianus, unterlag (254),
ging Dakien, wie und an wen, wissen wir nicht ^23, dem Reiche verloren. Die
letzte von dieser Provinz geschlagene Muenze und die juengste dort gefundene
Inschrift sind vom Jahre 255, die letzte Muenze des benachbarten Viminacium in
Obermoesien vom folgenden Jahre; in den ersten Jahren Valerians und Galliens
also besetzten die Barbaren das roemische Gebiet am linken Ufer der Donau und
drangen sicher auch hinueber auf das rechte.
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^20 Die angebliche erste Erwaehnung der Goten in der Biographie Caracallas
c. 10 beruht auf Missverstaendnis. Wenn wirklich ein Senator sich den boshaften
Scherz gestattet hat, dem Moerder Getas den Namen Geticus beizulegen, weil er
auf seinem Zug von der Donau nach dem Orient einige Getenschwaerme (tumultuariis
proeliis) besiegt habe, so meinte er Daker, nicht die damals schwerlich dort
wohnenden und dem roemischen Publikum kaum bekannten Goten, deren Gleichung mit
den Geten auch gewiss erst spaeter erfunden ward.
Uebrigens fuehrt noch weiter zurueck die Angabe, dass Kaiser Maximinus
(235-238) der Sohn eines in das benachbarte Thrakien uebergesiedelten Goten
gewesen sei; doch wird auch darauf nicht viel zu geben sein.
^21 Petrus Patricius fr. 8. Die Verwaltung des hier genannten Legaten von
Untermoesien, Tullius Menophilus, ist durch Muenzen sicher auf die Zeit Gordians
und mit Wahrscheinlichkeit auf 238-240 bestimmt (B. Borghesi, Oeuvres completes.
Bd. 2, S. 227). Da der Anfang des Gotenkrieges und die Zerstoerung von Istros
durch Dexippos (vita Max. et Balb. 16) auf 238 festgestellt ist, so liegt es
nahe, die Uebernahme des Tributs damit in Zusammenhang zu bringen; auf jeden
Fall ist er damals erneuert worden. Die vergeblichen Belagerungen von
Markianopolis und Philippopolis durch die Goten (Dexippus fr. 18, 19) moegen auf
die Einnahme von Istros gefolgt sein. Iordanes (Get. 16, 92) setzt die erstere
unter Philippus, ist aber in chronologischen Fragen kein gueltiger Zeuge.
^22 Die Berichte ueber diese Vorgaenge bei Zosimus (bist. 1, 21-24),
Zonaras (12, 20), Ammian (31, 5, 16 u. 17) (welche Nachrichten bis zu der
Philippopolis betreffenden dadurch, dass diese bei Zosimus wiederkehrt, als
hierher gehoerig fixiert werden), obwohl alle fragmentarisch oder zerruettet,
duerften aus dem Bericht des Dexippus, wovon fr. 16 u. 19 erhalten sind,
geflossen sein und lassen sich einigermassen vereinigen. Dieselbe Quelle liegt
auch den Kaiserbiographien und Iordanes zu Grunde; beide aber haben sie in dem
Grade entstellt und verfaelscht, dass von ihren Angaben nur mit grosser Vorsicht
Gebrauch gemacht werden kann. Unabhaengig ist Aur. Vict. Caes. 29.
^23 Vielleicht bezieht sich darauf der Einbruch der Markomannen bei Zos.
hist. 1, 29.
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Bevor wir die Entwicklung der Dinge an der unteren Donau weiter verfolgen,
erscheint es notwendig, einen Blick zu werfen auf die Piraterie, wie sie in der
oestlichen Haelfte des Mittelmeeres damals im Gange war, und die daraus
hervorgegangenen Seezuege der Goten und ihrer Genossen.
Dass auf dem Schwarzen Meer die roemische Flotte zu keiner Zeit
entbehrlich, die Piraterie daselbst wahrscheinlich nie ausgerottet worden ist,
liegt im Wesen der Roemerherrschaft, wie sie an seinen Kuesten sich gestaltet
hatte. In festem Besitz waren sie nur etwa von der Donaumuendung abwaerts bis
Trapezunt. Roemisch waren freilich auch einerseits Tyra, an der Muendung des
Dnjestr, und Olbia, an der Bucht der Dnjeprmuendung, andererseits die
kaukasischen Hafenorte in der Gegend des heutigen Suchum-Kaleh, Dioskurias und
Pityus. Auch das dazwischenliegende Bosporanische Koenigreich auf der Krim stand
in roemischem Schutz und hatte roemische, dem Statthalter von Moesien
unterstehende Besatzung. Aber es waren an diesen groesstenteils wenig
einladenden Gestaden nur jene Hafenplaetze entweder als alte griechische
Ansiedlungen oder als roemische Festungen in festem Besitz, die Kueste selbst
oede oder in den Haenden der das Binnenland erfuellenden Eingeborenen, die unter
dem allgemeinen Namen der Skythen zusammengefasst, meistens sarmatischer
Abkunft, den Roemern niemals botmaessig wurden noch werden sollten; man war
zufrieden, wenn sie sich nicht geradezu an den Roemern oder deren
Schutzbefohlenen vergriffen. Danach ist es nicht zu verwundern, dass schon in
Tiberius' Zeit die Piraten der Ostkueste nicht bloss das Schwarze Meer unsicher
machten, sondern auch landeten und die Doerfer und die Staedte der Kueste
brandschatzten. Wenn unter Pius oder Marcus eine Schar der an dem nordwestlichen
Ufer hausenden Kostoboker die im Herzen von Phokis gelegene Binnenstadt Elateia
ueberfiel und unter deren Mauern mit den Buergern sich herumschlug, so zeigt
dieser gewiss nur zufaellig fuer uns einzeln dastehende Vorgang, dass dieselben
Erscheinungen, welche dem Sturz des Senatsregiments voraufgingen, jetzt sich
erneuerten und noch bei aeusserlich unerschuettert aufrecht stehender
Reichsgewalt nicht bloss einzelne Piratenschiffe, sondern Piratengeschwader im
Schwarzen und selbst im Mittelmeere kreuzten. Das nach dem Tode des Severus und
vor allem nach dem Ausgang der letzten Dynastie deutlich erkennbare Sinken des
Regiments offenbarte sich dann, wie billig, vor allem in dem weiteren Verfall
der Seepolizei. Die im einzelnen wenig zuverlaessigen Berichte melden bereits in
der Zeit vor Decius das Erscheinen einer grossen Piratenflotte im Aegaeischen
Meer; dann unter Decius die Pluenderung der pamphylischen Kueste und der
griechisch-asiatischen Inseln, unter Gallus Piratenstreifereien in Kleinasien
bis nach Pessinus und Ephesos ^24. Dies waren Raeuberzuege. Diese Gesellen
pluenderten die Kuesten weit und breit, und machten auch, wie man sieht, dreiste
Zuege in das Binnenland; aber von zerstoerten Staedten wird nichts gemeldet, und
die Piraten vermieden es, mit den roemischen Truppen zusammenzustossen;
vorzugsweise richtete sich der Angriff gegen solche Landschaften, in denen keine
Truppen standen.
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^24 Amm. Marc. 31, 5, 15: duobus navium milibus perrupto Bosporo et
litoribus Propontidis Scythicarum gentium catervae transgressae ediderunt quidem
acerbas terra marique strages: sed amissa suorum parte maxima reverterunt,
worauf die Katastrophe der Decier erzaehlt und in diese die weitere Notiz
eingeflochten wird: obsessae Pamphyliae civitates (dahin wird die Belagerung von
Side gehoeren, bei Dexippus selbst fr. 23), insulae populatae complures, ebenso
die Belagerung von Kyzikos. Wenn in diesem Rueckblick nicht alles verwirrt ist,
was bei Ammian doch nicht wohl angenommen werden kann, so faellt dies vor
diejenigen Seefahrten, die mit der Belagerung von Pityus beginnen und mehr ein
Teil der Voelkerwanderung sind als Piratenzuege. Die Zahl der Schiffe freilich
duerfte durch Gedaechtnisfehler von dem Zug des Jahres 269 hierher uebertragen
sein. In denselben Zusammenhang gehoert die Notiz bei Zosimus (hist. 1, 28)
ueber die Skythenzuege in Asien und Kappadokien bis Ephesos und Pessinus. Die
Nachricht ueber Ephesos in der Biographie Gallienus' c. 6 ist dieselbe, aber der
Zeit nach verschoben.
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Unter Valerianus nehmen diese Expeditionen einen anderen Charakter an. Die
Art der Zuege weicht von den frueheren so sehr ab, dass der an sich nicht
besonders wichtige Zug der Boraner gegen Pityus unter Valerianus von kundigen
Berichterstattern geradezu als der Anfang dieser Bewegung bezeichnet werden
konnte ^25 und dass die Piraten eine Zeitlang in Kleinasien mit dem Namen dieser
uns sonst nicht bekannten Voelkerschaft genannt wurden. Nicht mehr von den alten
einheimischen Anwohnern des Schwarzen Meeres gehen diese Zuege aus, sondern von
den nachdraengenden Schwaermen. Was bis dahin Seeraub gewesen war, faengt an,
ein Stueck derjenigen Voelkerverschiebung zu werden, welcher das Vordringen der
Goten an die untere Donau angehoert. Die beteiligten Voelker sind sehr
mannigfach und zum Teil wenig bekannt; bei den spaeteren Zuegen scheinen die
germanischen Heruler, damals Anwohner der Maeotis, eine fuehrende Rolle gespielt
zu haben. Beteiligt sind auch die Goten, indes soweit es sich um eigentliche
Seefahrten handelt und ueber diese leidlich genaue Berichte vorliegen, nicht in
hervorragender Weise; recht eigentlich diese Zuege heissen richtiger skythische
als gotische. Der maritime Mittelpunkt dieser Angriffe ist die Dnjestrmuendung,
der Hafen von Tyra ^26. Die griechischen Staedte des Bosporus, durch den
Bankrott der Reichsgewalt schutzlos den andraengenden Haufen preisgegeben und
der Belagerung durch dieselben gewaertig, liessen halb gezwungen, halb
freiwillig sich dazu herbei, die unbequemen neuen Nachbarn auf ihren Schiffen
und durch ihre Seeleute nach den naechstgelegenen roemischen Besitzungen an der
Nordkueste des Pontus ueberzufuehren, wofuer diesen selbst die noetigen Mittel
und das noetige Geschick mangelte. So kam jene Expedition gegen Pityus zustande.
Die Boraner wurden gelandet und sandten, auf den Erfolg vertrauend, die Schiffe
zurueck. Aber der entschlossene Befehlshaber von Pityus, Successianus, wies den
Angriff ab und die Angreifer, den Anmarsch der uebrigen roemischen Besatzungen
befuerchtend, zogen eilig ab, wozu sie muehsam die noetigen Fahrzeuge
beschafften. Aufgegeben aber war der Plan nicht; im naechsten Jahr kamen sie
wieder, und da der Kommandant inzwischen gewechselt war, ergab sich die Festung.
Die Boraner, welche diesmal die bosporanischen Schiffe festgehalten hatten und
aus gepressten Schiffsleuten und gefangenen Roemern deren Bemannung beschafften,
bemaechtigten sich weithin der Kueste und gelangten bis nach Trapezunt. In diese
gut befestigte und stark besetzte Stadt hatte alles sich gefluechtet und zu
einer wirklichen Belagerung waren die Barbaren nicht imstande. Aber die Fuehrung
der Roemer war schlecht und die Kriegszucht so verfallen, dass nicht einmal die
Mauer besetzt wurde; so erstiegen die Barbaren dieselbe bei Nachtzeit, ohne auch
nur Gegenwehr zu finden, und in der grossen und reichen Stadt fiel ungeheure
Beute, darunter auch eine Anzahl von Schiffen, in ihre Haende. Gluecklich
kehrten sie aus dem fernen Lande zurueck an die Maeotis.
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^25 Bei Zosimus selbst wird man voelliges Verstaendnis dafuer nicht
erwarten; aber sein Gewaehrsmann Dexippus, der Zeitgenosse und Beteiligte,
wusste wohl, warum er die bithynische Expedition die deytera ephodos nannte
(Zos. hist. 1, 35); und auch bei Zosimus noch erkennt man deutlich den von
Dexippus beabsichtigten Gegensatz der Expedition der Boraner gegen Pityus und
Trapezunt zu den hergebrachten Piratenfahrten. In der Biographie des Gallienus
wird die c. 11 unter dem Jahre 264 erzaehlte skythische Expedition nach
Kappadokien die trapezuntische sein sowie die damit verknuepfte bithynische die,
welche Zosimus die zweite nennt; verwirrt ist hier freilich alles.
^26 Dies sagt Zosimus (hist. 1, 42) und folgt auch aus dem Verhaeltnis der
Bosporaner zu dem ersten (1, 32) und dem des ersten zu dem zweiten Zug (1, 34).
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Ein zweiter, durch diesen Erfolg angeregter Zug anderer, aber benachbarter
skythischer Haufen im folgenden Winter richtete sich gegen Bithynien; es ist
bezeichnend fuer die zerruetteten Verhaeltnisse, dass der Anstifter dieses Zuges
ein Grieche aus Nikomedeia, Chrysogonos, war, und dass er fuer den gluecklichen
Erfolg von den Barbaren hochgeehrt ward. Diese Expedition wurde, da die noetige
Zahl von Schiffen nicht zu beschaffen war, teils zu Lande, teils zu Wasser
unternommen; erst in der Naehe von Byzanz gelang es den Piraten, sich einer
betraechtlichen Zahl von Fischerbooten zu bemaechtigen, und so gelangten sie an
die asiatische Kueste nach Kalchedon, dessen starke Besatzung auf diese Kunde
davonlief. Nicht bloss diese Stadt geriet in ihre Hand, sondern auch an der
Kueste Nikomedeia, Kios, Apameia, im Binnenland Nikaea und Prusa; Nikomedeia und
Nikaea brannten sie nieder und gelangten bis zum Rhyndakos. Von da aus fuhren
sie heim, beladen mit den Schaetzen des reichen Landes und seiner ansehnlichen
Staedte.
Schon der Zug gegen Bithymen war zum Teil auf dem Landweg unternommen
worden; um so mehr setzten die Angriffe, die gegen das europaeische Griechenland
gerichtet wurden, sich aus Land- und Seeraubfahrten zusammen. Wenn Moesien und
Thrakien auch nicht dauernd von den Goten besetzt wurden, so kamen und gingen
sie doch hier, gleich als waeren sie zu Hause, und streiften von da aus weit
nach Makedonien hinein. Selbst Achaia erwartete unter Valerianus von dieser
Seite her den Einbruch; die Thermopylen und der Isthmos wurden verrammelt und
die Athener gingen daran, ihre seit Sullas Belagerung in Truemmern liegenden
Mauern wiederherzustellen. Damals und auf diesem Wege kamen die Barbaren nicht.
Aber unter Gallienus erschien eine Flotte von 500 Segeln, diesmal vornehmlich
Heruler, vor dem Hafen von Byzanz, das indes seine Wehrhaftigkeit noch nicht
eingebuesst hatte; die Schiffe der Byzantier schlugen gluecklich die Raeuber ab.
Diese fuhren weiter, zeigten sich an der asiatischen Kueste vor dem frueher
nicht angegriffenen Kyzikos und gelangten von da ueber Lemnos und Imbros nach
dem eigentlichen Griechenland. Athen, Korinth, Argos, Sparta wurden gepluendert
und zerstoert. Es war immer etwas, dass, wie in den Zeiten der Perserkriege, die
Buerger des zerstoerten Athen, 2000 an der Zahl, den abziehenden Barbaren einen
Hinterhalt legten und unter Fuehrung ihres ebenso gelehrten wie tapferen
Vormanns Publius Herennius Dexippus aus dem altadligen Geschlecht der Keryken,
mit Unterstuetzung der roemischen Flotte, den Piraten einen namhaften Verlust
beibrachten. Auf der Heimkehr, die zum Teil auf dem Landweg erfolgte, griff
Kaiser Gallienus sie in Thrakien am Fluss Nestos an und toetete ihnen eine
betraechtliche Anzahl Leute ^27.
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^27 Dexippus' Bericht ueber diesen Zug geben im Auszug Synkellos (p. 717)
(wo anelontos fuer anelontes gelesen werden muss), Zosimus (hist. 1, 39) und der
Biograph des Gallienus (c. 13). Ein Bruchstueck seiner eigenen Erzaehlung ist
fr. 22. Bei dem Fortsetzer des Dio, von dem Zonaras abhaengt, ist der Vorgang
unter Claudius gesetzt, durch Irrtum oder durch Faelschung, die dem Gallienus
diesen Sieg nicht goennte. Die Biographie des Gallienus erzaehlt den Vorgang,
wie es scheint, zweimal, zuerst kurz c. 6 unter dem Jahre 262, dann besser unter
oder nach 265 (c. 13).
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Um das Mass des Unheils vollstaendig zu uebersehen, muss man hinzunehmen,
dass in diesem in Scherben gehenden Reiche und vor allem in den vom Feind
ueberschwemmten Provinzen ein Offizier nach dem andern nach der Krone griff, die
es kaum noch gab. Es lohnt der Muehe nicht, die Namen dieser ephemeren
Purpurtraeger zu verzeichnen; die Lage zeichnet, dass nach der Verwuestung
Bithyniens durch die Piraten Kaiser Valerian es unterliess, einen
ausserordentlichen Kommandanten dorthin zu schicken, weil ihm jeder General,
nicht ohne Grund, als Rivale galt. Dies hat mitgewirkt bei dem fast durchaus
passiven Verhalten der Regierung gegenueber dieser schweren Not. Doch ist
andererseits unzweifelhaft ein guter Teil dieser unverantwortlichen Passivitaet
auf die Persoenlichkeit der Herrscher zurueckzufuehren; Valerianus war schwach
und bejahrt, Gallienus fahrig und wuest, und der Lenkung des Staatsschiffs im
Sturme weder jener noch dieser gewachsen. Marcianus, dem Gallienus nach dem
Einfall in Achaia das Kommando in diesen Gegenden uebertragen hatte, operierte
nicht ohne Erfolg; aber zu einer wirklichen Wendung zum Besseren kam es nicht,
solange Gallienus den Thron einnahm.
Nach Gallienus' Ermordung (268), vielleicht auf die Kunde von dieser,
unternahmen die Barbaren, wieder unter Fuehrung der Heruler, aber diesmal mit
vereinigten Kraeften, einen Ansturm gegen die Reichsgrenzen, wie er also noch
nicht dagewesen war, mit einer maechtigen Flotte und wahrscheinlich gleichzeitig
zu Lande, von der Donau aus ^28. Die Flotte hatte in der Propontis viel von
Stuermen zu leiden; dann teilte sie sich und es gingen die Goten teils gegen
Thessalien und Griechenland vor, teils gegen Kreta und Rhodos; die Hauptmasse
begab sich nach Makedonien und drang von da in das Binnenland ein, ohne Zweifel
in Verbindung mit den in Thrakien eingerueckten Haufen. Aber den oft belagerten,
jetzt bis aufs aeusserste gebrachten Thessalonikern brachte Kaiser Claudius, der
persoenlich mit starker Macht heranrueckte, endlich Entsatz; er trieb die Goten
vor sich her das Tal des Axios (Vardar) hinauf und weiter ueber die Berge
hinueber nach Obermoesien; nach mancherlei Kaempfen mit wechselndem Kriegsglueck
erfocht er hier im Moravatal bei Naissus einen glaenzenden Sieg, in welchem
50000 Feinde gefallen sein sollen. Die Goten wichen in Aufloesung zurueck, in
der Richtung erst auf Makedonien, dann durch Thrakien zum Haemus, um die Donau
zwischen sich und den Feind zu bringen. Fast haette ihnen ein Zwist im
roemischen Lager, diesmal zwischen Infanterie und Reiterei, noch einmal Luft
gemacht; aber als es zum Schlagen kam, ertrugen die Reiter es doch nicht, ihre
Kameraden im Stich zu lassen und so siegte die vereinigte Armee abermals. Eine
schwere Seuche, welche in all den Jahren der Not, aber besonders damals in
diesen Gegenden und vor allem in den Heeren wuetete, tat zwar auch den Roemern
grossen Schaden - Kaiser Claudius selbst erlag ihr -, aber das grosse Heer der
Nordlaender wurde voellig aufgerieben und die zahlreichen Gefangenen in die
roemischen Heere eingereiht oder zu Leibeigenen gemacht. Auch die Hydra der
Militaerrevolutionen wurde einigermassen gebaendigt; Claudius und nach ihm
Aurelianus waren in anderer Weise Herren im Reich, als dies von Gallienus gesagt
werden kann. Die Erneuerung der Flotte, wozu unter Gallienus ein Anfang gemacht
worden war, wird nicht gefehlt haben. Das traianische Dakien war und blieb
verloren; Aurelianus zog die dort sich noch haltenden Posten heraus und gab den
vertriebenen oder zur Auswanderung geneigten Besitzern neue Wohnstaetten auf dem
moesischen Ufer. Aber Thrakien und Moesien, die eine Zeitlang mehr den Goten als
den Roemern gehoert hatten, kehrten unter roemische Herrschaft zurueck, und
wenigstens die Donaugrenze ward wieder befestigt.
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^28 In unserer Ueberlieferung erscheint dieser Zug als eine reine Seefahrt,
unternommen mit (wahrscheinlich) 2000 Schiffen (so die Biographie des Claudius;
die Zahlen 6000 und 900, zwischen denen die Ueberlieferung bei Zos. hist. 1, 42,
schwankt, sind wohl beide verdorben) und 320000 Menschen. Indes ist es wenig
glaublich dass Dexippus, auf den diese Angaben zurueckgehen muessen die letztere
Ziffer in dieser Weise hat setzen koennen. Andererseits ist bei der Richtung des
Zuges zunaechst gegen Tomis und Markianopolis es mehr als wahrscheinlich, dass
dabei das von Zos. hist. 1, 34 beschriebene Verfahren befolgt ward und ein Teil
zu Lande marschierte, und unter dieser Voraussetzung mochte auch ein Zeitgenosse
die Zahl der Angreifer wohl auf jene Ziffer schaetzen. Auch zeigt der Verlauf
des Feldzugs, namentlich der Ort der Entscheidungsschlacht, dass man es
keineswegs bloss mit einer Flotte zu tun hatte.
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Man wird diesen Goten- und Skythenzuegen zu Lande und zur See, welche die
zwanzig Jahre 250 bis 269 ausfuellen, nicht die Bedeutung beilegen duerfen, dass
die ausschwaermenden Haufen darauf bedacht gewesen waeren, die Landschaften, die
sie betraten, in bleibenden Besitz zu nehmen. Ein solcher Plan ist nicht einmal
fuer Moesien und Thrakien nachweisbar, geschweige denn fuer die entfernteren
Kuesten; schwerlich waren auch die Angreifer zahlreich genug, um eigentliche
Invasionen zu unternehmen. Wie das schlechte Regiment der letzten Herrscher und
vor allem die Unzuverlaessigkeit der Truppen viel mehr als die Uebermacht der
Barbaren die Ueberflutung des Gebietes durch Land- und Seeraeuber hervorriefen,
so zog die Wiederherstellung der inneren Ordnung und das energische Auftreten
der Regierung von selbst die Befreiung desselben nach sich. Noch konnte der
roemische Staat nicht gebrochen werden, wenn er nicht sich selber brach. Immer
aber war es ein grosses Werk, das Regiment so wieder zusammenzunehmen, wie
Claudius es getan hat. Wir wissen noch etwas weniger von ihm, als von den
meisten Regenten dieser Zeit, da die wahrscheinlich fiktive Zurueckfuehrung des
konstantinischen Stammbaumes auf ihn sein Bild nach der platten
Vollkommenheitsschablone uebermalt hat; aber diese Anknuepfung selbst, sowie die
zahllosen nach seinem Tode ihm zu Ehren geschlagenen Muenzen beweisen, dass er
der naechsten Generation als der Retter des Staates galt, und sie wird darin
nicht geirrt haben. Ein Vorspiel der spaeteren Voelkerwanderung sind diese
Skythenzuege allerdings; und die Staedtezerstoerung, welche sie vor den
gewoehnlichen Piratenfahrten auszeichnet, hat damals in einem Umfang
stattgefunden, dass der Wohlstand wie die Bildung Griechenlands und Kleinasiens
sich niemals davon erholt haben.
An der wiederhergestellten Donaugrenze befestigte Aurelianus den
erfochtenen Sieg, indem er die Defensive wiederum offensiv fuehrte und die Donau
an ihrer Muendung ueberschreitend, jenseits derselben sowohl die Carper schlug,
die seitdem zu den Roemern im Schutzverhaeltnis standen, wie auch die Goten
unter ihrem Koenig Canabaudes. Sein Nachfolger Probus nahm, wie schon angegeben
ward, die Ueberreste der von den Goten bedraengten Bastarner herueber auf das
roemische Ufer, ebenso im Jahre 295 Diocletian die Reste der Carper. Dies deutet
darauf hin, dass jenseits des Flusses das Reich der Goten sich konsolidierte;
aber weiter kamen sie auch nicht. Die Grenzbefestigungen wurden verstaerkt;
Gegen-Aquincum (contra Aquincum, Pest) ist im Jahre 294 angelegt worden. Die
Piratenfahrten verschwanden nicht voellig. Unter Tacitus zeigten sich Schwaerme
von der Maeotis in Kilikien. Die Franken, die Probus am Schwarzen Meer
angesiedelt hatte, verschafften sich Fahrzeuge und fuhren heim nach ihrer
Nordsee, nachdem sie unterwegs an der sizilischen und der afrikanischen Kueste
gepluendert hatten. Auch zu Lande ruhten die Waffen nicht, wie denn die
zahlreichen Sarmatensiege Diocletians alle, und ein Teil seiner germanischen,
auf die Donaugegenden fallen werden; aber erst unter Konstantin kam es wieder zu
einem ernsthaften Kriege mit den Goten, der gluecklich verlief. Das Uebergewicht
Roms stand seit Claudius' gotischem Siege wieder so fest wie vorher.
Die eben entwickelte Kriegsgeschichte blieb auf die innere Ordnung des
roemischen Staats- und Heerwesens nicht ohne allgemeine und bleibende
militaerisch-politische Rueckwirkung. Es ist bereits darauf hingewiesen worden,
dass die Rheinheere, in der fruehen Kaiserzeit die fuehrenden in der Armee,
ihren Primat schon unter Traian an die Donaulegionen abgaben. Wenn unter
Augustus sechs Legionen im Donau- und acht im Rheinland standen, so zaehlten
nach den dakischen Kriegen Domitians und Traians im 2. Jahrhundert die
Rheinlager nur vier, die Donaulager zehn, nach dem Markomannischen sogar zwoelf
Legionen. Nachdem seit Hadrian aus der Armee, abgesehen von den Offizieren, das
italische Element verschwunden war und im ganzen genommen jedes Regiment sich in
der Gegend, in welcher es lagerte, auch rekrutierte, waren die meisten Soldaten
der Donauarmee und nicht weniger die aus dem Gliede hervorgegangenen Centurionen
in Pannonien, Dakien, Moesien, Thrakien zu Hause. Auch die neuen, unter Marcus
gebildeten Legionen gingen aus Illyricum hervor, und die ausserordentlichen
Ergaenzungen, deren die Truppen damals bedurften, wurden wahrscheinlich
ebenfalls vorzugsweise aus den Gegenden genommen, in denen die Heere standen.
Also war der Primat der Donauarmeen, den der Dreikaiserkrieg der severischen
Zeit feststellte und steigerte, zugleich ein Primat der illyrischen Soldaten;
und es kam dies bei der Reform der Garde unter Severus zu sehr energischem
Ausdruck. In die hoeheren Kreise des Regiments griff dieser Primat nicht
eigentlich ein, solange die Offizierstellung noch mit der Reichsbeamtenstellung
zusammenfiel, obwohl die ritterliche Laufbahn dem gemeinen Soldaten durch das
Zwischenglied des Centurionats zu allen Zeiten zugaenglich war und also die
Illyriker auch in jene schon frueh eindrangen, wie denn bereits im Jahre 235 ein
geborener Thraker, Gaius Iulius Verus Maximinus, im Jahre 248 ein geborener
Pannonier, Traianus Decius, auf diesem Wege sogar zum Purpur gelangt sind. Aber
als dann Gallienus in allerdings nur zu gerechtfertigtem Misstrauen die
Rangklasse der Senatoren von dem Offizierdienst ausschloss, erstreckte sich
notwendigerweise, was bisher von den Soldaten galt, auch auf die Offiziere. Es
ist also nur in der Ordnung, dass die der Donauarmee angehoerigen, meistens aus
den illyrischen Gegenden herstammenden Soldaten seitdem auch im Regiment die
erste Rolle spielen und, soweit die Armee die Kaiser machte, diese ebenfalls der
Mehrzahl nach Illyriker sind. Also folgen auf Gallienus der Dardaner Claudius,
Aurelianus aus Moesien, Probus aus Pannonien, Diocletianus aus Dalmatien,
Maximianus aus Pannonien, Constantius aus Dardanien, Galerius aus Serdica; von
den letztgenannten hebt ein unter der konstantinischen Dynastie schreibender
Schriftsteller die Herkunft aus Illyricum hervor und fuegt hinzu, dass sie mit
wenig Bildung, aber guter Vorschulung durch Feldarbeit und Kriegsdienst
treffliche Herrscher gewesen seien. Was die Albanesen lange Zeit dem Tuerkischen
Reich gewesen sind, das haben ihre Vorfahren dem roemischen Kaiserstaat, als
dieser bei aehnlicher Zerruettung und aehnlicher Barbarei angelangt war, in
gleicher Weise geleistet. Nur darf die illyrische Regeneration des roemischen
Kaisertums nicht etwa als eine nationale Reorganisation aufgefasst werden; es
war lediglich die soldatische Stuetzung eines durch das Missregiment vornehm
geborener Herrscher voellig herabgekommenen Reiches. Die Demilitarisierung
Italiens war vollstaendig geworden, und Herrscherrecht ohne kriegerische Kraft
erkennt die Geschichte nicht an.
7. Kapitel
Das griechische Europa
Mit der allgemeinen geistigen Entwicklung der Hellenen hatte die politische
ihrer Republiken sich nicht im Gleichgewicht gehalten, oder vielmehr die
Ueberschwenglichkeit jener hatte, wie die allzu volle Bluete den Kelch sprengt,
keinem einzelnen Gemeinwesen verstattet, diejenige Ausdehnung und Stetigkeit zu
gewinnen, welche fuer die staatliche Ausgestaltung vorbedingend ist. Die
Kleinstaaterei der einzelnen Staedte oder Staedtebuende musste in sich
verkuemmern oder den Barbaren verfallen; nur der Panhellenismus verbuergte, wie
den Fortbestand der Nation, so ihre Weiterentwicklung gegenueber den
stammfremden Umwohnern. Er ward verwirklicht durch den Vertrag, den Koenig
Philipp von Makedonien, der Vater Alexanders, in Korinth mit den Staaten von
Hellas abschloss. Es war dies dem Namen nach ein Bundesvertrag, in der Tat die
Unterwerfung der Republiken unter die Monarchie, aber eine Unterwerfung, welche
nur dem Ausland gegenueber sich vollzog, indem die unumschraenkte
Feldherrnschaft gegen den Nationalfeind von fast allen Staedten des griechischen
Festlandes dem makedonischen Feldherrn uebertragen, sonst ihnen die Freiheit und
die Autonomie gelassen ward, und es war, wie die Verhaeltnisse lagen, dies die
einzig moegliche Realisierung des Panhellenismus und die im wesentlichen fuer
die Zukunft Griechenlands massgebende Form. Philipp und Alexander gegenueber hat
sie Bestand gehabt, wenn auch die hellenischen Idealisten wie immer das
realisierte Ideal als solches anzuerkennen sich straeubten. Als dann Alexanders
Reich zerfiel, war es wie mit dem Panhellenismus selbst, so auch mit der
Einigung der griechischen Staedte unter der monarchischen Vormacht vorbei und
rieben diese in Jahrhunderten ziellosen Ringens ihre letzte geistige und
materielle Macht auf, hin- und hergezogen zwischen der wechselnden Herrschaft
der uebermaechtigen Monarchien und vergeblichen Versuchen, unter dem Schutz des
Haders derselben den alten Partikularismus zu restaurieren.
Als dann die maechtige Republik des Westens in den bisher einigermassen
gleichgewogenen Kampf der Monarchien des Ostens eintrat und bald sich maechtiger
als jeder der dort miteinander ringenden griechischen Staaten erwies, erneuerte
sich mit der festen Vormachtstellung auch die panhellenische Politik. Hellenen
im vollen Sinn des Worts waren weder die Makedonier noch die Roemer; es ist nun
einmal der tragische Zug der griechischen Entwicklung, dass das attische
Seereich mehr eine Hoffnung als eine Wirklichkeit war und das Einigungswerk
nicht aus dem eigenen Schoss der Nation hat hervorgehen duerfen. Wenn in
nationaler Hinsicht die Makedonier den Griechen naeher standen als die Roemer,
so war das Gemeinwasen Roms den hellenischen politisch bei weitem mehr
wahlverwandt als das makedonische Erbkoenigtum. Was aber die Hauptsache ist, die
Anziehungskraft des griechischen Wesens ward von den roemischen Buergern
wahrscheinlich nachhaltiger und tiefer empfunden als von den Staatsmaennern
Makedoniens, eben weil jene ihm ferner standen als diese. Das Begehren, sich
wenigstens innerlich zu hellenisieren, der Sitte und der Bildung, der Kunst und
der Wissenschaft von Hellas teilhaftig zu werden, auf den Spuren des grossen
Makedoniers Schild und Schwert der Griechen des Ostens sein und diesen Osten
nicht italisch, sondern hellenistisch weiter zivilisieren zu duerfen, dieses
Verlangen durchdringt die spaeteren Jahrhunderte der roemischen Republik und die
bessere Kaiserzeit mit einer Macht und einer Idealitaet, welche fast nicht
minder tragisch ist als jenes nicht zum Ziel gelangende politische Muehen der
Hellenen. Denn auf beiden Seiten wird Unmoegliches erstrebt: dem hellenischen
Panhellenismus ist die Dauer versagt und dem roemischen Hellenismus der
Vollgehalt. Indes hat er darum nicht weniger die Politik der roemischen Republik
wie die der Kaiser wesentlich bestimmt. Wie sehr auch die Griechen, namentlich
im letzten Jahrhundert der Republik, den Roemern es bewiesen, dass ihre
Liebesmuehe eine verlorene war, es hat dies weder an der Muehe noch an der Liebe
etwas geaendert.
Die Griechen Europas waren von der roemischen Republik zu einer einzigen,
nach dem Hauptlande Makedonien benannten Statthalterschaft zusammengefasst
worden. Wenn diese mit dem Beginn der Kaiserzeit administrativ aufgeloest ward,
so wurde damals gleichzeitig dem gesamten griechischen Harnen eine religioese
Gemeinschaft verliehen, die sich anschloss an die alte, des Gottesfriedens wegen
eingefuehrte und dann zu politischen Zwecken missbrauchte Delphische
Amphiktyonie. Unter der roemischen Republik war dieselbe im wesentlichen auf die
urspruenglichen Grundlagen zurueckgefuehrt worden: Makedonien sowohl wie
Aetolien, die sich beide usurpatorisch eingedraengt hatten, wurden wieder
ausgeschieden und die Amphiktyonie umfasste abermals nicht alle, aber die
meisten Voelkerschaften Thessaliens und des eigentlichen Griechenlands. Augustus
veranlasste die Erstreckung des Bundes auf Epirus und Makedonien und machte ihn
dadurch im wesentlichen zum Vertreter des hellenischen Landes in dem weiteren,
dieser Epoche allein angemessenen Sinne. Eine bevorzugte Stellung nahmen in
diesem Verein neben dem altheiligen Delphi die beiden Staedte Athen und
Nikopolis ein, jene die Kapitale des alten, diese nach Augustus' Absicht die des
neuen kaiserlichen Hellenentums ^1. Diese neue Amphiktyonie hat eine gewisse
Aehnlichkeit mit der Landesversammlung der drei Gallien; in aehnlicher Weise wie
fuer diese der Kaiseraltar bei Lyon war der Tempel des pythischen Apollon der
religioese Mittelpunkt der griechischen Provinzen. Indes waehrend jenem daneben
eine geradezu politische Wirksamkeit zugestanden hat, so besorgten die
Amphiktyonen dieser Epoche ausser der eigentlich religioesen Feier lediglich die
Verwaltung des delphischen Heiligtums und seiner immer noch betraechtlichen
Einkuenfte ^2. Wenn ihr Vorsteher sich in spaeterer Zeit die "Helladarchie"
zuschreibt, so ist diese Herrschaft ueber Griechenland lediglich ein idealer
Begriff. ^3 Immer aber bleibt die offizielle Konservierung der griechischen
Nationalitaet ein Kennzeichen der Haltung, welche das neue Kaisertum gegen
dieselbe einnimmt, und seines den republikanischen weit ueberbietenden
Philhellenismus.
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^1 Die Ordnung der Delphischen Amphiktyonie unter der roemischen Republik
erhellt namentlich aus der delphischen Inschrift CIL III, p. 987 (vgl. BCH
7,1883, S. 427f.). Den Verein bildeten damals siebzehn Voelkerschaften mit
zusammen 24 Stimmen, saemtlich dem eigentlichen Griechenland oder Thessalien
angehoerig; Aetolien, Epirus, Makedonien fehlen. Nach der Umgestaltung durch
Augustus (Paus. 10, 8) blieb diese Organisation im uebrigen bestehen, nur dass
durch Beschraenkung der unverhaeltnismaessig zahlreichen thessalischen die
Stimmen der bisher vertretenen Voelkerschaften auf achtzehn herabgemindert
wurden; dazu traten neu Nikopolis in Epirus mit sechs und Makedonien ebenfalls
mit sechs Stimmen. Ferner sollten die sechs Stimmen von Nikopolis ein fuer
allemal gefuehrt werden, ebenso wie dies blieb fuer die zwei von Delphi und die
eine von Athen, die uebrigen Stimmen dagegen von den Verbaenden, so dass zum


 


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