Wilhelm Meisters Wanderjahre--Buch 2
by
Johann Wolfgang von Goethe

Part 1 out of 4



Association / Carnegie-Mellon University".

*END*THE SMALL PRINT! FOR PUBLIC DOMAIN ETEXTS*Ver.04.29.93*END*





This etext was prepared by Michael Pullen,
globaltraveler5565@yahoo.com.





Wilhelm Meisters Wanderjahre--Buch 2
oder die Entsagenden










Zweites Buch




Erstes Kapitel

Die Wallfahrenden hatten nach Vorschrift den Weg genommen und fanden
glücklich die Grenze der Provinz, in der sie so manches Merkwürdige
erfahren sollten; beim ersten Eintritt gewahrten sie sogleich der
fruchtbarsten Gegend, welche an sanften Hügeln den Feldbau, auf höhern
Bergen die Schafzucht, in weiten Talflächen die Viehzucht begünstigte.
Es war kurz vor der Ernte und alles in größter Fülle; das, was sie
jedoch gleich in Verwunderung setzte, war, daß sie weder Frauen noch
Männer, wohl aber durchaus Knaben und Jünglinge beschäftigt sahen,
auf eine glückliche Ernte sich vorzubereiten, ja auch schon auf ein
fröhliches Erntefest freundliche Anstalt zu treffen. Sie begrüßten
einen und den andern und fragten nach dem Obern, von dessen Aufenthalt
man keine Rechenschaft geben konnte. Die Adresse ihres Briefs
lautete: "An den Obern, oder die Dreie." Auch hierin konnten sich
die Knaben nicht finden; man wies die Fragenden jedoch an einen
Aufseher, der eben das Pferd zu besteigen sich bereitete; sie
eröffneten ihre Zwecke; des Felix Freimütigkeit schien ihm zu
gefallen, und so ritten sie zusammen die Straße hin.

Schon hatte Wilhelm bemerkt, daß in Schnitt und Farbe der Kleider
eine Mannigfaltigkeit obwaltete, die der ganzen kleinen Völkerschaft
ein sonderbares Ansehn gab; eben war er im Begriff, seinen Begleiter
hiernach zu fragen, als noch eine wundersamere Bemerkung sich ihm
auftat: alle Kinder, sie mochten beschäftigt sein, wie sie wollten,
ließen ihre Arbeit liegen und wendeten sich mit besondern, aber
verschiedenen Gebärden gegen die Vorbeireitenden, und es war leicht
zu folgern, daß es dem Vorgesetzten galt. Die jüngsten legten die
Arme kreuzweis über die Brust und blickten fröhlich gen Himmel, die
mittlern hielten die Arme auf den Rücken und schauten lächelnd zur
Erde, die dritten standen strack und mutig; die Arme niedergesenkt,
wendeten sie den Kopf nach der rechten Seite und stellten sich in eine
Reihe, anstatt daß jene vereinzelt blieben, wo man sie traf.

Als man darauf haltmachte und abstieg, wo eben mehrere Kinder nach
verschiedener Weise sich aufstellten und von dem Vorgesetzten
gemustert wurden, fragte Wilhelm nach der Bedeutung dieser Gebärden;
Felix fiel ein und sagte munter: "Was für eine Stellung hab' ich denn
einzunehmen?"--"Auf alle Fälle", versetzte der Aufseher, "zuerst die
Arme über die Brust und ernsthaft-froh nach oben gesehen, ohne den
Blick zu verwenden." Er gehorchte, doch rief er bald: "Dies gefällt
mir nicht sonderlich, ich sehe ja nichts da droben; dauert es lange?
Doch ja!" rief er freudig, "ein paar Habichte fliegen von Westen nach
Osten; das ist wohl ein gutes Zeichen?"-- "Wienach du's aufnimmst, je
nachdem du dich beträgst", versetzte jener; "jetzt mische dich unter
sie, wie sie sich mischen." Er gab ein Zeichen, die Kinder verließen
ihre Stellung, ergriffen ihre Beschäftigung oder spielten wie vorher.

"Mögen und können Sie mir", sagte Wilhelm darauf, "das, was mich
hier in Verwunderung setzt, erklären? Ich sehe wohl, daß diese
Gebärden, diese Stellungen Grüße sind, womit man Sie empfängt.
"--"Ganz richtig", versetzte jener, "Grüße, die mir sogleich andeuten,
auf welcher Stufe der Bildung ein jeder dieser Knaben steht."

"Dürfen Sie mir aber", versetzte Wilhelm, "die Bedeutung des
Stufengangs wohl erklären? denn daß es einer sei, läßt sich wohl
einsehen."-- "Die gebührt Höheren, als ich bin", antwortete jener;
"so viel aber kann ich versichern, daß es nicht leere Grimassen sind,
daß vielmehr den Kindern zwar nicht die höchste, aber doch eine
leitende, faßliche Bedeutung überliefert wird; zugleich aber ist
jedem geboten, für sich zu behalten und zu hegen, was man ihm als
Bescheid zu erteilen für gut findet; sie dürfen weder mit Fremden
noch unter einander selbst darüber schwatzen, und so modifiziert sich
die Lehre hundertfältig. Außerdem hat das Geheimnis sehr große
Vorteile: denn wenn man dem Menschen gleich und immer sagt, worauf
alles ankommt, so denkt er, es sei nichts dahinter. Gewissen
Geheimnissen, und wenn sie offenbar wären, muß man durch Verhüllen
und Schweigen Achtung erweisen, denn dieses wirkt auf Scham und gute
Sitten."--"Ich verstehe Sie", versetzte Wilhelm, "warum sollten wir
das, was in körperlichen Dingen so nötig ist, nicht auch geistig
anwenden? Vielleicht aber können Sie in einem andern Bezug meine
Neugierde befriedigen. Die große Mannigfaltigkeit in Schnitt und
Farbe der Kleider fällt mir auf, und doch seh' ich nicht alle Farben,
aber einige in allen ihren Abstufungen, vom Hellsten bis zum
Dunkelsten. Doch bemerke ich, daß hier keine Bezeichnung der Stufen
irgendeines Alters oder Verdienstes gemeint sein kann, indem die
kleinsten und größten Knaben untermischt so an Schnitt als Farbe
gleich sein können, aber die von gleichen Gebärden im Gewand nicht
miteinander übereinstimmen."--"Auch was dies betrifft", versetzte der
Begleitende, "darf ich mich nicht weiter auslassen; doch müßte ich
mich sehr irren, oder Sie werden über alles, wie Sie nur wünschen
mögen, aufgeklärt von uns scheiden."

Man verfolgte nunmehr die Spur des Obern, welche man gefunden zu
haben glaubte; nun aber mußte dem Fremdling notwendig auffallen, daß,
je weiter sie ins Land kamen, ein wohllautender Gesang ihnen immer
mehr entgegentönte. Was die Knaben auch begannen, bei welcher Arbeit
man sie auch fand, immer sangen sie, und zwar schienen es Lieder jedem
Geschäft besonders angemessen und in gleichen Fällen überall
dieselben. Traten mehrere Kinder zusammen, so begleiteten sie sich
wechselweise; gegen Abend fanden sich auch Tanzende, deren Schritte
durch Chöre belebt und geregelt wurden. Felix stimmte vom Pferde
herab mit ein, und zwar nicht ganz unglücklich, Wilhelm vergnügte
sich an dieser die Gegend belebenden Unterhaltung.

"Wahrscheinlich", so sprach er zu seinem Gefährten, "wendet man
viele Sorgfalt auf solchen Unterricht, denn sonst könnte diese
Geschicklichkeit nicht so weit ausgebreitet und so vollkommen
ausgebildet sein."--"Allerdings", versetzte jener, "bei uns ist der
Gesang die erste Stufe der Bildung, alles andere schließt sich daran
und wird dadurch vermittelt. Der einfachste Genuß sowie die
einfachste Lehre werden bei uns durch Gesang belebt und eingeprägt,
ja selbst was wir überliefern von Glaubens--und Sittenbekenntnis,
wird auf dem Wege des Gesanges mitgeteilt; andere Vorteile zu
selbsttätigen Zwecken verschwistern sich sogleich: denn indem wir die
Kinder üben, Töne, welche sie hervorbringen, mit Zeichen auf die
Tafel schreiben zu lernen und nach Anlaß dieser Zeichen sodann in
ihrer Kehle wiederzufinden, ferner den Text darunterzufügen, so üben
sie zugleich Hand, Ohr und Auge und gelangen schneller zum Recht--und
Schönschreiben, als man denkt, und da dieses alles zuletzt nach
reinen Maßen, nach genau bestimmten Zahlen ausgeübt und nachgebildet
werden muß, so fassen sie den hohen Wert der Meß--und Rechenkunst
viel geschwinder als auf jede andere Weise. Deshalb haben wir denn
unter allem Denkbaren die Musik zum Element unserer Erziehung gewählt,
denn von ihr laufen gleichgebahnte Wege nach allen Seiten."

Wilhelm suchte sich noch weiter zu unterrichten und verbarg seine
Verwunderung nicht, daß er gar keine Instrumentalmusik vernehme.
"Diese wird bei uns nicht vernachlässigt", versetzte jener, "aber in
einen besondern Bezirk, in das anmutigste Bergtal, eingeschlossen
geübt; und da ist denn wieder dafür gesorgt, daß die verschiedenen
Instrumente in auseinanderliegenden Ortschaften gelehrt werden.
Besonders die Mißtöne der Anfänger sind in gewisse Einsiedeleien
verwiesen, wo sie niemand zur Verzweiflung bringen: denn Ihr werdet
selbst gestehen, daß in der wohleingerichteten bürgerlichen
Gesellschaft kaum ein trauriger Leiden zu dulden sei, als das uns die
Nachbarschaft eines angehenden Flöten--oder Violinenspielers
aufdringt.

Unsere Anfänger gehen, aus eigener löblicher Gesinnung, niemand
lästig sein zu wollen, freiwillig länger oder kürzer in die Wüste und
beeifern sich, abgesondert, um das Verdienst, der bewohnten Welt
nähertreten zu dürfen, weshalb jedem von Zeit zu Zeit ein Versuch,
heranzutreten, erlaubt wird, der selten mißlingt, weil wir Scham und
Scheu bei dieser wie bei unsern übrigen Einrichtungen gar wohl hegen
und pflegen dürfen. Daß Eurem Sohn eine glückliche Stimme geworden,
freut mich innigst, für das übrige sorgt sich um desto leichter."

Nun waren sie zu einem Ort gelangt, wo Felix verweilen und sich an
der Umgebung prüfen sollte, bis man zur förmlichen Aufnahme geneigt
wäre; schon von weitem hörten sie einen freudigen Gesang; es war ein
Spiel, woran sich die Knaben in der Feierstunde diesmal ergötzten.
Ein allgemeiner Chorgesang erscholl, wozu jedes Glied eines weiten
Kreises freudig, klar und tüchtig an seinem Teile zustimmte, den
Winken des Regelnden gehorchend. Dieser überraschte jedoch öfters
die Singenden, indem er durch ein Zeichen den Chorgesang aufhob und
irgendeinen einzelnen Teilnehmenden, ihn mit dem Stäbchen berührend,
aufforderte, sogleich allein ein schickliches Lied dem verhallenden
Ton, dem vorschwebenden Sinne anzupassen. Schon zeigten die meisten
viel Gewandtheit, einige, denen das Kunststück mißlang, gaben ihr
Pfand willig hin, ohne gerade ausgelacht zu werden. Felix war Kind
genug, sich gleich unter sie zu mischen, und zog sich noch so
leidlich aus der Sache. Sodann ward ihm jener erste Gruß zugeeignet;
er legte sogleich die Hände auf die Brust, blickte aufwärts, und zwar
mit so schnackischer Miene, daß man wohl bemerken konnte, ein
geheimer Sinn dabei sei ihm noch nicht aufgegangen.

Der angenehme Ort, die gute Aufnahme, die muntern Gespielen, alles
gefiel dem Knaben so wohl, daß es ihm nicht sonderlich wehe tat,
seinen Vater abreisen zu sehen; fast blickte er dem weggeführten
Pferde schmerzlicher nach; doch ließ er sich bedeuten, da er vernahm,
daß er es im gegenwärtigen Bezirk nicht behalten könne; man versprach
ihm dagegen, er solle, wo nicht dasselbe, doch ein gleiches, munter
und wohlgezogen, unerwartet wiederfinden.

Da sich der Obere nicht erreichen ließ, sagte der Aufseher: "Ich muß
Euch nun verlassen, meine Geschäfte zu verfolgen; doch will ich Euch
zu den Dreien bringen, die unsern Heiligtümern vorstehen, Euer Brief
ist auch an sie gerichtet, und sie zusammen stellen den Obern vor."
Wilhelm hätte gewünscht, von den Heiligtümern im voraus zu vernehmen,
jener aber versetzte: "Die Dreie werden Euch, zu Erwiderung des
Vertrauens, daß Ihr uns Euren Sohn überlaßt, nach Weisheit und
Billigkeit gewiß das Nötigste eröffnen. Die sichtbaren Gegenstände
der Verehrung, die ich Heiligtümer nannte, sind in einen besondern
Bezirk eingeschlossen, werden mit nichts gemischt, durch nichts
gestört; nur zu gewissen Zeiten des Jahres läßt man die Zöglinge, den
Stufen ihrer Bildung gemäß, dort eintreten, um sie historisch und
sinnlich zu belehren, da sie denn genugsamen Eindruck mit wegnehmen,
um, bei Ausübung ihrer Pflicht, eine Zeitlang daran zu zehren."

Nun stand Wilhelm am Tor eines mit hohen Mauern umgebenen Talwaldes;
auf ein gewisses Zeichen eröffnete sich die kleine Pforte, und ein
ernster, ansehnlicher Mann empfing unsern Freund. Dieser fand sich in
einem großen, herrlichen grünenden Raum, von Bäumen und Büschen
vielerlei Art beschattet, kaum daß er stattliche Mauern und
ansehnliche Gebäude durch diese dichte und hohe Naturpflanzung
hindurch bemerken konnte; ein freundlicher Empfang von den Dreien,
die sich nach und nach herbeifanden, löste sich endlich in ein
Gespräch auf, wozu jeder das Seinige beitrug, dessen Inhalt wir jedoch
in der Kürze zusammenfassen.

"Da Ihr uns Euren Sohn vertraut", sagten sie, "sind wir schuldig,
Euch tiefer in unser Verfahren hineinblicken zu lassen. Ihr habt
manches äußerliche gesehen, welches nicht sogleich sein Verständnis
mit sich führt; was davon wünscht Ihr vor allem aufgeschlossen?"

"Anständige, doch seltsame Gebärden und Grüße hab' ich bemerkt,
deren Bedeutung ich zu erfahren wünschte; bei euch bezieht sich gewiß
das äußere auf das Innere, und umgekehrt; laßt mich diesen Bezug
erfahren."

"Wohlgeborne, gesunde Kinder", versetzten jene, "bringen viel mit;
die Natur hat jedem alles gegeben, was er für Zeit und Dauer nötig
hätte; dieses zu entwickeln, ist unsere Pflicht, öfters entwickelt
sich's besser von selbst. Aber eins bringt niemand mit auf die Welt,
und doch ist es das, worauf alles ankommt, damit der Mensch nach allen
Seiten zu ein Mensch sei. Könnt Ihr es selbst finden, so sprecht es
aus." Wilhelm bedachte sich eine kurze Zeit und schüttelte sodann
den Kopf.

Jene, nach einem anständigen Zaudern, riefen: "Ehrfurcht!" Wilhelm
stutzte. "Ehrfurcht!" hieß es wiederholt. "Allen fehlt sie,
vielleicht Euch selbst.

Dreierlei Gebärde habt Ihr gesehen, und wir überliefern eine
dreifache Ehrfurcht, die, wenn sie zusammenfließt und ein Ganzes
bildet, erst ihre höchste Kraft und Wirkung erreicht. Das erste ist
Ehrfurcht vor dem, was über uns ist. Jene Gebärde, die Arme
kreuzweis über die Brust, einen freudigen Blick gen Himmel, das ist,
was wir unmündigen Kindern auflegen und zugleich das Zeugnis von
ihnen verlangen, daß ein Gott da droben sei, der sich in Eltern,
Lehrern, Vorgesetzten abbildet und offenbart. Das zweite: Ehrfurcht
vor dem, was unter uns ist. Die auf den Rücken gefalteten, gleichsam
gebundenen Hände, der gesenkte, lächelnde Blick sagen, daß man die
Erde wohl und heiter zu betrachten habe; sie gibt Gelegenheit zur
Nahrung; sie gewährt unsägliche Freuden; aber unverhältnismäßige
Leiden bringt sie. Wenn einer sich körperlich beschädigte,
verschuldend oder unschuldig, wenn ihn andere vorsätzlich oder
zufällig verletzten, wenn das irdische Willenlose ihm ein Leid
zufügte, das bedenk' er wohl: denn solche Gefahr begleitet ihn sein
Leben lang. Aber aus dieser Stellung befreien wir unsern Zögling
baldmöglichst, sogleich wenn wir überzeugt sind, daß die Lehre dieses
Grads genugsam auf ihn gewirkt habe; dann aber heißen wir ihn sich
ermannen, gegen Kameraden gewendet nach ihnen sich richten. Nun
steht er strack und kühn, nicht etwa selbstisch vereinzelt; nur in
Verbindung mit seinesgleichen macht er Fronte gegen die Welt. Weiter
müßten wir nichts hinzuzufügen."

"Es leuchtet mir ein!" versetzte Wilhelm; "deswegen liegt die Menge
wohl so im argen, weil sie sich nur im Element des Mißwollens und
Mißredens behagt; wer sich diesem überliefert, verhält sich gar bald
gegen Gott gleichgültig, verachtend gegen die Welt, gegen
seinesgleichen gehässig; das wahre, echte, unentbehrliche Selbstgefühl
aber zerstört sich in Dünkel und Anmaßung. Erlauben Sie mir
dessenungeachtet", fuhr Wilhelm fort, "ein einziges einzuwenden: Hat
man nicht von jeher die Furcht roher Völker vor mächtigen
Naturerscheinungen und sonst unerklärlichen, ahnungsvollen
Ereignissen für den Keim gehalten, woraus ein höheres Gefühl, eine
reinere Gesinnung sich stufenweise entwickeln sollte?" Hierauf
erwiderten jene: "Der Natur ist Furcht wohl gemäß, Ehrfurcht aber
nicht; man fürchtet ein bekanntes oder unbekanntes mächtiges Wesen,
der Starke sucht es zu bekämpfen, der Schwache zu vermeiden, beide
wünschen es loszuwerden und fühlen sich glücklich, wenn sie es auf
kurze Zeit beseitigt haben, wenn ihre Natur sich zur Freiheit und
Unabhängigkeit einigermaßen wieder herstellte. Der natürliche Mensch
wiederholt diese Operation millionenmal in seinem Leben, von der
Furcht strebt er zur Freiheit, aus der Freiheit wird er in die Furcht
getrieben und kommt um nichts weiter. Sich zu fürchten ist leicht,
aber beschwerlich; Ehrfurcht zu hegen ist schwer, aber bequem.
Ungern entschließt sich der Mensch zur Ehrfurcht, oder vielmehr
entschließt sich nie dazu; es ist ein höherer Sinn, der seiner Natur
gegeben werden muß und der sich nur bei besonders Begünstigten aus
sich selbst entwickelt, die man auch deswegen von jeher für Heilige,
für Götter gehalten. Hier liegt die Würde, hier das Geschäft aller
echten Religionen, deren es auch nur dreie gibt, nach den Objekten,
gegen welche sie ihre Andacht wenden."

Die Männer hielten inne, Wilhelm schwieg eine Weile nachdenkend; da
er in sich aber die Anmaßung nicht fühlte, den Sinn jener sonderbaren
Worte zu deuten, so bat er die Würdigen, in ihrem Vortrage
fortzufahren, worin sie ihm denn auch sogleich willfahrten. "Keine
Religion", sagten sie, "die sich auf Furcht gründet, wird unter uns
geachtet. Bei der Ehrfurcht, die der Mensch in sich walten läßt, kann
er, indem er Ehre gibt, seine Ehre behalten, er ist nicht mit sich
selbst veruneint wie in jenem Falle. Die Religion, welche auf
Ehrfurcht vor dem, was über uns ist, beruht, nennen wir die ethnische,
es ist die Religion der Völker und die erste glückliche Ablösung von
einer niedern Furcht; alle sogenannten heidnischen Religionen sind
von dieser Art, sie mögen übrigens Namen haben, wie sie wollen. Die
zweite Religion, die sich auf jene Ehrfurcht gründet, die wir vor dem
haben, was uns gleich ist, nennen wir die philosophische: denn der
Philosoph, der sich in die Mitte stellt, muß alles Höhere zu sich
herab, alles Niedere zu sich herauf ziehen, und nur in diesem
Mittelzustand verdient er den Namen des Weisen. Indem er nun das
Verhältnis zu seinesgleichen und also zur ganzen Menschheit, das
Verhältnis zu allen übrigen irdischen Umgebungen, notwendigen und
zufälligen, durchschaut, lebt er im kosmischen Sinne allein in der
Wahrheit. Nun ist aber von der dritten Religion zu sprechen,
gegründet auf die Ehrfurcht vor dem, was unter uns ist; wir nennen
sie die christliche, weil sich in ihr eine solche Sinnesart am
meisten offenbart; es ist ein Letztes, wozu die Menschheit gelangen
konnte und mußte. Aber was gehörte dazu, die Erde nicht allein unter
sich liegen zu lassen und sich auf einen höhern Geburtsort zu berufen,
sondern auch Niedrigkeit und Armut, Spott und Verachtung, Schmach
und Elend, Leiden und Tod als göttlich anzuerkennen, ja Sünde selbst
und Verbrechen nicht als Hindernisse, sondern als Fördernisse des
Heiligen zu verehren und liebzugewinnen. Hievon finden sich freilich
Spuren durch alle Zeiten, aber Spur ist nicht Ziel, und da dieses
einmal erreicht ist, so kann die Mehrheit nicht wieder zurück, und man
darf sagen, daß die christliche Religion, da sie einmal erschienen
ist, nicht wieder verschwinden kann, da sie sich einmal göttlich
verkörpert hat, nicht wieder aufgelöst werden mag."

"Zu welcher von diesen Religionen bekennt ihr euch denn
insbesondere?" sagte Wilhelm. "Zu allen dreien", erwiderten jene;
"denn sie zusammen bringen eigentlich die wahre Religion hervor; aus
diesen drei Ehrfurchten entspringt die oberste Ehrfurcht, die
Ehrfurcht vor sich selbst, und jene entwickeln sich abermals aus
dieser, so daß der Mensch zum Höchsten gelangt, was er zu erreichen
fähig ist, daß er sich selbst für das Beste halten darf, was Gott und
Natur hervorgebracht haben, ja, daß er auf dieser Höhe verweilen kann,
ohne durch Dünkel und Selbstheit wieder ins Gemeine gezogen zu werden."

"Ein solches Bekenntnis, auf diese Weise entwickelt, befremdet mich
nicht", versetzte Wilhelm, "es kommt mit allem überein, was man im
Leben hie und da vernimmt, nur daß euch dasjenige vereinigt, was
andere trennt." Hierauf versetzten jene: "Schon wird dieses
Bekenntnis von einem großen Teil der Welt ausgesprochen, doch
unbewußt."

"Wie denn und wo?" fragte Wilhelm. "Im Credo!" riefen jene laut;
"denn der erste Artikel ist ethnisch und gehört allen Völkern; der
zweite christlich, für die mit Leiden Kämpfenden und in Leiden
Verherrlichten; der dritte zuletzt lehrt eine begeisterte
Gemeinschaft der Heiligen, welches heißt: der im höchsten Grad Guten
und Weisen. Sollten daher die drei göttlichen Personen, unter deren
Gleichnis und Namen solche überzeugungen und Verheißungen
ausgesprochen sind, nicht billigermaßen für die höchste Einheit
gelten?"

"Ich danke", versicherte jener, "daß ihr mir dieses, als einem
Erwachsenen, dem die drei Sinnesarten nicht fremd sind, so klar und
zusammenhängend aussprechen wollen, und wenn ich nun zurückdenke, daß
ihr den Kindern diese hohe Lehre erst als sinnliches Zeichen, dann
mit einigem symbolischen Anklang überliefert und zuletzt die oberste
Deutung ihnen entwickelt, so muß ich es höchlich billigen."

"Ganz richtig", erwiderten jene; "nun aber müßt Ihr noch mehr
erfahren, damit Ihr Euch überzeugt, daß Euer Sohn in den besten Händen
sei. Doch dies Geschäft bleibe für die Morgenstunden; ruht aus und
erquickt Euch, damit Ihr uns, vergnügt und vollkommen menschlich,
morgen früh in das Innere folgen könnt."









Zweites Kapitel

An der Hand des ältesten trat nun unser Freund durch ein
ansehnliches Portal in eine runde oder vielmehr achteckige Halle, die
mit Gemälden so reichlich ausgeziert war, daß sie den Ankömmling in
Erstaunen setzte. Er begriff leicht, daß alles, was er erblickte,
einen bedeutenden Sinn haben müßte, ob er sich gleich denselben nicht
so geschwind entziffern konnte. Er war eben im Begriff, seinen
Begleiter deshalb zu befragen, als dieser ihn einlud, seitwärts in
eine Galerie zu treten, die, an der einen Seite offen, einen
geräumigen, blumenreichen Garten umgab. Die Wand zog jedoch mehr als
dieser heitre, natürliche Schmuck die Augen an sich: denn sie war
durchaus gemalt, und der Ankömmling konnte nicht lange daran hergehen,
ohne zu bemerken, daß die heiligen Bücher der Israeliten den Stoff
zu diesen Bildern geliefert hatten.

"Es ist hier", sagte der älteste, "wo wir diejenige Religion
überliefern, die ich Euch der Kürze wegen die ethnische genannt habe.
Der Gehalt derselben findet sich in der Weltgeschichte, so wie die
Hülle derselben in den Begebenheiten. An der Wiederkehr der
Schicksale ganzer Völker wird sie eigentlich begriffen."

"Ihr habt", sagte Wilhelm, "wie ich sehe, dem israelitischen Volke
die Ehre erzeigt und seine Geschichte zum Grunde dieser Darstellung
gelegt, oder vielmehr ihr habt sie zum Hauptgegenstande derselben
gemacht."--"Wie Ihr seht", versetzte der Alte; "denn Ihr werdet
bemerken, daß in den Sockeln und Friesen nicht sowohl synchronistische
als symphronistische Handlungen und Begebenheiten aufgeführt sind,
indem unter allen Völkern gleichbedeutende und Gleiches deutende
Nachrichten vorkommen. So erblickt Ihr hier, wenn in dem Hauptfelde
Abraham von seinen Göttern in der Gestalt schöner Jünglinge besucht
wird, den Apoll unter den Hirten Admets oben in der Friese; woraus wir
lernen können, daß, wenn die Götter den Menschen erscheinen, sie
gewöhnlich unerkannt unter ihnen wandeln."

Die Betrachtenden schritten weiter. Wilhelm fand meistens bekannte
Gegenstände, jedoch lebhafter und bedeutender vorgetragen, als er sie
sonst zu sehen gewohnt war. über weniges bat er sich einige Erklärung
aus; wobei er sich nicht enthalten konnte, nochmals zu fragen, warum
man die israelitische Geschichte vor allen andern gewählt. Hierauf
antwortete der älteste: "Unter allen heidnischen Religionen, denn
eine solche ist die israelitische gleichfalls, hat diese große
Vorzüge, wovon ich nur einiger erwähnen will. Vor dem ethnischen
Richterstuhle, vor dem Richterstuhl des Gottes der Völker, wird nicht
gefragt, ob es die beste, die vortrefflichste Nation sei, sondern nur,
ob sie daure, ob sie sich erhalten habe. Das israelitische Volk hat
niemals viel getaugt, wie es ihm seine Anführer, Richter, Vorsteher,
Propheten tausendmal vorgeworfen haben; es besitzt wenig Tugenden und
die meisten Fehler anderer Völker: aber an Selbständigkeit,
Festigkeit, Tapferkeit und, wenn alles das nicht mehr gilt, an Zäheit
sucht es seinesgleichen. Es ist das beharrlichste Volk der Erde, es
ist, es war, es wird sein, um den Namen Jehova durch alle Zeiten zu
verherrlichen. Wir haben es daher als Musterbild aufgestellt, als
Hauptbild, dem die andern nur zum Rahmen dienen."

"Es ziemt sich nicht, mit Euch zu rechten", versetzte Wilhelm, "da
Ihr mich zu belehren imstande seid. Eröffnet mir daher noch die
übrigen Vorteile dieses Volks, oder vielmehr seiner Geschichte,
seiner Religion."--"Ein Hauptvorteil", versetzte jener, "ist die
treffliche Sammlung ihrer heiligen Bücher. Sie stehen so glücklich
beisammen, daß aus den fremdesten Elementen ein täuschendes Ganze
entgegentritt. Sie sind vollständig genug, um zu befriedigen,
fragmentarisch genug, um anzureizen; hinlänglich barbarisch, um
aufzufordern, hinlänglich zart, um zu besänftigen; und wie manche
andere entgegengesetzte Eigenschaften sind an diesen Büchern, an
diesem Buche zu rühmen!"

Die Folge der Hauptbilder sowohl als die Beziehung der kleinern, die
sie oben und unten begleiteten, gab dem Gast so viel zu denken, daß
er kaum auf die bedeutenden Bemerkungen hörte, wodurch der Begleiter
mehr seine Aufmerksamkeit abzulenken als an die Gegenstände zu
fesseln schien. Indessen sagte jener bei Gelegenheit: "Noch einen
Vorteil der israelitischen Religion muß ich hier erwähnen: daß sie
ihren Gott in keine Gestalt verkörpert und uns also die Freiheit läßt,
ihm eine würdige Menschengestalt zu geben, auch im Gegensatz die
schlechte Abgötterei durch Tier--und Untiergestalten zu bezeichnen."

Unser Freund hatte sich nunmehr auf einer kurzen Wanderung durch
diese Hallen die Weltgeschichte wieder vergegenwärtigt; es war ihm
einiges neu in Absicht auf die Begebenheit. So waren ihm durch
Zusammenstellung der Bilder, durch die Reflexionen seines Begleiters
manche neue Ansichten entsprungen, und er freute sich, daß Felix
durch eine so würdige sinnliche Darstellung sich jene großen,
bedeutenden, musterhaften Ereignisse für sein ganzes Leben als
wirklich, und als wenn sie neben ihm lebendig gewesen wären, zueignen
sollte. Er betrachtete diese Bilder zuletzt nur aus den Augen des
Kindes, und in diesem Sinne war er vollkommen damit zufrieden; und so
waren die Wandelnden zu den traurigen, verworrenen Zeiten und endlich
zu dem Untergang der Stadt und des Tempels, zum Morde, zur Verbannung,
zur Sklaverei ganzer Massen dieser beharrlichen Nation gelangt.
Ihre nachherigen Schicksale waren auf eine kluge Weise allegorisch
vorgestellt, da eine historische, eine reale Darstellung derselben
außer den Grenzen der edlen Kunst liegt.

Hier war die bisher durchwanderte Galerie auf einmal abgeschlossen,
und Wilhelm war verwundert, sich schon am Ende zu sehen. "Ich finde",
sagte er zu seinem Führer, "in diesem Geschichtsgang eine Lücke.
Ihr habt den Tempel Jerusalems zerstört und das Volk zerstreut, ohne
den göttlichen Mann aufzuführen, der kurz vorher daselbst noch lehrte,
dem sie noch kurz vorher kein Gehör geben wollten."

"Dies zu tun, wie Ihr es verlangt, wäre ein Fehler gewesen. Das
Leben dieses göttlichen Mannes, den Ihr bezeichnet, steht mit der
Weltgeschichte seiner Zeit in keiner Verbindung. Es war ein
Privatleben, seine Lehre eine Lehre für die Einzelnen. Was
Völkermassen und ihren Gliedern öffentlich begegnet, gehört der
Weltgeschichte, der Weltreligion, welche wir für die erste halten.
Was dem Einzelnen innerlich begegnet, gehört zur zweiten Religion,
zur Religion der Weisen: eine solche war die, welche Christus lehrte
und übte, solange er auf der Erde umherging. Deswegen ist hier das
äußere abgeschlossen, und ich eröffne Euch nun das Innere."

Eine Pforte tat sich auf, und sie traten in eine ähnliche Galerie,
wo Wilhelm sogleich die Bilder der zweiten heiligen Schriften
erkannte. Sie schienen von einer andern Hand zu sein als die ersten:
alles war sanfter, Gestalten, Bewegungen, Umgebung, Licht und Färbung.

"Ihr seht", sagte der Begleiter, nachdem sie an einem Teil der
Bilder vorübergegangen waren, "hier weder Taten noch Begebenheiten,
sondern Wunder und Gleichnisse. Es ist eine neue Welt, ein neues
äußere, anders als das vorige, und ein Inneres, das dort ganz fehlt.
Durch Wunder und Gleichnisse wird eine neue Welt aufgetan. Jene
machen das Gemeine außerordentlich, diese das Außerordentliche gemein.
"-- "Ihr werdet die Gefälligkeit haben", versetzte Wilhelm, "mir
diese wenigen Worte umständlicher auszulegen: denn ich fühle mich
nicht geschickt, es selbst zu tun."--"Sie haben einen natürlichen
Sinn", versetzte jener, "obgleich einen tiefen. Beispiele werden ihn
am geschwindesten aufschließen. Es ist nichts gemeiner und
gewöhnlicher als Essen und Trinken; außerordentlich dagegen, einen
Trank zu veredeln, eine Speise zu vervielfältigen, daß sie für eine
Unzahl hinreiche. Es ist nichts gewöhnlicher als Krankheit und
körperliche Gebrechen; aber diese durch geistige oder geistigen
ähnlichen Mittel aufheben, lindern ist außerordentlich, und eben
daher entsteht das Wunderbare des Wunders, daß das Gewöhnliche und das
Außerordentliche, das Mögliche und das Unmögliche eins werden. Bei
dem Gleichnisse, bei der Parabel ist das Umgekehrte: hier ist der
Sinn, die Einsicht, der Begriff das Hohe, das Außerordentliche, das
Unerreichbare. Wenn dieser sich in einem gemeinen, gewöhnlichen,
faßlichen Bilde verkörpert, so daß er uns als lebendig, gegenwärtig,
wirklich entgegentritt, daß wir ihn uns zueignen, ergreifen,
festhalten, mit ihm wie mit unsersgleichen umgehen können, das ist
denn auch eine zweite Art von Wunder und wird billig zu jenen ersten
gesellt, ja vielleicht ihnen noch vorgezogen. Hier ist die lebendige
Lehre ausgesprochen, die Lehre, die keinen Streit erregt; es ist keine
Meinung über das, was Recht oder Unrecht ist; es ist das Rechte oder
Unrechte unwidersprechlich selbst."

Dieser Teil der Galerie war kürzer, oder vielmehr es war nur der
vierte Teil der Umgebung des innern Hofes. Wenn man jedoch an dem
ersten nur vorbeiging, so verweilte man hier gern; man ging gern hier
auf und ab. Die Gegenstände waren nicht so auffallend, nicht so
mannigfaltig; aber desto einladender, den tiefen, stillen Sinn
derselben zu erforschen. Auch kehrten die beiden Wandelnden am Ende
des Ganges um, indem Wilhelm eine Bedenklichkeit äußerte, daß man
hier eigentlich nur bis zum Abendmahle, bis zum Scheiden des Meisters
von seinen Jüngern gelangt sei. Er fragte nach dem übrigen Teil der
Geschichte.

"Wir sondern", versetzte der älteste, "bei jedem Unterricht, bei
aller überlieferung sehr gerne, was nur möglich zu sondern ist; denn
dadurch allein kann der Begriff des Bedeutenden bei der Jugend
entspringen. Das Leben mengt und mischt ohnehin alles durcheinander,
und so haben wir auch hier das Leben jenes vortrefflichen Mannes ganz
von dem Ende desselben abgesondert. Im Leben erscheint er als ein
wahrer Philosoph--stoßet Euch nicht an diesen Ausdruck--, als ein
Weiser im höchsten Sinne. Er steht auf seinem Punkte fest; er
wandelt seine Straße unverrückt, und indem er das Niedere zu sich
heraufzieht, indem er die Unwissenden, die Armen, die Kranken seiner
Weisheit, seines Reichtums, seiner Kraft teilhaftig werden läßt und
sich deshalb ihnen gleichzustellen scheint, so verleugnet er nicht
von der andern Seite seinen göttlichen Ursprung; er wagt, sich Gott
gleichzustellen, ja sich für Gott zu erklären. Auf diese Weise setzt
er von Jugend auf seine Umgebung in Erstaunen, gewinnt einen Teil
derselben für sich, regt den andern gegen sich auf und zeigt allen,
denen es um eine gewisse Höhe im Lehren und Leben zu tun ist, was sie
von der Welt zu erwarten haben. Und so ist sein Wandel für den edlen
Teil der Menschheit noch belehrender und fruchtbarer als sein Tod:
denn zu jenen Prüfungen ist jeder, zu diesem sind nur wenige berufen;
und damit wir alles übergehen, was aus dieser Betrachtung folgt, so
betrachtet die rührende Szene des Abendmahls. Hier läßt der Weise,
wie immer, die Seinigen ganz eigentlich verwaist zurück, und indem er
für die Guten besorgt ist, füttert er zugleich mit ihnen einen
Verräter, der ihn und die Bessern zugrunde richten wird."

Mit diesen Worten eröffnete der älteste eine Pforte, und Wilhelm
stutzte, als er sich wieder in der ersten Halle des Eingangs fand.
Sie hatten, wie er wohl merkte, indessen den ganzen Umkreis des Hofes
zurückgelegt. "Ich hoffte", sagte Wilhelm. "Ihr würdet mich ans
Ende führen, und bringt mich wieder zum Anfang."-- "Für diesmal kann
ich Euch weiter nichts zeigen", sagte der älteste; "mehr lassen wir
unsere Zöglinge nicht sehen, mehr erklären wir ihnen nicht, als was
Ihr bis jetzt durchlaufen habt; das äußere allgemein Weltliche einem
jeden von Jugend auf, das innere besonders Geistige und Herzliche nur
denen, die mit einiger Besonnenheit heranwachsen, und das übrige, was
des Jahrs nur einmal eröffnet wird, kann nur denen mitgeteilt werden,
die wir entlassen. Jene letzte Religion, die aus der Ehrfurcht vor
dem, was unter uns ist, entspringt, jene Verehrung des Widerwärtigen,
Verhaßten, Fliehenswerten geben wir einem jeden nur ausstattungsweise
in die Welt mit, damit er wisse, wo er dergleichen zu finden hat,
wenn ein solches Bedürfnis sich in ihm regen sollte. Ich lade Euch
ein, nach Verlauf eines Jahres wiederzukehren, unser allgemeines Fest
zu besuchen und zu sehen, wie weit Euer Sohn vorwärts gekommen;
alsdann sollt auch Ihr in das Heiligtum des Schmerzes eingeweiht
werden."

"Erlaubt mir eine Frage", versetzte Wilhelm. "Habt ihr denn auch,
so wie ihr das Leben dieses göttlichen Mannes als Lehr--und
Musterbild aufstellt, sein Leiden, seinen Tod gleichfalls als ein
Vorbild erhabener Duldungen herausgehoben?"--"Auf alle Fälle", sagte
der älteste. "Hieraus machen wir kein Geheimnis; aber wir ziehen
einen Schleier über diese Leiden, eben weil wir sie so hoch verehren.
Wir halten es für eine verdammungswürdige Frechheit, jenes
Martergerüst und den daran leidenden Heiligen dem Anblick der Sonne
auszusetzen, die ihr Angesicht verbarg, als eine ruchlose Welt ihr
dies Schauspiel aufdrang, mit diesen tiefen Geheimnissen, in welchen
die göttliche Tiefe des Leidens verborgen liegt, zu spielen, zu
tändeln, zu verzieren und nicht eher zu ruhen, bis das Würdigste
gemein und abgeschmackt erscheint. So viel sei für diesmal genug, um
Euch über Euren Knaben zu beruhigen und völlig zu überzeugen, daß Ihr
ihn auf irgendeine Art, mehr oder weniger, aber doch nach
wünschenswerter Weise gebildet und auf alle Fälle nicht verworren,
schwankend und unstät wiederfinden sollt."

Wilhelm zauderte, indem er sich die Bilder der Vorhalle besah und
ihren Sinn gedeutet wünschte. "Auch dieses", sagte der älteste,
"bleiben wir Euch bis übers Jahr schuldig. Bei dem Unterricht, den
wir in der Zwischenzeit den Kindern geben, lassen wir keine Fremden
zu; aber alsdann kommt und vernehmt, was unsere besten Redner über
diese Gegenstände öffentlich zu sagen für dienlich halten."

Bald nach dieser Unterredung hörte man an der kleine Pforte pochen.
Der gestrige Aufseher meldete sich, er hatte Wilhelms Pferd
vorgeführt, und so beurlaubte sich der Freund von der Dreie, welche
zum Abschied ihn dem Aufseher folgendermaßen empfahl: "Dieser wird nun
zu den Vertrauten gezählt, und dir ist bekannt, was du ihm auf seine
Fragen zu erwidern hast: denn er wünscht gewiß noch über manches, was
er bei uns sah und hörte, belehrt zu werden; Maß und Ziel ist dir
nicht verborgen."

Wilhelm hatte freilich noch einige Fragen auf dem Herzen, die er
auch sogleich anbrachte. Wo sie durchritten, stellten sich die
Kinder wie gestern; aber heute sah er, obgleich selten, einen und den
andern Knaben, der den vorbereitenden Aufseher nicht grüßte, von
seiner Arbeit nicht aufsah und ihn unbemerkt vorüberließ. Wilhelm
fragte nun nach der Ursache und was diese Ausnahme zu bedeuten habe.
Jener erwiderte darauf: "Sie ist freilich sehr bedeutungsvoll: denn
es ist die höchste Strafe, die wir den Zöglingen auflegen, sie sind
unwürdig erklärt, Ehrfurcht zu beweisen, und genötigt, sich als roh
und ungebildet darzustellen; sie tun aber das mögliche, um sich aus
dieser Lage zu retten, und finden sich aufs geschwindeste in jede
Pflicht. Sollte jedoch ein junges Wesen verstockt zu seiner Rückkehr
keine Anstalt machen, so wird es mit einem kurzen, aber bündigen
Bericht den Eltern wieder zurückgesandt. Wer sich den Gesetzen nicht
fügen lernt, muß die Gegend verlassen, wo sie gelten."

Ein anderer Anblick reizte, heute wie gestern, des Wanderers
Neugierde; es war Mannigfaltigkeit an Farbe und Schnitt der
Zöglingskleidung; hier schien kein Stufengang obzuwalten, denn solche,
die verschieden grüßten, waren überein gekleidet, gleich Grüßende
waren anders angezogen. Wilhelm fragte nach der Ursache dieses
scheinbaren Widerspruchs. "Er löst sich", versetzte jener, "darin
auf, daß es ein Mittel ist, die Gemüter der Knaben eigens zu
erforschen. Wir lassen, bei sonstiger Strenge und Ordnung, in diesem
Falle eine gewisse Willkür gelten. Innerhalb des Kreises unserer
Vorräte an Tüchern und Verbrämungen dürfen die Zöglinge nach
beliebiger Farbe greifen, so auch innerhalb einer mäßigen
Beschränkung Form und Schnitt wählen; dies beobachten wir genau, denn
an der Farbe läßt sich die Sinnesweise, an dem Schnitt die
Lebensweise des Menschen erkennen. Doch macht eine besondere
Eigenheit der menschlichen Natur eine genauere Beurteilung
gewissermaßen schwierig; es ist der Nachahmungsgeist, die Neigung,
sich anzuschließen. Sehr selten, daß ein Zögling auf etwas fällt,
was noch nicht dagewesen, meistens wählen sie etwas Bekanntes, was
sie gerade vor sich sehen. Doch auch diese Betrachtung bleibt uns
nicht unfruchtbar, durch solche äußerlichkeiten treten sie zu dieser
oder jener Partei, sie schließen sich da oder dort an, und so zeichnen
sich allgemeinere Gesinnungen aus, wir erfahren, wo jeder sich
hinneigt, welchem Beispiel er sich gleichstellt.

Nun hat man Fälle gesehen, wo die Gemüter sich ins Allgemeine
neigten, wo eine Mode sich über alle verbreiten, jede Absonderung
sich zur Einheit verlieren wollte. Einer solchen Wendung suchen wir
auf gelinde Weise Einhalt zu tun, wir lassen die Vorräte ausgehen;
dieses und jenes Zeug, eine und die andere Verzierung ist nicht mehr
zu haben; wir schieben etwas Neues, etwas Reizendes herein, durch
helle Farben und kurzen, knappen Schnitt locken wir die Muntern,
durch ernste Schattierungen, bequeme, faltenreiche Tracht die
Besonnenen und stellen so nach und nach ein Gleichgewicht her.

Denn der Uniform sind wir durchaus abgeneigt, sie verdeckt den
Charakter und entzieht die Eigenheiten der Kinder, mehr als jede
andere Verstellung, dem Blicke der Vorgesetzten."

Unter solchen und andern Gesprächen gelangte Wilhelm an die Grenze
der Provinz, und zwar an den Punkt, wo sie der Wanderer, nach des
alten Freundes Andeutung, verlassen sollte, um seinem eigentlichen
Zweck entgegenzusehen.

Beim Lebewohl bemerkte zunächst der Aufseher: Wilhelm möge nun
erwarten, bis das große Fest allen Teilnehmern auf mancherlei Weise
angekündigt werde. Hierzu würden die sämtlichen Eltern eingeladen
und tüchtige Zöglinge ins freie, zufällige Leben entlassen. Alsdann
solle er, hieß es, auch die übrigen Landschaften nach Belieben
betreten, wo, nach eigenen Grundsätzen, der einzelne Unterricht in
vollständiger Umgebung erteilt und ausgeübt wird.









Drittes Kapitel

Der Angewöhnung des werten Publikums zu schmeicheln, welches seit
geraumer Zeit Gefallen findet, sich stückweise unterhalten zu lassen,
gedachten wir erst, nachstehende Erzählung in mehreren Abteilungen
vorzulegen. Der innere Zusammenhang jedoch, nach Gesinnungen,
Empfindungen und Ereignissen betrachtet, veranlaßte einen
fortlaufenden Vortrag. Möge derselbe seinen Zweck erreichen und
zugleich am Ende deutlich werden, wie die Personen dieser abgesondert
scheinenden Begebenheit mit denjenigen, die wir schon kennen und
lieben, aufs innigste zusammengeflochten worden. Der Mann von
funfzig Jahren

Der Major war in den Gutshof hereingeritten, und Hilarie, seine
Nichte, stand schon, um ihn zu empfangen, außen auf der Treppe, die
zum Schloß hinaufführte. Kaum erkannte er sie; denn schon war sie
wieder größer und schöner geworden. Sie flog ihm entgegen, er
drückte sie an seine Brust mit dem Sinn eines Vaters, und sie eilten
hinauf zu ihrer Mutter.

Der Baronin, seiner Schwester, war er gleichfalls willkommen, und
als Hilarie schnell hinwegging, das Frühstück zu bereiten, sagte der
Major freudig: "Diesmal kann ich mich kurz fassen und sagen, daß
unser Geschäft beendigt ist. Unser Bruder, der Obermarschall, sieht
wohl ein, daß er weder mit Pächtern noch Verwaltern zurechtkommt. Er
tritt bei seinen Lebzeiten die Güter uns und unsern Kindern ab; das
Jahrgehalt, das er sich ausbedingt, ist freilich stark; aber wir
können es ihm immer geben: wir gewinnen doch noch für die Gegenwart
viel und für die Zukunft alles. Die neue Einrichtung soll bald in
Ordnung sein. Da ich zunächst meinen Abschied erwarte, so sehe ich
doch wieder ein tätiges Leben vor mir, das uns und den Unsrigen einen
entschiedenen Vorteil bringen kann. Wir sehen ruhig zu, wie unsre
Kinder emporwachsen, und es hängt von uns, von ihnen ab, ihre
Verbindung zu beschleunigen."

"Das wäre alles recht gut", sagte die Baronin, "wenn ich dir nur
nicht ein Geheimnis zu entdecken hätte, das ich selbst erst gewahr
worden bin. Hilariens Herz ist nicht mehr frei; von der Seite hat
dein Sohn wenig oder nichts zu hoffen."

"Was sagst du?" rief der Major; "ist's möglich? indessen wir uns
alle Mühe geben, uns ökonomisch vorzusehen, so spielt uns die Neigung
einen solchen Streich! Sag' mir, Liebe, sag' mir geschwind, wer ist
es, der das Herz Hilariens fesseln konnte? Oder ist es denn auch
schon so arg? Ist es nicht vielleicht ein flüchtiger Eindruck, den
man wieder auszulöschen hoffen kann?"

"Du mußt erst ein wenig sinnen und raten", versetzte die Baronin und
vermehrte dadurch seine Ungeduld. Sie war schon aufs höchste
gestiegen, als Hilarie, mit den Bedienten, welche das Frühstück
trugen, hereintretend, eine schnelle Auflösung des Rätsels unmöglich
machte.

Der Major selbst glaubte das schöne Kind mit andern Augen anzusehen
als kurz vorher. Es war ihm beinahe, als wenn er eifersüchtig auf
den Beglückten wäre, dessen Bild sich in einem so schönen Gemüt hatte
eindrücken können. Das Frühstück wollte ihm nicht schmecken, und er
bemerkte nicht, daß alles genau so eingerichtet war, wie er es am
liebsten hatte und wie er es sonst zu wünschen und zu verlangen
pflegte. über dieses Schweigen und Stocken verlor Hilarie fast selbst
ihre Munterkeit. Die Baronin fühlte sich verlegen und zog ihre
Tochter ans Klavier; aber ihr geistreiches und gefühlvolles Spiel
konnte dem Major kaum einigen Beifall ablocken. Er wünschte das
schöne Kind und das Frühstück je eher je lieber entfernt zu sehen,
und die Baronin mußte sich entschließen, aufzubrechen und ihrem
Bruder einen Spaziergang in den Garten vorzuschlagen.

Kaum waren sie allein, so wiederholte der Major dringend seine
vorige Frage; worauf seine Schwester nach einer Pause lächelnd
versetzte: "Wenn du den Glücklichen finden willst, den sie liebt, so
brauchst du nicht weit zu gehen, er ist ganz in der Nähe: dich liebt
sie."

Der Major stand betroffen, dann rief er aus: "Es wäre ein sehr
unzeitiger Scherz, wenn du mich etwas überreden wolltest, das mich im
Ernst so verlegen wie unglücklich machen würde. Denn ob ich gleich
Zeit brauche, mich von meiner Verwunderung zu erholen, so sehe ich
doch mit einem Blicke voraus, wie sehr unsere Verhältnisse durch ein
so unerwartetes Ereignis gestört werden müßten. Das einzige, was
mich tröstet, ist die überzeugung, daß Neigungen dieser Art nur
scheinbar sind, daß ein Selbstbetrug dahinter verborgen liegt, und
daß eine echte, gute Seele von dergleichen Fehlgriffen oft durch sich
selbst oder doch wenigstens mit einiger Beihülfe verständiger Personen
gleich wieder zurückkommt."

"Ich bin dieser Meinung nicht", sagte die Baronin; "denn nach allen
Symptomen ist es ein sehr ernstliches Gefühl, von welchem Hilarie
durchdrungen ist."

"Etwas so Unnatürliches hätte ich ihrem natürlichen Wesen nicht
zugetraut", versetzte der Major.

"Es ist so unnatürlich nicht", sagte die Schwester. "Aus meiner
Jugend erinnere ich mich selbst einer Leidenschaft für einen älteren
Mann, als du bist. Du hast funfzig Jahre; das ist immer noch nicht
gar zu viel für einen Deutschen, wenn vielleicht andere, lebhaftere
Nationen früher altern."

"Wodurch willst du aber deine Vermutung bekräftigen?" sagte der
Major.

"Es ist keine Vermutung, es ist Gewißheit. Das Nähere sollst du
nach und nach vernehmen."

Hilarie gesellte sich zu ihnen, und der Major fühlte sich, wider
seinen Willen, abermals verändert. Ihre Gegenwart deuchte ihn noch
lieber und werter als vorher; ihr Betragen schien ihm liebevoller,
und schon fing er an, den Worten seiner Schwester Glauben beizumessen.
Die Empfindung war für ihn höchst angenehm, ob er sich gleich solche
weder gestehen noch erlauben wollte. Freilich war Hilarie höchst
liebenswürdig, indem sich in ihrem Betragen die zarte Scheu gegen
einen Liebhaber und die freie Bequemlichkeit gegen einen Oheim auf das
innigste verband; denn sie liebte ihn wirklich und von ganzer Seele.
Der Garten war in seiner vollen Frühlingspracht, und der Major, der
so viele alte Bäume sich wieder belauben sah, konnte auch an die
Wiederkehr seines eignen Frühlings glauben. Und wer hätte sich nicht
in der Gegenwart des liebenswürdigsten Mädchens dazu verführen lassen!

So verging ihnen der Tag zusammen; alle häuslichen Epochen wurden
mit der größten Gemütlichkeit durchlebt; abends nach Tisch setzte
sich Hilarie wieder ans Klavier; der Major hörte mit andern Ohren als
heute früh; eine Melodie schlang sich in die andere, ein Lied schloß
sich ans andere, und kaum vermochte die Mitternacht die kleine
Gesellschaft zu trennen.

Als der Major auf seinem Zimmer ankam, fand er alles nach seiner
alten, gewohnten Bequemlichkeit eingerichtet; sogar einige
Kupferstiche, bei denen er gern verweilte, waren aus andern Zimmern
herübergehängt; und da er einmal aufmerksam geworden war, so sah er
sich bis auf jeden einzelnen kleinen Umstand versorgt und
geschmeichelt.

Nur wenig Stunden Schlaf bedurfte er diesmal; seine Lebensgeister
waren früh aufgeregt. Aber nun merkte er auf einmal, daß eine neue
Ordnung der Dinge manches Unbequeme nach sich ziehe. Er hatte seinem
alten Reitknecht, der zugleich die Stelle des Bedienten und
Kammerdieners vertrat, seit mehreren Jahren kein böses Wort gegeben:
denn alles ging in der strengsten Ordnung seinen gewöhnlichen Gang;
die Pferde waren versorgt und die Kleidungsstücke zu rechter Stunde
gereinigt; aber der Herr war früher aufgestanden, und nichts wollte
passen.

Sodann gesellte sich noch ein anderer Umstand hinzu, um die Ungeduld
und eine Art böser Laune des Majors zu vermehren. Sonst war ihm
alles an sich und seinem Diener recht gewesen; nun aber fand er sich,
als er vor den Spiegel trat, nicht so, wie er zu sein wünschte.
Einige graue Haare konnte er nicht leugnen, und von Runzeln schien
sich auch etwas eingefunden zu haben. Er wischte und puderte mehr
als sonst und mußte es doch zuletzt lassen, wie es sein konnte. Auch
mit der Kleidung und ihrer Sauberkeit war er nicht zufrieden. Da
sollten sich immer noch Fasern auf dem Rock und noch Staub auf den
Stiefeln finden. Der Alte wußte nicht, was er sagen sollte, und war
erstaunt, einen so veränderten Herrn vor sich zu sehen.

Ungeachtet aller dieser Hindernisse war der Major schon früh genug
im Garten. Hilarien, die er zu finden hoffte, fand er wirklich. Sie
brachte ihm einen Blumenstrauß entgegen, und er hatte nicht den Mut,
sie wie sonst zu küssen und an sein Herz zu drücken. Er befand sich
in der angenehmsten Verlegenheit von der Welt und überließ sich
seinen Gefühlen, ohne zu denken, wohin das führen könne.

Die Baronin gleichfalls säumte nicht lange zu erscheinen, und indem
sie ihrem Bruder ein Billet wies, das ihr eben ein Bote gebracht
hatte, rief sie aus: "Du rätst nicht, wen uns dieses Blatt anzumelden
kommt."--"So entdecke es nur bald!" versetzte der Major; und er
erfuhr, daß ein alter theatralischer Freund nicht weit von dem Gute
vorbeireise und für einen Augenblick einzukehren gedenke. "Ich bin
neugierig, ihn wiederzusehen", sagte der Major; "er ist kein Jüngling
mehr, und ich höre, daß er noch immer die jungen Rollen spielt."--"Er
muß um zehn Jahre älter sein als du", versetzte die Baronin.--"Ganz
gewiß", erwiderte der Major, "nach allem, was ich mich erinnere."

Es währte nicht lange, so trat ein munterer, wohlgebauter,
gefälliger Mann herzu. Man stutzte einen Augenblick, als man sich
wiedersah. Doch sehr bald erkannten sich die Freunde, und
Erinnerungen aller Art belebten das Gespräch. Hierauf ging man zu
Erzählungen, zu Fragen und zu Rechenschaft über; man machte sich
wechselweise mit den gegenwärtigen Lagen bekannt und fühlte sich bald,
als wäre man nie getrennt gewesen.

Die geheime Geschichte sagt uns, daß dieser Mann in früherer Zeit,
als ein sehr schöner und angenehmer Jüngling, einer vornehmen Dame zu
gefallen das Glück oder Unglück gehabt habe; daß er dadurch in große
Verlegenheit und Gefahr geraten, woraus ihn der Major eben im
Augenblick, als ihn das traurigste Schicksal bedrohte, glücklich
herausriß. Ewig blieb er dankbar, dem Bruder sowohl als der Schwester;
denn diese hatte durch zeitige Warnung zur Vorsicht Anlaß gegeben.

Einige Zeit vor Tische ließ man die Männer allein. Nicht ohne
Bewunderung, ja gewissermaßen mit Erstaunen hatte der Major das
äußere Behaben seines alten Freundes im ganzen und einzelnen
betrachtet. Er schien gar nicht verändert zu sein, und es war kein
Wunder, daß er noch immer als jugendlicher Liebhaber auf dem Theater
erscheinen konnte. "Du betrachtest mich aufmerksamer als billig ist",
sprach er endlich den Major an; "ich fürchte sehr, du findest den
Unterschied gegen vorige Zeit nur allzu groß."--"Keineswegs",
versetzte der Major, "vielmehr bin ich voll Verwunderung, dein
Aussehen frischer und jünger zu finden als das meine; da ich doch
weiß, daß du schon ein gemachter Mann warst, als ich, mit der Kühnheit
eines wagehalsigen Gelbschnabels, dir in gewissen Verlegenheiten
beistand."--"Es ist deine Schuld", versetzte der andere, "es ist die
Schuld aller deinesgleichen; und ob ihr schon darum nicht zu schelten
seid, so seid ihr doch zu tadeln. Man denkt immer nur ans Notwendige;
man will sein und nicht scheinen. Das ist recht gut, solange man
etwas ist. Wenn aber zuletzt das Sein mit dem Scheinen sich zu
empfehlen anfängt und der Schein noch flüchtiger als das Sein ist, so
merkt denn doch ein jeder, daß er nicht übel getan hätte, das äußere
über dem Innern nicht ganz zu vernachlässigen." --"Du hast recht",
versetzte der Major und konnte sich fast eines Seufzers nicht
enthalten "Vielleicht nicht ganz recht", sagte der bejahrte Jüngling;
"denn freilich bei meinem Handwerke wäre es ganz unverzeihlich, wenn
man das äußere nicht so lange aufstutzen wollte, als nur möglich ist.
Ihr andern aber habt Ursache, auf andere Dinge zu sehen, die
bedeutender und nachhaltiger sind."--"Doch gibt es Gelegenheiten",
sagte der Major, "wo man sich innerlich frisch fühlt und sein äußeres
auch gar zu gern wieder auffrischen möchte."

Da der Ankömmling die wahre Gemütslage des Majors nicht ahnen konnte,
so nahm er diese äußerung im Soldatensinne und ließ sich weitläufig
darüber aus: wie viel beim Militär aufs äußere ankomme und wie der
Offizier, der so manches auf seine Kleidung zu wenden habe, doch auch
einige Aufmerksamkeit auf Haut und Haare wenden könne.

"Es ist zum Beispiel unverantwortlich", fuhr er fort, "daß Eure
Schläfen schon grau sind, daß hie und da sich Runzeln zusammenziehen
und daß Euer Scheitel kahl zu werden droht. Seht mich alten Kerl
einmal an! betrachtet, wie ich mich erhalten habe! und das alles ohne
Hexerei und mit weit weniger Mühe und Sorgfalt, als man täglich
anwendet, um sich zu beschädigen oder wenigstens Langeweile zu machen."

Der Major fand bei dieser zufälligen Unterredung zu sehr seinen
Vorteil, als daß er sie so bald hätte abbrechen sollen; doch ging er
leise und selbst gegen einen alten Bekannten mit Behutsamkeit zu
Werke. "Das habe ich nun leider versäumt!" rief er aus, "und
nachzuholen ist es nicht; ich muß mich nun schon darein ergeben, und
Ihr werdet deshalb nicht schlimmer von mir denken."

"Versäumt ist nichts!" erwiderte jener, "wenn ihr andern ernsthaften
Herren nur nicht so starr und steif wäret, nicht gleich einen jeden,
der sein äußeres bedenkt, für eitel erklären und euch dadurch selbst
die Freude verkümmern möchtet, in gefälliger Gesellschaft zu sein und
selbst zu gefallen."-- "Wenn es auch keine Zauberei ist", lächelte
der Major, "wodurch ihr andern euch jung erhaltet, so ist es doch ein
Geheimnis, oder wenigstens sind es Arcana, dergleichen oft in
Zeitungen gepriesen werden, von denen ihr aber die besten
herauszuproben wißt." --"Du magst im Scherz oder im Ernst reden",
versetzte der Freund, "so hast du's getroffen. Unter den vielen
Dingen, die man von jeher versucht hat, um dem äußeren einige Nahrung
zu geben, das oft viel früher als das Innere abnimmt, gibt es wirklich
unschätzbare, einfache sowohl als zusammengesetzte Mittel, die mir
von Kunstgenossen mitgeteilt, für bares Geld oder durch Zufall
überliefert und von mir selbst ausgeprobt worden. Dabei bleib' ich
und verharre nun, ohne deshalb meine weitern Forschungen aufzugeben.
So viel kann ich dir sagen, und ich übertreibe nicht: ein
Toilettenkästchen führe ich bei mir, über allen Preis! ein Kästchen,
dessen Wirkungen ich wohl an dir erproben möchte, wenn wir nur
vierzehn Tage zusammenblieben."

Der Gedanke, etwas dieser Art sei möglich und diese Möglichkeit
werde ihm gerade in dem rechten Augenblicke so zufällig nahe gebracht,
erheiterte den Geist des Majors dergestalt, daß er wirklich schon
frischer und munterer aussah und, von der Hoffnung, Haupt und Gesicht
mit seinem Herzen in übereinstimmung zu bringen, belebt, von der
Unruhe, die Mittel dazu bald näher kennen zu lernen, in Bewegung
gesetzt, bei Tische ein ganz anderer Mensch erschien, Hilariens
anmutigen Aufmerksamkeiten getrost entgegenging und auf sie mit einer
gewissen Zuversicht blickte, die ihm heute früh noch sehr fremd
gewesen war.

Hatte nun durch mancherlei Erinnerungen, Erzählungen und glückliche
Einfälle der theatralische Freund die einmal angeregte gute Laune zu
erhalten, zu beleben und zu vermehren gewußt, so wurde der Major um
so verlegener, als jener gleich nach Tische sich zu entfernen und
seinen Weg weiter fortzusetzen drohte. Auf alle Weise suchte er den
Aufenthalt seines Freundes, wenigstens über Nacht, zu erleichtern,
indem er Vorspann und Relais auf morgen früh andringlich zusagte.
Genug, die heilsame Toilette sollte nicht aus dem Hause, bis man von
ihrem Inhalt und Gebrauch näher unterrichtet wäre.

Der Major sah sehr wohl ein, daß hier keine Zeit zu verlieren sei,
und suchte daher gleich nach Tische seinen alten Günstling allein zu
sprechen. Da er das Herz nicht hatte, ganz gerade auf die Sache
loszugehen, so lenkte er von weitem dahin, indem er, das vorige
Gespräch wieder auffassend, versicherte: er für seine Person würde
gern mehr Sorgfalt auf das äußere verwenden, wenn nur nicht gleich
die Menschen einen jeden, dem sie ein solches Bestreben anmerken, für
eitel erklärten und ihm dadurch sogleich wieder an der sittlichen
Achtung entzögen, was sie sich genötigt fühlten an der sinnlichen ihm
zuzugestehen.

"Mache mich mit solchen Redensarten nicht verdrießlich!" versetzte
der Freund; "denn das sind Ausdrücke, die sich die Gesellschaft
angewöhnt hat, ohne etwas dabei zu denken, oder, wenn man es strenger
nehmen will, wodurch sich ihre unfreundliche und mißwollende Natur
ausspricht. Wenn du es recht genau betrachtest: was ist denn das, was
man oft als Eitelkeit verrufen möchte? Jeder Mensch soll Freude an
sich selbst haben, und glücklich, wer sie hat. Hat er sie aber, wie
kann er sich verwehren, dieses angenehme Gefühl merken zu lassen?
Wie soll er mitten im Dasein verbergen, daß er eine Freude am Dasein
habe? Fände die gute Gesellschaft, denn von der ist doch hier allein
die Rede, nur alsdann diese äußerungen tadelhaft, wenn sie zu lebhaft
werden, wenn des einen Menschen Freude an sich und seinem Wesen die
andern hindert, Freude an dem ihrigen zu haben und sie zu zeigen, so
wäre nichts dabei zu erinnern, und von diesem übermaß ist auch wohl
der Tadel zuerst ausgegangen. Aber was soll eine
wunderlich-verneinende Strenge gegen etwas Unvermeidliches? Warum
will man nicht eine äußerung läßlich und erträglich finden, die man
denn doch mehr oder weniger sich von Zeit zu Zeit selbst erlaubt? ja,
ohne die eine gute Gesellschaft gar nicht existieren könnte: denn das
Gefallen an sich selbst, das Verlangen, dieses Selbstgefühl andern
mitzuteilen, macht gefällig, das Gefühl eigner Anmut macht anmutig.
Wollte Gott, alle Menschen wären eitel, wären es aber mit Bewußtsein,
mit Maß und im rechten Sinne: so würden wir in der gebildeten Welt
die glücklichsten Menschen sein. Die Weiber, sagt man, sind eitel von
Hause aus; doch es kleidet sie, und sie gefallen uns um desto mehr.
Wie kann ein junger Mann sich bilden, der nicht eitel ist? Eine
leere, hohle Natur wird sich wenigstens einen äußern Schein zu geben
wissen, und der tüchtige Mensch wird sich bald von außen nach innen zu
bilden. Was mich betrifft, so habe ich Ursache, mich auch deshalb
für den glücklichsten Menschen zu halten, weil mein Handwerk mich
berechtigt, eitel zu sein, und weil ich, je mehr ich es bin, nur
desto mehr Vergnügen den Menschen schaffe. Ich werde gelobt, wo man
andere tadelt, und habe, gerade auf diesem Wege, das Recht und das
Glück, noch in einem Alter das Publikum zu ergötzen und zu entzücken,
in welchem andere notgedrungen vom Schauplatz abtreten oder nur mit
Schmach darauf verweilen."

Der Major hörte nicht gerne den Schluß dieser Betrachtungen. Das
Wörtchen Eitelkeit, als er es vorbrachte, sollte nur zu einem
übergang dienen, um dem Freunde auf eine geschickte Weise seinen
Wunsch vorzutragen; nun fürchtete er, bei einem fortgesetzten
Gespräch das Ziel noch weiter verrückt zu sehen, und eilte daher
unmittelbar zum Zweck.

"Für mich", sagte er, "wäre ich gar nicht abgeneigt, auch zu deiner
Fahne zu schwören, da du es nicht für zu spät hältst und glaubst, daß
ich das Versäumte noch einigermaßen nachholen könne. Teile mir etwas
von deinen Tinkturen, Pomaden und Balsamen mit, und ich will einen
Versuch machen."

"Mitteilungen", sagte der andere, "sind schwerer, als man denkt.
Denn hier z. B. kommt es nicht allein darauf an, daß ich dir von
meinen Fläschchen etwas abfülle und von den besten Ingredienzien
meiner Toilette die Hälfte zurücklasse; die Anwendung ist das
Schwerste. Man kann das überlieferte sich nicht gleich zu eigen
machen; wie dieses und jenes passe, unter was für Umständen, in
welcher Folge die Dinge zu gebrauchen seien, dazu gehört übung und
Nachdenken; ja selbst diese wollen kaum fruchten, wenn man nicht eben
zu der Sache, wovon die Rede ist, ein angebotenes Talent hat."

"Du willst, wie es scheint", versetzte der Major, "nun wieder
zurücktreten. Du machst mir Schwierigkeiten, um deine freilich etwas
fabelhaften Behauptungen in Sicherheit zu bringen. Du hast nicht
Lust, mir einen Anlaß, eine Gelegenheit zu geben, deine Worte durch
die Tat zu prüfen."

"Durch diese Neckereien, mein Freund", versetzte der andere,
"würdest du mich nicht bewegen, deinem Verlangen zu willfahren, wenn
ich nicht selbst so gute Gesinnungen gegen dich hätte, wie ich es ja
zuerst dir angeboten habe. Dabei bedenke, mein Freund, der Mensch
hat gar eine eigne Lust, Proselyten zu machen, dasjenige, was er an
sich schätzt, auch außer sich in andern zu Erscheinung zu bringen,
sie genießen zu lassen, was er selbst genießt, und sich in ihnen
wiederzufinden und darzustellen. Fürwahr, wenn dies auch Egoismus
ist, so ist er der liebenswürdigste und lobenswürdigste, derjenige,
der uns zu Menschen gemacht hat und uns als Menschen erhält. Aus ihm
nehme ich denn auch, abgesehen von der Freundschaft, die ich zu dir
hege, die Lust, einen Schüler in der Verjüngungskunst aus dir zu
machen. Weil man aber von dem Meister erwarten kann, daß er keine
Pfuscher ziehen will, so bin ich verlegen, wie wir es anfangen. Ich
sagte schon: weder Spezereien noch irgendeine Anweisung ist
hinlänglich; die Anwendung kann nicht im Allgemeinen gelehrt werden.
Dir zuliebe und aus Lust, meine Lehre fortzupflanzen, bin ich zu
jeder Aufopferung bereit. Die größte für den Augenblick will ich dir
sogleich anbieten. Ich lasse dir meinen Diener hier, eine Art von
Kammerdiener und Tausendkünstler, der, wenn er gleich nicht alles zu
bereiten weiß, nicht in alle Geheimnisse eingeweiht ist, doch die
ganze Behandlung recht gut versteht und für den Anfang dir von großem
Nutzen sein wird, bis du dich in die Sache so hineinarbeitest, daß
ich dir die höheren Geheimnisse endlich auch offenbaren kann."

"Wie!" rief der Major, "du hast auch Stufen und Grade deiner
Verjüngungskunst? Du hast noch Geheimnisse für die Eingeweihten?"--
"Ganz gewiß!" versetzte jener. "Das müßte gar eine schlechte Kunst
sein, die sich auf einmal fassen ließe, deren Letztes von demjenigen
gleich geschaut werden könnte, der zuerst hereintritt."

Man zauderte nicht lange, der Kammerdiener ward an den Major
gewiesen, der ihn gut zu halten versprach. Die Baronin mußte
Schächtelchen, Büchschen und Gläser hergeben, sie wußte nicht wozu;
die Teilung ging vor sich, man war bis in die Nacht munter und
geistreich zusammen. Bei dem späteren Aufgang des Mondes fuhr der
Gast hinweg und versprach, in einiger Zeit zurückzukehren.

Der Major kam ziemlich müde auf sein Zimmer. Er war früh
aufgestanden, hatte sich den Tag nicht geschont und glaubte nunmehr
das Bett bald zu erreichen. Allein er fand statt eines Dieners
nunmehr zwei. Der alte Reitknecht zog ihn nach alter Art und Weise
eilig aus; aber nun trat der neue hervor und ließ merken, daß die
eigentliche Zeit, Verjüngungs--und Verschönerungsmittel anzubringen,
die Nacht sei, damit in einem ruhigen Schlaf die Wirkung desto
sicherer vor sich gehe. Der Major mußte sich also gefallen lassen,
daß sein Haupt gesalbt, sein Gesicht bestrichen, seine Augenbrauen
bepinselt und seine Lippen betupft wurden. Außerdem wurden noch
verschiedene Zeremonien erfordert; sogar sollte die Nachtmütze nicht
unmittelbar aufgesetzt, sondern vorher ein Netz, wo nicht gar eine
feine lederne Mütze übergezogen werden.

Der Major legte sich zu Bette mit einer Art von unangenehmer
Empfindung, die er jedoch sich deutlich zu machen keine Zeit hatte,
indem er gar bald einschlief. Sollen wir aber in seine Seele
sprechen, so fühlte er sich etwas mumienhaft, zwischen einem Kranken
und einem Einbalsamierten. Allein das süße Bild Hilariens, umgeben
von den heitersten Hoffnungen, zog ihn bald in einen erquickenden
Schlaf.

Morgens zur rechten Zeit war der Reitknecht bei der Hand. Alles,
was zum Anzuge des Herrn gehörte, lag in gewohnter Ordnung auf den
Stühlen, und eben war der Major im Begriff, aus dem Bette zu steigen,
als der neue Kammerdiener hereintrat und lebhaft gegen eine solche
übereilung protestierte. Man müsse ruhen, man müsse sich abwarten,
wenn das Vorhaben gelingen, wenn man für so manche Mühe und Sorgfalt
Freude erleben solle. Der Herr vernahm sodann, daß er in einiger
Zeit aufzustehen, ein kleines Frühstück zu genießen und alsdann in
ein Bad zu steigen habe, welches schon bereitet sei. Den Anordnungen
war nicht auszuweichen, sie mußten befolgt werden, und einige Stunden
gingen unter diesen Geschäften hin.

Der Major verkürzte die Ruhezeit nach dem Bade, dachte sich
geschwind in die Kleider zu werfen; denn er war seiner Natur nach
expedit und wünschte noch überdies, Hilarien bald zu begegnen; aber
auch hier trat ihm sein neuer Diener entgegen und machte ihm
begreiflich, daß man sich durchaus abgewöhnen müsse, fertig werden zu
wollen. Alles, was man tue, müsse man langsam und behaglich
vollbringen, besonders aber die Zeit des Anziehens habe man als
angenehme Unterhaltungsstunde mit sich selbst anzusehen.

Die Behandlungsart des Kammerdieners traf mit seinen Reden völlig
überein. Dafür glaubte sich aber auch der Major wirklich besser
angezogen denn jemals, als er vor den Spiegel trat und sich auf das
schmuckeste herausgeputzt erblickte. Ohne viel zu fragen, hatte der
Kammerdiener sogar die Uniform moderner zugestutzt, indem er die
Nacht auf diese Verwandlung wendete. Eine so schnell erscheinende
Verjüngung gab dem Major einen besonders heitern Sinn, so daß er sich
von innen und außen erfrischt fühlte und mit ungeduldigem Verlangen
den Seinigen entgegeneilte.

Er fand seine Schwester vor dem Stammbaume stehen, den sie hatte
aufhängen lassen, weil abends vorher zwischen ihnen von einigen
Seitenverwandten die Rede gewesen, welche, teils unverheiratet, teils
in fernen Landen wohnhaft, teils gar verschollen, mehr oder weniger
den beiden Geschwistern oder ihren Kindern auf reiche Erbschaften
Hoffnung machten. Sie unterhielten sich einige Zeit darüber, ohne
des Punktes zu erwähnen, daß sich bisher alle Familiensorgen und
Bemühungen bloß auf ihre Kinder bezogen. Durch Hilariens Neigung
hatte sich diese ganze Ansicht freilich verändert, und doch mochte
weder der Major noch seine Schwester in diesem Augenblick der Sache
weiter gedenken.

Die Baronin entfernte sich, der Major stand allein vor dem
lakonischen Familiengemälde. Hilarie trat an ihn heran, lehnte sich
kindlich an ihn, beschaute die Tafel und fragte: wen er alles von
diesen gekannt habe? Und wer wohl noch leben und übrig sein möchte?

Der Major begann seine Schilderung von den ältesten, deren er sich
aus seiner Kindheit nur noch dunkel erinnerte. Dann ging er weiter,
zeichnete die Charaktere verschiedener Väter, die ähnlichkeit oder
Unähnlichkeit der Kinder mit denselben, bemerkte, daß oft der
Großvater im Enkel wieder hervortrete, sprach gelegentlich von dem
Einfluß der Weiber, die, aus fremden Familien herüber heiratend, oft
den Charakter ganzer Stämme verändern. Er rühmte die Tugend manches
Vorfahren und Seitenverwandten und verschwieg ihre Fehler nicht. Mit
Stillschweigen überging er diejenigen, deren man sich hätte zu
schämen gehabt. Endlich kam er an die untersten Reihen. Da stand nun
sein Bruder, der Obermarschall, er und seine Schwester und unten
drunter sein Sohn und daneben Hilarie.

"Diese sehen einander gerade genug ins Gesicht", sagte der Major und
fügte nicht hinzu, was er im Sinne hatte. Nach einer Pause versetzte
Hilarie bescheiden, halblaut und fast mit einem Seufzer: "Und doch
wird man denjenigen niemals tadeln, der in die Höhe blickt!"
Zugleich sah sie mit ein paar Augen an ihm hinauf, aus denen ihre
ganze Neigung hervorsprach.--"Versteh' ich dich recht?" sagte der
Major, indem er sich zu ihr wendete.--"Ich kann nichts sagen",
versetzte Hilarie lächelnd, "was Sie nicht schon wissen."--"Du machst
mich zum glücklichsten Menschen unter der Sonne!" rief er aus und
fiel ihr zu Füßen. "Willst du mein sein?" --"Um Gottes willen stehen
Sie auf! Ich bin dein auf ewig."

Die Baronin trat herein. Ohne überrascht zu sein, stutzte sie.
--"Wäre es ein Unglück", sagte der Major, "Schwester! so ist die
Schuld dein; als Glück wollen wir's dir ewig verdanken."

Die Baronin hatte ihren Bruder von Jugend auf dergestalt geliebt,
daß sie ihn allen Männern vorzog, und vielleicht war selbst die
Neigung Hilariens aus dieser Vorliebe der Mutter, wo nicht
entsprungen, doch gewiß genährt worden. Alle drei vereinigten sich
nunmehr in einer Liebe, einem Behagen, und so flossen für sie die
glücklichsten Stunden dahin. Nur wurden sie denn doch zuletzt auch
wieder die Welt um sich her gewahr, und diese steht selten mit
solchen Empfindungen im Einklang.

Nun dachte man auch wieder an den Sohn. Ihm hatte man Hilarien
bestimmt, das ihm sehr wohl bekannt war. Gleich nach Beendigung des
Geschäfts mit dem Obermarschall sollte der Major seinen Sohn in der
Garnison besuchen, alles mit ihm abreden und diese Angelegenheiten zu
einem glücklichen Ende führen. Nun war aber durch ein unerwartetes
Ereignis der ganze Zustand verrückt; die Verhältnisse, die sonst sich
freundlich ineinanderschmiegten, schienen sich nunmehr anzufeinden,
und es war schwer vorauszusehen, was die Sache für eine Wendung nehmen,
was für eine Stimmung die Gemüter ergreifen würde.

Indessen mußte sich der Major entschließen, seinen Sohn aufzusuchen,
dem er sich schon angemeldet hatte. Er machte sich nicht ohne
Widerwillen, nicht ohne sonderbare Ahnung, nicht ohne Schmerz,
Hilarien auch nur auf kurze Zeit zu verlassen, nach manchem Zaudern
auf den Weg, ließ Reitknecht und Pferde zurück und fuhr mit seinem
Verjüngungsdiener, den er nun nicht mehr entbehren konnte, der Stadt,
dem Aufenthalte seines Sohnes, entgegen.

Beide begrüßten und umarmten sich nach so langer Trennung aufs
herzlichste. Sie hatten einander viel zu sagen und sprachen doch
nicht sogleich aus, was ihnen zunächst am Herzen lag. Der Sohn erging
sich in Hoffnungen eines baldigen Avancements; wogegen ihm der Vater
genaue Nachricht gab, was zwischen den ältern Familiengliedern wegen
des Vermögens überhaupt, wegen der einzelnen Güter und sonst
verhandelt und beschlossen worden.

Das Gespräch fing schon einigermaßen an zu stocken, als der Sohn
sich ein Herz faßte und zu dem Vater lächelnd sagte: "Sie behandeln
mich sehr zart, lieber Vater, und ich danke Ihnen dafür. Sie
erzählen mir von Besitztümern und Vermögen und erwähnen der Bedingung
nicht, unter der, wenigstens zum Teil, es mir eigen werden soll; Sie
halten mit dem Namen Hilariens zurück, Sie erwarten, daß ich ihn
selbst ausspreche, daß ich mein Verlangen zu erkennen gebe, mit dem
liebenswürdigen Kinde bald vereinigt zu sein."

Der Major befand sich bei diesen Worten des Sohnes in großer
Verlegenheit; da es aber teils seiner Natur, teils einer alten
Gewohnheit gemäß war, den Sinn des andern, mit dem er zu verhandeln
hatte, zu erforschen, so schwieg er und blickte den Sohn mit einem
zweideutigen Lächeln an.--"Sie erraten nicht, mein Vater, was ich zu
sagen habe", fuhr der Lieutenant fort, "und ich will es nur rasch ein
für allemal herausreden. Ich kann mich auf Ihre Güte verlassen, die,
bei so vielfacher Sorge für mich, gewiß auch an mein wahres Glück
gedacht hat. Einmal muß es gesagt sein, und so sei es gleich gesagt:
Hilarie kann mich nicht glücklich machen! Ich gedenke Hilariens als
einer liebenswürdigen Anverwandten, mit der ich zeitlebens in den
freundschaftlichsten Verhältnissen stehen möchte; aber eine andere
hat meine Leidenschaft erregt, meine Neigung gefesselt.
Unwiderstehlich ist dieser Hang; Sie werden mich nicht unglücklich
machen." Nur mit Mühe verbarg der Major die Heiterkeit, die sich
über sein Gesicht verbreiten wollte, und fragte den Sohn mit einem
milden Ernst: wer denn die Person sei, welche sich seiner so gänzlich
bemächtigen können.--"Sie müssen dieses Wesen sehen, mein Vater: denn
sie ist so unbeschreiblich als unbegreiflich. Ich fürchte nur, Sie
werden selbst von ihr hingerissen, wie jedermann, der sich ihr nähert.
Bei Gott! Ich erlebe es und sehe Sie als den Rival Ihres Sohnes."

"Wer ist sie denn?" fragte der Major. "Wenn du ihre Persönlichkeit
zu schildern nicht imstande bist, so erzähle mir wenigstens von ihren
äußern Umständen: denn diese sind doch wohl eher auszusprechen.
"--"Wohl, mein Vater!" versetzte der Sohn; "und doch würden auch
diese äußeren Umstände bei einer andern anders sein, anders auf eine
andere wirken. Sie ist eine junge Witwe, Erbin eines alten, reichen,
vor kurzem verstorbenen Mannes, unabhängig und höchst wert, es zu
sein, von vielen umgeben, von ebenso vielen geliebt, von ebenso vielen
umworben, doch, wenn ich mich nicht sehr betriege, mir von Herzen
angehörig."

Mit Behaglichkeit, weil der Vater schwieg und kein Zeichen der
Mißbilligung äußerte, fuhr der Sohn fort, das Betragen der schönen
Witwe gegen ihn zu erzählen, jene unwiderstehliche Anmut, jene zarten
Gunstbezeigungen einzeln herzurühmen, in denen der Vater freilich nur
die leichte Gefälligkeit einer allgemein gesuchten Frau erkennen
konnte, die unter vielen wohl irgendeinen vorzieht, ohne sich eben für
ihn ganz und gar zu entscheiden. Unter jeden andern Umständen hätte
er gewiß gesucht, einen Sohn, ja nur einen Freund auf den
Selbstbetrug aufmerksam zu machen, der wahrscheinlich hier obwalten
könnte; aber diesmal war ihm selbst so viel daran gelegen, wenn der
Sohn sich nicht täuschen, wenn die Witwe ihn wirklich lieben und sich
so schnell als möglich zu seinen Gunsten entscheiden möchte, daß er
entweder kein Bedenken hatte oder einen solchen Zweifel bei sich
ablehnte, vielleicht auch nur verschwieg.

"Du setzest mich in große Verlegenheit", begann der Vater nach
einiger Pause. "Die ganze übereinkunft zwischen den übriggebliebenen
Gliedern unsers Geschlechts beruht auf der Voraussetzung, daß du dich
mit Hilarien verbindest. Heiratet sie einen Fremden, so ist die
ganze, schöne, künstliche Vereinigung eines ansehnlichen Vermögens
wieder aufgehoben, und du besonders in deinem Teile nicht zum besten
bedacht. Es gäbe wohl noch ein Mittel, das aber ein wenig sonderbar
klingt und wobei du auch nicht viel gewinnen würdest: ich müßte noch
in meinen alten Tagen Hilarien heiraten, wodurch ich dir aber
schwerlich ein großes Vergnügen machen würde."

"Das größte von der Welt!" rief der Lieutenant aus; "denn wer kann
eine wahre Neigung empfinden, wer kann das Glück der Liebe genießen
oder hoffen, ohne daß er dieses höchste Glück einem jeden Freund,
einem jeden gönnte, der ihm wert ist! Sie sind nicht alt, mein Vater;
wie liebenswürdig ist nicht Hilarie! und schon der vorüberschwebende
Gedanke, ihr die Hand zu bieten, zeugt von einem jugendlichen Herzen,
von frischer Mutigkeit. Lassen Sie uns diesen Einfall, diesen
Vorschlag aus dem Stegreife ja recht gut durchsinnen und ausdenken.
Dann würde ich erst recht glücklich sein, wenn ich Sie glücklich
wüßte; dann würde ich mich erst recht freuen, daß Sie für die
Sorgfalt, mit der Sie mein Schicksal bedacht, an sich selbst so schön
und höchlich belohnt würden. Nun führe ich sie erst mutig,
zutraulich und mit recht offenem Herzen zu meiner Schönen. Sie
werden meine Empfindungen billigen, weil Sie selbst fühlen; Sie
werden dem Glück eines Sohnes nichts in den Weg legen, weil Sie Ihrem
eigenen Glück entgegengehen."

Mit diesen und andern dringenden Worten ließ der Sohn den Vater, der
manche Bedenklichkeiten einstreuen wollte, nicht Raum gewinnen,
sondern eilte mit ihm zur schönen Witwe, welche sie in einem großen,
wohleingerichteten Hause, umgeben von einer zwar nicht zahlreichen,
aber ausgesuchten Gesellschaft, in heiterer Unterhaltung antrafen.
Sie war eins von den weiblichen Wesen, denen kein Mann entgeht. Mit
unglaublicher Gewandtheit wußte sie den Major zum Helden dieses
Abends zu machen. Die übrige Gesellschaft schien ihre Familie, der
Major allein der Gast zu sein. Sie kannte seine Verhältnisse recht
gut, und doch wußte sie darnach zu fragen, als wenn sie alles erst
von ihm recht erfahren wollte; und so mußte auch jedes von der
Gesellschaft schon irgendeinen Anteil an dem Neuangekommenen zeigen.
Der eine mußte seinen Bruder, der andere seine Güter und der Dritte
sonst wieder etwas gekannt haben, so daß der Major bei einem
lebhaften Gespräch sich immer als den Mittelpunkt fühlte. Auch saß er
zunächst bei der Schönen; ihre Augen waren auf ihn, ihr Lächeln an
ihn gerichtet; genug, er fand sich so behaglich, daß er beinahe die
Ursache vergaß, warum er gekommen war. Auch erwähnte sie seines
Sohnes kaum mit einem Worte, obgleich der junge Mann lebhaft
mitsprach; er schien für sie, wie die übrigen alle, heute nur um des
Vaters willen gegenwärtig.

Frauenzimmerliche Handarbeiten, in Gesellschaft unternommen und
scheinbar gleichgültig fortgesetzt, erhalten durch Klugheit und Anmut
oft eine wichtige Bedeutung. Unbefangen und emsig fortgesetzt, geben
solche Bemühungen einer Schönen das Ansehen völliger Unaufmerksamkeit
auf die Umgebung und erregen in derselben ein stilles Mißgefühl. Dann
aber, gleichsam wie beim Erwachen, ein Wort, ein Blick versetzt die
Abwesende wieder mitten in die Gesellschaft, sie erscheint als neu
willkommen; legt sie aber gar die Arbeit in den Schoß nieder, zeigt
sie Aufmerksamkeit auf eine Erzählung, einen belehrenden Vortrag, in
welchem sich die Männer so gern ergehen, dies wird demjenigen höchst
schmeichelhaft, den sie dergestalt begünstigt.

Unsere schöne Witwe arbeitete auf diese Weise an einer so prächtigen
als geschmackvollen Brieftasche, die sich noch überdies durch ein
größeres Format auszeichnete. Dies ward nun eben von der
Gesellschaft besprochen, von dem nächsten Nachbar aufgenommen, unter
großen Lobpreisungen der Reihe nach herumgegeben, indessen die
Künstlerin sich mit dem Major von ernsten Gegenständen besprach; ein
alter Hausfreund rühmte das beinahe fertige Werk mit übertreibung,
doch als solches an den Major kam, schien sie es als seiner
Aufmerksamkeit nicht wert von ihm ablehnen zu wollen, wogegen er auf
eine verbindliche Weise die Verdienste der Arbeit anzuerkennen
verstand, inzwischen der Hausfreund darin ein penelopeisch
zauderhaftes Werk zu sehen glaubte.

Man ging in den Zimmern auf und ab und gesellte sich zufällig
zusammen. Der Lieutenant trat zu der Schönen und fragte: "Was sagen
Sie zu meinem Vater?" Lächelnd versetzte sie: "Mich deucht, daß Sie
ihn wohl zum Muster nehmen könnten. Sehn Sie nur, wie nett er
angezogen ist! Ob er sich nicht besser trägt und hält als sein lieber
Sohn!" So fuhr sie fort, den Vater auf Unkosten des Sohnes zu
beschreiben und zu loben und eine sehr gemischte Empfindung von
Zufriedenheit und Eifersucht in dem Herzen des jungen Mannes
hervorzubringen.

Nicht lange, so gesellte sich der Sohn zum Vater und erzählte ihm
alles haarklein wieder. Der Vater betrug sich nur desto freundlicher
gegen die Witwe, und sie setzte sich gegen ihn schon auf einen
lebhafteren, vertraulichem Ton. Kurz, man kann sagen, daß, als es zum
Scheiden ging, der Major so gut als die übrigen alle ihr und ihrem
Kreise schon angehörte.

Ein stark einfallender Regen hinderte die Gesellschaft, auf die
Weise nach Hause zu kehren, wie sie gekommen war. Einige Equipagen
fuhren vor, in welche man die Fußgänger verteilte; nur der Lieutenant,
unter dem Vorwande, man sitze ohnehin schon zu eng, ließ den Vater
fortfahren und blieb zurück.

Der Major, als er in sein Zimmer trat, fühlte sich wirklich in einer
Art von Taumel, von Unsicherheit seiner selbst, wie es denen geht,
die schnell aus einem Zustande in den entgegengesetzten übertreten.
Die Erde scheint sich für den zu bewegen, der aus dem Schiffe steigt,
und das Licht zittert noch im Auge dessen, der auf einmal ins Finstere
tritt. So fühlte sich der Major noch von der Gegenwart des schönen
Wesens umgeben. Er wünschte, sie noch zu sehen, zu hören, sie wieder
zu sehen, wieder zu hören; und nach einiger Besinnung verzieh er
seinem Sohne, ja er pries ihn glücklich, daß er Ansprüche machen
dürfe, so viel Vorzüge zu besitzen.

Aus diesen Empfindungen riß ihn der Sohn, der mit einer lebhaften
Entzückung zur Türe hereinstürzte, den Vater umarmte und ausrief:
"Ich bin der glücklichste Mensch von der Welt!" Nach solchen und
ähnlichen Ausrufen kam es endlich unter beiden zur Aufklärung. Der
Vater bemerkte, daß die schöne Frau im Gespräch gegen ihn des Sohnes
auch nicht mit einer Silbe erwähnt habe.--"Das ist eben ihre zarte,
schweigende, halb schweigende, halb andeutende Manier, wodurch man
seiner Wünsche gewiß wird und sich doch immer des Zweifels nicht ganz
erwehren kann. So war sie bisher gegen mich; aber Ihre Gegenwart,
mein Vater, hat Wunder getan. Ich gestehe es gern, daß ich
zurückblieb, um sie noch einen Augenblick zu sehen. Ich fand sie in
ihren erleuchteten Zimmern auf und ab gehen; denn ich weiß wohl, es
ist ihre Gewohnheit: wenn die Gesellschaft weg ist, darf kein Licht
ausgelöscht werden. Sie geht allein in ihren Zaubersälen auf und ab,
wenn die Geister entlassen sind, die sie hergebannt hat. Sie ließ
den Vorwand gelten, unter dessen Schutz ich zurückkam. Sie sprach
anmutig, doch von gleichgültigen Dingen. Wir gingen hin und wider
durch die offenen Türen die ganze Reihe der Zimmer durch. Wir waren
schon einigemale bis ans Ende gelangt, in das kleine Kabinett, das
nur von einer trüben Lampe erhellt ist. War sie schön, wenn sie sich
unter den Kronleuchtern her bewegte, so war sie es noch unendlich mehr,
beleuchtet von dem sanften Schein der Lampe. Wir waren wieder dahin
gekommen und standen beim Umkehren einen Augenblick still. Ich weiß
nicht, was mir die Verwegenheit abnötigte, ich weiß nicht, wie ich es
wagen konnte, mitten im gleichgültigsten Gespräch auf einmal ihre
Hand zu fassen, diese zarte Hand zu küssen, sie an mein Herz zu
drücken. Man zog sie nicht weg. "Himmlisches Wesen", rief ich,
"verbirg dich nicht länger vor mir. Wenn in diesem schönen Herzen
eine Neigung wohnt für den Glücklichen, der vor dir steht, so
verhülle sie nicht länger, offenbare sie, gestehe sie! es ist die
schönste, es ist die höchste Zeit. Verbanne mich oder nimm mich in
deinen Armen auf!"

Ich weiß nicht, was ich alles sagte, ich weiß nicht, wie ich mich
gebärdete. Sie entfernte sich nicht, sie widerstrebte nicht, sie
antwortete nicht. Ich wagte es, sie in meine Arme zu fassen, sie zu
fragen, ob sie die Meinige sein wolle. Ich küßte sie mit Ungestüm;
sie drängte mich weg.--"Ja, doch, ja!" oder so etwas sagte sie
halblaut und wie verworren. Ich entfernte mich und rief: "Ich sende
meinen Vater, der soll für mich reden!"--"Kein Wort mit ihm darüber!"
versetzte sie, indem sie mir einige Schritte nachfolgte. "Entfernen
Sie sich, vergessen Sie, was geschehen ist.""

Was der Major dachte, wollen wir nicht entwickeln. Er sagte jedoch
zum Sohne: "Was glaubst du nun, was zu tun sei? Sie Sache ist,
dächt' ich, aus dem Stegreife gut genug eingeleitet, daß wir nun
etwas förmlicher zu Werke gehen können, daß es vielleicht sehr
schicklich ist, wenn ich mich morgen dort melde und für dich anhalte.
"--"Um Gottes willen, mein Vater!" rief er aus, "das hieße die ganze
Sache verderben. Jenes Betragen, jener Ton will durch keine
Förmlichkeit gestört und verstimmt sein. Es ist genug, mein Vater,
daß Ihre Gegenwart diese Verbindung beschleunigt, ohne daß Sie ein
Wort aussprechen. Ja, Sie sind es, dem ich mein Glück schuldig bin!
Die Achtung meiner Geliebten für Sie hat jeden Zweifel besiegt, und
niemals würde der Sohn einen so glücklichen Augenblick gefunden haben,
wenn ihn der Vater nicht vorbereitet hätte."

Solche und ähnliche Mitteilungen unterhielten sie bis tief in die
Nacht. Sie vereinigten sich wechselseitig über ihre Plane; der Major
wollte bei der schönen Witwe nur noch der Form wegen einen
Abschiedsbesuch machen und sodann seiner Verbindung mit Hilarien
entgegengehen; der Sohn sollte die seinige befördern und
beschleunigen, wie es möglich wäre.









Viertes Kapitel

Der schönen Witwe machte unser Major einen Morgenbesuch, um Abschied
zu nehmen und, wenn es möglich wäre, die Absicht seines Sohnes mit
Schicklichkeit zu fördern. Er fand sie in zierlichster
Morgenkleidung in Gesellschaft einer ältern Dame, die durch ein höchst
gesittetes, freundliches Wesen ihn alsobald einnahm. Die Anmut der
Jüngern, der Anstand der älteren setzten das Paar in das
wünschenswerteste Gleichgewicht, auch schien ihr wechselseitiges
Betragen durchaus dafür zu sprechen, daß sie einander angehörten.

Die Jüngere schien eine fleißig gearbeitete, uns von gestern schon
bekannte Brieftasche soeben vollendet zu haben; denn nach den
gewöhnlichen Empfangsbegrüßungen und verbindlichen Worten eines
willkommenen Erscheinens wendete sie sich zur Freundin und reichte das
künstliche Werk hin, gleichsam ein unterbrochenes Gespräch wieder
anknüpfend: "Sie sehen also, daß ich doch fertig geworden bin, wenn
es gleich wegen Zögerns und manchen Säumens den Anschein nicht hatte."

"Sie kommen eben recht, Herr Major", sagte die ältere, "unsern
Streit zu entscheiden oder wenigstens sich für eine oder die andere
Partei zu erklären; ich behaupte, man fängt eine solche
weitschichtige Arbeit nicht an, ohne einer Person zu gedenken, der
man sie bestimmt hat, man vollendet sie nicht ohne einen solchen
Gedanken. Beschauen Sie selbst das Kunstwerk, denn so nenn' ich es
billig, ob dergleichen so ganz ohne Zweck unternommen werden könne."

Unser Major mußte der Arbeit freilich allen Beifall zusprechen.
Teils geflochten, teils gestickt, erregte sie zugleich mit der
Bewunderung das Verlangen, zu erfahren, wie sie gemacht sei. Die
bunte Seide waltete vor, doch war auch das Gold nicht verschmäht,
genug, man wußte nicht, ob man Pracht oder Geschmack mehr bewundern
sollte.

"Es ist doch noch einiges daran zu tun", versetzte die Schöne, indem
sie die Schleife des umgeschlagenen Bandes wieder aufzog und sich mit
dem Innern beschäftigte. "Ich will nicht streiten", fuhr sie fort,
"aber erzählen will ich, wie mir bei solchem Geschäft zumute ist.
Als junge Mädchen werden wir gewöhnt, mit den Fingern zu tifteln und
mit den Gedanken umherzuschweifen; beides bleibt uns, indem wir nach
und nach die schwersten und zierlichsten Arbeiten verfertigen lernen,
und ich leugne nicht, daß ich an jede Arbeit dieser Art immer
Gedanken angeknüpft habe, an Personen, an Zustände, an Freud und Leid.
Und so ward mir das Angefangene wert und das Vollendete, ich darf
wohl sagen, kostbar. Als ein solches nun durft' ich das Geringste
für etwas halten, die leichteste Arbeit gewann einen Wert, und die
schwierigste doch auch nur dadurch, daß die Erinnerung dabei reicher
und vollständiger war. Freunden und Liebenden, ehrwürdigen und hohen
Personen glaubt' ich daher dergleichen immer anbieten zu können; sie
erkannten es auch und wußten, daß ich ihnen etwas von meinem
Eigensten überreichte, das, vielfach und unaussprechlich, doch
zuletzt zu einer angenehmen Gabe vereinigt, immer wie ein freundlicher
Gruß wohlgefällig aufgenommen ward."

Auf ein so liebenswürdiges Bekenntnis war freilich kaum eine
Erwiderung möglich; doch wußte die Freundin dagegen etwas in
wohlklingende Worte zu fügen. Der Major aber, von jeher gewohnt, die
anmutige Weisheit römischer Schriftsteller und Dichter zu schätzen und
ihre leuchtenden Ausdrücke dem Gedächtnis einzuprägen, erinnerte sich
einiger hierher gar wohl passender Verse, hütete sich aber, um nicht
als Pedant zu erscheinen, sie auszusprechen oder auch ihrer nur zu
erwähnen; versuchte jedoch, um nicht stumm und geistlos zu erscheinen,
aus dem Stegreif eine prosaische Paraphrase, die aber nicht recht
gelingen wollte, wodurch das Gespräch beinahe ins Stocken geraten
wäre.

Die ältere Dame griff deshalb nach einem bei dem Eintritt des
Freundes niedergelegten Buche; es war eine Sammlung von Poesien,
welche soeben die Aufmerksamkeit der Freundinnen beschäftigte; dies
gab Gelegenheit, von Dichtkunst überhaupt zu sprechen, doch blieb die
Unterhaltung nicht lange im Allgemeinen, denn gar bald bekannten die
Frauenzimmer zutraulich, daß sie von dem poetischen Talent des Majors
unterrichtet seien. Ihnen hatte der Sohn, der selbst auf den
Ehrentitel eines Dichters seine Absichten nicht verbarg, von den
Gedichten seines Vaters gesprochen, auch einiges rezitiert; im Grunde,
um sich mit einer poetischen Herkunft zu schmeicheln und, wie es die
Jugend gewohnt ist, sich für einen vorschreitenden, die Fähigkeiten
des Vaters steigernden Jüngling bescheidentlich geben zu können. Der
Major aber, der sich zurückzuziehen suchte, da er bloß als Literator
und Liebhaber gelten wollte, suchte, da ihm kein Ausweg gelassen war,
wenigstens auszuweichen, indem er die Dichtart, in der er sich
allenfalls geübt habe, für subaltern und fast für unrecht wollte
angesehen wissen; er konnte nicht leugnen, daß er in demjenigen, was
man beschreibend und in einem gewissen Sinne belehrend nennt, einige
Versuche gemacht habe.

Die Damen, besonders die jüngere, nahmen sich dieser Dichtart an;
sie sagte: "Wenn man vernünftig und ruhig leben will, welches denn
doch zuletzt eines jeden Menschen Wunsch und Absicht bleibt, was soll
uns da das aufgeregte Wesen, das uns willkürlich anreizt, ohne etwas
zu geben, das uns beunruhigt, um uns denn doch zuletzt uns wieder
selbst zu überlassen; unendlich viel angenehmer ist mir, da ich doch
einmal der Dichtung nicht gern entbehren mag, jene, die mich in
heitere Gegenden versetzt, wo ich mich wiederzuerkennen glaube, mir
den Grundwert des Einfach-Ländlichen zu Gemüte führt, mich durch
buschige Haine zum Wald, unvermerkt auf eine Höhe zum Anblick eines
Landsees hinführt, da denn auch wohl gegenüber erst angebaute Hügel,
sodann waldgekrönte Höhen emporsteigen und die blauen Berge zum
Schluß ein befriedigendes Gemälde bilden. Bringt man mir das alles in
klaren Rhythmen und Reimen, so bin ich auf meinem Sofa dankbar, daß
der Dichter ein Bild in meiner Imagination entwickelt hat, an dem ich
mich ruhiger erfreuen kann, als wenn ich es, nach ermüdender
Wanderschaft, vielleicht unter andern, ungünstigen Umständen vor Augen
sehe."

Der Major, der das vorwaltende Gespräch eigentlich nur als Mittel
ansah, seine Zwecke zu befördern, suchte sich wieder nach der
lyrischen Dichtkunst hinzuwenden, worin sein Sohn wirklich Löbliches
geleistet hatte. Man widersprach ihm nicht geradezu, aber man suchte
ihn von dem Wege wegzuscherzen, den er eingeschlagen hatte, besonders
da er auf leidenschaftliche Gedichte hinzudeuten schien, womit der
Sohn der unvergleichlichen Dame die entschiedene Neigung seines
Herzens nicht ohne Kraft und Geschick vorzutragen gesucht hatte.
"Lieder der Liebenden", sagte die schöne Frau, "mag ich weder
vorgelesen noch vorgesungen; glücklich Liebende beneidet man, eh' man
sich's versieht, und die Unglücklichen machen uns immer Langeweile."

Hierauf nahm die ältere Dame, zu ihrer holden Freundin gewendet, das
Wort auf und sagte: "Warum machen wir solche Umschweife, verlieren
die Zeit in Umständlichkeiten gegen einen Mann, den wir verehren und
lieben? Sollen wir ihm nicht vertrauen, daß wir sein anmutiges
Gedicht, worin er die wackere Leidenschaft zur Jagd in allen ihren
Einzelheiten vorträgt, schon teilweise zu kennen das Vergnügen haben,
und nunmehr ihn bitten, auch das Ganze nicht vorzuenthalten? Ihr
Sohn", fuhr sie fort, "hat uns einige Stellen mit Lebhaftigkeit aus
dem Gedächtnis vorgetragen und uns neugierig gemacht, den Zusammenhang
zu sehen." Als nun der Vater abermals auf die Talente des Sohnes
zurückkehren und diese hervorheben wollte, ließen es die Damen nicht
gelten, indem sie es für eine offenbare Ausflucht ansprachen, um die
Erfüllung ihrer Wünsche indirekt abzulehnen. Er kam nicht los, bis er
unbewunden versprochen hatte, das Gedicht zu senden, sodann aber nahm
das Gespräch eine Wendung, die ihn hinderte, zugunsten des Sohnes
weiter etwas vorzubringen, besonders da ihm dieser alle
Zudringlichkeit abgeraten hatte.

Da es nun Zeit schien, sich zu beurlauben, und der Freund auch
deshalb einige Bewegung machte, sprach die Schöne mit einer Art von
Verlegenheit, wodurch sie nur noch schöner ward, indem sie die frisch
geknüpfte Schleife der Brieftasche sorgfältig zurechtzupfte: "Dichter
und Liebhaber sind längst schon leider im Ruf, daß ihren Versprechen
und Zusagen nicht viel zu trauen sei; verzeihen Sie daher, wenn ich
das Wort eines Ehrenmannes in Zweifel zu ziehen wage und deshalb ein
Pfand, einen Treupfennig nicht verlange, sondern gebe. Nehmen Sie
diese Brieftasche, sie hat etwas ähnliches von Ihrem Jagdgedicht, viel
Erinnerungen sind daran geknüpft, manche Zeit verging unter der
Arbeit, endlich ist sie fertig; bedienen Sie sich derselben als eines
Boten, uns Ihre liebliche Arbeit zu überbringen."

Bei solch unerwartetem Anerbieten fühlte sich der Major wirklich
betroffen; die zierliche Pracht dieser Gabe hatte so gar kein
Verhältnis zu dem, was ihn gewöhnlich umgab, zu dem übrigen, dessen
er sich bediente, daß er sie sich, obgleich dargereicht, kaum zueignen
konnte; doch nahm er sich zusammen, und wie seinem Erinnern ein
überliefertes Gute niemals versagte, so trat eine klassische Stelle
alsbald ihm ins Gedächtnis. Nur wäre es pedantisch gewesen, sie
anzuführen, doch regte sie einen heitern Gedanken bei ihm auf, daß er
aus dem Stegreife mit artiger Paraphrase einen freundlichen Dank und
ein zierliches Kompliment entgegenzubringen im Falle war; und so
schloß sich denn diese Szene auf eine befriedigende Weise für die
sämtlichen Unterredenden.

Also fand er sich zuletzt nicht ohne Verlegenheit in ein angenehmes
Verhältnis verflochten; er hatte zu senden, zu schreiben zugesagt,
sich verpflichtet, und wenn ihm die Veranlassung einigermaßen
unangenehm fiel, so mußte er es doch für ein Glück schätzen, auf eine
heitere Weise mit dem Frauenzimmer in Verhältnis zu bleiben, das bei
ihren großen Vorzügen ihm so nahe angehören sollte. Er schied also
nicht ohne eine gewisse innere Zufriedenheit; denn wie sollte der
Dichter eine solche Aufmunterung nicht empfinden, dessen
treufleißiger Arbeit, die so lange unbeachtet geruht, nun ganz
unerwartet eine liebenswürdige Aufmerksamkeit zuteil wird.

Gleich nach seiner Rückkehr ins Quartier setzte der Major sich
nieder, zu schreiben, seiner guten Schwester alles zu berichten, und
da war nichts natürlicher, als daß in seiner Darstellung eine gewisse
Exaltation sich hervortat, wie er sie selbst empfand, die aber durch
das Einreden seines von Zeit zu Zeit störenden Sohns noch mehr
gesteigert wurde.

Auf die Baronin machte dieser Brief einen sehr gemischten Eindruck;
denn wenn auch der Umstand, wodurch die Verbindung des Bruders mit
Hilarien befördert und beschleunigt werden konnte, geeignet war, sie
ganz zufriedenzustellen, so wollte ihr doch die schöne Witwe nicht
gefallen, ohne daß sie sich deswegen Rechenschaft zu geben gedacht
hätte. Wir machen bei dieser Gelegenheit folgende Bemerkung.

Den Enthusiasmus für irgendeine Frau muß man einer andern niemals
anvertrauen; sie kennen sich untereinander zu gut, um sich einer
solchen ausschließlichen Verehrung würdig zu halten. Die Männer
kommen ihnen vor wie Käufer im Laden, wo der Handelsmann mit seinen
Waren, die er kennt, im Vorteil steht, auch sie in dem besten Lichte
vorzuzeigen die Gelegenheit wahrnehmen kann; dahingegen der Käufer
immer mit einer Art Unschuld hereintritt, er bedarf der Ware, will
und wünscht sie und versteht gar selten, sie mit Kenneraugen zu
betrachten. Jener weiß recht gut, was er gibt, dieser nicht immer,
was er empfängt. Aber es ist einmal im menschlichen Leben und Umgang
nicht zu ändern, ja so löblich als notwendig, denn alles Begehren und
Freien, alles Kaufen und Tauschen beruht darauf.





In Gefolge solches Empfindens mehr als Betrachtens konnte die
Baronesse weder mit der Leidenschaft des Sohns noch mit der günstigen
Schilderung des Vaters völlig zufrieden sein; sie fand sich
überrascht von der glücklichen Wendung der Sache, doch ließ eine
Ahnung wegen doppelter Ungleichheit des Alters sich nicht abweisen.
Hilarie ist ihr zu jung für den Bruder, die Witwe für den Sohn nicht
jung genug; indessen hat die Sache ihren Gang genommen, der nicht
aufzuhalten scheint. Ein frommer Wunsch, daß alles gut gehen möge,
stieg mit einem leisen Seufzer empor. Um ihr Herz zu erleichtern,
nahm sie die Feder und schrieb an jene menschenkennende Freundin,
indem sie nach einem geschichtlichen Eingang also fortfuhr.





"Die Art dieser jungen, verführerischen Witwe ist mir nicht
unbekannt; weiblichen Umgang scheint sie abzulehnen und nur eine Frau
um sich zu leiden, die ihr keinen Eintrag tut, ihr schmeichelt und,
wenn ihre stummen Vorzüge sich nicht klar genug dartäten, sie noch mit
Worten und geschickter Behandlung der Aufmerksamkeit zu empfehlen
weiß. Zuschauer, Teilnehmer an einer solchen Repräsentation müssen
Männer sein, daher entsteht die Notwendigkeit, sie anzuziehen, sie
festzuhalten. Ich denke nichts übles von der schönen Frau, sie
scheint anständig und behutsam genug, aber eine solche lüsterne
Eitelkeit opfert den Umständen auch wohl etwas auf, und, was ich für
das Schlimmste halte: nicht alles ist reflektiert und vorsätzlich,
ein gewisses glückliches Naturell leitet und beschützt sie, und
nichts ist gefährlicher an so einer gebornen Kokette als eine aus der
Unschuld entspringende Verwegenheit."





Der Major, nunmehr auf den Gütern angelangt, widmete Tag und Stunde
der Besichtigung und Untersuchung. Er fand sich in dem Falle, zu
bemerken, daß ein richtiger, wohlgefaßter Hauptgedanke in der
Ausführung mannigfaltigen Hindernissen und dem Durchkreuzen so vieler
Zufälligkeiten unterworfen ist, in dem Grade, daß der erste Begriff
beinahe verschwindet und für Augenblicke ganz und gar unterzugehen
scheint, bis mitten in allen Verwirrungen dem Geiste die Möglichkeit
eines Gelingens sich wieder darstellt, wenn wir die Zeit als den
besten Alliierten einer unbesiegbaren Ausdauer uns die Hand bieten
sehen.

Und so wäre denn auch hier der traurige Anblick schöner,
ansehnlicher, vernachlässigter, mißbrauchter Besitzungen zu einem
trostlosen Zustande geworden, hätte man nicht durch das verständige
Bemerken einsichtiger ökonomen zugleich vorausgesehen, daß eine Reihe
von Jahren, mit Verstand und Redlichkeit benutzt, hinreichend sein
werde, das Abgestorbene zu beleben und das Stockende in Umtrieb zu
versetzen, um zuletzt durch Ordnung und Tätigkeit seinen Zweck zu
erreichen.

Der behagliche Obermarschall war angelangt, und zwar mit einem
ernsten Advokaten, doch gab dieser dem Major weniger Besorgnisse als
jener, der zu den Menschen gehörte, die keine Zwecke haben oder, wenn
sie einen vor sich sehen, die Mittel dazu ablehnen. Ein täglich--und
stündliches Behagen war ihm das unerläßliche Bedürfnis seines Lebens.
Nach langem Zaudern ward es ihm endlich Ernst, seine Gläubiger
loszuwerden, die Güterlast abzuschütteln, die Unordnung seines
Hauswesens in Regel zu setzen, eines anständigen, gesicherten
Einkommens ohne Sorge zu genießen, dagegen aber auch nicht das
geringste von den bisherigen Bräuchlichkeiten fahren zu lassen.

Im ganzen gestand er alles ein, was die Geschwister in den
ungetrübten Besitz der Güter, besonders auch des Hauptgutes, setzen
sollte, aber auf einen gewissen benachbarten Pavillon, in welchem er
alle Jahr auf seinen Geburtstag die ältesten Freunde und die neusten
Bekannten einlud, ferner auf den daran gelegenen Ziergarten, der
solchen mit dem Hauptgebäude verband, wollte er die Ansprüche nicht
völlig aufgeben. Die Meublen alle sollten in dem Lusthause bleiben,
die Kupferstiche an den Wänden sowie auch die Früchte der Spaliere ihm
versichert werden. Pfirsiche und Erdbeeren von den ausgesuchtesten
Sorten, Birnen und äpfel, groß und schmackhaft, besonders aber eine
gewisse Sorte grauer, kleiner äpfel, die er seit vielen Jahren der
Fürstin Witwe zu verehren gewohnt war, sollten ihm treulich geliefert
sein. Hieran schlossen sich noch andere Bedingungen, wenig bedeutend,
aber dem Hausherrn, Pächter, Verwaltern, Gärtnern ungemein
beschwerlich.

Der Obermarschall war übrigens von dem besten Humor; denn da er den
Gedanken nicht fahren ließ, daß alles nach seinen Wünschen, wie es
ihm sein leichtes Temperament vorgespiegelt hatte, sich endlich
einrichten würde, so sorgte er für eine gute Tafel, machte sich
einige Stunden auf einer mühelosen Jagd die nötige Bewegung, erzählte
Geschichten auf Geschichten und zeigte durchaus das heiterste Gesicht;
auch schied er auf gleiche Weise, dankte dem Major zum schönsten, daß
er so brüderlich verfahren, verlangte noch etwas Geld, ließ die
kleinen vorrätigen grauen Goldäpfel, welche dieses Jahr besonders
wohl geraten waren, sorgfältig einpacken und fuhr mit diesem Schatz,
den er als eine willkommene Verehrung der Fürstin zu überreichen
gedachte, nach ihrem Witwensitz, wo er denn auch gnädig und
freundlich empfangen ward.

Der Major an seiner Seite blieb mit ganz entgegengesetzten Gefühlen
zurück und wäre an den Verschränkungen, die er vor sich fand, fast
verzweifelt, wäre ihm nicht das Gefühl zu Hülfe gekommen, das einen
tätigen Mann freudig aufrichtet, wenn er das Verworrene zu lösen, als
entworren vor sich zu sehen hoffen darf.

Glücklicherweise war der Advokat ein rechtlicher Mann, der, weil er
sonst viel zu tun hatte, diese Angelegenheit bald beendigte. Ebenso
glücklich schlug sich ein Kammerdiener des Obermarschalls hinzu, der
gegen mäßige Bedingungen in dem Geschäft mitzuwirken versprach,
wodurch man einem gedeihlichen Abschluß entgegensehen durfte. So
angenehm aber auch dieses war, so fühlte doch der Major als ein
rechtlicher Mann im Hin--und Widerwirken bei dieser Angelegenheit, es
bedürfe gar manches Unreinen, um ins Reine zu kommen.

Bei einer Pause des Geschäfts, die ihm einige Freiheit ließ, eilte
er auf sein Gut, wo er, des Versprechens eingedenk, das er an die
schöne Witwe getan und das ihm nicht aus dem Sinne gekommen war,
seine Gedichte versuchte, die in guter Ordnung verwahrt lagen; zu
gleicher Zeit kamen ihm manche Gedenk--und Erinnerungsbücher, Auszüge
beim Lesen alter und neuer Schriftsteller enthaltend, wieder zur Hand.
Bei seiner Vorliebe für Horaz und die römischen Dichter war das
meiste daher, und es fiel ihm auf, daß die Stellen größtenteils
Bedauern vergangner Zeit, vorübergeschwundner Zustände und
Empfindungen andeuteten. Statt vieler rücken wir die einzige Stelle
hier ein:









"Heu!
Quae mens est hodie, cur eadem non puero fuit?
Vel cur bis animis incolumes non redeunt genae!"


"Wie ist heut mir doch zumute?
So vergnüglich und so klar!
Da bei frischem Knabenblute
Mir so wild, so düster war.
Doch wenn mich die Jahre zwacken,
Wie auch wohlgemut ich sei,
Denk' ich jene roten Backen,
Und ich wünsche sie herbei."




Nachdem unser Freund nun aus wohlgeordneten Papieren das Jagdgedicht
gar bald herausgefunden, erfreute er sich an der sorgfältigen
Reinschrift, wie er sie vor Jahren mit lateinischen Lettern, groß
Oktav, zierlichst verfaßt hatte. Die köstliche Brieftasche von
bedeutender Größe nahm das Werk ganz bequem auf, und nicht leicht hat
ein Autor sich so prächtig eingebunden gesehen. Einige Zeilen dazu
waren höchst notwendig; Prosaisches aber kaum zulässig. Jene Stelle
des Ovid fiel ihm wieder ein, und er glaubte jetzt durch eine
poetische Umschreibung, so wie damals durch eine prosaische, sich am
besten aus der Sache zu ziehen. Sie hieß:



"Nec factas solum vestes spectare juvabat,
Tum quoque dum fierent; tantus decor adfuit arti."




Zu Deutsch:



"Ich sah's in meisterlichen Händen
--Wie denk' ich gern der schönen Zeit!--
Sich erst entwickeln, dann vollenden
Zu nie gesehner Herrlichkeit.
Zwar ich besitz' es gegenwärtig,
Doch soll ich mir nur selbst gestehn:
Ich wollt', es wäre noch nicht fertig,
Das Machen war doch gar zu schön!"






Mit diesem übertragenen war unser Freund nur wenige Zeit zufrieden;
er tadelte, daß er das schöne flektierte Verbum: dum fierent, in ein
traurig abstraktes Substantivum verändert habe, und es verdroß ihn,
bei allem Nachdenken die Stelle doch nicht verbessern zu können. Nun
ward auf einmal seine Vorliebe zu den alten Sprachen wieder lebendig,
und der Glanz des Deutschen Parnasses, auf den er doch auch im stillen
hinaufstrebte, schien ihm sich zu verdunkeln.

Endlich aber, da er dieses heitere Kompliment, mit dem Urtexte
unverglichen, noch ganz artig fand und glauben durfte, daß ein
Frauenzimmer es ganz wohl aufnehmen würde, so entstand eine zweite
Bedenklichkeit: daß, da man in Versen nicht galant sein kann, ohne
verliebt zu scheinen, er dabei als künftiger Schwiegervater eine
wunderliche Rolle spiele. Das Schlimmste jedoch fiel ihm zuletzt ein:
jene Ovidischen Verse werden von Arachnen gesagt, einer ebenso
geschickten als hübschen und zierlichen Weberin. Wurde nun aber diese
durch die neidische Minerva in eine Spinne verwandelt, so war es
gefährlich, eine schöne Frau, mit einer Spinne, wenn auch nur von
ferne, verglichen, im Mittelpunkte eines ausgebreiteten Netzes
schweben zu sehen. Konnte man sich doch unter der geistreichen
Gesellschaft, welche unsre Dame umgab, einen Gelehrten denken,
welcher diese Nachbildung ausgewittert hätte. Wie sich nun der Freund
aus einer solchen Verlegenheit gezogen, ist uns selbst unbekannt
geblieben, und wir müssen diesen Fall unter diejenigen rechnen, über
welche die Musen auch wohl einen Schleier zu werfen sich die
Schalkheit erlauben. Genug, das Jagdgedicht selbst ward abgesendet,
von welchem wir jedoch einige Worte nachzubringen haben.

Der Leser desselben belustigt sich an der entschiedenen
Jagdliebhaberei und allem, was sie begünstigen mag; erfreulich ist
der Jahreszeitenwechsel, der sie mannigfaltig aufruft und anregt.
Die Eigenheiten sämtlicher Geschöpfe, denen man nachstellt, die man zu
erlegen gesinnt ist, die verschiedenen Charaktere der Jäger, die sich
dieser Lust, dieser Mühe hingeben, die Zufälligkeiten, wie sie
befördern oder schädigen: alles war, besonders was auf das Geflügel
Bezug hatte, mit der besten Laune dargestellt und mit großer
Eigentümlichkeit behandelt.

Von der Auerhahnbalz bis zum zweiten Schnepfenstrich und von da bis
zur Rabenhütte war nichts versäumt, alles wohl gesehen, klar
aufgenommen, leidenschaftlich verfolgt, leicht und scherzhaft, oft
ironisch dargestellt.

Jenes elegische Thema klang jedoch durch das Ganze durch; es war
mehr als ein Abschied von diesen Lebensfreuden verfaßt, wodurch es
zwar einen gefühlvollen Anstrich des heiter Durchlebten gewann und
sehr wohltätig wirkte, aber doch zuletzt, wie jene Sinnsprüche, nach
dem Genuß ein gewisses Leere empfinden ließ. War es das Umblättern
dieser Papiere oder sonst ein augenblickliches Mißbefinden, der Major
fühlte sich nicht heiter gestimmt. Daß die Jahre, die zuerst eine
schöne Gabe nach der andern bringen, sie alsdann nach und nach wieder
entziehen, schien er auf dem Scheidepunkt, wo er sich befand, auf
einmal lebhaft zu fühlen. Eine versäumte Badereise, ein ohne Genuß
verstrichener Sommer, Mangel an stetiger gewohnter Bewegung, alles
ließ ihn gewisse körperliche Unbequemlichkeiten empfinden, die er für
wirkliche übel nahm und sich ungeduldiger dabei bewies, als billig
sein mochte.

Wie aber den Frauen der Augenblick, wo ihre bisher unbestrittene
Schönheit zweifelhaft werden will, höchst peinlich ist, so wird den
Männern in gewissen Jahren, obgleich noch im völligen Vigor, das
leiseste Gefühl einer unzulänglichen Kraft äußerst unangenehm, ja
gewissermaßen ängstlich.

Ein anderer eintretender Umstand jedoch, der ihn hätte beunruhigen
sollen, verhalf ihm zu der besten Laune. Sein kosmetischer
Kammerdiener, der ihn auch bei dieser Landpartie nicht verlassen
hatte, schien einige Zeit her einen andern Weg einzuschlagen, wozu ihn
frühes Aufstehn des Majors, tägliches Ausreiten und Umhergehen
desselben sowie der Zutritt mancher Beschäftigten, auch bei der
Gegenwart des Obermarschalls mehrerer Geschäftslosen zu nötigen
schien. Mit allen Kleinigkeiten, die nur die Sorgfalt eines Mimen zu
beschäftigen das Recht hatten, ließ er den Major schon einige Zeit
verschont, aber desto strenger hielt er auf einige Hauptpunkte,
welche bisher durch ein geringeres Hokuspokus waren verschleiert
gewesen. Alles, was nicht nur den Schein der Gesundheit bezwecken,
sondern was die Gesundheit selbst aufrechterhalten sollte, ward
eingeschärft, besonders aber Maß in allem und Abwechslung nach den
Vorkommenheiten, Sorgfalt sodann für Haut und Haare, für Augenbrauen
und Zähne, für Hände und Nägel, für deren zierlichste Form und
schicklichste Länge der Wissende schon länger gesorgt hatte. Dabei
wurde Mäßigung aber--und abermals in allem, was den Menschen aus
seinem Gleichgewicht zu bringen pflegt, dringend anempfohlen, worauf
denn dieser Schönheits-Erhaltungs-Lehrer sich seinen Abschied erbat,
weil er seinem Herrn nichts mehr nütze sei. Indes konnte man denken,
daß er sich doch wohl wieder zu seinem vorigen Patron zurückwünschen
mochte, um den mannigfaltigen Vergnügungen eines theatralischen
Lebens fernerhin sich ergeben zu können.

Und wirklich tat es dem Major sehr wohl, wieder sich selbst gegeben
zu sein. Der verständige Mann braucht sich nur zu mäßigen, so ist er
auch glücklich. Er mochte sich der herkömmlichen Bewegung des
Reitens, der Jagd und was sich daran knüpft, wieder mit Freiheit
bedienen, die Gestalt Hilariens trat in solchen einsamen Momenten
wieder freudig hervor, und er fügte sich in den Zustand des
Bräutigams, vielleicht den anmutigsten, der uns in dem gesitteten
Kreise des Lebens gegönnt ist.

Schon einige Monate waren die sämtlichen Familienglieder ohne
besondere Nachricht voneinander geblieben; der Major beschäftigte
sich, in der Residenz gewisse Einwilligungen und Bestätigungen seines
Geschäfts abschließlich zu negoziieren; die Baronin und Hilarie
richteten ihre Tätigkeit auf die heiterste, reichlichste Ausstattung;
der Sohn, seiner Schönen mit Leidenschaft dienstpflichtig, schien
hierüber alles zu vergessen. Der Winter war angekommen und umgab
alle ländlichen Wohnungen mit unerfreulichen Sturmregen und
frühzeitigen Finsternissen.

Wer heute durch eine düstre Novembernacht sich in der Gegend des
adeligen Schlosses verirrt hätte und bei dem schwachen Lichte eines
bedeckten Mondes äcker, Wiesen, Baumgruppen, Hügel und Gebüsche
düster vor sich liegen sähe, auf einmal aber bei einer schnellen
Wendung um eine Ecke die ganz erleuchtete Fensterreihe eines langen
Gebäudes vor sich erblickte, er hätte gewiß geglaubt, eine festlich
geschmückte Gesellschaft dort anzutreffen. Wie sehr verwundert müßte
er aber sein, von wenigen Bedienten erleuchtete Treppen hinaufgeführt,
nur drei Frauenzimmer, die Baronin, Hilarien und das Kammermädchen,
in hellen Zimmern zwischen klaren Wänden, neben freundlichem Hausrat,
durchaus erwärmt und behaglich, zu erblicken.

Da wir nun aber die Baronin in einem festlichen Zustande zu
überraschen glauben, so ist es notwendig, zu bemerken, daß diese
glänzende Erleuchtung hier nicht als außerordentlich anzusehen sei,
sondern zu den Eigenheiten gehöre, welche die Dame aus ihrem frühern
Leben mit herübergebracht hatte. Als Tochter einer Oberhofmeisterin,
bei Hof erzogen, war sie gewohnt, den Winter allen übrigen
Jahrszeiten vorzuziehen und den Aufwand einer stattlichen Erleuchtung
zum Element aller ihrer Genüsse zu machen. Zwar an Wachskerzen
fehlte es niemals, aber einer ihrer ältesten Diener hatte so große
Lust an Künstlichkeiten, daß nicht leicht eine neue Lampenart
entdeckt wurde, die er im Schlosse hie und da einzuführen nicht wäre
bemüht gewesen, wodurch denn zwar die Erhellung mitunter lebhaft
gewann, aber auch wohl gelegentlich hie und da eine partielle
Finsternis eintrat.

Die Baronin hatte den Zustand einer Hofdame durch Verbindung mit
einem bedeutenden Gutsbesitzer und entschiedenen Landwirt aus Neigung
und wohlbedächtig vertauscht, und ihr einsichtiger Gemahl hatte, da
ihr das Ländliche anfangs nicht zusagte, mit Einstimmung seiner
Nachbarn, ja nach den Anordnungen der Regierung, die Wege mehrere
Meilen ringsumher so gut hergestellt, daß die nachbarlichen
Verbindungen nirgends in so gutem Stande gefunden wurden; doch war
eigentlich bei dieser löblichen Anstalt die Hauptabsicht, daß die
Dame, besonders zur guten Jahrszeit, überall hinrollen konnte;
dagegen aber im Winter gern häuslich bei ihm verweilte, indem er
durch Erleuchtung die Nacht dem Tag gleich zu machen wußte. Nach dem
Tode des Gemahls gab die leidenschaftliche Sorge für ihre Tochter
genugsame Beschäftigung, der öftere Besuch des Bruders herzliche
Unterhaltung und die gewohnte Klarheit der Umgebung ein Behagen, das


 


Back to Full Books