Römische Geschichte Book 4
by
Theodor Mommsen

Part 5 out of 9

umfasste, uebernahmen italischerseits der Marser Quintus Silo, roemischerseits
Publius Rutilius Lupus, beide als Konsuln, den Oberbefehl; in der suedlichen,
welche Kampanien, Samnium und ueberhaupt die sabellisch redenden Landschaften in
sich schloss, befehligte als Konsul der Insurgenten der Samnite Gaius Papius
Mutilus, als roemischer Konsul Lucius Iulius Caesar. Jedem der beiden
Oberfeldherrn standen auf italischer Seite sechs, auf roemischer fuenf
Unterbefehlshaber zur Seite, so dass ein jeder von diesen in einem bestimmten
Bezirk den Angriff und die Verteidigung leitete, die konsularischen Heere aber
die Bestimmung hatten, freier zu agieren und die Entscheidung zu bringen. Die
angesehensten roemischen Offiziere, wie zum Beispiel Gaius Marius, Quintus
Catulus und die beiden im Spanischen Krieg erprobten Konsulare Titus Didius und
Publius Crassus, stellten fuer diese Posten den Konsuln sich zur Verfuegung; und
wenn man auf Seiten der Italiker nicht so gefeierte Namen entgegenzustellen
hatte, so bewies doch der Erfolg, dass ihre Fuehrer den roemischen militaerisch
in nichts nachstanden.
---------------------------------------------------
4 Die Schleuderbleie von Asculum beweisen, dass auch im Heere des Strabo
die Gallier sehr zahlreich waren.
5 Wir haben noch einen roemischen Senatsbeschluss vom 22. Mai 676 (78),
welcher dreien griechischen Schiffskapitaenen von Karystos, Klazomenae und
Miletos fuer die seit dem Beginn des Italischen Krieges (664 90) geleisteten
treuen Dienste bei ihrer Entlassung Ehren und Vorteile zuerkennt. Gleichartig
ist die Nachricht Memnons, dass von Herakleia am Schwarzen Meer fuer den
Italischen Krieg zwei Trieren aufgeboten und dieselben im elften Jahre mit
reichen Ehrengaben heimgekehrt seien.
6 Dass diese Angaben Appians nicht uebertrieben ist, beweisen die
Schleuderbleie von Asculum, die unter anderen die fuenfzehnte Legion nennen.
----------------------------------------------------
Die Offensive in diesem durchaus dezentralisierten Krieg war im ganzen auf
seiten der Roemer, tritt aber auch hier nirgends mit Entschiedenheit auf. Es
faellt auf, dass weder die Roemer ihre Truppen zusammennahmen, um einen
ueberlegenen Angriff gegen die Insurgenten auszufuehren, noch die Insurgenten
den Versuch machten, in Latium einzuruecken und sich auf die feindliche
Hauptstadt zu werfen; wir sind indes mit den beiderseitigen Verhaeltnissen zu
wenig bekannt; um zu beurteilen, ob und wie man anders haette handeln koennen
und inwieweit die Schlaffheit der roemischen Regierung einer- und die lose
Verbindung der foederierten Gemeinden andrerseits zu diesem Mangel an Einheit in
der Kriegfuehrung beigetragen haben. Es ist begreiflich, dass bei diesem System
es wohl zu Siegen und Niederlagen kam, aber sehr lange nicht zu einer
endgueltigen Erledigung; nicht minder aber auch, sass von einem solchen Krieg,
der in eine Reihe von Gefechten einzelner gleichzeitig, bald gesondert, bald
kombiniert operierender Korps sich aufloeste, aus unserer beispiellos
truemmerhaften Ueberlieferung ein anschauliches Bild sich nicht herstellen
laesst.
Der erste Sturm traf selbstverstaendlich die in den insurgierten
Landschaften zu Rom haltenden Festungen, die schleunigst ihre Tore schlossen und
die bewegliche Habe vom Lande hereinschafften. Silo warf sich auf die Zwingburg
der Marser, das feste Alba, Mutilus auf die im Herzen Samniums angelegte
Latinerstadt Aesernia: dort wie hier trafen sie auf den entschlossensten
Widerstand. Aehnliche Kaempfe moegen im Norden um Firmum, Hatria, Pinna, im
Sueden um Luceria, Benevent, Nola, Paestum getobt haben, bevor und waehrend die
roemischen Heere sich an den Grenzen der insurgierten Landschaft aufstellten.
Nachdem die Suedarmee unter Caesar in der groesstenteils noch zu Rom haltenden
kampanischen Landschaft sich im Fruehjahr 664 (90) gesammelt und Capua mit
seinem fuer die Finanzen Roms so wichtigen Domanialgebiet sowie die
bedeutenderen Bundesstaedte mit Besatzung versehen hatte, versuchte sie zur
Offensive ueberzugehen und den kleineren, nach Samnium und Lucanien unter Marcus
Marcellus und Publius Crassus vorausgesandten Abteilungen zu Hilfe zu kommen.
Allein Caesar ward von den Samniten und den Marsern unter Publius Vettius Scato
mit starkem Verlust zurueckgewiesen, und die wichtige Stadt Venafrum trat
hierauf ueber zu den Insurgenten, denen sie die roemische Besatzung in die
Haende lieferte. Durch den Abfall dieser Stadt, die auf der Heerstrasse von
Kampanien nach Samnium lag, war Aesernia abgeschnitten, und die bereits hart
angegriffene Festung sah sich jetzt ausschliesslich auf den Mut und die Ausdauer
ihrer Verteidiger und ihres Kommandanten Marcellus angewiesen. Zwar machte ein
Streifzug, den Sulla mit derselben kuehnen Verschlagenheit wie vor Jahren den
Zug zu Bocchus gluecklich zu Ende fuehrte, den bedraengten Aeserninern fuer
einen Augenblick Luft; allein dennoch wurden sie nach hartnaeckiger Gegenwehr
gegen Ende des Jahres durch die aeusserste Hungersnot gezwungen zu kapitulieren.
Auch in Lucanien ward Publius Crassus von Marcus Lamponius geschlagen und
genoetigt, sich in Grumentum einzuschliessen, das nach langer und harter
Belagerung fiel. Apulien und die suedlichen Landschaften hatte man ohnehin
gaenzlich sich selbst ueberlassen muessen. Die Insurrektion griff um sich; wie
Mutilus an der Spitze der samnitischen Armee in Kampanien einrueckte, uebergab
die Buergerschaft von Nola ihm ihre Stadt und lieferte die roemische Besatzung
aus, deren Befehlshaber auf Mutilus' Befehl hingerichtet, die Mannschaft in die
siegreiche Armee untergesteckt ward. Mit einziger Ausnahme von Nuceria, das fest
an Rom hielt, ging ganz Kampanien bis zum Vesuv den Roemern verloren; Salernum,
Stabiae, Pompeii, Herculaneum erklaerten sich fuer die Insurgenten; Mutilus
konnte in das Gebiet noerdlich vom Vesuv vorruecken und mit seiner samnitisch-
lucanischen Armee Acerrae belagern. Die Numidier, die in grosser Zahl bei
Caesars Armee standen, fingen an, scharenweise zu Mutilus ueberzugehen oder
vielmehr zu Oxyntas, dem Sohne Jugurthas, der bei der Uebergabe von Venusia den
Samniten in die Haende gefallen war und nun im koeniglichen Purpur in den Reihen
der Samniten erschien, so dass Caesar sich genoetigt sah, das ganze afrikanische
Korps in die Heimat zurueckzuschicken. Mutilus wagte sogar einen Sturm auf das
roemische Lager; allein er ward abgeschlagen, und die Samniten, denen bei dem
Abzug die roemische Reiterei in den Ruecken gefallen war, liessen bei 6000 Tote
auf dem Schlachtfeld. Es war der erste namhafte Erfolg, den in diesem Kriege die
Roemer errangen; das Heer rief den Feldherrn zum Imperator aus, und in der
Hauptstadt fing der tief gesunkene Mut wieder an sich zu heben. Zwar ward nicht
lange darauf die siegreiche Armee bei einem Flussuebergang von Marius Egnatius
angegriffen und so nachdruecklich geschlagen, dass sie bis Teanum zurueckweichen
und dort wieder organisiert werden musste; indes gelang es den Anstrengungen des
taetigen Konsuls, sein Heer noch vor Einbruch des Winters wieder in
kriegsfaehigen Zustand zu setzen und seine alte Stellung wieder einzunehmen
unter den Mauern von Acerrae, das die samnitische Hauptarmee unter Mutilus
fortfuhr zu belagern.
Gleichzeitig hatten die Operationen auch in Mittelitalien begonnen, wo der
Aufstand von den Abruzzen und der Landschaft am Fuciner See aus in gefaehrlicher
Naehe die Hauptstadt bedrohte. Ein selbstaendiges Korps unter Gnaeus Pompeius
Strabo ward ins Picenische gesandt, um, auf Firmum und Falerio gestuetzt,
Asculum zu bedrohen; die Hauptmasse dagegen der roemischen Nordarmee stellte
unter dem Konsul Lupus sich auf an der Grenze des latinischen und des marsischen
Gebietes, wo an der Valerischen und der Salarischen Chaussee der Feind der
Hauptstadt am naechsten stand; der kleine Fluss Tolenus (Turano), der zwischen
Tibur und Alba die Valerische Strasse schneidet und bei Rieti in den Velino
faellt, schied die beiden Heere. Ungeduldig draengte der Konsul Lupus zur
Entscheidung und ueberhoerte den unbequemen Rat des Marius, die des Dienstes
ungewohnte Mannschaft erst im kleinen Krieg zu ueben. Zunaechst ward ihm die
10000 Mann starke Abteilung des Gaius Perpenna vollstaendig geschlagen. Der
Oberfeldherr entsetzte den geschlagenen General seines Kommandos und vereinigte
den Rest des Korps mit dem unter Marius' Befehl stehenden, liess sich aber
dadurch nicht abhalten, die Offensive zu ergreifen und in zwei teils von ihm
selbst, teils von Marius gefuehrten Abteilungen auf zwei nicht weit voneinander
geschlagenen Bruecken den Tolenus zu ueberschreiten. Ihnen gegenueber stand
Publius Scato mit den Marsern; er hatte sein Lager an der Stelle geschlagen, wo
Marius den Bach ueberschritt, allein ehe der Uebergang stattfand, sich mit
Hinterlassung der blossen Lagerposten von dort weggezogen und weiter
flussaufwaerts eine verdeckte Stellung genommen, in welcher er das roemische
Korps unter Lupus unvermutet waehrend des Uebergehens angriff und es teils
niedermachte, teils in den Fluss sprengte (11. Juni 664 90). Der Konsul selbst
und 8000 der Seinen blieben. Es konnte kaum ein Ersatz heissen, dass Marius,
Scatos Abmarsch endlich gewahrend, ueber den Fluss gegangen war und nicht ohne
Verlust der Feinde deren Lager besetzt hatte. Doch zwang dieser Flussuebergang
und gleichzeitig von dem Feldherrn Servius Sulpicius ueber die Paeligner
erfochtener Sieg die Marser, ihre Verteidigungslinie etwas zurueckzunehmen, und
Marius, welcher nach Beschluss des Senats als Hoechstkommandierender an Lupus'
Stelle trat, verhinderte wenigstens, dass der Feind weitere Erfolge errang.
Allein Quintus Caepio, der bald darauf ihm gleichberechtigt zur Seite gesetzt
ward, weniger wegen eines gluecklich von ihm bestandenen Gefechtes, als weil er
den damals in Rom tonangebenden Rittern durch seine heftige Opposition gegen
Drusus sich empfohlen hatte, liess sich von Silo durch die Vorspiegelung, ihm
sein Heer verraten zu wollen, in einen Hinterhalt locken und ward mit einem
grossen Teil seiner Mannschaft von den Marsern und Vestinern zusammengehauen.
Marius, nach Caepios Fall wiederum alleiniger Oberbefehlshaber, hinderte durch
seinen zaehen Widerstand den Gegner, die errungenen Vorteile zu benutzen, und
drang allmaehlich tief in das marsische Gebiet ein. Die Schlacht versagte er
lange; als er endlich sie lieferte, ueberwand er seinen stuermischen Gegner, der
unter anderen Toten den Hauptmann der Marruciner Herius Asinius auf der Walstatt
zurueckliess. In einem zweiten Treffen wirkten Marius' Heer und das zur
Suedarmee gehoerige Korps des Sulla zusammen, um den Marsern eine noch
empfindlichere Niederlage beizubringen, die ihnen 6000 Mann kostete; die Ehre
dieses Tages aber blieb dem juengeren Offizier, denn Marius hatte zwar die
Schlacht geliefert und gewonnen, aber Sulla den Fluechtigen den Rueckzug verlegt
und sie aufgerieben.
Waehrend also am Fuciner See heftig und mit wechselndem Erfolg gefochten
ward, hatte auch das picenische Korps unter Strabo ungluecklich und gluecklich
gestritten. Die Insurgentenchefs Gaius Iudacilius aus Asculum, Publius Vettius
Scato und Titus Lafrenius hatten mit vereinten Kraeften dasselbe angegriffen, es
geschlagen und gezwungen, sich nach Firmum zu werfen, wo Lafrenius den Strabo
belagert hielt, waehrend Iudacilius in Apulien einrueckte und Canusium, Venusia
und die sonstigen dort noch zu Rom haltenden Staedte zum Anschluss an die
Aufstaendischen bestimmte. Allein auf der roemischen Seite bekam Servius
Sulpicius durch seinen Sieg ueber die Paeligner freie Hand, um in Picenum
einzuruecken und Strabo Hilfe zu bringen. Lafrenius ward, waehrend von vorn
Strabo ihn angriff, von Sulpicius in den Ruecken gefasst und sein Lager in Brand
gesteckt; er selber fiel, der Rest seiner Truppen warf sich in aufgeloester
Flucht nach Asculum. So vollstaendig hatte im Picenischen die Lage der Dinge
sich geaendert, dass wie vorher die Roemer auf Firmum, so jetzt die Italiker auf
Asculum sich beschraenkt sahen und der Krieg also sich abermals in eine
Belagerung verwandelte.
Endlich war im Laufe des Jahres zu den beiden schwierigen und vielgeteilten
Kriegen im suedlichen und mittleren Italien noch ein dritter in der noerdlichen
Landschaft gekommen, indem die fuer Rom so gefaehrliche Lage der Dinge nach den
ersten Kriegsmonaten einen grossen Teil der umbrischen und einzelne etruskische
Gemeinden veranlasst hatte, sich fuer die Insurrektion zu erklaeren, so dass es
noetig geworden war, gegen die Umbrer den Aulus Plotius, gegen die Etrusker den
Lucius Porcius Cato zu entsenden. Hier indes stiessen die Roemer auf einen weit
minder energischen Widerstand als im marsischen und samnitischen Land und
behaupteten das entschiedenste Uebergewicht im Felde.
So ging das schwere erste Kriegsjahr zu Ende, militaerisch wie politisch
truebe Erinnerungen und bedenkliche Aussichten hinterlassend. Militaerisch waren
beide Armeen der Roemer, die marsische wie die kampanische, durch schwere
Niederlagen geschwaecht und entmutigt, die Nordarmee genoetigt, vor allem auf
die Deckung der Hauptstadt bedacht zu sein, die Suedarmee bei Neapel in ihren
Kommunikationen ernstlich bedroht, da die Insurgenten ohne viele Schwierigkeit
aus dem marsischen oder samnitischen Gebiet hervorbrechen und zwischen Rom und
Neapel sich festsetzen konnten; weswegen man es notwendig fand, wenigstens eine
Postenkette von Cumae nach Rom zu ziehen. Politisch hatte die Insurrektion
waehrend dieses ersten Kampfjahres nach allen Seiten hin Boden gewonnen, der
Obertritt von Nola, die rasche Kapitulation der festen und grossen latinischen
Kolonie Venusia, der umbrisch-etruskische Aufstand waren bedenkliche Zeichen,
dass die roemische Symmachie in ihren innersten Fugen wanke und nicht imstande
sei, diese letzte Probe auszuhalten. Schon hatte man der Buergerschaft das
Aeusserste zugemutet, schon, um jene Postenkette an der latinisch-kampanischen
Kueste zu bilden, gegen 6000 Freigelassene in die Buergermiliz eingereiht, schon
von den noch treugebliebenen Bundesgenossen die schwersten Opfer gefordert; es
war nicht moeglich, die Sehne des Bogens noch schaerfer anzuziehen, ohne alles
aufs Spiel zu setzen. Die Stimmung der Buergerschaft war unglaublich gedrueckt.
Nach der Schlacht am Tolenus, als der Konsul und die zahlreichen mit ihm
gefallenen namhaften Buerger von dem nahen Schlachtfeld nach der Hauptstadt als
Leichen zurueckgebracht und daselbst bestattet wurden, als die Beamten zum
Zeichen der oeffentlichen Trauer den Purpur und die Ehrenabzeichen von sich
legten, als von der Regierung an die hauptstaedtischen Bewohner der Befehl
erging, in Masse sich zu bewaffnen, hatten nicht wenige sich der Verzweiflung
ueberlassen und alles verloren gegeben. Zwar war die schlimmste Entmutigung
gewichen nach den von Caesar bei Acerrae, von Strabo im Picenischen erfochtenen
Siegen; auf die Meldung des ersteren hatte man in der Hauptstadt den Kriegsrock
wieder mit dem Buergerkleid vertauscht, auf die des zweiten die Zeichen der
Landestrauer abgelegt; aber es war doch nicht zweifelhaft, dass im ganzen die
Roemer in diesem Waffengang den kuerzeren gezogen hatten, und vor allen Dingen
war aus dem Senat wie aus der Buergerschaft der Geist entwichen, der sie einst
durch alle Krisen des Hannibalischen Krieges hindurch zum Siege getragen hatte.
Man begann den Krieg wohl noch mit dem gleichen trotzigen Uebermut wie damals,
aber man wusste ihn nicht wie damals damit zu endigen; der starre Eigensinn, die
zaehe Konsequenz hatten einer schlaffen und feigen Gesinnung Platz gemacht.
Schon nach dem ersten Kriegsjahr wurde die aeussere und innere Politik
ploetzlich eine andere und wandte sich zur Transaktion. Es ist kein Zweifel,
dass man damit das Kluegste tat, was sich tun liess; aber nicht weil man, durch
die unmittelbare Gewalt der Waffen genoetigt, nicht umhin konnte, sich
nachteilige Bedingungen gefallen zu lassen, sondern weil das, worum gestritten
ward, die Verewigung des politischen Vorranges der Roemer vor den uebrigen
Italikern, dem Gemeinwesen selber mehr schaedlich als foerderlich war. Es trifft
im oeffentlichen Leben wohl, dass ein Fehler den anderen ausgleicht; hier
machte, was der Eigensinn verschuldet hatte, die Feigheit gewissermassen wieder
gut. Das Jahr 664 (90) hatte begonnen mit der schroffsten Zurueckweisung des von
den Insurgenten angebotenen Vergleichs und mit der Eroeffnung eines
Prozesskrieges, in welchem die leidenschaftlichsten Verteidiger des
patriotischen Egoismus, die Kapitalisten, Rache nahmen an allen denjenigen, die
im Verdacht standen, der Maessigung und der rechtzeitigen Nachgiebigkeit das
Wort geredet zu haben. Dagegen brachte der Tribun Marcus Plautius Silvanus, der
am 10. Dezember desselben Jahres sein Amt antrat, ein Gesetz durch, das die
Hochverratskommission den Kapitalistengeschworenen entzog und anderen, aus der
freien, nicht staendisch qualifizierten Wahl der Distrikte hervorgegangenen
Geschworenen anvertraute; wovon die Folge war, dass diese Kommission aus einer
Geissel der Moderierten zu einer Geissel der Ultras ward und sie unter anderen
ihren eigenen Urheber Quintus Varius, dem die oeffentliche Stimme die
schlimmsten demokratischen Greueltaten, die Vergiftung des Quintus Metellus und
die Ermordung des Drusus, schuld gab, in die Verbannung sandte. Wichtiger als
diese seltsam offenherzige politische Palinodie war die veraenderte Richtung,
die man in der Politik gegen die Italiker einschlug. Genau dreihundert Jahre
waren verflossen, seit Rom zum letzten Male sich hatte den Frieden diktieren
lassen muessen; Rom war jetzt wieder unterlegen, und da es den Frieden begehrte,
war derselbe nur moeglich wenigstens durch teilweises Eingehen auf die
Bedingungen der Gegner. Mit den Gemeinden, die bereits in Waffen sich erhoben
hatten, um Rom zu unterwerfen und zu zerstoeren, war die Fehde zu erbittert
geworden, als dass man in Rom es ueber sich gewonnen haette, ihnen die
verlangten Zugestaendnisse zu machen; und haette man es getan, sie waeren
vielleicht jetzt von der anderen Seite zurueckgewiesen worden. Indes wenn den
bis jetzt noch treugebliebenen Gemeinden die urspruenglichen Forderungen unter
gewissen Einschraenkungen gewaehrt wurden, so ward damit teils der Schein
freiwilliger Nachgiebigkeit gerettet, teils die sonst unvermeidliche
Konsolidierung der Konfoederation verhindert und damit der Weg zu ihrer
Ueberwindung gebahnt. So taten denn die Pforten des roemischen Buergertums, die
der Bitte so lange verschlossen geblieben waren, jetzt ploetzlich sich auf, als
die Schwerter daran pochten; jedoch auch jetzt nicht voll und ganz, sondern
selbst fuer die Aufgenommenen in widerwilliger und kraenkender Weise. Ein von
dem Konsul Lucius Caesar 7 durchgebrachtes Gesetz verlieh das roemische
Buergerrecht den Buergern aller derjenigen italischen Bundesgemeinden, die bis
dahin noch nicht Rom offen abgesagt hatten; ein zweites der Volkstribune Marcus
Plautius Silvanus und Gaius Papirius Carbo setzte jedem in Italien verbuergerten
und domizilierten Mann eine zweimonatliche Frist, binnen welcher es ihm
gestattet sein solle, durch Anmeldung bei einem roemischen Beamten das roemische
Buergerrecht zu gewinnen. Indes sollten diese Neubuerger, aehnlich den
Freigelassenen, im Stimmrecht in der Art beschraenkt sein, dass von den
fuenfunddreissig Bezirken sie nur in acht, wie die Freigelassenen nur in vier,
eingeschrieben werden konnten; ob die Beschraenkung persoenlich oder, wie es
scheint, erblich war, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Diese Massregel
bezog sich zunaechst auf das eigentliche Italien, das noerdlich damals noch
wenig ueber Ancona und Florenz hinausreichte. In dem Kettenland diesseits der
Alpen, das zwar rechtlich Ausland war, aber in der Administration wie in der
Kolonisierung laengst als Teil Italiens galt, wurden saemtliche latinische
Kolonien behandelt wie die italischen Gemeinden. Im uebrigen war hier diesseits
des Po der groesste Teil des Bodens nach Aufloesung der alten keltischen
Stammgemeinden zwar nicht nach dem munizipalen Schema organisiert, stand aber
doch im Eigentum roemischer, meist in Marktflecken (fora) zusammenwohnender
Buerger. Die nicht zahlreichen bundesgenoessischen Ortschaften diesseits des Po,
namentlich Ravenna, sowie die gesamte Landschaft zwischen dem Po und den Alpen
ward infolge eines von dem Konsul Strabo im Jahre 665 (89) eingebrachten
Gesetzes nach italischer Stadtverfassung organisiert, so dass die hierzu sich
nicht eignenden Gemeinden, namentlich die Ortschaften in den Alpentaelern,
einzelnen Staedten als abhaengige und zinspflichtige Doerfer zugelegt wurden,
diese neuen Stadtgemeinden aber nicht mit dem roemischen Buergertum beschenkt,
sondern durch die rechtliche Fiktion, dass sie latinische Kolonien seien, mit
denjenigen Rechten bekleidet, welche bisher den latinischen Staedten geringeren
Rechts zugestanden hatten. Italien endigte also damals tatsaechlich am Po,
waehrend die transpadanische Landschaft als Vorland behandelt ward. Hier,
noerdlich vom Po, gab es ausser Cremona, Eporedia und Aquileia keine Buerger-
oder latinische Kolonien, und es waren auch die einheimischen Staemme hier
keineswegs, wie suedlich vom Po, verdraengt worden. Die Abschaffung der
keltischen Gau- und die Einfuehrung der italischen Stadtverfassung bahnte die
Romanisierung des reichen und wichtigen Gebietes an; es war dies der erste
Schritt zu der langen und folgenreichen Umgestaltung des gallischen Stammes, im
Gegensatz zu dem und zu dessen Abwehr einstmals Italien sich zusammengefunden
hatte, in Genossen ihrer italischen Herren.
------------------------------------------
7 Das Julische Gesetz muss in den letzten Monaten des Jahres 664 (90)
erlassen sein, da waehrend der guten Jahreszeit Caesar im Felde stand; das
Plautische ist wahrscheinlich, wie in der Regel die tribunizischen Antraege,
unmittelbar nach dem Amtsantritt der Tribune, also Dezember 664 (90) oder Januar
665 (89) durchgebracht worden.
-----------------------------------------
So ansehnlich diese Zugestaendnisse waren, wenn man sie vergleicht mit der
seit mehr als hundertfuenfzig Jahren festgehaltenen starren Abgeschlossenheit
der roemischen Buergerschaft, so schlossen sie doch nichts weniger als eine
Kapitulation mit den wirklichen Insurgenten ein, sondern sollten teils die
schwankenden und mit dem Abfall drohenden Gemeinden festhalten, teils moeglichst
viele Ueberlaeufer aus den feindlichen Reihen herueberziehen. In welchem Umfang
diese Gesetze, namentlich das wichtigste derselben, das des Caesar, zur
Anwendung gekommen sind, laesst sich nicht genau sagen, da wir den Umfang der
Insurrektion zur Zeit der Erlassung des Gesetzes nur im allgemeinen anzugeben
vermoegen. Die Hauptsache war auf jeden Fall, dass die bisher latinischen
Gemeinden, sowohl die Ueberreste der alten latinischen Eidgenossenschaft, wie
Tibur und Praeneste, als auch besonders die latinischen Kolonien, mit Ausnahme
der wenigen zu den Insurgenten uebergegangenen, dadurch eintraten in den
roemischen Buergerverband. Ausserdem fand das Gesetz Anwendung auf die
treugebliebenen Bundesstaedte in Etrurien und besonders in Sueditalien, wie
Nuceria und Neapolis. Dass einzelne bisher besonders bevorzugte Gemeinden ueber
die Annahme des Buergerrechts schwankten, Neapolis zum Beispiel Bedenken trug,
seinen bisherigen Vertrag mit Rom, der den Buergern Freiheit vom Landdienst und
ihre griechische Verfassung, vielleicht auch ueberdies Domanialnutzungen
garantierte, gegen das beschraenkte Neubuergerrecht hinzugeben, ist begreiflich;
es ist wahrscheinlich aus den dieser Anstaende wegen geschlossenen Vergleichen
herzuleiten, dass diese Stadt, sowie auch Rhegion und vielleicht noch andere
griechische Gemeinden in Italien, selbst nach dem Eintritt in den Buergerverband
ihre bisherige Kommunalverfassung und die griechische Sprache als offizielle
unveraendert beibehalten haben. Auf alle Faelle ward infolge dieser Gesetze der
roemische Buergerverband ausserordentlich erweitert durch das Aufgehen von
zahlreichen und ansehnlichen von der sizilischen Meerenge bis zum Po zerstreuten
Stadtgemeinden in denselben, ausserdem die Landschaft zwischen dem Po und den
Alpen durch die Erteilung des besten bundesgenoessischen Rechts gleichsam mit
der gesetzlichen Anwartschaft auf das volle Buergerrecht beliehen.
Gestuetzt auf diese Konzessionen an die schwankenden Gemeinden nahmen die
Roemer mit neuem Mute den Kampf auf gegen die aufstaendischen Distrikte. Man
hatte von den bestehenden politischen Institutionen so viel niedergerissen, als
notwendig schien, um die Ausbreitung des Brandes zu hindern; die Insurrektion
griff fortan wenigstens nicht weiter um sich. Namentlich in Etrurien und
Umbrien, wo sie erst im Beginn war, wurde sie wohl mehr noch durch das Julische
Gesetz als durch den Erfolg der roemischen Waffen so auffallend rasch
ueberwaeltigt. In den ehemaligen latinischen Kolonien, in der dicht bewohnten
Polandschaft eroeffneten sich reiche und jetzt zuverlaessige Hilfsquellen; mit
diesen und mit denen der Buergerschaft selbst konnte man daran gehen, den jetzt
isolierten Brand zu bewaeltigen. Die beiden bisherigen Oberbefehlshaber gingen
nach Rom zurueck, Caesar als erwaehlter Zensor, Marius, weil man seine
Kriegfuehrung als unsicher und langsam tadelte und den sechsundsechzigjaehrigen
Mann fuer altersschwach erklaerte. Sehr wahrscheinlich war dieser Vorwurf
unbegruendet; Marius bewies, indem er taeglich in Rom auf dem Turnplatz
erschien, wenigstens seine koerperliche Frische, und auch als Oberbefehlshaber
scheint er in dem letzten Feldzug im ganzen die alte Tuechtigkeit bewaehrt zu
haben; aber glaenzende Erfolge, mit denen allein er nach seinem politischen
Bankrott sich haette in der oeffentlichen Meinung rehabilitieren koennen, hatte
er nicht erfochten, und so ward der gefeierte Degen zu seinem bitteren Kummer
jetzt auch als Offizier ohne Umstaende zu dem alten Eisen geworfen. An Marius'
Stelle trat bei der marsischen Armee der Konsul dieses Jahres Lucius Porcius
Cato, der mit Auszeichnungen in Etrurien gefochten hatte, an Caesars bei der
kampanischen der Unterfeldherr Lucius Sulla, dem man einige der wesentlichsten
Erfolge des vorigen Feldzugs verdankte; Gnaeus Strabo behielt, jetzt als Konsul,
das mit so grossem Erfolg von ihm gefuehrte Kommando im picenischen Gebiet.
So begann der zweite Feldzug 665 (89), den noch im Winter die Insurgenten
eroeffneten durch den kuehnen, an den grossartigen Gang der Samnitischen Kriege
erinnernden Versuch, einen marsischen Heerhaufen von 15000 Mann der in
Norditalien gaerenden Insurrektion zu Hilfe nach Etrurien zu senden. Allein
Strabo, durch dessen Bereich er zu passieren hatte, verlegte ihm den Weg und
schlug ihn vollstaendig; nur wenige gelangten zurueck in die weit entfernte
Heimat. Als dann die Jahreszeit den roemischen Heeren gestattete, die Offensive
zu ergreifen, betrat Cato das marsische Gebiet und drang unter gluecklichen
Gefechten in demselben vor, allein er fiel in der Gegend des Fuciner Sees bei
einem Sturm auf das feindliche Lager, wodurch die ausschliessliche Oberleitung
der Operationen in Mittelitalien auf Strabo ueberging. Dieser beschaeftigte sich
teils mit der fortgesetzten Belagerung von Asculum, teils mit der Unterwerfung
der marsischen, sabellischen und apulischen Landschaften. Zum Entsatz seiner
bedraengten Heimatstadt erschien vor Asculum Iudacilius mit dem picentischen
Aufgebot und griff die belagernde Armee an, waehrend gleichzeitig die
ausfallende Besatzung sich auf die roemischen Linien warf. Es sollen an diesem
Tage 75000 Roemer gegen 60000 Italiker gefochten haben. Der Sieg blieb den
Roemern, doch gelang es dem Iudacilius, mit einem Teil des Entsatzheeres sich in
die Stadt zu werfen. Die Belagerung nahm ihren Fortgang; sie war langwierig 8
durch die Festigkeit des Platzes und die verzweifelte Verteidigung der Bewohner,
welche fochten in Erinnerung an die schreckliche Kriegserklaerung innerhalb
ihrer Mauern. Als Iudacilius endlich nach mehrmonatlicher tapferer Verteidigung
die Kapitulation herankommen sah, liess er die Haeupter der roemisch gesinnten
Fraktion der Buergerschaft unter Martern umbringen und gab sodann sich selbst
den Tod. So wurden die Tore geoeffnet und die roemischen Exekutionen loesten die
italischen ab: alle Offiziere und alle angesehenen Buerger wurden hingerichtet,
die uebrigen mit dem Bettelstab ausgetrieben, saemtliches Hab und Gut von Staats
wegen eingezogen. Waehrend der Belagerung und nach dem Fall von Asculum
durchzogen zahlreiche roemische Korps die benachbarten aufstaendischen
Landschaften und bewogen eine nach der anderen zur Unterwerfung. Die Marruciner
fuegten sich, nachdem Servius Sulpicius sie bei Teate (Chieti) nachdruecklich
geschlagen hatte. In Apulien drang der Praetor Gaius Cosconius ein, nahm Salapia
und Cannae und belagerte Canusium. Einen samnitischen Heerhaufen, der unter
Marius Egnatius der unkriegerischen Landschaft zu Hilfe kam und in der Tat die
Roemer zurueckdraengte, gelang es dem roemischen Feldherrn bei dem Uebergang
ueber den Aufidus zu schlagen; Egnatius fiel und der Rest des Heeres musste in
den Mauern von Canusium Schutz suchen. Die Roemer drangen wieder vor bis nach
Venusia und Rubi und wurden Herren von ganz Apulien. Auch am Fuciner See und am
Majellagebirg, in den Hauptsitzen der Insurrektion, stellten die Roemer ihre
Herrschaft wieder her; die Marser ergaben sich an die Unterfeldherren Strabos,
Quintus Metellus Pius und Gaius Cinna, die Vestiner und Paeligner im folgenden
Jahr (666 88) an Strabo selbst; die Insurgentenhauptstadt Italia ward wieder die
bescheidene paelignische Landstadt Corfinium; die Reste des italischen Senats
fluechteten auf samnitisches Gebiet.
----------------------------------------------
8 Schleuderbleie mit dem Namen der Legion, die sie warf, auch wohl mit
Verwuenschungen der "entlaufenen Sklaven" - demnach roemische - oder mit der
Aufschrift entweder: "triff die Picenter" oder "triff den Pompeius" -jene
roemische, diese italische - finden sieh von jener Zeit her noch jetzt zahlreich
in der Gegend von Ascoli.
---------------------------------------------
Die roemische Suedarmee, welche jetzt unter Lucius Sullas Befehlen stand,
hatte gleichzeitig die Offensive ergriffen und war eingedrungen in das vom Feind
besetzte suedliche Kampanien. Stabiae ward von Sulla selbst erobert und
zerstoert (30. April 665 89), Herculaneum von Titus Didius, der indes, es
scheint bei diesem Sturm, selber fiel (11. Juni). Laenger widerstand Pompeii.
Der samnitische Feldherr Lucius Cluentius kam herbei, der Stadt Entsatz zu
bringen, allein er ward von Sulla zurueckgewiesen, und als er, durch
Keltenscharen verstaerkt, seinen Versuch wiederholte, hauptsaechlich durch den
Wankelmut dieser unzuverlaessigen Gesellen so vollstaendig geschlagen, dass sein
Lager erobert und er selbst mit dem groessten Teil der Seinigen auf der Flucht
nach Nola zu niedergehauen ward. Das dankbare roemische Heer verlieh seinem
Feldherrn den Graskranz, mit welchem schlichten Zeichen nach Lagerbrauch der
Soldat geschmueckt wurde, der durch seine Tuechtigkeit eine Abteilung seiner
Kameraden gerettet hatte. Ohne mit der Belagerung Nolas und den anderen von den
Samniten noch besetzten kampanischen Staedte sich aufzuhalten, rueckte Sulla
sofort in das innere Land ein, wo der Hauptherd der Insurrektion war. Die rasche
Eroberung und fuerchterliche Bestrafung von Aeclanum verbreitete Schrecken in
der ganzen hirpinischen Landschaft; sie unterwarf sich, noch ehe der lucanische
Zuzug herankam, der zu ihrem Beistand sich in Bewegung setzte, und Sulla konnte
ungehindert vordringen, bis in das Gebiet der samnitischen Eidgenossenschaft.
Der Pass, wo die samnitische Landwehr unter Mutilus ihn erwartete, wurde
umgangen, die samnitische Armee im Ruecken angegriffen und geschlagen; das Lager
ging verloren, der Feldherr rettete sich verwundet nach Aesernia. Sulla rueckte
vor die Hauptstadt der samnitischen Landschaft Bovianum und zwang sie durch
einen zweiten, unter ihren Mauern erfochtenen Sieg zu kapitulieren. Erst die
vorgerueckte Jahreszeit machte hier dem Feldzug ein Ende.
Es war der vollstaendigste Umschwung der Dinge. So gewaltig, so siegreich,
so vordringend die Insurrektion den Feldzug des Jahres 665 (89) begonnen hatte,
so tiefgebeugt, so ueberall geschlagen, so voellig hoffnungslos ging sie aus
demselben hervor. Ganz Norditalien war beruhigt. In Mittelitalien waren beide
Kuesten voellig in roemischer Gewalt, die Abruzzen fast vollstaendig, Apulien
bis auf Venusia, Kampanien bis auf Nola in den Haenden der Roemer und durch die
Besetzung des hirpinischen Gebietes die Verbindung gesprengt zwischen den beiden
einzigen noch in offener Gegenwehr beharrenden Landschaften, der samnitischen
und der lucanisch-brettischen. Das Insurrektionsgebiet glich einer erloeschenden
ungeheuren Brandstaette; ueberall traf das Auge auf Asche und Truemmer und
verglimmende Braende, hie und da loderte noch zwischen den Ruinen die Flamme
empor, aber man war des Feuers ueberall Meister und nirgends drohte mehr Gefahr.
Es ist zu bedauern, dass wir die Ursachen dieses ploetzlichen Umschwunges in der
oberflaechlichen Ueberlieferung nicht mehr genuegend erkennen. So unzweifelhaft
Strabos und mehr noch Sullas geschickte Fuehrung und namentlich die energischere
Konzentrierung der roemischen Streitkraefte, die raschere Offensive wesentlich
dazu beigetragen hat, so moegen doch neben den militaerischen auch politische
Unruhen bei dem beispiellos raschen Sturz der Insurgentenmacht im Spiel gewesen
sein; es mag das Gesetz des Silvanus und Carbo seinen Zweck, Abfall und Verrat
der gemeinen Sache in die Reihen der Feinde zu tragen, erfuellt haben, es mag,
wie so oft, unter die lose verknuepften aufstaendischen Gemeinden das Unglueck
als Apfel der Zwietracht gefallen sein. Wir sehen nur - und es deutet auch dies
auf eine sicher unter heftigen Konvulsionen erfolgte innerliche Aufloesung der
Italia -, dass die Samniten, vielleicht unter Leitung des Marsers Quintus Silo,
der von Haus aus die Seele des Aufstandes gewesen und nach der Kapitulation der
Marser landfluechtig zu dem Nachbarvolk gegangen war, jetzt sich eine andere,
rein landschaftliche Organisation gaben und, nachdem die "Italia" ueberwunden
war, es unternahmen, als "Safinen" oder Samniten den Kampf noch weiter
fortzusetzen 9. Das feste Aesernia ward aus der Zwingburg der letzte Hort der
samnitischen Freiheit; ein Heer sammelte sich von angeblich 30000 Mann zu Fuss
und 1000 zu Pferd und ward durch Freisprechung und Einordnung von 20000 Sklaven
verstaerkt; fuenf Feldherren traten an dessen Spitze, darunter als der erste
Silo und neben ihm Mutilus. Mit Erstaunen sah man nach zweihundertjaehriger
Pause die Samnitenkriege aufs neue beginnen und das entschlossene Bauernvolk
abermals, ganz wie im fuenften Jahrhundert, nachdem die italische Konfoederation
gescheitert war, noch einen Versuch machen, seine landschaftliche
Unabhaengigkeit auf eigene Faust von Rom zu ertrotzen. Allein dieser Entschluss
der tapfersten Verzweiflung aenderte in der Hauptsache nicht viel; es mochte der
Bergkrieg in Samnium und Lucanien noch einige Zeit und einige Opfer fordern, die
Insurrektion war nichtsdestoweniger schon jetzt wesentlich zu Ende.
----------------------------------------------------
9 Dieser Epoche muessen die seltenen Denare mit Safinim und G. Mutil in
oskischer Schrift angehoeren; denn solange die Italia von den Insurgenten
festgehalten ward, konnte kein einzelner Gau als souveraene Macht Muenzen mit
dem eigenen Namen schlagen.
----------------------------------------------------
Allerdings war inzwischen eine neue Komplikation eingetreten, indem die
asiatischen Verwicklungen es zu einer gebieterischen Notwendigkeit gemacht
hatten, an Koenig Mithradates von Pontos den Krieg zu erklaeren und fuer das
naechste Jahr (666 88) den einen Konsul und eine konsularische Armee nach
Kleinasien zu bestimmen. Waere dieser Krieg ein Jahr frueher zum Ausbruch
gekommen, so haette die gleichzeitige Empoerung des halben Italiens und der
wichtigsten Provinz dem roemischen Staat eine ungeheure Gefahr bereitet. Jetzt,
nachdem in dem raschen Sturz der italischen Insurrektion das wunderbare Glueck
Roms sich abermals bewaehrt hatte, war dieser neu beginnende asiatische Krieg,
trotzdem dass er mit dem verendenden italischen sich verschlang, doch nicht
eigentlich bedrohlicher Art, um so weniger, als Mithradates in seinem Uebermut
die Aufforderung der Italiker, ihnen unmittelbaren Beistand zu leisten, von der
Hand wies, aber freilich immer noch in hohem Grade unbequem. Die Zeiten waren
nicht mehr, wo man einen italischen und einen ueberseeischen Krieg unbedenklich
nebeneinander fuehrte; die Staatskasse war nach zwei Kriegsjahren bereits
vollstaendig erschoepft, die Bildung einer neuen Armee neben den bereits im
Felde stehenden schien kaum ausfuehrbar. Indes man half sich wie man konnte. Der
Verkauf der seit alter Zeit auf und an der Burg freigebliebenen Plaetze an die
Baulustigen, woraus 9000 Pfund Gold (2« Mill. Taler) geloest wurden, lieferte
die erforderlichen Geldmittel. Eine neue Armee ward nicht gebildet, sondern die
in Kampanien unter Sulla stehende bestimmt, nach Asien sich einzuschiffen,
sobald der Stand der Dinge im suedlichen Italien es ihr gestatten wuerde sich zu
entfernen; war bei den Fortschritten der im Norden unter Strabo operierenden
Armee voraussichtlich bald geschehen konnte.
So begann der dritte Feldzug 666 (88) unter guenstigen Aussichten fuer Rom.
Strabo daempfte den letzten Widerstand, der noch in den Abruzzen geleistet ward.
In Apulien machte Cosconius' Nachfolger Quintus Metellus Pius, der Sohn des
Ueberwinders von Numidien und an energisch konservativer Gesinnung wie an
militaerischer Begabung seinem Vater nicht ungleich, dem Widerstand ein Ende
durch die Einnahme von Venusia, wobei 3000 Bewaffnete gefangen genommen wurden.
In Samnium gelang zwar Silo die Wiedereinnahme von Bovianum; allein in einer
Schlacht, die er dem roemischen General Mamercus Aemilius lieferte, siegten die
Roemer, und was wichtiger war als der Sieg selbst, unter 6000 Toten, die die
Samniten auf der Walstatt liessen, war auch Silo. In Kampanien wurden die
kleineren Ortschaften, die die Samniten noch besetzt hielten, von Sulla ihnen
entrissen und Nola umstellt. Auch in Lucanien drang der roemische Feldherr Aulus
Gabinius ein und errang nicht geringe Erfolge; allein nachdem er bei einem
Angriff auf das feindliche Lager gefallen war, herrschte der Insurgentenfuehrer
Lamponius mit den Seinen wiederum fast ungestoert in der weiten und oeden
lucanisch-brettischen Landschaft. Er machte sogar einen Versuch sich Rhegions zu
bemaechtigen, den indes der sizilische Statthalter Gaius Norbanus vereitelte.
Trotz einzelner Unfaelle naeherte man sich unaufhaltsam dem Ziel; der Fall von
Nola, die Unterwerfung von Samnium, die Moeglichkeit, ansehnliche Streitkraefte
fuer Asien verfuegbar zu machen, schienen nicht mehr fern, als die Wendung der
Dinge in der Hauptstadt der fast schon erstickten Insurrektion unvermutet Luft
machte.
Rom war in fuerchterlicher Gaerung. Drusus' Angriff auf die Rittergerichte
und sein durch die Ritterpartei bewirkter jaeher Sturz, sodann der
zweischneidige Varische Prozesskrieg hatten die bitterste Zwietracht gesaet
zwischen Aristokratie und Bourgeoisie sowie zwischen den Gemaessigten und den
Ultras. Die Ereignisse hatten der Partei der Nachgiebigkeit vollstaendig recht
gegeben: was sie beantragt hatte, freiwillig zu verschenken, das hatte man mehr
als halb gezwungen zugestehen muessen; allein die Art, wie dies Zugestaendnis
erfolgt war, trug eben wie die fruehere Weigerung den Charakter des
eigensinnigen und kurzsichtigen Neides. Statt allen italischen Gemeinden das
gleiche Recht zu gewaehren, hatte man die Zuruecksetzung nur anders formuliert.
Man hatte eine grosse Anzahl italischer Gemeinden in den roemischen
Buergerverband aufgenommen, aber was man verlieh, wieder mit einem
ehrenruehrigen Makel behaftet, die Neu- neben die Altbuerger ungefaehr wie die
Freigelassenen neben die Freigeborenen gestellt. Man hatte die Gemeinden
zwischen dem Po und den Alpen durch das Zugestaendnis des latinischen Rechts
mehr gereizt als befriedigt. Man hatte endlich einem ansehnlichen und nicht dem
schlechtesten Teil der Italiker, saemtlichen wieder unterworfenen insurgierten
Gemeinden, nicht bloss das Buergerrecht vorenthalten, sondern sogar ihre
ehemaligen, durch den Aufstand vernichteten Vertraege ihnen nicht wieder
rechtlich verbrieft, hoechstens im Gnadenweg und auf beliebigen Widerruf
dieselben erneuert ^10. Die Zuruecksetzung im Stimmrecht verletzte um so tiefer,
als sie bei der damaligen Beschaffenheit der Komitien politisch sinnlos war und
die scheinheilige Fuersorge der Regierung fuer die unbefleckte Reinheit der
Waehlerschaft jedem Unbefangenen laecherlich erscheinen musste; all jene
Beschraenkungen aber waren insofern gefaehrlich, als sie jeden Demagogen dazu
einluden, durch Aufnahme der mehr oder minder gerechten Forderungen der
Neubuerger sowohl wie der vom Buergerrecht ausgeschlossenen Italiker seine
anderweitigen Zwecke durchzusetzen. Wenn somit die heller sehende Aristokratie
diese halben und missguenstigen Konzessionen ebenso unzulaenglich finden musste
wie die Neubuerger und die Ausgeschlossenen selbst, so vermisste sie ferner
schmerzlich in ihren Reihen die zahlreichen und vorzueglichen Maenner, die die
Varische Hochverratskommission ins Elend gesandt hatte und die zurueckzurufen
deswegen nur noch schwieriger war, weil sie nicht durch Volks-, sondern durch
Geschworenengerichte verurteilt worden waren; denn sowenig man Bedenken trug,
einen Volksschluss auch richterlicher Natur durch einen zweiten zu kassieren, so
erschien doch die Kassation eines Geschworenenverdikts durch das Volk eben der
besseren Aristokratie als ein sehr gefaehrliches Beispiel. So waren weder die
Ultras noch die Gemaessigten mit dem Ausgang der italischen Krise zufrieden.
Aber von noch tieferem Grolle schwoll das Herz des alten Mannes, der mit
erfrischten Hoffnungen in den Italischen Krieg gezogen und daraus unfreiwillig
zurueckgekommen war, mit dem Bewusstsein, neue Dienste geleistet und dafuer neue
schwerste Kraenkungen empfangen zu haben, mit dem bitteren Gefuehle, von den
Feinden nicht mehr gefuerchtet, sondern geringgeschaetzt zu werden, mit jenem
Wurm der Rache im Herzen, der sich aufnaehrt an seinem eigenen Gifte. Auch von
ihm galt, was von den Neubuergern und den Ausgeschlossenen: unfaehig und
unbehilflich wie er sich erwiesen hatte, war doch sein populaerer Name in der
Hand eines Demagogen ein furchtbares Werkzeug.
----------------------------------------------
^10 Dediticiis, sagt Licinianus (p. 15) unter dem Jahre 667 (87), omnibus
[ci]vita[sJ data; qui polliciti mult[aJ milia militum vix XV ... cobortes
miserunt worin der Livianische Bericht (ep. 80: Italicis populis a senatu
civltas data est) in teilweise schaerferer Fassung wiedererscheint. Dediticii
sind nach roemischem Staatsrecht diejenigen peregrinischen Freien (Gaius inst.
13-15, 25; Ulp. 20, 14; 22, 2), die den Roemern untertan geworden und zu keinem
Buendnis zugelassen worden sind. Sie behalten nicht bloss Leben, Freiheit und
Eigentum, sondern koennen auch in Gemeinden mit eigener Verfassung konstituiert
sein. Apolides, nullius certae civitatis cives (Ulp. 20, 14; vgl. Dig. 48, 19,
17, 1), sind nur die durch rechtliche Fiktion den dediticii gleichgestellten
Freigelassenen (ii qui dediticiorum numero sunt, nur missbraeuchlich und bei
besseren Schriftstellern selten geradezu dediticii genannt: Gaius inst. 1, 12;
Ulp. 1, 14; Paul. 4, 12, 6) ebenso wie die verwandten liberti Latini Juniani.
Aber die dediticii sind dennoch dem roemischen Staate gegenueber insofern
rechtlos, als nach roemischem Staatsrecht jede Dedition notwendig unbedingt ist
(Polyb. 21,1; vgl. 20, 9 u.10; 36, 2) und alle ihnen ausdruecklich oder
stillschweigend zugestandenen Rechte nur precario, also auf beliebigen Widerruf
zugestanden werden (App. Hisp. 44), der roemische Staat also, was er auch gleich
oder spaeter ueber seine Deditizier verhaengen mag, niemals gegen sie eine
Rechtsverletzung begehen kann. Diese Rechtlosigkeit hoert erst auf durch
Abschliessung eines Buendnisvertrages (Liv. 34, 57). Darum erscheinen deditio
und foedus als staatsrechtlich sich ausschliessende Gegenstaende (Liv. 4, 30;
28, 34; Cod. Theod. 7, 13, 16 und dazu Gothofr.), und nichts anderes ist auch
der den Juristen gelaeufige Gegensatz der Quasideditizier und der Quasilatiner,
denn die Latiner sind eben die Foederierten im eminenten Sinn (Cic. Balb. 24,
54).
Nach dem aelteren Staatsrecht gab es, mit Ausnahme der nicht zahlreichen,
infolge des Hannibalischen Krieges ihrer Vertraege verlustig erklaerten
Gemeinden, keine italischen Deditizier; noch in dem Plautischen Gesetz von
664/65 (90/89) schloss die Bezeichnung: qui foederatis civitatibus adscripti
fuerunt (Cic. Arch. 4, 7) wesentlich alle Italiker ein. Da nun aber unter den
dediticii, die 667 (87) nachtraeglich das Buergerrecht empfingen, doch nicht
fueglich bloss die Brettier und Picenter verstanden sein koennen, so wird man
annehmen duerfen, dass alle Insurgenten, soweit sie die Waffen niedergelegt und
nicht nach dem Plautisch-Papirischen Gesetz das Buergerrecht erworben hatten,
als Deditizier behandelt oder, was dasselbe ist, dass ihre durch die
Insurrektion von selbst kassierten Vertraege (darum qui foederati fuerunt in der
angefuehrten Ciceronischen Stelle) ihnen bei der Ergebung nicht rechtlich
erneuert wurden.
---------------------------------------------
Mit diesen Elementen politischer Konvulsionen verband sich der rasch
fortschreitende Verfall der ehrbaren Kriegssitte und der militaerischen
Disziplin. Die Keime, welche die Einstellung der Proletarier in das Heer in sich
trug, entwickelten sich mit erschreckender Geschwindigkeit waehrend des
demoralisierenden Insurgentenkriegs, der jeden waffenfaehigen Mann ohne
Unterschied zum Dienst zuzulassen noetigte und der vor allem unmittelbar in das
Hauptquartier wie in das Soldatenzelt die politische Propaganda trug. Bald
zeigten sich die Folgen in dem Erschlaffen aller Bande der militaerischen
Hierarchie. Waehrend der Belagerung von Pompeii ward der Befehlshaber des
Sullanischen Belagerungskorps, der Konsular Aulus Postumius Albinus, von seinen
Soldaten, die von ihrem Feldherrn dem Feinde verraten zu sein glaubten, mit
Steinen und Knuetteln erschlagen; und der Oberbefehlshaber Sulla begnuegte sich,
die Truppen zu ermahnen, durch tapferes Verhalten vor dem Feind die Erinnerung
an diesen Vorgang auszuloeschen. Die Urheber dieser Tat waren die
Flottensoldaten, von jeher die am mindesten achtbare Truppe: bald folgte eine
vorwiegend aus dem Stadtpoebel ausgehobene Abteilung der Legionaere dem
gegebenen Beispiel. Angestiftet von einem der Helden des Marktes, Gaius Titius,
vergriff sie sich an dem Konsul Cato. Durch einen Zufall entging derselbe
diesmal dem Tode; Titius aber ward zwar festgesetzt, indes nicht bestraft. Als
Cato dann bald darauf wirklich in einem Gefechte umkam, wurden seine eigenen
Offiziere, namentlich der juengere Gaius Marius, ob mit Recht oder mit Unrecht
ist nicht auszumachen, als die Urheber seines Todes bezeichnet.
Zu dieser beginnenden politischen und militaerischen kam die vielleicht
noch entsetzlichere oekonomische Krise, die im Verfolg des Bundesgenossenkrieges
und der asiatischen Unruhen ueber die roemischen Geldmaenner hereingebrochen
war. Die Schuldner, unfaehig, auch nur die Zinsen zu erschwingen, und dennoch
von ihren Glaeubigern unerbittlich gedraengt, hatten bei dem beikommenden
Gerichtsvorstand, dem Stadtpraetor Asellio, teils Aufschub erbeten, um ihre
Besitzungen verkaufen zu koennen, teils die alten verschollenen Zinsgesetze
wieder hervorgesucht und nach der vor Zeiten festgestellten Vorschrift den
vierfachen Betrag der dem Gesetz zuwider gezahlten Zinsen von den Glaeubigern
eingeklagt. Asellio gab sich dazu her, das tatsaechlich bestehende Recht durch
dessen Buchstaben zu beugen, und instruierte in gewoehnlicher Weise die
verlangten Zinsklagen; worauf die verletzten Glaeubiger unter Leitung des
Volkstribuns Lucius Cassius sich auf dem Markt zusammentaten und den Praetor, da
er eben in priesterlichem Schmuck ein Opfer darbrachte, vor dem Tempel der
Eintracht ueberfielen und erschlugen - eine Freveltat, wegen deren nicht einmal
eine Untersuchung stattfand (665 89). Andererseits ging in den Schuldnerkreisen
die Rede, dass der leidenden Menge nicht anders geholfen werden koenne als durch
"neue Rechnungsbuecher", das heisst durch gesetzliche Vernichtung der
Forderungen saemtlicher Glaeubiger an saemtliche Schuldner. Es war genau wieder
wie waehrend des Staendestreits: wieder machten die Kapitalisten im Bunde mit
der befangenen Aristokratie der gedrueckten Menge und der zur Maessigung des
starren Rechtes mahnenden Mittelpartei den Krieg und den Prozess; wieder stand
man an dem Rande desjenigen Abgrundes, in den der verzweifelte Schuldner den
Glaeubiger mit sich hinabreisst; nur war seitdem an die Stelle der einfach
buergerlichen und sittlichen Ordnung einer grossen Ackerstadt die soziale
Zerrissenheit einer Kapitale vieler Nationen und diejenige Demoralisation
getreten, in der der Prinz mit dem Bettler sich begegnet; nur waren alle
Missverhaeltnisse breiter, schroffer, in grauenhafter Weise grossartiger
geworden. Indem der Bundesgenossenkrieg all die gaerenden politischen und
sozialen Elemente in der Buergerschaft gegeneinander ruettelte, legte er den
Grund zu einer neuen Revolution. Zum Ausbruch brachte sie ein Zufall.
Der Volkstribun Publius Sulpicius Rufus war es, der im Jahre 666 (88) bei
der Buergerschaft die Antraege stellte, jeden Senator, der ueber 2000 Denare
(600 Taler) schulde, seiner Ratsstelle verlustig zu erklaeren; den durch unfreie
Geschworenengerichte verurteilten Buergern die Rueckkehr in die Heimat
freizugeben; die Neubuerger durch saemtliche Distrikte zu verteilen und
ingleichen den Freigelassenen Stimmrecht in allen Distrikten zu gestatten. Es
waren Vorschlaege, die aus dem Munde dieses Mannes zum Teil wenigstens
ueberraschten. Publius Sulpicius Rufus (geboren 630 124) verdankte seine
politische Bedeutung weniger seiner adligen Geburt, seinen bedeutenden
Verbindungen und seinem angeerbten Reichtum als seinem ungemeinen Rednertalent,
worin von den Altersgenossen keiner ihm gleichkam; die maechtige Stimme, die
lebhaften, zuweilen an Theateraktion streifenden Gebaerden, die ueppige Fuelle
seines Wortstroms ergriffen auch wen sie nicht ueberzeugten. Seiner
Parteistellung nach stand er von Haus aus auf der Seite des Senats, und sein
erstes politisches Auftreten (659 95) war die Anklage des der Regierungspartei
toedlich verhassten Norbanus gewesen. Unter den Konservativen gehoerte er zu der
Fraktion des Crassus und Drusus. Was ihn zunaechst veranlasste, sich fuer das
Jahr 666 (88) um das Volkstribunat zu bewerben und um dessentwillen seinen
patrizischen Adel abzulegen, wissen wir nicht; doch scheint es dadurch, dass
auch er, wie die gesamte Mittelpartei, von den Konservativen als Revolutionaer
verfolgt worden war, noch keineswegs Revolutionaer geworden zu sein und
keineswegs einen Umsturz der Verfassung im Sinne des Gaius Gracchus beabsichtigt
zu haben. Eher mag er, als der einzige aus dem Varischen Prozesssturm unversehrt
hervorgegangene namhafte Mann der Partei des Crassus und Drusus, sich berufen
gefuehlt haben, das Werk des Drusus zu vollenden und die noch bestehenden
Zuruecksetzungen der Neubuerger schliesslich zu beseitigen, wozu er des
Tribunats bedurfte. Noch aus seinem Tribunat werden mehrere Handlungen von ihm
erwaehnt, die das gerade Gegenteil demagogischer Absichten verraten - so
hinderte er durch sein Einschreiten einen seiner Kollegen, die auf Grund des
Varischen Gesetzes ergangenen Geschworenenurteile durch Volksschluss zu
kassieren; und als der gewesene Aedil Gaius Caesar verfassungswidrig sich mit
Ueberspringung der Praetur um das Konsulat fuer 667 (87) bewarb, wie es heisst
in der Absicht, sich spaeter die Fuehrung des Asiatischen Krieges uebertragen zu
lassen, trat, entschlossener und schaerfer als irgendein anderer, Sulpicius ihm
entgegen. Ganz im Sinne des Drusus also forderte er von sich wie von andern
zunaechst und vor allem die Einhaltung der Verfassung. Aber freilich vermochte
er ebensowenig wie Drusus das Unvertraegliche zu vereinigen und die von ihm
beabsichtigte, an sich verstaendige, aber von der ungeheuren Mehrzahl der
Altbuergerschaft auf guetlichem Wege niemals zu erlangende Verfassungsaenderung
in strenger Form Rechtens durchzusetzen. Der Bruch mit der maechtigen Familie
der Iulier, unter denen namentlich der Bruder des Gaius, der Konsular Lucius
Caesar, im Senat sehr einflussreich war, und mit der derselben anhaengenden
Fraktion der Aristokratie hat ohne Zweifel auch wesentlich mitgewirkt und den
zornmuetigen Mann durch persoenliche Erbitterung ueber die urspruengliche
Absicht hinausgefuehrt. Aber der Charakter der von ihm eingebrachten Antraege
ist doch von der Art, dass sie keineswegs die Persoenlichkeit und die bisherige
Parteistellung ihres Urhebers verleugnen. Die Gleichstellung der Neubuerger mit
den Altbuergern war nichts als die teilweise Wiederaufnahme der von Drusus
entworfenen Antraege zu Gunsten der Italiker und wie diese nur die Erfuellung
der Vorschriften einer gesunden Politik. Die Zurueckrufung der durch die
Varischen Geschworenen Verurteilten opferte zwar den Grundsatz der
Unverletzlichkeit des Geschworenenwahrspruchs, fuer den Sulpicius eben noch
selbst mit der Tat eingestanden war, aber sie kam zunaechst wesentlich den
eigenen Parteigenossen des Antragstellers, den gemaessigten Konservativen,
zugute, und es laesst sich von dem stuermischen Mann recht wohl begreifen, dass
er bei seinem ersten Auftreten eine solche Massregel entschieden bekaempfte und
dann, ergrimmt ueber den Widerstand, auf den er traf, sie selber beantragte. Die
Massregel gegen die Ueberschuldung der Senatoren war ohne Zweifel herbeigefuehrt
durch die Blosslegung der trotz alles aeusseren Glanzes tief zerruetteten
oekonomischen Lage der regierenden Familien bei Gelegenheit der letzten
finanziellen Krise; es war zwar peinlich, aber an sich doch im wohlverstandenen
Interesse der Aristokratie, wenn, wie dies die Folge des Sulpicischen Antrags
sein musste, alle Individuen aus dem Senat ausschieden, die nicht vermochten,
ihre Passiva rasch zu liquidieren, und wenn das Koteriewesen, das in der
Ueberschuldung vieler Senatoren und ihrer dadurch herbeigefuehrten Abhaengigkeit
von den reichen Kollegen seinen hauptsaechlichen Halt fand, durch die
Beseitigung des notorisch feilen Senatorengesindels gedaempft ward - womit
natuerlich nicht geleugnet werden soll, dass Rufus eine den Senat so schroff und
gehaessig prostituierende Saeuberung der Kurie, wie er sie vorschlug, ohne seine
persoenlichen Zerwuerfnisse mit den herrschenden Koteriehaeuptern sicher niemals
beantragt haben wuerde. Endlich die Bestimmung zu Gunsten der Freigelassenen
hatte unzweifelhaft zunaechst den Zweck, den Antragsteller zum Herrn der Gasse
zu machen; an sich aber war sie weder unmotiviert noch mit der aristokratischen
Verfassung unvereinbar. Seitdem man angefangen hatte, die Freigelassenen zum
Militaerdienst mit hinzuzuziehen, war ihre Forderung des Stimmrechts insofern
gerechtfertigt, als Stimmrecht und Dienstpflicht stets Hand in Hand gegangen
waren. Vor allen Dingen aber kam bei der Nichtigkeit der Komitien politisch sehr
wenig darauf an, ob in diesen Sumpf noch eine Kloake mehr sich entleerte. Die
Moeglichkeit, mit den Komitien zu regieren, ward fuer die Oligarchie eher
gesteigert als gemindert durch die unbeschraenkte Zulassung der Freigelassenen,
welche ja zu einem sehr grossen Teil von den regierenden Familien persoenlich
und oekonomisch abhaengig waren und richtig verwandt eben ein Mittel fuer die
Regierung abgeben konnten, die Wahlen gruendlicher noch als bisher zu
beherrschen. Wider die Tendenzen der reformistisch gesinnten Aristokratie lief
diese Massregel allerdings wie jede andere politische Beguenstigung des
Proletariats; allein sie war auch fuer Rufus schwerlich etwas anderes, als was
das Getreidegesetz fuer Drusus gewesen war: ein Mittel, um das Proletariat auf
seine Seite zu ziehen und mit dessen Hilfe den Widerstand gegen die
beabsichtigten, wahrhaft gemeinnuetzigen Reformen zu brechen. Es liess sich
leicht voraussehen, dass dieser nicht gering sein, dass die bornierte
Aristokratie und die bornierte Bourgeoisie ebendenselben stumpfsinnigen Neid wie
vor dem Ausbruch der Insurrektion jetzt nach ihrer Ueberwindung betaetigen, dass
die grosse Majoritaet aller Parteien die im Augenblick der furchtbarsten Gefahr
gemachten halben Zugestaendnisse im stillen oder auch laut als unzeitige
Nachgiebigkeit bezeichnen und jeder Ausdehnung derselben sich leidenschaftlich
widersetzen werde. Drusus' Beispiel hatte gezeigt, was dabei herauskam, wenn man
konservative Reformen allein im Vertrauen auf die Senatsmajoritaet durchzusetzen
unternahm; es war vollkommen erklaerlich, dass sein Freund und Gesinnungsgenosse
verwandte Absichten in Opposition gegen diese Mehrheit und in den Formen der
Demagogie zu realisieren versuchte. Rufus gab demnach sich keine Muehe, durch
den Koeder der Geschworenengerichte den Senat fuer sich zu gewinnen. Besseren
Rueckhalt fand er bei den Freigelassenen und vor allem an dem bewaffneten
Gefolge - dem Bericht seiner Gegner zufolge bestand es aus 3000 gedungenen
Leuten und einem "Gegensenat" von 600 jungen Maennern aus der besseren Klasse -,
mit dem er in den Strassen und auf dem Markte erschien. Seine Antraege stiessen
denn auch auf den entschiedensten Widerstand bei der Majoritaet des Senats,
welche zunaechst, um Zeit zu gewinnen, die Konsuln Lucius Cornelius Sulla und
Quintus Pompeius Rufus, beide abgesagte Gegner der Demagogie, bewog,
ausserordentliche religioese Festlichkeiten anzuordnen, waehrend deren die
Volksversammlungen ruhten. Sulpicius antwortete mit einem heftigen Auflauf, bei
welchem unter anderen Opfern der junge Quintus Pompeius, der Sohn des einen und
Schwiegersohn des anderen Konsuls, den Tod fand und das Leben der beiden Konsuln
selbst ernstlich bedroht ward - Sulla soll sogar nur dadurch gerettet worden
sein, dass Marius ihm sein Haus oeffnete. Man musste nachgeben; Sulla verstand
sich dazu, die angekuendigten Festlichkeiten abzusagen, und die Sulpicischen
Antraege gingen nun ohne weiteres durch. Allein es war damit ihr Schicksal noch
keineswegs gesichert. Mochte auch in der Hauptstadt sich die Aristokratie
geschlagen geben, so gab es jetzt - zum erstenmal seit dem Beginn der Revolution
- noch eine andere Macht in Italien, die nicht uebersehen werden durfte: die
beiden starken und siegreichen Armeen des Prokonsuls Strabo und des Konsuls
Sulla. War auch Strabos politische Stellung zweideutig, so stand Sulla, obwohl
er der offenbaren Gewalt fuer den Augenblick gewichen war, nicht bloss mit der
Senatsmajoritaet in vollem Einvernehmen, sondern war auch, unmittelbar nachdem
er die Festlichkeiten abgesagt hatte, abgegangen nach Kampanien zu seiner Armee.
Den unbewaffneten Konsul durch die Knuettelmaenner oder die wehrlose Hauptstadt
durch die Schwerter der Legionen zu terrorisieren, lief am Ende auf dasselbe
hinaus; Sulpicius setzte voraus, dass der Gegner, jetzt wo er konnte, Gewalt mit
Gewalt vergelten und an der Spitze seiner Legionen nach der Hauptstadt
zurueckkehren werde, um den konservativen Demagogen mitsamt seinen Gesetzen
ueber den Haufen zu werfen. Vielleicht irrte er sich. Sulla wuenschte den Krieg
gegen Mithradates ebensosehr, wie ihm grauen mochte vor dem hauptstaedtischen
politischen Brodel; bei seinem originellen Indifferentismus und seiner
unuebertroffenen politischen Nonchalance hat es grosse Wahrscheinlichkeit, dass
er den Staatsstreich, den Sulpicius erwartete, keineswegs beabsichtigte und dass
er, wenn man ihn haette gewaehren lassen, nach der Einnahme von Nola, dessen
Belagerung ihn noch beschaeftigte, unverweilt sich mit seinen Truppen nach Asien
eingeschifft haben wuerde. Indes wie dem auch sein mag, Sulpicius entwarf, um
den vermuteten Streich zu parieren, den Plan, Sulla den Oberbefehl abzunehmen,
und liess zu diesem Ende mit Marius sich ein, dessen Name noch immer hinreichend
populaer war, um einen Antrag, den Oberbefehl im Asiatischen Kriege auf ihn zu
uebertragen, der Menge plausibel erscheinen zu lassen, und dessen militaerische
Stellung und Kapazitaet fuer den Fall eines Bruches mit Sulla eine Stuetze
werden konnte. Die Gefahr, die darin lag, den alten, ebenso unfaehigen als rach-
und ehrsuechtigen Mann an die Spitze der kampanischen Armee zu stellen, mochte
Sulpicius nicht uebersehen und ebensowenig die arge Abnormitaet, einem
Privatmann ein ausserordentliches Oberkommando durch Volksschluss zu
uebertragen; aber eben Marius' erprobte staatsmaennische Unfaehigkeit gab eine
Art Garantie dafuer, dass er die Verfassung nicht ernstlich wuerde gefaehrden
koennen, und vor allem war Sulpicius' eigene Lage, wenn er Sullas Absichten
richtig beurteilte, eine so bedrohte, dass dergleichen Ruecksichten kaum mehr in
Betracht kamen. Dass der abgestandene Held selbst bereitwillig jedem
entgegenkam, der ihn als Condottiere gebrauchen wollte, versteht sich von
selbst; nach dem Oberbefehl nun gar in einem asiatischen Krieg geluestete sein
Herz seit vielen Jahren und nicht weniger vielleicht danach, einmal gruendlich
abzurechnen mit der Senatsmajoritaet. Demnach erhielt auf Antrag des Sulpicius
durch Beschluss des Volkes Gaius Marius mit ausserordentlicher hoechster oder
sogenannter prokonsularischer Gewalt das Kommando der kampanischen Armee und den
Oberbefehl in dem Krieg gegen Mithradates, und es wurden, um das Heer von Sulla
zu uebernehmen, zwei Volkstribune in das Lager von Nola abgesandt.
Die Botschaft kam an den unrechten Mann. Wenn irgend jemand berufen war,
den Oberbefehl im Asiatischen Kriege zu fuehren, so war es Sulla. Er hatte
wenige Jahre zuvor mit dem groessten Erfolge auf demselben Kriegsschauplatz
kommandiert: er hatte mehr als irgendein anderer Mann beigetragen zur
Ueberwaeltigung der gefaehrlichen italischen Insurrektion; ihm als Konsul des
Jahres, in welchem der Asiatische Krieg zum Ausbruch kam, war in der
hergebrachten Weise und mit voller Zustimmung seines ihm befreundeten und
verschwaegerten Kollegen das Kommando in demselben uebertragen worden. Es war
ein starkes Ansinnen, einen unter solchen Verhaeltnissen uebernommenen
Oberbefehl nach Beschluss der souveraenen Buergerschaft von Rom abzugeben an
einen alten militaerischen und politischen Antagonisten, in dessen Haenden die
Armee, niemand mochte sagen zu welchen Gewaltsamkeiten und Verkehrtheiten,
missbraucht werden konnte. Sulla war weder gutmuetig genug, um freiwillig einem
solchen Befehl Folge zu leisten, noch abhaengig genug, um es zu muessen. Sein
Heer war, teils infolge der von Marius herruehrenden Umgestaltungen des
Heerwesens, teils durch die von Sulla gehandhabte sittlich lockere und
militaerisch strenge Disziplin, wenig mehr als eine ihrem Fuehrer unbedingt
ergebene und in politischen Dingen indifferente Lanzknechtschar. Sulla selbst
war ein blasierter, kalter und klarer Kopf, dem die souveraene roemische
Buergerschaft ein Poebelhaufen war, der Held von Aquae Sextiae ein bankrotter
Schwindler, die formelle Legalitaet eine Phrase, Rom selbst eine Stadt ohne
Besatzung und mit halbverfallenen Mauern, die viel leichter erobert werden
konnte als Nola. In diesem Sinne handelte er. Er versammelte seine Soldaten - es
waren sechs Legionen oder etwa 35000 Mann - und setzte ihnen die von Rom
angelangte Botschaft auseinander, nicht vergessend, ihnen anzudeuten, dass der
neue Oberfeldherr ohne Zweifel nicht dieses Heer, sondern andere, neu gebildete
Truppen nach Kleinasien fuehren werde. Die hoeheren Offiziere, immer noch mehr
Buerger als Militaers, hielten sich zurueck, und nur ein einziger von ihnen
folgte dem Feldherrn gegen die Hauptstadt; allein die Soldaten, die nach
frueheren Erfahrungen in Asien einen bequemen Krieg und unendliche Beute zu
finden hofften, brausten auf; in einem Nu waren die beiden von Rom gekommenen
Tribune zerrissen und von allen Seiten erscholl der Zuruf, dass der Feldherr sie
auf Rom zu fuehren moege. Unverweilt brach der Konsul auf, und unterwegs seinen
Gleichgesinnten Kollegen an sich ziehend, gelang er in raschen Maerschen, wenig
sich kuemmernd um die von Rom ihm entgegeneilenden Abgesandten, die ihn
aufzuhalten versuchten, bis unter die Mauern der Hauptstadt. Unerwartet sah man
Sullas Heersaeulen sich aufstellen an der Tiberbruecke und am Collinischen und
Esquilinischen Tore und sodann zwei Legionen in Reih' und Glied, ihre
Feldzeichen voran, den Befriedeten Mauerring ueberschreiten, jenseits dessen das
Gesetz den Krieg gebannt hatte. So viel schlimmer Hader, so viele bedeutende
Fehden waren innerhalb dieser Mauern zum Austrag gekommen, ohne dass ein
roemisches Heer den heiligen Stadtfrieden gebrochen haette; jetzt geschah es,
zunaechst um der elenden Frage willen, ob dieser oder jener Offizier berufen
sei, im Osten zu kommandieren. Die einrueckenden Legionen gingen vor bis auf die
Hoehe des Esquilin; als die von den Daechern heranregnenden Geschosse und Steine
die Soldaten unsicher machten und sie zu weichen anfingen, erhob Sulla selbst
die flammende Fackel und, mit Brandpfeilen und Anzuendung der Haeuser drohend,
brachen die Legionen sich Bahn bis auf den Esquilinischen Marktplatz (unweit S.
Maria Maggiore). Hier wartete ihrer die eiligst von Marius und Sulpicius
zusammengeraffte Mannschaft und warf die zuerst eindringenden Kolonnen durch die
Ueberzahl zurueck. Aber von den Toren kam denselben Verstaerkung; eine andere
Abteilung der Sullaner machte Anstalt, auf der Suburastrasse die Verteidiger zu
umgehen; sie mussten zurueck. Am Tempel der Tellus, wo der Esquilin anfaengt
sich gegen den Grossen Marktplatz zu senken, versuchte Marius noch einmal sich
zu setzen; er beschwor Senat und Ritter und die gesamte Buergerschaft, den
Legionen sich entgegenzuwerfen. Aber er selbst hatte dieselben aus Buergern in
Lanzknechte umgeschaffen; sein eigenes Werk wandte sich gegen ihn; sie
gehorchten nicht der Regierung, sondern ihrem Feldherrn. Selbst als die Sklaven
unter dem Versprechen der Freiheit aufgefordert wurden, sich zu bewaffnen,
erschienen ihrer nicht mehr als drei. Es blieb den Fuehrern nichts uebrig, als
eiligst durch die noch unbesetzten Tore zu entrinnen; nach wenigen Stunden war
Sulla unumschraenkter Herr von Rom. Diese Nacht brannten die Wachfeuer der
Legionen auf dem Grossen Marktplatz der Hauptstadt.
Die erste militaerische Intervention in den buergerlichen Fehden hatte es
zur vollen Evidenz gebracht, sowohl dass die politischen Kaempfe auf dem Punkt
angekommen waren, wo nur noch offene und unmittelbare Gewalt die Entscheidung
gibt, als auch dass die Gewalt des Knuettels nichts ist gegen die Gewalt des
Schwertes. Es ist die konservative Partei gewesen, die das Schwert zuerst
gezogen und an der denn auch jenes ahnungsvolle Wort des Evangeliums ueber den,
der zuerst das Schwert erhebt, seinerzeit sich erfuellt hat. Fuer jetzt
triumphierte sie vollstaendig und durfte ihren Sieg nach Belieben selber
formulieren. Von selbst verstand es sich, dass die Sulpicischen Gesetze als von
Rechts wegen nichtig bezeichnet wurden. Ihr Urheber und seine namhaftesten
Anhaenger hatten sich gefluechtet; sie wurden, zwoelf an der Zahl, von dem Senat
als Vaterlandsfeinde zur Fahndung und Hinrichtung ausgeschrieben. Publius
Sulpicius ward infolgedessen bei Laurentum ergriffen und niedergemacht und das
an Sulla gesandte Haupt des Tribuns nach dessen Anordnung auf dem Markt auf
ebenderselben Rednerbuehne zur Schau gestellt, wo er selbst noch wenige Tage
zuvor in voller Jugend- und Rednerkraft gestanden hatte. Die anderen Geaechteten
wurden verfolgt; auch dem alten Gaius Marius waren die Moerder auf den Fersen.
Wie der Feldherr auch die Erinnerung an seine glorreichen Tage durch eine Kette
von Erbaermlichkeiten getruebt haben mochte, jetzt, wo der Retter des
Vaterlandes um sein Leben lief, war er wieder der Sieger von Vercellae und mit
atemloser Spannung vernahm man in ganz Italien die Ereignisse seiner wundersamen
Flucht. In Ostia hatte er ein Fahrzeug bestiegen, um nach Afrika zu segeln;
allein widrige Winde und Mangel an Vorraeten zwangen ihn, am Circeischen
Vorgebirg zu landen und auf gut Glueck in die Irre zu gehen. Von wenigen
begleitet und keinem Dach sich anvertrauend, gelangte der greise Konsular zu
Fuss, oft vom Hunger gepeinigt, in die Naehe der roemischen Kolonie Minturnae an
der Muendung des Garigliano. Hier zeigten sich in der Ferne die verfolgenden
Reiter; mit genauer Not ward das Ufer erreicht, und ein dort liegendes
Handelsschiff entzog ihn seinen Verfolgern; allein die aengstlichen Schiffer
legten bald wieder an und suchten das Weite, waehrend Marius am Strande schlief.
In dem Strandsumpf von Minturnae, bis zum Guertel in den Schlamm versunken und
das Haupt unter einem Schilfhaufen verborgen, fanden ihn seine Verfolger und
lieferten ihn ab an die Stadtbehoerde von Minturnae. Er ward ins Gefaengnis
gelegt und der Stadtbuettel, ein kimbrischer Sklave, gesandt, ihn hinzurichten;
allein der Deutsche erschrak vor dem blitzenden Auge seines alten Besiegers und
das Beil entsank ihm, als der General mit seiner gewaltigen Stimme ihn
anherrschte, ob er der Mann sei, den Gaius Marius zu toeten. Als man dies
vernahm, ergriff die Beamten von Minturnae die Scham, dass der Retter Roms
groessere Ehrfurcht finde bei den Sklaven, denen er die Knechtschaft, als bei
den Mitbuergern, denen er die Freiheit gebracht hatte; sie loesten seine
Fesseln, gaben ihm Schiff und Reisegeld und sandten ihn nach Aenaria (Ischia).
Die Verbannten mit Ausnahme des Sulpicius fanden in diesen Gewaessern sich
allmaehlich zusammen; sie liefen am Eryx und bei dem ehemaligen Karthago an,
allein die roemischen Beamten wiesen sie in Sizilien wie in Afrika zurueck. So
entrannen sie nach Numidien, dessen oede Strandduenen ihnen einen Zufluchtsort
fuer den Winter gewaehrten. Allein der Koenig Hiempsal II., den sie zu gewinnen
hofften und der auch eine Zeitlang sich die Miene gegeben hatte, mit ihnen sich
verbinden zu wollen, hatte es nur getan, um sie sicher zu machen, und versuchte
jetzt, sich ihrer Personen zu bemaechtigen. Mit genauer Not entrannen die
Fluechtlinge seinen Reitern und fanden vorlaeufig eine Zuflucht auf der kleinen
Insel Kerkina (Kerkena) an der tunesischen Kueste. Wir wissen es nicht, ob Sulla
seinem Gluecksstern auch dafuer dankte, dass es ihm erspart blieb, den
Kimbrersieger toeten zu lassen; wenigstens scheint es nicht, dass die
minturnensischen Beamten bestraft worden sind.
Um die vorhandenen Uebelstaende zu beseitigen und kuenftige Umwaelzungen zu
verhueten, veranlasste Sulla eine Reihe neuer gesetzlicher Bestimmungen. Fuer
die bedraengten Schuldner scheint nichts geschehen zu sein, als dass man die
Vorschriften ueber das Zinsmaximum einschaerfte ^11; ausserdem wurde die
Ausfuehrung einer Anzahl von Kolonien angeordnet. Der in den Schlachten und
Prozessen des Bundesgenossenkrieges sehr zusammengeschwundene Senat ward
ergaenzt durch die Aufnahme von 300 neuen Senatoren, deren Auswahl natuerlich im
optimatischen Interesse getroffen ward. Endlich wurden hinsichtlich des
Wahlmodus und der legislatorischen Initiative wesentliche Aenderungen
vorgenommen. Die alte Servianische Stimmordnung der Zenturiatkomitien, nach der
die erste Steuerklasse mit einem Vermoegen von 100000 Sesterzen (7600 Talern)
oder darueber allein fast die Haelfte der Stimmen inne hatte, trat wieder an die
Stelle der im Jahre 513 (241) eingefuehrten, das Uebergewicht der ersten Klasse
mildernden Ordnungen. Tatsaechlich ward damit fuer die Wahl der Konsuln,
Praetoren und Zensoren ein Zensus eingefuehrt, der die nicht Wohlhabenden vom
aktiven Wahlrecht der Sache nach ausschloss. Die legislatorische Initiative
wurde den Volkstribunen dadurch beschraenkt, dass jeder Antrag fortan von ihnen
zunaechst dem Senat vorgelegt werden musste und erst, wenn dieser ihn gebilligt
hatte, an das Volk gelangen konnte.
------------------------------------------------
^11 Klar ist es nicht, was das "Zwoelftelgesetz', der Konsuln Sulla und
Rufus von 666 (88) in dieser Hinsicht vorschrieb; die einfachste Annahme bleibt
aber, darin eine Erneuerung des Gesetzes von 397 (357) zu sehen, so dass der
hoechste erlaubte Zinsfuss wieder 1/12 des Kapitals fuer das zehnmonatliche oder
10 Prozent fuer das zwoelfmonatliche Jahr ward.
-------------------------------------------------
Diese durch den Sulpicischen Revolutionsversuch hervorgerufenen
Verfuegungen desjenigen Mannes, der darin als Schild und Schwert der
Verfassungspartei aufgetreten war, des Konsuls Sulla, tragen einen ganz
eigentuemlichen Charakter. Sulla wagte es, ohne die Buergerschaft oder
Geschworene zu fragen, ueber zwoelf der angesehensten Maenner, darunter
fungierende Beamte und den beruehmtesten General seiner Zeit, das Todesurteil zu
verhaengen und oeffentlich zu diesen Aechtungen sich zu bekennen, eine
Verletzung der altheiligen Provokationsgesetze, die selbst von sehr
konservativen Maennern, wie zum Beispiel von Quintus Scaevola, strengen Tadel
erfuhr. Er wagte es, eine seit anderthalb Jahrhunderten bestehende Wahlordnung
umzustossen und den seit langem verschollenen und verfemten Wahlzensus
wiederherzustellen. Er wagte es, das Recht der Legislation seinen beiden uralten
Faktoren, den Beamten und den Komitien, tatsaechlich zu entziehen und es auf
eine Behoerde zu uebertragen, die zu keiner Zeit formell ein anderes Recht in
dieser Hinsicht besessen hatte als das, dabei um Rat gefragt werden zu koennen.
Kaum hatte je ein Demokrat in so tyrannischen Formen Justiz geuebt, mit so
ruecksichtsloser Kuehnheit an den Fundamenten der Verfassung geruettelt und
gemodelt wie dieser konservative Reformator. Sieht man aber auf die Sache statt
auf die Form, so gelangt man zu sehr verschiedenen Ergebnissen. Revolutionen
sind nirgends und am wenigsten in Rom beendigt worden, ohne eine gewisse Zahl
von Opfern zu fordern, welche, in mehr oder minder der Justiz abgeborgten
Formen, die Schuld, ueberwunden zu sein, gleichsam als ein Verbrechen buessen.
Wer sich erinnert an die prozessualischen Konsequenzen, wie sie die siegende
Partei nach dem Sturz der Gracchen und des Saturninus gezogen hatte, der fuehlt
sich geneigt, dem Sieger vom Esquilinischen Markt das Lob der Offenheit und der
relativen Maessigung zu erteilen, indem er einmal ohne viel Umstaende das, was
Krieg war, auch als Krieg nahm und die geschlagenen Maenner als rechtlose Feinde
in die Acht erklaerte; zweitens die Zahl der Opfer moeglichst beschraenkte und
wenigstens das widerliche Wueten gegen die geringen Leute nicht gestattete. Eine
aehnliche Maessigung zeigt sich in den politischen Organisationen. Die Neuerung
hinsichtlich der Gesetzgebung, die wichtigste und scheinbar durchgreifendste,
brachte in der Tat nur den Buchstaben der Verfassung mit dem Geist derselben in
Einklang. Die roemische Legislation, wo jeder Konsul, Praetor oder Tribun jede
beliebige Massregel bei der Buergerschaft beantragen und ohne Debatte zur
Abstimmung bringen konnte, war von Haus aus unvernuenftig gewesen und mit der
steigenden Nullitaet der Komitien es immer mehr geworden; sie ward nur ertragen,
weil faktisch der Senat sich das Vorberatungsrecht vindiziert hatte und
regelmaessig den ohne solche Vorberatung zur Abstimmung ge langenden Antrag
erstickte durch politische oder religioese Interzession. Diese Daemme hatte die
Revolution fortgeschwemmt; infolgedessen fing nun jenes absurde System an, seine
Konsequenzen vollstaendig und jedem mutwilligen Buben den Umsturz des Staats in
formell legaler Weise moeglich zu machen. Was war unter solchen Umstaenden
natuerlicher, notwendiger, im rechten Sinne konservativer, als die bisher auf
Umwegen realisierte Legislation des Senats jetzt foermlich und ausdruecklich
anzuerkennen? Etwas Aehnliches gilt von der Erneuerung des Wahlzensus. Die
aeltere Verfassung ruhte durchaus auf demselben; auch die Reform von 513 (241)
hatte die Bevorzugung der Vermoegenden nur beschraenkt. Aber seit diesem Jahr
war eine ungeheure finanzielle Umwandlung eingetreten, welche eine Erhoehung des
Wahlzensus wohl rechtfertigen konnte. Auch die neue Timokratie aenderte also den
Buchstaben der Verfassung nur, um dem Geiste derselben treu zu bleiben, indem
sie zugleich dem schaendlichen Stimmenkauf samt allem, was daran hing, in der
moeglichst milden Form zu wehren wenigstens versuchte. Endlich die Bestimmungen
zu Gunsten der Schuldner, die Wiederaufnahme der Kolonisationsplaene gaben den
redenden Beweis, dass Sulla, wenn er auch nicht gemeint war, Sulpicius'
leidenschaftlichen Antraegen beizupflichten, doch eben wie er und wie Drusus,
wie ueberhaupt alle heller sehenden Aristokraten, den materiellen Reformen an
sich geneigt war; wobei nicht uebersehen werden darf, dass er diese Massregel
nach dem Siege und durchaus freiwillig beantragte. Wenn man hiermit verbindet,
dass Sulla die hauptsaechlichen Fundamente der Gracchischen Verfassung bestehen
liess und weder an den Rittergerichten noch an den Kornverteilungen ruettelte,
so wird man das Urteil gerechtfertigt finden, dass die Sullanische Ordnung von
666 (86) an dem seit dem Sturz des Gaius Gracchus bestehenden Status quo
wesentlich festhielt und nur teils die dem bestehenden Regiment zunaechst Gefahr
drohenden ueberlieferten Satzungen zeitgemaess aenderte, teils den vorhandenen
sozialen Uebeln nach Kraeften abzuhelfen suchte, soweit beides sich tun liess,
ohne die tieferliegenden Schaeden zu beruehren. Energische Verachtung des
konstitutionellen Formalismus in Verbindung mit einem lebendigen Gefuehl fuer
den inneren Gehalt der bestehenden Ordnungen, klare Einsichten und loebliche
Absichten bezeichnen durchaus diese Gesetzgebung; ebenso aber eine gewisse
Leichtfertigkeit und Oberflaechlichkeit, wie denn namentlich sehr viel guter
Wille dazu gehoerte, um zu glauben, dass die Feststellung des Zinsmaximums den
verwirrten Kreditverhaeltnissen aufhelfen und dass das Vorberatungsrecht des
Senats sich gegen die kuenftige Demagogie widerstandsfaehiger erweisen werde als
bisher das Interzessionsrecht und die Religion.
In der Tat stiegen an dem reinen Himmel der Konservativen sehr bald neue
Wolken auf. Die asiatischen Verhaeltnisse nahmen einen immer drohenderen
Charakter an. Schon hatte der Staat dadurch, dass die Sulpicische Revolution den
Abgang des Heeres nach Asien verzoegert hatte, den schwersten Schaden erlitten;
die Einschiffung konnte auf keinen Fall laenger verschoben werden. Inzwischen
hoffte Sulla teils in den Konsuln, die nach der neuen Wahlordnung gewaehlt
wuerden, teils besonders in den mit der Bezwingung der Reste der italischen
Insurrektion beschaeftigten Armeen Garanten gegen einen neuen Sturm auf die
Oligarchie in Italien zurueckzulassen. Allein in den Konsularkomitien fiel die
Wahl nicht auf die von Sulla aufgestellten Kandidaten, sondern neben Gnaeus
Octavius, einem allerdings streng optimatisch gesinnten Mann, auf Lucius
Cornelius Cinna, der zur entschiedensten Opposition gehoerte. Vermutlich war es
hauptsaechlich die Kapitalistenpartei, die mit dieser Wahl dem Urheber des
Zinsgesetzes vergalt. Sulla nahm die unbequeme Wahl mit der Erklaerung hin, dass
es ihn freue, die Buerger von ihrer verfassungsmaessigen Wahlfreiheit Gebrauch
machen zu sehen, und begnuegte sich, beiden Konsuln den Schwur abzunehmen auf
treue Beobachtung der bestehenden Verfassung. Von den Armeen kam es vornehmlich
auf die Nordarmee an, da die kampanische groessten teils nach Asien abzugehen
bestimmt war. Sulla liess durch Volksschluss das Kommando ueber jene auf seinen
treuergebenen Kollegen Quintus Rufus uebertragen und den bisherigen Feldherrn
Gnaeus Strabo in moeglichst schonender Weise zurueckrufen, um so mehr als dieser
der Ritterpartei angehoerte und seine passive Haltung waehrend der Sulpicischen
Unruhen der Aristokratie nicht geringe Bedenken erregt hatte. Rufus traf bei dem
Heer ein und uebernahm an Strabos Stelle den Oberbefehl; allein wenige Tage
nachher ward er von den Soldaten erschlagen und Strabo trat wieder zurueck in
das kaum abgegebene Kommando. Er galt als der Anstifter des Mordes; gewiss ist
es, dass er ein Mann war, zu dem man solcher Tat sich versehen konnte, der die
Fruechte der Untat erntete und die wohlbekannten Urheber nur mit Worten strafte.
Fuer Sulla war Rufus' Beseitigung und Strabos Feldherrnschaft eine neue und
ernste Gefahr; doch tat er nichts, um diesem das Kommando abzunehmen. Als bald
darauf sein Konsulat zu Ende ging, sah er sich einerseits von seinem Nachfolger
Cinna gedraengt, endlich nach Asien abzugehen, wo seine Anwesenheit allerdings
dringend not tat, andererseits von einem der neuen Tribune vor das Volksgericht
geladen; es war dem bloedesten Auge klar, dass ein neuer Sturm gegen ihn und
seine Partei sich vorbereitete und dass die Gegner seine Entfernung wuenschten.
Sulla hatte die Wahl, mit Cinna, vielleicht mit Strabo es zum Bruche zu treiben
und abermals auf Rom zu marschieren, oder die italischen Angelegenheiten gehen
zu lassen, wie sie konnten und mochten und nach einem andern Weltteil sich zu
entfernen. Sulla entschied sich - ob mehr aus Patriotismus oder mehr aus
Indifferenz, wird nie ausgemacht werden - fuer die letztere Alternative,
uebergab das in Samnium zurueckbleibende Korps dem zuverlaessigen und
kriegskundigen Quintus Metellus Pius, der an Sullas Stelle den prokonsularischen
Oberbefehl in Unteritalien uebernahm, die Leitung der Belagerung von Nola dem
Propraetor Appius Claudius und schiffte im Anfang des Jahres 667 (87) mit seinen
Legionen nach dem hellenischen Osten sich ein.
8. Kapitel
Der Osten und Koenig Mithradates
Die atemlose Spannung, in welcher die Revolution mit ihrem ewig sich
erneuernden Feuerlaerm und Loeschruf die roemische Regierung erhielt, war die
Ursache, dass dieselbe die Provinzialverhaeltnisse ueberhaupt aus den Augen
verlor, am meisten aber die des asiatischen Ostens, dessen ferne und
unkriegerische Nationen nicht so unmittelbar wie Afrika, Spanien und die
transalpinischen Nachbarn der Beachtung der Regierung sich aufdraengten. Nach
der Einziehung des Attalischen Koenigreiches, die mit dem Ausbruch der
Revolution zusammenfaellt, ist ein volles Menschenalter hindurch kaum irgendeine
ernstliche Beteiligung Roms an den orientalischen Angelegenheiten nachzuweisen,
mit Ausnahme der durch die masslose Dreistigkeit der kilikischen Piraterie den
Roemern abgedrungenen Einrichtung der Provinz Kilikien im Jahre 652 (102),
welche der Sache nach auch nichts weiter war als die Anordnung einer bleibenden
Station fuer eine kleine roemische Heer- und Flottenabteilung in den oestlichen
Gewaessern. Erst nachdem die Marianische Katastrophe im Jahre 654 (100) die
Restaurationsregierung einigermassen konsolidiert hatte, begann die roemische
Regierung aufs neue den Ereignissen im Osten einige Aufmerksamkeit zuzuwenden.
In vieler Hinsicht waren die Verhaeltnisse noch, wie wir dreissig Jahre
zuvor sie verliessen. Das Reich Aegypten mit seinen beiden Nebenlaendern Kyrene
und Kypros loeste mit dem Tode Euergetes II. (637 117) teils rechtlich, teils
tatsaechlich sich auf. Kyrene kam an den natuerlichen Sohn desselben, Ptolemaeos
Apion, und trennte sich auf immer von dem Hauptland. Um die Herrschaft in diesem
haderten die Witwe des letzten Koenigs, Kleopatra (+ 665 89), und dessen beide
Soehne Soter II. Lathyros (+ 673 81) und Alexander I. (+ 666 88), was die
Ursache ward, dass auch Kypros auf laengere Zeit von Aegypten sich schied. Die
Roemer griffen in die Wirren nicht ein; ja als ihnen im Jahre 658 (96) das
Kyrenische Reich durch das Testament des kinderlosen Koenigs Apion anfiel,
schlugen sie diesen Erwerb zwar nicht geradezu aus, aber ueberliessen doch die
Landschaft im wesentlichen sich selbst, indem sie die griechischen Staedte des
Reiches, Kyrene, Ptolemais, Berenike, zu Freistaedten erklaerten und denselben
sogar die Nutzung der koeniglichen Domaenen ueberwiesen. Die Oberaufsicht des
Statthalters von Africa ueber dieses Gebiet war bei dessen Entlegenheit noch
weit mehr eine bloss nominelle als die des Statthalters von Makedonien ueber die
hellenischen Freistaedte. Die Folgen dieser Massregel, die ohne Zweifel nicht
aus dem Philhellenismus, sondern lediglich aus der Schwaeche und Nachlaessigkeit
der roemischen Regierung hervorging, waren wesentlich dieselben, die unter
gleichen Verhaeltnissen in Hellas eingetreten waren: Buergerkriege und
Usurpation zerrissen die Landschaft so, dass, als dort zufaellig im Jahre 668
(86) ein hoeherer roemischer Offizier erschien, die Einwohner ihn dringend
ersuchten, ihre Verhaeltnisse zu ordnen und ein dauerhaftes Regiment bei ihnen
zu begruenden.
Auch in Syrien war es in der Zwischenzeit nicht viel anders, am wenigsten
besser geworden. Waehrend des zwanzigjaehrigen Erbfolgekrieges der beiden
Halbbrueder Antiochos Grypos (+ 658 96) und Antiochos von Kyzikos (+ 659 95),
der sich nach dem Tode derselben auf ihre Soehne forterbte, ward das Reich, um
das man stritt, fast zu einem eitlen Namen, in dem die kilikischen Seekoenige,
die Araberscheichs der syrischen Wueste, die Fuersten der Juden und die
Magistrate der groesseren Staedte in der Regel mehr zu sagen hatten als die
Traeger des Diadems. Inzwischen setzten im westlichen Kilikien die Roemer sich
fest und ging das wichtige Mesopotamien definitiv ueber an die Parther.
Die Monarchie der Arsakiden hatte, hauptsaechlich infolge der Einfaelle
turanischer Staemme, um die Zeit der Gracchen eine gefaehrliche Krise
durchzumachen gehabt. Der neunte Arsakide, Mithradates II. oder der Grosse (630
? - 667 ? 124 ? 87 ?), hatte dem Staat zwar seine ueberwiegende Stellung in
Innerasien zurueckgegeben, die Skythen zurueckgeschlagen und gegen Syrien und
Armenien die Grenze des Reiches vorgeschoben, allein gegen das Ende seines
Lebens laehmten neue Unruhen sein Regiment; und waehrend die Grossen des
Reiches, ja der eigene Bruder Orodes gegen den Koenig sich auflehnten und
endlich dieser Bruder ihn stuerzte und toeten liess, erhob sich das bis dahin
unbedeutende Armenien. Dieses Land, das seit seiner Selbstaendigkeitserklaerung
in die nordoestliche Haelfte oder das eigentliche Armenien, das Reich der
Artaxiaden, und die suedwestliche oder Sophene, das Reich der Zariadriden,
geteilt gewesen war, wurde durch den Artaxiaden Tigranes (regierte seit 660 94)
zum erstenmal zu einem Koenigreich vereinigt, und teils diese Machtverdoppelung,
teils die Schwaeche der parthischen Herrschaft machten es dem neuen Koenig von
ganz Armenien moeglich, nicht bloss aus der Klientel der Parther sich zu loesen
und die frueher an sie abgetretenen Landschaften zurueckzugewinnen, sondern
sogar das Oberkoenigtum von Asien, wie es von den Achaemeniden auf die
Seleukiden und von diesen auf die Arsakiden uebergegangen war, an Armenien zu
bringen.
In Kleinasien endlich bestand die Laenderteilung, wie sie nach der
Aufloesung des Attalischen Reiches unter roemischer Einwirkung festgestellt
worden war, noch wesentlich ungeaendert. In dem Zustande der Klientelstaaten,
der Koenigreiche Bithynien, Kappadokien, Pontus, der Fuerstentuemer
Paphlagoniens und Galatiens, der zahlreichen Staedtebuende und Freistaedte, war
eine aeusserliche Aenderung zunaechst nicht wahrzunehmen. Innerlich hatte
dagegen der Charakter der roemischen Herrschaft allerdings ueberall sich
wesentlich umgestaltet. Teils durch die bei jedem tyrannischen Regiment
naturgemaess eintretende stetige Steigerung des Druckes, teils durch die
mittelbare Einwirkung der roemischen Revolution - man erinnere sich an die
Einziehung des Bodeneigentums in der Provinz Asien durch Gaius Gracchus, an die
roemischen Zehnten und Zoelle und an die Menschenjagden, die die Zoellner
daselbst nebenbei betrieben - lastete die schon von Haus aus schwer ertraegliche
roemische Herrschaft in einer Weise auf Asien, dass weder die Koenigskrone noch
die Bauernhuette daselbst mehr sicher war vor Konfiskation, dass jeder Halm fuer
den roemischen Zehntherrn zu wachsen, jedes Kind freier Eltern fuer die
roemischen Sklavenzwinger geboren zu werden schien. Zwar ertrug der Asiate in
seiner unerschoepflichen Passivitaet auch diese Qual; allein es waren nicht
Geduld und Ueberlegung, die ihn ruhig tragen hiessen, sondern der eigentuemlich
orientalische Mangel der Initiative, und es konnten in diesen friedlichen
Landschaften, unter diesen weichlichen Nationen wunderbare, schreckhafte Dinge
sich ereignen, wenn einmal ein Mann unter sie trat, der es verstand, das Zeichen
zu geben.
Es regierte damals im Reiche Pontus Koenig Mithradates VI. mit dem Beinamen
Eupator (geb. um 624 130, gest. 691 63), der sein Geschlecht von vaeterlicher
Seite im sechzehnten Glied auf den Koenig Dareios Hystaspes' Sohn, im achten auf
den Stifter des Pontischen Reiches, Mithradates I., zurueckfuehrte, von
muetterlicher den Alexandriden und Seleukiden entstammte. Nach dem fruehen Tode
seines Vaters Mithradates Euergetes, der in Sinope von Moerderhand fiel, war er
um 634 (120) als elfjaehriger Knabe Koenig genannt worden; allein das Diadem
brachte ihm nur Not und Gefahr. Die Vormuender, ja, wie es scheint, die eigene,
durch des Vaters Testament zur Mitregierung berufene Mutter standen dem
koeniglichen Knaben nach dem Leben; es wird erzaehlt, dass er, um den Dolchen
seiner gesetzlichen Beschuetzer sich zu entziehen, freiwillig in das Elend
gegangen sei und sieben Jahre hindurch, Nacht fuer Nacht die Ruhestaette
wechselnd, ein Fluechtling in seinem eigenen Reiche, ein heimatloses Jaegerleben
gefuehrt habe. Also ward der Knabe ein gewaltiger Mann. Wenngleich unsere
Berichte ueber ihn im wesentlichen auf schriftliche Aufzeichnungen der
Zeitgenossen zurueckgehen, so hat nichtsdestoweniger die im Orient blitzschnell
sich bildende Sage den maechtigen Koenig frueh geschmueckt mit manchen der Zuege
ihrer Simson und Rustem; aber auch diese gehoeren zum Charakter ebenwie die
Wolkenkrone zum Charakter der hoechsten Bergspitzen: die Grundlinien des Bildes
erscheinen in beiden Faellen nur farbiger und phantastischer, nicht getruebt
noch wesentlich geaendert. Die Waffenstuecke, die dem riesengrossen Leibe des
Koenigs Mithradates passten, erregten das Staunen der Asiaten und mehr noch der
Italiker. Als Laeufer ueberholte er das schnellste Wild; als Reiter baendigte er
das wilde Ross und vermochte mit gewechselten Pferden an einem Tage 25 deutsche
Meilen zurueckzulegen; als Wagenlenker fuhr er mit sechzehn und gewann im
Wettrennen manchen Preis - freilich war es gefaehrlich, in solchem Spiel dem
Koenig obzusiegen. Auf der Jagd traf er das Wild im vollen Galopp vom Pferde
herab, ohne zu fehlen; aber auch an der Tafel suchte er seinesgleichen - er
veranstaltete wohl Wettschmaeuse und gewann darin selber die fuer den derbsten
Esser und fuer den tapfersten Trinker ausgesetzten Preise - und nicht minder in
den Freuden des Harems, wie unter anderm die zuegellosen Billets seiner
griechischen Maetressen bewiesen, die sich unter seinen Papieren fanden. Seine
geistigen Beduerfnisse befriedigte er im wuestesten Aberglauben -Traumdeuterei
und das griechische Mysterienwesen fuellten nicht wenige der Stunden des Koenigs
aus - und in einer rohen Aneignung der hellenischen Zivilisation. Er liebte
griechische Kunst und Musik, das heisst er sammelte Pretiosen, reiches Geraet,
alte persische und griechische Prachtstuecke - sein Ringkabinett war beruehmt -,
hatte stets griechische Geschichtschreiber, Philosophen, Poeten in seiner
Umgebung und setzte bei seinen Hoffesten neben den Preisen fuer Esser und
Trinker auch welche aus fuer den drolligsten Spassmacher und den besten Saenger.
So war der Mensch; der Sultan entsprach ihm. Im Orient, wo das Verhaeltnis des
Herrschers und der Beherrschten mehr den Charakter des Natur- als des sittlichen
Gesetzes traegt, ist der Untertan huendisch treu und huendisch falsch, der
Herrscher grausam und misstrauisch. In beiden ist Mithradates kaum uebertroffen
worden. Auf seinen Befehl starben oder verkamen in ewiger Haft wegen wirklicher
oder angeblicher Verraeterei seine Mutter, sein Bruder, seine ihm vermaehlte
Schwester, drei seiner Soehne und ebenso viele seiner Toechter. Vielleicht noch
empoerender ist es, dass sich unter seinen geheimen Papieren im voraus
aufgesetzte Todesurteile gegen mehrere seiner vertrautesten Diener vorfanden.
Ebenso ist es echt sultanisch, dass er spaeterhin, nur um seinen Feinden die
Siegestrophaeen zu entziehen, seine beiden griechischen Gattinnen, seine
Schwestern und seinen ganzen Harem toeten liess und den Frauen nur die Wahl der
Todesart freigab. Das experimentale Studium der Gifte und Gegengifte betrieb er
als einen wichtigen Zweig der Regierungsgeschaefte und versuchte, seinen Koerper
an einzelne Gifte zu gewoehnen. Verrat und Mord hatte er von frueh auf von
jedermann und zumeist von den Naechsten erwarten und gegen jedermann und zumeist
gegen die Naechsten ueben gelernt, wovon denn die notwendige und durch seine
ganze Geschichte belegte Folge war, dass all seine Unternehmungen schliesslich
misslangen durch die Treulosigkeit seiner Vertrauten. Dabei begegnen wohl
einzelne Zuege von hochherziger Gerechtigkeit; wenn er Verraeter bestrafte,
schonte er in der Regel diejenigen, welche nur durch ihr persoenliches
Verhaeltnis zu dem Hauptverbrecher mitschuldig geworden waren; allein
dergleichen Anfaelle von Billigkeit fehlen bei keinem rohen Tyrannen. Was
Mithradates in der Tat auszeichnet unter der grossen Anzahl gleichartiger
Sultane, ist seine grenzenlose Ruehrigkeit. Eines schoenen Morgens war er aus
seiner Hofburg verschwunden und blieb Monate lang verschollen, so dass man ihn
bereits verloren gab; als er zurueckkam, hatte er unerkannt ganz Vorderasien
durchwandert und Land und Leute ueberall militaerisch erkundet. Von gleicher Art
ist es, dass er nicht bloss ueberhaupt ein redefertiger Mann war, sondern auch
den zweiundzwanzig Nationen, ueber die er gebot, jeder in ihrer Zunge Recht
sprach, ohne eines Dolmetschers zu beduerfen - ein bezeichnender Zug fuer den
regsamen Herrscher des sprachenreichen Ostens. Denselben Charakter traegt seine
ganze Regententaetigkeit. Soweit wir sie kennen - denn von der inneren
Verwaltung schweigt unsere Ueberlieferung leider durchaus -, geht sie auf wie
die eines jeden anderen Sultans im Sammeln von Schaetzen, im Zusammentreiben der
Heere, die wenigstens in seinen frueheren Jahren gewoehnlich nicht der Koenig
selbst, sondern irgendein griechischer Condottiere gegen den Feind fuehrt, in
dem Bestreben, neue Satrapien zu den alten zu fuegen; von hoeheren Elementen,
Foerderung der Zivilisation, ernstlicher Fuehrerschaft der nationalen
Opposition, eigenartiger Genialitaet finden sich, in unserer Ueberlieferung
wenigstens, bei Mithradates keine bewussten Spuren, und wir haben keinen Grund,
auch nur mit den grossen Regenten der Osmanen, wie Muhamed II. und Suleiman
waren, ihn auf eine Linie zu stellen. Trotz der hellenischen Bildung, die ihm
nicht viel besser sitzt als seinen Kappadokiern die roemische Ruestung, ist er
durchaus ein Orientale gemeinen Schlags, roh, voll sinnlichster Begehrlichkeit,
aberglaeubisch, grausam, treu- und ruecksichtslos, aber so kraeftig organisiert,
so gewaltig physisch begabt, dass sein trotziges Umsichschlagen, sein
unverwuestlicher Widerstandsmut haeufig wie Talent, zuweilen sogar wie Genie
aussieht. Wenn man auch in Anschlag bringt, dass waehrend der Agonie der
Republik es leichter war, Rom Widerstand zu leisten als in den Zeiten Scipios
oder Traians, und dass nur die Verschlingung der asiatischen Ereignisse mit den
inneren Bewegungen Italiens es Mithradates moeglich machte, doppelt so lange als
Jugurtha den Roemern zu widerstehen, so bleibt es darum doch nicht minder wahr,
dass bis auf die Partherkriege er der einzige Feind ist, der im Osten den
Roemern ernstlich zu schaffen gemacht, und dass er gegen sie sich gewehrt hat
wie gegen den Jaeger der Loewe der Wueste. Aber mehr als solchen naturkraeftigen
Widerstand sind wir nach dem, was vorliegt, auch nicht berechtigt, in ihm zu
erkennen.
Indes wie man immer ueber die Individualitaet des Koenigs urteilen moege,
seine geschichtliche Stellung bleibt in hohem Grade bedeutsam. Die
Mithradatischen Kriege sind zugleich die letzte Regung der politischen
Opposition von Hellas gegen Rom und der Anfang einer auf sehr verschiedenen und
weit tieferen Gegensaetzen beruhenden Auflehnung gegen die roemische Suprematie,
der nationalen Reaktion der Asiaten gegen die Okzidentalen. Wie Mithradates
selbst so war auch sein Reich ein orientalisches, die Polygamie und das
Haremwesen herrschend am Hofe und ueberhaupt unter den Vornehmen, die Religion
der Landesbewohner wie die offizielle des Hofes vorwiegend der alte
Nationalkult; der Hellenismus daselbst war wenig verschieden von dem Hellenismus
der armenischen Tigraniden und der Arsakiden des Partherreichs. Es mochten die
kleinasiatischen Griechen einen kurzen Augenblick fuer ihre politischen Traeume
an diesem Koenig einen Halt zu finden meinen; in der Tat ward in seinen
Schlachten um ganz andere Dinge gestritten, als worueber auf den Feldern von
Magnesia und Pydna die Entscheidung fiel. Es war nach langer Waffenruhe ein
neuer Gang in dem ungeheuren Zweikampf des Westens und des Ostens, welcher von
den Kaempfen bei Marathon auf die heutige Generation sich vererbt hat und
vielleicht seine Zukunft ebenso nach Jahrtausenden zaehlen mag wie seine
Vergangenheit.
So offenbar indes in dem ganzen Sein und Tun des kappadokischen Koenigs das
fremdartige und unhellenische Wesen hervortritt, so schwierig ist es, das hier
obwaltende nationale Element bestimmt anzugeben, und kaum wird es je gelingen,
in dieser Hinsicht ueber Allgemeinheiten hinaus und zu einer wirklichen
Anschauung zu gelangen. In dem ganzen Kreis der antiken Zivilisation gibt es
keinen Bezirk, in welchem so zahlreiche, so verschiedenartige, so seit fernster
Zeit mannigfaltig verschlungene Staemme neben- und durcheinander geschoben und
wo demzufolge die Verhaeltnisse der Nationalitaeten weniger klar waeren wie in
Kleinasien. Die semitische Bevoelkerung setzt sich von Syrien her in
ununterbrochenem Zuge nach Kypros und Kilikien fort, und es scheint ihr ferner
auch an der Ostkueste in der karischen lydischen Landschaft der Grundstock der
Bevoelkerung anzugehoeren, waehrend die nordwestliche Spitze von den Bithynern,
den Stammverwandten der europaeischen Thraker, eingenommen wird. Dagegen das
Binnenland und die Nordkueste sind vorwiegend von indogermanischen, am naechsten
den iranischen verwandten Voelkerschaften erfuellt. Von der armenischen und der
phrygischen Sprache ^1 ist es ausgemacht, von der kappadokischen
hoechstwahrscheinlich, dass sie zunaechst an das Zend grenzten; und wenn von den
Mysern angegeben wird, dass bei ihnen lydische und phrygische Sprache sich
begegneten, so bezeichnet dies eben eine semitisch-iranische, etwa der
assyrischen vergleichbare Mischbevoelkerung. Was die zwischen Kilikien und
Karien sich ausbreitenden Landschaften, namentlich die lykische, anlangt, so
mangelt es, trotz der gerade hier in Fuelle vorhandenen Ueberreste einheimischer
Sprache und Schrift, bis jetzt ueber dieselbe noch an gesicherten Ergebnissen,
und es ist nur wahrscheinlich, dass diese Staemme eher den Indogermanen als den
Semiten zuzuzaehlen sind. Wie dann ueberall dieses Voelkergewirre sich zuerst
ein Netz griechischer Kaufstaedte, sodann der durch das kriegerische wie das
geistige Uebergewicht der griechischen Nation ins Leben gerufene Hellenismus
gelegt hat, ist in seinen Umrissen bereits frueher auseinandergesetzt worden.
------------------------------------------
^1 Die als phrygisch angefuehrten Woerter Bagaios = Zeus und der alte
Koenigsname Manis sind unzweifelhaft richtig auf das zendische bagha = Gott und
das deutsche Mannus, indisch Manus zurueckgefuehrt worden. Chr. Lassen in: ZDMG,
10, 1888, S. 329f.
------------------------------------------
In diesen Gebieten herrschte Koenig Mithradates und zwar zunaechst in
Kappadokien am Schwarzen Meer oder der sogenannten pontischen Landschaft, da wo,
am nordoestlichen Ende Kleinasiens gegen Armenien zu und mit diesem in steter
Beruehrung, sich die iranische Nationalitaet vermutlich minder gemischt als
irgendwo sonst in Kleinasien behauptet hatte. Nicht einmal der Hellenismus war
hier tief eingedrungen. Mit Ausnahme der Kueste, wo mehrere urspruenglich
griechische Ansiedlungen bestanden, namentlich die bedeutenden Handelsplaetze
Trapezus, Amisos und vor allem die Geburts- und Residenzstadt Mithradats und die
bluehendste Stadt des Reiches, Sinope, war das Land noch in einem sehr
primitiven Zustand. Nicht als haette es wuest gelegen; vielmehr wie die
pontische Landschaft noch heute eine der lachendsten der Erde ist, in der
Getreidefelder mit Waeldern von wilden Obstbaeumen wechseln, war sie ohne
Zweifel auch zu Mithradates' Zeit wohl bebaut und verhaeltnismaessig auch
bevoelkert. Allein eigentliche Staedte gab es daselbst kaum, sondern nur Burgen,
die den Ackerleuten als Zufluchtsstaetten und dem Koenig als Schatzkammern zur
Aufbewahrung der eingehenden Steuern dienten, wie denn allein in Kleinarmenien
fuenfundsiebzig solcher kleiner koeniglicher Kastelle gezaehlt wurden. Wir
finden nicht, dass Mithradates wesentlich dazu getan haette, das staedtische
Wesen in seinem Reiche emporzubringen; und wie er gestellt war, in
tatsaechlicher, wenn auch vielleicht ihm selbst nicht voellig bewusster Reaktion
gegen den Hellenismus, begreift sich dies wohl. Um so taetiger erscheint er,
gleichfalls in ganz orientalischer Weise, bemueht, sein Reich, das schon nicht
klein war, wenn auch der Umfang desselben wohl uebertrieben auf 500 deutsche
Meilen angegeben wird, nach allen Seiten hin zu erweitern: am Schwarzen Meer wie
gegen Armenien und gegen Kleinasien finden wir seine Heere, seine Flotten und
seine Botschafter taetig. Nirgends aber bot sich ihm ein so freier und so weiter
Spielraum wie an den oestlichen und den noerdlichen Gestaden des Schwarzen
Meeres, auf deren damalige Zustaende hier einen Blick zu werfen nicht
unterlassen werden darf, so schwierig oder vielmehr unmoeglich es ist, ein
wirklich anschauliches Bild davon zu geben. An dem oestlichen Ufer des Schwarzen
Meeres, das bisher fast unbekannt erst durch Mithradates der allgemeineren Kunde
aufgeschlossen ward, wurde die kolchische Landschaft am Phasis (Mingrelien und
Imereti) mit der wichtigen Handelsstadt Dioskurias den einheimischen Fuersten
entrissen und verwandelt in eine pontische Satrapie. Folgenreicher noch waren
seine Unternehmungen in den noerdlichen Landschaften 2. Die weiten huegel- und
waldlosen Steppen, die sich noerdlich vom Schwarzen Meer, vom Kaukasus und von
der Kaspischen See hinziehen, sind ihrer Naturbeschaffenheit zufolge, namentlich
wegen der zwischen dem Klima von Stockholm und von dem von Madeira schwankenden
Temperaturdifferenz und der nicht selten eintretenden und bis zu 22 Monaten und
laenger anhaltenden absoluten Regen- und Schneelosigkeit, fuer den Ackerbau und
ueberhaupt fuer feste Ansiedlung wenig geeignet und waren dies immer, wenngleich
vor zweitausend Jahren die klimatischen Verhaeltnisse vermutlich etwas weniger
unguenstig standen, als dies heutzutage der Fall ist 3. Die verschiedenen
Staemme, die der Wandertrieb in diese Gegenden gefuehrt hatte, fuegten sich
diesem Gebot der Natur und fuehrten und fuehren zum Teil noch jetzt ein
wanderndes Hirtenleben, indem sie mit ihren Rinder- oder haeufiger noch mit
ihren Rossherden Wohn- und Weideplaetze wechselten und ihr Geraet auf
Wagenhaeusern sich nachfuehrten. Auch die Bewaffnung und Kampfweise richtete
sich hiernach: die Bewohner dieser Steppen fochten grossenteils beritten und
immer aufgeloest, mit Helm und Panzer von Leder und lederueberzogenem Schild
geruestet, gewaffnet mit Schwert, Lanze und Bogen - die Vorfahren der heutigen
Kosaken. Den urspruenglich hier ansaessigen Skythen, die mongolischer Rasse und
in Sitte und Koerpergestalt den heutigen Bewohnern Sibiriens verwandt gewesen zu
sein scheinen, hatten sich, von Osten nach Westen vorrueckend, sarmatische
Staemme nachgeschoben, Sauromaten, Roxolaner, Jazygen, die gemeiniglich fuer
slawischer Abkunft gehalten werden, obwohl diejenigen Eigennamen, welche man
ihnen zuzuschreiben befugt ist, mehr mit medischen und persischen sich verwandt
zeigen und vielleicht jene Voelker vielmehr dem grossen Zendstamme angehoert
haben. In entgegengesetzter Richtung fluteten thrakische Schwaerme, namentlich
die Geten, die bis zum Dnjestr gelangten; dazwischen draengten sich,
wahrscheinlich als Auslaeufer der grossen germanischen Wanderung, deren
Hauptmasse das Schwarze Meer nicht beruehrt zu haben scheint, am Dnjepr
sogenannte Kelten, ebendaselbst die Bastarner, an der Donaumuendung die
Peukinen. Ein eigentlicher Staat bildete sich nirgends; es lebte jeder Stamm
unter seinen Fuersten und Aeltesten fuer sich. Zu all diesen Barbaren in
scharfem Gegensatz standen die hellenischen Ansiedlungen, welche zur Zeit des
gewaltigen Aufschwungs des griechischen Handels, namentlich von Miletos aus, an
diesen Gestaden gegruendet worden waren, teils als Emporien, teils als Stationen
fuer den wichtigen Fischfang und selbst fuer den Ackerbau, fuer welchen, wie
schon gesagt ward, das nordwestliche Gestade des Schwarzen Meeres im Altertum
minder unguenstige Verhaeltnisse darbot, als dies heutzutage der Fall ist; fuer
die Benutzung des Bodens zahlten hier die Hellenen, wie die Phoeniker in Libyen,
den einheimischen Herren Schoss und Grundzins. Die wichtigsten dieser
Ansiedlungen waren die Freistadt Chersonesos (unweit Sevastopol), auf dem Gebiet
der Skythen in der Taurischen Halbinsel (Krim) angelegt und unter nicht
vorteilhaften Verhaeltnissen durch ihre gute Verfassung und den Gemeingeist
ihrer Buerger in maessigem Wohlstand sich behauptend; ferner auf der
gegenueberliegenden Seite der Halbinsel an der Strasse von dem Schwarzen in das
Asowsche Meer Pantikapaeon (Kertsch), seit dem Jahre 457 (297) Roms regiert von
erblichen Buergermeistern, spaeter bosporanische Koenige genannt, den
Archaeanaktiden, Spartokiden und Paerisaden. Der Getreidebau und der Fischfang
im Asowschen Meer hatten die Stadt schnell zur Bluete gebracht. Ihr Gebiet
umfasste in der Mithradatischen Zeit noch die kleinere Osthaelfte der Krim mit
Einschluss der Stadt Theodosia und auf dem gegenueberliegenden asiatischen
Kontinent die Stadt Phanagoria und die Sindische Landschaft. In besseren Zeiten
hatten die Herren von Pantikapaeon zu Lande die Voelker an der Ostkueste des
Asowschen Meeres und das Kubantal, zur See mit ihrer Flotte das Schwarze Meer
beherrscht; allein Pantikapaeon war nicht mehr, was es gewesen war. Nirgends
empfand man tiefer als an diesen fernen Grenzposten den traurigen Rueckgang der
hellenischen Nation. Athen in seiner guten Zeit ist der einzige Griechenstaat
gewesen, der hier die Pflichten der fuehrenden Macht erfuellte, die allerdings
auch den Athenern durch ihren Bedarf pontischen Getreides besonders nahegelegt
wurden. Von dem Sturz der attischen Seemacht an blieben diese Landschaften im
ganzen sich selbst ueberlassen. Die griechischen Landmaechte sind nie dazu
gelangt, ernstlich hier einzugreifen, obwohl Philippos, der Vater Alexanders,
und Lysimachos einigemal dazu ansetzten; und auch die Roemer, auf welche mit der
Eroberung Makedoniens und Kleinasiens die politische Verpflichtung ueberging,
hier, wo die griechische Zivilisation dessen bedurfte, ihr starker Schild zu
sein, vernachlaessigten voellig das Gebot des Vorteils wie der Ehre. Der Fall
von Sinope, das Sinken von Rhodos vollendeten die Isolierung der Hellenen am
Nordgestade des Schwarzen Meeres. Ein lebendiges Bild ihrer Lage den
schweifenden Barbaren gegenueber gibt uns eine Inschrift von Olbia (unweit der
Dnjeprmuendung bei Ocakov), die nicht allzulange vor der Mithradatischen Zeit
gesetzt zu sein scheint. Die Buergerschaft muss dem Barbarenkoenig nicht bloss
jaehrlichen Zins an sein Hoflager schicken, sondern ihm auch, wenn er vor der
Stadt lagert oder auch nur vorbeizieht, eine Verehrung machen, in aehnlicher
Weise auch geringere Haeuptlinge, ja zuweilen den ganzen Schwarm der Barbaren
mit Geschenken abfinden, und es geht ihr uebel, wenn die Gabe zu geringfuegig
erscheint. Die Stadtkasse ist bankrott, und man muss die Tempelkleinode zum
Pfand setzen. Inzwischen draengen draussen vor den Toren sich die Staemme der
Wilden: das Gebiet wird verwuestet, die Feldarbeiter in Masse weggeschleppt, ja,
was das aergste ist, die schwaecheren der barbarischen Nachbarn, die Skythen,
suchen, um vor dem Andrang der wilderen Kelten sich selber zu bergen, der
ummauerten Stadt sich zu bemaechtigen, so dass zahlreiche Buerger dieselbe
verlassen und man schon daran denkt, sie ganz aufzugeben.
---------------------------------------------
2 Sie sind hier zusammengefasst, da sie freilich zum Teil erst zwischen den
ersten und den zweiten, zum Teil aber doch schon vor den ersten Krieg mit Rom
fallen (Memn. 30; Iust. 38, 7 a. E.; App. Mithr. 13; Eutr. 5, 5) und eine
Erzaehlung nach der Zeitfolge sich hier nun einmal schlechterdings nicht
durchfuehren laesst. Auch das neu gefundene Dekret von Chersonesos hat in dieser
Hinsicht keinen Aufschluss gegeben. Danach ist Diophantos zweimal gegen die
taurischen Skythen gesandt worden; aber dass die zweite Schilderhebung derselben
mit dem Beschluss des roemischen Senats zu Gunsten der skythischen Fuersten in
Verbindung steht, erhellt aus der Urkunde nicht und ist nicht einmal
wahrscheinlich.
3 Es hat viele Wahrscheinlichkeit, dass die ungemeine Trockenheit, die
vornehmlich jetzt den Ackerbau in der Krim und in diesen Gegenden ueberhaupt
erschwert, sehr gesteigert worden ist durch das Schwinden der Waelder des
mittleren und suedlichen Russland, die ehemals bis zu einem gewissen Grad die
Kuestenlandschaft gegen den austrocknenden Nordostwind schuetzten.
---------------------------------------------
Diese Zustaende fand Mithradates vor, als seine makedonische Phalanx den
Kamm des Kaukasus ueberschreitend hinabstieg in die Taeler des Kuban und Terek
und gleichzeitig seine Flotte in den Gewaessern der Krim sich zeigte. Kein
Wunder, dass auch hier ueberall, wie es schon in Dioskurias geschehen war, die
Hellenen den pontischen Koenig mit offenen Armen empfingen und in dem
Halbhellenen und seinen griechisch geruesteten Kappadokiern ihre Befreier sahen.
Es zeigte sich, was Rom hier versaeumt hatte. Den Herren von Pantikapaeon waren
ebendamals die Tributforderungen zu unerschwinglicher Hoehe gesteigert worden;
die Stadt Chersonesos sah sich von dem Koenig der auf der Halbinsel hausenden
Skythen, Skiluros, und dessen fuenfzig Soehnen hart bedraengt; gern gaben jene
ihre Erbherrschaft, diese die lang bewahrte Freiheit hin, um ihr letztes Gut,
ihr Hellenentum, zu retten. Es war nicht umsonst. Mithradates' tapfere
Feldherren Diophantos und Neoptolemos und seine disziplinierten Truppen wurden
leicht mit den Steppenvoelkern fertig. Neoptolemos schlug sie in der Strasse von
Pantikapaeon teils zu Wasser, teils im Winter auf dem Eise; Chersonesos wurde
befreit, die Burgen der Taurier gebrochen und durch zweckmaessig angelegte
Festungen der Besitz der Halbinsel gesichert. Gegen die Reuxinaler oder, wie sie
spaeter heissen, die Roxolaner (zwischen Dnjepr und Don), die den Tauriern zu
Hilfe herbeikamen, zog Diophantos; ihrer 50000 flohen vor seinen 6000
Phalangiten und bis zum Dnjepr drangen die pontischen Waffen 4. So erwarb
Mithradates hier sich ein zweites, mit dem pontischen verbundenes und gleich
diesem wesentlich auf eine Anzahl griechischer Handelsstaedte gegruendetes
Koenigreich, das Bosporanische genannt, das die heutige Krim mit der
gegenueberliegenden asiatischen Landspitze umfasste und jaehrlich 200 Talente
(314000 Taler) und 180000 Scheffel Getreide in die koeniglichen Kassen und
Magazine lieferte. Die Steppenvoelker selbst vom Nordabhang des Kaukasus bis zur
Donaumuendung traten wenigstens zum grossen Teil in Klientel oder in Vertrag mit
dem pontischen Koenig und boten ihm, wenn nicht andere Hilfe, doch wenigstens
einen unerschoepflichen Werbeplatz fuer seine Armeen.
------------------------------------------------------
4 Das kuerzlich aufgefundene Ehrendekret der Stadt Chersonesos fuer diesen
Diophantos (SIG 252) bestaetigt die Ueberlieferung durchaus. Es zeigt uns die
Stadt in naechster Naehe - den Hafen von Balaklava muessen die Taurer,
Simferopol die Skythen damals in der Gewalt gehabt haben -, bedraengt teils von
den Taurern an der Suedkueste der Krim, teils und vor allem von den Skythen, die
das ganze Innere der Halbinsel und das angrenzende Festland in der Gewalt haben;
es zeigt uns ferner, wie der Feldherr des Koenigs Mithradates nach allen Seiten
hin der Griechenstadt Luft macht die Taurer niederschlaegt und in ihrem Gebiet
eine Zwingburg (wahrscheinlich Eupatorion) errichtet, die Verbindung zwischen
den westlichen und den oestlichen Hellepen der Halbinsel herstellt, im Westen
die Dynastie des Skiluros, im Osten den Skythenfuersten Saumakos ueberwaeltigt,
die Skythen bis auf den Kontinent verfolgt und endlich sie mit den Reuxinalern -
so heissen hier, wo sie zuerst auftreten, die spaeteren Roxolaner - in der
grossen Feldschlacht besiegt, deren auch die schriftliche Ueberlieferung
gedenkt. Eine formelle Unterordnung der Griechenstadt unter den Koenig scheint
nicht stattgefunden zu haben; Mithradates erscheint nur als schuetzender
Bundesgenosse, der gegen die als unbesiegbar geltenden (to?s anypostatoys
doko?ntas eimen) Skythen fuer die Griechenstadt die Schlachten schlaegt, welche
wahrscheinlich zu ihm ungefaehr in dem Verhaeltnis gestanden hat wie Massalia
und Athen zu Rom. Die Skythen dagegen in der Krim werden Untertanen (ypakoioi)
des Mithradates.
-------------------------------------------------------
Waehrend also gegen Norden die bedeutendsten Erfolge gelangen, griff der
Koenig zugleich um sich gegen Osten und gegen Westen. Wichtiger als die
Einziehung Kleinarmeniens, das durch ihn aus einer abhaengigen Herrschaft zum
integrierenden Teil des Pontischen Reiches ward, war die enge Verbindung, in die
er mit dem Koenig von Grossarmenien trat. Er gab dem Tigranes nicht bloss seine
Tochter Kleopatra zur Gemahlin, sondern er war es auch wesentlich, durch dessen
Unterstuetzung Tigranes sich der Herrschaft der Arsakiden entwand und ihre
Stelle in Asien einnahm. Es scheint zwischen beiden eine Verabredung in der Art
getroffen zu sein, dass Tigranes Syrien und das innere Asien, Mithradates
Kleinasien und die Kuesten des Schwarzen Meeres zu besetzen uebernahmen unter
Zusage gegenseitiger Unterstuetzung, und ohne Zweifel war es der taetigere und
faehigere Mithradates, der dies Abkommen hervorrief, um sich den Ruecken zu
decken und einen maechtigen Bundesgenossen zu sichern.
In Kleinasien endlich richtete der Koenig die Blicke auf das
binnenlaendische Paphlagonien - die Kueste gehoerte seit langem zum Poptischen
Reich - und auf Kappadokien 5. Auf jenes machte man pontischerseits Ansprueche
als durch Testament des letzten der Pylaemeniden vermacht an den Koenig
Mithradates Euergetes; wogegen freilich legitime oder illegitime Praetendenten
und das Land selbst protestierten. Was Kappadokien anlangt, so hatten die
pontischen Herrscher nicht vergessen, dass dies Land und Kappadokien am Meer
einst zusammengehoert hatten, und trugen sich fortwaehrend mit Reunionsideen.
Paphlagonien ward von Mithradates besetzt in Gemeinschaft mit Koenig Nikomedes
von Bithynien, mit dem er das Land teilte. Als der Senat dagegen Einspruch
erhob, fuegte sich Mithradates demselben, waehrend Nikomedes einen seiner Soehne
mit dem Namen Pylaemenes ausstattete und unter diesem Titel die Landschaft an
sich behielt. Noch schlimmere Wege ging die Politik der Verbuendeten in
Kappadokien. Koenig Ariarathes VI. ward ermordet durch Gordios, es hiess im
Auftrage, jedenfalls im Interesse des Schwagers, des Ariarathes Mithradates
Eupator; sein junger Sohn Ariarathes wusste den Uebergriffen des Koenigs von
Bithynien nur zu begegnen vermittels der zweideutigen Hilfe seines Oheims, fuer
welche dieser dann ihm ansann, dem fluechtig gewordenen Moerder seines Vaters
die Rueckkehr nach Kappadokien zu gestatten. Es kam hierueber zum Bruch und zum
Krieg; jedoch als beide Heere zur Schlacht sich gegenueberstanden, begehrte der
Oheim zuvor eine Zusammenkunft mit dem Neffen und stiess dabei den unbewaffneten
Juengling mit eigener Hand nieder. Gordios, der Moerder des Vaters, uebernahm
hierauf im Auftrage Mithradats die Regierung; und obwohl die unwillige
Bevoelkerung sich gegen ihn erhob und den juengeren Sohn des letzten Koenigs zur
Herrschaft berief, vermochte dieser doch Mithradats ueberlegenen Streitkraeften
keinen dauernden Widerstand zu leisten. Der baldige Tod des von dem Volke auf
den Thron gesetzten Juenglings gab dem pontischen Koenig um so mehr freie Hand,
als mit diesem das kappadokische Regentenhaus erlosch. Als nomineller Regent
ward, ebenwie in Bithynien geschehen war, ein falscher Ariarathes proklamiert,
unter dessen Namen Gordios als Statthalter Mithradats das Reich verwaltete.
Gewaltiger als seit langem ein einheimischer Monarch herrschte Koenig
Mithradates am noerdlichen wie am suedlichen Gestade des Schwarzen Meeres und
weit in das innere Kleinasien hinein. Die Hilfsquellen des Koenigs fuer den
Krieg zu Lande und zu Wasser schienen unermesslich. Sein Werbeplatz reichte von
der Donaumuendung bis zum Kaukasus und dem Kaspischen Meer; Thraker, Skythen,
Sauromaten, Bastarner, Kolchier, Iberer (im heutigen Georgien) draengten sich
unter seine Fahne; vor allem rekrutierte er seine Kriegsscharen aus den tapferen
Bastarnern. Fuer die Flotte lieferte ihm die kolchische Satrapie ausser Flachs,
Hanf, Pech und Wachs das trefflichste, vom Kaukasus herabgefloesste Bauholz;
Steuermaenner und Offiziere wurden in Phoenikien und Syrien gedungen. In
Kappadokien, hiess es, sei der Koenig eingerueckt mit 600 Sichelwagen, 1000
Pferden und 8000 Mann zu Fuss; und er hatte fuer diesen Krieg bei weitem noch
nicht aufgeboten, was er aufzubieten vermochte. Bei dem Mangel einer roemischen
oder sonst namhaften Seemacht beherrschte die pontische Flotte, gestuetzt auf
Sinope und die Haefen der Krim, das Schwarze Meer ausschliesslich.
------------------------------------------------
5 Die Chronologie der folgenden Ereignisse ist nur ungefaehr zu bestimmen.
Um 640 (114) etwa scheint Mithradates Eupator tatsaechlich die Regierung
angetreten zu haben; Sullas Intervention fand 662 (92) statt (Liv. ep. 70),
womit die Berechnung der Mithradatischen Kriege auf einen Zeitraum von dreissig
Jahren (662-691 92-63) zusammenstimmt (Plin. nat. 7, 26, 97). In die
Zwischenzeit fallen die paphlagonischen und kappadokischen Sukzessionshaendel,
mit denen die von Mithradates, wie es scheint, in Saturninus' erstem Tribunat
651 (103) in Rom versuchte Bestechung (Diod. 631) wahrscheinlich schon
zusammenhaengt. Marius, der 655 (99) Rom verliess und nicht lange im Osten
verweilte, traf Mithradates schon in Kappadokien und verhandelte mit ihm wegen
seiner Uebergriffe (Cic. Brut. 1, 5; Plut. Mar. 31); Ariarathes VI. war also
damals schon ermordet.
----------------------------------------------
Dass der roemische Senat seine allgemeine Politik, die mehr oder minder von
ihm abhaengigen Staaten niederzuhalten, auch gegen den pontischen geltend
machte, beweist sein Verhalten bei dem Thronwechsel nach dem ploetzlichen Tode
Mithradates V. Dem unmuendigen Knaben, der ihm folgte, wurde das dem Vater fuer
seine Teilnahme an dem Kriege gegen Aristonikos oder vielmehr fuer sein gutes
Geld verliehene Grossphrygien genommen und diese Landschaft dem unmittelbar
roemischen Gebiet hinzugefuegt 6. Aber nachdem dieser Knabe dann zu seinen
Jahren gelangt war, bewies derselbe Senat gegen dessen allseitige Uebergriffe
und gegen diese imposante Machtbildung, deren Entwicklung vielleicht einen
zwanzigjaehrigen Zeitraum ausfuellt, voellige Passivitaet. Er liess es
geschehen, dass einer seiner Klientelstaaten sich militaerisch zu einer
Grossmacht entwickelte, die ueber hunderttausend Bewaffnete gebot; dass er in
die engste Verbindung trat mit dem neuen, zum Teil durch seine Hilfe an die
Spitze der innerasiatischen Staaten gestellten Grosskoenig des Ostens; dass er
die benachbarten asiatischen Koenigreiche und Fuerstentuemer unter Vorwaenden
einzog, die fast wie ein Hohn auf die schlecht berichtete und weit entfernte
Schutzmacht klangen; dass er endlich sogar in Europa sich festsetzte und als
Koenig auf der Taurischen Halbinsel, als Schutzherr fast bis an die makedonisch-
thrakische Grenze gebot. Wohl ward ueber diese Verhaeltnisse im Senat
verhandelt; aber wenn das hohe Kollegium sich in der paphlagonischen
Erbangelegenheit schliesslich dabei beruhigte, dass Nikomedes sich auf seinen
falschen Pylaemenes berief, so war dasselbe offenbar nicht so sehr getaeuscht
als dankbar fuer jeden Vorwand, der ihm das ernstliche Einschreiten ersparte.
Inzwischen wurden die Beschwerden immer zahlreicher und dringender. Die Fuersten
der taurischen Skythen, die Mithradates aus der Krim verdraengt hatte, wandten
sich um Hilfe nach Rom; wer von den Senatoren irgend noch der traditionellen
Maximen der roemischen Politik gedachte, musste sich erinnern, dass einst unter
so ganz anderen Verhaeltnissen der Uebergang des Koenigs Antiochos nach Europa
und die Besetzung des thrakischen Chersones durch seine Truppen das Signal zu
dem Asiatischen Krieg geworden war, und musste begreifen, dass die Besetzung des
taurischen durch den pontischen Koenig jetzt noch viel weniger geduldet werden
konnte. Den Ausschlag gab endlich die faktische Reunion des Koenigreichs
Kappadokien, wegen welcher ueberdies Nikomedes von Bithymen, der auch
seinerseits durch einen andern falschen Ariarathes Kappadokien in Besitz zu
nehmen gehofft hatte und durch den pontischen Praetendenten den seinigen
ausgeschlossen sah, nicht ermangelt haben wird, die roemische Regierung zur
Intervention zu draengen. Der Senat beschloss, dass Mithradates die skythischen
Fuersten wiedereinzusetzen habe - so weit war man durch die schlaffe
Regierungsweise aus den Bahnen der richtigen Politik gedraengt, dass man jetzt,
statt die Hellenen gegen die Barbaren, umgekehrt die Skythen gegen die halben
Landsleute unterstuetzen musste. Paphlagonien wurde abhaengig erklaert und der
falsche Pylaemenes des Nikomedes angewiesen, das Land zu raeumen. Ebenso sollte
der falsche Ariarathes des Mithradates aus Kappadokien weichen und, da die
Vertreter des Landes die angebotene Freiheit ausschlugen, durch freie Volkswahl
ihm wiederum ein Koenig gesetzt werden. Die Beschluesse klangen energisch genug;
nur war es uebel, dass man, statt ein Heer zu senden, den Statthalter von
Kilikien, Lucius Sulla, mit der Handvoll Leute, die er daselbst gegen die
Raeuber und Piraten kommandierte, anwies, in Kappadokien zu intervenieren. Zum
Glueck vertrat im Osten die Erinnerung an die ehemalige Energie der Roemer
besser ihr Interesse als ihr gegenwaertiges Regiment und ergaenzte die Energie
und Gewandtheit des Statthalters, was der Senat an beiden vermissen liess.
Mithradates hielt sich zurueck und begnuegte sich, den Grosskoenig Tigranes von
Armenien, der den Roemern gegenueber eine freiere Stellung hatte als er, zu
veranlassen, Truppen nach Kappadokien zu senden. Sulla nahm rasch seine
Mannschaft und die Zuzuege der asiatischen Bundesgenossen zusammen, ueberstieg
den Taurus und schlug den Statthalter Gordios samt seinen armenischen
Hilfstruppen aus Kappadokien hinaus. Dies wirkte. Mithradates gab in allen
Stuecken nach; Gordios musste die Schuld der kappadokischen Wirren auf sich
nehmen und der falsche Ariarathes verschwand; die Koenigswahl, die der pontische
Anhang vergebens auf Gordios zu lenken versucht hatte, fiel auf den angesehenen
Kappadokier Ariobarzanes. Als Sulla im Verfolg seiner Expedition in die Gegend
des Euphrat gelangte, in dessen Wellen damals zuerst roemische Feldzeichen sich
spiegelten, fand bei dieser Gelegenheit auch die erste Beruehrung statt zwischen
den Roemern und den Parthern, welche letztere infolge der Spannung zwischen
ihnen und Tigranes Ursache hatten, den Roemern sich zu naehern. Beiderseits
schien man zu fuehlen, dass etwas darauf ankam bei dieser ersten Beruehrung der
beiden Grossmaechte des Westens und des Ostens, dem Anspruch auf die Herrschaft
der Welt nichts zu vergeben; aber Sulla, kecker als der parthische Bote, nahm
und behauptete in der Zusammenkunft den Ehrenplatz zwischen dem Koenig von
Kappadokien und dem parthischen Abgesandten. Mehr als durch seine Siege im Osten
mehrte Sullas Ruhm sich durch diese vielgefeierte Konferenz am Euphrat; der
parthische Gesandte buesste spaeter seinem Herrn dafuer mit dem Kopfe. Indes
fuer den Augenblick hatte diese Beruehrung keine weitere Folge. Nikomedes
unterliess es im Vertrauen auf die Gunst der Roemer, Paphlagonien zu raeumen;
aber die gegen Mithradates gefassten Senatsbeschluesse wurden ferner vollzogen,
die Wiederherstellung der skythischen Haeuptlinge von ihm wenigstens zugesagt;
der fruehere Status quo im Osten schien wiederhergestellt (662 92).
-----------------------------------------------
6 Ein vor kurzem in dem Dorfe Aresli suedlich von Synnada gefundener
Senatsbeschluss vom Jahre 638 (116) (Viereck, sermo Graecus quo senatus Romanus
usus sit, S. 51) bestaetigt saemtliche, von dem Koenig bis zu seinem Tode
getroffenen Anordnungen und zeigt also, dass Grossphrygien nach dem Tode des
Vaters nicht bloss dem Sohn genommen ward, was auch Appian berichtet, sondern
damit geradezu unter roemische Botmaessigkeit kam.
-------------------------------------------------
So hiess es; in der Tat war von einer ernstlichen Zurueckfuehrung der
frueheren Ordnung der Dinge wenig zu verspueren. Kaum hatte Sulla Asien
verlassen, als Koenig Tigranes von Grossarmenien ueber den neuen Koenig von
Kappadokien, Ariobarzanes, herfiel, ihn vertrieb und an seiner Stelle den
pontischen Praetendenten Ariarathes wiedereinsetzte. In Bithynien, wo nach dem
Tode des alten Koenigs Nikomedes Il. (um 663 91) dessen Sohn Nikomedes III.
Philopator vom Volk und vom roemischen Senat als rechtmaessiger Koenig anerkannt
worden war. trat dessen juengerer Bruder Sokrates als Kronpraetendent auf und
bemaechtigte sich der Herrschaft. Es war klar, dass der eigentliche Urheber der
kappadokischen wie der bithynischen Wirren kein anderer als Mithradates war,
obwohl er sich jeder offenkundigen Beteiligung enthielt. Jedermann wusste, dass
Tigranes nur handelte auf seinen Wink: in Bithynien aber war Sokrates mit
pontischen Truppen eingerueckt und des rechtmaessigen Koenigs Leben durch
Mithradates' Meuchelmoerder bedroht. In der Krim gar und den benachbarten
Landschaften dachte der pontische Koenig nicht daran zurueckzuweichen und trug
vielmehr seine Waffen weiter und weiter.
Die roemische Regierung, von den Koenigen Ariobarzanes und Nikomedes
persoenlich um Hilfe angerufen, schickte nach Kleinasien zur Unterstuetzung des
dortigen Statthalters Lucius Cassius den Konsular Manius Aquillius, einen im
Kimbrischen und im Sizilischen Krieg erprobten Offizier, jedoch nicht als
Feldherrn an der Spitze einer Armee, sondern als Gesandten, und wies die
asiatischen Klientelstaaten und namentlich den Mithradates an, noetigenfalls mit
gewaffneter Hand Beistand zu leisten. Es kam eben wie zwei Jahre zuvor. Der
roemische Offizier vollzog dem ihm gewordenen Auftrag mit Hilfe des kleinen
roemischen Korps, ueber das der Statthalter der Provinz Asia verfuegte, und des
Aufgebots der Phryger und der Galater; Koenig Nikomedes und Koenig Ariobarzanes
bestiegen wieder ihre schwankenden Throne; Mithradates entzog sich zwar der
Aufforderung, Zuzug zu gewaehren, unter verschiedenen Vorwaenden, allein er
leistete nicht bloss den Roemern keinen offenen Widerstand, sondern der
bithynische Praetendent Sokrates wurde sogar auf sein Geheiss getoetet (664 90).
Es war eine sonderbare Verwicklung. Mithradates war vollkommen ueberzeugt,
gegen die Roemer in offenem Kampfe nichts ausrichten zu koennen und es nicht zum
offenen Bruch und zum Kriege mit ihnen kommen lassen zu duerfen. Waere er nicht
also entschlossen gewesen, so fand sich kein guenstigerer Augenblick, den Kampf
zu beginnen, als der gegenwaertige: eben damals, als Aquillius in Bithymen und
Kappadokien einrueckte, stand die italische Insurrektion auf dem Hoehepunkt
ihrer Macht und konnte selbst den Schwachen Mut machen, gegen Rom sich zu
erklaeren; dennoch liess Mithradates das Jahr 664 (90) ungenutzt verstreichen.
Aber nichtsdestoweniger verfolgte er so zaeh wie ruehrig seinen Plan, in
Kleinasien sich auszubreiten. Diese seltsame Verbindung der Politik des Friedens
um jeden Preis mit der der Eroberung war allerdings in sich unhaltbar und
beweist nur aufs neue, dass Mithradates nicht zu den Staatsmaennern rechter Art
gehoerte und weder zum Kampf zu ruesten wusste wie Koenig Philippos noch sich zu
fuegen wie Koenig Attalos, sondern in echter Sultansart ewig hin- und hergezogen
ward zwischen begehrlicher Eroberungslust mit dem Gefuehl seiner eigenen
Schwaeche. Aber auch so laesst sich sein Beginnen nur begreifen, wenn man sich
erinnert, dass Mithradates in zwanzigjaehriger Erfahrung die damalige roemische
Politik kennengelernt hatte. Er wusste sehr genau, dass die roemische Regierung
nichts weniger als kriegslustig war, ja dass sie, im Hinblick auf die ernstliche
Gefahr, die jeder beruehmte General ihrer Herrschaft bereitete, in frischer
Erinnerung an den Kimbrischen Krieg und Marius, den Krieg womoeglich noch mehr
fuerchtete als er selbst. Daraufhin handelte er. Er scheute sich nicht, in einer
Weise aufzutreten, die jeder energischen und nicht durch egoistische
Ruecksichten gefesselten Regierung hundertfach Ursache und Anlass zur
Kriegserklaerung gegeben haben wuerde; aber er vermied sorgfaeltig den offenen
Bruch, der den Senat in die Notwendigkeit dazu versetzt haette. Sowie Ernst
gezeigt ward, wich er zurueck, vor Sulla wie vor Aquillius; er hoffte
unzweifelhaft darauf, dass nicht immer energische Feldherren ihm
gegenueberstehen, dass auch er so gut wie Jugurtha auf seine Scaurus und Albinus
treffen wuerde. Es muss zugestanden werden, dass diese Hoffnung nicht
unverstaendig war, obwohl freilich eben Jugurthas Beispiel auch wieder gezeigt
hatte, wie verkehrt es war, die Bestechung eines roemischen Heerfuehrers und die
Korruption einer roemischen Armee mit der Ueberwindung des roemischen Volkes zu
verwechseln. So standen die Dinge zwischen Frieden und Krieg und liessen ganz
dazu an, noch lange sich in gleicher Art weiterzuschleppen. Aber dies zuzulassen
war Aquillius' Absicht nicht, und da er seine Regierung nicht zwingen konnte,
Mithradates den Krieg zu erklaeren, so bediente er sich dazu des Koenigs
Nikomedes. Dieser, ohnehin in die Hand des roemischen Feldherrn gegeben und
ueberdies noch fuer die abgelaufenen Kriegskosten und die dem Feldherrn
persoenlich zugesicherten Summen sein Schuldner, konnte sich dem Ansinnen
desselben, mit Mithradates den Krieg zu beginnen, nicht entziehen. Die
bithynische Kriegserklaerung erfolgte; aber selbst als Nikomedes' Schiffe den
pontischen den Bosporus sperrten, seine Truppen in die pontischen Grenzdistrikte
einrueckten und die Gegend von Amastris brandschatzten, blieb Mithradates noch
unerschuettert bei seiner Friedenspolitik; statt die Bithyner ueber die Grenze
zu werfen, fuehrte er Klage bei der roemischen Gesandtschaft und bat dieselbe,
entweder vermitteln oder ihm die Selbstverteidigung gestatten zu wollen. Allein
er ward von Aquillius dahin beschieden, dass er unter allen Umstaenden sich des
Krieges gegen Nikomedes zu enthalten habe. Das freilich war deutlich. Genau
dieselbe Politik hatte man gegen Karthago angewendet; man liess das
Schlachtopfer von der roemischen Meute ueberfallen und verbot ihm, gegen
dieselbe sich zu wehren. Auch Mithradates erachtete sich verloren, ebenwie die
Karthager es getan hatten; aber wenn die Phoeniker sich aus Verzweiflung
ergaben, so tat dagegen der Koenig von Sinope das Gegenteil und rief seine
Truppen und Schiffe zusammen - "Wehrt nicht", so soll er gesagt haben, "auch wer
unterliegen muss, dennoch sich gegen den Raeuber?" Sein Sohn Ariobarzanes
erhielt Befehl, in Kappadokien einzuruecken; es ging noch einmal eine Botschaft
an die roemischen Gesandten, um ihnen anzuzeigen, wozu die Notwehr den Koenig
gezwungen habe, und eine letzte Erklaerung von ihnen zu fordern. Sie lautete,
wie zu erwarten war. Obwohl weder der roemische Senat noch Koenig Mithradates
noch Koenig Nikomedes den Bruch gewollt hatten, Aquillius wollte ihn und man
hatte Krieg (Ende 665 80).
Mit aller ihm eigenen Energie betrieb Mithradates die politischen und
militaerischen Vorbereitungen zu dem ihm aufgedrungenen Waffengang. Vor allen
Dingen knuepfte er das Buendnis mit Koenig Tigranes von Armenien fester und
erlangte von ihm das Versprechen eines Hilfsheeres, das in Vorderasien
einruecken und Grund und Boden daselbst fuer Koenig Mithradates, die bewegliche
Habe fuer Koenig Tigranes in Besitz nehmen sollte. Der parthische Koenig,
verletzt durch das stolze Verhalten Sullas, trat wenn nicht gerade als Gegner,
doch auch nicht als Bundesgenosse der Roemer auf. Den Griechen war der Koenig
bemueht, sich in der Rolle des Philippos und des Perseus, als Vertreter der
griechischen Nation gegen die roemische Fremdherrschaft darzustellen. Pontische
Gesandte gingen an den Koenig von Aegypten und an den letzten Ueberrest des
freien Griechenlands, den kretensischen Staedtebund, und beschworen sie, fuer
die Rom auch schon die Ketten geschmiedet, jetzt im letzten Augenblick
einzustehen fuer die Rettung der hellenischen Nationalitaet; es war dies
wenigstens auf Kreta nicht ganz vergeblich, und zahlreiche Kretenser nahmen
Dienste im pontischen Heer. Man hoffte auf die sukzessive Insurrektion der
kleineren und kleinsten Schutzstaaten, Numidiens, Syriens, der hellenischen
Republiken, auf die Empoerung der Provinzen, vor allem des masslos gedrueckten
Vorderasiens. Man arbeitete an der Erregung eines thrakischen Aufstandes, ja an
der Insurgierung Makedoniens. Die schon vorher bluehende Piraterie wurde jetzt
als willkommene Bundesgenossin ueberall entfesselt, und mit furchtbarer
Raschheit erfuellten bald Korsarengeschwader, pontische Kaper sich nennend,
weithin das Mittelmeer. Man vernahm mit Spannung und Freude die Kunde von den
Gaerungen innerhalb der roemischen Buergerschaft und von der zwar ueberwundenen,
aber doch noch lange nicht unterdrueckten italischen Insurrektion. Unmittelbare
Beziehungen indes mit den Unzufriedenen und Insurgenten in Italien bestanden
nicht; nur wurde in Asien ein roemisch bewaffnetes und organisiertes
Fremdenkorps gebildet, dessen Kern roemische und italische Fluechtlinge waren.
Streitkraefte gleich denen Mithradats waren seit den Perserkriegen in Asien
nicht gesehen worden. Die Angaben, dass er, das armenische Hilfsheer
ungerechnet, mit 250000 Mann zu Fuss und 40 000 Reitern das Feld nahm, dass 300
pontische Deck- und 100 offene Schiffe in See stachen, scheinen nicht allzu
uebertrieben bei einem Kriegsherrn, der ueber die zahllosen Steppenbewohner
verfuegte. Die Feldherrn, namentlich die Brueder Neoptolemos und Archelaos,
waren erfahrene und umsichtige griechische Hauptleute; auch unter den Soldaten
des Koenigs fehlte es nicht an tapferen todverachtenden Maennern, und die gold-
und silberblinkenden Ruestungen und reichen Gewaender der Skythen und Meder
mischten sich lustig mit dem Erz und Stahl der griechischen Reisigen. Ein
einheitlicher militaerischer Organismus freilich hielt diese buntscheckigen
Haufen nicht zusammen - auch die Armee des Mithradates war nichts als eine jener
ungeheuerlichen asiatischen Kriegsmaschinen, wie sie oft schon, zuletzt, genau
ein Jahrhundert zuvor, bei Magnesia einer hoeheren militaerischen Organisation
unterlegen waren; immer aber stand doch der Osten gegen die Roemer in Waffen,
waehrend auch in der westlichen Haelfte des Reichs es nichts weniger als
friedlich aussah. So sehr es an sich fuer Rom eine politische Notwendigkeit war,
Mithradates den Krieg zu erklaeren, so war doch gerade dieser Augenblick so
uebel gewaehlt wie moeglich, und auch aus diesem Grunde ist es sehr
wahrscheinlich, dass Manius Aquillius zunaechst aus Ruecksichten auf seine
eigenen Interessen den Bruch zwischen Rom und Mithradates eben jetzt
herbeigefuehrt hat. Fuer den Augenblick hatte man in Asien keine anderen Truppen
zur Verfuegung als die kleine roemische Abteilung unter Lucius Cassius und die
vorderasiatischen Milizen, und bei der militaerischen und finanziellen Klemme,
in der man daheim sich infolge des Insurrektionskrieges befand, konnte eine
roemische Armee im guenstigsten Fall nicht vor dem Sommer 666 (88) in Asien
landen. Bis dahin hatten die roemischen Beamten daselbst einen schweren Stand;
indes hoffte man, die roemische Provinz decken und sich behaupten zu koennen, wo
man stand: das bithynische Heer unter Koenig Nikomedes in seiner im vorigen Jahr
eingenommenen Stellung auf paphlagonischem Gebiet zwischen Amastris und Sinope,
weiter rueckwaerts in der bithynischen, galatischen, kappadokischen Landschaft
die Abteilungen unter Lucius Cassius, Manius Aquillius, Quintus Oppius, waehrend
die bithynisch-roemische Flotte fortfuhr, den Bosporus zu sperren.
Mit dem Beginn des Fruehjahrs 666 (88) ergriff Mithradates die Offensive.
An einem Nebenfluss des Halys, dem Amnias (bei dem heutigen Tesch koepri),
stiess der pontische Vortrab, Reiterei und Leichtbewaffnete, auf die bithynische
Armee und sprengte dieselbe trotz ihrer sehr ueberlegenen Zahl im ersten Anlauf
so vollstaendig auseinander, dass das geschlagene Heer sich aufloeste und Lager
und Kriegskasse den Siegern in die Haende fielen. Es waren hauptsaechlich
Neoptolemos und Archelaos, denen der Koenig diesen glaenzenden Erfolg verdankte.
Die weiter zurueckstehenden, noch viel schlechteren asiatischen Milizen gaben
hierauf sich ueberwunden, noch ehe sie mit dem Feinde zusammenstiessen; wo
Mithradates' Feldherren sich ihnen naeherten, stoben sie auseinander. Eine
roemische Abteilung ward in Kappadokien geschlagen; Cassius suchte in Phrygien
mit dem Landsturm das Feld zu halten, allein er entliess ihn wieder, ohne mit
ihm eine Schlacht wagen zu moegen, und warf sich mit seinen wenigen
zuverlaessigen Leuten in die Ortschaften am oberen Maeander, namentlich nach
Apameia; Oppius raeumte in gleicher Weise Pamphylien und schloss in dem
phrygischen Laodikeia sich ein; Aquillius ward im Zurueckweichen am Sangarios im
bithynischen Gebiet eingeholt und so vollstaendig geschlagen, dass er sein Lager
verlor und sich in die roemische Provinz nach Pergamon retten musste; bald war
auch diese ueberschwemmt und Pergamon selbst in den Haenden des Koenigs, ebenso
der Bosporus und die daselbst befindlichen Schiffe. Nach jedem Sieg hatte
Mithradates saemtliche Gefangene der kleinasiatischen Miliz entlassen und nichts
versaeumt, die von Anfang an ihm zugewandten nationalen Sympathien zu steigern.
Jetzt war die ganze Landschaft bis zum Maeander mit Ausnahme weniger Festungen
in seiner Gewalt; zugleich erfuhr man, dass in Rom eine neue Revolution
ausgebrochen, dass der gegen Mithradates bestimmte Konsul Sulla, statt nach
Asien sich einzuschiffen, gegen Rom marschiert sei, dass die gefeiertsten
roemischen Generale sich untereinander Schlachten lieferten um auszumachen, wem
der Oberbefehl im Asiatischen Kriege gebuehre. Rom schien eifrigst bemueht, sich
selber zugrunde zu richten; es ist kein Wunder, dass, wenngleich Minoritaeten
auch jetzt noch ueberall zu Rom hielten, doch die grosse Masse der Kleinasiaten
den Pontikern zufiel. Die Hellenen und die Asiaten vereinigten sich in dem
Jubel, der den Befreier empfing; es ward ueblich, den Koenig, in dem wie in dem
goettlichen Indersieger Asien und Hellas sich abermals zusammenfanden, zu
verehren unter dem Namen des neuen Dionysos. Die Staedte und Inseln sandten, wo
er hinkam, ihm Boten entgegen, "den rettenden Gott" zu sich einzuladen, und
festlich gekleidet stroemte die Buergerschaft vor die Tore, ihn zu empfangen.
Einzelne Orte lieferten die bei ihnen verweilenden roemischen Offiziere gebunden
an den Koenig ein, so Laodikeia den Kommandanten der Stadt Quintus Oppius,
Mytilene auf Lesbos den Konsular Manius Aquillius 7. Die ganze Wut des Barbaren,
der den, vor dem er gezittert hat, in seine Macht bekommt, entlud sich ueber den
ungluecklichen Urheber des Krieges. Bald zu Fuss an einen gewaltigen berittenen
Bastarner angefesselt, bald auf einen Esel gebunden und seinen eigenen Namen
abrufend ward der bejahrte Mann durch ganz Kleinasien gefuehrt und, als endlich
das arme Schaustueck wieder am koeniglichen Hof in Pergamon anlangte, auf Befehl
des Koenigs, um seine Habgier, die eigentlich den Krieg veranlasst habe, zu
saettigen, ihm geschmolzenes Gold in den Hals gegossen, dass er unter Qualen den
Geist aufgab. Aber es blieb nicht bei diesem rohen Hohn, der allein hinreicht,
seinen Urheber auszustreichen aus der Reihe der adligen Maenner. Von Ephesos aus
erliess Koenig Mithradates an alle von ihm abhaengigen Statthalter und Staedte
den Befehl, an einem und demselben Tage saemtliche in ihrem Bezirk sich
aufhaltende Italiker, Freie und Unfreie, ohne Unterschied des Geschlechts und
des Alters zu toeten und bei schwerer Strafe keinem der Verfemten zur Rettung
behilflich zu sein, die Leichen der Erschlagenen den Voegeln zum Frass
hinzuwerfen, die Habe einzuziehen und sie zur Haelfte an die Moerder, zur
Haelfte an den Koenig abzuliefern. Die entsetzlichen Befehle wurden mit Ausnahme
weniger Bezirke, wie zum Beispiel der Insel Kos, puenktlich vollzogen und
achtzig-, nach anderen Berichten hundertundfuenfzigtausend wenn nicht
unschuldige, so doch wehrlose Maenner, Frauen und Kinder mit kaltem Blut an
einem Tage in Kleinasien geschlachtet - eine grauenvolle Exekution, bei welcher
die gute Gelegenheit, der Schulden sich zu entledigen und die dem Sultan zu
jedem Henkerdienst bereite asiatische Schergenwillfaehrigkeit wenigstens
ebensosehr mitgewirkt haben wie das vergleichungsweise edle Gefuehl der Rache.
Politisch war diese Massregel nicht bloss ohne jeden vernuenftigen Zweck - denn
der finanzielle liess auch ohne diesen Blutbefehl sich erreichen, und die
Kleinasiaten waren selbst durch das Bewusstsein der aergsten Blutschuld nicht
zum kriegerischen Eifer zu treiben -, sondern sogar zweckwidrig, indem sie
einerseits den roemischen Senat, soweit er irgend noch der Energie faehig war,
zur ernstlichen Kriegfuehrung zwang, andererseits nicht bloss die Roemer traf,
sondern ebensogut des Koenigs natuerliche Bundesgenossen, die nichtroemischen
Italiker. Es ist dieser ephesische Mordbefehl durchaus nichts als ein zweckloser
Akt der tierisch blinden Rache, welcher nur durch die kolossalen Proportionen,
in denen hier der Sultanismus auftritt, einen falschen Schein von Grossartigkeit
erhaelt.
---------------------------------------------------
7 Die Urheber der Gefangennehmung und Auslieferung des Aquillius traf
fuenfundzwanzig Jahre spaeter die Vergeltung, indem sie nach Mithradates' Tode
dessen Sohn Pharnakes an die Roemer uebergab.
---------------------------------------------------
Ueberhaupt ging des Koenigs Sinn hoch; aus Verzweiflung hatte er den Krieg
begonnen, aber der unerwartet leichte Sieg, das Ausbleiben des gefuerchteten
Sulla liessen ihn uebergehen zu den hochfahrendsten Hoffnungen. Er richtete sich
haeuslich in Vorderasien ein; der Sitz des roemischen Statthalters, Pergamon,
ward seine neue Hauptstadt; das alte Reich von Sinope wurde als
Statthalterschaft an des Koenigs Sohn Mithradates zur Verwaltung uebergeben;
Kappadokien, Phrygien, Bithymen wurden organisiert als pontische Satrapien. Die
Grossen des Reichs und des Koenigs Guenstlinge wurden mit reichen Gaben und
Lehen bedacht und saemtlichen Gemeinden nicht bloss die rueckstaendigen Steuern
erlassen, sondern auch Steuerfreiheit auf fuenf Jahre zugesichert - eine
Massregel, die ebenso verkehrt war wie die Ermordung der Roemer, wenn der Koenig
dadurch sich die Treue der Kleinasiaten zu sichern meinte.
Freilich fuellte des Koenigs Schatz ohnehin sich reichlich durch die
unermesslichen Summen, die aus dem Vermoegen der Italiker und anderen
Konfiskationen einkamen; wie denn z. B. allein auf Kos 800 Talente (1250000
Taler), welche die Juden dort deponiert hatten, von Mithradates weggenommen
wurden. Der noerdliche Teil von Kleinasien und die meisten dazu gehoerigen
Inseln waren in des Koenigs Gewalt; ausser einigen kleinen paphlagonischen
Dynasten gab es hier kaum einen Bezirk, der noch zu Rom hielt; das gesamte
Aegaeische Meer ward beherrscht von seinen Flotten. Nur der Suedwesten, die
Staedtebuende von Karien und Lykien und die Stadt Rhodos widerstanden ihm. In
Karien ward zwar Stratonikeia mit den Waffen bezwungen; Magnesia am Sipylos aber
bestand gluecklich eine schwere Belagerung, bei welcher Mithradates'
tuechtigster Offizier Archelaos geschlagen und verwundet ward. Rhodos, der
Zufluchtsort der aus Asien entkommenen Roemer, unter ihnen des Statthalters
Lucius Cassius, wurde von Mithradates zu Wasser und zu Lande mit ungeheurer
Uebermacht angegriffen. Aber seine Seeleute, so mutig sie unter den Augen des
Koenigs ihre Pflicht taten, waren ungeschickte Neulinge, und es kam vor, dass
rhodische Geschwader vielfach staerkere pontische ueberwanden und mit erbeuteten
Schiffen heimkehrten. Auch zu Lande rueckte die Belagerung nicht vor; nachdem
ein Teil der Arbeiten zerstoert worden war, gab Mithradates das Unternehmen auf
und die wichtige Insel sowie das gegenueberliegende Festland blieben in den
Haenden der Roemer.
Aber nicht bloss die asiatische Provinz wurde, hauptsaechlich infolge der
zur ungelegensten Zeit ausbrechenden Sulpicischen Revolution, fast unverteidigt
von Mithradates besetzt, sondern derselbe richtete schon den Angriff auch gegen
Europa. Bereits seit dem Jahre 662 (92) hatten die Grenznachbarn Makedoniens
gegen Norden und Osten ihre Einfaelle mit auffallender Heftigkeit und
Streitigkeit erneuert; in den Jahren 664, 665 (90, 89) ueberrannten die Thraker.
Makedonien und ganz Epeiros und pluenderten den Tempel von Dodona. Noch
auffallender ist es, dass damit noch einmal der Versuch verbunden ward, einen
Praetendenten auf den makedonischen Thron in der Person eines gewissen Euphenes
aufzustellen. Mithradates, der von der Krim aus Verbindungen mit den Thrakern
unterhielt, war all diesen Vorgaengen schwerlich fremd. Zwar erwehrte sich der
Praetor Gaius Sentius mit Hilfe der thrakischen Dentheleten dieser
Eingedrungenen; allein es dauerte nicht lange, dass ihm maechtigere Gegner
kamen. Mithradates hatte, fortgerissen von seinen Erfolgen, den kuehnen
Entschluss gefasst, wie Antiochos den Krieg um die Herrschaft ueber Asien in
Griechenland zur Entscheidung zu bringen, und zu Lande oder zur See den Kern
seiner Truppen dorthin dirigiert. Sein Sohn Ariarathes drang von Thrakien aus in
das schwach verteidigte Makedonien ein, unterwegs die Landschaft unterwerfend
und in pontische Satrapien einteilend. Abdera, Philippi wurden Hauptstuetzpunkte
der pontischen Waffen in Europa. Die pontische Flotte, gefuehrt von Mithradates'
bestem Feldherrn Archelaos, erschien im Aegaeischen Meer, wo kaum ein roemisches
Segel zu finden war. Delos, der Stapelplatz des roemischen Handels in diesen
Gewaessern, ward besetzt und bei 20000 Menschen, groesstenteils Italiker,
daselbst niedergemetzelt; Euboea erlitt ein gleiches Schicksal; bald waren
oestlich vom Malfischen Vorgebirg alle Inseln in Feindes Hand; man konnte
weitergehen zum Angriff auf das Festland selbst. Zwar den Angriff, den die
pontische Flotte von Euboea aus auf das wichtige Demetrias machte, schlug
Bruttius Sura, der tapfere Unterfeldherr des Statthalters von Makedonien, mit
seiner Handvoll Leute und wenigen zusammengerafften Schiffen ab und besetzte
sogar die Insel Skiathos: aber er konnte nicht verhindern, dass der Feind im
eigentlichen Griechenland sich festsetzte. Auch hier wirkte Mithradates nicht
bloss mit den Waffen, sondern zugleich mit der nationalen Propaganda. Sein
Hauptwerkzeug fuer Athen war ein gewisser Aristion, seiner Geburt nach ein
attischer Sklave, seines Handwerks ehemals Schulmeister der Epikurischen
Philosophie, jetzt Guenstling Mithradats; ein vortrefflicher Peisthetaeros, der
durch die glaenzende Karriere, die er bei Hof gemacht, den Poebel zu blenden und
ihm mit Aplomb zu versichern verstand, dass aus dem seit beilaeufig sechzig
Jahren in Schutt liegenden Karthago die Hilfe fuer Mithradates schon unterwegs
sei. Durch solche Reden des neuen Perikles ward es erreicht, dass die wenigen
Verstaendigen aus Athen entwichen, der Poebel aber und ein paar toll gewordene
Literaten den Roemern foermlich absagten. So ward aus dem Exphilosophen ein
Gewaltherrscher, der, gestuetzt auf seine pontische Soeldnerbande, ein Schand-
und Blutregiment begann, und aus dem Peiraeeus ein pontischer Landungsplatz.
Sowie Mithradats Truppen auf dem griechischen Kontinent standen, fielen die
meisten der kleinen Freistaaten ihnen zu: Achaeer, Lakonen, Boeoter, bis hinauf
nach Thessalien. Sura, nachdem er aus Makedonien einige Verstaerkung
herangezogen hatte, rueckte in Boeotien ein, um dem belagerten Thespiae Hilfe zu
bringen, und schlug sich bei Chaeroneia in dreitaegigen Gefechten mit Archelaos
und Aristion; aber sie fuehrten zu keiner Entscheidung und Sura musste
zurueckgehen, als die pontischen Verstaerkungen aus dem Peloponnes sich
naeherten (Ende 666, Anfang 667 88, 87).
So gebietend war die Stellung Mithradats vor allem zur See, dass eine
Botschaft der italischen Insurgenten ihn auffordern konnte, einen
Landungsversuch in Italien zu machen; allein ihre Sache war damals bereits
verloren und der Koenig wies das Ansinnen zurueck.
Die Lage der roemischen Regierung fing an bedenklich zu werden. Kleinasien
und Hellas waren ganz, Makedonien zum guten Teil in Feindeshand; auf der See
herrschte ohne Nebenbuhler die pontische Flagge. Dazu kam die italische
Insurrektion, die, im ganzen zu Boden geschlagen, immer noch in weiten Gebieten
Italiens unbestritten die Herrschaft fuehrte; dazu die kaum beschwichtigte
Revolution, die jeden Augenblick drohte, wiederum und furchtbarer emporzulodern;
dazu endlich die durch die inneren Unruhen in Italien und die ungeheuren
Verluste der asiatischen Kapitalisten hervorgerufene fuerchterliche Handels- und
Geldkrise und der Mangel an zuverlaessigen Truppen. Die Regierung haette dreier
Armeen bedurft, um in Rom die Revolution niederzuhalten, in Italien die
Insurrektion voellig zu ersticken und in Asien Krieg zu fuehren; sie hatte eine
einzige, die des Sulla, denn die Nordarmee war unter dem unzuverlaessigen Gnaeus
Strabo nichts als eine Verlegenheit mehr. Die Wahl unter jenen drei Aufgaben
stand bei Sulla; er entschied sich, wie wir sahen, fuer den asiatischen Krieg.
Es war nichts Geringes, man darf vielleicht sagen eine grosse patriotische Tat,


 


Back to Full Books