Römische Geschichte Book 5
by
Theodor Mommsen

Part 2 out of 11



Grosskoenig hatte offenbar fuer jetzt wenigstens durchaus nicht die Absicht, ihn
in sein Reich zurueckzufuehren. Die roemische Emigration in Asien hatte durch
die Vernichtung der aegaeischen Flotte ihre Besten eingebuesst; von den
Uebriggebliebenen hatten nicht wenige, wie zum Beispiel die taetigen Fuehrer
Lucius Magius und Lucius Fannius, ihren Frieden mit Lucullus gemacht, und mit
dem Tode des Sertorius, der in dem Jahre der Schlacht von Kabeira umkam, schwand
die letzte Hoffnung der Emigration. Die eigene Macht Mithradats war vollstaendig
zerschmettert und eine nach der andern brachen ihre noch uebrigen Stuetzen
zusammen: auch seine von Kreta und Spanien heimkehrenden Geschwader, siebzig
Segel stark, wurden von Triarius bei der Insel Tenedos angegriffen und
vernichtet; auch der Statthalter des Bosporanischen Reiches, des Koenigs eigener
Sohn Machares, fiel von ihm ab und schloss als selbstaendiger Fuerst des
Taurischen Chersones auf eigene Hand mit den Roemern Frieden und Freundschaft
(684 70). Der Koenig selbst sass nach nicht allzuruehmlicher Gegenwehr in einem
entlegenen armenischen Bergschloss, ein Fluechtling aus seinem Reiche und fast
ein Gefangener seines Schwiegersohns. Mochten die Korsarenscharen noch auf Kreta
sich behaupten und was aus Amisos und Sinope entkommen war, an die schwer
zugaengliche Ostkueste des Schwarzen Meeres zu den Sanigen und Lazen sich
retten: Lucullus' geschickte Kriegfuehrung und seine verstaendige Maessigung,
die es nicht verschmaehte, den gerechten Beschwerden der Provinzialen abzuhelfen
und die reumuetigen Emigranten als Offiziere in seinem Heere anzustellen, hatte
mit maessigen Opfern Kleinasien vom Feinde befreit und das Pontische Reich
vernichtet, so dass dasselbe aus einem roemischen Klientelstaat in eine
roemische Provinz verwandelt werden konnte. Eine Kommission des Senats ward
erwartet, um in Gemeinschaft mit dem Oberfeldherrn die neue
Provinzialorganisation festzustellen.
Aber noch waren die Verhaeltnisse mit Armenien nicht geschlichtet. Dass
eine Kriegserklaerung der Roemer gegen Tigranes an sich gerechtfertigt, ja
geboten war, wurde frueher gezeigt. Lucullus, der die Verhaeltnisse aus
groesserer Naehe und mit hoeherem Sinn betrachtete als das Senatorenkollegium in
Rom, erkannte deutlich die Notwendigkeit, Armenien ueber den Tigris
zurueckzuweisen und die verlorene Herrschaft Roms ueber das Mittelmeer
wiederherzustellen. Er zeigte in der Leitung der asiatischen Angelegenheiten
sich als keinen unwuerdigen Nachfolger seines Lehrmeisters und Freundes Sulla;
Philhellene wie wenige Roemer seiner Zeit, war er nicht unempfaenglich fuer die
Verpflichtung, die Rom mit der Erbschaft Alexanders uebernommen hatte: Schild
und Schwert der Griechen im Osten zu sein. Persoenliche Beweggruende, der
Wunsch, auch jenseits des Euphrat Lorbeeren zu ernten, die Empfindlichkeit
darueber, dass der Grosskoenig in einem Schreiben an ihn den Imperatorentitel
weggelassen, koennen freilich Lucullus mitbestimmt haben; allein es ist
ungerecht, kleinliche und egoistische Motive fuer Handlungen anzunehmen, zu
deren Erklaerung die pflichtmaessigen vollkommen ausreichen. Indes von dem
aengstlichen, laessigen, schlecht unterrichteten und vor allen Dingen von ewiger
Finanznot bedraengten roemischen Regierungskollegium liess sich nimmermehr
erwarten, dass es, ohne unmittelbar dazu genoetigt zu sein, die Initiative zu
einer so weitschichtigen und kostspieligen Expedition ergreifen werde. Um das
Jahr 682 (72) waren die legitimen Repraesentanten der Seleukidendynastie,
Antiochos, der Asiate genannt, und dessen Bruder, veranlasst durch die guenstige
Wendung des Pontischen Krieges, nach Rom gegangen, um eine roemische
Intervention in Syrien und nebenbei die Anerkennung ihrer Erbansprueche auf
Aegypten zu erwirken. Wenn die letztere Anforderung nicht gewaehrt werden
konnte, so liessen doch der Augenblick wie die Veranlassung sich nicht
guenstiger finden, um den laengst notwendigen Krieg gegen Tigranes zu beginnen.
Allein der Senat hatte die Prinzen wohl als die rechtmaessigen Koenige Syriens
anerkannt, aber sich nicht entschliessen koennen, die bewaffnete Intervention zu
verfuegen. Sollte die gute Gelegenheit benutzt und gegen Armenien Ernst gemacht
werden, so musste Lucullus den Krieg ohne eigentlichen Auftrag des Senats auf
eigene Hand und eigene Gefahr beginnen; auch er sah sich ebenwie Sulla in die
Notwendigkeit versetzt, was er im offenbarsten Interesse der bestehenden
Regierung tat, nicht mit ihr, sondern ihr zum Trotz ins Werk zu setzen.
Erleichtert ward ihm der Entschluss durch die seit langem unklar zwischen Krieg
und Frieden schwankenden Verhaeltnisse Roms zu Armenien, welche die
Eigenmaechtigkeit seines Verfahrens einigermassen bedeckten und es an formellen
Kriegsgruenden nicht fehlen liessen. Die kappadokischen und syrischen Zustaende
boten Anlaesse genug, und es hatten auch schon bei der Verfolgung des pontischen
Koenigs roemische Truppen das Gebiet des Grosskoenigs verletzt. Da indes
Lucullus' Auftrag auf Fuehrung des Krieges gegen Mithradates ging und er hieran
anzuknuepfen wuenschte, so zog er es vor, einen seiner Offiziere, Appius
Claudius, an den Grosskoenig nach Antiochien zu senden, um Mithradates'
Auslieferung zu fordern, was denn freilich zum Kriege fuehren musste. Der
Entschluss war ernst, zumal bei der Beschaffenheit der roemischen Armee. Es war
unvermeidlich, waehrend des Feldzugs in Armenien das ausgedehnte pontische
Gebiet stark besetzt zu halten, da sonst dem in Armenien stehenden Heer die
Verbindung mit der Heimat verloren ging und ueberdies ein Einfall Mithradats in
sein ehemaliges Reich leicht vorherzusehen war. Offenbar reichte die Armee, an
deren Spitze Lucullus den Mithradatischen Krieg beendigt hatte, von beilaeufig
30000 Mann fuer diese verdoppelte Aufgabe nicht aus. Unter gewoehnlichen
Verhaeltnissen wuerde der Feldherr von seiner Regierung die Nachsendung einer
zweiten Armee erbeten und erhalten haben; allein da Lucullus den Krieg der
Regierung ueber den Kopf nehmen wollte und gewissermassen musste, sah er sich
genoetigt, hierauf zu verzichten und, ob er gleich selbst die gefangenen
thrakischen Soeldner des pontischen Koenigs seinen Truppen einreihte, dennoch
mit nicht mehr als zwei Legionen oder hoechstens 15000 Mann den Krieg ueber den
Euphrat zu tragen. Schon dies war bedenklich; indes die Geringfuegigkeit der
Zahl mochte durch die erprobte Tapferkeit der durchaus aus Veteranen bestehenden
Armee einigermassen ersetzt werden. Weit schlimmer war die Stimmung der
Soldaten, auf die Lucullus in seiner hochadligen Art viel zu wenig Ruecksicht
nahm. Lucullus war ein tuechtiger General und - nach aristokratischem Massstab -
ein rechtschaffener und wohlwollender Mann, aber nichts weniger als beliebt bei
seinen Soldaten. Er war unpopulaer als entschiedener Anhaenger der Oligarchie,
unpopulaer, weil er in Kleinasien der greulichen Wucherei der roemischen
Kapitalisten nachdruecklich gesteuert hatte, unpopulaer wegen der Arbeiten und
Strapazen, die er dem Soldaten zumutete, unpopulaer, weil er von seinen Soldaten
strenge Mannszucht forderte und die Pluenderung der griechischen Staedte durch
seine Leute moeglichst verhinderte, daneben aber doch fuer sich selber manchen
Wagen und manches Kamel mit den Schaetzen des Ostens beladen liess, unpopulaer
wegen seiner feinen, vornehmen, hellenisierenden, durchaus nicht
kameradschaftlichen und, wo immer moeglich, zu bequemem Wohlleben sich
hinneigenden Weise. Nicht eine Spur des Zaubers war in ihm, der zwischen dem
Feldherrn und dem Soldaten ein persoenliches Band schlingt. Hierzu kam endlich,
dass ein grosser Teil seiner tuechtigsten Soldaten alle Ursache hatte, sich
ueber die masslose Verlaengerung ihrer Dienstzeit zu beschweren. Seine beiden
besten Legionen waren ebendiejenigen, die Flaccus und Fimbria 668 (86) nach dem
Osten gefuehrt hatten; ungeachtet ihnen vor kurzem nach der Schlacht von Kabeira
der durch dreizehn Feldzuege wohlverdiente Abschied zugesichert worden war,
fuehrte sie Lucullus jetzt dennoch ueber den Euphrat, einem neuen unabsehbaren
Krieg entgegen - es schien, als wolle man die Sieger von Kabeira schlimmer
behandeln als die Geschlagenen von Cannae. Dass mit so schwachen und so
gestimmten Truppen ein Feldherr auf eigene Faust und streng genommen
verfassungswidrig eine Expedition begann in ein fernes und unbekanntes Land voll
reissender Stroeme und schneebedeckter Berge, das schon durch seine gewaltige
Ausdehnung jeden leichtsinnig unternommenen Angriff gefaehrlich machte, war in
der Tat mehr als gewagt. Vielfach und nicht ohne Grund wurde deshalb Lucullus'
Verfahren in Rom getadelt; nur haette man dabei nicht verschweigen sollen, dass
zunaechst die Verkehrtheit der Regierung dieses verwegene Vorgehen des Feldherrn
veranlasste und dasselbe wo nicht rechtfertigte, doch entschuldbar machte.
Schon die Sendung des Appius Claudius hatte neben der Aufgabe, den Krieg
diplomatisch zu motivieren, den Zweck gehabt, die Fuersten und Staedte zunaechst
Syriens gegen den Grosskoenig unter die Waffen zu bringen; im Fruehling 685 (69)
erfolgte der foermliche Angriff. Waehrend des Winters hatte der Koenig von
Kappadokien im stillen fuer Transportschiffe gesorgt; auf diesen ward der
Euphrat bei Melitene ueberschritten und der Marsch dann weiter ueber die
Tauruspaesse auf den Tigris gerichtet. Auch diesen ueberschritt Lucullus in der
Gegend von Amida (Diarbekr) und rueckte weiter vor auf die Strasse zu, welche
die an der suedlichen Grenze Armeniens neu gegruendete zweite Hauptstadt
Tigranokerta ^3 mit der alten Metropole Artaxata verband. Bei jener stand der
Grosskoenig, kurz zuvor aus Syrien zurueckgekommen, nachdem er die Verfolgung
seiner Eroberungsplaene am Mittelmeer wegen der Verwicklung mit den Roemern
vorlaeufig vertagt hatte. Eben entwarf er einen Einfall in das roemische
Kleinasien von Kilikien und Lykaonien aus und ueberlegte bei sich, ob die Roemer
Asien sofort raeumen oder vorher noch, etwa bei Ephesos, sich ihm zur Schlacht
stellen wuerden, als ihm die Nachricht von dem Anmarsche Luculls gebracht ward,
welcher ihn von der Verbindung mit Artaxata abzuschneiden drohte. Er liess den
Boten aufknuepfen, aber die laestige Wirklichkeit blieb wie sie war; so verliess
er denn die neue Hauptstadt und begab sich in das innere Armenien, um dort, was
bis jetzt nicht geschehen war, gegen die Roemer zu ruesten. Inzwischen sollte
Mithrobarzanes mit den eben zur Verfuegung stehenden Truppen in Verbindung mit
den schleunigst aufgebotenen benachbarten Beduinenstaemmen die Roemer
beschaeftigen. Allein das Korps des Mithrobarzanes ward schon von dem roemischen
Vortrab, die Araber von einem Detachement unter Sextilius zersprengt; Lucullus
gewann die von Tigranokerta nach Artaxata fuehrende Strasse, und waehrend auf
dem rechten Tigrisufer ein roemisches Detachement den nordwaerts abziehenden
Grosskoenig verfolgte, ging er selbst auf das linke ueber und rueckte vor
Tigranokerta. Der nie versiegende Pfeilregen, mit dem die Besatzung das
roemische Heer ueberschuettete, und die Anzuendung der Belagerungsmaschinen
durch Naphtha weihten hier die Roemer ein in die neuen Gefahren der iranischen
Kriege, und der tapfere Kommandant Mankaeos behauptete die Stadt, bis endlich
die grosse koenigliche Entsatzarmee aus allen Teilen des weiten Reiches und den
angrenzenden, den armenischen Werbern offenstehenden Landschaften versammelt und
durch die nordoestlichen Paesse zum Entsatz der Hauptstadt herangerueckt war.
Der in den Kriegen Mithradats erprobte Fuehrer Taxiles riet, die Schlacht zu
vermeiden und die kleine roemische Schar durch die Reiterei zu umstellen und
auszuhungern. Allein als der Koenig den roemischen Feldherrn, der sich
entschieden hatte, die Schlacht zu liefern, ohne darum die Belagerung
aufzuheben, mit nicht viel mehr als 10000 Mann gegen die zwanzigfache Uebermacht
ausruecken und keck das Gewaesser ueberschreiten sah, das beide Heere trennte;
als er auf der einen Seite diese kleine Schar ueberblickte, "zur Gesandtschaft
zu viel, zum Heere zu wenig", auf der andern seine ungeheuren Heerhaufen, in
denen die Voelker vom Schwarzen und vom Kaspischen mit denen vom Mittelmeer und
vom Persischen Golf sich begegneten, deren gefuerchtete eisenbedeckte
Lanzenreiter allein zahlreicher waren als Lucullus' ganzes Heer und in denen es
auch an roemisch geruestetem Fussvolk nicht mangelte: da entschloss er sich, die
vom Feinde begehrte Schlacht ungesaeumt anzunehmen. Waehrend aber die Armenier
noch sich dazu ordneten, erkannte Lucullus' scharfes Auge, dass sie es versaeumt
hatten, eine Hoehe zu besetzen, die ihre ganze Reiterstellung beherrschte: er
eilte sie mit zwei Kohorten einzunehmen, indem zugleich seine schwache Reiterei
durch einen Flankenangriff die Aufmerksamkeit der Feinde von dieser Bewegung
ablenkte, und sowie er oben angekommen war, fuehrte er seinen kleinen Haufen der
feindlichen Reiterei in den Ruecken. Sie ward gaenzlich zersprengt und warf sich
auf die noch nicht voellig geordnete Infanterie, die davonlief, ohne auch nur
zum Schlagen zu kommen. Das Bulletin des Siegers, dass 100000 Armenier und 5
Roemer gefallen seien und der Koenig Turban und Stirnbinde von sich werfend
unerkannt mit wenigen Reitern davongesprengt sei, ist im Stile seines Meisters
Sulla abgefasst; allein nichtdestoweniger bleibt der am 6. Oktober 685 (69) vor
Tigranokerta erfochtene Sieg einer der glaenzendsten Sterne in der ruhmreichen
Kriegsgeschichte Roms; und er war nicht minder erfolgreich als glaenzend. Alle
suedlich vom Tigris den Parthern oder den Syrern entrissenen Landschaften waren
damit strategisch den Armeniern verloren und gingen groesstenteils ohne weiteres
ueber in den Besitz des Siegers. Die neu erbaute zweite Hauptstadt selber machte
den Anfang. Die in ihr sehr zahlreichen griechischen Zwangsansiedler empoerten
sich gegen die Besatzung und oeffneten dem roemischen Heere die Pforten der
Stadt, die den Soldaten zur Pluenderung preisgegeben ward. Sie war geschaffen
fuer das neue Grossreich und ward wie dieses von dem Sieger vertilgt. Aus
Kilikien und Syrien hatte der armenische Satrap Magadates bereits alle Truppen
herausgezogen, um die Entsatzarmee vor Tigranokerta zu verstaerken. Lucullus
rueckte in die noerdlichste Landschaft Syriens Kommagene ein und erstuermte die
Hauptstadt Samosata; bis in das eigentliche Syrien kam er nicht, doch langten
von den Dynasten und Gemeinden bis zum Roten Meere hinab, von Hellenen, Syrern,
Juden, Arabern, Gesandte an, um den Roemern als den neuen Oberherren zu
huldigen. Selbst der Fuerst von Corduene, der oestlich von Tigranokerta
gelegenen Landschaft, unterwarf sich; wogegen freilich in Nisibis und damit in
Mesopotamien der Bruder des Grosskoenigs Guras sich behauptete. Durchaus trat
Lucullus auf als Schirmherr der hellenischen Fuersten und Buergerschaften; in
Kommagene setzte er einen Prinzen des seleukidischen Hauses, Antiochos, auf den
Thron; Antiochos den Asiaten, der nach dem Abzug der Armenier nach Antiocheia
zurueckgekehrt war, erkannte er an als Koenig von Syrien; die gezwungenen
Ansiedler von Tigranokerta entliess er wieder in ihre Heimatorte. Die
unermesslichen Vorraete und Schaetze des Grosskoenigs - an Getreide wurden 30
Millionen Medimnen, an Geld allein in Tigranokerta 8000 Talente (12« Mill.
Taler) erbeutet - machten es Lucullus moeglich, die Kosten des Krieges zu
bestreiten, ohne die Staatskasse in Anspruch zu nehmen, und jedem seiner
Soldaten ausser reichlichster Verpflegung noch eine Verehrung von 800 Denaren
(240 Taler) zu machen.
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^3 Dass Tigranokerta in der Gegend von Mardin etwa zwei Tagemaersche
westlich von Nisibis gelegen hat, hat die von K. E. Sachau (Ueber die Lage von
Tigranokerta, Abh. der Berliner Akademie, 1880) an Ort und Stelle angestellte
Untersuchung erwiesen, wenn auch die von Sachau vorgeschlagene genauere
Fixierung der Oertlichkeit nicht ausser Zweifel ist. Dagegen steht seiner
Auseinandersetzung ueber den Feldzug Luculls das Bedenken entgegen, dass auf der
dabei angenommenen Route von einer Ueberschreitung des Tigris in der Tat nicht
die Rede sein kann.
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Der Grosskoenig war tief gedemuetigt. Er war ein schwaechlicher Charakter,
uebermuetig im Glueck, im Unglueck verzagt; wahrscheinlich wuerde zwischen ihm
und Lucullus ein Abkommen zustande gekommen sein, das der Grosskoenig mit
ansehnlichen Opfern zu erkaufen, der roemische Feldherr unter leidlichen
Bedingungen zu gewaehren beide alle Ursache hatten, wenn der alte Mithradates
nicht gewesen waere. Dieser hatte nicht teilgenommen an den Kaempfen um
Tigranokerta. Durch die zwischen dem Grosskoenig und den Roemern eingetretene
Spannung nach zwanzigmonatlicher Haft um die Mitte des Jahres 684 (70) befreit,
war er mit 10000 armenischen Reitern in sein ehemaliges Reich abgesandt worden,
um die Kommunikationen des Feindes zu bedrohen. Zurueckgerufen, noch ehe er hier
etwas ausrichten konnte, als der Grosskoenig seine gesamte Macht aufbot, um die
von ihm erbaute Hauptstadt zu entsetzen, kamen bei seinem Eintreffen vor
Tigranokerta ihm schon die vom Schlachtfeld fluechtenden Haufen entgegen. Vom
Grosskoenig bis zum gemeinen Soldaten schien allen alles verloren. Wenn aber
Tigranes jetzt Frieden machte, so schwand fuer Mithradates nicht bloss die
letzte Moeglichkeit der Wiedereinsetzung in sein Reich, sondern seine
Auslieferung war ohne Zweifel die erste Bedingung des Friedens; und sicher
wuerde Tigranes gegen ihn nicht anders gehandelt haben als Bocchus einst gegen
Jugurtha. Seine ganze Persoenlichkeit setzte darum der Koenig ein, um diese
Wendung zu verhindern und den armenischen Hof zur Fortfuehrung des Krieges zu
bestimmen, bei der er nichts zu verlieren und alles zu gewinnen hatte; und
fluechtig und entthront wie Mithradates war, war sein Einfluss an diesem Hofe
nicht gering. Noch war er ein stattlicher und gewaltiger Mann, der, obwohl schon
ueber sechzig Jahre alt, sich in voller Ruestung auf das Pferd schwang und im
Handgemenge gleich dem Besten seinen Mann stand. Seinen Geist schienen die Jahre
und die Schicksale gestaehlt zu haben: waehrend er in frueheren Zeiten seine
Heerfuehrer aussandte und selbst an dem Kriege nicht unmittelbar teilnahm,
finden wir fortan als Greis ihn in der Schlacht selber befehligen und selber
fechten. Ihm, der waehrend seines fuenfzigjaehrigen Regiments so viele
unerhoerte Glueckswechsel erlebt hatte, schien die Sache des Grosskoenigs durch
die Niederlage von Tigranokerta noch keineswegs verloren, vielmehr Lucullus'
Stellung sehr schwierig und, wenn es jetzt nicht zum Frieden kam und der Krieg
in zweckmaessiger Weise fortgefuehrt ward, sogar in hohem Masse bedenklich. Der
vielerfahrene Greis, der fast wie ein Vater dem Grosskoenig gegenueberstand und
jetzt persoenlich auf denselben zu wirken vermochte, bezwang den schwachen Mann
durch seine Energie und bestimmte ihn, nicht nur sich fuer die Fortsetzung des
Krieges zu entscheiden, sondern auch ihn selber mit dessen politischer und
militaerischer Leitung zu betrauen. Aus einem Kabinettskrieg sollte der Koenig
jetzt ein national asiatischer werden, die Koenige und die Voelker Asiens sich
vereinigen gegen die uebermaechtigen und uebermuetigen Okzidentalen. Es wurden
die groessten Anstrengungen gemacht, die Armenier und die Parther miteinander zu
versoehnen und sie zum gemeinschaftlichen Kampfe gegen Rom zu bestimmen. Auf
Mithradates' Betrieb erbot sich Tigranes, dem Arsakiden Phraates, dem Gott
(regierte seit 684 70), die von den Armeniern eroberten Landschaften
Mesopotamien, Adiabene, die "grossen Taeler", zurueckzugeben und mit ihm
Freundschaft und Buendnis zu machen. Allein nach allem, was vorhergegangen war,
konnte dieses Anerbieten kaum auf eine guenstige Aufnahme rechnen; Phraates zog
es vor, die Euphratgrenze durch einen Vertrag nicht mit den Armeniern, sondern
mit den Roemern sich zu sichern und zuzusehen, wie sich der verhasste Nachbar
und der unbequeme Fremdling untereinander aufrieben. Mit groesserem Erfolg als
an die Koenige wandte Mithradates sich an die Voelker des Ostens. Es hielt nicht
schwer, den Krieg darzustellen als einen nationalen des Orients gegen den
Okzident, denn er war es; gar wohl konnte er auch zum Religionskrieg gemacht und
die Rede verbreitet werden, dass das Ziel des Lucullischen Heeres der Tempel der
persischen Nanaea oder Anaitis in Elymais oder dem heutigen Luristan sei, das
gefeiertste und das reichste Heiligtum der ganzen Euphratlandschaft ^4.
Scharenweise draengten sich von nah und fern die Asiaten unter die Banner der
Koenige, welche sie aufriefen, den Osten und seine Goetter vor den gottlosen
Fremdlingen zu schirmen. Allein die Tatsachen hatten gezeigt, dass das blosse
Zusammentreiben ungeheurer Heerhaufen nicht allein fruchtlos war, sondern durch
die Einfuegung in dieselben selbst die wirklich marschier- und schlagfaehigen
Scharen unbrauchbar gemacht und in das allgemeine Verderben mitverwickelt
wurden. Mithradates suchte vor allem die Waffe auszubilden, die zugleich die
schwaechste der Okzidentalen und die staerkste der Asiaten war, die Reiterei: in
der von ihm neugebildeten Armee war die Haelfte der Mannschaft beritten. Fuer
den Dienst zu Fuss las er aus der Masse der aufgebotenen oder freiwillig sich
meldenden Rekruten die dienstfaehigen Leute sorgfaeltig aus und liess diese
durch seine pontischen Offiziere dressieren. Das ansehnliche Heer, das bald
wieder unter den Fahnen des Grosskoenigs zusammenstand, war aber nicht bestimmt,
auf der ersten Walstatt mit den roemischen Veteranen sich zu messen, sondern
sich auf die Verteidigung und auf den kleinen Krieg zu beschraenken. Schon den
letzten Krieg in seinem Reiche hatte Mithradates stetig zurueckweichend und die
Schlacht vermeidend gefuehrt; auch diesmal wurde eine aehnliche Taktik
angenommen und zum Kriegsschauplatz das eigentliche Armenien bestimmt, das vom
Feinde noch vollkommen unberuehrte Erbland des Tigranes, durch seine physische
Beschaffenheit ebenso wie durch den Patriotismus seiner Bewohner vortrefflich
fuer diese Kriegsweise geeignet.
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^4 Cicero (imp. Cn. Pomp. 9, 23) meint schwerlich einen anderen als einen
der reichen Tempel der Landschaft Elymais, wohin die Raubzuege der syrischen wie
der parthischen Koenige regelmaessig sich richteten (Strab. 16, 744; Polyb. 31,
11; 1. Makk. 6 u. a. m.), und wahrscheinlich diesen als den bekanntesten; auf
keinen Fall darf an den Tempel von Komana oder ueberhaupt irgendein Heiligtum im
Pontischen Reiche gedacht werden.
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Das Jahr 686 (68) fand Lucullus in einer schwierigen und taeglich
bedenklicher sich gestaltenden Lage. Trotz seiner glaenzenden Siege war man in
Rom durchaus nicht mit ihm zufrieden. Der Senat empfand die Eigenmaechtigkeit
seines Verfahrens; die von ihm empfindlich verletzte Kapitalistenpartei setzte
alle Mittel der Intrige und Bestechung in Bewegung, um seine Abberufung
durchzusetzen. Taeglich erscholl der Markt der Hauptstadt von gerechten und
ungerechten Beschwerden ueber den tollkuehnen, den habsuechtigen, den
unroemischen, den hochverraeterischen Feldherrn. Den Klagen ueber die
Vereinigung einer so grenzenlosen Macht, zweier ordentlicher Statthalterschaften
und eines wichtigen ausserordentlichen Kommandos, in der Hand eines solchen
Mannes gab auch der Senat insoweit nach, dass er die Provinz Asia einem der
Praetoren, die Provinz Kilikien nebst drei neu ausgehobenen Legionen dem Konsul
Quintus Marcius Rex bestimmte, und den Feldherrn auf das Kommando gegen
Mithradates und Tigranes beschraenkte.
Diese in Rom gegen den Feldherrn sich erhebenden Anklagen fanden einen
gefaehrlichen Widerhall in den Quartieren am Iris und am Tigris: um so mehr, als
einzelne Offiziere, darunter der eigene Schwager des Feldherrn, Publius Clodius,
in diesem Sinne die Soldaten bearbeiteten. Das ohne Zweifel von diesen in Umlauf
gesetzte Geruecht, dass Lucullus jetzt mit dem Pontisch-Armenischen Krieg noch
eine Expedition gegen die Parther zu verbinden gedenke, naehrte die Erbitterung
der Truppen. Waehrend aber also die schwierige Stimmung der Regierung wie der
Soldaten den siegreichen Feldherrn mit Abberufung und Meuterei bedrohte, fuhr er
selber fort, dem verzweifelten Spieler gleich, seinen Einsatz und sein Wagen zu
steigern. Zwar gegen die Parther zog er nicht; aber als Tigranes sich weder
bereit zeigte, Frieden zu machen, noch, wie Lucullus es wuenschte, eine zweite
Hauptschlacht zu bestehen, entschloss sich Lucullus von Tigranokerta durch die
schwierige Berglandschaft am oestlichen Ufer des Wansees in das Tal des
oestlichen Euphrat (oder des Arsanias, jetzt Murad Tschai) und aus diesem in das
des Araxes vorzudringen, wo, am noerdlichen Abhang des Ararat, die Hauptstadt
des eigentlichen Armeniens Artaxata mit dem Erbschloss und dem Harem des Koenigs
lag. Er hoffte den Koenig durch die Bedrohung seiner angestammten Residenz
entweder unterwegs oder mindestens doch vor Artaxata zum Schlagen zu zwingen.
Unumgaenglich notwendig war es freilich, bei Tigranokerta eine Abteilung
zurueckzulassen; und da das Marschheer unmoeglich noch weiter vermindert werden
konnte, so blieb nichts uebrig als die Stellung im Pontos zu schwaechen und von
dort Truppen nach Tigranokerta zu berufen. Die Hauptschwierigkeit aber war die
fuer militaerische Unternehmungen so unbequeme Kuerze des armenischen Sommers.
Auf der armenischen Hochebene, die 5000 Fuss und mehr ueber der Meeresflaeche
liegt, sprosst bei Erzerum das Korn erst Anfang Juni, und mit der Ernte im
September stellt auch schon der Winter sich ein; in hoechstens vier Monaten
musste Artaxata erreicht und die Kampagne beendigt sein.
Im Mittsommer 686 (68) brach Lucullus von Tigranokerta auf und gelangte,
ohne Zweifel durch den Bitlispass und weiter westlich am Wansee hinauf
marschierend, auf das Plateau von Musch und an den Euphrat. Der Marsch ging,
unter bestaendigen sehr laestigen Scharmuetzeln mit der feindlichen Reiterei,
namentlich den berittenen Bogenschuetzen, langsam, aber ohne wesentliches
Hindernis vonstatten, und auch der Euphratuebergang, den die armenische Reiterei
ernstlich verteidigte, ward durch ein glueckliches Treffen erzwungen; die
armenische Infanterie zeigte sich, aber es glueckte nicht, sie in das Gefecht zu
verwickeln. So gelangte die Armee auf die eigentliche Hochebene Armeniens und
marschierte weiter hinein in das unbekannte Land. Man hatte keinen eigentlichen
Unfall erlitten; aber die blosse unabwendbare Verzoegerung des Marsches durch
die Terrainschwierigkeiten und die feindlichen Reiter war an sich schon ein sehr
empfindlicher Nachteil. Lange bevor man Artaxata erreicht hatte, brach der
Winter herein; und wie die italischen Soldaten Schnee und Eis um sich sahen,
riss der allzu straff gespannte Bogen der militaerischen Zucht. Eine foermliche
Meuterei noetigte den Feldherrn, den Rueckzug anzuordnen, den er mit seiner
gewoehnlichen Geschicklichkeit bewerkstelligte. Gluecklich angekommen in
Mesopotamien, wo die Jahreszeit noch weitere Unternehmungen gestattete,
ueberschritt Lucullus den Tigris und warf sich mit der Masse seines Heeres auf
die letzte hier den Armeniern gebliebene Stadt Nisibis. Der Grosskoenig,
gewitzigt durch die vor Tigranokerta gemachte Erfahrung, ueberliess die Stadt
sich selbst; trotz ihrer tapferen Verteidigung ward sie in einer finsteren
Regennacht von den Belagerern erstuermt und Lucullus' Heer fand daselbst nicht
minder reiche Beute und nicht minder bequeme Winterquartiere wie das Jahr vorher
in Tigranokerta. Allein inzwischen fiel die ganze Gewalt der feindlichen
Offensive auf die schwachen, im Pontos und in Armenien zurueckgebliebenen
roemischen Korps. Hier zwang Tigranes den roemischen Befehlshaber Lucius Fannius
- denselben, der frueher zwischen Sertorius und Mithradates den Vermittler
gemacht hatte -, sich in eine Festung zu werfen und hielt ihn darin belagert.
Dort rueckte Mithradates ein mit 4000 armenischen und 4000 eigenen Reitern und
rief als Befreier und Raecher die Nation auf gegen den Landesfeind. Alles fiel
ihm zu; die zerstreuten roemischen Soldaten wurden ueberall aufgehoben und
getoetet; als der roemische Kommandant im Pontos, Hadrianus, seine Truppen gegen
ihn fuehrte, machten die ehemaligen Soeldner des Koenigs und die zahlreichen,
als Sklaven dem Heere folgenden Pontiker gemeinschaftliche Sache mit dem Feind.
Zwei Tage nacheinander waehrte der ungleiche Kampf; nur dass der Koenig nach
zwei empfangenen Wunden vom Schlachtfeld weggetragen werden musste, gab dem
roemischen Befehlshaber die Moeglichkeit, die so gut wie verlorene Schlacht
abzubrechen und mit dem kleinen Rest seiner Leute sich nach Kabeira zu werfen.
Ein anderer von Lucullus' Unterbefehlshabern, der zufaellig in diese Gegend kam,
der entschlossene Triarius, sammelte zwar wieder einen Heerhaufen um sich und
lieferte dem Koenig ein glueckliches Gefecht; allein er war viel zu schwach, um
ihn wieder vom pontischen Boden zu vertreiben und musste es geschehen lassen,
dass der Koenig Winterquartiere in Komana nahm.
So kam das Fruehjahr 687 (67) heran. Die Vereinigung der Armee in Nisibis,
die Musse der Winterquartiere, die haeufige Abwesenheit des Feldherrn hatten die
Unbotmaessigkeit der Truppen inzwischen noch gesteigert; sie verlangten nicht
bloss ungestuem, zurueckgefuehrt zu werden, sondern es war bereits ziemlich
offenbar, dass sie, wenn der Feldherr sich weigerte, sie heimzufuehren, von
selbst aufbrechen wuerden. Die Vorraete waren knapp; Fannius und Triarius
sandten in ihrer bedraengten Lage die instaendigsten Bitten um Hilfeleistung an
den Oberfeldherrn. Schweren Herzens entschloss sich Lucullus, der Notwendigkeit
zu weichen, Nisibis und Tigranokerta aufzugeben und, auf all die glaenzenden
Hoffnungen seiner armenischen Expedition verzichtend, zurueckzukehren auf das
rechte Ufer des Euphrat. Fannius wurde befreit; im Pontos aber war es schon zu
spaet. Triarius, nicht stark genug, um mit Mithradates zu schlagen, hatte bei
Gaziura (Turksal am Iris, westlich von Tokat) eine feste Stellung genommen,
waehrend das Gepaeck bei Dadasa zurueckblieb. Als indes Mithradates den
letzteren Ort belagerte, zwangen die roemischen Soldaten, um ihre Habseligkeiten
besorgt, den Fuehrer, seine gesicherte Stellung zu verlassen und zwischen
Gaziura und Ziela (Zilleh) auf den Skotischen Anhoehen dem Koenig eine Schlacht
zu liefern. Was Triarius vorhergesehen hatte trat ein: trotz der tapfersten
Gegenwehr durchbrach der Fluegel, den der Koenig persoenlich fuehrte, die
roemische Linie und draengte das Fussvolk in eine lehmige Schlucht zusammen, in
der es weder vor noch seitwaerts ruecken konnte und erbarmungslos niedergehauen
ward. Zwar ward durch einen roemischen Centurio, der dafuer sein Leben opferte,
der Koenig auf den Tod verwundet; aber die Niederlage war darum nicht minder
vollstaendig. Das roemische Lager ward genommen; der Kern des Fussvolks, fast
alle Ober- und Unteroffiziere bedeckten den Boden; die Leichen blieben
unbegraben auf dem Schlachtfeld liegen, und als Lucullus auf dem rechten
Euphratufer ankam, erfuhr er nicht von den Seinigen, sondern durch die Berichte
der Eingeborenen die Niederlage.
Hand in Hand mit dieser Niederlage ging der Ausbruch der
Militaerverschwoerung. Ebenjetzt traf aus Rom die Nachricht ein, dass das Volk
beschlossen habe, den Soldaten, deren gesetzmaessige Dienstzeit abgelaufen sei,
das heisst den Fimbrianern, den Abschied zu bewilligen und einem der Konsuln des
laufenden Jahres den Oberbefehl in Bithynien und Pontus zu uebertragen; schon
war der Nachfolger Luculls, der Konsul Manius Acilius Glabrio, in Kleinasien
gelandet. Die Verabschiedung der tapfersten und unruhigsten Legionen und die
Abberufung des Oberfeldherrn in Verbindung mit dem Eindruck der Niederlage von
Ziela loesten in dem Heer alle Bande der Autoritaet auf, eben da der Feldherr
ihrer am notwendigsten bedurfte. Bei Talaura in Klein-Armenien stand er den
pontischen Truppen gegenueber, an deren Spitze Tigranes' Schwiegersohn,
Mithradates von Medien, den Roemern bereits ein glueckliches Reitergefecht
geliefert hatte; ebendahin war von Armenien her die Hauptmacht des Grosskoenigs
in Anmarsch. Lucullus sandte an den neuen Statthalter von Kilikien, Quintus
Marcius, der auf dem Marsch nach seiner Provinz soeben mit drei Legionen in
Lykaonien angelangt war, um von ihm Hilfe zu erhalten; derselbe erklaerte, dass
seine Soldaten sich weigerten, nach Armenien zu marschieren. Er sandte an
Glabrio mit dem Ersuchen, den ihm vom Volke uebertragenen Oberbefehl zu
uebernehmen; derselbe bezeigte noch weniger Lust, dieser jetzt so schwierig und
gefaehrlich gewordenen Aufgabe sich zu unterziehen. Lucullus, genoetigt den
Oberbefehl zu behalten, befahl, um nicht bei Talaura zugleich gegen die Armenier
und die Pontiker schlagen zu muessen, den Aufbruch gegen das anrueckende
armenische Heer. Die Soldaten kamen dem Marschbefehl nach; allein da angelangt,
wo die Strassen nach Armenien und nach Kappadokien sich schieden, schlug die
Masse des Heeres die letztere ein und begab sich in die Provinz Asia. Hier
begehrten die Fimbrianer ihren augenblicklichen Abschied; und obwohl sie auf die
instaendige Bitte des Oberfeldherrn und der uebrigen Korps hiervon wieder
abliessen, beharrten sie doch dabei, wenn der Winter herankaeme, ohne dass ihnen
ein Feind gegenueberstaende, sich aufloesen zu wollen; was denn auch geschah.
Mithradates besetzte nicht bloss abermals fast sein ganzes Koenigreich, sondern
seine Reiter streiften durch ganz Kappadokien und bis nach Bithymen; gleich
vergeblich bat Koenig Ariobarzanes bei Quintus Marcius, bei Lucullus und bei
Glabrio um Hilfe. Es war ein seltsamer, fast unglaublicher Ausgang des in so
glorreicher Weise gefuehrten Krieges. Wenn man bloss auf die militaerischen
Leistungen sieht, so hat kaum ein anderer roemischer General mit so geringen
Mitteln so viel ausgerichtet wie Lucullus; das Talent und das Glueck Sullas
schienen auf diesen seinen Schueler sich vererbt zu haben. Dass unter den
obwaltenden Verhaeltnissen das roemische Heer aus Armenien unversehrt nach
Kleinasien zurueckkam, ist ein militaerisches Wunderwerk, das, soweit wir
urteilen koennen, den Xenophontischen Rueckzug weit uebertrifft und wohl
zunaechst aus der Soliditaet des roemischen und der Untuechtigkeit des
orientalischen Kriegswesens sich erklaert, aber doch unter allen Umstaenden dem
Leiter dieses Zuges einen ehrenvollen Platz unter den militaerischen
Kapazitaeten ersten Ranges sichert. Wenn Lucullus' Name gewoehnlich nicht unter
diesen genannt wird, so liegt die Ursache allem Anschein nach nur darin, dass
teils kein militaerisch auch nur leidlicher Bericht ueber seine Feldzuege auf
uns gekommen ist, teils ueberall, und vor allem im Kriege, zunaechst nichts gilt
als das schliessliche Resultat, und dies freilich kam einer vollstaendigen
Niederlage gleich. Durch die letzte unglueckliche Wendung der Dinge,
hauptsaechlich durch die Meuterei der Soldaten, waren alle Erfolge eines
achtjaehrigen Krieges wieder verloren worden; man stand im Winter 687/88 (67/66)
genau wieder an demselben Fleck wie im Winter 679/80 (75/74).
Nicht bessere Resultate als der Kontinentalkrieg lieferte der Seekrieg
gegen die Piraten, der mit demselben zugleich begann und bestaendig mit ihm in
der engsten Verbindung stand. Es ward bereits erzaehlt, dass der Senat im Jahre
680 (74) den verstaendigen Beschluss fasste, die Saeuberung der Meere von den
Korsaren einem einzigen hoechstkommandierenden Admiral, dem Praetor Marcus
Antonius, zu uebertragen. Allein gleich von vornherein hatte man sich in der
Wahl des Fuehrers durchaus vergriffen, oder vielmehr diejenigen, welche diese an
sich zweckmaessige Massregel durchgesetzt haetten, hatten nicht berechnet, dass
im Senat alle Personenfragen durch Cethegus' Einfluss und aehnliche
Koterieruecksichten entschieden wurden. Man hatte ferner versaeumt, den
gewaehlten Admiral in einer seiner umfassenden Aufgabe angemessenen Weise mit
Geld und Schiffen auszustatten, so dass er durch seine ungeheuren Requisitionen
den befreundeten Provinzialen fast ebenso laestig fiel wie die Korsaren. Die
Erfolge waren entsprechend. In den kampanischen Gewaessern brachte die Flotte
des Antonius eine Anzahl Piratenschiffe auf. Mit den Kretensern aber, die mit
den Piraten Freundschaft und Buendnis gemacht hatten und seine Forderung, von
dieser Gemeinschaft abzulassen, schroff zurueckwiesen, kam es zum Gefecht; und
die Ketten, die Antonius vorsorglich auf seinen Schiffen in Vorrat gelegt hatte,
um die gefangenen Flibustier damit zu fesseln, dienten dazu, den Quaestor und
die uebrigen roemischen Gefangenen an die Masten der eroberten roemischen
Schiffe zu schliessen, als die kretischen Feldherren Lasthenes und Panares aus
dem bei ihrer Insel den Roemern gelieferten Seetreffen triumphierend nach
Kydonia zuruecksteuerten. Antonius, nachdem er mit seiner leichtsinnigen
Kriegfuehrung ungeheure Summen vergeudet und nicht das geringste ausgerichtet
hatte, starb im Jahre 683 (71) auf Kreta. Teils der schlechte Erfolg seiner
Expedition, teils die Kostbarkeit des Flottenbaus, teils der Widerwille der
Oligarchie gegen jede umfassendere Beamtenkompetenz bewirkten, dass man nach der
faktischen Beendigung dieser Unternehmung durch Antonius' Tod keinen Oberadmiral
wieder ernannte und auf die alte Weise zurueckkam, jeden Statthalter in seiner
Provinz fuer die Unterdrueckung der Piraterie sorgen zu lassen; wie denn zum
Beispiel die von Lucullus hergestellte Flotte hierfuer im Aegaeischen Meer
taetig war. Nur was die Kreter anbetrifft, schien eine Schmach wie die vor
Kydonia erlittene doch selbst diesem gesunkenen Geschlecht allein durch die
Kriegserklaerung beantwortet werden zu koennen. Dennoch haetten die kretischen
Gesandten, die im Jahre 684 (70) in Rom mit der Bitte erschienen, die Gefangenen
zuruecknehmen und das alte Buendnis wieder herstellen zu wollen, fast einen
guenstigen Senatsbeschluss erlangt; was die ganze Korporation eine Schande
nannte, das verkaufte bereitwillig fuer klingenden Preis der einzelne Senator.
Erst nachdem ein foermlicher Senatsbeschluss die Anlehen der kretischen
Gesandten bei den roemischen Bankiers klaglos gestellt, das heisst nachdem der
Senat sich selber in die Unmoeglichkeit versetzt hatte, sich bestechen zu
lassen, kam das Dekret zustande, dass die kretischen Gemeinden ausser den
roemischen Ueberlaeufern, die Urheber des vor Kydonia veruebten Frevels, die
Fuehrer Lasthenes und Panares, den Roemern zu geeigneter Bestrafung zu
uebergeben, ferner saemtliche Schiffe und Boote von vier oder mehr Rudern
auszuliefern, 400 Geiseln zu stellen und eine Busse von 4000 Talenten (6250000
Taler) zu zahlen haetten, wofern sie den Krieg zu vermeiden wuenschten. Als die
Gesandten sich zur Eingebung solcher Bedingungen nicht bevollmaechtigt
erklaerten, wurde einer der Konsuln des naechsten Jahres bestimmt, nach Ablauf
seines Amtsjahres nach Kreta abzugehen, um dort entweder das Geforderte in
Empfang zu nehmen oder den Krieg zu beginnen. Demgemaess erschien im Jahre 685
(69) der Prokonsul Quintus Metellus in den kretischen Gewaessern. Die Gemeinden
der Insel, voran die groesseren Staedte Gortyna, Knossos, Kydonia, waren
entschlossen, lieber mit den Waffen sich zu verteidigen, als jenen
uebermaessigen Forderungen sich zu fuegen. Die Kretenser waren ein ruchloses und
entartetes Volk, mit deren oeffentlicher und privater Existenz der Seeraub so
innig verwachsen war wie der Landraub mit dem Gemeinwesen der Aetoler; allein
sie glichen den Aetolern wie ueberhaupt in vielen Stuecken so auch in der
Tapferkeit, und es sind denn auch diese beiden griechischen Gemeinden die
einzigen, die den Kampf um die Unabhaengigkeit mutig und ehrenhaft gefuehrt
haben. Bei Kydonia, wo Metellus seine drei Legionen ans Land setzte, stand eine
kretische Armee von 24000 Mann unter Lasthenes und Panares bereit, ihn zu
empfangen; es kam zu einer Schlacht im offenen Felde, in der der Sieg nach
hartem Kampf den Roemern blieb. Allein die Staedte trotzten dem roemischen
Feldherrn nichtsdestoweniger hinter ihren Mauern; Metellus musste sich
entschliessen, eine nach der andern zu belagern. Zuerst ward Kydonia, wohin die
Truemmer der geschlagenen Armee sich geworfen hatten, nach langer Belagerung von
Panares gegen das Versprechen freien Abzuges fuer sich selber uebergeben.
Lasthenes, der aus der Stadt entwichen war, musste zum zweiten Male in Knossos
belagert werden, und da auch diese Festung im Begriff war zu fallen, vernichtete
er seine Schaetze und entschluepfte abermals nach Orten, welche, wie Lyktos,
Eleutherna und andere, die Verteidigung noch fortsetzten. Zwei Jahre (686, 687
68, 67) vergingen, bevor Metellus der ganzen Insel Herr und damit der letzte
Fleck freier griechischer Erde in die Gewalt der uebermaechtigen Roemer gekommen
war; die kretischen Gemeinden, wie sie zuerst von allen griechischen die freie
Stadtverfassung und die Seeherrschaft bei sich entwickelt hatten, sollten auch
die letzten von allen jenen, einst das Mittelmeer erfuellenden griechischen
Seestaaten sein, die der roemischen Kontinentalmacht erlagen.
Alle Rechtsbedingungen waren erfuellt, um wiederum einen der ueblichen
pomphaften Triumphe zu feiern; das Geschlecht der Meteller konnte seinen
makedonischen, numidischen, dalmatischen, baliarischen Titeln mit gleichem Recht
den neuen kretischen beifuegen, und Rom besass einen stolzen Namen mehr.
Nichtsdestoweniger stand die Macht der Roemer auf dem Mittelmeer nie tiefer, die
der Korsaren nie hoeher als in diesen Jahren. Wohl mochten die Kiliker und
Kreter der Meere, die in dieser Zeit bis 1000 Schiffe gezaehlt haben sollen, des
Isaurikers wie des Kretikers und ihrer nichtigen Siege spotten. Wie
nachdruecklich die Seeraeuber in den Mithradatischen Krieg eingriffen und wie
die hartnaeckige Gegenwehr der pontischen Seestaedte ihre besten Kraefte aus dem
Korsarenstaat zog, ward bereits erzaehlt. Aber derselbe machte auch auf eigene
Hand kaum minder grossartige Geschaefte. Fast unter den Augen der Flotte Luculls
ueberfiel im Jahre 685 (69) der Pirat Athenodoros die Insel Delos, zerstoerte
deren vielgefeierte Heiligtuemer und Tempel und fuehrte die ganze Bevoelkerung
fort in die Sklaverei. Die Insel Lipara bei Sizilien zahlte den Piraten
jaehrlich einen festen Tribut, um von aehnlichen Ueberfaellen verschont zu
bleiben. Ein anderer Piratenchef, Herakleon, zerstoerte im Jahre 682 (72) das in
Sizilien gegen ihn ausgeruestete Geschwader und wagte es, mit nicht mehr als
vier offenen Booten in den Hafen von Syrakus einzufahren. Zwei Jahre spaeter
stieg sein Kollege Pyrganion in demselben Hafen sogar an das Land, setzte
daselbst sich fest und schickte von dort aus Streifpartien in die Insel, bis ihn
der roemische Statthalter endlich zwang, sich wiedereinzuschiffen. Das war man
am Ende nachgerade gewohnt, dass alle Provinzen Geschwader ausruesteten und
Strandwachen aufstellten oder doch fuer beides steuerten, und dennoch die
Korsaren so regelmaessig erschienen, um die Provinzen auszupluendern wie die
roemischen Statthalter. Aber selbst den geweihten Boden Italiens respektierten
jetzt die unverschaemten Frevler nicht mehr: von Kroton fuehrten sie den
Tempelschatz der Lakinischen Hera mit sich fort; sie landeten in Brundisium,
Misenum, Caieta, in den etruskischen Haefen, ja in Ostia selbst; sie brachten
die vornehmsten roemischen Offiziere als Gefangene auf, unter andern den
Flottenfuehrer der kilikischen Armee und zwei Praetoren mit ihrem ganzen
Gefolge, mit den gefuerchteten Beilen und Ruten selbst und allen Abzeichen ihrer
Wuerde; sie entfuehrten aus einer Villa bei Misenum die eigene Schwester des zur
Vernichtung der Piraten ausgesandten roemischen Oberadmirals Antonius; sie
vernichteten im Hafen von Ostia die gegen sie ausgeruestete und von einem Konsul
befehligte roemische Kriegsflotte. Der latinische Bauersmann, der Reisende auf
der Appischen Strasse, der vornehme Badegast in dem irdischen Paradiese von
Baiae waren ihrer Habe und ihres Lebens fuerder keinen Augenblick sicher; aller
Handel und aller Verkehr stockte; die entsetzlichste Teuerung herrschte in
Italien und namentlich in der von ueberseeischem Korn lebenden Hauptstadt. Die
Mitwelt wie die Geschichte sind freigebig mit Klagen ueber unertraeglichen
Notstand; hier duerfte die Bezeichnung passen.
Es ist bisher geschildert worden, wie der von Sulla restaurierte Senat die
Grenzbewachung in Makedonien, die Disziplin ueber die Klientelkoenige
Kleinasiens, wie er endlich die Seepolizei geuebt hat; die Resultate waren
nirgends erfreulich. Nicht bessere Erfolge erzielte die Regierung in einer
anderen, vielleicht noch dringenderen Angelegenheit, der Ueberwachung des
provinzialen und vor allem des italischen Proletariats. Der Krebsschaden des
Sklavenproletariats zehrte an dem Marke aller Staaten des Altertums und um so
mehr, je maechtiger sie emporgeblueht waren; denn Macht und Reichtum des Staats
fuehrten unter den bestehenden Verhaeltnissen regelmaessig zu einer
unverhaeltnismaessigen Vermehrung der Sklavenmenge. Natuerlich litt demnach Rom
darunter schwerer als irgendein anderer Staat des Altertums. Schon die Regierung
des sechsten Jahrhunderts hatte gegen die Banden entlaufener Hirten- und
Feldsklaven Truppen schicken muessen. Die unter den italischen Spekulanten mehr
und mehr um sich greifende Plantagenwirtschaft hatte das gefaehrliche Uebel ins
unendliche gesteigert; in der Zeit der Gracchischen und der Marianischen Krise
und mit denselben in engem Zusammenhang hatten Sklavenaufstaende an zahlreichen
Punkten des Roemischen Reiches stattgehabt, in Sizilien sogar zu zwei blutigen
Kriegen (619-622 und 652-654 135-132 und 102-100) sich entwickelt. Aber das
Dezennium der Restaurationsherrschaft nach Sullas Tode ward die goldene Zeit wie
fuer die Flibustier zur See so fuer die gleichartigen Banden auf dem Festland,
vor allem in der bisher noch verhaeltnismaessig leidlich geordneten italischen
Halbinsel. Von einem Landfrieden konnte daselbst kaum mehr die Rede sein. In der
Hauptstadt und den minder bevoelkerten Landschaften Italiens waren Raeubereien
alltaeglich, Mordtaten haeufig. Gegen Menschenraub an fremden Sklaven wie an
freien Leuten erging - vielleicht in dieser Epoche - ein besonderer
Volksschluss; gegen gewaltsame Besitzentziehung von Grundstuecken ward um diese
Zeit eine eigene summarische Klage neu eingefuehrt. Diese Verbrechen mussten
besonders deswegen gefaehrlich erscheinen, weil sie zwar gewoehnlich begangen
wurden von dem Proletariat, aber als moralische Urheber und Teilnehmer an dem
Gewinn auch die vornehme Klasse in grossem Umfang dabei mittaetig war.
Namentlich der Menschen- und der Ackerraub wurde sehr haeufig durch die Aufseher
der grossen Gueter veranlasst und durch die daselbst vereinigten haeufig
bewaffneten Sklavenscharen ins Werk gesetzt; und gar mancher hochangesehene Mann
verschmaehte nicht, was einer seiner diensteifrigen Sklavenaufseher so fuer ihn
erwarb wie Mephisto fuer Faust die Linden Philemons. Wie die Dinge standen,
zeigt die verschaerfte Bestrafung der durch bewaffnete Banden veruebten
Eigentumsfrevel, welche einer der besseren Optimaten, Marcus Lucullus, als
Vorstand der hauptstaedtischen Rechtspflege um das Jahr 676 (78) einfuehrte ^5,
mit der ausgesprochenen Absicht, die Eigentuemer der grossen Sklavenherden durch
die Gefahr sich dieselben aberkannt zu sehen, zu nachdruecklicherer
Beaufsichtigung derselben anzuhalten. Wo also im Auftrag der vornehmen Welt
gepluendert und gemordet ward, lag es diesen Sklaven- und Proletariermassen
nahe, das gleiche Geschaeft fuer eigene Rechnung zu treiben; es genuegte ein
Funke, um den furchtbaren Brennstoff in Flammen zu setzen und das Proletariat in
eine Insurrektionsarmee zu verwandeln. Die Veranlassung fand sich bald.
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^5 Aus diesen Bestimmungen hat sich der Begriff des Raubes als eines
besonderen Verbrechens entwickelt, waehrend das aeltere Recht den Raub unter dem
Diebstahl mitbegriff.
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Die Fechterspiele, die unter den Volkslustbarkeiten in Italien jetzt den
ersten Rang behaupteten, hatten die Errichtung zahlreicher Anstalten namentlich
in und um Capua herbeigefuehrt, worin diejenigen Sklaven teils aufbewahrt, teils
eingeschult wurden, die bestimmt waren, zur Belustigung der souveraenen Menge zu
toeten oder zu sterben - natuerlich grossenteils tapfere kriegsgefangene Leute,
die es nicht vergessen hatten, einst gegen die Roemer im Felde gestanden zu
haben. Eine Anzahl solcher verzweifelter Menschen brach aus einer der
capuanischen Fechterschulen aus (681 73) und warf sich auf den Vesuv. An ihrer
Spitze standen zwei keltische Maenner, die mit ihren Sklavennamen Krixos und
Oenomaos genannt werden, und der Thraker Spartacus. Dieser, vielleicht ein
Sproessling des edlen, in der thrakischen Heimat wie in Pantikapaeon sogar zu
koeniglichen Ehren gelangten Geschlechts der Spartokiden, hatte unter den
thrakischen Hilfstruppen im roemischen Heer gedient, war desertiert und als
Raeuber in die Berge gegangen und hier wiedereingefangen und fuer die
Kampfspiele bestimmt worden. Die Streifereien dieser kleinen, anfaenglich nur
vierundsiebzig Koepfe zaehlenden, aber rasch durch Zulauf aus der Umgegend
anschwellenden Schar wurden den Bewohnern der reichen kampanischen Landschaft
bald so laestig, dass dieselben, nachdem sie vergeblich versucht hatten, sich
selber ihrer zu erwehren, gegen sie Hilfe von Rom erbaten. Es erschien eine
schleunig zusammengeraffte Abteilung von 3000 Mann unter Fuehrung des Clodius
Glaber und besetzte die Aufgaenge zum Vesuv, um die Sklavenschar auszuhungern.
Aber die Raeuber wagten es trotz ihrer geringen Anzahl und ihrer mangelhaften
Bewaffnung, ueber jaehe Abhaenge hinabkletternd die roemischen Posten zu
ueberfallen; und als die elende Miliz den kleinen Haufen verzweifelter Maenner
unvermutet auf sich eindringen sah, gab sie Fersengeld und verlief sich nach
allen Seiten. Dieser erste Erfolg verschaffte den Raeubern Waffen und steigenden
Zulauf. Wenngleich auch jetzt noch ein grosser Teil von ihnen nichts fuehrte als
zugespitzte Knuettel, so fand die neue und staerkere Abteilung der Landwehr,
zwei Legionen unter dem Praetor Publius Varinius, die von Rom her in Kampanien
einrueckte, sie schon fast wie ein Kriegsheer in der Ebene lagernd. Varinius
hatte einen schwierigen Stand. Seine Milizen, genoetigt, dem Feind gegenueber zu
biwakieren, wurden durch die feuchte Herbstwitterung und die dadurch erzeugten
Krankheiten arg mitgenommen; und schlimmer noch als die Epidemien lichteten
Feigheit und Unbotmaessigkeit die Reihen. Gleich zu Anfang lief eine seiner
Abteilungen vollstaendig auseinander, so dass die Fluechtigen nicht etwa auf das
Hauptkorps zurueck, sondern geradewegs nach Hause gingen. Als sodann der Befehl
gegeben ward, gegen die feindlichen Verschanzungen vorzugehen und anzugreifen,
weigerte sich der groesste Teil der Leute, ihm Folge zu leisten.
Nichtsdestoweniger brach Varinius mit denen, die standhielten, gegen die
Raeuberschar auf; allein er fand sie nicht mehr, wo er sie suchte. In tiefster
Stille war sie aufgebrochen und hatte sich suedwaerts gegen Picentia (Vicenza
bei Amalfi) gewendet, wo Varinius sie zwar einholte, aber es doch nicht wehren
konnte, dass sie ueber den Silarus zurueckwich bis in das innere Lucanien, das
gelobte Land der Hirten und der Raeuber. Auch dorthin folgte Varinius und hier
endlich stellte der verachtete Feind sich zum Treffen. Alle Verhaeltnisse, unter
denen der Kampf stattfand, waren zum Nachteil der Roemer; die Soldaten, so
ungestuem sie kurz zuvor die Schlacht gefordert hatten, schlugen dennoch sich
schlecht; Varinius ward vollstaendig besiegt, sein Pferd und die Insignien
seiner Amtswuerde gerieten mit dem roemischen Lager selbst in Feindeshand.
Massenweise stroemten die sueditalischen Sklaven, namentlich die tapferen
halbwilden Hirten, unter die Fahne der so unverhofft erschienenen Erloeser; nach
den maessigen Angaben stieg die Zahl der bewaffneten Insurgenten auf 40000 Mann.
Kampanien, soeben geraeumt, ward rasch wieder eingenommen, das daselbst unter
dem Quaestor des Varinius, Gaius Thoranius, zurueckgebliebene roemische Korps
zersprengt und aufgerieben. Im ganzen Sueden und Suedwesten Italiens war das
offene Land in den Haenden der siegreichen Raeuberhauptleute; selbst ansehnliche
Staedte, wie Consentia im bruttischen Land, Thurii und Metapont in Lucanien,
Nola und Nuceria in Kampanien, wurden von ihnen erstuermt und erlitten alle
Greuel, die siegreiche Barbaren ueber wehrlose Zivilisierte, entfesselte Sklaven
ueber ihre gewesenen Herren zu bringen vermoegen. Dass ein Kampf wie dieser
ueberhaupt rechtlos und mehr eine Metzelei als ein Krieg war, versteht sich
leider von selbst: die Herren schlugen jeden gefangenen Sklaven von Rechts wegen
ans Kreuz; diese machten natuerlich gleichfalls ihre Gefangenen nieder oder
zwangen gar in noch hoehnischerer Vergeltung die kriegsgefangenen Roemer, im
Fechtspiel einander selber zu morden; wie dies spaeter mit dreihundert derselben
bei der Leichenfeier eines im Kampfe gefallenen Raeuberhauptmanns geschah. In
Rom war man mit Recht in Besorgnis ueber den immer weiter um sich greifenden
verheerenden Brand. Es ward beschlossen, das naechste Jahr (682 72) beide
Konsuln gegen die furchtbaren Bandenchefs auszusenden. In der Tat gelang es dem
Praetor Quintus Arrius, einem Unterfeldherrn des Konsuls Lucius Genius, den
keltischen Haufen, der unter Krixos von der Masse des Raeuberheers sich
gesondert hatte und auf eigene Hand brandschatzte, in Apulien am Garganus zu
fassen und zu vernichten. Aber um so glaenzendere Siege erfocht Spartacus im
Apennin und im noerdlichen Italien, wo der Konsul Gnaeus Lentulus, waehrend er
die Raeuber zu umzingeln und aufzuheben vermeinte, sodann sein Kollege Gellius
und der soeben noch siegreiche Praetor Arrius, endlich bei Mutina der
Statthalter des Diesseitigen Gallien, Gaius Cassius (Konsul 681 73), und der
Praetor Gnaeus Manlius einer nach dem andern seinen Streichen erlagen. Die kaum
bewaffneten Sklavenrotten waren der Schreck der Legionen; die Kette der
Niederlagen erinnerte an die ersten Jahre des Hannibalischen Krieges. Was haette
kommen moegen, wenn nicht entlaufene Fechtersklaven, sondern die Volkskoenige
aus den Bergen der Auvergne oder des Balkan an der Spitze der siegreichen
Scharen gestanden haetten, ist nicht zu sagen; wie die Bewegung einmal war,
blieb sie trotz ihrer glaenzenden Siege ein Raeuberaufstand und unterlag weniger
der Uebermacht ihrer Gegner als der eignen Zwietracht und Planlosigkeit. Die
Einigkeit gegen den gemeinschaftlichen Feind, die in den frueheren sizilischen
Sklavenkriegen in so bemerkenswerter Weise hervorgetreten war, wird in diesem
italischen vermisst, wovon wohl die Ursache darin zu suchen ist, dass die
sizilischen Sklaven in dem gemeinsamen Syrohellenismus einen gleichsam
nationalen Einigungspunkt fanden, die italischen dagegen in die beiden Massen
der Hellenobarbaren und der Keltogermanen sich schieden. Die Spaltung zwischen
dem Kelten Krixos und dem Thraker Spartacus - Oenomaos war gleich in einem der
ersten Gefechte gefallen - und aehnlicher Hader laehmte die Benutzung der
errungenen Erfolge und verschaffte den Roemern manchen wichtigen Sieg. Aber noch
weit nachteiliger als die keltisch-germanische Unbotmaessigkeit wirkte auf das
Unternehmen der Mangel eines festen Planes und Zieles. Wohl stand Spartacus,
nach dem Wenigen zu schliessen, was wir von dem seltenen Mann erfahren, hierin
ueber seiner Partei. Er verriet neben seinem strategischen ein nicht gemeines
Organisationstalent, wie denn gleich von Haus aus die Gerechtigkeit, mit der er
seiner Schar vorstand und die Beute verteilte, wenigstens ebensosehr wie seine
Tapferkeit die Augen der Masse auf ihn gelenkt hatte. Um dem empfindlichen
Mangel an Reiterei und an Waffen abzuhelfen, versuchte er mit Hilfe der in
Unteritalien aufgegriffenen Pferdeherden, sich eine Kavallerie zu schulen und zu
disziplinieren und, sowie er den Hafen von Thurii in die Haende bekam, von dort
aus Eisen und Kupfer, ohne Zweifel durch Vermittlung der Piraten, sich zu
verschaffen. Aber in den Hauptsachen vermochte auch er nicht die wilden Horden,
die er anfuehrte, auf feste Endziele hinzulenken. Gern haette er den tollen
Bacchanalien der Grausamkeit gewehrt, die die Raeuber in den eingenommenen
Staedten sich gestatteten und die die hauptsaechliche Ursache waren, weshalb
keine italische Stadt freiwillig mit den Insurgenten gemeinschaftliche Sache
machte; aber der Gehorsam, den der Raeuberhauptmann im Kampfe fand, hoerte mit
dem Siege auf und seine Vorstellungen und Bitten waren vergeblich. Nach den im
Apennin 682 (72) erfochtenen Siegen stand dem Sklavenheer nach jeder Richtung
hin der Weg frei. Spartacus selbst soll beabsichtigt haben, die Alpen zu
ueberschreiten, um sich und den Seinigen die Rueckkehr in ihre keltische oder
thrakische Heimat zu oeffnen; wenn der Bericht gegruendet ist, so zeigt er, wie
wenig der Sieger seine Erfolge und seine Macht ueberschaetzte. Da die Mannschaft
sich weigerte, dem reichen Italien so rasch den Ruecken zu wenden, schlug
Spartacus den Weg nach Rom ein und soll daran gedacht haben, die Hauptstadt zu
blockieren. Indes auch diesem zwar verzweifelten, aber doch planmaessigen
Beginnen zeigten die Scharen sich abgeneigt; sie zwangen ihren Fuehrer, da er
Feldherr sein wollte, Raeuberhauptmann zu bleiben und ziellos weiter in Italien
auf Pluenderung umherzuziehen. Rom mochte sich gluecklich preisen, dass es also
kam; auch so aber war guter Rat teuer. Es fehlte an geuebten Soldaten wie an
erprobten Feldherren; Quintus Metellus und Gnaeus Pompeius waren in Spanien,
Marcus Lucullus in Thrakien, Lucius Lucullus in Kleinasien beschaeftigt, und zur
Verfuegung standen nur rohe Milizen und hoechstens mittelmaessige Offiziere. Man
bekleidete mit dem ausserordentlichen Oberbefehl in Italien den Praetor Marcus
Crassus, der zwar kein namhafter Feldherr war, aber doch unter Sulla mit Ehren
gefochten und wenigstens Charakter hatte, und stellte ihm eine wenn nicht durch
ihre Qualitaet, doch durch ihre Zahl imponierende Armee von acht Legionen zur
Verfuegung. Der neue Oberfeldherr begann damit, die erste Abteilung, die wieder
mit Wegwerfung ihrer Waffen vor den Raeubern davonlief, nach der ganzen Strenge
der Kriegsgesetze zu behandeln und den zehnten Mann davon hinrichten zu lassen;
worauf in der Tat die Legionen sich wieder etwas mehr zusammennahmen. Spartacus,
in dem naechsten Gefecht besiegt, zog sich zurueck und suchte durch Lucanien
nach Rhegion zu gelangen. Ebendamals beherrschten die Piraten nicht bloss die
sizilischen Gewaesser, sondern selbst den Hafen von Syrakus; mit Hilfe ihrer
Boote gedachte Spartacus ein Korps nach Sizilien zu werfen, wo die Sklaven nur
auf einen Anstoss warteten, um zum dritten Male loszuschlagen. Der Marsch nach
Rhegion gelang, allein die Korsaren, vielleicht geschreckt durch die von dem
Praetor Gaius Verres auf Sizilien eingerichteten Strandwachen, vielleicht auch
von den Roemern bestochen, nahmen von Spartacus den bedungenen Lohn, ohne ihm
die Gegenleistung dafuer zu gewaehren. Crassus inzwischen war dem Raeuberheer
bis etwa an die Krathismuendung gefolgt und liess, aehnlich wie Scipio vor
Numantia, seine Soldaten, da sie nicht schlugen, wie sie sollten, einen
festungsaehnlich verschanzten Wall in der Laenge von sieben deutschen Meilen
auffuehren, der die Bruttische Halbinsel von dem uebrigen Italien absperrte ^6
und dem von Rhegion zurueckkehrenden Insurgentenheer den Weg verlegte und die
Zufuhr abschnitt. Indes in einer dunklen Winternacht durchbrach Spartacus die
feindlichen Linien und stand im Fruehjahr 683 (71) ^7 wieder in Lucanien. Das
muehsame Werk war also vergebens gewesen. Crassus fing an, an der Loesung seiner
Aufgabe zu verzweifeln, und forderte vom Senat, dass er die in Makedonien unter
Marcus Lucullus, im diesseitigen Spanien unter Gnaeus Pompeius stehenden Heere
zu seiner Unterstuetzung nach Italien berufe. Es bedurfte indes dieses
aeussersten Notschrittes nicht; die Uneinigkeit und der Uebermut der
Raeuberhaufen genuegten, um ihre Erfolge wieder zu vereiteln. Abermals loesten
sich die Kelten und Germanen von dem Bunde, dessen Haupt und Seele der Thraker
war, um unter Fuehrern ihrer eigenen Nation, Gannicus und Castus, sich
vereinzelt den Roemern ans Messer zu liefern. Einmal, am Lucanischen See,
rettete sie Spartacus' rechtzeitiges Erscheinen; sie schlugen nun zwar wohl ihr
Lager nahe bei dem seinigen auf, aber dennoch gelang es Crassus, den Spartacus
durch die Reiterei zu beschaeftigen und indessen die keltischen Haufen zu
umstellen und zum Sonderkampf zu zwingen, in welchem sie saemtlich, man sagt
12300 Streiter, tapfer kaempfend fielen, alle auf dem Platze und mit den Wunden
nach vorn. Spartacus versuchte darauf, sich mit seiner Abteilung in die Berge um
Petelia (bei Strongoli in Kalabrien) zu werfen und schlug nachdruecklich die
roemische Vorhut, die dem Weichenden folgte. Allein dieser Sieg gereichte mehr
dem Sieger als dem Besiegten zum Nachteil. Berauscht von dem Erfolg weigerten
sich die Raeuber, weiter zurueckzuweichen, und noetigten ihren Feldherrn, sie
durch Lucanien nach Apulien dem letzten entscheidenden Kampf entgegenzufuehren.
Vor der Schlacht stiess Spartacus sein Ross nieder; wie er im Glueck und im
Unglueck treu bei den Seinen ausgeharrt hatte, so zeigte er ihnen jetzt durch
die Tat, dass es ihm wie allen hier gehe um Sieg oder Tod. Auch in der Schlacht
stritt er mit dem Mut eines Loewen: zwei Centurionen fielen von seiner Hand;
verwundet und in die Knie gesunken noch fuehrte er den Speer gegen die
andringenden Feinde. Also starben der grosse Raeuberhauptmann und mit ihm die
besten seiner Gesellen den Tod freier Maenner und ehrlicher Soldaten (683 71).
Nach dem teuer erkauften Siege ward von den Truppen, die ihn erfochten, und von
denen des Pompeius, die inzwischen nach Ueberwindung der Sertorianer aus Spanien
eingetroffen waren, durch ganz Apulien und Lucanien eine Menschenhetze
angestellt, wie sie noch nicht dagewesen war, um die letzten Funken des
gewaltigen Brandes zu zertreten. Obwohl in den suedlichen Landschaften, wo zum
Beispiel das Staedtchen Tempsa 683 (71) von einer Raeuberschar eingenommen ward,
und in dem durch Sullas Expropriationen schwer betroffenen Etrurien ein rechter
Landfriede noch keineswegs sich einfand, galt doch derselbe offiziell als in
Italien wiederhergestellt. Wenigstens die schmachvoll verlorenen Adler waren
wiedergewonnen - allein nach dem Sieg ueber die Kelten brachte man deren fuenf
ein; und laengs der Strasse von Capua nach Rom zeugten die sechstausend Kreuze,
die gefangene Sklaven trugen, von der neu begruendeten Ordnung und dem
abermaligen Siege des anerkannten Rechts ueber das rebellierende lebendige
Eigen.
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^6 Da die Linie sieben deutsche Meilen (Sall. hist. 4, 19 Dietsch; Plut.
Crass. 10) lang war, so ging sie wohl nicht von Squillace nach Pizzo, sondern
noerdlicher, etwa bei Castrovillari und Cassano ueber die hier in gerader Linie
etwa sechs deutsche Meilen breite Halbinsel.
^7 Dass Crassus noch 682 (72) den Oberbefehl uebernahm, ergibt sich aus der
Beseitigung der Konsuln (Plot. Crass. 10); dass der Winter 682/83 (72/71) den
beiden Heeren am Bruttischen Wall verstrich, aus der "Schneenacht (Plot. a. a.
O.).
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Blicken wir zurueck auf die Ereignisse, die das Dezennium der sullanischen
Restauration erfuellen. Eine gewaltige, den Lebensnerv der Nation notwendig
beruehrende Gefahr war an sich in keiner der waehrend dieser Zeit vorgekommenen
aeusseren oder inneren Bewegungen enthalten, weder in der Insurrektion des
Lepidus, noch in den Unternehmungen der spanischen Emigranten, noch in den
thrakisch-makedonischen und kleinasiatischen Kriegen, noch in den Piraten- und
Sklavenaufstaenden; und dennoch hatte der Staat fast in all diesen Kaempfen um
seine Existenz gefochten. Die Ursache war, dass die Aufgaben, solange sie noch
mit Leichtigkeit loesbar waren, ueberall ungeloest blieben; die
Vernachlaessigung der einfachsten Vorsichtsmassregeln erzeugte die
entsetzlichsten Missstaende und Ungluecksfaelle und schuf abhaengige Klassen und
machtlose Koenige in ebenbuertige Gegner um. Die Demokratie zwar, und die
Sklaveninsurrektion hatte man besiegt; aber wie die Siege waren, ward durch sie
der Sieger weder innerlich gehoben noch aeusserlich gekraeftigt. Es war keine
Ehre, dass die beiden gefeiertsten Generale der Regierungspartei in einem
achtjaehrigen, mit mehr Niederlagen als Siegen bezeichneten Kampf des
Insurgentenchefs Sertorius und seiner spanischen Guerillas nicht Herr geworden
waren, dass erst der Mordstahl seiner Freunde den Sertorianischen Krieg zu
Gunsten der legitimen Regierung entschieden hatte. Die Sklaven nun gar war es
viel weniger eine Ehre besiegt, als eine Schande, ihnen jahrelang in gleichem
Kampfe gegenuebergestanden zu haben. Wenig mehr als ein Jahrhundert war seit dem
Hannibalischen Kriege verflossen; es musste dem ehrbaren Roemer das Blut in die
Wangen treiben, wenn er den furchtbar raschen Ruecktritt der Nation seit jener
grossen Zeit erwog. Damals standen die italischen Sklaven wie die Mauern gegen
Hannibals Veteranen; jetzt staeubte die italische Landwehr vor den Knuetteln
ihrer entlaufenen Knechte wie Spreu auseinander. Damals machte jeder einfache
Oberst im Fall der Not den Feldherrn und focht oft ohne Glueck, doch immer mit
Ehren; jetzt hielt es hart, unter all den vornehmen Offizieren nur einen Fuehrer
von gewoehnlicher Brauchbarkeit zu finden. Damals nahm die Regierung lieber den
letzten Bauer vom Pflug, als dass sie darauf verzichtet haette, Griechenland und
Spanien zu erobern; jetzt war man drauf und dran, beide laengst erworbene
Gebiete wieder preiszugeben, nur um daheim der aufstaendischen Knechte sich
erwehren zu koennen. Auch Spartacus hatte, so gut wie Hannibal, vom Po bis an
die sizilische Meerenge Italien mit Heeresmacht durchzogen, beide Konsuln
geschlagen und Rom mit der Blockade bedroht; wozu es gegen das ehemalige Rom des
groessten Feldherrn des Altertums bedurft hatte, das vermochte gegen das jetzige
ein kecker Raeuberhauptmann. War es ein Wunder, dass solchen Siegen ueber
Insurgenten und Raeuberfuehrer kein frisches Leben entkeimte?
Ein noch minder erfreuliches Ergebnis aber hatten die aeusseren Kriege
herausgestellt. Zwar der thrakisch-makedonische hatte, wenn kein dem
ansehnlichen Aufwand von Menschen und Feld entsprechendes, doch auch kein
geradezu unguenstiges Resultat gegeben. Dagegen in dem kleinasiatischen und in
dem Piratenkrieg hatte die Regierung vollstaendigen Bankrott gemacht. Jener
schloss ab mit dem Verlust der gesamten, in acht blutigen Feldzuegen gemachten
Eroberungen, dieser mit der vollstaendigen Verdraengung der Roemer von "ihrem
Meer". Einst hatte Rom im Vollgefuehl der Unwiderstehlichkeit seiner Landmacht
das Uebergewicht auch auf das zweite Element uebertragen; jetzt war der
gewaltige Staat zur See ohnmaechtig und, wie es schien, im Begriff, auch
wenigstens ueber den asiatischen Kontinent die Herrschaft einzubuessen. Die
materiellen Wohltaten des staatlichen Daseins: Sicherheit der Grenzen,
ungestoerter friedlicher Verkehr, Rechtsschutz, geordnete Verwaltung, fingen an,
alle miteinander den saemtlichen im roemischen Staat vereinigten Nationen zu
verschwinden; die segnenden Goetter alle schienen zum Olymp emporgestiegen zu
sein und die jammervolle Erde den amtlich berufenen oder freiwilligen
Pluenderern oder Peinigern ueberlassen zu haben. Dieser Verfall des Staats ward
auch nicht etwa bloss von dem, der politische Rechte und Buergersinn hatte, als
ein oeffentliches Unglueck gefuehlt, sondern die Proletariatsinsurrektion und
die an die Zeiten der neapolitanischen Ferdinande erinnernde Raeuber- und
Piratenwirtschaft trugen das Gefuehl dieses Verfalls in das entlegenste Tal, in
die niedrigste Huette Italiens, liessen ihn jeden, der Handel und Verkehr trieb,
der nur einen Scheffel Weizen kaufte, als persoenlichen Notstand empfinden.
Wenn nach den Urhebern dieses heillosen und beispiellosen Jammers gefragt
ward, so war es nicht schwer, mit gutem Recht gar viele deshalb anzuklagen. Die
Sklavenwirte, deren Herz im Geldbeutel sass, die unbotmaessigen Soldaten, die
bald feigen, bald unfaehigen, bald tollkuehnen Generale, die meist am falschen
Ende hetzenden Demagogen des Marktes trugen ihren Teil der Schuld, oder
vielmehr, wer trug an derselben nicht mit? Instinktmaessig ward es empfunden,
dass dieser Jammer, diese Schande, diese Zerruettung zu kolossal waren, um das
Werk eines einzelnen zu sein. Wie die Groesse des roemischen Gemeinwesens nicht
das Werk hervorragender Individuen, sondern das einer tuechtig organisierten
Buergerschaft gewesen ist, so ist auch der Verfall dieses gewaltigen Gebaeudes
nicht aus der verderblichen Genialitaet einzelner, sondern aus der allgemeinen
Desorganisation hervorgegangen. Die grosse Majoritaet der Buergerschaft taugte
nichts und jeder morsche Baustein half mit zu dem Ruin des ganzen Gebaeudes; es
buesste die ganze Nation, was die ganze Nation verschuldete. Es war ungerecht,
wenn man die Regierung als den letzten greifbaren Ausdruck des Staats fuer alle
heilbaren und unheilbaren Krankheiten desselben verantwortlich machte; aber das
allerdings war wahr, dass die Regierung in furchtbar schwerer Weise mittrug an
dem allgemeinen Verschulden. In dem Kleinasiatischen Kriege zum Beispiel, wo
kein einzelner der regierenden Herren sich in hervorragender Weise verfehlt,
Lucullus sogar, militaerisch wenigstens, tuechtig, ja glorreich sich gefuehrt
hatte, ward es nur um so deutlicher, dass die Schuld des Misslingens in dem
System und in der Regierung als solcher, hier zunaechst in dem frueheren
schlaffen Preisgeben Kappadokiens und Syriens und in der schiefen Stellung des
tuechtigen Feldherrn gegenueber dem keines energischen Beschlusses faehigen
Regierungskollegium lag. Ebenso hatte in der Seepolizei der Senat den einmal
gefassten richtigen Gedanken einer allgemeinen Piratenjagd erst in der
Ausfuehrung verdorben und dann ihn gaenzlich fallen lassen, um wieder nach dem
alten toerichten System gegen die Rosse des Meeres Legionen zu senden. Nach
diesem System wurden die Expeditionen des Servilius und des Marcius nach
Kilikien, des Metellus nach Kreta unternommen; nach diesem liess Triarius die
Insel Delos zum Schutz vor den Piraten mit einer Mauer umziehen. Solche
Versuche, der Seeherrschaft sich zu versichern, erinnern an jenen persischen
Grosskoenig, der das Meer mit Ruten peitschen liess, um es sich untertaenig zu
machen. Wohl hatte also die Nation guten Grund, ihren Bankrott zunaechst der
Restaurationsregierung zur Last zu legen. Immer schon war mit der
Wiederherstellung der Oligarchie ein aehnliches Missregiment gekommen, nach dem
Sturz der Gracchen wie nach dem des Marius und Saturninus; aber so gewaltsam und
zugleich doch auch so schlaff, so verdorben und verderblich war dasselbe nie
zuvor aufgetreten. Wenn aber eine Regierung nicht regieren kann, hoert sie auf
legitim zu sein und es hat, wer die Macht, auch das Recht, sie zu stuerzen. Zwar
ist es leider wahr, dass eine unfaehige und verbrecherische Regierung lange Zeit
das Wohl und die Ehre des Landes mit Fuessen zu treten vermag, bevor die Maenner
sich finden, welche die von dieser Regierung selbst geschmiedeten entsetzlichen
Waffen gegen sie schwingen und aus der sittlichen Empoerung der Tuechtigen und
dem Notstande der vielen die in solchem Fall legitime Revolution
heraufbeschwoeren koennen und wollen. Aber wenn das Spiel mit dem Gluecke der
Voelker ein lustiges sein mag und wohl lange Zeit hindurch ungestoert gespielt
werden kann, so ist es doch auch ein tueckisches, das zu seiner Zeit die Spieler
verschlingt; und niemand schilt dann die Axt, wenn sie dem Baum, der solche
Fruechte traegt, sich an die Wurzel legt. Fuer die roemische Oligarchie war
diese Zeit jetzt gekommen. Der Pontisch-Armenische Krieg und die
Piratenangelegenheit wurden die naechsten Ursachen zum Umsturz der Sullanischen
Verfassung und zur Einsetzung einer revolutionaeren Militaerdiktatur.
3. Kapitel
Der Sturz der Oligarchie und die Herrschaft des Pompeius
Noch stand die Sullanische Verfassung unerschuettert. Der Sturm, den
Lepidus und Sertorius gegen sie gewagt hatten, war mit geringer Einbusse
zurueckgeschlagen worden. Das halbfertige Gebaeude mit dem energischen Geiste
seines Urhebers auszubauen, hatte die Regierung freilich versaeumt. Es zeichnet
sie, dass sie die von Sulla zur Verteilung bestimmten, aber noch nicht von ihm
selbst parzellierten Laendereien weder aufteilte noch auch den Anspruch auf
dieselben geradezu aufgab, sondern die frueheren Eigentuemer ohne Regulierung
des Titels vorlaeufig im Besitze duldete, manche noch unverteilte Strecke
sullanischen Domaniallandes auch wohl gar von einzelnen Personen nach dem alten,
durch die Gracchischen Reformen rechtlich und faktisch beseitigten
Okkupationssystem willkuerlich in Besitz nehmen liess. Was den Optimaten unter
den Sullanischen Bestimmungen gleichgueltig oder unbequem war, wurde ohne
Bedenken ignoriert oder kassiert; so die gegen ganze Gemeinden ausgesprochene
Aberkennung des Staatsbuergerrechts; so das Verbot der Zusammenschlagung der
neuen Bauernstellen; so manche der von Sulla einzelnen Gemeinden erteilten
Freibriefe, natuerlich ohne dass man die fuer diese Exemtionen gezahlten Summen
den Gemeinden zurueckgegeben haette. Aber wenn auch diese Verletzungen der
Ordnungen Sullas durch die Regierung selbst dazu beitrugen, die Fundamente
seines Gebaeudes zu erschuettern, waren und blieben doch die Sempronischen
Gesetze im wesentlichen abgeschafft.
Wohl fehlte es nicht an Maennern, die die Wiederherstellung der
Gracchischen Verfassung im Sinn trugen, und nicht an Entwuerfen, um das, was
Lepidus und Sertorius im Wege der Revolution versucht hatten, stueckweise auf
dem Wege verfassungsmaessiger Reform zu erreichen. In die beschraenkte
Wiederherstellung der Getreidespenden hatte die Regierung bereits unter dem
Druck der Agitation des Lepidus unmittelbar nach Sullas Tode gewilligt (676 78)
und sie tat ferner was irgend moeglich war, um in dieser Lebensfrage fuer das
hauptstaedtische Proletariat ihm zu Willen zu sein. Als trotz jener Verteilungen
die hohen, hauptsaechlich durch die Piraterie hervorgerufenen Kornpreise eine so
drueckende Teuerung in Rom hervorriefen, dass es darueber im Jahre 679 (75) zu
einem heftigen Strassenauflauf kam, halfen zunaechst ausserordentliche Ankaeufe
von sizilischem Getreide fuer Rechnung der Regierung der aergsten Not ab; fuer
die Zukunft aber regelte ein von den Konsuln des Jahres 681 (78) eingebrachtes
Getreidegesetz die Ankaeufe des sizilischen Getreides und gab, freilich auf
Kosten der Provinzialen, der Regierung die Mittel, um aehnliche Missstaende
besser zu verhueten. Aber auch die minder materiellen Differenzpunkte, die
Wiederherstellung der tribunizischen Gewalt in ihrem alten Umfang und die
Beseitigung der senatorischen Gerichte, hoerten nicht auf, Gegenstaende
populaerer Agitation zu bilden, und hier leistete die Regierung
nachdruecklicheren Widerstand. Den Streit um das tribunizische Amt eroeffnete
schon 678 (76), unmittelbar nach der Niederlage des Lepidus, der Volkstribun
Lucius Sicinius, vielleicht ein Nachkomme des gleichnamigen Mannes, der mehr als
vierhundert Jahre zuvor zuerst dieses Amt bekleidet hatte; allein er scheiterte
an dem Widerstand, den der ruehrige Konsul Gaius Curio ihm entgegensetzte. Im
Jahre 680 (74) nahm Lucius Quinctius die Agitation wieder auf, liess sich aber
durch die Autoritaet des Konsuls Lucius Lucullus bestimmen, von seinem Vorhaben
abzustehen. Mit groesserem Eifer trat das Jahr darauf in seine Fussstapfen Gaius
Licinius Macer, der - bezeichnend fuer die Zeit - in das oeffentliche Leben
seine literarischen Studien hineintrug und, wie er es in der Chronik gelesen,
der Buergerschaft anriet, die Konskription zu verweigern.
Auch ueber die schlechte Handhabung der Rechtspflege durch die
senatorischen Geschworenen wurden bald nur zu wohl begruendete Beschwerden laut.
Die Verurteilung eines einigermassen einflussreichen Mannes war kaum mehr zu
erlangen. Nicht bloss empfand der Kollege mit dem Kollegen, der gewesene oder
kuenftige Angeklagte mit dem gegenwaertigen armen Suender billiges Mitleid; auch
die Kaeuflichkeit der Geschworenenstimmen war kaum noch eine Ausnahme. Mehrere
Senatoren waren gerichtlich dieses Verbrechens ueberwiesen worden; auf andere
gleich schuldige wies man mit Fingern; die angesehensten Optimaten, wie Quintus
Catulus, raeumten in offener Senatssitzung es ein, dass die Beschwerden
vollkommen gegruendet seien; einzelne besonders eklatante Faelle zwangen den
Senat mehrmals, zum Beispiel im Jahre 680 (74), ueber Massregeln gegen die
Freiheit der Geschworenen zu deliberieren, natuerlich nur so lange, bis der
erste Laerm sich gelegt hatte und man die Sache unter das Eis gleiten lassen
konnte. Die Folgen dieser elenden Rechtspflege zeigten sich namentlich in einem
System der Pluenderung und Peinigung der Provinzialen, mit dem verglichen selbst
die bisherigen Frevel ertraeglich und gemaessigt erschienen. Das Stehlen und
Rauben war gewissermassen durch Gewohnheit legitim geworden; die
Erpressungskommission konnte als eine Anstalt gelten, um die aus den Vogteien
heimkehrenden Senatoren zu Gunsten ihrer daheimgebliebenen Kollegen zu
besteuern. Aber als ein angesehener Sikeliote, weil er dem Statthalter nicht
hatte zu einem Verbrechen die Hand bieten wollen, dafuer von diesem abwesend und
ungehoert zum Tode verurteilt ward; als selbst roemische Buerger, wenn sie nicht
Ritter oder Senatoren waren, in der Provinz nicht mehr sicher waren vor den
Ruten und Beilen des roemischen Vogts, und die aelteste Errungenschaft der
roemischen Demokratie, die Sicherheit des Leibes und Lebens, von der
herrschenden Oligarchie anfing mit Fuessen getreten zu werden: da hatte auch das
Publikum auf dem roemischen Markte ein Ohr fuer die Klagen ueber seine Voegte in
den Provinzen und ueber die ungerechten Richter, die solche Untaten moralisch
mitverschuldeten. Die Opposition unterliess es natuerlich nicht, auf dem fast
allein ihr uebriggebliebenen Terrain, dem gerichtlichen, ihre Gegner
anzugreifen. So zog der junge Gaius Caesar, der auch, soweit sein Alter es
gestattete, sich bei der Agitation um die Wiederherstellung der tribunizischen
Gewalt eifrig beteiligte, im Jahre 677 (77) einen der angesehensten Sullanischen
Parteimaenner, den Konsular Gnaeus Dolabella, und im folgenden Jahr einen andern
Sullanischen Offizier, Gaius Antonius, vor Gericht; so Marcus Cicero 684 (70)
den Gaius Verres, eine der elendesten unter den Kreaturen Sullas und eine der
schlimmsten Geisseln der Provinzialen. Wieder und wieder wurden die Bilder jener
finsteren Zeit der Aechtungen, die entsetzlichen Leiden der Provinzialen, der
schmachvolle Stand der roemischen Kriminalrechtspflege mit allem Pomp
italienischer Rhetorik, mit aller Bitterkeit italienischen Spottes vor der
versammelten Menge entfaltet und der gewaltige Tote sowie seine lebenden
Schergen ihrem Zorn und Hohn unnachsichtlich preisgegeben. Die Wiederherstellung
der vollen tribunizischen Gewalt, an deren Bestehen die Freiheit, die Macht und
das Glueck der Volksgemeinde wie durch uralt heiligen Zauber geknuepft schien,
die Wiedereinfuehrung der "strengen" Gerichte der Ritterschaft, die Erneuerung
der von Sulla beseitigten Zensur zur Reinigung der hoechsten Staatsbehoerde von
den faulen und schaedlichen Elementen wurden taeglich mit lautem Ruf von den
Rednern der Volkspartei gefordert.
Indes mit alledem kam man nicht weiter. Es gab Skandal und Laerm genug,
aber ein eigentlicher Erfolg ward dadurch, dass man die Regierung nach und ueber
Verdienst prostituierte, doch noch keineswegs erreicht. Die materielle Macht lag
immer noch, solange militaerische Einmischung fern blieb, in den Haenden der
hauptstaedtischen Buergerschaft; und dies "Volk", das in den Gassen Roms sich
draengte und auf dem Markt Beamte und Gesetze machte, war eben um nichts besser
als der regierende Senat: Zwar musste die Regierung mit der Menge sich abfinden,
wo deren eigenes naechstes Interesse in Frage kam; dies ist die Ursache der
Erneuerung des Sempronischen Korngesetzes. Allein daran war nicht zu denken,
dass diese Buergerschaft um einer Idee oder gar um einer zweckmaessigen Reform
willen Ernst gemacht haette. Mit Recht ward auf die Roemer dieser Zeit
angewandt, was Demosthenes von seinen Athenern sagte: dass die Leute gar eifrig
taeten, solange sie um die Rednerbuehne staenden und die Vorschlaege zu Reformen
vernaehmen; aber wenn sie nach Hause gekommen seien, denke keiner weiter an das,
was er auf dem Markte gehoert habe. Wie auch jene demokratischen Agitatoren die
Flammen schuerten, es half eben nichts, da der Brennstoff fehlte. Die Regierung
wusste dies und liess in den wichtigen Prinzipienfragen sich keinerlei
Zugestaendnis entreissen; hoechstens dass sie sich dazu verstand (um 682 72),
einem Teil der mit Lepidus landfluechtig gewordenen Leute die Amnestie
zuzugestehen. Was von Konzessionen erfolgte, ging nicht so sehr aus dem Draengen
der Demokratie hervor, als aus den Vermittlungsversuchen der gemaessigten
Aristokratie. Allein von den beiden Gesetzen, die der einzige noch uebrige
Fuehrer dieser Fraktion, Gaius Cotta, in seinem Konsulat 679 (75) durchsetzte,
wurde das die Gerichte betreffende schon im naechsten Jahre wieder beseitigt,
und auch das zweite, welches die Sullanische Bestimmung aufhob, dass die
Bekleidung des Tribunats zur Uebernahme anderer Magistraturen unfaehig mache,
die uebrigen Beschraenkungen aber bestehen liess, erregte wie jede halbe
Massregel nur den Unwillen beider Parteien. Die Partei der reformistisch
gesinnten Konservativen, die durch Cottas bald nachher (um 681 73) erfolgten
fruehen Tod ihr namhaftestes Haupt verlor, sank mehr und mehr in sich selbst
zusammen, erdrueckt zwischen den immer schroffer hervortretenden Extremen. Von
diesen aber blieb die Partei der Regierung, schlecht und schlaff wie sie war,
der gleich schlechten und gleich schlaffen Opposition gegenueber notwendig im
Vorteil.
Aber dies der Regierung so guenstige Verhaeltnis aenderte sich, als die
Differenzen zwischen ihr und denjenigen ihrer Parteigaenger sich schaerfer
entwickelten, deren Hoffnungen ueber den Ehrensitz in der Kurie und das
aristokratische Landhaus hinaus zu hoeheren Zielen sich erhoben. In erster Linie
stand hier Gnaeus Pompeius. Wohl war er Sullaner; aber es ist frueher gezeigt
worden, wie wenig er unter seiner eigenen Partei sich zurechtfand, wie von der
Nobilitaet, als deren Schild und Schwert er offiziell angesehen ward, ihn doch
seine Herkunft, seine Vergangenheit, seine Hoffnungen immer wieder schieden. Der
schon klaffende Riss hatte waehrend der spanischen Feldzuege (677 - 683 77 - 71)
des Feldherrn sich unheilbar erweitert. Unwillig und halb gezwungen hatte die
Regierung ihn ihrem rechten Vertreter Quintus Metellus als Kollegen beigesellt;
und wieder er beschuldigte, wohl nicht ohne Grund, den Senat durch die sei es
liederliche, sei es boeswillige Vernachlaessigung der spanischen Armeen deren
Niederlagen verschuldet und das Schicksal der Expedition aufs Spiel gesetzt zu
haben. Nun kam er zurueck als Sieger ueber die heimlichen Feinde, an der Spitze
eines krieggewohnten und ihm ganz ergebenen Heeres, fuer seine Soldaten
Landanweisungen begehrend, fuer sich Triumph und Konsulat. Die letzteren
Forderungen verstiessen gegen das Gesetz. Pompeius, obwohl mehrmals schon
ausserordentlicherweise mit der hoechsten Amtsgewalt bekleidet, hatte noch kein
ordentliches Amt, nicht einmal die Quaestur verwaltet und war noch immer nicht
Mitglied des Rats; und Konsul durfte nur werden, wer die Staffel der geringeren
ordentlichen Aemter durchmessen, triumphieren nur, wer die ordentliche hoechste
Gewalt bekleidet hatte. Der Senat war gesetzlich befugt, ihn, wenn er um das
Konsulat sich bewarb, auf die Bewerbung um die Quaestur zu verweisen, wenn er
den Triumph erbat, ihn an den grossen Scipio zu erinnern, der unter gleichen
Verhaeltnissen auf den Triumph ueber das eroberte Spanien verzichtet hatte.
Nicht minder hing Pompeius hinsichtlich der seinen Soldaten versprochenen
Domaenen verfassungsmaessig ab von dem guten Willen des Senats. Indes wenn auch
der Senat, wie es bei seiner Schwaechlichkeit auch im Grollen wohl denkbar war,
hierin nachgab und dem siegreichen Feldherrn fuer den gegen die Demokratenchefs
geleisteten Schergendienst den Triumph, das Konsulat, die Landanweisungen
zugestand, so war doch eine ehrenvolle Annulierung in ratsherrlicher Indolenz
unter der langen Reihe der friedlichen senatorischen Imperatoren das guenstigste
Los, das die Oligarchie dem sechsunddreissigjaehrigen Feldherrn zu bereiten
vermochte. Das, wonach sein Herz eigentlich verlangte, das Kommando im
Mithradatischen Krieg freiwillig vom Senat bewilligt zu erhalten, konnte er
nimmer erwarten; in ihrem eigenen wohlverstandenen Interesse durfte die
Oligarchie es nicht zulassen, dass er den afrikanischen und europaeischen noch
die Trophaeen des dritten Weltteils hinzufuegte; die im Osten reichlich und
bequem zu pflueckenden Lorbeeren blieben auf jeden Fall der reinen Aristokratie
vorbehalten. Wenn aber der gefeierte General bei der herrschenden Oligarchie
seine Rechnung nicht fand, so blieb - da zu einer rein persoenlichen,
ausgesprochen dynastischen Politik weder die Zeit reif noch Pompeius' ganze
Persoenlichkeit geeignet war - ihm keine andere Wahl, als mit der Demokratie
gemeinschaftliche Sache zu machen. An die Sullanische Verfassung band ihn kein
eigenes Interesse: er konnte seine persoenlichen Zwecke auch innerhalb einer
mehr demokratischen ebensogut, wo nicht besser verfolgen. Dagegen fand er alles,
was er brauchte, bei der demokratischen Partei. Die taetigen und gewandten
Fuehrer derselben waren bereit und faehig, dem unbehilflichen und etwas
hoelzernen Helden die muehselige politische Leitung abzunehmen, und doch viel zu
gering, um dem gefeierten Feldherrn die erste Rolle und namentlich die
militaerische Oberleitung streitig machen zu koennen oder auch nur zu wollen.
Selbst der weitaus bedeutendste von ihnen, Gaius Caesar, war nichts als ein
junger Mensch, dem seine dreisten Fahrten und eleganten Schulden weit mehr als
seine feurige demokratische Beredsamkeit einen Namen gemacht hatten und der sich
sehr geehrt fuehlen musste, wenn der weltberuehmte Imperator ihm gestattete,
sein politischer Adjutant zu sein. Die Popularitaet, auf welche Menschen wie
Pompeius, von groesseren Anspruechen als Faehigkeiten, mehr Wert zu legen
pflegen, als sie gern sich selber gestehen, musste im hoechsten Mass dem jungen
General zuteil werden, dessen Uebertritt der fast aussichtslosen Sache der
Demokratie den Sieg gab. Der von ihm fuer sich und seine Soldaten geforderte
Siegeslohn fand damit sich von selbst. Ueberhaupt schien, wenn die Oligarchie
gestuerzt ward, bei dem gaenzlichen Mangel anderer ansehnlicher
Oppositionshaeupter es nur von Pompeius abzuhaengen, seine weitere Stellung sich
selber zu bestimmen. Daran aber konnte kaum gezweifelt werden, dass der
Uebertritt des Feldherrn der soeben siegreich aus Spanien heimkehrenden und noch
in Italien geschlossen zusammenstehenden Armee zur Oppositionspartei den Sturz
der bestehenden Ordnung zur Folge haben muesse. Regierung und Opposition waren
gleich machtlos; sowie die letztere nicht mehr bloss mit Deklamationen focht,
sondern das Schwert eines siegreichen Feldherrn bereit war, ihren Anforderungen
Nachdruck zu geben, war die Regierung jedenfalls, vielleicht sogar ohne Kampf,
ueberwunden.
So sah man von beiden Seiten sich gedraengt zur Koalition. An persoenlichen
Abneigungen mochte es dort wie hier nicht fehlen; der siegreiche Feldherr konnte
die Strassenredner unmoeglich lieben, diese noch weniger den Henker des Carbo
und Brutus mit Freuden als ihr Haupt begruessen; indes die politische
Notwendigkeit ueberwog, wenigstens fuer den Augenblick, jedes sittliche
Bedenken.
Aber die Demokraten und Pompeius schlossen ihren Bund nicht allein. Auch
Marcus Crassus war in einer aehnlichen Lage wie Pompeius. Obwohl Sullaner wie
dieser, war doch auch seine Politik, ganz wie die des Pompeius, vor allem eine
persoenliche und durchaus nicht die der herrschenden Oligarchie; und auch er
stand jetzt in Italien an der Spitze einer starken und siegreichen Armee, mit
welcher er soeben den Sklavenaufstand niedergeschlagen hatte. Es blieb ihm die
Wahl entweder gegen die Koalition mit der Oligarchie sich zu verbinden oder in
die Koalition einzutreten; er waehlte den letzteren und damit ohne Zweifel den
sichereren Weg. Bei seinem kolossalen Vermoegen und seinem Einfluss auf die
hauptstaedtischen Klubs war er ueberhaupt ein schaetzbarer Bundesgenosse; unter
den obwaltenden Umstaenden aber war es ein unberechenbarer Gewinn, wenn das
einzige Heer, mit welchem der Senat den Truppen des Pompeius haette begegnen
koennen, der angreifenden Macht sich beigesellte. Die Demokraten ueberdies,
denen bei der Allianz mit dem uebermaechtigen Feldherrn nicht wohl zu Mute sein
mochte, sahen nicht ungern in Marcus Crassus ihm ein Gegengewicht und vielleicht
einen kuenftigen Rivalen zur Seite gestellt.
So kam im Sommer des Jahres 683 (71) die erste Koalition zustande zwischen
der Demokratie einer- und den beiden Sullanischen Generalen Gnaeus Pompeius und
Marcus Crassus andererseits. Beide machten das Parteiprogramm der Demokratie zu
dem ihrigen; es ward ihnen dafuer zunaechst das Konsulat auf das kommende Jahr,
Pompeius ueberdies der Triumph und die begehrten Landlose fuer seine Soldaten,
Crassus als dem Ueberwinder des Spartacus wenigstens die Ehre des feierlichen
Einzugs in die Hauptstadt zugesichert.
Den beiden italischen Armeen, der hohen Finanz und der Demokratie, die also
zum Sturz der Sullanischen Verfassung verbuendet auftraten, hatte der Senat
nichts gegenueberzustellen als etwa das zweite spanische Heer unter Quintus
Metellus Pius. Allein Sulla hatte richtig vorhergesagt, dass das, was er getan,
nicht zum zweitenmal geschehen werde: Metellus, durchaus nicht geneigt, sich in
einen Buergerkrieg zu verwickeln, hatte sofort nach Ueberschreitung der Alpen
seine Soldaten entlassen. So blieb der Oligarchie nichts uebrig, als in das
Unvermeidliche sich zu fuegen. Der Rat bewilligte die fuer Konsulat und Triumph
erforderlichen Dispensationen; Pompeius und Crassus wurden, ohne Widerstand zu
finden, zu Konsuln fuer das Jahr 684 (70) gewaehlt, waehrend ihre Heere,
angeblich in Erwartung des Triumphs, vor der Stadt lagerten. Noch vor dem
Antritt seines Amtes bekannte sodann Pompeius in einer von dem Volkstribun
Marcus Lollius Palicanus abgehaltenen Volksversammlung sich oeffentlich und
foermlich zu dem demokratischen Programm. Die Verfassungsaenderung war damit im
Prinzip entschieden.
Allen Ernstes ging man nun an die Beseitigung der sullanischen
Institutionen. Vor allen Dingen erhielt das tribunizische Amt wieder seine
fruehere Geltung. Pompeius selbst als Konsul brachte das Gesetz ein, das den
Volkstribunen ihre althergebrachten Befugnisse, namentlich auch die
legislatorische Initiative zurueckgab - freilich eine seltsame Gabe aus der Hand
des Mannes, der mehr als irgend ein Lebender dazu getan hatte, der Gemeinde ihre
alten Privilegien zu entreissen.
Hinsichtlich der Geschworenenstellung wurde die Bestimmung Sullas, dass das
Verzeichnis der Senatoren als Geschworenenliste dienen solle, zwar abgeschafft;
allein es kam doch keineswegs zu einer einfachen Wiederherstellung der
Gracchischen Rittergerichte. Kuenftig, so bestimmte das neue Aurelische Gesetz,
sollten die Geschworenenkollegien zu einem Dritteil aus Senatoren bestehen, zu
zwei Dritteilen aus Maennern vom Ritterzensus, von welchen letzteren wieder die
Haelfte die Distriktvorsteherschaft oder das sogenannte Kassentribunat bekleidet
haben musste. Es war diese letzte Neuerung eine weitere, den Demokraten gemachte
Konzession, indem hiernach wenigstens der dritte Teil der Kriminalgeschworenen
mittelbar hervorging aus den Wahlen der Distrikte. Wenn dagegen der Senat nicht
gaenzlich aus den Gerichten verdraengt ward, so ist die Ursache davon
wahrscheinlich teils in Crassus' Beziehungen zum Senat zu suchen, teils in dem
Beitritt der senatorischen Mittelpartei zu der Koalition, mit dem es auch wohl
zusammenhaengt, dass der Bruder ihres kuerzlich verstorbenen Fuehrers, der
Praetor Lucius Cotta, dies Gesetz einbrachte.
Nicht weniger wichtig war die Beseitigung der fuer Asien von Sulla
festgesetzten Steuerordnung, welche vermutlich ebenfalls in dies Jahr faellt;
der damalige Statthalter Asiens, Lucius Lucullus, ward angewiesen, das von Gaius
Gracchus eingefuehrte Verpachtungssystem wiederherzustellen und damit der hohen
Finanz diese wichtige Geld- und Machtquelle zurueckzugeben.
Endlich ward die Zensur wieder ins Leben gerufen. Die Wahlen dafuer, welche
die neuen Konsuln kurz nach Antritt ihres Amtes anberaumten, fielen, in
offenbarer Verhoehnung des Senats, auf die beiden Konsuln des Jahres 682 (73)
Gnaeus Lentulus Clodianus und Lucius Genius, die wegen ihrer elenden
Kriegfuehrung gegen Spartacus durch den Senat vom Kommando entfernt worden
waren. Es begreift sich, dass diese Maenner alle Mittel, die ihr wichtiges und
ernstes Amt ihnen zu Gebote stellte, in Bewegung setzten, um den neuen
Machthabern zu huldigen und den Senat zu aergern. Mindestens der achte Teil des
Senats, vierundsechzig Senatoren, eine bis dahin unerhoerte Zahl, wurden von der
Liste gestrichen, darunter der einst von Gaius Caesar ohne Erfolg angeklagte
Gaius Antonius und der Konsul des Jahres 683 (71), Publius Lentulus Sura,
vermutlich auch nicht wenige der verhassten Kreaturen Sullas.
So war man mit dem Jahre 684 (70) wieder im wesentlichen zurueckgekommen
auf die vor der sullanischen Restauration bestehenden Ordnungen. Wieder ward die
hauptstaedtische Menge aus der Staatskasse, das heisst von den Provinzen
gespeist; wieder gab die tribunizische Gewalt jedem Demagogen den gesetzlichen
Freibrief, die staatlichen Ordnungen zu verkehren; wieder erhob der Geldadel,
als Inhaber der Steuerpachtungen und der gerichtlichen Kontrolle ueber die
Statthalter, neben der Regierung sein Haupt so maechtig wie nur je zuvor; wieder
zitterte der Senat vor dem Wahrspruch der Geschworenen des Ritterstandes und vor
der zensorischen Ruege. Das System Sullas, das auf die politische Vernichtung
der kaufmaennischen Aristokratie und der Demagogie die Alleinherrschaft der
Nobilitaet begruendet hatte, war damit vollstaendig ueber den Haufen geworfen.
Abgesehen von einzelnen untergeordneten Bestimmungen, deren Abschaffung erst
spaeter nachgeholt wurde, wie zum Beispiel der Zurueckgabe des
Selbstergaenzungsrechts an die Priesterkollegien, blieb von Sullas allgemeinen
Ordnungen hiernach nichts uebrig als teils die Konzessionen, die er selbst der
Opposition zu machen notwendig gefunden hatte, wie namentlich die Anerkennung
des roemischen Buergerrechts der saemtlichen Italiker, teils Verfuegungen ohne
schroffe Parteitendenz, an denen deshalb auch die verstaendigen Demokraten
nichts auszusetzen fanden, wie unter anderm die Beschraenkung der
Freigelassenen, die Regulierung der Beamtenkompetenzen und die materiellen
Aenderungen im Kriminalrecht.
Weniger einig als ueber diese prinzipiellen war die Koalition hinsichtlich
der persoenlichen Fragen, die eine solche Staatsumwaelzung anregte.
Begreiflicherweise liessen die Demokraten sich nicht genuegen mit der
allgemeinen Anerkennung ihres Programms, sondern auch sie forderten jetzt eine
Restauration in ihrem Sinn: Wiederherstellung des Andenkens ihrer Toten,
Bestrafung der Moerder, Rueckberufung der Geaechteten aus der Verbannung,
Aufhebung der auf ihren Kindern lastenden politischen Zuruecksetzung, Rueckgabe
der von Sulla eingezogenen Gueter, Schadenersatz aus dem Vermoegen der Erben und
Gehilfen des Diktators. Es waren das allerdings die logischen Konsequenzen, die
aus einem reinen Sieg der Demokratie sich ergaben; allein der Sieg der Koalition
von 683 (71) war doch weit entfernt, ein solcher zu sein. Die Demokratie gab
dazu den Namen und das Programm, die uebergetretenen Offiziere aber, vor allen
Pompeius, die Macht und die Vollendung; und nun- und nimmermehr konnten diese zu
einer Reaktion ihre Zustimmung geben, die nicht bloss die bestehenden
Verhaeltnisse bis in ihre Grundfesten erschuettert, sondern auch schliesslich
sich gegen sie selbst gewandt haben wuerde - war es doch noch im frischen
Andenken, welcher Maenner Blut Pompeius vergossen, wie Crassus zu seinem
ugeheuren Vermoegen den Grund gelegt hatte. So ist es wohl erklaerlich, aber
auch zugleich bezeichnend fuer die Schwaeche der Demokratie, dass die Koalition
von 683 (71) nicht das geringste tat, um den Demokraten Rache oder auch nur
Rehabilitation zu gewaehren. Die nachtraegliche Einforderung aller der fuer
erstandene konfiszierte Gueter noch rueckstaendigen oder auch von Sulla den
Kaeufern erlassenen Kaufgelder, welche der Zensor Lentulus in einem besonderen
Erlass feststellte, kann kaum als Ausnahme bezeichnet werden; denn wenn auch
nicht wenige Sullaner dadurch in ihren persoenlichen Interessen empfindlich
verletzt wurden, so war doch die Massregel selbst wesentlich eine Bestaetigung
der von Sulla vorgenommenen Konfiskationen.
Sullas Werk war also zerstoert; aber was nun werden sollte, war damit viel
mehr in Frage gestellt als entschieden. Die Koalition, einzig zusammengehalten
durch den gemeinschaftlichen Zweck, das Restaurationswerk zu beseitigen, loeste
sich, als dieser erreicht war, wenn nicht foermlich, doch der Sache nach von
selber auf; fuer die Frage aber, wohin nun zunaechst das Schwergewicht der Macht
fallen sollte, schien sich eine ebenso rasche wie gewaltsame Loesung
vorzubereiten. Die Heere des Pompeius und Crassus lagerten immer noch vor den
Toren der Stadt. Jener hatte zwar zugesagt, nach dem Triumph (am letzten
Dezember 683 71) seine Soldaten zu verabschieden; allein zunaechst war es
unterblieben, um unter dem Druck, den das spanische Heer vor der Hauptstadt auf
diese und den Senat ausuebte, die Staatsumwaelzung ungestoert zu vollenden, was
denn in gleicher Weise auch auf die Armee des Crassus Anwendung fand. Diese
Ursache bestand jetzt nicht mehr; aber dennoch unterblieb die Aufloesung der
Heere. Die Dinge nahmen die Wendung, als werde einer der beiden mit der
Demokratie alliierten Feldherrn die Militaerdiktatur ergreifen und Oligarchen
und Demokraten in dieselben Fesseln schlagen. Dieser eine aber konnte nur
Pompeius sein. Von Anfang an hatte Crassus in der Koalition eine untergeordnete
Rolle gespielt; er hatte sich antragen muessen und verdankte selbst seine Wahl
zum Konsulat hauptsaechlich Pompeius' stolzer Verwendung. Weitaus der staerkere,
war Pompeius offenbar der Herr der Situation; wenn er zugriff, so schien er
werden zu muessen, als was ihn der Instinkt der Menge schon jetzt bezeichnete:
der unumschraenkte Gebieter des maechtigsten Staates der zivilisierten Welt.
Schon draengte sich die ganze Masse der Servilen um den kuenftigen Monarchen.
Schon suchten die schwaecheren Gegner eine letzte Hilfe in einer neuen
Koalition; Crassus, voll alter und neuer Eifersucht auf den juengeren, so
durchaus ihn ueberfluegelnden Rivalen, naeherte sich dem Senat und versuchte,
durch beispiellose Spenden die hauptstaedtische Menge an sich zu fesseln - als
ob die durch Crassus selbst mitgebrochene Oligarchie und der ewig undankbare
Poebel vermocht haben wuerden, gegen die Veteranen der spanischen Armee
irgendwelchen Schutz zu gewaehren. Einen Augenblick schien es, als wuerde es vor
den Toren der Hauptstadt zwischen den Heeren des Pompeius und Crassus zur
Schlacht kommen.
Allein diese Katastrophe wandten die Demokraten durch ihre Einsicht und
ihre Geschmeidigkeit ab. Auch ihrer Partei lag, ebenwie dem Senat und Crassus,
alles daran, dass Pompeius nicht die Diktatur ergriff; aber mit richtigerer
Einsicht in ihre eigene Schwaeche und in den Charakter des maechtigen Gegners
versuchten ihre Fuehrer den Weg der Guete. Pompeius fehlte keine Bedingung, um
nach der Krone zu greifen, als die erste von allen: der eigene koenigliche Mut.
Wir haben den Mann frueher geschildert, mit seinem Streben, zugleich loyaler
Republikaner und Herr von Rom zu sein, mit seiner Unklarheit und
Willenlosigkeit, mit seiner, unter dem Pochen auf selbstaendige Entschluesse
sich verbergenden Lenksamkeit. Es war dies die erste grosse Probe, auf die das
Verhaengnis ihn stellte; er hat sie nicht bestanden. Der Vorwand, unter dem
Pompeius die Entlassung der Armee verweigerte, war, dass er Crassus misstraute
und darum nicht mit der Entlassung der Soldaten den Anfang machen koenne. Die
Demokraten bestimmten den Crassus, hierin entgegenkommende Schritte zu tun, dem
Kollegen vor aller Augen zum Frieden die Hand zu bieten; oeffentlich und
insgeheim bestuermten sie diesen, dass er zu dem zwiefachen Verdienst, den Feind
besiegt und die Parteien versoehnt zu haben, noch das dritte und groesste fuegen
moege, dem Vaterland den inneren Frieden zu erhalten und das drohende
Schreckbild des Buergerkrieges zu bannen. Was nur immer auf einen eitlen,
ungewandten, unsicheren Mann zu wirken vermag, alle Schmeichelkuenste der
Diplomatie, aller theatralische Apparat patriotischer Begeisterung wurde in
Bewegung gesetzt, um das ersehnte Ziel zu erreichen; was aber die Hauptsache
war, die Dinge hatten durch Crassus' rechtzeitige Nachgiebigkeit sich so
gestaltet, dass Pompeius nur die Wahl blieb, entweder geradezu als Tyrann von
Rom auf- oder zurueckzutreten. So gab er endlich nach und willigte in die
Entlassung der Truppen. Das Kommando im Mithradatischen Krieg, das zu erlangen
er ohne Zweifel hoffte, als er sich fuer 684 (70) zum Konsul hatte waehlen
lassen, konnte er jetzt nicht wuenschen, da mit dem Feldzuge von 683 (71)
Lucullus diesen Krieg in der Tat beendigt zu haben schien; die vom Senat in
Gemaessheit des Sempronischen Gesetzes ihm angewiesene Konsularprovinz
anzunehmen, hielt er unter seiner Wuerde, und Crassus folgte darin seinem
Beispiel. So zog Pompeius, als er nach Entlassung seiner Soldaten am letzten
Tage des Jahres 684 (70) sein Konsulat niederlegte, sich zunaechst ganz von den
oeffentlichen Geschaeften zurueck und erklaerte, fortan als einfacher Buerger in
stiller Musse leben zu wollen. Er hatte sich so gestellt, dass er nach der Krone
greifen musste und, da er dies nicht wollte, ihm keine Rolle uebrig blieb als
die nichtige eines resignierenden Thronkandidaten.
Der Ruecktritt des Mannes, dem nach der Lage der Sachen die erste Stelle
zukam, vom politischen Schauplatz fuehrte zunaechst ungefaehr dieselbe
Parteistellung wieder herbei, wie wir sie in der gracchischen und marianischen
Epoche fanden. Sulla hatte dem Senat das Regiment nur befestigt, nicht gegeben;
so blieb denn auch dasselbe, nachdem die von Sulla errichteten Bollwerke wieder
gefallen waren, nichtsdestoweniger zunaechst dem Senat, waehrend die Verfassung
freilich, mit der er regierte, im wesentlichen die wiederhergestellte
Gracchische, durchdrungen war von einem der Oligarchie feindlichen Geiste. Die
Demokratie hatte die Wiederherstellung der Gracchischen Verfassung bewirkt; aber
ohne einen neuen Gracchus war diese ein Koerper ohne Haupt, und dass weder
Pompeius noch Crassus auf die Dauer dieses Haupt sein konnten, war an sich klar
und durch die letzten Vorgaenge noch deutlicher dargetan worden. So musste die
demokratische Opposition in Ermangelung eines Fuehrers, der geradezu das Ruder
in die Hand genommen haette, vorlaeufig sich begnuegen, die Regierung auf
Schritt und Tritt zu hemmen und zu aergern. Zwischen der Oligarchie aber und der
Demokratie erhob sich zu neuem Ansehen die Kapitalistenpartei, welche in der
juengsten Krise mit der letzteren gemeinschaftliche Sache gemacht hatte, die
aber zu sich hinueberzuziehen und an ihr ein Gegengewicht gegen die Demokratie
zu gewinnen, die Oligarchen jetzt eifrig bemueht waren. Also von beiden Seiten
umworben, saeumten die Geldherren nicht, ihre vorteilhafte Lage sich zunutze zu
machen und das einzige ihrer frueheren Privilegien, das sie noch nicht
zurueckerlangt hatten, die dem Ritterstand reservierten vierzehn Baenke im
Theater, sich jetzt (687 67) durch Volksschluss wiedergeben zu lassen. Im ganzen
naeherten sie, ohne mit der Demokratie schroff zu brechen, doch wieder mehr sich
der Regierung. Schon die Beziehungen des Senats zu Crassus und seiner Klientel
gehoeren in diesen Zusammenhang; hauptsaechlich aber scheint ein besseres
Verhaeltnis zwischen dem Senat und der Geldaristokratie dadurch hergestellt zu
sein, dass dieser dem tuechtigsten unter den senatorischen Offizieren, Lucius
Lucullus, auf Andringen der von demselben schwer gekraenkten Kapitalisten im
Jahre 686 (68) die Verwaltung der fuer diese so wichtigen Provinz Asia abnahm.
Waehrend aber die hauptstaedtischen Faktionen miteinander des gewohnten
Haders pflegten, bei dem denn doch nimmermehr eine eigentliche Entscheidung
herauskommen konnte, gingen im Osten die Ereignisse ihren verhaengnisvollen
Gang, wie wir ihn frueher geschildert haben, und sie waren es, die den
zoegernden Verlauf der hauptstaedtischen Politik zur Krise draengten. Der Land-
wie der Seekrieg hatte dort die unguenstigste Wendung genommen. Im Anfang des
Jahres 687 (67) war die pontische Armee der Roemer aufgerieben, die armenische
in voller Aufloesung auf dem Rueckzug, alle Eroberungen verloren, das Meer
ausschliesslich in der Gewalt der Piraten, die Kornpreise in Italien dadurch so
in die Hoehe getrieben, dass man eine foermliche Hungersnot befuerchtete. Wohl
hatten, wie wir sahen, die Fehler der Feldherren, namentlich die voellige
Unfaehigkeit des Admirals Marcus Antonius und die Verwegenheit des sonst
tuechtigen Lucius Lucullus, diesen Notstand zum Teil verschuldet, wohl auch die
Demokratie durch ihre Wuehlereien zu der Aufloesung des armenischen Heeres
wesentlich beigetragen. Aber natuerlich ward die Regierung jetzt fuer alles, was
sie und was andere verdorben hatten, in Bausch und Bogen verantwortlich gemacht
und die grollende hungrige Menge verlangte nur eine Gelegenheit, um mit dem
Senat abzurechnen.
Es war eine entscheidende Krise. Die Oligarchie, wie auch herabgewuerdigt
und entwaffnet, war noch nicht gestuerzt, dennoch lag die Fuehrung der
oeffentlichen Angelegenheiten in den Haenden des Senats; sie stuerzte aber, wenn
die Gegner diese, dass heisst namentlich die Oberleitung der militaerischen
Angelegenheiten, sich selber zueigneten; und jetzt war dies moeglich. Wenn jetzt
Vorschlaege ueber eine andere und bessere Fuehrung des Land- und Seekrieges an
die Komitien gebracht wurden, so war bei der Stimmung der Buergerschaft der
Senat voraussichtlich nicht imstande, deren Durchsetzung zu verhindern; und eine
Intervention der Buergerschaft in diesen hoechsten Verwaltungsfragen war
tatsaechlich die Absetzung des Senats und die Uebertragung der Leitung des
Staats an die Fuehrer der Opposition. Wieder einmal brachte die Verkettung der
Dinge die Entscheidung in die Haende des Pompeius. Seit mehr als zwei Jahren
lebte der gefeierte Feldherr als Privatmann in der Hauptstadt. Seine Stimme ward
im Rathaus wie auf dem Markte selten vernommen; dort war er nicht gern gesehen
und ohne entscheidenden Einfluss, hier scheute er sich vor dem stuermischen
Treiben der Parteien. Wenn er aber sich zeigte, geschah es mit dem
vollstaendigen Hofstaat seiner vornehmen und geringen Klienten, und eben seine
feierliche Zurueckgezogenheit imponierte der Menge. Wenn er, an dem der volle
Glanz seiner ungemeinen Erfolge noch unvermindert haftete, jetzt sich erbot,
nach dem Osten abzugehen, so ward er ohne Zweifel mit aller von ihm selbst
geforderten militaerischen und politischen Machtvollkommenheit von der
Buergerschaft bereitwillig bekleidet. Fuer die Oligarchie, die in der
politischen Militaerdiktatur ihren sicheren Ruin, in Pompeius selbst seit der
Koalition von 683 (71) ihren verhasstesten Feind sah, war dies ein vernichtender
Schlag; aber auch der demokratischen Partei konnte dabei nicht wohl zu Mute
sein. So wuenschenswert es ihr an sich sein musste, dem Regiment des Senats ein
Ende zu machen, so war es doch, wenn es in dieser Weise geschah, weit weniger
ein Sieg ihrer Partei als ein persoenlicher ihres uebermaechtigen Verbuendeten.
Leicht konnte in diesem der demokratischen Partei ein weit gefaehrlicherer
Gegner aufstehen als der Senat war. Die wenige Jahre zuvor durch die Entlassung
der spanischen Armee und Pompeius' Ruecktritt gluecklich vermiedene Gefahr
kehrte in verstaerktem Masse wieder, wenn Pompeius jetzt an die Spitze der
Armeen des Ostens trat.
Diesmal indes griff Pompeius zu oder liess es wenigstens geschehen, dass
andere fuer ihn zugriffen. Es wurden im Jahre 687 (67) zwei Gesetzvorschlaege
eingebracht, von denen der eine ausser der laengst von der Demokratie
geforderten Entlassung der ausgedienten Soldaten der asiatischen Armee die
Abberufung des Oberfeldherrn derselben, Lucius Lucullus, und dessen Ersetzung
durch einen der Konsuln des laufenden Jahres, Gaius Piso oder Manius Glabrio,
verfuegte, der zweite den sieben Jahre zuvor zur Reinigung der Meere von den
Piraten vom Senat selbst aufgestellten Plan wiederaufnahm und erweiterte. Ein
einziger, vom Senat aus den Konsularen zu bezeichnender Feldherr sollte bestellt
werden, um zur See auf dem gesamten Mittellaendischen Meer von den Saeulen des
Herkules bis an die pontische und syrische Kueste ausschliesslich, zu Lande
ueber saemtliche Kuesten bis zehn deutsche Meilen landeinwaerts mit den
betreffenden roemischen Statthaltern konkurrierend, den Oberbefehl zu
uebernehmen. Auf drei Jahre hinaus war demselben das Amt gesichert. Ihn umgab
ein Generalstab, wie Rom noch keinen gesehen hatte, von fuenfundzwanzig
Unterbefehlshabern senatorischen Standes, alle mit praetorischen Insignien und
praetorischer Gewalt bekleidet, und von zwei Unterschatzmeistern mit
quaestorischen Befugnissen, sie alle erlesen durch den ausschliesslichen Willen
des hoechstkommandierenden Feldherrn. Es ward demselben gestattet, bis zu 120000
Mann Fussvolk, 5000 Reitern, 500 Kriegsschiffen aufzustellen und zu dem Ende
ueber die Mittel der Provinzen und Klientelstaaten unbeschraenkt zu verfuegen;
ueberdies wurden die vorhandenen Kriegsschiffe und eine ansehnliche Truppenzahl
sofort ihm ueberwiesen. Die Kassen des Staats in der Hauptstadt wie in den
Provinzen sowie die der abhaengigen Gemeinden sollten ihm unbeschraenkt zu Gebot
stehen und trotz der peinlichen Finanznot sofort aus der Staatskasse ihm eine
Summe von 11 Mill. Talern (144 Mill. Sesterzen) ausgezahlt werden.
Es leuchtet ein, dass durch diese Gesetzentwuerfe, namentlich durch den die
Expedition gegen die Piraten betreffenden, das Regiment des Senats ueber den
Haufen fiel. Wohl waren die von der Buergerschaft ernannten ordentlichen
hoechsten Beamten von selbst die rechten Feldherren der Gemeinde und bedurften
auch die ausserordentlichen Beamten, um Feldherren sein zu koennen, wenigstens
nach strengem Recht der Bestaetigung durch die Buergerschaft; aber auf die
Besetzung der einzelnen Kommandos stand der Gemeinde verfassungsmaessig kein
Einfluss zu und nur entweder auf Antrag des Senats oder doch auf Antrag eines an
sich zum Feldherrnamt berechtigten Beamten hatten bisher die Komitien hin und
wieder hier sich eingemischt und auch die spezielle Kompetenz vergeben. Hierin
stand vielmehr, seit es einen roemischen Freistaat gab, dem Senate das
tatsaechlich entscheidende Wort zu und es war diese seine Befugnis im Laufe der
Zeit zu endgueltiger Anerkennung gelangt. Freilich hatte die Demokratie auch
hieran schon geruettelt; allein selbst in dem bedenklichsten der bisher
vorgekommenen Faelle, bei der Uebertragung des afrikanischen Kommandos auf Gaius
Marius 647 (107), war nur ein verfassungsmaessig zum Feldherrnamt ueberhaupt
berechtigter Beamter durch den Schluss der Buergerschaft mit einer bestimmten
Expedition beauftragt worden. Aber jetzt sollte die Buergerschaft einen
beliebigen Privatmann nicht bloss mit der ausserordentlichen hoechsten
Amtsgewalt ausstatten, sondern auch mit einer bestimmt von ihr normierten
Kompetenz. Dass der Senat diesen Mann aus der Reihe der Konsulare zu erkiesen
hatte, war eine Milderung nur in der Form; denn die Auswahl blieb demselben nur
deshalb ueberlassen, weil es eben eine Wahl nicht war und der stuermisch
aufgeregten Menge gegenueber der Senat den Oberbefehl der Meere und Kuesten
schlechterdings keinem andern uebertragen konnte als einzig dem Pompeius. Aber
bedenklicher noch als diese prinzipielle Negierung der Senatsherrschaft war die
tatsaechliche Aufhebung derselben durch die Einrichtung eines Amtes von fast
unbeschraenkter militaerischer und finanzieller Kompetenz. Waehrend das
Feldherrnamt sonst auf eine einjaehrige Frist, auf eine bestimmte Provinz, auf
streng zugemessene militaerische und finanzielle Hilfsmittel beschraenkt war,
war dem neuen ausserordentlichen Amt von vornherein eine dreijaehrige Dauer
gesichert, die natuerlich weitere Verlaengerung nicht ausschloss, war demselben
der groesste Teil der saemtlichen Provinzen, ja sogar Italien selbst, das sonst
von militaerischer Amtsgewalt frei war, untergeordnet, waren ihm die Soldaten,
Schiffe, Kassen des Staats fast unbeschraenkt zur Verfuegung gestellt. Selbst
der eben erwaehnte uralte Fundamentalsatz des republikanisch-roemischen
Staatsrechts, dass die hoechste militaerische und buergerliche Amtsgewalt nicht
ohne Mitwirkung der Buergerschaft vergeben werden koenne, ward zu Gunsten des
neuen Oberfeldherrn gebrochen: indem das Gesetz den fuenfundzwanzig Adjutanten,
die er sich ernennen wuerde, im voraus praetorischen Rang und praetorische
Befugnisse verlieh ^1, wurde das hoechste Amt des republikanischen Rom einem neu
geschaffenen untergeordnet, fuer das den geeigneten Namen zu finden der Zukunft
ueberlassen blieb, das aber der Sache nach schon jetzt die Monarchie in sich
enthielt. Es war eine vollstaendige Umwaelzung der bestehenden Ordnung, zu der
mit diesem Gesetzvorschlag der Grund gelegt ward.
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^1 Die ausserordentliche Amtsgewalt (pro consule, pro praetore, pro
quaestore) konnte nach roemischem Staatsrecht in dreifacher Weise entstehen.
Entweder ging sie hervor aus dem fuer die nichtstaedtische Amtstaetigkeit
geltenden Grundsatz, dass das Amt bis zu dem gesetzlichen Endtermin, die
Amtsgewalt aber bis zum Eintreffen des Nachfolgers fortdauert, was der aelteste,
einfachste und haeufigste Fall ist. Oder sie entstand auf dem Wege, dass die
beikommenden Organe, namentlich die Komitien, in spaeterer Zeit auch wohl der
Senat, einen nicht in der Verfassung vorgesehenen Oberbeamten ernannten, indem
dieser zwar sonst dem ordentlichen Beamten gleichstand, aber doch zum
Kennzeichen der Ausserordentlichkeit seines Amtes sich nur "an Praetors" oder
"an Konsuls Statt" nannte. Hierher gehoeren auch die in ordentlichem Wege zu
Quaestoren ernannten, dann aber ausserordentlicherweise mit praetorischer oder
gar konsularischer Amtsgewalt ausgestatteten Beamten (quaestores pro praetore
oder pro consule), in welcher Eigenschaft zum Beispiel Publius Lentulus
Marcellinus 679 (73) nach Kyrene (Sall. hist. 2, 39 Dietsch), Gnaeus Piso 689
(65) nach dem Diesseitigen Spanien (Sall. Cat. 19), Cato 696 (58) nach Kypros
(Vell. 2, 45) gingen. Oder endlich es beruht die ausserordentliche Amtsgewalt
auf dem Mandierungsrecht des hoechsten Beamten. Derselbe ist, wenn er seinen
Amtsbezirk verlaesst oder sonst behindert ist, sein Amt zu versehen, befugt,
einen seiner Leute zu seinem Stellvertreter zu ernennen, welcher dann legatus
pro praetore (Sall. Iug. 36-38) oder wenn die Wahl auf den Quaestor faellt,
quaestor pro praetore (Sall. Iug. 103) heisst. In gleicher Weise ist er befugt,
wenn er keinen Quaestor hat, dessen Geschaefte durch einen seines Gefolges
versehen zu lassen, welcher dann legatus pro quaestore heisst und mit diesem
Namen wohl zuerst auf den makedonischen Tetradrachmen des Sura,
Unterbefehlshabers des Statthalters von Makedonien 665-667 (89-87) begegnet. Das
aber ist dem Wesen der Mandierung zuwider und darum nach aelterem Staatsrecht
unzulaessig, dass der hoechste Beamte, ohne in seiner Funktionierung gehindert
zu sein, gleich bei Antritt seines Amtes von vornherein einen oder mehrere
seiner Untergebenen mit hoechster Amtsgewalt ausstattet; und insofern sind die
legati pro praetore des Prokonsuls Pompeius eine Neuerung und schon denen
gleichartig, die in der Kaiserzeit eine so grosse Rolle spielen.
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Diese Massregeln eines Mannes, der soeben noch von seiner Halbheit und
Schwaeche so auffallende Beweise geliefert hatte, befremden durch ihre
durchgreifende Energie. Indes ist es doch wohl erklaerlich, dass Pompeius
diesmal entschlossener verfuhr als waehrend seines Konsulats. Handelte es sich
doch nicht darum, sofort als Monarch aufzutreten, sondern die Monarchie
zunaechst nur vorzubereiten durch eine militaerische Ausnahmemassregel, die, wie
revolutionaer sie ihrem Wesen nach war, doch noch in den Formen der bestehenden
Verfassung vollzogen werden konnte, und die zunaechst Pompeius dem alten Ziel
seiner Wuensche, dem Kommando gegen Mithradates und Tigranes, entgegenfuehrte.
Auch gewichtige Zweckmaessigkeitsgruende sprachen fuer die Emanzipation der
Militaergewalt von dem Senat. Pompeius konnte nicht vergessen haben, dass ein
nach ganz gleichen Grundsaetzen angelegter Plan zur Unterdrueckung der Piraterie
wenige Jahre zuvor an der verkehrten Ausfuehrung durch den Senat gescheitert,
dass der Ausgang des Spanischen Krieges durch die Vernachlaessigung der Heere
von sehen des Senats und dessen unverstaendige Finanzwirtschaft aufs hoechste
gefaehrdet worden war; er konnte nicht uebersehen, wie die grosse Majoritaet der
Aristokratie gegen ihn, den abtruennigen Sullaner, gesinnt war und welchem
Schicksal er entgegenging, wenn er als Feldherr der Regierung mit der
gewoehnlichen Kompetenz sich nach dem Osten senden liess. Begreiflich ist es
daher, dass er als die erste Bedingung der Uebernahme des Kommandos eine vom
Senat unabhaengige Stellung bezeichnete und dass die Buergerschaft bereitwillig
darauf einging. Es ist ferner in hohem Grade wahrscheinlich, dass Pompeius
diesmal durch seine Umgebungen, die ueber sein Zurueckweichen vor zwei Jahren
vermutlich nicht wenig ungehalten waren, zu rascherem Handeln fortgerissen ward.
Die Gesetzvorschlaege ueber Lucullus' Abberufung und die Expedition gegen die
Piraten wurden eingebracht von dem Volkstribun Aulus Gabinius, einem oekonomisch
und sittlich ruinierten Mann, aber einem gewandten Unterhaendler, dreisten
Redner und tapferen Soldaten. So wenig ernsthaft auch Pompeius' Beteuerungen
gemeint waren, dass er den Oberbefehl in dem Seeraeuberkriege durchaus nicht
wuensche und nur nach haeuslicher Ruhe sich sehne, so ist doch davon
wahrscheinlich so viel wahr, dass der kecke und bewegliche Klient, der mit
Pompeius und dessen engerem Kreise im vertraulichen Verkehr stand und die
Verhaeltnisse und die Menschen vollkommen durchschaute, seinem kurzsichtigen und
unbehilflichen Patron die Entscheidung zum guten Teil ueber den Kopf nahm.
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Die Demokratie, wie unzufrieden ihre Fuehrer im stillen sein mochten,
konnte doch nicht wohl oeffentlich gegen den Gesetzvorschlag auftreten. Die
Durchbringung desselben haette sie allem Anschein nach auf keinen Fall zu
hindern vermocht, wohl aber durch Opposition dagegen mit Pompeius offen
gebrochen und dadurch ihn genoetigt, entweder der Oligarchie sich zu naehern
oder gar beiden Parteien gegenueber seine persoenliche Politik ruecksichtslos zu
verfolgen. Es blieb den Demokraten nichts uebrig, als ihre Allianz mit Pompeius,
wie hohl sie immer war, auch diesmal noch festzuhalten und diese Gelegenheit zu
ergreifen, um wenigstens den Senat endlich definitiv zu stuerzen und aus der
Opposition in das Regiment ueberzugehen, das weitere aber der Zukunft und
Pompeius' wohlbekannter Charakterschwaeche zu ueberlassen. So unterstuetzten
denn auch ihre Fuehrer, der Praetor Lucius Quinctius, derselbe, der sieben Jahre
zuvor fuer die Wiederherstellung der tribunizischen Gewalt taetig gewesen war,
und der gewesene Quaestor Gaius Caesar, die Gabinischen Gesetzvorschlaege.
Die privilegierten Klassen waren ausser sich, nicht bloss die Nobilitaet,
sondern ebenso die kaufmaennische Aristokratie, die auch ihre Sonderrechte durch
eine so gruendliche Staatsumwaelzung bedroht fuehlte und wieder einmal ihren
rechten Patron in dem Senat erkannte. Als der Tribun Gabinius nach Einbringung
seiner Antraege in der Kurie sich zeigte, fehlte nicht viel, dass ihn die Vaeter
der Stadt mit eigenen Haenden erwuergt haetten, ohne in ihrem Eifer zu erwaegen,
wie hoechst unvorteilhaft diese Methode zu argumentieren fuer sie ablaufen
wusste. Der Tribun entkam auf den Markt und rief die Menge auf, das Rathaus zu
stuermen, als eben zur rechten Zeit noch die Sitzung aufgehoben ward. Der Konsul
Piso, der Vorkaempfer der Oligarchie, der zufaellig der Menge in die Haende
geriet, waere sicher ein Opfer der Volkswut geworden, wenn nicht Gabinius
darueber zugekommen waere und, um nicht durch unzeitige Freveltaten seinen
gewissen Erfolg auf das Spiel zu stellen, den Konsul befreit haette. Inzwischen
blieb die Erbitterung der Menge unvermindert und fand stets neue Nahrung in den
hohen Getreidepreisen und den zahlreichen, zum Teil ganz tollen Geruechten, zum
Beispiel, dass Lucius Lucullus die ihm zur Kriegfuehrung ueberwiesenen Gelder
teils in Rom zinsbar belegt, teils mit denselben den Praetor Quinctius der Sache
des Volkes abwendig zu machen versucht habe; dass der Senat dem "zweiten
Romulus", wie man Pompeius nannte, das Schicksal des ersten ^2 zu bereiten
gedenke und dergleichen mehr. Darueber kam der Tag der Abstimmung heran. Kopf an
Kopf gedraengt stand die Menge auf dem Markte; bis an die Daecher hinauf waren
alle Gebaeude, von wo aus die Rednerbuehne gesehen werden konnte, mit Menschen
bedeckt. Saemtliche Kollegen des Gabinius hatten dem Senat die Interzession
zugesagt: aber den brausenden Wogen der Massen gegenueber schwiegen alle bis auf
den einzigen Lucius Trebellius, der sich und dem Senat geschworen hatte, lieber
zu sterben als zu weichen. Als dieser interzedierte, unterbrach Gabinius
sogleich die Abstimmung ueber seine Gesetzvorschlaege und beantragte bei dem
versammelten Volke, mit seinem widerstrebenden Kollegen zu verfahren, wie einst
auf Tiberius Gracchus' Antrag mit dem Octavius verfahren war, das heisst ihn
sofort seines Amtes zu entsetzen. Es ward abgestimmt und die Verlesung der
Stimmtafeln begann; als die ersten siebzehn Bezirke, die zur Verlesung kamen,
sich fuer den Antrag erklaerten und die naechste bejahende Stimme demselben die
Majoritaet gab, zog Trebellius, seines Eides vergessend, die Interzession
kleinmuetig zurueck. Vergeblich bemuehte sich darauf der Tribun Otho zu
bewirken, dass wenigstens die Kollegialitaet gewahrt und statt eines Feldherrn
zwei gewaehlt werden moechten; vergeblich strengte der hochbejahrte Quintus
Catulus, der geachtetste Mann im Senat, seine letzten Kraefte dafuer an, dass
die Unterfeldherren nicht vom Oberfeldherrn ernannt, sondern vom Volke gewaehlt
werden moechten. Otho konnte in dem Toben der Menge nicht einmal sich Gehoer
verschaffen; dem Catulus verschaffte es Gabinius' wohlberechnete
Zuvorkommenheit, und in ehrerbietigem Schweigen horchte die Menge den Worten des
Greises; aber verloren waren sie darum nicht minder. Die Vorschlaege wurden
nicht bloss mit allen Klauseln unveraendert zum Gesetz erhoben, sondern auch,
was Pompeius noch im einzelnen nachtraeglich begehrte, augenblicklich und
vollstaendig bewilligt.
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^2 Der Sage nach ward Koenig Romulus von den Senatoren in Stuecke
zerrissen.
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Mit hochgespannten Hoffnungen sah man die beiden Feldherren Pompeius und
Glabrio nach ihren Bestimmungsorten abgehen. Die Kornpreise waren nach dem
Durchgehen der Gabinischen Gesetze sogleich auf die gewoehnlichen Saetze
zurueckgegangen: ein Beweis, welche Hoffnungen an die grossartige Expedition und
ihren ruhmvollen Fuehrer sich knuepften. Sie wurden, wie spaeter erzaehlt wird,
nicht bloss erfuellt, sondern uebertroffen; in drei Monaten war die Saeuberung
der Meere vollendet. Seit dem Hannibalischen Kriege war die roemische Regierung
nicht mit solcher Energie nach aussen hin aufgetreten; gegenueber der schlaffen
und unfaehigen Verwaltung der Oligarchie hatte die demokratisch-militaerische
Opposition auf das glaenzendste ihren Beruf dargetan, die Zuegel des Staates zu
fassen und zu lenken. Die ebenso unpatriotischen wie ungeschickten Versuche des
Konsuls Piso, den Anstalten des Pompeius zu Unterdrueckung der Piraterie im
Narbonensischen Gallien kleinliche Hindernisse in den Weg zu legen, steigerten
nur die Erbitterung der Buergerschaft gegen die Oligarchie und ihren
Enthusiasmus fuer Pompeius: einzig dessen persoenliche Dazwischenkunft
verhinderte es, dass die Volksversammlung nicht den Konsul kurzweg seines Amtes
entsetzte.
Inzwischen war auf dem asiatischen Festland die Verwirrung nur noch aerger
geworden. Glabrio, der an Lucullus' Stelle den Oberbefehl gegen Mithradates und
Tigranes uebernehmen sollte, war in Vorderasien sitzen geblieben und hatte zwar
durch verschiedene Proklamationen die Soldaten gegen Lucullus aufgestiftet, aber
den Oberbefehl nicht angetreten, so dass Lucullus denselben fortzufuehren
gezwungen war. Gegen Mithradates war natuerlich nichts geschehen; die pontischen
Reiter pluenderten ungescheut und ungestraft in Bithynien und Kappadokien. Durch
den Piratenkrieg war auch Pompeius veranlasst worden, sich mit seinem Heer nach
Kleinasien zu begeben; nichts lag naeher, als ihm den Oberbefehl in dem
Pontisch-Armenischen Kriege zu uebertragen, dem er selbst seit langem
nachtrachtete. Allein die demokratische Partei in Rom teilte begreiflicherweise
die Wuensche ihres Generals nicht und huetete sich wohl, hierin die Initiative
zu ergreifen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie den Gabinius bestimmt hatte,
den Mithradatischen und den Piratenkrieg nicht von vornherein beide zugleich an
Pompeius, sondern den ersteren an Glabrio zu uebertragen; auf keinen Fall konnte
sie jetzt die Ausnahmestellung des schon allzumaechtigen Feldherrn steigern und
verewigen wollen. Auch Pompeius selbst verhielt nach seiner Gewohnheit sich
leidend, und vielleicht waere er in der Tat nach Vollziehung des ihm gewordenen
Auftrags heimgekehrt, wenn nicht ein allen Parteien unerwarteter Zwischenfall
eingetreten waere. Ein gewisser Gaius Manilius, ein ganz nichtiger und
unbedeutender Mensch, hatte als Volkstribun es durch seine ungeschickten
Gesetzvorschlaege zugleich mit der Aristokratie und der Demokratie verdorben. In
der Hoffnung, sich unter des maechtigen Feldherrn Fluegeln zu bergen, wenn er
diesem verschaffe, was er, wie jedem bekannt war, sehnlichst wuenschte, aber
doch zu fordern sich nicht getraute, stellte er bei der Buergerschaft den
Antrag, die Statthalter Glabrio aus Bithynien und Pontos, Marcius Rex aus
Kilikien abzuberufen und diese Aemter sowie die Fuehrung des Krieges im Osten,
wie es scheint ohne bestimmte Zeitgrenze und jedenfalls mit der freiesten
Befugnis, Frieden und Buendnis zu schliessen, dem Prokonsul der Meere und
Kuesten neben seinem bisherigen Amte zu uebertragen (Anfang 688 66). Es zeigte
hier sich einmal recht deutlich, wie zerruettet die roemische
Verfassungsmaschine war, seit die gesetzgeberische Gewalt teils der Initiative
nach jedem noch so geringen Demagogen, und der Beschlussfassung nach der
unmuendigen Menge in die Haende gegeben, teils auf die wichtigsten
Verwaltungsfragen erstreckt war. Der Manilische Vorschlag war keiner der
politischen Parteien genehm; dennoch fand er kaum irgendwo ernstlichen
Widerstand. Die demokratischen Fuehrer konnten aus denselben Gruenden, die sie
gezwungen hatten, das Gabinische Gesetz sich gefallen zu lassen, es nicht wagen,
sich dem Manilischen geradezu zu widersetzen; sie verschlossen ihren Unwillen
und ihre Besorgnisse in sich und redeten oeffentlich fuer den Feldherrn der
Demokratie. Die gemaessigten Optimaten erklaerten sich fuer den Manilischen
Antrag, weil nach dem Gabinischen Gesetz der Widerstand auf jeden Fall
vergeblich war und weiterblickende Maenner schon damals erkannten, dass es fuer
den Senat die richtige Politik sei, sich Pompeius moeglichst zu naehern und bei
dem vorauszusehenden Bruch zwischen ihm und den Demokraten ihn auf ihre Seite
hinueberzuziehen. Die Maenner des Schaukelsystems endlich segneten den Tag, wo
auch sie eine Meinung zu haben scheinen und entschieden auftreten konnten, ohne
es mit einer der Parteien zu verderben - es ist bezeichnend, dass mit der
Verteidigung des Manilischen Antrags Marcus Cicero zuerst die politische
Rednerbuehne betrat. Einzig die strengen Optimaten, Quintus Catulus an der
Spitze, zeigten wenigstens Farbe und sprachen gegen den Vorschlag. Natuerlich
wurde derselbe mit einer an Einstimmigkeit grenzenden Majoritaet zum Gesetz
erhoben. Pompeius erhielt dadurch zu seiner frueheren ausgedehnten Machtfuelle
noch die Verwaltung der wichtigsten kleinasiatischen Provinzen, so dass es
innerhalb der weiten roemischen Grenzen kaum noch einen Fleck Landes gab, der
ihm nicht gehorcht haette, und die Fuehrung eines Krieges, von dem man, wie von
Alexanders Heerfahrt, wohl sagen konnte, wo und wann er begann, aber nicht, wo
und wann er enden moege. Niemals noch, seit Rom stand, war solche Gewalt in den
Haenden eines einzigen Mannes vereinigt gewesen.
Die Gabinisch-Manilischen Antraege beendigten den Kampf zwischen dem Senat
und der Popularpartei, den vor siebenundsechzig Jahren die Sempronischen Gesetze
begonnen hatten. Wie die Sempronischen Gesetze die Revolutionspartei zunaechst
als politische Opposition konstituierten, so ging dieselbe mit den Gabinisch-
Manilischen ueber aus der Opposition in das Regiment; und wie es ein
grossartiger Moment gewesen war, als mit der vergeblichen Interzession des
Octavius der erste Bruch in die bestehende Verfassung geschah, so war es nicht
minder ein bedeutungsvoller Augenblick, als mit dem Ruecktritt des Trebellius
das letzte Bollwerk des senatorischen Regiments zusammenbrach. Auf beiden Seiten
ward dies wohl empfunden, und selbst die schlaffen Senatorenseelen zuckten auf
in diesem Todeskampf; aber es lief doch die Verfassungsfehde in gar anderer und
gar viel kuemmerlicherer Weise zu Ende, als sie angefangen hatte. Ein in jedem
Sinne adliger Juengling hatte die Revolution eroeffnet; sie ward beschlossen
durch kecke Intriganten und Demagogen des niedrigsten Schlages. Wenn
andererseits die Optimaten mit gemessenem Widerstand, mit einer selbst auf den
verlorenen Posten ernst ausharrenden Verteidigung begonnen hatten, so endigten
sie mit der Initiative zum Faustrecht, mit grosswortiger Schwaeche und
jaemmerlichem Eidbruch. Es war nun erreicht, was einst als ein kecker Traum
erschienen war: der Senat hatte aufgehoert zu regieren. Aber wenn die einzelnen
alten Maenner, die noch die ersten Stuerme der Revolution gesehen, die Worte der
Gracchen vernommen hatten, jene Zeit und diese miteinander verglichen, so fanden
sie alles inzwischen veraendert, Landschaft und Buergerschaft, Staatsrecht und
Kriegszucht, Leben und Sitte, und wohl mochte schmerzlich laecheln, wer die
Ideale der Gracchenzeit mit ihrer Realisierung verglich. Indes solche
Betrachtungen gehoerten der Vergangenheit an. Fuer jetzt und wohl auch fuer die
Zukunft war der Sturz der Aristokratie eine vollendete Tatsache. Die Oligarchen
glichen einer vollstaendig aufgeloesten Armee, deren versprengte Haufen noch
eine andere Heeresmasse verstaerken, aber selbst nirgends mehr das Feld halten,
noch auf eigene Rechnung ein Gefecht wagen konnten. Aber indem der alte Kampf zu
Ende lief, bereitete zugleich ein neuer sich vor: der Kampf der beiden bisher
zum Sturz der aristokratischen Staatsverfassung verbuendeten Maechte, der
buergerlich demokratischen Opposition und der immer uebermaechtiger
aufstrebenden Militaergewalt. Pompeius' Ausnahmestellung war schon nach dem
Gabinischen, um wie viel mehr nach dem Manilischen Gesetz mit einer
republikanischen Staatsordnung unvereinbar. Er war, wie schon damals die Gegner
mit gutem Grund sagten, durch das Gabinische Gesetz nicht zum Admiral, sondern
zum Reichsregenten bestellt worden; nicht mit Unrecht heisst er einem mit den
oestlichen Verhaeltnissen vertrauten Griechen "Koenig der Koenige". Wenn er
dereinst, wiederum siegreich und mit erhoehtem Ruhm, mit gefuellten Kassen, mit
schlagfertigen und ergebenen Truppen zurueckkehrt aus dem Osten, nach der Krone
die Hand ausstreckte - wer wollte dann ihm in den Arm fallen? Sollte etwa gegen
den ersten Feldherrn seiner Zeit und seine erprobten Legionen der Konsular
Quintus Catulus die Senatoren aufbieten? Oder der designierte Aedil Gaius Caesar
die staedtische Menge, deren Augen er soeben an seinen dreihundertzwanzig
silbergeruesteten Fechterpaaren geweidet hatte? Bald werde man, rief Catulus,
abermals auf die Felsen des Kapitols fluechten muessen, um die Freiheit zu
retten. Es war nicht die Schuld des Propheten, wenn der Sturm nicht, wie er
meinte, von Osten kam, sondern das Schicksal, buchstaeblicher als er selbst es
ahnte seine Worte erfuellend, das vernichtende Unwetter wenige Jahre spaeter aus
dem Keltenland heranfuehrte.
4. Kapitel
Pompeius und der Osten
Wir haben frueher gesehen, wie trostlos im Osten zu Lande und zur See die
Angelegenheiten Roms standen, als im Anfang des Jahres 687 (67) Pompeius
zunaechst die Fuehrung des Krieges gegen die Piraten mit beinahe unumschraenkter
Machtvollkommenheit uebernahm. Er begann damit, das ungeheure ihm ueberwiesene
Gebiet in dreizehn Bezirke zu teilen und jeden derselben einem seiner
Unterfeldherren zu ueberweisen, um daselbst Schiffe und Mannschaften zu ruesten,
die Kuesten abzusuchen und die Piratenboote aufzubringen oder einem der Kollegen
ins Garn zu jagen. Er selbst ging mit dem besten Teil der vorhandenen
Kriegsschiffe, unter denen auch diesmal die rhodischen sich auszeichneten, frueh
im Jahr in See und reinigte zunaechst die sizilischen, afrikanischen und
sardischen Gewaesser, um vor allem die Getreidezufuhr aus diesen Provinzen nach
Italien wieder in Gang zu bringen. Fuer die Saeuberung der spanischen und
gallischen Kuesten sorgten inzwischen die Unterfeldherren. Es war bei dieser
Gelegenheit, dass der Konsul Gaius Piso von Rom aus die Aushebungen zu hemmen
versuchte, welche Pompeius' Legat Marcus Pomponius kraft des Gabinischen
Gesetzes in der Provinz Narbo veranstaltete - ein unkluges Beginnen, dem zu
steuern und zugleich die gerechte Erbitterung der Menge gegen den Konsul in den
gesetzlichen Schranken zu halten Pompeius voruebergehend wieder in Rom erschien.
Als nach vierzig Tagen im westlichen Becken des Mittelmeers die Schiffahrt
ueberall freigemacht war, ging Pompeius mit seinen sechzig besten Fahrzeugen
weiter in das oestliche Meer, zunaechst nach dem Ur- und Hauptsitz der
Piraterie, den lykischen und kilikischen Gewaessern. Auf die Kunde von dem
Herannahen der roemischen Flotte verschwanden nicht bloss die Piratenkaehne
ueberall von der offenen See; auch die starken lykischen Festen Antikragos und
Kragos ergaben sich, ohne ernstlichen Widerstand zu leisten. Mehr noch als die
Furcht oeffnete Pompeius' wohlberechnete Milde die Tore dieser schwer
zugaenglichen Seeburgen. Seine Vorgaenger hatten jeden gefangenen Seeraeuber ans
Kreuz heften lassen; er gab ohne Bedenken allen Quartier und behandelte
namentlich die auf den genommenen Piratenbooten vorgefundenen gemeinen Ruderer
mit ungewohnter Nachsicht. Nur die kuehnen kilikischen Seekoenige wagten einen
Versuch, wenigstens ihre eigenen Gewaesser mit den Waffen gegen die Roemer zu
behaupten: nachdem sie ihre Kinder und Frauen und ihre reichen Schaetze in die
Bergschloesser des Taurus gefluechtet hatten, erwarteten sie die roemische
Flotte an der Westgrenze Kilikiens, auf der Hoehe von Korakesion. Aber Pompeius'
wohlbemannte und mit allem Kriegszeug wohlversehene Schiffe erfochten hier einen
vollstaendigen Sieg. Ohne weiteres Hindernis landete er darauf und begann die
Bergschloesser der Korsaren zu stuermen und zu brechen, waehrend er fortfuhr,
ihnen selbst als Preis der Unterwerfung Freiheit und Leben zu bieten. Bald gab
die grosse Menge es auf, in ihren Burgen und Bergen einen hoffnungslosen Krieg
fortzusetzen und bequemte sich zur Ergebung. Neunundvierzig Tage nachdem
Pompeius in der oestlichen See erschienen, war Kilikien unterworfen und der
Krieg zu Ende. Die rasche Ueberwaeltigung der Piraterie war eine grosse
Erleichterung, aber keine grossartige Tat: mit den Hilfsmitteln des roemischen
Staates, die in verschwenderischem Masse waren aufgeboten worden, konnten die
Korsaren so wenig sich messen als die vereinigten Diebesbanden einer grossen
Stadt mit einer wohlorganisierten Polizei. Es war naiv, eine solche Razzia als
einen Sieg zu feiern. Aber verglichen mit dem langjaehrigen Bestehen und der
grenzenlosen, taeglich weiter um sich greifenden Ausdehnung des Uebels ist es
erklaerlich, dass die ueberraschend schnelle Ueberwaeltigung der gefuerchteten
Piraten auf das Publikum den gewaltigsten Eindruck machte; um so mehr, da dies
die erste Probe des in einer Hand zentralisierten Regiments war und die Parteien
gespannt darauf harrten, ob es verstehen werde, besser als das kollegialische zu
regieren. Gegen 400 Schiffe und Boote, darunter 90 eigentliche Kriegsfahrzeuge,
wurden teils von Pompeius genommen, teils ihm ausgeliefert; im ganzen sollen an
1300 Piratenfahrzeuge zugrunde gerichtet und ausserdem die reichgefuellten
Arsenale und Zeughaeuser der Flibustier in Flammen aufgegangen sein. Von den
Seeraeubern waren gegen 10000 umgekommen, ueber 20000 dem Sieger lebend in die
Haende gefallen, wogegen Publius Clodius, der Flottenfuehrer der in Kilikien
stehenden roemischen Armee, und eine Menge anderer von den Piraten
weggefuehrter, zum Teil daheim laengst tot geglaubter Individuen durch Pompeius
ihre Freiheit wiedererlangten. Im Sommer 687 (67), drei Monate nach dem Beginn
des Feldzugs, gingen Handel und Wandel wieder ihren gewohnten Gang und anstatt
der frueheren Hungersnot herrschte in Italien Ueberfluss.
Ein verdriessliches Zwischenspiel auf der Insel Kreta truebte indes
einigermassen diesen erfreulichen Erfolg der roemischen Waffen. Dort stand schon
im zweiten Jahre Quintus Metellus, beschaeftigt, die im wesentlichen bereits
bewirkte Unterwerfung der Insel zu vollenden, als Pompeius in den oestlichen
Gewaessern erschien. Eine Kollision lag nahe, denn nach dem Gabinischen Gesetz
erstreckte sich Pompeius' Kommando konkurrierend mit dem des Metellus auf die
ganze Ianggestreckte, aber nirgends ueber zwanzig deutsche Meilen breite Insel;
doch war Pompeius so ruecksichtsvoll, sie keinem seiner Unterbefehlshaber zu
ueberweisen. Allein die noch widerstrebenden kretischen Gemeinden, die ihre
unterworfenen Landsleute von Metellus mit der grausamsten Strenge zur
Verantwortung hatten ziehen sehen und dagegen die milden Bedingungen vernahmen,
welche Pompeius den ihm sich ergebenden Ortschaften des suedlichen Kleinasiens
zu stellen pflegte, zogen es vor, ihre Gesamtunterwerfung an Pompeius
einzugeben, der sie auch in Pamphylien, wo er eben sich befand, von ihren
Gesandten entgegennahm und ihnen seinen Legaten Lucius Octavius mitgab, um
Metellus den Abschluss der Vertraege anzuzeigen und die Staedte zu uebernehmen.
Kollegialisch war dies Verfahren freilich nicht; allein das formelle Recht war
durchaus auf seiten des Pompeius und Metellus im offenbarsten Unrecht, wenn er,
den Vertrag der Staedte mit Pompeius vollstaendig ignorierend, dieselben als
feindliche zu behandeln fortfuhr. Vergeblich protestierte Octavius; vergeblich
rief er, da er selbst ohne Truppen gekommen war, aus Achaia den dort stehenden
Unterfeldherrn des Pompeius, Lucius Sisenna, herbei; Metellus, weder um Octavius
noch um Sisenna sich bekuemmernd, belagerte Eleutherna und nahm Lappa mit Sturm,
wo Octavius selbst gefangengenommen und beschimpft entlassen, die mit ihm
gefangenen Kreter aber dem Henker ueberliefert wurden. So kam es zu foermlichen
Gefechten zwischen Sisennas Truppen, an deren Spitze nach dieses Fuehrers Tode
sich Octavius stellte, und denen des Metellus; selbst als jene nach Achaia
zurueckkommandiert worden waren, setzte Octavius in Gemeinschaft mit dem Kreter
Aristion den Krieg fort, und Hierapytna, wo beide sich hielten, ward von
Metellus erst nach der hartnaeckigsten Gegenwehr bezwungen.
In der Tat hatte damit der eifrige Optimat Metellus gegen den Oberfeldherrn
der Demokratie auf eigene Hand den foermlichen Buergerkrieg begonnen; es zeugt
von der unbeschreiblichen Zerruettung der roemischen Staatsverhaeltnisse, dass
diese Auftritte zu nichts weiterem fuehrten als zu einer bitteren Korrespondenz
zwischen den beiden Generalen, die ein paar Jahre darauf wieder friedlich und
sogar "freundschaftlich" nebeneinander im Senate sassen.
Pompeius stand waehrend dieser Vorgaenge in Kilikien; fuer das naechste
Jahr, wie es schien, einen Feldzug vorbereitend gegen die Kretenser oder
vielmehr gegen Metellus, in der Tat des Winkes harrend, der ihn zum Eingreifen
in die gruendlich verwirrten Angelegenheiten des kleinasiatischen Kontinents
berief. Was von Lucullus' Heer nach den erlittenen Verlusten und der
Verabschiedung der Fimbrianischen Legionen noch uebrig war, stand untaetig am
oberen Halys in der Landschaft der Trokmer an der Grenze des pontischen
Gebietes. Den Oberbefehl fuehrte einstweilen immer noch Lucullus, da sein
ernannter Nachfolger Glabrio fortfuhr, in Vorderasien zu saeumen. Ebenso
untaetig lagerten in Kilikien die drei von Quintus Marcius Rex befehligten
Legionen. Das pontische Gebiet war wieder ganz in der Gewalt des Koenigs
Mithradates, der die einzelnen Maenner und Gemeinden, die den Roemern sich
angeschlossen hatten, wie zum Beispiel die Stadt Eupatoria, mit grausamer
Strenge ihren Abfall buessen liess. Zu einer ernsten Offensive gegen die Roemer
schritten die Koenige des Ostens nicht, sei es dass sie ueberhaupt nicht in
ihrem Plan lag, sei es, was auch behauptet wurde, dass Pompeius' Landung in
Kilikien die Koenige Mithradates und Tigranes bewog, von weiterem Vorgehen
abzustehen. Rascher als Pompeius selbst es gehofft haben mochte, verwirklichte
das Manilische Gesetz seine im stillen genaehrten Hoffnungen: Glabrio und Rex
wurden abberufen und die Statthalterschaften Pontus-Bithynien und Kilikien mit
den darin stehenden Truppen sowie die Fuehrung des Pontisch-Armenischen Krieges
nebst der Befugnis, mit den Dynasten des Ostens nach eigenem Gutduenken Krieg,
Frieden und Buendnis zu machen, auf Pompeius uebertragen. Ueber die Aussicht auf
so reiche Ehren und Spolien vergass Pompeius gern die Zuechtigung eines
uebellaunigen und seine sparsamen Lorbeerblaetter neidisch huetenden Optimaten,
gab den Zug gegen Kreta und die fernere Verfolgung der Korsaren auf und
bestimmte auch seine Flotte zu Unterstuetzung des Angriffs, den er gegen die
Koenige von Pontus und Armenien entwarf. Doch verlor er ueber diesen Landkrieg
die immer wieder aufs neue ihr Haupt erhebende Piraterie keineswegs voellig aus
den Augen. Ehe er Asien verliess (691 63), liess er daselbst noch die noetigen
Schiffe gegen die Korsaren instand setzen; auf seinen Antrag ward das Jahr
darauf fuer Italien eine aehnliche Massregel beschlossen und die dazu noetige
Summe vom Senat bewilligt. Man fuhr fort, die Kuesten mit Reiterbesatzungen und
kleinen Geschwadern zu decken. Wenn man auch, wie schon die spaeter zu
erwaehnenden Expeditionen gegen Kypros 696 (58) und gegen Aegypten 699 (55)
beweisen, der Piraterie nicht durchaus Herr ward, so hat dieselbe doch nach der
Expedition des Pompeius unter allen Wechselfaellen und politischen Krisen Roms
niemals wieder so ihr Haupt emporheben und so voellig die Roemer an der See
verdraengen koennen, wie es unter dem Regiment der verrotteten Oligarchie
geschehen war.
Die wenigen Monate, die vor dem Beginn des kleinasiatischen Feldzugs noch
uebrig waren, wurden von dem neuen Oberfeldherrn mit angestrengter Taetigkeit zu
diplomatischen und militaerischen Vorbereitungen benutzt. Es gingen Gesandte an
Mithradates, mehr um zu kundschaften, als um eine ernstliche Vermittlung zu
versuchen. Am pontischen Hofe hoffte man, dass der Koenig der Parther, Phraates,
durch die letzten bedeutenden Erfolge, die die Verbuendeten ueber Rom
davongetragen hatten, sich zum Eintritt in das pontisch-armenische Buendnis
bestimmen lassen werde. Dem entgegenzuwirken gingen roemische Boten an den Hof
von Ktesiphon; und ihnen kamen die inneren Wirren zu Hilfe, die das armenische
Herrscherhaus zerrissen. Des Grosskoenigs Tigranes gleichnamiger Sohn hatte sich
gegen seinen Vater empoert, sei es dass er den Tod des Greises nicht abwarten
mochte, sei es dass der Argwohn desselben, der schon mehreren seiner Brueder das
Leben gekostet hatte, ihn die einzige Moeglichkeit der Rettung in der offenen
Empoerung sehen liess. Vom Vater ueberwunden, hatte er mit einer Anzahl
vornehmer Armenier sich an den Hof des Arsakiden gefluechtet und intrigierte
dort gegen den Vater. Es war zum Teil sein Werk, dass Phraates den Lohn fuer den
Beitritt, der ihm von beiden Seiten geboten ward, den gesicherten Besitz
Mesopotamiens, lieber aus der Hand der Roemer nahm und den mit Lucullus
hinsichtlich der Euphratgrenze abgeschlossenen Vertrag mit Pompeius erneuerte,
ja sogar darauf einging, mit den Roemern gemeinschaftlich gegen Armenien zu
operieren. Noch groesseren Schaden als durch die Foerderung des Buendnisses
zwischen den Roemern und den Parthern tat der juengere Tigranes den Koenigen
Tigranes und Mithradates dadurch, dass sein Aufstand eine Spaltung zwischen
ihnen selbst hervorrief. Der Grosskoenig naeherte im geheimen den Argwohn, dass
der Schwiegervater bei der Schilderhebung seines Enkels - die Mutter des
juengeren Tigranes, Kleopatra, war die Tochter Mithradats - die Hand im Spiel
gehabt haben moege, und wenn es auch darueber nicht zum offenen Bruch kam, so
war doch das gute Einverstaendnis der beiden Monarchen eben in dem Augenblick
gestoert, wo sie desselben am dringendsten bedurften.
Zugleich betrieb Pompeius die Ruestungen mit Energie. Die asiatischen
Bundes- und Klientelgemeinden wurden gemahnt, den vertragsmaessigen Zuzug zu
leisten. Oeffentliche Anschlaege forderten die entlassenen Veteranen der
Legionen Fimbrias auf, als Freiwillige wieder unter die Fahnen zurueckzutreten,
und durch grosse Versprechungen und den Namen des Pompeius liess ein
ansehnlicher Teil derselben in der Tat sich bestimmen, dem Rufe zu folgen. Die
gesamte Streitmacht, die unter Pompeius' Befehlen vereinigt war, mochte mit
Ausschluss der Hilfsvoelker sich auf etwa 40-50000 Mann belaufen ^1.
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^1 Pompeius verteilte unter seine Soldaten und Offiziere als Ehrengeschenk
384 Mill. Sesterzen (= 16000 Talente; App. Mithr. 116); da die Offiziere 100
Mill. empfingen (Plin. nat. 37, 2, 16), von den gemeinen Soldaten aber jeder
6000 Sesterzen (Plin., App.), so zaehlte das Heer noch bei dem Triumph etwa
40000 Mann.
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Im Fruehjahr 688 (66) begab sich Pompeius nach Galatien, um den Oberbefehl
ueber die Truppen Luculls zu uebernehmen und mit ihnen in das pontische Gebiet
einzuruecken, wohin die kilikischen Legionen angewiesen waren zu folgen. In
Danala, einer Ortschaft der Trokmer, trafen die beiden Feldherren zusammen; die
Versoehnung aber, die die beiderseitigen Freunde zu bewirken gehofft hatten,
ward nicht erreicht. Die einleitenden Hoeflichkeiten gingen bald ueber in
bittere Eroerterungen und diese in heftigen Wortwechsel; man schied verstimmter,
als man gekommen war. Da Lucullus fortfuhr, gleich als waere er noch im Amte,
Ehrengeschenke zu machen und Laendereien zu verteilen, so erklaerte Pompeius
alle nach seinem Eintreffen von seinem Amtsvorgaenger vollzogenen Handlungen
fuer nichtig. Formell war er in seinem Recht; sittlichen Takt in der Behandlung
eines verdienten und mehr als genug gekraenkten Gegners durfte man bei ihm nicht
suchen.
Sowie es die Jahreszeit erlaubte, ueberschritten die roemischen Truppen die
pontische Grenze. Gegen sie stand hier mit 30000 Mann zu Fuss und 3000 Reitern
Koenig Mithradates. Im Stich gelassen von seinen Verbuendeten und mit
verstaerkter Macht und Energie von Rom angegriffen, machte er einen Versuch,
Frieden zu erwirken; allein von unbedingter Unterwerfung, die Pompeius forderte,
wollte er nichts hoeren - was konnte der ungluecklichste Feldzug ihm Schlimmeres
bringen? Um sein Heer, groesstenteils Schuetzen und Reiter, nicht dem
furchtbaren Stoss der roemischen Linieninfanterie preiszugeben, wich er langsam
vor dem Feinde zurueck und noetigte die Roemer, ihm auf seinen Kreuz- und
Quermaerschen zu folgen, wobei er, wo Gelegenheit dazu war, mit seiner
ueberlegenen Reiterei der feindlichen standhielt und den Roemern durch die
Erschwerung der Verpflegung nicht geringe Drangsale bereitete. Ungeduldig gab
endlich Pompeius es auf, die pontische Armee zu begleiten und ging, den Koenig
stehen lassend, daran, das Land zu unterwerfen: er rueckte an den oberen
Euphrat, ueberschritt ihn und betrat die oestlichen Provinzen des Pontischen
Reiches. Aber auch Mithradates folgte auf das linke Euphratufer nach, und in der
Anaitischen oder Akilisenischen Landschaft angelangt, verlegte er den Roemern
den Weg bei der festen und mit Wasser wohl versehenen Burg Dasteira, von wo aus
er mit seinen leichten Truppen das Blachfeld beherrschte. Pompeius, immer noch
der kilikischen Legionen entbehrend und ohne sie nicht stark genug, um sich in
dieser Lage zu behaupten, musste ueber den Euphrat zurueckgehen und in dem
waldigen, von Felsschluchten und Tieftaelern vielfach durchschnittenen Terrain
des pontischen Armenien vor den Reitern und Bogenschuetzen des Koenigs Schutz
suchen. Erst als die Truppen aus Kilikien eintrafen und es moeglich machten, nun
mit Uebermacht die Offensive wiederaufzunehmen, ging Pompeius wieder vor,
umschloss das Lager des Koenigs mit einer Postenkette von fast vier deutschen
Meilen Laenge und hielt ihn hier foermlich blockiert, waehrend die roemischen
Detachements die Gegend weit umher durchstreiften. Die Not im pontischen Lager
war gross; schon musste die Bespannung niedergestossen werden, endlich nach
fuenfundvierzigtaegigem Verweilen liess der Koenig seine Kranken und
Verwundeten, da er sie weder retten konnte, noch dem Feinde in die Haende fallen
lassen wollte, durch die eigenen Leute niedermachen und brach zur Nachtzeit in
moeglichster Stille auf gegen Osten. Vorsichtig folgte Pompeius durch das
unbekannte Land; schon naeherte der Marsch sich der Grenze, die Mithradates' und
Tigranes' Gebiete voneinander schied. Als der roemische Feldherr erkannte, dass
Mithradates nicht innerhalb seines Gebietes den Kampf zur Entscheidung zu
bringen, sondern den Feind in die grenzenlosen Fernen des Ostens sich


 


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