Wilhelm Meisters Wanderjahre--Buch 3
by
Johann Wolfgang von Goethe

Part 2 out of 4




"Die Sache ist ernsthafter, als du denkst", sagte die Schöne;
"indessen bin ich recht wohl zufrieden, daß du sie leicht nimmst:
denn für uns beide kann noch immer die heiterste Folge werden. Ich
will dir vertrauen und von meiner Seite das Mögliche tun, nur
versprich mir, dieser Entdeckung niemals vorwurfsweise zu gedenken.
Dazu füg' ich noch eine Bitte recht inständig: nimm dich vor Wein und
Zorn mehr als jemals in acht."

Ich versprach, was sie begehrte, ich hätte zu und immer zu
versprochen; doch sie wendete selbst das Gespräch, und alles war im
vorigen Gleise. Wir hatten nicht Ursache, den Ort unseres
Aufenthaltes zu verändern; die Stadt war groß, die Gesellschaft
vielfach, die Jahreszeit veranlaßte manches Land--und Gartenfest.

Bei allen solchen Freuden war meine Frau sehr gern gesehen, ja von
Männern und Frauen lebhaft verlangt. Ein gutes, einschmeichelndes
Betragen, mit einer gewissen Hoheit verknüpft, machte sie jedermann
lieb und ehrenwert. überdies spielte sie herrlich die Laute und sang
dazu, und alle geselligen Nächte mußten durch ihr Talent gekrönt
werden.

Ich will nur gestehen, daß ich mir aus der Musik niemals viel habe
machen können, ja sie hatte vielmehr auf mich eine unangenehme
Wirkung. Meine Schöne, die mir das bald abgemerkt hatte, suchte mich
daher niemals, wenn wir allein waren, auf diese Weise zu unterhalten;
dagegen schien sie sich in Gesellschaft zu entschädigen, wo sie denn
gewöhnlich eine Menge Bewunderer fand.

Und nun, warum sollte ich es leugnen, unsere letzte Unterredung,
ungeachtet meines besten Willens, war doch nicht vermögend gewesen,
die Sache ganz bei mir abzutun; vielmehr hatte sich meine
Empfindungsweise gar seltsam gestimmt, ohne daß ich es mir vollkommen
bewußt gewesen wäre. Da brach eines Abends in großer Gesellschaft
der verhaltene Unmut los, und mir entsprang daraus der allergrößte
Nachteil.

Wenn ich es jetzt recht bedenke, so liebte ich nach jener
unglücklichen Entdeckung meine Schönheit viel weniger, und nun ward
ich eifersüchtig auf sie, was mir vorher gar nicht eingefallen war.
Abends bei Tafel, wo wir schräg gegen einander über in ziemlicher
Entfernung saßen, befand ich mich sehr wohl mit meinen beiden
Nachbarinnen, ein paar Frauenzimmern, die mir seit einiger Zeit
reizend geschienen hatten. Unter Scherz--und Liebesreden sparte man
des Weines nicht, indessen von der andern Seite ein paar Musikfreunde
sich meiner Frau bemächtigt hatten und die Gesellschaft zu Gesängen,
einzelnen und chormäßigen, aufzumuntern und anzuführen wußten.
Darüber fiel ich in böse Laune; die beiden Kunstliebhaber schienen
zudringlich; der Gesang machte mich ärgerlich, und als man gar von mir
auch eine Solostrophe begehrte, so wurde ich wirklich aufgebracht,
leerte den Becher und setzte ihn sehr unsanft nieder.

Durch die Anmut meiner Nachbarinnen fühlte ich mich sogleich zwar
wieder gemildert, aber es ist eine böse Sache um den ärger, wenn er
einmal auf dem Wege ist. Er kochte heimlich fort, obgleich alles
mich hätte sollen zur Freude, zur Nachgiebigkeit stimmen. Im
Gegenteil wurde ich nur noch tückischer, als man eine Laute brachte
und meine Schöne ihren Gesang zur Bewunderung aller übrigen
begleitete. Unglücklicherweise erbat man sich eine allgemeine Stille.
Also auch schwatzen sollte ich nicht mehr, und die Töne taten mir in
den Zähnen weh. War es nun ein Wunder, daß endlich der kleinste
Funke die Mine zündete?

Eben hatte die Sängerin ein Lied unter dem größten Beifall geendigt,
als sie nach mir, und wahrlich recht liebevoll, herübersah. Leider
drangen die Blicke nicht bei mir ein. Sie bemerkte, daß ich einen
Becher Wein hinunterschlang und einen neu anfüllte. Mit dem rechten
Zeigefinger winkte sie mir lieblich drohend. "Bedenken Sie, daß es
Wein ist!" sagte sie, nicht lauter, als daß ich es hören konnte.
--"Wasser ist für die Nixen!" rief ich aus.--"Meine Damen", sagte sie
zu meinen Nachbarinnen, "kränzen Sie den Becher mit aller Anmut, daß
er nicht zu oft leer werde."--"Sie werden sich doch nicht meistern
lassen!" zischelte mir die eine ins Ohr.--"Was will der Zwerg?" rief
ich aus, mich heftiger gebärdend, wodurch ich den Becher umstieß.
"Hier ist viel verschüttet!" rief die Wunderschöne, tat einen Griff
in die Saiten, als wolle sie die Aufmerksamkeit der Gesellschaft aus
dieser Störung wieder auf sich heranziehen. Es gelang ihr wirklich,
um so mehr, als sie aufstand, aber nur, als wenn sie sich das Spiel
bequemer machen wollte, und zu präludieren fortfuhr.

Als ich den roten Wein über das Tischtuch fließen sah, kam ich
wieder zu mir selbst. Ich erkannte den großen Fehler, den ich
begangen hatte, und war recht innerlich zerknirscht. Zum erstenmal
sprach die Musik mich an. Die erste Strophe, die sie sang, war ein
freundlicher Abschied an die Gesellschaft, wie sie sich noch zusammen
fühlen konnte. Bei der folgenden Strophe floß die Sozietät gleichsam
auseinander, jeder fühlte sich einzeln, abgesondert, niemand glaubte
sich mehr gegenwärtig. Aber was soll ich denn von der letzten Strophe
sagen? Sie war allein an mich gerichtet, die Stimme der gekränkten
Liebe, die von Unmut und übermut Abschied nimmt.

Stumm führte ich sie nach Hause und erwartete mir nichts Gutes.
Doch kaum waren wir in unserm Zimmer angelangt, als sie sich höchst
freundlich und anmutig, ja sogar schalkhaft erwies und mich zum
glücklichsten aller Menschen machte.

Des andern Morgens sagte ich ganz getrost und liebevoll: "Du hast so
manchmal, durch gute Gesellschaft aufgefordert, gesungen, so zum
Beispiel gestern abend das rührende Abschiedslied; singe nun auch
einmal mir zuliebe ein hübsches, fröhliches Willkommen in dieser
Morgenstunde, damit es uns werde, als wenn wir uns zum erstenmal
kennen lernten."

"Das vermag ich nicht, mein Freund", versetzte sie mit Ernst. "Das
Lied von gestern abend bezog sich auf unsere Scheidung, die nun
sogleich vor sich gehen muß: denn ich kann dir nur sagen, die
Beleidigung gegen Versprechen und Schwur hat für uns beide die
schlimmsten Folgen; du verscherzest ein großes Glück, und auch ich muß
meinen liebsten Wünschen entsagen."

Als ich nun hierauf in sie drang und bat, sie möchte sich näher
erklären, versetzte sie: "Das kann ich leider wohl, denn es ist doch
um mein Belieben bei dir getan. Vernimm also, was ich dir lieber bis
in die spätesten Zeiten verborgen hätte. Die Gestalt, in der du mich
im Kästchen erblicktest, ist mir wirklich angeboren und natürlich;
denn ich bin aus dem Stamm des Königs Eckwald, des mächtigen Fürsten
der Zwerge, von dem die wahrhafte Geschichte so vieles meldet. Unser
Volk ist noch immer wie vor alters tätig und geschäftig und auch
daher leicht zu regieren. Du mußt dir aber nicht vorstellen, daß die
Zwerge in ihren Arbeiten zurückgeblieben sind. Sonst waren Schwerter,
die den Feind verfolgten, wenn man sie ihm nachwarf, unsichtbar und
geheimnisvoll bindende Ketten, undurchdringliche Schilder und
dergleichen ihre berühmtesten Arbeiten. Jetzt aber beschäftigen sie
sich hauptsächlich mit Sachen der Bequemlichkeit und des Putzes und
übertreffen darin alle andern Völker der Erde. Du würdest erstaunen,
wenn du unsere Werkstätten und Warenlager hindurchgehen solltest.
Dies wäre nun alles gut, wenn nicht bei der ganzen Nation überhaupt,
vorzüglich aber bei der königlichen Familie, ein besonderer Umstand
einträte."

Da sie einen Augenblick innehielt, ersuchte ich sie um fernere
Eröffnung dieser wundersamen Geheimnisse, worin sie mir denn auch
sogleich willfahrte.

"Es ist bekannt", sagte sie, "daß Gott, sobald er die Welt
erschaffen hatte, so daß alles Erdreich trocken war und das Gebirg
mächtig und herrlich dastand, daß Gott, sage ich, sogleich vor allen
Dingen die Zwerglein erschuf, damit auch vernünftige Wesen wären,
welche seine Wunder im Innern der Erde auf Gängen und Klüften
anstaunen und verehren könnten. Ferner ist bekannt, daß dieses kleine
Geschlecht sich nachmals erhoben und sich die Herrschaft der Erde
anzumaßen gedacht, weshalb denn Gott die Drachen erschaffen, um das
Gezwerge ins Gebirge zurückzudrängen. Weil aber die Drachen sich in
den großen Höhlen und Spalten selbst einzunisten und dort zu wohnen
pflegten, auch viele derselben Feuer spieen und manch anderes Wüste
begingen, so wurde dadurch den Zwerglein gar große Not und Kummer
bereitet, dergestalt, daß sie nicht mehr wußten, wo aus noch ein, und
sich daher zu Gott dem Herrn gar demütiglich und flehentlich wendeten,
auch ihn im Gebet anriefen, er möchte doch dieses unsaubere
Drachenvolk wieder vertilgen. Ob er nun aber gleich nach seiner
Weisheit sein Geschöpf zu zerstören nicht beschließen mochte, so ging
ihm doch der armen Zwerglein große Not dermaßen zu Herzen, daß er
alsobald die Riesen erschuf, welche die Drachen bekämpfen und, wo
nicht ausrotten, doch wenigstens vermindern sollten.

Als nun aber die Riesen so ziemlich mit den Drachen fertig geworden,
stieg ihnen gleichfalls der Mut und Dünkel, weswegen sie gar manches
Frevele, besonders auch gegen die guten Zwerglein, verübten, welche
denn abermals in ihrer Not sich zu dem Herrn wandten, der sodann aus
seiner Machtgewalt die Ritter schuf, welche die Riesen und Drachen
bekämpfen und mit den Zwerglein in guter Eintracht leben sollten.
Damit war denn das Schöpfungswerk von dieser Seite beschlossen, und
es findet sich, daß nachher Riesen und Drachen sowie die Ritter und
Zwerge immer zusammengehalten haben. Daraus kannst du nun ersehen,
mein Freund, daß wir von dem ältesten Geschlecht der Welt sind,
welches uns zwar zu Ehren gereicht, doch aber auch großen Nachteil
mit sich führt.

Da nämlich auf der Welt nichts ewig bestehen kann, sondern alles,
was einmal groß gewesen, klein werden und abnehmen muß, so sind auch
wir in dem Falle, daß wir seit Erschaffung der Welt immer abnehmen
und kleiner werden, vor allen andern aber die königliche Familie,
welche wegen ihres reinen Blutes diesem Schicksal am ersten
unterworfen ist. Deshalb haben unsere weisen Meister schon vor
vielen Jahren den Ausweg erdacht, daß von Zeit zu Zeit eine
Prinzessin aus dem königlichen Hause heraus ins Land gesendet werde,
um sich mit einem ehrsamen Ritter zu vermählen, damit das
Zwergengeschlecht wieder angefrischt und vom gänzlichen Verfall
gerettet sei."

Indessen meine Schöne diese Worte ganz treuherzig vorbrachte, sah
ich sie bedenklich an, weil es schien, als ob sie Lust habe, mir
etwas aufzubinden. Was ihre niedliche Herkunft betraf, daran hatte
ich weiter keinen Zweifel; aber daß sie mich anstatt eines Ritters
ergriffen hatte, das machte mir einiges Mißtrauen, indem ich mich
denn doch zu wohl kannte, als daß ich hätte glauben sollen, meine
Vorfahren seien von Gott unmittelbar erschaffen worden.

Ich verbarg Verwunderung und Zweifel und fragte sie freundlich:
"Aber sage mir, mein liebes Kind, wie kommst du zu dieser großen und
ansehnlichen Gestalt? denn ich kenne wenig Frauen, die sich dir an
prächtiger Bildung vergleichen können."--"Das sollst du erfahren",
versetzte meine Schöne. "Es ist von jeher im Rat der Zwergenkönige
hergebracht, daß man sich so lange als möglich vor jedem
außerordentlichen Schritt in acht nehme, welches ich denn auch ganz
natürlich und billig finde. Man hätte vielleicht noch lange
gezaudert, eine Prinzessin wieder einmal in das Land zu senden, wenn
nicht mein nachgeborner Bruder so klein ausgefallen wäre, daß ihn die
Wärterinnen sogar aus den Windeln verloren haben und man nicht weiß,
wo er hingekommen ist. Bei diesem in den Jahrbüchern des
Zwergenreichs ganz unerhörten Falle versammelte man die Weisen, und
kurz und gut, der Entschluß ward gefaßt, mich auf die Freite zu
schicken."

"Der Entschluß!" rief ich aus, "das ist wohl alles schön und gut.
Man kann sich entschließen, man kann etwas beschließen; aber einem
Zwerglein diese Göttergestalt zu geben, wie haben eure Weisen dies
zustande gebracht?"

"Es war auch schon", sagte sie, "von unsern Ahnherren vorgesehen.
In dem königlichen Schatze lag ein ungeheurer goldner Fingerring.
Ich spreche jetzt von ihm, wie er mir vorkam, da er mir, als einem
Kinde, ehemals an seinem Orte gezeigt wurde: denn es ist derselbe,
den ich hier am Finger habe; und nun ging man folgendergestalt zu
Werke. Man unterrichtete mich von allem, was bevorstehe, und
belehrte mich, was ich zu tun und zu lassen habe.

Ein köstlicher Palast, nach dem Muster des liebsten
Sommeraufenthalts meiner Eltern, wurde verfertigt: ein Hauptgebäude,
Seitenflügel und was man nur wünschen kann. Er stand am Eingang
einer großen Felskluft und verzierte sie aufs beste. An dem
bestimmten Tage zog der Hof dorthin und meine Eltern mit mir. Die
Armee paradierte, und vierundzwanzig Priester trugen auf einer
köstlichen Bahre, nicht ohne Beschwerlichkeit, den wundervollen Ring.
Er ward an die Schwelle des Gebäudes gelegt, gleich innerhalb, wo man
über sie hinübertritt. Manche Zeremonien wurden begangen, und nach
einem herzlichen Abschiede schritt ich zum Werke. Ich trat hinzu,
legte die Hand an den Ring und fing sogleich merklich zu wachsen an.
In wenig Augenblicken war ich zu meiner gegenwärtigen Größe angelangt,
worauf ich den Ring sogleich an den Finger steckte. Nun im Nu
verschlossen sich Fenster, Türen und Tore, die Seitenflügel zogen
sich ins Hauptgebäude zurück, statt des Palastes stand ein Kästchen
neben mir, das ich sogleich aufhob und mit mir forttrug, nicht ohne
ein angenehmes Gefühl, so groß und so stark zu sein, zwar immer noch
ein Zwerg gegen Bäume und Berge, gegen Ströme wie gegen Landstrecken,
aber doch immer schon ein Riese gegen Gras und Kräuter, besonders aber
gegen die Ameisen, mit denen wir Zwerge nicht immer in gutem
Verhältnis stehen und deswegen oft gewaltig von ihnen geplagt werden.

Wie es mir auf meiner Wallfahrt erging, ehe ich dich fand, davon
hätte ich viel zu erzählen. Genug, ich prüfte manchen, aber niemand
als du schien mir wert, den Stamm des herrlichen Eckwald zu erneuern
und zu verewigen."

Bei allen diesen Erzählungen wackelte mir mitunter der Kopf, ohne
daß ich ihn gerade geschüttelt hätte. Ich tat verschiedene Fragen,
worauf ich aber keine sonderlichen Antworten erhielt, vielmehr zu
meiner größten Betrübnis erfuhr, daß sie nach dem, was begegnet,
notwendig zu ihren Eltern zurückkehren müsse. Sie hoffe zwar, wieder
zu mir zu kommen, doch jetzt habe sie sich unvermeidlich zu stellen,
weil sonst für sie so wie für mich alles verloren wäre. Die Beutel
würden bald aufhören zu zahlen, und was sonst noch alles daraus
entstehen könnte.

Da ich hörte, daß uns das Geld ausgehen dürfte, fragte ich nicht
weiter, was sonst noch geschehen möchte. Ich zuckte die Achseln, ich
schwieg, und sie schien mich zu verstehen.

Wir packten zusammen und setzten uns in den Wagen, das Kästchen
gegen uns über, dem ich aber noch nichts von einem Palast ansehen
konnte. So ging es mehrere Stationen fort. Postgeld und Trinkgeld
wurden aus den Täschchen rechts und links bequem und reichlich bezahlt,
bis wir endlich in eine gebirgige Gegend gelangten und kaum
abgestiegen waren, als meine Schöne vorausging und ich auf ihr Geheiß
mit dem Kästchen folgte. Sie führte mich auf ziemlich steilen Pfaden
zu einem engen Wiesengrund, durch welchen sich eine klare Quelle bald
stürzte, bald ruhig laufend schlängelte. Da zeigte sie mir eine
erhöhte Fläche, hieß mich das Kästchen niedersetzen und sagte: "Lebe
wohl: du findest den Weg gar leicht zurück; gedenke mein, ich hoffe,
dich wiederzusehen."

In diesem Augenblick war mir's, als wenn ich sie nicht verlassen
könnte. Sie hatte gerade wieder ihren schönen Tag oder, wenn ihr
wollt, ihre schöne Stunde. Mit einem so lieblichen Wesen allein, auf
grüner Matte, zwischen Gras und Blumen, von Felsen beschränkt, von
Wasser umrauscht, welches Herz wäre da wohl fühllos geblieben! Ich
wollte sie bei der Hand fassen, sie umarmen, aber sie stieß mich
zurück und bedrohte mich, obwohl noch immer liebreich genug, mit
großer Gefahr, wenn ich mich nicht sogleich entfernte.

"Ist denn gar keine Möglichkeit", rief ich aus, "daß ich bei dir
bleibe, daß du mich bei dir behalten könntest?" Ich begleitete diese
Worte mit so jämmerlichen Gebärden und Tönen, daß sie gerührt schien
und nach einigem Bedenken mir gestand, eine Fortdauer unserer
Verbindung sei nicht ganz unmöglich. Wer war glücklicher als ich!
Meine Zudringlichkeit, die immer lebhafter ward, nötigte sie endlich,
mit der Sprache herauszurücken und mir zu entdecken, daß, wenn ich
mich entschlösse, mit ihr so klein zu werden, als ich sie schon
gesehen, so könnte ich auch jetzt bei ihr bleiben, in ihre Wohnung,
in ihr Reich, zu ihrer Familie mit übertreten. Dieser Vorschlag
gefiel mir nicht ganz, doch konnte ich mich einmal in diesem
Augenblick nicht von ihr losreißen, und ans Wunderbare seit geraumer
Zeit schon gewöhnt, zu raschen Entschlüssen aufgelegt, schlug ich ein
und sagte, sie möchte mit mir machen, was sie wolle.

Sogleich mußte ich den kleinen Finger meiner rechten Hand
ausstrecken, sie stützte den ihrigen dagegen, zog mit der linken Hand
den goldnen Ring ganz leise sich ab und ließ ihn herüber an meinen
Finger laufen. Kaum war dies geschehen, so fühlte ich einen
gewaltigen Schmerz am Finger, der Ring zog sich zusammen und folterte
mich entsetzlich. Ich tat einen gewaltigen Schrei und griff
unwillkürlich um mich her nach meiner Schönen, die aber verschwunden
war. Wie mir indessen zumute gewesen, dafür wüßte ich keinen Ausdruck
zu finden, auch bleibt mir nichts übrig zu sagen, als daß ich mich
sehr bald in kleiner, niedriger Person neben meiner Schönen in einem
Walde von Grashalmen befand. Die Freude des Wiedersehens nach einer
kurzen und doch so seltsamen Trennung, oder, wenn ihr wollt, einer
Wiedervereinigung ohne Trennung, übersteigt alle Begriffe. Ich fiel
ihr um den Hals, sie erwiderte meine Liebkosungen, und das kleine
Paar fühlte sich so glücklich als das große.

Mit einiger Unbequemlichkeit stiegen wir nunmehr an einem Hügel
hinauf; denn die Matte war für uns beinah ein undurchdringlicher Wald
geworden. Doch gelangten wir endlich auf eine Blöße, und wie
erstaunt war ich, dort eine große, geregelte Masse zu sehen, die ich
doch bald für das Kästchen, in dem Zustand, wie ich es hingesetzt
hatte, wieder erkennen mußte.

"Gehe hin, mein Freund, und klopfe mit dem Ringe nur an, du wirst
Wunder sehen", sagte meine Geliebte. Ich trat hinzu und hatte kaum
angepocht, so erlebte ich wirklich das größte Wunder. Zwei
Seitenflügel bewegten sich hervor, und zugleich fielen wie Schuppen
und Späne verschiedene Teile herunter, da mir denn Türen, Fenster,
Säulengänge und alles, was zu einem vollständigen Palaste gehört, auf
einmal zu Gesichte kamen.

Wer einen künstlichen Schreibtisch von Röntgen gesehen hat, wo mit
einem Zug viele Federn und Ressorts in Bewegung kommen, Pult und
Schreibzeug, Brief--und Geldfächer sich auf einmal oder kurz
nacheinander entwickeln, der wird sich eine Vorstellung machen können,
wie sich jener Palast entfaltete, in welchen mich meine süße
Begleiterin nunmehr hineinzog. In dem Hauptsaal erkannte ich sogleich
das Kamin, das ich ehemals von oben gesehen, und den Sessel, worauf
sie gesessen. Und als ich über mich blickte, glaubte ich wirklich
noch etwas von dem Sprunge in der Kuppel zu bemerken, durch den ich
hereingeschaut hatte. Ich verschone euch mit Beschreibung des
übrigen; genug, alles war geräumig, köstlich und geschmackvoll. Kaum
hatte ich mich von meiner Verwunderung erholt, als ich von fern eine
militärische Musik vernahm. Meine schöne Hälfte sprang vor Freuden
auf und verkündigte mir mit Entzücken die Ankunft ihres Herrn Vaters.
Hier traten wir unter die Türe und schauten, wie aus einer
ansehnlichen Felskluft ein glänzender Zug sich bewegte. Soldaten,
Bediente, Hausoffizianten und ein glänzender Hofstaat folgten
hintereinander. Endlich erblickte man ein goldnes Gedränge und in
demselben den König selbst. Als der ganze Zug vor dem Palast
aufgestellt war, trat der König mit seiner nächsten Umgebung heran.
Seine zärtliche Tochter eilte ihm entgegen, sie riß mich mit sich
fort, wir warfen uns ihm zu Füßen, er hob mich sehr gnädig auf, und
als ich vor ihn zu stehen kam, bemerkte ich erst, daß ich freilich in
dieser kleinen Welt die ansehnlichste Statur hatte. Wir gingen
zusammen nach dem Palaste, da mich der König in Gegenwart seines
ganzen Hofes mit einer wohlstudierten Rede, worin er seine
überraschung, uns hier zu finden, ausdrückte, zu bewillkommnen
geruhte, mich als seinen Schwiegersohn erkannte und die
Trauungszeremonie auf morgen ansetzte.

Wie schrecklich ward mir auf einmal zumute, als ich von Heirat reden
hörte: denn ich fürchtete mich bisher davor fast mehr als vor der
Musik selbst, die mir doch sonst das Verhaßteste auf Erden schien.
Diejenigen, die Musik machen, pflegte ich zu sagen, stehen doch
wenigstens in der Einbildung, untereinander einig zu sein und in
übereinstimmung zu wirken: denn wenn sie lange genug gestimmt und uns
die Ohren mit allerlei Mißtönen zerrissen haben, so glauben sie steif
und fest, die Sache sei nunmehr aufs reine gebracht und ein Instrument
passe genau zum andern. Der Kapellmeister selbst ist in diesem
glücklichen Wahn, und nun geht es freudig los, unterdes uns andern
immerfort die Ohren gellen. Bei dem Ehestand hingegen ist dies nicht
einmal der Fall: denn ob er gleich nur ein Duett ist und man doch
denken sollte, zwei Stimmen, ja zwei Instrumente müßten einigermaßen
überein gestimmt werden können, so trifft es doch selten zu; denn
wenn der Mann einen Ton angibt, so nimmt ihn die Frau gleich höher
und der Mann wieder höher; da geht es denn aus dem Kammer--in den
Chorton und immer so weiter hinauf, daß zuletzt die blasenden
Instrumente selbst nicht folgen können. Und also, da mir die
harmonische Musik zuwider bleibt, so ist mir noch weniger zu
verdenken, daß ich die disharmonische gar nicht leiden kann.

Von allen Festlichkeiten, worunter der Tag hinging, mag und kann ich
nicht erzählen: denn ich achtete gar wenig darauf. Das kostbare
Essen, der köstliche Wein, nichts wollte mir schmecken. Ich sann und
überlegte, was ich zu tun hätte. Doch da war nicht viel auszusinnen.
Ich entschloß mich, als es Nacht wurde, kurz und gut, auf und davon
zu gehen und mich irgendwo zu verbergen. Auch gelangte ich glücklich
zu einer Steinritze, in die ich mich hineinzwängte und so gut als
möglich verbarg. Mein erstes Bemühen darauf war, den unglücklichen
Ring vom Finger zu schaffen, welches jedoch mir keineswegs gelingen
wollte, vielmehr mußte ich fühlen, daß er immer enger ward, sobald
ich ihn abzuziehen gedachte, worüber ich heftige Schmerzen litt, die
aber sogleich nachließen, sobald ich von meinem Vorhaben abstand.

Frühmorgens wach' ich auf--denn meine kleine Person hatte sehr gut
geschlafen--und wollte mich eben weiter umsehen, als es über mir wie
zu regnen anfing. Es fiel nämlich durch Gras, Blätter und Blumen wie
Sand und Grus in Menge herunter; allein wie entsetzte ich mich, als
alles um mich her lebendig ward und ein unendliches Ameisenheer über
mich niederstürzte. Kaum wurden sie mich gewahr, als sie mich von
allen Seiten angriffen und, ob ich mich gleich wacker und mutig genug
verteidigte, doch zuletzt auf solche Weise zudeckten, kneipten und
peinigten, daß ich froh war, als ich mir zurufen hörte, ich solle mich
ergeben. Ich ergab mich wirklich und gleich, worauf denn eine Ameise
von ansehnlicher Statur sich mit Höflichkeit, ja mit Ehrfurcht
näherte und sich sogar meiner Gunst empfahl. Ich vernahm, daß die
Ameisen Alliierte meines Schwiegervaters geworden und daß er sie im
gegenwärtigen Fall aufgerufen und verpflichtet, mich herbeizuschaffen.
Nun war ich Kleiner in den Händen von noch Kleinern. Ich sah der
Trauung entgegen und mußte noch Gott danken, wenn mein Schwiegervater
nicht zürnte, wenn meine Schöne nicht verdrießlich geworden.

Laßt mich nun von allen Zeremonien schweigen; genug, wir waren
verheiratet. So lustig und munter es jedoch bei uns herging, so
fanden sich dessenungeachtet einsame Stunden, in denen man zum
Nachdenken verleitet wird, und mir begegnete, was mir noch niemals
begegnet war; was aber und wie, das sollt ihr vernehmen.

Alles um mich her war meiner gegenwärtigen Gestalt und meinen
Bedürfnissen völlig gemäß, die Flaschen und Becher, einem kleinen
Trinker wohl proportioniert, ja, wenn man will, verhältnismäßig
besseres Maß als bei uns. Meinem kleinen Gaumen schmeckten die
zarten Bissen vortrefflich, ein Kuß von dem Mündchen meiner Gattin war
gar zu reizend, und ich leugne nicht, die Neuheit machte mir alle
diese Verhältnisse höchst angenehm. Dabei hatte ich jedoch leider
meinen vorigen Zustand nicht vergessen. Ich empfand in mir einen
Maßstab voriger Größe, welches mich unruhig und unglücklich machte.
Nun begriff ich zum erstenmal, was die Philosophen unter ihren Idealen
verstehen möchten, wodurch die Menschen so gequält sein sollen. Ich
hatte ein Ideal von mir selbst und erschien mir manchmal im Traum wie
ein Riese. Genug, die Frau, der Ring, die Zwergenfigur, so viele
andere Bande machten mich ganz und gar unglücklich, daß ich auf meine
Befreiung im Ernst zu denken begann.

Weil ich überzeugt war, daß der ganze Zauber in dem Ring verborgen
liege, so beschloß ich, ihn abzuteilen. Ich entwendete deshalb dem
Hofjuwelier einige Feilen. Glücklicherweise war ich links, und ich
hatte in meinem Leben niemals etwas rechts gemacht. Ich hielt mich
tapfer an die Arbeit; sie war nicht gering: denn das goldne Reifchen,
so dünn es aussah, war in dem Verhältnis dichter geworden, als es
sich aus seiner ersten Größe zusammengezogen hatte. Alle freien
Stunden wendete ich unbeobachtet an dieses Geschäft und war klug
genug, als das Metall bald durchgefeilt war, vor die Tür zu treten.
Das war mir geraten: denn auf einmal sprang der goldne Reif mit Gewalt
vom Finger, und meine Figur schoß mit solcher Heftigkeit in die Höhe,
daß ich wirklich an den Himmel zu stoßen glaubte und auf alle Fälle
die Kuppel unseres Sommerpalastes durchgestoßen, ja das ganze
Sommergebäude durch meine frische Unbehülflichkeit zerstört haben
würde.

Da stand ich nun wieder, freilich um so vieles größer, allein, wie
mir vorkam, auch um vieles dümmer und unbehülflicher. Und als ich
mich aus meiner Betäubung erholt, sah ich die Schatulle neben mir
stehen, die ich ziemlich schwer fand, als ich sie aufhob und den
Fußpfad hinunter nach der Station trug, wo ich denn gleich einspannen
und fortfahren ließ. Unterwegs machte ich sogleich den Versuch, mit
den Täschchen an beiden Seiten. An der Stelle des Geldes, welches
ausgegangen schien, fand ich ein Schlüsselchen; es gehörte zur
Schatulle, in welcher ich einen ziemlichen Ersatz fand. Solange das
vorhielt, bediente ich mich des Wagens; nachher wurde dieser verkauft,
um mich auf dem Postwagen fortzubringen. Die Schatulle schlug ich
zuletzt los, weil ich immer dachte, sie sollte sich noch einmal füllen,
und so kam ich denn endlich, obgleich durch einen ziemlichen Umweg,
wieder an den Herd zur Köchin, wo ihr mich zuerst habt kennen lernen.





Siebentes Kapitel


Hersilie an Wilhelm

Bekanntschaften, wenn sie sich auch gleichgültig ankündigen, haben
oft die wichtigsten Folgen, und nun gar die Ihrige, die gleich von
Anfang nicht gleichgültig war. Der wunderliche Schlüssel kam in
meine Hände als ein seltsames Pfand; nun besitze ich das Kästchen
auch. Schlüssel und Kästchen, was sagen Sie dazu? Was soll man dazu
sagen? Hören Sie, wie's zuging:

Ein junger, feiner Mann läßt sich bei meinem Oheim melden und
erzählt, daß der kuriose Antiquitätenkrämer, der mit Ihnen lange in
Verbindung gestanden, vor kurzem gestorben sei und ihm die ganze
merkwürdige Verlassenschaft übertragen, zugleich aber zur Pflicht
gemacht habe, alles fremde Eigentum, was eigentlich nur deponiert sei,
unverzüglich zurückzugeben. Eignes Gut beunruhige niemanden, denn
man habe den Verlust allein zu ertragen; fremdes Gut jedoch zu
bewahren, habe er sich nur in besondern Fällen erlaubt, ihm wolle er
diese Last nicht aufbürden, ja er verbiete ihm, in väterlicher Liebe
und Autorität, sich damit zu befassen. Und hiermit zog er das
Kästchen hervor, das, wenn ich es schon aus der Beschreibung kannte,
mir doch ganz vorzüglich in die Augen fiel.

Der Oheim, nachdem er es von allen Seiten besehen, gab es zurück und
sagte: Auch er habe es sich zur Pflicht gemacht, in gleichem Sinne zu
handeln und sich mit keiner Antiquität, sie sei auch noch so schön
und wunderbar, zu belasten, wenn er nicht wisse, wem sie früher
angehört und was für eine historische Merkwürdigkeit damit zu
verknüpfen sei. Nun zeige dieses Kästchen weder Buchstaben noch
Ziffer, weder Jahreszahl noch sonst eine Andeutung, woraus man den
frühern Besitzer oder Künstler erraten könne, es sei ihm also völlig
unnütz und ohne Interesse.

Der junge Mann stand in großer Verlegenheit und fragte nach einigem
Besinnen, ob er nicht erlauben wolle, solches bei seinen Gerichten
niederzulegen? Der Oheim lächelte, wandte sich zu mir und sprach:
"Das wär' ein hübsches Geschäft für dich, Hersilie; du hast ja auch
allerlei Schmuck und zierliche Kostbarkeiten, leg' es dazu; denn ich
wollte wetten, der Freund, der dir nicht gleichgültig blieb, kommt
gelegentlich wieder und holt es ab."

Das muß ich nun so hinschreiben, wenn ich treu erzählen will, und
sodann muß ich bekennen, ich sah das Kästchen mit neidischen Augen an,
und eine gewisse Habsucht bemächtigte sich meiner. Mir widerte, das
herrliche, dem holden Felix vom Schicksal zugedachte Schatzkästlein
in dem alt-eisernen, verrosteten Depositenkasten der Gerichtsstube zu
wissen. Wünschelrutenartig zog sich die Hand darnach, mein bißchen
Vernunft hielt sie zurück; ich hatte ja den Schlüssel, das durfte ich
nicht entdecken; und sollte ich mir die Qual antun, das Schloß
uneröffnet zu lassen, oder mich der unbefugten Kühnheit hingeben, es
aufzuschließen? Allein ich weiß nicht, war es Wunsch oder Ahnung, ich
stellte mir vor, Sie kämen, kämen bald, wären schon da, wenn ich auf
mein Zimmer träte; genug, es war mir so wunderlich, so seltsam, so
konfus, wie es mir immer geht, wenn ich aus meiner gleichmütigen
Heiterkeit herausgenötigt werde. Ich sage nichts weiter, beschreibe
nicht, entschuldige nicht; genug, hier liegt das Kästchen vor mir in
meiner Schatulle, der Schlüssel daneben, und wenn Sie eine Art von
Herz und Gemüt haben, so denken Sie, wie mir zumute ist, wie viele
Leidenschaften sich in mir herumkämpfen, wie ich Sie herwünsche, auch
wohl Felix dazu, daß es ein Ende werde, wenigstens daß eine Deutung
vorgehe, was damit gemeint sei, mit diesem wunderbaren Finden,
Wiederfinden, Trennen und Vereinigen; und sollte ich auch nicht aus
aller Verlegenheit gerettet werden, so wünsche ich wenigstens
sehnlichste daß diese sich aufkläre, sich endige, wenn mir auch, wie
ich fürchte, etwas Schlimmeres begegnen sollte.





Achtes Kapitel

Unter den Papieren, die uns zur Redaktion vorliegen, finden wir
einen Schwank, den wir ohne weitere Vorbereitung hier einschalten,
weil unsre Angelegenheiten immer ernsthafter werden und wir für
dergleichen Unregelmäßigkeiten fernerhin keine Stelle finden möchten.

Im ganzen möchte diese Erzählung dem Leser nicht unangenehm sein,
wie sie St. Christoph am heitern Abend einem Kreise versammelter
lustiger Gesellen vortrug. Die gefährliche Wette

Es ist bekannt, daß die Menschen, sobald es ihnen einigermaßen wohl
und nach ihrem Sinne geht, alsobald nicht wissen, was sie vor übermut
anfangen sollen; und so hatten denn auch mutwillige Studenten die
Gewohnheit, während der Ferien scharenweis das Land zu durchziehen
und nach ihrer Art Suiten zu reißen, welche freilich nicht immer die
besten Folgen hatten. Sie waren gar verschiedener Art, wie sie das
Burschenleben zusammenführt und bindet. Ungleich von Geburt und
Wohlhabenheit, Geist und Bildung, aber alle gesellig in einem heitern
Sinne miteinander sich fortbewegend und treibend. Mich aber wählten
sie oft zum Gesellen: denn wenn ich schwerere Lasten trug als einer
von ihnen, so mußten sie mir denn auch den Ehrentitel eines großen
Suitiers erteilen, und zwar hauptsächlich deshalb, weil ich seltener,
aber desto kräftiger meine Possen trieb, wovon denn folgendes ein
Zeugnis geben mag.

Wir hatten auf unseren Wanderungen ein angenehmes Bergdorf erreicht,
das bei einer abgeschiedenen Lage den Vorteil einer Poststation und
in großer Einsamkeit ein paar hübsche Mädchen zu Bewohnerinnen hatte.
Man wollte ausruhen, die Zeit verschleudern, verliebeln, eine Weile
wohlfeiler leben und deshalb desto mehr Geld vergeuden.

Es war gerade nach Tisch, als einige sich im erhöhten, andere im
erniedrigten Zustand befanden. Die einen lagen und schliefen ihren
Rausch aus; die andern hätten ihn gern auf irgendeine mutwillige
Weise ausgelassen. Wir hatten ein paar große Zimmer im Seitenflügel
nach dem Hof zu. Eine schöne Equipage, die mit vier Pferden
hereinrasselte, zog uns an die Fenster. Die Bedienten sprangen vom
Bock und halfen einem Herrn von stattlichem, vornehmem Ansehen heraus,
der ungeachtet seiner Jahre noch rüstig genug auftrat. Seine große,
wohlgebildete Nase fiel mir zuerst ins Gesicht, und ich weiß nicht,
was für ein böser Geist mich anhauchte, so daß ich in einem
Augenblick den tollsten Plan erfand und ihn, ohne weiter zu denken,
sogleich auszuführen begann.

"Was dünkt euch von diesem Herrn?" fragte ich die Gesellschaft.--"Er
sieht aus", versetzte der eine, "als ob er nicht mit sich spaßen
lasse." --"Ja, ja", sagte der andre, "er hat ganz das Ansehen so
eines vornehmen Rührmichnichtan."--"Und dessenungeachtet", erwiderte
ich ganz getrost, "was wettet ihr, ich will ihn bei der Nase zupfen,
ohne daß mir deshalb etwas übles widerfahre; ja ich will mir sogar
dadurch einen gnädigen Herrn an ihm verdienen."

"Wenn du es leistest", sagte Raufbold, "so zahlt dir jeder einen
Louisdor." --"Kassieren Sie das Geld für mich ein", rief ich aus;
"auf Sie verlasse ich mich."--"Ich möchte lieber einem Löwen ein Haar
von der Schnauze raufen", sagte der Kleine.--"Ich habe keine Zeit zu
verlieren", versetzte ich und sprang die Treppe hinunter.

Bei dem ersten Anblick des Fremden hatte ich bemerkt, daß er einen
sehr starken Bart hatte, und vermutete, daß keiner von seinen Leuten
rasieren könne. Nun begegnete ich dem Kellner und fragte: "Hat der
Fremde nicht nach einem Barbier gefragt?"-- "Freilich!" versetzte der
Kellner, "und es ist eine rechte Not. Der Kammerdiener des Herrn ist
schon zwei Tage zurückgeblieben. Der Herr will seinen Bart absolut
los sein, und unser einziger Barbier, wer weiß, wo er in die
Nachbarschaft hingegangen."

"So meldet mich an", versetzte ich; "führt mich als Bartscherer bei
dem Herrn nur ein, und Ihr werdet Ehre mit mir einlegen." Ich nahm
das Rasierzeug, das ich im Hause fand, und folgte dem Kellner.

Der alte Herr empfing mich mit großer Gravität, besah mich von oben
bis unten, als ob er meine Geschicklichkeit aus mir
herausphysiognomieren wollte. "Versteht Er Sein Handwerk?" sagte er
zu mir.

"Ich suche meinesgleichen", versetzte ich, "ohne mich zu rühmen."
Auch war ich meiner Sache gewiß: denn ich hatte früh die edle Kunst
getrieben und war besonders deswegen berühmt, weil ich mit der linken
Hand rasierte.

Das Zimmer, in welchem der Herr seine Toilette machte, ging nach dem
Hof und war gerade so gelegen, daß unsere Freunde füglich hereinsehen
konnten, besonders wenn die Fenster offen waren. An gehöriger
Vorrichtung fehlte nichts mehr. Der Patron hatte sich gesetzt und das
Tuch vorgenommen. Ich trat ganz bescheidentlich vor ihn hin und
sagte: "Exzellenz! mir ist bei Ausübung meiner Kunst das Besondere
vorgekommen, daß ich die gemeinen Leute besser und zu mehrerer
Zufriedenheit rasiert habe als die Vornehmen. Darüber habe ich denn
lange nachgedacht und die Ursache bald da, bald dort gesucht, endlich
aber gefunden, daß ich meine Sache in freier Luft viel besser mache
als in verschlossenen Zimmern. Wollten Ew. Exzellenz deshalb
erlauben, daß ich die Fenster aufmache, so würden Sie den Effekt zu
eigener Zufriedenheit gar bald empfinden." Er gab es zu, ich öffnete
das Fenster, gab meinen Freunden einen Wink und fing an, den starken
Bart mit großer Anmut einzuseifen. Ebenso behend und leicht strich
ich das Stoppelfeld vom Boden weg, wobei ich nicht versäumte, als es
an die Oberlippe kam, meinen Gönner bei der Nase zu fassen und sie
merklich herüber und hinüber zu biegen, wobei ich mich so zu stellen
wußte, daß die Wettenden zu ihrem größten Vergnügen erkennen und
bekennen mußten, ihre Seite habe verloren.

Sehr stattlich bewegte sich der alte Herr gegen den Spiegel: man sah,
daß er sich mit einiger Gefälligkeit betrachtete, und wirklich, es
war ein sehr schöner Mann. Dann wendete er sich zu mir mit einem
feurigen, schwarzen, aber freundlichen Blick und sagte: "Er verdient,
mein Freund, vor vielen seinesgleichen gelobt zu werden, denn ich
bemerke an Ihm weit weniger Unarten als an andern. So fährt Er nicht
zwei-, dreimal über dieselbige Stelle, sondern es ist mit einem
Strich getan; auch streicht Er nicht, wie mehrere tun, sein
Schermesser in der flachen Hand ab und führt den Unrat nicht der
Person über die Nase. Besonders aber ist Seine Geschicklichkeit der
linken Hand zu bewundern. Hier ist etwas für Seine Mühe", fuhr er
fort, indem er mir einen Gulden reichte. "Nur eines merk' Er sich:
daß man Leute von Stande nicht bei der Nase faßt. Wird Er diese
bäurische Sitte künftig vermeiden, so kann Er wohl noch in der Welt
sein Glück machen."

Ich verneigte mich tief, versprach alles mögliche, bat ihn, bei
allenfallsiger Rückkehr mich wieder zu beehren, und eilte, was ich
konnte, zu unseren jungen Gesellen, die mir zuletzt ziemlich Angst
gemacht hatten. Denn sie verführten ein solches Gelächter und ein
solches Geschrei, sprangen wie toll in der Stube herum, klatschten
und riefen, weckten die Schlafenden und erzählten die Begebenheit
immer mit neuem Lachen und Toben, daß ich selbst, als ich ins Zimmer
trat, die Fenster vor allen Dingen zumachte und sie um Gottes willen
bat, ruhig zu sein, endlich aber mitlachen mußte über das Aussehen
einer närrischen Handlung, die ich mit so vielem Ernste durchgeführt
hatte.

Als nach einiger Zeit sich die tobenden Wellen des Lachens
einigermaßen gelegt hatten, hielt ich mich für glücklich; die
Goldstücke hatte ich in der Tasche und den wohlverdienten Gulden dazu,
und ich hielt mich für ganz wohl ausgestattet, welches mir um so
erwünschter war, als die Gesellschaft beschlossen hatte, des andern
Tages auseinanderzugehen. Aber uns war nicht bestimmt, mit Zucht und
Ordnung zu scheiden. Die Geschichte war zu reizend, als daß man sie
hätte bei sich behalten können, so sehr ich auch gebeten und
beschworen hatte, nur bis zur Abreise des alten Herrn reinen Mund zu
halten. Einer bei uns, der Fahrige genannt, hatte ein
Liebesverständnis mit der Tochter des Hauses. Sie kamen zusammen, und
Gott weiß, ob er sie nicht besser zu unterhalten wußte, genug, er
erzählt ihr den Spaß, und so wollten sie sich nun zusammen totlachen.
Dabei blieb es nicht, sondern das Mädchen brachte die Märe lachend
weiter, und so mochte sie endlich noch kurz vor Schlafengehen an den
alten Herrn gelangen.

Wir saßen ruhiger als sonst: denn es war den Tag über genug getobt
worden, als auf einmal der kleine Kellner, der uns sehr zugetan war,
hereinsprang und rief: "Rettet euch, man wird euch totschlagen!" Wir
fuhren auf und wollten mehr wissen; er aber war schon zur Türe wieder
hinaus. Ich sprang auf und schob den Nachtriegel vor; schon aber
hörten wir an der Türe pochen und schlagen, ja wir glaubten zu hören,
daß sie durch eine Axt gespalten werde. Maschinenmäßig zogen wir uns
ins zweite Zimmer zurück, alle waren verstummt: "Wir sind verraten",
rief ich aus, "der Teufel hat uns bei der Nase!"

Raufbold griff nach seinem Degen, ich zeigte hier abermals meine
Riesenkraft und schob ohne Beihülfe eine schwere Kommode vor die Türe,
die glücklicherweise hereinwärts ging. Doch hörten wir schon das
Gepolter im Vorzimmer und die heftigsten Schläge an unsere Türe.

Raufbold schien entschieden, sich zu verteidigen, wiederholt aber
rief ich ihm und den übrigen zu: "Rettet euch! hier sind Schläge zu
fürchten nicht allein, aber Beschimpfung, das Schlimmere für den
Edelgebornen." Das Mädchen stürzte herein, dieselbe, die uns
verraten hatte, nun verzweifelnd, ihren Liebhaber in Todesgefahr zu
wissen. "Fort, fort!" rief sie und faßte ihn an; "fort, fort! ich
bring' euch über Böden, Scheunen und Gänge. Kommt alle, der letzte
zieht die Leiter nach."

Alles stürzte nun zur Hintertüre hinaus; ich hob noch einen Koffer
auf die Kiste, um die schon hereinbrechenden Füllungen der belagerten
Türe zurückzuschieben und festzuhalten. Aber meine Beharrlichkeit,
mein Trutz wollte mir verderblich werden.

Als ich den übrigen nachzueilen rannte, fand ich die Leiter schon
aufgezogen und sah alle Hoffnung, mich zu retten, gänzlich versperrt.
Da steh' ich nun, ich, der eigentliche Verbrecher, der ich mit
heiler Haut, mit ganzen Knochen zu entrinnen schon aufgab. Und wer
weiß--doch laßt mich immer dort in Gedanken stehen, da ich jetzt hier
gegenwärtig euch das Märchen vorerzählen kann. Nur vernehmt noch, daß
diese verwegene Suite sich in schlechte Folgen verlor.

Der alte Herr, tief gekränkt von Verhöhnung ohne Rache, zog sich's
zu Gemüte, und man behauptet, dieses Ereignis habe seinen Tod zur
Folge gehabt, wo nicht unmittelbar, doch mitwirkend. Sein Sohn, den
Tätern auf die Spur zu gelangen trachtend, erfuhr unglücklicherweise
die Teilnahme Raufbolds, und erst nach Jahren hierüber ganz klar,
forderte er diesen heraus, und eine Wunde, ihn, den schönen Mann,
entstellend, ward ärgerlich für das ganze Leben. Auch seinem Gegner
verdarb dieser Handel einige schöne Jahre, durch zufällig sich
anschließende Ereignisse.

Da nun jede Fabel eigentlich etwas lehren soll, so ist euch allen,
wohin die gegenwärtige gemeint sei, wohl überklar und deutlich.





Neuntes Kapitel

Der höchst bedeutende Tag war angebrochen, heute sollten die ersten
Schritte zur allgemeinen Fortwanderung eingeleitet werden, heut
sollte sich's entscheiden, wer denn wirklich in die Welt hinaus gehen,
oder wer lieber diesseits, auf dem zusammenhängenden Boden der alten
Erde, verweilen und sein Glück versuchen wolle.

Ein munteres Lied erscholl in allen Straßen des heitern Fleckens;
Massen taten sich zusammen, die einzelnen Glieder eines jeden
Handwerks schlossen sich aneinander an, und so zogen sie, unter
einstimmigem Gesang, nach einer durch das Los entschiedenen Ordnung in
den Saal.

Die Vorgesetzten, wie wir Lenardo, Friedrichen und den Amtmann
bezeichnen wollen, waren eben im Begriff, ihnen zu folgen und den
gebührenden Platz einzunehmen, als ein Mann von einnehmendem Wesen zu
ihnen trat und sich die Erlaubnis ausbat, an der Versammlung
teilnehmen zu können. Ihm wäre nichts abzuschlagen gewesen, so
gesittet, zuvorkommend und freundlich war sein Betragen, wodurch eine
imposante Gestalt, welche sowohl nach der Armee als dem Hofe und dem
geselligen Leben hindeutete, sich höchst anmutig erwies. Er trat mit
den übrigen hinein, man überließ ihm einen Ehrenplatz; alle hatten
sich gesetzt, Lenardo blieb stehen und fing folgendermaßen zu reden
an:

"Betrachten wir, meine Freunde, des festen Landes bewohnteste
Provinzen und Reiche, so finden wir überall, wo sich nutzbarer Boden
hervortut, denselben bebaut, bepflanzt, geregelt, verschönt und in
gleichem Verhältnis gewünscht, in Besitz genommen, befestigt und
verteidigt. Da überzeugen wir uns denn von dem hohen Wert des
Grundbesitzes und sind genötigt, ihn als das Erste, das Beste
anzusehen, was dem Menschen werden könne. Finden wir nun, bei
näherer Ansicht, Eltern--und Kinderliebe, innige Verbindung der
Flur--und Stadtgenossen, somit auch das allgemeine patriotische
Gefühl unmittelbar auf den Boden gegründet, dann erscheint uns jenes
Ergreifen und Behaupten des Raums, im großen und kleinen, immer
bedeutender und ehrwürdiger. Ja, so hat es die Natur gewollt! Ein
Mensch, auf der Scholle geboren, wird ihr durch Gewohnheit angehörig,
beide verwachsen miteinander, und sogleich knüpfen sich die schönsten
Bande. Wer möchte denn wohl die Grundfeste alles Daseins widerwärtig
berühren, Wert und Würde so schöner, einziger Himmelsgabe verkennen?

Und doch darf man sagen: Wenn das, was der Mensch besitzt, von
großem Wert ist, so muß man demjenigen, was er tut und leistet, noch
einen größern zuschreiben. Wir mögen daher bei völligem überschauen
den Grundbesitz als einen kleineren Teil der uns verliehenen Güter
betrachten. Die meisten und höchsten derselben bestehen aber
eigentlich im Beweglichen und in demjenigen, was durchs bewegte Leben
gewonnen wird.

Hiernach uns umzusehen, werden wir Jüngeren besonders genötigt; denn
hätten wir auch die Lust, zu bleiben und zu verharren, von unsern
Vätern geerbt, so finden wir uns doch tausendfältig aufgefordert, die
Augen vor weiterer Aus--und Umsicht keineswegs zu verschließen.
Eilen wir deshalb schnell ans Meeresufer und überzeugen uns mit einem
Blick, welch unermeßliche Räume der Tätigkeit offenstehen, und
bekennen wir schon bei dem bloßen Gedanken uns ganz anders aufgeregt.

Doch in solche grenzenlose Weiten wollen wir uns nicht verlieren,
sondern unsere Aufmerksamkeit dem zusammenhängenden, weiten, breiten
Boden so mancher Länder und Reiche zuwenden. Dort sehen wir große
Strecken des Landes von Nomaden durchzogen, deren Städte beweglich,
deren lebendignährender Herdenbesitz überall hinzuleiten ist. Wir
sehen sie inmitten der Wüste, auf großen grünen Weideplätzen, wie in
erwünschten Häfen vor Anker liegen. Solche Bewegung, solches Wandern
wird ihnen zur Gewohnheit, zum Bedürfnis; endlich betrachten sie die
Oberfläche der Welt, als wäre sie nicht durch Berge gedämmt, nicht
von Flüssen durchzogen. Haben wir doch den Nordosten gesehen sich
gegen Südwesten bewegen, ein Volk das andere vor sich hertreiben,
Herrschaft und Grundbesitz durchaus verändert.

Von übervölkerten Gegenden her wird sich ebendasselbe in dem großen
Weltlauf noch mehrmals ereignen. Was wir von Fremden zu erwarten
haben, wäre schwer zu sagen; wundersam aber ist es, daß durch eigene
übervölkerung wir uns einander innerlich drängen und, ohne erst
abzuwarten, daß wir vertrieben werden, uns selbst vertreiben, das
Urteil der Verbannung gegen einander selbst aussprechend.

Hier ist nun Zeit und Ort, ohne Verdruß und Mißmut in unserm Busen
einer gewissen Beweglichkeit Raum zu geben, die ungeduldige Lust
nicht zu unterdrücken, die uns antreibt, Platz und Ort zu verändern.
Doch was wir auch sinnen und vorhaben, geschehe nicht aus
Leidenschaft, noch aus irgendeiner andern Nötigung, sondern aus einer
dem besten Rat entsprechenden überzeugung.

Man hat gesagt und wiederholt: "Wo mir's wohl geht, ist mein
Vaterland!"; doch wäre dieser tröstliche Spruch noch besser
ausgedrückt, wenn es hieße: "Wo ich nütze, ist mein Vaterland!" Zu
Hause kann einer unnütz sein, ohne daß es eben sogleich bemerkt wird;
außen in der Welt ist der Unnütze gar bald offenbar. Wenn ich nun
sage: "Trachte jeder, überall sich und andern zu nutzen!", so ist dies
nicht etwa Lehre noch Rat, sondern der Ausspruch des Lebens selbst.

Nun beschaue man den Erdball und lasse das Meer vorerst unbeachtet,
man lasse sich von dem Schiffsgewimmel nicht mit fortreißen und hefte
den Blick auf das feste Land und staune, wie es mit einem sich
wimmelnd durchkreuzenden Ameisengeschlecht übergossen ist. Hiezu hat
Gott der Herr selbst Anlaß gegeben, indem er, den babylonischen
Turmbau verhindernd, das Menschengeschlecht in alle Welt zerstreute.
Lasset uns ihn darum preisen, denn dieser Segen ist auf alle
Geschlechter übergegangen.

Bemerket nun mit Heiterkeit, wie sich alle Jugend sogleich in
Bewegung setzt. Da ihr der Unterricht weder im Hause noch an der
Türe geboten wird, eilt sie alsobald nach Ländern und Städten, wohin
sie der Ruf des Wissens und der Weisheit verlockt; nach empfangener
schneller, mäßiger Bildung fühlt sie sich sogleich getrieben, weiter
in der Welt umherzuschauen, ob sie da oder dort irgendeine nutzbare
Erfahrung, zu ihren Zwecken behülflich, auffinden und erhaschen könne.
Mögen sie denn ihr Glück versuchen! wir aber gedenken sogleich
vollendeter, ausgezeichneter Männer, jener edlen Naturforscher, die
jeder Beschwerlichkeit, jeder Gefahr wissentlich entgegengehen, um der
Welt die Welt zu eröffnen und durch das Unwegsamste hindurch Pfad und
Bahn zu bereiten.

Sehet aber auch auf glatten Heerstraßen Staub auf Staub in langen
Wolkenzügen emporgeregt, die Spur bezeichnend bequemer, überpackter
Wägen, worin Vornehme, Reiche und so manche andere dahinrollen, deren
verschiedene Denkweise und Absicht Yorik uns gar zierlich
auseinandersetzt.

Möge nun aber der wackere Handwerker ihnen zu Fuße getrost
nachschauen, dem das Vaterland zur Pflicht machte, fremde
Geschicklichkeit sich anzueignen und nicht eher, als bis ihm dies
gelungen, an den väterlichen Herd zurückzukehren. Häufiger aber
begegnen wir auf unsern Wegen Marktenden und Handelnden; ein kleiner
Krämer sogar darf nicht versäumen, von Zeit zu Zeit seine Bude zu
verlassen, Messen und Märkte zu besuchen, um sich dem Großhändler zu
nähern und seinen kleinen Vorteil am Beispiel, an der Teilnahme des
Grenzenlosen zu steigern. Aber noch unruhiger durchkreuzt sich
einzeln, zu Pferde, auf allen Haupt--und Nebenstraßen die Menge derer,
die auf unsern Beutel auch gegen unser Wollen Anspruch zu machen
beflissen sind. Muster aller Art und Preisverzeichnisse verfolgen uns
in Stadt--und Landhäusern, und wohin wir uns auch flüchten mögen,
geschäftig überraschen sie uns, Gelegenheit bietend, welche selbst
aufzusuchen niemand in den Sinn gekommen wäre. Was soll ich aber nun
von dem Volke sagen, das den Segen des ewigen Wanderns vor allen
andern sich zueignet und durch seine bewegliche Tätigkeit die Ruhenden
zu überlisten und die Mitwandernden zu überschreiten versteht? Wir
dürfen weder Gutes noch Böses von ihnen sprechen; nichts Gutes, weil
sich unser Bund vor ihnen hütet, nichts Böses, weil der Wanderer
jeden Begegnenden freundlich zu behandeln, wechselseitigen Vorteils
eingedenk, verpflichtet ist.

Nun aber vor allen Dingen haben wir der sämtlichen Künstler mit
Teilnahme zu gedenken, denn sie sind auch durchaus in die
Weltbewegung mit verflochten. Wandert nicht der Maler mit Staffelei
und Palette von Gesicht zu Gesicht? und werden seine Kunstgenossen
nicht bald da-, bald dorthin berufen, weil überall zu bauen und zu
bilden ist? Lebhafter jedoch schreitet der Musiker daher, denn er
ist es eigentlich, der für ein neues Ohr neue überraschung, für einen
frischen Sinn frisches Erstaunen bereitet. Die Schauspieler sodann,
wenn sie gleich Thespis' Wagen verschmähen, ziehen doch noch immer in
kleineren Chören umher, und ihre bewegliche Welt ist an jeder Stelle
behend genug auferbaut. Ebenso verändern sie einzeln, sogar ernste,
vorteilhafte Verbindungen aufgebend, gern den Ort mit dem Orte, wozu
ein gesteigertes Talent mit zugleich gesteigertem Bedürfnis Anlaß und
Vorwand gibt. Hierzu bereiten sie sich gewöhnlich dadurch vor, daß
sie kein bedeutendes Brettergerüst des Vaterlandes unbestiegen lassen.


Hiernach werden wir sogleich gemahnt, auf den Lehrstand zu sehen;
diesen findet ihr gleichfalls in fortdauernder Bewegung, ein Katheder
um das andere wird betreten und verlassen, um den Samen eiliger
Bildung ja nach allen Seiten hin reichlich auszuspenden. Emsiger aber
und weiter ausgreifend sind jene frommen Seelen, die, das Heil den
Völkern zu bringen, sich durch alle Weltteile zerstreuen. Dagegen
pilgern andere, sich das Heil abzuholen; sie ziehen zu ganzen Scharen
nach geweihter, wundertätiger Stelle, dort zu suchen und zu empfangen,
was ihrem Innern zu Hause nicht verliehen ward.

Wenn uns nun diese sämtlich nicht in Verwunderung setzen, weil ihr
Tun und Lassen ohne Wandern meist nicht denkbar wäre, so sollten wir
diejenigen, die ihren Fleiß dem Boden widmen, doch wenigstens an
denselben gefesselt halten. Keineswegs! Auch ohne Besitz läßt sich
Benutzung denken, und wir sehen den eifrigen Landwirt eine Flur
verlassen, die ihm als Zeitpächter Vorteil und Freude mehrere Jahre
gewährt hat; ungeduldig forscht er nach gleichen oder größeren
Vorteilen, es sei nah oder fern. Ja sogar der Eigentümer verläßt
seinen erst gerodeten Neubruch, sobald er ihn durch Kultur einem
weniger gewandten Besitzer erst angenehm gemacht hat; aufs neue
dringt er in die Wüste, macht sich abermals in Wäldern Platz, zur
Belohnung jenes ersten Bemühens einen doppelt und dreifach größern
Raum, auf dem er vielleicht auch nicht zu beharren gedenkt.

Lassen wir ihn dort mit Bären und anderm Getier sich herumschlagen
und kehren in die gebildete Welt zurück, wo wir es auch keineswegs
beruhigter antreffen. Irgendein großes, geregeltes Reich beschaue
man, wo der Fähigste sich als den Beweglichsten denken muß; nach dem
Winke des Fürsten, nach Anordnung des Staatsrats wird der Brauchbare
von einem Ort zum andern versetzt. Auch ihm gilt unser Zuruf.
"Suchet überall zu nützen, überall seid ihr zu Hause." Sehen wir
aber bedeutende Staatsmänner, obwohl ungern, ihren hohen Posten
verlassen, so haben wir Ursache, sie zu bedauern, da wir sie weder als
Auswanderer noch als Wanderer anerkennen dürfen; nicht als
Auswanderer, weil sie einen wünschenswerten Zustand entbehren, ohne
daß irgendeine Aussicht auf bessere Zustände sich auch nur scheinbar
eröffnete; nicht als Wanderer, weil ihnen anderer Orten auf
irgendeine Weise nützlich zu sein selten vergönnt ist.

Zu einem eigenen Wanderleben jedoch ist der Soldat berufen; selbst
im Frieden wird ihm bald dieser, bald jener Posten angewiesen; fürs
Vaterland nah oder fern zu streiten, muß er sich immer beweglich
erhalten; und nicht nur fürs unmittelbare Heil, sondern auch nach dem
Sinne der Völker und Herrscher wendet er seinen Schritt allen
Weltteilen zu, und nur wenigen ist es vergönnt, sich hie oder da
anzusiedeln. Wie nun bei dem Soldaten die Tapferkeit als erste
Eigenschaft obenan steht, so wird sie doch stets mit der Treue
verbunden gedacht, deshalb wir denn gewisse wegen ihrer
Zuverlässigkeit gerühmte Völker, aus der Heimat gerufen, weltlichen
und geistlichen Regenten als Leibwache dienen sehen.

Noch eine sehr bewegliche, dem Staat unentbehrliche Klasse erblicken
wir in jenen Geschäftsmännern, welche, von Hof zu Hofe gesandt,
Fürsten und Minister umlagern und die ganze bewohnte Welt mit
unsichtbaren Fäden überkreuzen. Auch deren ist keiner an Ort und
Stelle auch nur einen Augenblick sicher; im Frieden sendet man die
tüchtigsten von einer Weltgegend zur andern; im Kriege, dem siegenden
Heere nachziehend, dem flüchtigen die Wege bahnend, sind sie immer
eingerichtet, einen Ort um den andern zu verlassen, deshalb sie auch
jederzeit einen großen Vorrat von Abschiedskarten mit sich führen.

Haben wir uns nun bisher auf jedem Schritt zu ehren gewußt, indem
wir die vorzüglichste Masse tätiger Menschen als unsere Gesellen und
Schicksalsgenossen angesprochen, so stehet euch, teure Freunde, zum
Abschluß noch die höchste Gunst bevor, indem ihr euch mit Kaisern,
Königen und Fürsten verbrüdert findet. Denken wir zuerst segnend
jenes edlen kaiserlichen Wanderers Hadrian, welcher zu Fuß, an der
Spitze seines Heers, den bewohnten, ihm unterworfenen Erdkreis
durchschnitt und ihn so erst vollkommen in Besitz nahm. Denken wir
mit Schaudern der Eroberer, jener gewaffneten Wanderer, gegen die kein
Widerstreit helfen, Mauer und Bollwerk harmlose Völker nicht schirmen
konnte; begleiten wir endlich mit redlichem Bedauern jene
unglücklichen vertriebenen Fürsten, die, von dem Gipfel der Höhe
herabsteigend, nicht einmal in die bescheidene Gilde tätiger Wanderer
aufgenommen werden könnten.

Da wir uns nun alles dieses einander vergegenwärtigt und aufgeklärt,
so wird kein beschränkter Trübsinn, keine leidenschaftliche
Dunkelheit über uns walten. Die Zeit ist vorüber, wo man
abenteuerlich in die weite Welt rannte; durch die Bemühungen
wissenschaftlicher, weislich beschreibender, künstlerisch
nachbildender Weltumreiser sind wir überall bekannt genug, daß wir
ungefähr wissen, was zu erwarten sei.

Doch kann zu einer vollkommenen Klarheit der einzelne nicht gelangen.
Unsere Gesellschaft aber ist darauf gegründet, daß jeder in seinem
Maße, nach seinen Zwecken aufgeklärt werde. Hat irgendeiner ein Land
im Sinne, wohin er seine Wünsche richtet, so suchen wir ihm das
einzelne deutlich zu machen, was im ganzen seiner Einbildungskraft
vorschwebte; uns wechselseitig einen überblick der bewohnten und
bewohnbaren Welt zu geben, ist die angenehmste, höchst belohnende
Unterhaltung.

In solchem Sinne nun dürfen wir uns in einem Weltbunde begriffen
ansehen. Einfach-groß ist der Gedanke, leicht die Ausführung durch
Verstand und Kraft. Einheit ist allmächtig, deshalb keine Spaltung,
kein Widerstreit unter uns. Insofern wir Grundsätze haben, sind sie
uns allen gemein. Der Mensch, so sagen wir, lerne sich ohne dauernden
äußeren Bezug zu denken, er suche das Folgerechte nicht an den
Umständen, sondern in sich selbst, dort wird er's finden, mit Liebe
hegen und pflegen. Er wird sich ausbilden und einrichten, daß er
überall zu Hause sei. Wer sich dem Notwendigsten widmet, geht überall
am sichersten zum Ziel; andere hingegen, das Höhere, Zartere suchend,
haben schon in der Wahl des Weges vorsichtiger zu sein. Doch was der
Mensch auch ergreife und handhabe, der einzelne ist sich nicht
hinreichend, Gesellschaft bleibt eines wackern Mannes höchstes
Bedürfnis. Alle brauchbaren Menschen sollen in Bezug untereinander
stehen, wie sich der Bauherr nach dem Architekten und dieser nach
Maurer und Zimmermann umsieht.

Und so ist denn allen bekannt, wie und auf welche Weise unser Bund
geschlossen und gegründet sei; niemand sehen wir unter uns, der nicht
zweckmäßig seine Tätigkeit jeden Augenblick üben könnte, der nicht
versichert wäre, daß er überall, wohin Zufall, Neigung, ja
Leidenschaft ihn führen könnte, sich immer wohl empfohlen,
aufgenommen und gefördert, ja von Unglücksfällen möglichst
wiederhergestellt finden werde.

Zwei Pflichten sodann haben wir aufs strengste übernommen: jeden
Gottesdienst in Ehren zu halten, denn sie sind alle mehr oder weniger
im Credo verfaßt; ferner alle Regierungsformen gleichfalls gelten zu
lassen und, da sie sämtlich eine zweckmäßige Tätigkeit fordern und
befördern, innerhalb einer jeden uns, auf wie lange es auch sei, nach
ihrem Willen und Wunsch zu bemühen. Schließlich halten wir's für
Pflicht, die Sittlichkeit ohne Pedanterei und Strenge zu üben und zu
fördern, wie es die Ehrfurcht vor uns selbst verlangt, welche aus den
drei Ehrfurchten entsprießt, zu denen wir uns sämtlich bekennen, auch
alle in diese höhere, allgemeine Weisheit, einige sogar von Jugend auf,
eingeweiht zu sein das Glück und die Freude haben. Dieses alles
haben wir in der feierlichen Trennungsstunde nochmals bedenken,
erklären, vernehmen und anerkennen, auch mit einem traulichen
Lebewohl besiegeln wollen.



Bleibe nicht am Boden heften,
Frisch gewagt und frisch hinaus!
Kopf und Arm mit heitern Kräften,
überall sind sie zu Haus;
Wo wir uns der Sonne freuen,
Sind wir jede Sorge los.
Daß wir uns in ihr zerstreuen,
Darum ist die Welt so groß."





Zehntes Kapitel

Unter dem Schlußgesange richtete sich ein großer Teil der Anwesenden
rasch empor und zog paarweise geordnet mit weit umherklingendem
Schalle den Saal hinaus. Lenardo, sich niedersetzend, fragte den
Gast: ob er sein Anliegen hier öffentlich vorzutragen gedenke oder
eine besondere Sitzung verlange? Der Fremde stand auf, begrüßte die
Gesellschaft und begann folgende Rede:

"Hier ist es, gerade in solcher Versammlung, wo ich mich vorerst
ohne weiteres zu erklären wünsche. Diese hier in Ruhe verbliebenen,
dem Anblick nach sämtlich wackern Männer geben schon durch ein
solches Verharren deutlich Wunsch und Absicht zu erkennen, dem
vaterländischen Grund und Boden auch fernerhin angehören zu wollen.
Sie sind mir alle freundlich gegrüßt, denn ich darf erklären: daß ich
ihnen sämtlich, wie sie sich hier ankündigen, ein hinreichendes
Tagewerk auf mehrere Jahre anzubieten im Fall bin. Ich wünsche jedoch,
aber erst nach kurzer Frist, eine nochmalige Zusammenkunft, weil es
nötig ist, vor allen Dingen den würdigen Vorstehern, welche bisher
diese wackern Leute zusammenhielten, meine Angelegenheit vertraulich
zu offenbaren und sie von der Zuverlässigkeit meiner Sendung zu
überzeugen. Sodann aber will es sich ziemen, mich mit den
Verharrenden im einzelnen zu besprechen, damit ich erfahre, mit
welchen Leistungen sie mein stattliches Anerbieten zu erwidern
gedenken."

Hierauf begehrte Lenardo einige Frist, die nötigsten Geschäfte des
Augenblicks zu besorgen, und nachdem diese bestimmt war, richtete
sich die Masse der übriggebliebenen anständig in die Höhe,
gleichfalls paarweise unter einem mäßig geselligen Gesang aus dem
Saale sich entfernend.

Odoard entdeckte sodann den zurückbleibenden beiden Führern seine
Absichten und Vorsätze und zeigte sodann seine Berechtigung hiezu.
Nun konnte er aber mit so vorzüglichen Menschen in fernerer
Unterhaltung von dem Geschäft nicht Rechenschaft geben, ohne des
menschlichen Grundes zu gedenken, worauf das Ganze eigentlich beruhe.
Wechselseitige Erklärungen und Bekenntnisse tiefer
Herzensangelegenheiten entfalteten sich hieraus bei fortgesetztem
Gespräch. Bis tief in die Nacht blieb man zusammen und verwickelte
sich immer unentwirrbarer in die Labyrinthe menschlicher Gesinnungen
und Schicksale. Hier nun fand sich Odoard bewogen, nach und nach von
den Angelegenheiten seines Geistes und Herzens fragmentarische
Rechenschaft zu geben, deshalb denn auch von diesem Gespräch uns
freilich nur unvollständige und unbefriedigende Kenntnis zugekommen.
Doch sollen wir auch hier Friedrichs glücklichem Talent des
Auffassens und Festhaltens die Vergegenwärtigung interessanter Szenen
verdanken, sowie einige Aufklärung über den Lebensgang eines
vorzüglichen Mannes, der uns zu interessieren anfängt, wenn es auch
nur Andeutungen wären desjenigen, was in der Folge vielleicht
ausführlicher und im Zusammenhange mitzuteilen ist. Nicht zu weit

Es schlug zehn in der Nacht, und so war denn zur verabredeten Stunde
alles bereit: im bekränzten Sälchen zu vieren eine geräumige, artige
Tafel gedeckt, mit feinem Nachtisch und Zuckerzierlichkeiten zwischen
blinkenden Leuchtern und Blumen bestellt. Wie freuten sich die
Kinder auf diese Nachkost, denn sie sollten mit zu Tische sitzen;
indessen schlichen sie umher, geputzt und maskiert, und weil Kinder
nicht zu entstellen sind, erschienen sie als die niedlichsten
Zwillingsgenien. Der Vater berief sie zu sich, und sie sagten das
Festgespräch, zu ihrer Mutter Geburtstag gedichtet, bei weniger
Nachhülfe gar schicklich her.

Die Zeit verstrich, von Viertel--zu Viertelstunde enthielt die gute
Alte sich nicht, des Freundes Ungeduld zu vermehren. Mehrere Lampen,
sagte sie, seien auf der Treppe dem Erlöschen ganz nahe, ausgesuchte
Lieblingsspeisen der Gefeierten könnten übergar werden, so sei es zu
befürchten. Die Kinder aus Langerweile fingen erst unartig an, und
aus Ungeduld wurden sie unerträglich. Der Vater nahm sich zusammen,
und doch wollte die ungewohnte Gelassenheit ihm nicht zu Gebote
stehen; er horchte sehnsüchtig auf die Wagen, einige rasselten
unaufgehalten vorbei, ein gewisses ärgernis wollte sich regen. Zum
Zeitvertreib forderte er noch eine Repetition von den Kindern; diese,
im überdruß unachtsam, zerstreut und ungeschickt, sprachen falsch,
keine Gebärde war mehr richtig, sie übertrieben wie Schauspieler, die
nichts empfinden. Die Pein des guten Mannes wuchs mit jedem Momente,
halb eilf Uhr war vorüber; das Weitere zu schildern, überlassen wir
ihm selbst.

"Die Glocke schlug eilfe, meine Ungeduld war bis zur Verzweiflung
gesteigert, ich hoffte nicht mehr, ich fürchtete. Nun war mir bange,
sie möchte hereintreten, mit ihrer gewöhnlichen leichten Anmut sich
flüchtig entschuldigen, versichern, daß sie sehr müde sei, und sich
betragen, als würfe sie mir vor, ich beschränke ihre Freuden. In mir
kehrte sich alles um und um, und gar vieles, was ich Jahre her
geduldet, lastete wiederkehrend auf meinem Geiste. Ich fing an, sie
zu hassen, ich wußte kein Betragen zu denken, wie ich sie empfangen
sollte. Die guten Kinder, wie Engelchen herausgeputzt, schliefen
ruhig auf dem Sofa. Unter meinen Füßen brannte der Boden, ich begriff,
ich verstand mich nicht, und mir blieb nichts übrig als zu fliehen,
bis nur die nächsten Augenblicke überstanden wären. Ich eilte,
leicht und festlich angezogen wie ich war, nach der Haustüre. Ich
weiß nicht, was ich der guten Alten für einen Vorwand hinstotterte,
sie drang mir einen überrock zu, und ich fand mich auf der Straße in
einem Zustande, den ich seit langen Jahren nicht empfunden hatte.
Gleich dem jüngsten leidenschaftlichen Menschen, der nicht wo ein
noch aus weiß, rannt' ich die Gassen hin und wider. Ich hätte das
freie Feld gewonnen, aber ein kalter, feuchter Wind blies streng und
widerwärtig genug, um meinen Verdruß zu begrenzen."

Wir haben, wie an dieser Stelle auffallend zu bemerken ist, die
Rechte des epischen Dichters uns anmaßend, einen geneigten Leser nur
allzu schnell in die Mitte leidenschaftlicher Darstellung gerissen.
Wir sehen einen bedeutenden Mann in häuslicher Verwirrung, ohne von
ihm etwas weiter erfahren zu haben; deshalb wir denn für den
Augenblick, um nur einigermaßen den Zustand aufzuklären, uns zu der
guten Alten gesellen, horchend, was sie allenfalls vor sich hin,
bewegt und verlegen, leise murmeln oder laut ausrufen möchte.

"Ich hab' es längst gedacht, ich habe es vorausgesagt, ich habe die
gnädige Frau nicht geschont, sie öfter gewarnt, aber es ist stärker
wie sie. Wenn der Herr sich des Tags auf der Kanzlei, in der Stadt,
auf dem Lande in Geschäften abmüdet, so findet er abends ein leeres
Haus, oder Gesellschaft, die ihm nicht zusagt. Sie kann es nicht
lassen. Wenn sie nicht immer Menschen, Männer um sich sieht, wenn
sie nicht hin und wider fährt, sich an und aus--und umziehen kann,
ist es, als wenn ihr der Atem ausginge. Heute an ihrem Geburtstag
fährt sie früh aufs Land. Gut! wir machen indes hier alles zurecht;
sie verspricht heilig, um neun Uhr zu Hause zu sein; wir sind bereit.
Der Herr überhört die Kinder ein auswendig gelerntes artiges Gedicht,
sie sind herausgeputzt; Lampen und Lichter, Gesottenes und
Gebratenes, an gar nichts fehlt es, aber sie kommt nicht. Der Herr
hat viel Gewalt über sich, er verbirgt seine Ungeduld, sie bricht aus.
Er entfernt sich aus dem Hause so spät. Warum, ist offenbar; aber
wohin? Ich habe ihr oft mit Nebenbuhlerinnen gedroht, ehrlich und
redlich. Bisher hab' ich am Herrn nichts bemerkt; eine Schöne paßt
ihm längst auf, bemüht sich um ihn. Wer weiß, wie er bisher gekämpft
hat. Nun bricht's los, diesmal treibt ihn die Verzweiflung, seinen
guten Willen nicht besser anerkannt zu sehen, bei Nacht aus dem Hause,
da geb' ich alles verloren. Ich sagt' es ihr mehr als einmal, sie
solle es nicht zu weit treiben."

Suchen wir den Freund nun wieder auf und hören ihn selber. "In dem
angesehensten Gasthofe sah ich unten Licht, klopfte am Fenster und
fragte den herausschauenden Kellner mit bekannter Stimme: ob nicht
Fremde angekommen oder angemeldet seien? Schon hatte er das Tor
geöffnet, verneinte beides und bat mich hereinzutreten. Ich fand es
meiner Lage gemäß, das Märchen fortzusetzen, ersuchte ihn um ein
Zimmer, das er mir gleich im zweiten Stock einräumte; der erste
sollte, wie er meinte, für die erwarteten Fremden bleiben. Er eilte,
einiges zu veranstalten, ich ließ es geschehen und verbürgte mich für
die Zeche. So weit war's vorüber; ich aber fiel wieder in meine
Schmerzen zurück, vergegenwärtigte mir alles und jedes, erhöhte und
milderte, schalt mich und suchte mich zu fassen, zu besänftigen:
ließe sich doch morgen früh alles wieder einleiten; ich dachte mir
schon den Tag abermals im gewohnten Gange; dann aber kämpfte sich
aufs neue der Verdruß unbändig hervor: ich hatte nie geglaubt, daß ich
so unglücklich sein könne."

An dem edlen Manne, den wir hier so unerwartet über einen gering
scheinenden Vorfall in leidenschaftlicher Bewegung sehen, haben
unsere Leser gewiß schon in dem Grade teilgenommen, daß sie nähere
Nachricht von seinen Verhältnissen zu erfahren wünschen. Wir
benutzen die Pause, die hier in das nächtliche Abenteuer eintritt,
indem er stumm und heftig in dem Zimmer auf und ab zu gehen fortfährt.


Wir lernen Odoard als den Sprößling eines alten Hauses kennen, auf
welchen durch eine Folge von Generationen die edelsten Vorzüge
vererbt worden. In der Militärschule gebildet, ward ihm ein
gewandter Anstand zu eigen, der, mit den löblichsten Fähigkeiten des
Geistes verbunden, seinem Betragen eine ganz besondere Anmut verlieh.
Ein kurzer Hofdienst lehrte ihn die äußern Verhältnisse hoher
Persönlichkeiten gar wohl einsehen, und als er nun hierauf, durch
früh erworbene Gunst einer gesandtschaftlichen Sendung angeschlossen,
die Welt zu sehen und fremde Höfe zu kennen Gelegenheit hatte, so tat
sich die Klarheit seiner Auffassung und glückliches Gedächtnis des
Vorgegangenen bis aufs genaueste, besonders aber ein guter Wille in
Unternehmungen aller Art aufs baldigste hervor. Die Leichtigkeit des
Ausdrucks in manchen Sprachen, bei einer freien und nicht
aufdringlichen Persönlichkeit, führten ihn von einer Stufe zur andern;
er hatte Glück bei allen diplomatischen Sendungen, weil er das
Wohlwollen der Menschen gewann und sich dadurch in den Vorteil setzte,
Mißhelligkeiten zu schlichten, besonders auch die beiderseitigen
Interessen bei gerechter Erwägung vorliegender Gründe zu befriedigen
wußte.

Einen so vorzüglichen Mann sich anzueignen, war der erste Minister
bedacht; er verheiratete ihm seine Tochter, ein Frauenzimmer von der
heitersten Schönheit und gewandt in allen höheren geselligen Tugenden.
Allein wie dem Laufe aller menschlichen Glückseligkeit sich je
einmal ein Damm entgegenstellt, der ihn irgendwo zurückdrängt, so war
es auch hier der Fall. An dem fürstlichen Hofe wurde Prinzessin
Sophronie als Mündel erzogen, sie, der letzte Zweig ihres Astes,
deren Vermögen und Anforderungen, wenn auch Land und Leute an den
Oheim zurückfielen, noch immer bedeutend genug blieben, weshalb man
sie denn, um weitläufige Erörterungen zu vermeiden, an den Erbprinzen,
der freilich viel jünger war, zu verheiraten wünschte.

Odoard kam in Verdacht einer Neigung zu ihr, man fand, er habe sie
in einem Gedichte unter dem Namen Aurora allzu leidenschaftlich
gefeiert; hiezu gesellte sich eine Unvorsichtigkeit von ihrer Seite,
indem sie mit eigner Charakterstärke gewissen Neckereien ihrer
Gespielinnen trotzig entgegnete: sie müßte keine Augen haben, wenn
sie für solche Vorzüge blind sein sollte.

Durch seine Heirat wurde nun wohl ein solcher Verdacht beschwichtigt,
aber durch heimliche Gegner dennoch im stillen fortgenährt und
gelegentlich wieder aufgeregt.

Die Staats--und Erbschaftsverhältnisse, ob man sie gleich so wenig
als möglich zu berühren suchte, kamen doch manchmal zur Sprache. Der
Fürst nicht sowohl als kluge Räte hielten es durchaus für nützlich,
die Angelegenheit fernerhin ruhen zu lassen, während die stillen
Anhänger der Prinzessin sie abgetan und dadurch die edle Dame in
größerer Freiheit zu sehen wünschten, besonders da der benachbarte
alte König, Sophronien verwandt und günstig, noch am Leben sei und
sich zu väterlicher Einwirkung gelegentlich bereit erwiesen habe.

Odoard kam in Verdacht, bei einer bloß zeremoniellen Sendung dorthin
das Geschäft, das man verspäten wollte, wieder in Anregung gebracht
zu haben. Die Widersacher bedienten sich dieses Vorfalls, und der
Schwiegervater, den er von seiner Unschuld überzeugt hatte, mußte
seinen ganzen Einfluß anwenden, um ihm eine Art von Statthalterschaft
in einer entfernten Provinz zu erwirken. Er fand sich glücklich
daselbst, alle seine Kräfte konnte er in Tätigkeit setzen, es war
Notwendiges, Nützliches, Gutes, Schönes, Großes zu tun, er konnte
Dauerndes leisten, ohne sich aufzuopfern, anstatt daß man in jenen
Verhältnissen, gegen seine überzeugung sich mit Vorübergehendem
beschäftigend, gelegentlich selbst zugrunde geht.

Nicht so empfand es seine Gattin, welche nur in größern Zirkeln ihre
Existenz fand und ihm nur später notgedrungen folgte. Er betrug sich
so schonend als möglich gegen sie und begünstigte alle Surrogate
ihrer bisherigen Glückseligkeit, des Sommers Landpartien in der
Nachbarschaft, im Winter ein Liebhabertheater, Bälle und was sie sonst
einzuleiten beliebte. Ja er duldete einen Hausfreund, einen Fremden,
der sich seit einiger Zeit eingeführt hatte, ob er ihm gleich
keineswegs gefiel, da er ihm durchaus, bei seinem klaren Blick auf
Menschen, eine gewisse Falschheit anzusehen glaubte.

Von allem diesem, was wir aussprechen, mag in dem gegenwärtigen
bedenklichen Augenblick einiges dunkel und trübe, ein anderes klar
und deutlich ihm vor der Seele vorübergegangen sein. Genug, wenn wir
nach dieser vertraulichen Eröffnung, zu der Friedrichs gutes
Gedächtnis den Stoff mitgeteilt, uns abermals zu ihm wenden, so finden
wir ihn wieder in dem Zimmer heftig auf und ab gehend, durch Gebärden
und manche Ausrufungen einen innern Kampf offenbarend.

"In solchen Gedanken war ich heftig im Zimmer auf und ab gegangen,
der Kellner hatte mir eine Tasse Bouillon gebracht, deren ich sehr
bedurfte; denn über die sorgfältigsten Anstalten dem Fest zuliebe
hatte ich nichts zu mir genommen, und ein köstlich Abendessen stand
unberührt zu Hause. In dem Augenblick hörten wir ein Posthorn sehr
angenehm die Straße herauf. "Der kommt aus dem Gebirge", sagte der
Kellner. Wir fuhren ans Fenster und sahen beim Schein zweier
helleuchtenden Wagenlaternen vierspännig, wohlbepackt vorfahren einen
Herrschaftswagen. Die Bedienten sprangen vom Bocke: "Da sind sie!"
rief der Kellner und eilte nach der Türe. Ich hielt ihn fest, ihm
einzuschärfen, er solle ja nichts sagen, daß ich da sei, nicht
verraten, daß etwas bestellt worden; er versprach's und sprang davon.

Indessen hatte ich versäumt zu beobachten, wer ausgestiegen sei, und
eine neue Ungeduld bemächtigte sich meiner; mir schien, der Kellner
säume allzu lange, mir Nachricht zu geben. Endlich vernahm ich von
ihm, die Gäste seien Frauenzimmer, eine ältliche Dame von würdigem
Ansehen, eine mittlere von unglaublicher Anmut, ein Kammermädchen, wie
man sie nur wünschen möchte. "Sie fing an", sagte er, "mit Befehlen,
fuhr fort mit Schmeicheln und fiel, als ich ihr schöntat, in ein
heiter schnippisches Wesen, das ihr wohl das natürlichste sein mochte.
""

"Gar schnell bemerkte ich", fahrt er fort, "die allgemeine
Verwunderung, mich so alert und das Haus zu ihrem Empfang so bereit
zu finden, die Zimmer erleuchtet, die Kamine brennend; sie machten
sich's bequem, im Saale fanden sie ein kaltes Abendessen; ich bot
Bouillon an, die ihnen willkommen schien."

Nun saßen die Damen bei Tische, die ältere speiste kaum, die schöne
Liebliche gar nicht; das Kammermädchen, das sie Lucie nannten, ließ
sich's wohl schmecken und erhob dabei die Vorzüge des Gasthofes,
erfreute sich der hellen Kerzen, des feinen Tafelzeugs, des
Porzellans und aller Gerätschaften. Am lodernden Kamin hatte sie sich
früher ausgewärmt und fragte nun den wieder eintretenden Kellner, ob
man hier denn immer so bereit sei, zu jeder Stunde des Tags und der
Nacht unvermutet ankommende Gäste zu bewirten? Dem jungen, gewandten
Burschen ging es in diesem Falle wie Kindern, die wohl das Geheimnis
verschweigen, aber, daß etwas Geheimes ihnen vertraut sei, nicht
verbergen können. Erst antwortete er zweideutig, annähernd sodann,
und zuletzt, durch die Lebhaftigkeit der Zofe, durch Hin--und
Widerreden in die Enge getrieben, gestand er: es sei ein Bedienter, es
sei ein Herr gekommen, sei fortgegangen, wiedergekommen, zuletzt aber
entfuhr es ihm, der Herr sei wirklich oben und gehe beunruhigt auf
und ab. Die junge Dame sprang auf, die andern folgten; es sollte ein
alter Herr sein, meinten sie hastig; der Kellner versicherte dagegen,
er sei jung. Nun zweifelten sie wieder, er beteuerte die Wahrheit
seiner Aussage. Die Verwirrung, die Unruhe vermehrte sich. Es müsse
der Oheim sein, versicherte die Schöne; es sei nicht in seiner Art,
erwiderte die ältere. Niemand als er habe wissen können, daß sie in
dieser Stunde hier eintreffen würden, versetzte jene beharrlich. Der
Kellner aber beteuerte fort und fort, es sei ein junger, ansehnlicher,
kräftiger Mann. Lucie schwur dagegen auf den Oheim: dem Schalk, dem
Kellner, sei nicht zu trauen, er widerspreche sich schon eine halbe
Stunde.

Nach allem diesem mußte der Kellner hinauf, dringend zu bitten, der
Herr möge doch ja eilig herunterkommen, dabei auch zu drohen, die
Damen würden heraufsteigen und selbst danken. "Es ist ein Wirrwarr
ohne Grenzen", fuhr der Kellner fort; "ich begreife nicht, warum Sie
zaudern, sich sehen zu lassen; man hält Sie für einen alten Oheim, den
man wieder zu umarmen leidenschaftlich verlangt. Gehen Sie hinunter,
ich bitte. Sind denn das nicht die Personen, die Sie erwarteten?
Verschmähen Sie ein allerliebstes Abenteuer nicht mutwillig;
sehens--und hörenswert ist die junge Schöne, es sind die anständigsten
Personen. Eilen Sie hinunter, sonst rücken sie Ihnen wahrlich auf die
Stube."

Leidenschaft erzeugt Leidenschaft. Bewegt, wie er war, sehnte er
sich nach etwas anderem, Fremdem. Er stieg hinab, in Hoffnung, sich
mit den Ankömmlingen in heiterem Gespräch zu erklären, aufzuklären,
fremde Zustände zu gewahren, sich zu zerstreuen, und doch war es ihm,
als ging' er einem bekannten ahnungsvollen Zustand entgegen. Nun
stand er vor der Türe; die Damen, die des Oheims Tritte zu hören
glaubten, eilten ihm entgegen, er trat ein. Welch ein
Zusammentreffen! Welch ein Anblick! Die sehr Schöne tat einen Schrei
und warf sich der ältern um den Hals, der Freund erkannte sie beide,
er schrak zurück, dann drängt' es ihn vorwärts, er lag zu ihren Füßen
und berührte ihre Hand, die er sogleich wieder losließ, mit dem
bescheidensten Kuß. Die Silben "Au-ro-ra!" erstarben auf seinen
Lippen.

Wenden wir unsern Blick nunmehr nach dem Hause unsres Freundes, so
finden wir daselbst ganz eigne Zustände. Die gute Alte wußte nicht,
was sie tun oder lassen sollte; sie unterhielt die Lampen des
Vorhauses und der Treppe; das Essen hatte sie vom Feuer gehoben,
einiges war unwiederbringlich verdorben. Die Kammerjungfer war bei
den schlafenden Kindern geblieben und hatte die vielen Kerzen der
Zimmer gehütet, so ruhig und geduldig als jene verdrießlich hin und
her fahrend.

Endlich rollte der Wagen vor, die Dame stieg aus und vernahm, ihr
Gemahl sei vor einigen Stunden abgerufen worden. Die Treppe
hinaufsteigend, schien sie von der festlichen Erleuchtung keine
Kenntnis zu nehmen. Nun erfuhr die Alte von dem Bedienten, ein
Unglück sei unterwegs begegnet, der Wagen in einen Graben geworfen
worden, und was alles nachher sich ereignet.

Die Dame trat ins Zimmer: "Was ist das für eine Maskerade?" sagte
sie, auf die Kinder deutend. "Es hätte Ihnen viel Vergnügen gemacht",
versetzte die Jungfer, "wären Sie einige Stunden früher angekommen."
Die Kinder, aus dem Schlafe gerüttelt, sprangen auf und begannen,
als sie die Mutter vor sich sahen, ihren eingelernten Spruch. Von
beiden Seiten verlegen, ging es eine Weile, dann, ohne Aufmunterung
und Nachhülfe, kam es zum Stocken, endlich brach es völlig ab, und
die guten Kleinen wurden mit einigen Liebkosungen zu Bette geschickt.
Die Dame sah sich allein, warf sich auf den Sofa und brach in bittre
Tränen aus.

Doch es wird nun ebenfalls notwendig, von der Dame selbst und von
dem, wie es scheint. übel abgelaufenen ländlichen Feste nähere
Nachricht zu geben. Albertine war eine von den Frauenzimmern, denen
man unter vier Augen nichts zu sagen hätte, die man aber sehr gern in
großer Gesellschaft sieht. Dort erscheinen sie als wahre Zierden des
Ganzen und als Reizmittel in jedem Augenblick einer Stockung. Ihre
Anmut ist von der Art, daß sie, um sich zu äußern, sich bequem
darzutun, einen gewissen Raum braucht, ihre Wirkungen verlangen ein
größeres Publikum, sie bedürfen eines Elements, das sie trägt, das sie
nötigt, anmutig zu sein; gegen den einzelnen wissen sie sich kaum zu
betragen.

Auch hatte der Hausfreund bloß dadurch ihre Gunst und erhielt sich
darin, weil er Bewegung auf Bewegung einzuleiten und immerfort, wenn
auch keinen großen, doch einen heitern Kreis im Treiben zu erhalten
wußte. Bei Rollenausteilungen wählte er sich die zärtlichen Väter
und wußte durch ein anständiges, altkluges Benehmen über die jüngeren
ersten, zweiten und dritten Liebhaber sich ein übergewicht zu
verschaffen.

Florine, Besitzerin eines bedeutenden Rittergutes in der Nähe,
winters in der Stadt wohnend, verpflichtet gegen Odoard, dessen
staatswirtliche Einrichtung zufälliger-, aber glücklicherweise ihrem
Landsitz höchlich zugute kam und den Ertrag desselben in der Folge
bedeutend zu vermehren die Aussicht gab, bezog sommers ihr Landgut und
machte es zum Schauplatze vielfacher anständiger Vergnügungen.
Geburtstage besonders wurden niemals verabsäumt und mannigfaltige
Feste veranstaltet.

Florine war ein munteres, neckisches Wesen, wie es schien, nirgends
anhänglich, auch keine Anhänglichkeit fordernd noch verlangend.
Leidenschaftliche Tänzerin, schätzte sie die Männer nur, insofern sie
sich gut im Takte bewegten; ewig rege Gesellschafterin, hielt sie
denjenigen unerträglich, der auch nur einen Augenblick vor sich hinsah
und nachzudenken schien; übrigens als heitere Liebhaberin, wie sie in
jedem Stück, jeder Oper nötig sind, sich gar anmutig darstellend,
weshalb denn zwischen ihr und Albertinen, welche die Anständigen
spielte, sich nie ein Rangstreit hervortat.

Den eintretenden Geburtstag in guter Gesellschaft zu feiern, war aus
der Stadt und aus dem Lande umher die beste Gesellschaft eingeladen.
Einen Tanz, schon nach dem Frühstück begonnen, setzte man nach Tafel
fort; die Bewegung zog sich in die Länge, man fuhr zu spät ab, und
von der Nacht auf schlimmem Wege, doppelt schlimm, weil er eben
gebessert wurde, ehe man's dachte, schon überrascht, versah's der
Kutscher und warf in einen Graben. Unsere Schöne mit Florinen und
dem Hausfreunde fühlten sich in schlimmer Verwickelung; der letzte
wußte sich schnell herauszuwinden, dann, über den Wagen sich biegend,
rief er: "Florine, wo bist du?" Albertine glaubte zu träumen; er
faßte hinein und zog Florinen, die oben lag, ohnmächtig hervor,
bemühte sich um sie und trug sie endlich auf kräftigem Arm den
wiedergefundenen Weg hin. Albertine stak noch im Wagen, Kutscher und
Bedienter halfen ihr heraus, und gestützt auf den letzten suchte sie
weiterzukommen. Der Weg war schlimm, für Tanzschuhe nicht günstig;
obgleich von dem Burschen unterstützt, strauchelte sie jeden
Augenblick. Aber im Innern sah es noch wilder, noch wüster aus. Wie
ihr geschah, wußte sie nicht, begriff sie nicht.

Allein als sie ins Wirtshaus trat, in der kleinen Stube Florinen auf
dem Bette, die Wirtin und Lelio um sie beschäftigt sah, ward sie
ihres Unglücks gewiß. Ein geheimes Verhältnis zwischen dem untreuen
Freund und der verräterischen Freundin offenbarte sich blitzschnell
auf einmal, sie mußte sehen, wie diese, die Augen aufschlagend, sich
dem Freund um den Hals warf, mit der Wonne einer neu
wiederauflebenden zärtlichsten Aneignung, wie die schwarzen Augen
wieder glänzten, eine frische Röte die bläßlichen Wangen auf einmal
wieder zierend färbte; wirklich sah sie verjüngt, reizend, allerliebst
aus.

Albertine stand vor sich hinschauend, einzeln, kaum bemerkt; jene
erholten sich, nahmen sich zusammen, der Schade war geschehen, man
war denn doch genötigt, sich wieder in den Wagen zu setzen, und in
der Hölle selbst könnten widerwärtig Gesinnte, Verratene mit
Verrätern so eng nicht zusammengepackt sein.





Eilftes Kapitel

Lenardo sowohl als Odoard waren einige Tage sehr lebhaft beschäftigt,
jener, die Abreisenden mit allem Nötigen zu versehen, dieser, sich
mit den Bleibenden bekannt zu machen, ihre Fähigkeiten zu beurteilen,
um sie von seinen Zwecken hinreichend zu unterrichten. Indessen
blieb Friedrichen und unserm Freunde Raum und Ruhe zu stiller
Unterhaltung. Wilhelm ließ sich den Plan im allgemeinen vorzeichnen,
und da man mit Landschaft und Gegend genugsam vertraut geworden, auch
die Hoffnung besprochen war, in einem ausgedehnten Gebiete schnell
eine große Anzahl Bewohner entwickelt zu sehen, so wendete sich das
Gespräch, wie natürlich, zuletzt auf das, was Menschen eigentlich
zusammenhält: auf Religion und Sitte. Hierüber konnte denn der
heitere Friedrich hinreichende Auskunft geben, und wir würden wohl
Dank verdienen, wenn wir das Gespräch in seinem Laufe mitteilen
könnten, das durch Frag' und Antwort, durch Einwendung und
Berichtigung sich gar löblich durchschlang und in mannigfaltigem
Schwanken zu dem eigentlichen Zweck gefällig hinbewegte. Indessen
dürfen wir uns so lange nicht aufhalten und geben lieber gleich die
Resultate, als daß wir uns verpflichteten, sie erst nach und nach in
dem Geiste unsrer Leser hervortreten zu lassen. Folgendes ergab sich
als die Quintessenz dessen, was verhandelt wurde:

Daß der Mensch ins Unvermeidliche sich füge, darauf dringen alle
Religionen, jede sucht auf ihre Weise mit dieser Aufgabe fertig zu
werden.

Die christliche hilft durch Glaube, Liebe, Hoffnung gar anmutig nach;
daraus entsteht denn die Geduld, ein süßes Gefühl, welch eine
schätzbare Gabe das Dasein bleibe, auch wenn ihm, anstatt des
gewünschten Genusses, das widerwärtigste Leiden aufgebürdet wird. An
dieser Religion halten wir fest, aber auf eine eigne Weise; wir
unterrichten unsre Kinder von Jugend auf von den großen Vorteilen,
die sie uns gebracht hat; dagegen von ihrem Ursprung, von ihrem
Verlauf geben wir zuletzt Kenntnis. Alsdann wird uns der Urheber erst
lieb und wert, und alle Nachricht, die sich auf ihn bezieht, wird
heilig. In diesem Sinne, den man vielleicht pedantisch nennen mag,
aber doch als folgerecht anerkennen muß, dulden wir keinen Juden
unter uns; denn wie sollten wir ihm den Anteil an der höchsten Kultur
vergönnen, deren Ursprung und Herkommen er verleugnet?

Hievon ist unsre Sittenlehre ganz abgesondert, sie ist rein tätig
und wird in den wenigen Geboten begriffen: Mäßigung im Willkürlichen,
Emsigkeit im Notwendigen. Nun mag ein jeder diese lakonischen Worte
nach seiner Art im Lebensgange benutzen, und er hat einen ergiebigen
Text zu grenzenloser Ausführung.





Der größte Respekt wird allen eingeprägt für die Zeit, als für die
höchste Gabe Gottes und der Natur und die aufmerksamste Begleiterin
des Daseins. Die Uhren sind bei uns vervielfältigt und deuten
sämtlich mit Zeiger und Schlag die Viertelstunden an, und um solche
Zeichen möglichst zu vervielfältigen, geben die in unserm Lande
errichteten Telegraphen, wenn sie sonst nicht beschäftigt sind, den
Lauf der Stunden bei Tag und bei Nacht an, und zwar durch eine sehr
geistreiche Vorrichtung.

Unsre Sittenlehre, die also ganz praktisch ist, dringt nun
hauptsächlich auf Besonnenheit, und diese wird durch Einteilung der
Zeit, durch Aufmerksamkeit auf jede Stunde höchlichst gefördert.
Etwas muß getan sein in jedem Moment, und wie wollt' es geschehen,
achtete man nicht auf das Werk wie auf die Stunde?

In Betracht, daß wir erst anfangen, legen wir großes Gewicht auf die
Familienkreise. Den Hausvätern und Hausmüttern denken wir große
Verpflichtungen zuzuteilen; die Erziehung wird bei uns um so leichter,
als jeder für sich selbst, Knecht und Magd, Diener und Dienerin,
stehen muß.

Gewisse Dinge freilich müssen nach einer gewissen gleichförmigen
Einheit gebildet werden: Lesen, Schreiben, Rechnen mit Leichtigkeit
der Masse zu überliefern, übernimmt der Abbé; seine Methode erinnert
an den wechselsweisen Unterricht, doch ist sie geistreicher;
eigentlich aber kommt alles darauf an, zu gleicher Zeit Lehrer und
Schüler zu bilden.

Aber noch eines wechselseitigen Unterrichts will ich erwähnen: der
übung, anzugreifen und sich zu verteidigen. Hier ist Lothario in
seinem Felde; seine Manöver haben etwas ähnliches von unsern
Feldjägern; doch kann er nicht anders als original sein.

Hiebei bemerke ich, daß wir im bürgerlichen Leben keine Glocken, im
soldatischen keine Trommeln haben; dort wie hier ist Menschenstimme,
verbunden mit Blasinstrumenten, hinreichend. Das alles ist schon
dagewesen und ist noch da; die schickliche Anwendung desselben aber
ist dem Geist überlassen, der es auch allenfalls wohl erfunden hätte.

Das größte Bedürfnis eines Staats ist das einer mutigen Obrigkeit,
und daran soll es dem unsrigen nicht fehlen; wir alle sind ungeduldig,
das Geschäft anzutreten, munter und überzeugt, daß man einfach
anfangen müsse. So denken wir nicht an Justiz, aber wohl an Polizei.
Ihr Grundsatz wird kräftig ausgesprochen; niemand soll dem andern
unbequem sein; wer sich unbequem erweist, wird beseitigt, bis er
begreift, wie man sich anstellt, um geduldet zu werden. Ist etwas
Lebloses, Unvernünftiges in dem Falle, so wird dies gleichmäßig
beiseitegebracht.

In jedem Bezirk sind drei Polizeidirektoren, die alle acht Stunden
wechseln, schichtweise, wie im Bergwerk, das auch nicht stillstehen
darf, und einer unsrer Männer wird bei Nachtzeit vorzüglich bei der
Hand sein.

Sie haben das Recht, zu ermahnen, zu tadeln, zu schelten und zu
beseitigen; finden sie es nötig, so rufen sie mehr oder weniger
Geschworne zusammen. Sind die Stimmen gleich, so entscheidet der
Vorsitzende nicht, sondern es wird das Los gezogen, weil man überzeugt
ist, daß bei gegeneinander stehenden Meinungen es immer gleichgültig
ist, welche befolgt wird.

Wegen der Majorität haben wir ganz eigne Gedanken; wir lassen sie
freilich gelten im notwendigen Weltlauf, im höhern Sinne haben wir
aber nicht viel Zutrauen auf sie. Doch darüber darf ich mich nicht
weiter auslassen.

Fragt man nach der höhern Obrigkeit, die alles lenkt, so findet man
sie niemals an einem Orte; sie zieht beständig umher, um Gleichheit
in den Hauptsachen zu erhalten und in läßlichen Dingen einem jeden
seinen Willen zu gestatten. Ist dies doch schon einmal im Lauf der
Geschichte dagewesen: die deutschen Kaiser zogen umher, und diese
Einrichtung ist dem Sinne freier Staaten am allergemäßesten. Wir
fürchten uns vor einer Hauptstadt, ob wir schon den Punkt in unsern
Besitzungen sehen, wo sich die größte Anzahl von Menschen
zusammenhalten wird. Dies aber verheimlichen wir, dies mag nach und
nach und wird noch früh genug entstehen.

Dieses sind im allgemeinsten die Punkte, über die man meistens einig
ist, doch werden sie beim Zusammentreten von mehrern oder auch
wenigern Gliedern immer wieder aufs neue durchgesprochen. Die
Hauptsache wird aber sein, wenn wir uns an Ort und Stelle befinden.
Den neuen Zustand, der aber dauern soll, spricht eigentlich das
Gesetz aus. Unsre Strafen sind gelind; Ermahnung darf sich jeder
erlauben, der ein gewisses Alter hinter sich hat; mißbilligen und
schelten nur der anerkannte älteste; bestrafen nur eine
zusammenberufene Zahl.

Man bemerkt, daß strenge Gesetze sich sehr bald abstumpfen und nach
und nach loser werden, weil die Natur immer ihre Rechte behauptet.
Wir haben läßliche Gesetze, um nach und nach strenger werden zu
können; unsre Strafen bestehen vorerst in Absonderung von der
bürgerlichen Gesellschaft, gelinder, entschiedener, kürzer und länger
nach Befund. Wächst nach und nach der Besitz der Staatsbürger, so
zwackt man ihnen auch davon ab, weniger oder mehr, wie sie verdienen,
daß man ihnen von dieser Seite wehe tue.

Allen Gliedern des Bandes ist davon Kenntnis gegeben, und bei
angestelltem Examen hat sich gefunden, daß jeder von den Hauptpunkten
auf sich selbst die schicklichste Anwendung macht. Die Hauptsache
bleibt nur immer, daß wir die Vorteile der Kultur mit hinübernehmen
und die Nachteile zurücklassen. Branntweinschenken und
Lesebibliotheken werden bei uns nicht geduldet; wie wir uns aber
gegen Flaschen und Bücher verhalten, will ich lieber nicht eröffnen:
dergleichen Dinge wollen getan sein, wenn man sie beurteilen soll.

Und in eben diesem Sinne hält der Sammler und Ordner dieser Papiere
mit andern Anordnungen zurück, welche unter der Gesellschaft selbst
noch als Probleme zirkulieren und welche zu versuchen man vielleicht
an Ort und Stelle nicht rätlich findet; um desto weniger Beifall
dürfte man sich versprechen, wenn man derselben hier umständlich
erwähnen wollte.





Zwölftes Kapitel

Die zu Odoardos Vortrag angesetzte Frist war gekommen, welcher,
nachdem alles versammelt und beruhigt war, folgendermaßen zu reden
begann: "Das bedeutende Werk, an welchem teilzunehmen ich diese Masse
wackerer Männer einzuladen habe, ist Ihnen nicht ganz unbekannt, denn
ich habe ja schon im allgemeinen mit Ihnen davon gesprochen. Aus
meinen Eröffnungen geht hervor, daß in der alten Welt so gut wie in
der neuen Räume sind, welche einen bessern Anbau bedürfen, als ihnen
bisher zuteil ward. Dort hat die Natur große, weite Strecken
ausgebreitet, wo sie unberührt und eingewildert liegt, daß man sich
kaum getraut, auf sie loszugehen und ihr einen Kampf anzubieten. Und
doch ist es leicht für den Entschlossenen, ihr nach und nach die
Wüsteneien abzugewinnen und sich eines teilweisen Besitzes zu
versichern. In der alten Welt ist es das Umgekehrte. Hier ist
überall ein teilweiser Besitz schon ergriffen, mehr oder weniger
durch undenkliche Zeit das Recht dazu geheiligt; und wenn dort das
Grenzenlose als unüberwindliches Hindernis erscheint, so setzt hier
das Einfachbegrenzte beinahe noch schwerer zu überwindende
Hindernisse entgegen. Die Natur ist durch Emsigkeit, der Mensch
durch Gewalt oder überredung zu nötigen.

Wird der einzelne Besitz von der ganzen Gesellschaft für heilig
geachtet, so ist er es dem Besitzer noch mehr. Gewohnheit,
jugendliche Eindrücke, Achtung für Vorfahren, Abneigung gegen den
Nachbar und hunderterlei Dinge sind es, die den Besitzer starr und
gegen jede Veränderung widerwillig machen. Je älter dergleichen
Zustände sind, je verflochtener, je geteilter, desto schwieriger wird
es, das Allgemeine durchzuführen, das, indem es dem Einzelnen etwas
nähme, dem Ganzen und durch Rück--und Mitwirkung auch jenem wieder
unerwartet zugute käme.

Schon mehrere Jahre steh' ich im Namen meines Fürsten einer Provinz
vor, die, von seinen Staaten getrennt, lange nicht so, wie es möglich
wäre, benutzt wird. Eben diese Abgeschlossenheit oder
Eingeschlossenheit, wenn man will, hindert, daß bisher keine Anstalt
sich treffen ließ, die den Bewohnern Gelegenheit gegeben hätte, das,
was sie vermögen, nach außen zu verbreiten, und von außen zu
empfangen, was sie bedürfen.

Mit unumschränkter Vollmacht gebot ich in diesem Lande. Manches
Gute war zu tun, aber doch immer nur ein beschränktes; dem Bessern
waren überall Riegel vorgeschoben, und das Wünschenswerteste schien
in einer andern Welt zu liegen.

Ich hatte keine andere Verpflichtung, als gut hauszuhalten. Was ist
leichter als das! Ebenso leicht ist es, Mißbräuche zu beseitigen,
menschlicher Fähigkeiten sich zu bedienen, den Bestrebsamen
nachzuhelfen. Dies alles ließ sich mit Verstand und Gewalt recht
bequem leisten, dies alles tat sich gewissermaßen von selbst. Aber
wohin besonders meine Aufmerksamkeit, meine Sorge sich richtete, dies
waren die Nachbarn, die nicht mit gleichen Gesinnungen, am wenigsten
mit gleicher überzeugung ihre Landesteile regierten und regieren
ließen.

Beinahe hätte ich mich resigniert und mich innerhalb meiner Lage am
besten gehalten und das Herkömmliche, so gut als es sich tun ließ,
benutzt, aber ich bemerkte auf einmal, das Jahrhundert komme mir zu
Hülfe. Jüngere Beamte wurden in der Nachbarschaft angestellt, sie
hegten gleiche Gesinnungen, aber freilich nur im allgemeinen
wohlwollend, und pflichteten nach und nach meinen Planen zu
allseitiger Verbindung um so eher bei, als mich das Los traf, die
größeren Aufopferungen zuzugestehen, ohne daß gerade jemand merkte,
auch der größere Vorteil neige sich auf meine Seite.

So sind nun unser drei über ansehnliche Landesstrecken zu gebieten
befugt, unsre Fürsten und Minister sind von der Redlichkeit und
Nützlichkeit unsrer Vorschläge überzeugt; denn es gehört freilich
mehr dazu, seinen Vorteil im Großen als im Kleinen zu übersehen.
Hier zeigt uns immer die Notwendigkeit, was wir zu tun und zu lassen
haben, und da ist denn schon genug, wenn wir diesen Maßstab ans
Gegenwärtige legen; dort aber sollen wir eine Zukunft erschaffen, und
wenn auch ein durchdringender Geist den Plan dazu fände, wie kann er
hoffen, andere darin einstimmen zu sehen?

Noch würde dies dem einzelnen nicht gelingen; die Zeit, welche die
Geister frei macht, öffnet zugleich ihren Blick ins Weitere, und im
Weiteren läßt sich das Größere leicht erkennen, und eins der
stärksten Hindernisse menschlicher Handlungen wird leichter zu
entfernen. Dieses besteht nämlich darin, daß die Menschen wohl über
die Zwecke einig werden, viel seltener aber über die Mittel, dahin zu
gelangen. Denn das wahre Große hebt uns über uns selbst hinaus und
leuchtet uns vor wie ein Stern; die Wahl der Mittel aber ruft uns in
uns selbst zurück, und da wird der einzelne gerade, wie er war, und
fühlt sich ebenso isoliert, als hätt' er vorher nicht ins Ganze
gestimmt.

Hier also haben wir zu wiederholen: Das Jahrhundert muß uns zu Hülfe
kommen, die Zeit an die Stelle der Vernunft treten und in einem
erweiterten Herzen der höhere Vorteil den niedern verdrängen.

Hiermit sei es genug, und wär' es zu viel für den Augenblick, in der
Folge werd' ich einen jeden Teilnehmer daran erinnern. Genaue
Vermessungen sind geschehen, die Straßen bezeichnet, die Punkte
bestimmt, wo man die Gasthöfe und in der Folge vielleicht die Dörfer
heranrückt. Zu aller Art von Baulichkeiten ist Gelegenheit, ja
Notwendigkeit vorhanden. Treffliche Baumeister und Techniker
bereiten alles vor; Risse und Anschläge sind gefertigt; die Absicht
ist, größere und kleinere Akkorde abzuschließen und so mit genauer
Kontrolle die bereitliegenden Geldsummen, zur Verwunderung des
Mutterlandes, zu verwenden: da wir denn der schönsten Hoffnung leben,
es werde sich eine vereinte Tätigkeit nach allen Seiten von nun an
entwickeln.

Worauf ich nun aber die sämtlichen Teilnehmer aufmerksam zu machen
habe, weil es vielleicht auf ihre Entschließung Einfluß haben könnte,
ist die Einrichtung, die Gestalt, in welche wir alle Mitwirkenden
vereinigen und ihnen eine würdige Stellung unter sich und gegen die
übrige bürgerliche Welt zu schaffen gedenken.

Sobald wir jenen bezeichneten Boden betreten, werden die Handwerke
sogleich für Künste erklärt und durch die Bezeichnung "strenge
Künste" von den "freien" entschieden getrennt und abgesondert.
Diesmal kann hier nur von solchen Beschäftigungen die Rede sein,
welche den Aufbau sich zur Angelegenheit machen; die sämtlichen hier
anwesenden Männer, jung und alt, bekennen sich zu dieser Klasse.

Zählen wir sie her in der Folge, wie sie den Bau in die Höhe richten
und nach und nach zur Wohnbarkeit befördern.

Die Steinmetzen nenn' ich voraus, welche den Grund--und Eckstein
vollkommen bearbeiten, den sie mit Beihülfe der Maurer am rechten Ort
in der genauesten Bezeichnung niedersenken. Die Maurer folgen
hierauf, die auf den streng untersuchten Grund das Gegenwärtige und
Zukünftige wohl befestigen. Früher oder später bringt der Zimmermann
seine vorbereiteten Kontignationen herbei, und so steigt nach und
nach das Beabsichtigte in die Höhe. Den Dachdecker rufen wir eiligst
herbei; im Innern bedürfen wir des Tischers, Glasers, Schlossers, und
wenn ich den Tüncher zuletzt nenne, so geschieht es, weil er mit
seiner Arbeit zur verschiedensten Zeit eintreten kann, um zuletzt dem
Ganzen in--und auswendig einen gefälligen Schein zu geben. Mancher
Hülfsarbeiten gedenk' ich nicht, nur die Hauptsache verfolgend.

Die Stufen von Lehrling, Gesell und Meister müssen aufs strengste
beobachtet werden; auch können in diesen viele Abstufungen gelten,
aber Prüfungen können nicht sorgfältig genug sein. Wer herantritt,
weiß, daß er sich einer strengen Kunst ergibt, und er darf keine
läßlichen Forderungen von ihr erwarten; ein einziges Glied, das in
einer großen Kette bricht, vernichtet das Ganze. Bei großen
Unternehmungen wie bei großen Gefahren muß der Leichtsinn verbannt
sein.

Gerade hier muß die strenge Kunst der freien zum Muster dienen und
sie zu beschämen trachten. Sehen wir die sogenannten freien Künste
an, die doch eigentlich in einem höhern Sinne zu nehmen und zu nennen
sind, so findet man, daß es ganz gleichgültig ist, ob sie gut oder
schlecht betrieben werden. Die schlechteste Statue steht auf ihren
Füßen wie die beste, eine gemalte Figur schreitet mit verzeichneten
Füßen gar munter vorwärts, ihre mißgestalteten Arme greifen gar
kräftig zu, die Figuren stehen nicht auf dem richtigen Plan, und der
Boden fällt deswegen nicht zusammen. Bei der Musik ist es noch
auffallender; die gellende Fiedel einer Dorfschenke erregt die wackern
Glieder aufs kräftigste, und wir haben die unschicklichsten
Kirchenmusiken gehört, bei denen der Gläubige sich erbaute. Wollt
ihr nun gar auch die Poesie zu den freien Künsten rechnen, so werdet
ihr freilich sehen, daß diese kaum weiß, wo sie eine Grenze finden
soll. Und doch hat jede Kunst ihre innern Gesetze, deren
Nichtbeobachtung aber der Menschheit keinen Schaden bringt; dagegen
die strengen Künste dürfen sich nichts erlauben. Den freien Künstler
darf man loben, man kann an seinen Vorzügen Gefallen finden,
wenngleich seine Arbeit bei näherer Untersuchung nicht Stich hält.

Betrachten wir aber die beiden, sowohl die freien als strengen
Künste, in ihren vollkommensten Zuständen, so hat sich diese vor
Pedanterei und Bocksbeutelei, jene vor Gedankenlosigkeit und
Pfuscherei zu hüten. Wer sie zu leiten hat, wird hierauf aufmerksam
machen, Mißbräuche und Mängel werden dadurch verhütet werden.

Ich wiederhole mich nicht, denn unser ganzes Leben wird eine
Wiederholung des Gesagten sein; ich bemerke nur noch folgendes: Wer
sich einer strengen Kunst ergibt, muß sich ihr fürs Leben widmen.
Bisher nannte man sie Handwerk, ganz angemessen und richtig; die
Bekenner sollten mit der Hand wirken, und die Hand, soll sie das, so
muß ein eigenes Leben sie beseelen, sie muß eine Natur für sich sein,
ihre eignen Gedanken, ihren eignen Willen haben, und das kann sie
nicht auf vielerlei Weise."

Nachdem der Redende mit noch einigen hinzugefügten guten Worten
geschlossen hatte, richteten die sämtlichen Anwesenden sich auf, und
die Gewerke, anstatt abzuziehen, bildeten einen regelmäßigen Kreis
vor der Tafel der anerkannten Oberen. Odoard reichte den sämtlichen
ein gedrucktes Blatt umher, wovon sie, nach einer bekannten Melodie,
mäßig munter ein zutrauliches Lied sangen:


"Bleiben, Gehen, Gehen, Bleiben
Sei fortan dem Tücht'gen gleich.
Wo wir Nützliches betreiben,
Ist der werteste Bereich.
Dir zu folgen, wird ein Leichtes,
Wer gehorchet, der erreicht es,
Zeig' ein festes Vaterland.
Heil dem Führer! Heil dem Band!


Du verteilest Kraft und Bürde
Und erwägst es ganz genau,
Gibst dem Alten Ruh' und Würde,
Jünglingen Geschäft und Frau.
Wechselseitiges Vertrauen
Wird ein reinlich Häuschen bauen,
Schließen Hof und Gartenzaun,
Auch der Nachbarschaft vertraun.


Wo an wohlgebahnten Straßen
Man in neuer Schenke weilt,
Wo dem Fremdling reicher Maßen
Ackerfeld ist zugeteilt,
Siedeln wir uns an mit andern.
Eilet, eilet, einzuwandern
In das feste Vaterland.
Heil dir Führer! Heil dir Band!"





Dreizehntes Kapitel

Eine vollkommene Stille schloß sich an diese lebhafte Bewegung der
vergangenen Tage. Die drei Freunde blieben allein gegen einander
über stehen, und es ward gar bald merkbar, daß zwei von ihnen,
Lenardo und Friedrich, von einer sonderbaren Unruhe bewegt wurden; sie
verbargen nicht, daß sie beide ungeduldig seien, für ihren Teil in
der Abreise von diesem Ort sich gehindert zu sehen. Sie erwarteten
einen Boten, hieß es, und es kam indessen nichts Vernünftiges, nichts
Entscheidendes zur Sprache.

Endlich kommt der Bote, ein bedeutendes Paket überbringend, worüber
sich Friedrich sogleich herwirft, um es zu eröffnen. Lenardo hält
ihn ab und spricht: "Laß es unberührt, leg' es vor uns nieder auf den
Tisch; wir wollen es ansehen, denken und vermuten, was es enthalten
möge. Denn unser Schicksal ist seiner Bestimmung näher, und wenn wir
nicht selbst Herren darüber sind, wenn es von dem Verstande, von den
Empfindungen anderer abhängt, ein Ja oder Nein, ein So oder So zu
erwarten ist, dann ziemt es, ruhig zu stehen, sich zu fassen, sich zu
fragen, ob man es erdulden würde als wenn es ein sogenanntes
Gottesurteil wäre, wo uns auferlegt ist, die Vernunft gefangenzunehmen."

"Du bist nicht so gefaßt, als du scheinen willst", versetzte
Friedrich, "bleibe deswegen allein mit deinen Geheimnissen und
schalte darüber nach Belieben, mich berühren sie auf alle Fälle nicht;
aber laß mich indes diesem alten, geprüften Freunde den Inhalt
offenbaren und die zweifelhaften Zustände vorlegen, die wir ihm schon
so lange verheimlicht haben." Mit diesen Worten riß er unsern Freund
mit sich weg, und schon unterwegs rief er aus: "Sie ist gefunden,
längst gefunden! und es ist nur die Frage, wie es mit ihr werden soll."

"Das wußt' ich schon", sagte Wilhelm, "denn Freunde offenbaren
einander gerade das am deutlichsten, was sie einander verschweigen;
die letzte Stelle des Tagebuchs, wo sich Lenardo gerade mitten im
Gebirg des Briefes erinnert, den ich ihm schrieb, rief mir in der
Einbildungskraft im ganzen Umgange des Geistes und Gefühls jenes gute
Wesen hervor; ich sah ihn schon mit dem nächsten Morgen sich ihr
nähern, sie anerkennen und was daraus mochte gefolgt sein. Da will
ich denn aber aufrichtig gestehen, daß nicht Neugierde, sondern ein
redlicher Anteil, den ich ihr gewidmet habe, mich über euer Schweigen
und Zurückhalten beunruhigte."

"Und in diesem Sinne", rief Friedrich, "bist du gerade bei diesem
angekommenen Paket hauptsächlich mit interessiert; der Verfolg des
Tagebuchs war an Makarien gesandt, und man wollte dir durch Erzählung
das ernst-anmutige Ereignis nicht verkümmern. Nun sollst du's auch
gleich haben; Lenardo hat gewiß indessen ausgepackt, und das braucht
er nicht zu seiner Aufklärung."

Friedrich sprang hiermit nach alter Art hinweg, sprang wieder herbei
und brachte das versprochene Heft. "Nun muß ich aber auch erfahren",
rief er, "was aus uns werden wird." Hiemit war er wieder entsprungen,
und Wilhelm las: Lenardos Tagebuch Fortsetzung

Freitag, den 19ten.

Da man heute nicht säumen durfte, um zeitig zu Frau Susanne zu
gelangen, so frühstückte man eilig mit der ganzen Familie, dankte mit
versteckten Glückwünschen und hinterließ dem Geschirrfasser, welcher
zurückblieb, die den Jungfrauen zugedachten Geschenke, etwas
reichlicher und bräutlicher als die vorgestrigen, sie ihm heimlich
zuschiebend, worüber der gute Mann sich sehr erfreut zeigte.

Diesmal war der Weg frühe zurückgelegt; nach einigen Stunden
erblickten wir in einem ruhigen, nicht allzu weiten, flachen Tale,
dessen eine, felsige Seite von Wellen des klarsten Sees leicht
bespült sich widerspiegelte, wohl und anständig gebaute Häuser, um
welche ein besserer, sorgfältig gepflegter Boden, bei sonniger Lage,
einiges Gartenwesen begünstigte. In das Haupthaus durch den
Garnboten eingeführt und Frau Susannen vorgestellt, fühlte ich etwas
ganz Eigenes, als sie uns freundlich ansprach und versicherte: es sei
ihr sehr angenehm, daß wir Freitags kämen, als dem ruhigsten Tage der
Woche, da Donnerstags abends die gefertigte Ware zum See und in die
Stadt geführt werde. Dem einfallenden Garnboten, welcher sagte: "Die
bringt wohl Daniel jederzeit hinunter!", versetzte sie: "Gewiß, er
versieht das Geschäft so löblich und treu, als wenn es sein eigenes
wäre."--"Ist doch auch der Unterschied nicht groß", versetzte jener;
übernahm einige Aufträge von der freundlichen Wirtin und eilte, seine
Geschäfte in den Seitentälern zu vollbringen, versprach in einigen
Tagen wiederzukommen und mich abzuholen.

Mir war indessen ganz wunderlich zumute; mich hatte gleich beim
Eintritt eine Ahnung befallen, daß es die Ersehnte sei; beim längeren
Hinblick war sie es wieder nicht, konnte es nicht sein, und doch beim
Wegblicken, oder wenn sie sich umkehrte, war sie es wieder; eben wie
im Traum Erinnerung und Phantasie ihr Wesen gegeneinander treiben.

Einige Spinnerinnen, die mit ihrer Wochenarbeit gezögert hatten,
brachten sie nach; die Herrin, mit freundlichster Ermahnung zum
Fleiße, marktete mit ihnen, überließ aber, um sich mit dem Gast zu
unterhalten, das Geschäft an zwei Mädchen, welche sie Gretchen und
Lieschen nannte und welche ich um desto aufmerksamer betrachtete, als
ich ausforschen wollte, wie sie mit der Schilderung des
Geschirrfassers allenfalls zusammenträfen. Diese beiden Figuren
machten mich ganz irre und zerstörten alle ähnlichkeit zwischen der
Gesuchten und der Hausfrau.

Aber ich beobachtete diese nur desto genauer, und sie schien mir
allerdings das würdigste, liebenswürdigste Wesen von allen, die ich
auf meiner Gebirgsreise erblickte. Schon war ich von dem Gewerbe
unterrichtet genug, um mit ihr über das Geschäft, welches sie gut
verstand, mit Kenntnis sprechen zu können; meine einsichtige
Teilnahme erfreute sie sehr, und als ich fragte: woher sie ihre
Baumwolle beziehe, deren großen Transport übers Gebirg ich vor
einigen Tagen gesehen, so erwiderte sie, daß eben dieser Transport ihr
einen ansehnlichen Vorrat mitgebracht. Die Lage ihres Wohnorts sei
auch deshalb so glücklich, weil die nach dem See hinunterführende
Hauptstraße etwa nur eine Viertelstunde ihres Tals hinabwärts
vorbeigehe, wo sie denn entweder in Person oder durch einen Faktor die
ihr von Triest bestimmten und adressierten Ballen in Empfang nehme,
wie denn das vorgestern auch geschehen.

Sie ließ nun den neuen Freund in einen großen, lüftigen Keller
hineingehen, wo der Vorrat aufgehoben wird, damit die Baumwolle nicht
zu sehr austrockne, am Gewicht verliere und weniger geschmeidig werde.
Dann fand ich auch, was ich schon im einzelnen kannte, meistenteils
hier versammelt; sie deutete nach und nach auf dies und jenes, und
ich nahm verständigen Anteil. Indessen wurde sie stiller, aus ihren
Fragen konnt' ich erraten, sie vermute, daß ich vom Handwerk sei.
Denn sie sagte, da die Baumwolle soeben angekommen, so erwarte sie nun
bald einen Kommis oder Teilnehmer der Triester Handlung, der nach
einer bescheidenen Ansicht ihres Zustandes die schuldige Geldpost
abholen werde; diese liege bereit für einen jeden, welcher sich
legitimieren könne.

Einigermaßen verlegen suchte ich auszuweichen und blickte ihr nach,
als sie eben einiges anzuordnen durchs Zimmer ging; sie erschien mir
wie Penelope unter den Mägden.

Sie kehrt zurück, und mich dünkt, es sei was Eigenes in ihr
vorgegangen. "Sie sind denn nicht vom Kaufmannsstande?" sagte sie,
"ich weiß nicht, woher mir das Vertrauen kommt und wie ich mich
unterfangen mag, das Ihrige zu verlangen; erdringen will ich's nicht,
aber gönnen Sie mir's, wie es Ihnen ums Herz ist." Dabei sah mich ein
fremdes Gesicht mit so ganz bekannten erkennenden Augen an, daß ich
mich ganz durchdrungen fühlte und mich kaum zu fassen wußte. Meine
Kniee, mein Verstand wollten mir versagen, als man sie
glücklicherweise sehr eilig abrief. Ich konnte mich erholen, meinen
Vorsatz stärken, so lang als möglich an mich zu halten; denn es


 


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