Römische Geschichte Book 8
by
Theodor Mommsen

Part 6 out of 12



sarmatischen Fuerstenhaeusern aufgekommen, beweist aber natuerlich nicht, dass
ihre Traeger selber Sarmaten waren. Wenn Zosimos (hist. 1, 31) den nach
Erloeschendes alten Koenigsgeschlechts zur Regierung gelangten geringen und
unwuerdigen Fuersten die Schuld daran zuschreibt, dass die Goten unter Valerian
auf bosporanischen Schiffen ihre Piratenzuege ausfuehren konnten, so mag das
seine Richtigkeit haben und zunaechst Phareanses gemeint sein, von dem es
Muenzen aus den Jahren 254 und 255 gibt. Aber auch diese sind mit dem Bildnis
des roemischen Kaisers bezeichnet, und spaeter finden sich wieder die alten
Geschlechtsnamen (alle bosporanischen Koenige sind Tiberii Iulii) und die alten
Beinamen wie Sauromates und Rhaskuporis. Im ganzen genommen sind die alten
Traditionen wie die roemische Schutzherrschaft auch damals hier noch
festgehalten worden.
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Waehrend im roemischen Staat sonst das Klientelfuerstentum nach dem Ausgang
der ersten Dynastie schwindet und seit Traianus das Prinzip des unmittelbaren
Regiments im ganzen Umfang des Roemischen Reiches durchgefuehrt ist, bestand das
bosporanische Koenigtum unter roemischer Oberherrschaft bis in das vierte
Jahrhundert hinein. Erst nachdem der Schwerpunkt des Reiches nach Konstantinopel
verlegt war, ging dieser Staat in das Hauptreich auf ^66, um dann bald von
diesem aufgegeben und, wenigstens zum groesseren Teil, die Beute der Hunnen zu
werden ^67. Indes ist der Bosporus der Sache nach mehr eine Stadt als ein
Koenigreich gewesen und geblieben und hat mehr Aehnlichkeit mit den
Stadtbezirken von Tyra und Olbia als mit den Koenigreichen Kappadokien und
Numidien. Auch hier haben die Roemer nur die hellenische Stadt Pantikapaeon
geschuetzt und Grenzerweiterung und Unterwerfung des Binnenlandes so wenig
erstrebt wie in Tyra und Olbia. Zu dem Gebiet des Fuersten von Pantikapaeon
gehoerten zwar die griechischen Ansiedlungen von Theudosia auf der Halbinsel
selbst und Phanagoria (Taman) auf der gegenueberliegenden asiatischen Kueste,
aber Chersonesos nicht ^68 oder nur etwa wie Athen zum Sprengel des Statthalters
von Achaia. Die Stadt hatte von den Roemern die Autonomie erhalten und sah in
dem Fuersten den naechsten Beschuetzer, nicht den Landesherrn; sie hat auch in
der Kaiserzeit als freie Stadt niemals weder mit Koenigs- noch mit
Kaiserstempeln gepraegt. Auf dem Kontinent stand nicht einmal die Stadt, welche
die Griechen Tanais nennen, ein lebhaftes Emporium an der Muendung des Don, aber
schwerlich eine griechische Gruendung, dauernd unter der Botmaessigkeit der
roemischen Lehnsfuersten ^69. Von den mehr oder minder barbarischen Staemmen auf
der Halbinsel selbst und an der europaeischen und asiatischen Kueste suedlich
vom Tanais befanden sich wohl nur die naechsten in festem
Abhaengigkeitsverhaeltnis ^70.
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^66 Die letzte bosporanische Muenze ist vom Jahre 631 der
Archaemenidenaera, 335 n. Chr.; sicher haengt dies zusammen mit der eben in
dieses Jahr fallenden Einsetzung des Neffen Konstantins L, Hanniballianus, zum
"Koenig", obwohl dies Koenigtum hauptsaechlich das oestliche Kleinasien umfasste
und zur Residenz Caesa rea in Kappadokien hatte. Nachdem in der blutigen
Katastrophe nach Konstantins Tode dieser Koenig und sein Koenigtum zugrunde
gegangen war, steht der Bosporus unmittelbar unter Konstantinopel.
^67 Noch im Jahre 366 war der Bosporus in roemischem Besitz (Amm. 26, 10,
6); bald nachher muessen die Griechen am Nordufer des Schwarzen Meeres sich
selbst ueberlassen worden sein, bis dann Justinian die Halbinsel wieder besetzte
(Prok. Goth. 4, 5). In der Zwischenzeit ging Pantikapaeon in den Hunnenstuermen
zugrunde.
^68 Die Muenzen der Stadt Chersonesos aus der Kaiserzeit haben die
Aufschrift CHerson/e/soy eleytheras, einmal sogar basileyo?s/e/s, und weder
Koenigs- noch Kaisernamen oder Kopf (A. v. Sauet in Zeitschrift fuer Numismatik
1, 1874, S. 27; 4, 1877, S. 273). Die Unabhaengigkeit der Stadt dokumentiert
sich auch darin, dass sie nicht minder als die Koenige des Bosporus in Gold
muenzt. Da die Aera der Stadt richtig auf das Jahr 36 v. Chr. bestimmt scheint
(CIG 8621), in welchem ihr, vermutlich von Antonius, die Freiheit verliehen
ward, so ist die vom Jahre 109 datierte Goldmuenze der "regierenden Stadt" im
Jahre 75 n. Chr. geschlagen.
^69 Nach Strabons Darstellung (11, 2, 11, p. 495) stehen die Herren von
Tanais selbstaendig neben denen von Pantikapaeon und haengen die Staemme
suedlich vom Don bald von diesen, bald von jenen ab; wenn er hinzufuegt, dass
manche der pantikapaeischen Fuersten bis zum Tanais geboten, und namentlich die
letzten, Pharnakes, Asandros, Polemon, so scheint dies mehr Ausnahme als Regel.
In der Anm. 70 angefuehrten Inschrift stehen die Tanaiten unter den
untertaenigen Staemmen und eine Reihe von tanaitischen Inschriften bestaetigen
dies fuer die Zeit von Marcus bis Gordian; aber die Ell/e/nes kai Tanaeitai
neben den archantes Tanaeit/o/n und den oefter genannten Ell/e/narchai
bestaetigen, dass die Stadt auch damals eine nicht griechische blieb.
^70 In der einzigen lebendigen Erzaehlung aus der bosporanischen
Geschichte, die wir besitzen, der des Tacitus (arm. 12, 15-21) von den beiden
rivalisierenden Bruedern Mithradates und Kotys, stehen die benachbarten Staemme,
die Dandariden Shaker, Aorser unter eigenen, von dem roemischen Fuersten von
Pantikapaeon nicht rechtlich abhaengigen Herren.
In der Titulatur pflegen die aelteren pantikapaeischen Fuersten sich
Archonten des Bosporus, das heisst von Pantikapaeon, und von Theudosia und
Koenige der Sinder und saemtlicher Maiter und anderer nicht griechischer
Voelkerschaften zu nennen. Ebenso nennt die meines Wissens unter den
Koenigsinschriften der roemischen Epoche aelteste den Aspurgos, Sohn des
Asandrochos (Stephani, Comptes rendus de la commission pour 1866, S. 128)
basile?onta pantos Bosporoy. THeodosi/e/s kai Sind/o/n kai Mait/o/n kai
Toret/o/n PS/e/s/o/n te kai Tanaeit/o/n. TH/e/ostasanta Sk?thas kai Tayro?s. Auf
den Umfang des Gebietes wird aus der vereinfachten Titulatur kein Schluss
gezogen werden duerfen.
In den Inschriften der spaeteren Zeit findet sich einmal unter Traian die
wohl adulatorische Titulatur basile?s basile/o/n megas to? pantos Bosporoy(CIG
2123). Die Muenzen kennen ueberhaupt von Asandros an keinen Titel als basile?s,
waehrend doch Pharnakes sich basile?s basile/o/n megas nennt. Ohne Zweifel ist
dies Einwirkung der roemischen Suzeraenitaet, mit der sich ein ueber andere
Fuersten gesetzter Lehnsfuerst nicht recht vertrug.
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Das Gebiet von Pantikapaeon war zu ausgedehnt und besonders fuer den
kaufmaennischen Verkehr zu wichtig, um, wie Olbia und Tyra, der Verwaltung
wechselnder Gemeindebeamten und eines weit entfernten Statthalters ueberlassen
zu werden; deshalb wurde es erblichen Fuersten anvertraut, was weiter sich
dadurch empfahl, dass es nicht geraten scheinen mochte, die mit dieser
Landschaft verknuepften Verhaeltnisse zu den Umwohnern unmittelbar auf das Reich
zu uebertragen. Als Griechenfuersten haben die des bosporanischen Hauses, trotz
ihres achaemenidischen Stammbaumes und ihrer achaemenidischen Jahreszaehlung,
sich durchaus empfunden und ihren Ursprung, nach gut hellenischer Art, auf
Herakles und die Eumolpiden zurueckgefuehrt. Die Abhaengigkeit dieser Griechen
von Rom, der koeniglichen in Pantikapaeon wie der republikanischen in
Chersonesos, war durch die Natur der Dinge gegeben, und nie haben sie daran
gedacht, gegen den schuetzenden Arm des Reiches sich aufzulehnen; wenn einmal
unter Kaiser Claudius die roemischen Truppen gegen einen unbotmaessigen Fuersten
des Bosporus marschieren mussten ^71, so hat dagegen diese Landschaft selbst in
der entsetzlichen Verwirrung in der Mitte des 3. Jahrhunderts, welche
vorzugsweise sie traf, von dem Reich, auch von dem zerfallenden, niemals
gelassen ^72. Die wohlhabenden Kaufstaedte, inmitten eines barbarischen
Voelkergewoges militaerischen Schutzes dauernd beduerftig, hielten an Rom wie
die Vorposten an dem Hauptheer. Die Besatzung ist wohl hauptsaechlich in dem
Lande selbst aufgestellt worden, und sie zu schaffen und zu fuehren, war ohne
Zweifel die Hauptaufgabe des Koenigs des Bosporus. Die Muenzen, welche wegen der
Investitur eines solchen geschlagen wurden, zeigen wohl den kurulischen Sessel
und die sonstigen bei solcher Belehnung ueblichen Ehrengeschenke, aber daneben
auch Schild, Helm, Degen, Streitaxt und das Schlachtross; es war kein
Friedensamt, das dieser Fuerst ueberkam. Auch blieb der erste derselben, den
Augustus bestellte, im Kampf mit den Barbaren, und von seinen Nachfolgern stritt
zum Beispiel Koenig Sauromates, des Rhoemetalkes Sohn, in den ersten Jahren des
Severus mit den Sirakern und den Skythen - vielleicht nicht ganz ohne Grund hat
er seine Muenzen mit den Taten des Herakles bezeichnet. Auch zur See hatte er
taetig zu sein, vor allem das auf dem Schwarzen Meer nie aufhoerende
Piratenwesen niederzuhalten: jenem Sauromates wird gleichfalls nachgeruehmt,
dass er die Taurier zur Ordnung gebracht und die Piraterie gebaendigt habe.
Indes lagen auf der Halbinsel auch roemische Truppen, vielleicht eine Abteilung
der pontischen Flotte, sicher ein Detachement der moesischen Armee; bei geringer
Zahl zeigte doch ihre Anwesenheit den Barbaren, dass der gefuerchtete Legionaer
auch hinter diesen Griechen stand. Noch in anderer Weise schuetzte sie das
Reich; wenigstens in spaeterer Zeit sind den Fuersten des Bosporus regelmaessig
Geldsummen aus der Reichskasse gezahlt worden, deren sie auch insofern
bedurften, als das Abkaufen der feindlichen Einfaelle durch stehende Jahrgelder
hier, in dem nicht unmittelbaren Reichslande, wahrscheinlich noch frueher
stehend geworden ist als anderswo ^73.
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^71 Es war dies der im Jahre 41 von Claudius eingesetzte Koenig
Mithradates, welcher einige Jahre spaeter abgesetzt und durch seinen Bruder
Kotys ersetzt ward; er lebte nachher in Rom und kam in den Wirren des
Vierkaiserjahres um (Plut. Galba 13 u. 15). Indes wird weder aus den Andeutungen
bei Tacitus (ann. 12, 15; vgl. Plin. nat. 6, 5, 17) noch aus dem (durch
Verwechslung der beiden Mithradates von Bosporus und von Iberien verwirrten)
Bericht bei Petrus Patricius (fr. 3) der Sachverhalt deutlich. Die
chersonesitischen Maerchen bei dem spaeten Constantinus Porphyrogenitus (de adm.
imp. c. 53) kommen natuerlich nicht in Betracht. Der boese bosporanische Koenig
Sauromates Kriskonoroy (nicht R/e/skoporoy) yios der mit den Sarmaten gegen
Kaiser Diocletianus und Constantius sowie gegen das reichstreue Cherson Krieg
fuehrt, ist offenbar hervorgegangen aus einer Verwirrung des bosporanischen
Koenigs- und des Volksnamens und geradeso historisch wie die Variation auf die
Geschichte von David und Goliath, die Erlegung des gewaltigen Koenigs der
Bosporaner Sauromates durch den kleinen Chersonesiten Pharnakos. Die
Koenigsnamen allein, zum Beispiel ausser den genannten der nach dem Erloeschen
des Geschlechts der Sauromaten eintretende Asandros, genuegen. Die staedtischen
Privilegien und die Oertlichkeiten der Stadt, zu deren Erklaerung diese
Mirabilien erfunden sind, verdienen allerdings Beachtung.
^72 Es gibt keine bosporanischen Gold- oder Pseudogoldmuenzen ohne den
roemischen Kaiserkopf, und es ist dies immer der des vom roemischen Senat
anerkannten Herrschers. Dass in den Jahren 263 und 265, wo im Reiche sonst nach
Valerians Gefangennehmung Gallienus offiziell als Alleinherrscher galt, hier
zwei Koepfe auf den Muenzen erscheinen, ist vielleicht nur Unkunde; doch mag der
Bosporus damals unter den vielen Praetendenten eine andere Wahl getroffen haben.
Die Namen werden in dieser Zeit nicht beigesetzt und die Bildnisse sind nicht
sicher zu unterscheiden.
^73 Dies wird man dem Skythen Toxaris in dem unter den lukianischen
stehenden Dialog (c. 44) glauben duerfen; im uebrigen erzaehlt er nicht bloss
m?thois omoia, sondern eben einen Mythos, dessen Koenige Leukanor und Eubiotos
die Muenzen begreiflicherweise nicht kennen.
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Dass die Zentralisierung des Regiments auch diesem Fuersten gegenueber zur
Anwendung kam und er nicht viel anders zu dem roemischen Caesar stand wie der
Buergermeister von Athen, tritt vielfach hervor; Erwaehnung verdient, dass
Koenig Asandros und die Koenigin Dynamis Goldmuenzen mit ihrem Namen und ihrem
Bildnis schlugen, dagegen dem Koenig Polemon und seinen naechsten Nachfolgern
wohl die Goldpraegung blieb, da dieses Gebiet sowie die anwohnenden Barbaren
seit langem ausschliesslich an Goldcourant gewoehnt waren, aber sie veranlasst
wurden, ihre Goldstuecke mit dem Namen und dem Bilde des regierenden Kaisers zu
versehen. Ebenfalls seit Polemon ist der Fuerst dieses Landes zugleich der
Oberpriester auf Lebenszeit des Kaisers und des kaiserlichen Hauses. Im uebrigen
behielten die Verwaltung und das Hofwesen die unter Mithradates eingefuehrten
Formen nach dem Muster des persischen Grosskoenigtums, obwohl der
Geheimschreiber (archigrammate?s) und der Oberkammerdiener
(archikoit/o/neit/e/s) des Hofes von Pantikapaeon zu den vornehmen Hofbeamten
der Grosskoenige sich verhielten wie der Roemerfeind Mithradates Eupator zu
seinem Nachkommen Tiberius Iulius Eupator, der wegen seines Anrechts an die
bosporanische Krone in Rom vor Kaiser Pius Recht nahm.
Wertvoll blieb dieses nordische Griechenland fuer das Reich wegen der
Handelsbeziehungen. Wenn auch dieselben in dieser Epoche wohl weniger bedeuteten
als in aelterer Zeit ^74, so ist doch der Kaufmannsverkehr sehr rege geblieben.
In der augustischen Zeit brachten die Staemme der Steppe Sklaven ^75 und Felle,
die Kaufleute der Zivilisation Bekleidungsstuecke, Wein und andere Luxusartikel
nach Tanais; in noch hoeherem Masse war Phanagoria die Niederlage fuer den
Export der Einheimischen, Pantikapaeon fuer den Import der Griechen. Jene Wirren
im Bosporus in der claudischen Zeit waren fuer die Kaufleute von Byzanz ein
schwerer Schlag. Dass die Goten ihre Piratenfahrten im dritten Jahrhundert damit
begannen, die bosporanischen Reeder zu unfreiwilliger Hilfeleistung zu pressen,
wurde schon erwaehnt. Wohl infolge dieses, den barbarischen Nachbarn selbst
unentbehrlichen Verkehrs haben die Buerger von Chersonesos noch nach dem
Wegziehen der roemischen Besatzungen sich behauptet und konnten spaeterhin, als
in justinianischer Zeit die Macht des Reiches sich auch nach dieser Richtung hin
noch einmal geltend machte, als Griechen in das griechische Reich zuruecktreten.
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^74 In Betreff der Getreideausfuhr verdient die Notiz in dem Bericht des
Plautius Beachtung.
^75 Auch aus dem Erbieten, einer von den roemischen Truppen bedraengten
Ortschaft der Siraker (am Asowschen Meer) 10000 Sklaven zu liefern (Tac. ann.
12, 17), wird auf einen lebhaften Sklavenimport aus diesen Gegenden geschlossen
werden duerfen.
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8. Kapitel
Kleinasien
Die grosse Halbinsel, welche die drei Meere, das Schwarze, das Aegaeische
und Mittellaendische, an drei Seiten bespuelen, und die gegen Osten mit dem
eigentlichen asiatischen Kontinent zusammenhaengt, wird, insoweit sie zum
Grenzgebiet des Reiches gehoert, in dem naechsten, das Euphratgebiet und die
roemisch-parthischen Beziehungen behandelnden Abschnitt betrachtet werden. Hier
sollen die Friedensverhaeltnisse namentlich der westlichen Landschaften unter
dem Kaiserregiment dargelegt werden.
Die urspruengliche oder doch vorgriechische Bevoelkerung dieser weiten
Strecke hat sich vielerorts in bedeutendem Umfang bis in die Kaiserzeit hinein
behauptet. Dem frueher eroerterten thrakischen Stamme hat sicher der groesste
Teil von Bithynien gehoert; Phrygien, Lydien, Kilikien, Kappadokien zeigen sehr
mannigfaltige und schwer zu loesende Ueberreste aelterer Sprachepochen, die
vielfach in die roemische Zeit hinabreichen; fremdartige Goetter-, Menschen- und
Ortsnamen begegnen ueberall. Aber so weit unser Blick reicht, dem freilich das
tiefere Eindringen hier selten gewaehrt ist, erscheinen diese Elemente nur
weichend und schwindend, wesentlich als Negation der Zivilisation oder, was hier
damit uns wenigstens zusammenzufallen duenkt, der Hellenisierung. Es wird am
geeigneten Platz auf einzelne Gruppen dieser Kategorie zurueckzukommen sein;
fuer die geschichtliche Entwicklung Kleinasiens in der Kaiserzeit gibt es
daselbst nur zwei aktive Nationalitaeten, die beiden zuletzt eingewanderten, in
den Anfaengen der geschichtlichen Zeit die Hellenen und waehrend der Wirren der
Diadochenzeit die Kelten.
Die Geschichte der kleinasiatischen Hellenen, soweit sie ein Teil der
roemischen ist, ist frueher dargelegt worden. In der fernen Zeit, wo die Kuesten
des Mittelmeers zuerst befahren und besiedelt wurden und die Welt anfing unter
die vorgeschrittenen Nationen auf Kosten der zurueckgebliebenen aufgeteilt zu
werden, hatte die Hochflut der hellenischen Auswanderung sich zwar ueber alle
Ufer des Mittellaendischen Meeres, aber doch nirgend hin, selbst nicht nach
Italien und Sizilien in so breitem Strom ergossen wie ueber das Inselreiche
Aegaeische Meer und die nahe, hafenreiche, liebliche Kueste Vorderasiens. Die
vorderasiatischen Griechen hatten dann selbst vor allen uebrigen sich taetig an
der weiteren Welteroberung beteiligt, von Miletos aus die Kuesten des Schwarzen
Meeres, von Phokaea und Knidos aus die der Westsee besiedeln helfen. In Asien
ergriff die hellenische Zivilisation wohl die Bewohner des Binnenlandes, die
Myser, Lydier, Karer, Lykier, und selbst die persische Grossmacht blieb von ihr
nicht unberuehrt. Aber die Hellenen selber besassen nichts als den Kuestensaum,
hoechstens mit Einschluss des unteren Laufs der groesseren Fluesse, und die
Inseln. Kontinentale Eroberung und eigene Landmacht vermochten sie hier
gegenueber den maechtigen einheimischen Fuersten nicht zu gewinnen; auch lud das
hochgelegene und grossenteils wenig kulturfaehige Binnenland Kleinasiens nicht
so wie die Kuesten zur Ansiedelung ein, und die Verbindungen dieser mit dem
Innern sind schwierig. Wesentlich in Folge dessen brachten es die asiatischen
Hellenen noch weniger als die europaeischen zur inneren Einigung und zur eigenen
Grossmacht und lernten frueh die Fuegsamkeit gegenueber den Herren des
Kontinents. Der national hellenische Gedanke kam ihnen erst von Athen; sie
wurden dessen Bundesgenossen nur nach dem Siege und blieben es nicht in der
Stunde der Gefahr. Was Athen diesen Schutzbefohlenen der Nation hatte leisten
wollen und nicht hatte leisten koennen, das vollbrachte Alexander; Hellas musste
er besiegen, Kleinasien sah in dem Eroberer nur den Befreier. Alexanders Sieg
sicherte in der Tat nicht bloss das asiatische Hellenentum, sondern oeffnete ihm
eine weite, fast ungemessene Zukunft; die Besiedelung des Kontinents, welche im
Gegensatz der bloss litoralen dieses zweite Stadium der hellenischen
Welteroberung bezeichnet, ergriff auch Kleinasien in bedeutendem Umfang. Doch
von den Knotenpunkten der neuen Staatenbildung kam keiner nach den alten
Griechenstaedten der Kueste ^1. Die neue Zeit forderte wie ueberhaupt neue
Gestaltung, so vor allem auch neue Staedte, zugleich griechische
Koenigsresidenzen und Mittelpunkte bisher ungriechischer und dem Griechentum
zuzufuehrender Bevoelkerungen. Die grosse staatliche Entwicklung bewegt sich um
die Staedte koeniglicher Gruendung und koeniglichen Namens, Thessalonike,
Antiocheia, Alexandreia. Mit ihren Herren hatten die Roemer zu ringen; den
Besitz Kleinasiens gewannen sie fast durchaus, wie man von Verwandten oder
Freunden ein Landgut erwirbt, durch Vermaechtnis im Testament; und wie schwer
auf den also gewonnenen Landschaften zeitweise das roemische Regiment gelastet
hat, der Stachel der Fremdherrschaft trat hier nicht hinzu. Eine nationale
Opposition hat wohl der Achaemenide Mithradates den Roemern in Kleinasien
entgegengestellt und das roemische Missregiment die Hellenen in seine Arme
getrieben; aber diese selbst haben nie etwas Aehnliches unternommen. Darum ist
von diesem grossen, reichen, wichtigen Besitz in politischer Hinsicht wenig zu
berichten; um so weniger, als in betreff der nationalen Beziehungen der Hellenen
ueberhaupt zu den Roemern das in dem vorhergehenden Abschnitt Bemerkte
wesentlich auch fuer die kleinasiatischen Geltung hat.
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^1 Haette der Staat des Lysimachos Bestand gehabt, so waere es wohl anders
gekommen. Seine Gruendungen Alexandreia in der Troas und Lysimacheia, Ephesos-
Arsinoe, verstaerkt durch die Uebersiedelung der Bewohner von Kolophon und
Lebedos, liegen in der bezeichneten Richtung.
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Die roemische Verwaltung Kleinasiens wurde nie in systematischer Weise
geordnet, sondern die einzelnen Gebiete so, wie sie zum Reich kamen, ohne
wesentliche Veraenderung der Grenzen als roemische Verwaltungsbezirke
eingerichtet. Die Staaten, welche Koenig Attalos III. von Pergamon den Roemern
vermacht hatte, bilden die Provinz Asia; die ebenfalls durch Erbgang ihnen
zugefallenen des Koenigs Nikomedes die Provinz Bithynien; das dem Mithradates
Eupator abgenommene Gebiet die mit Bithynien vereinigte Provinz Pontus. Kreta
wurde bei Gelegenheit des grossen Piratenkrieges von den Roemern besetzt;
Kyrene, das gleich hier mit erwaehnt werden mag, nach dem letzten Willen seines
Herrschers von ihnen uebernommen. Derselbe Rechtstitel gab der Republik die
Insel Kypros; hinzu kam hier die notwendige Unterdrueckung der Piraterie. Diese
hatte auch zu der Bildung der Statthalterschaft Kilikien den Grund gelegt;
vollstaendig kam das Land an Rom durch Pompeius mit Syrien zugleich, und beide
sind waehrend des ersten Jahrhunderts gemeinschaftlich verwaltet worden. All
dieser Laenderbesitz war bereits von der Republik erworben. In der Kaiserzeit
traten eine Anzahl Gebiete hinzu, welche frueher nur mittelbar zum Reich gehoert
hatten: im Jahre 729 (25) das Koenigreich Galatien, mit welchem ein Teil
Phrygiens, Lykaonien, Pisidien, Pamphylien vereinigt worden war; im Jahre 747
(7) die Herrschaft des Koenigs Deiotarus, Kastors Sohn, welche Gangra in
Paphlagonien und wahrscheinlich auch Amaseia und andere benachbarte Orte
umfasste; im Jahre 17 n. Chr. das Koenigreich Kappadokien; im Jahre 43 das
Gebiet der Konfoederation der lykischen Staedte; im Jahre 63 das nordoestliche
Kleinasien vom Tal des Iris bis zur armenischen Grenze; Klein-Armenien und
einige kleinere Fuerstentuemer in Kilikien wahrscheinlich durch Vespasian. Damit
war die unmittelbare Reichsverwaltung in ganz Kleinasien durchgefuehrt.
Lehnsfuerstentuemer blieben nur der taurische Bosporus, von. dem schon die Rede
war, und Gross-Armenien, von dem der naechste Abschnitt handeln wird.
Als bei dem Eintreten des Kaiserregiments die administrative Scheidung
zwischen ihm und dem des Reichsrats getroffen ward, kam das gesamte
kleinasiatische Gebiet, so weit es damals unmittelbar unter dem Reiche stand, an
den letzteren; die Insel Kypros, die anfangs unter kaiserliche Verwaltung
gelangt war, ging ebenfalls wenige Jahre spaeter an den Senat ueber. So
entstanden hier die vier senatorischen Statthalterschaften Asia, Bithynia und
Pontus, Kypros, Kreta und Kyrene. Unter kaiserlicher Verwaltung stand anfangs
nur Kilikien als Teil der syrischen Provinz. Aber die spaeter in unmittelbare
Reichsverwaltung gelangten Gebiete wurden hier wie im ganzen Reich unter
kaiserliche Statthalter gelegt; so ward noch unter Augustus aus den
binnenlaendischen Landschaften des Galatischen Reiches die Provinz Galatien
gebildet und die Kuestenlandschaft Pamphylien einem anderen Statthalter
ueberwiesen, welchem letzteren unter Claudius weiter Lykien unterstellt ward.
Ferner ward Kappadokien kaiserliche Statthalterschaft unter Tiberius. Auch blieb
natuerlich Kilikien, als es eigene Statthalter erhielt, unter kaiserlicher
Verwaltung. Abgesehen davon, dass Hadrian die wichtige Provinz Bithynien und
Pontus gegen die unbedeutende lykisch-pamphylische eintauschte, blieb diese
Ordnung in Kraft, bis gegen das Ende des 3. Jahrhunderts die senatorische
Mitverwaltung ueberhaupt bis auf geringe Ueberreste beseitigt ward. Die Grenze
ward in der ersten Kaiserzeit durchaus durch die Lehnsfuerstentuemer gebildet;
nach deren Einziehung beruehrte die Reichsgrenze, von Kyrene abgesehen, unter
allen diesen Verwaltungsbezirken nur der kappadokische, insofern diesem damals
auch die nordoestliche Grenzlandschaft bis hinauf nach Trapezunt zugeteilt war
^2; und auch diese Statthalterschaft grenzte nicht mit dem eigentlichen Ausland,
sondern im Norden mit den abhaengigen Voelkerschaften am Phasis, weiterhin mit
dem von Rechts wegen und einigermassen auch tatsaechlich zum Reiche gehoerigen
Lehnskoenigtum Armenien.
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^2 Nirgends haben die Grenzen der Lehnstaaten und selbst der Provinzen mehr
gewechselt als im nordoestlichen Kleinasien. Die unmittelbare Reichsverwaltung
trat hier fuer die Landschaften des Koenigs Polemon, wozu Zela, Neocaesarea,
Trapezus gehoerten, im Jahre 63 ein, fuer Klein-Armenien, wir wissen nicht genau
wann, wahrscheinlich im Anfang der Regierung Vespasians. Der letzte Lehnskoenig
von Klein-Armenien, dessen gedacht wird, ist der Herodeer Aristobulos (Tac. ann.
13, 7; 14, 26; Ios. ant. Iud. 20, 8, 4), der es noch im Jahre 60 besass; im
Jahre 75 war die Landschaft roemisch (CIL III, 306), und wahrscheinlich hat die
eine der seit Vespasian in Kappadokien garnisonierenden Legionen von Anfang an
in dem klein-armenischen Satala gestanden. Vespasian hat die genannten
Landschaften so wie Galatien und Kappadokien zu einer grossen Statthalterschaft
vereinigt. Am Ende der Domitianischen Regierung finden wir Galatien und
Kappadokien getrennt und die nordoestlichen Provinzen zu Galatien gelegt. Unter
Traian ist zuerst wiederum der ganze Bezirk in einer Hand, spaeterhin (Eph.
epigr. V, n. 1345) in der Weise geteilt, dass die nordoestliche Kueste zu
Kappadokien gehoert. Dabei ist es wenigstens insoweit geblieben, dass Trapezunt,
und also auch Klein-Armenien, fortan bestaendig unter diesem Statthalter
gestanden hat. Also hatte, von einer kurzen Unterbrechung unter Domitian
abgesehen, der Legat von Galatien nichts mit der Grenzverteidigung zu tun und
ist diese, wie es auch in der Sache liegt, stets mit dem Kommando Kappadokiens
und seiner Legionen vereinigt gewesen.
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Um von den Zustaenden und der Entwicklung Kleinasiens in den drei ersten
Jahrhunderten unserer Zeitrechnung eine Vorstellung zu gewinnen, soweit dies bei
einem aus unserer unmittelbaren geschichtlichen Ueberlieferung gaenzlich
ausfallenden Lande moeglich ist, wird bei dem konservativen Charakter des
roemischen Provinzialregiments an die aelteren Gebietsteilungen und die
Vorgeschichte der einzelnen Landschaften anzuknuepfen sein.
Die Provinz Asia ist das alte Reich der Attaliden, Vorderasien bis
noerdlich zur bithynischen, suedlich zur lykischen Grenze; die anfangs davon
abgetrennten oestlichen Striche, das grosse Phrygien, waren schon in
republikanischer Zeit wieder dazu geschlagen worden, und die Provinz reichte
seitdem bis an die Landschaft der Galater und die pisidischen Gebirge. Auch
Rhodus und die uebrigen kleineren Inseln des Aegaeischen Meeres gehoerten zu
diesem Sprengel. Die urspruengliche hellenische Ansiedlung hatte ausser den
Inseln und der eigentlichen Kueste auch die unteren Taeler der groesseren
Fluesse besetzt; Magnesia am Sipylos im Hermostal, das andere Magnesia und
Tralleis im Tal des Maeandros waren schon vor Alexander als griechische Staedte
gegruendet oder doch griechische Staedte geworden; die Karer, Lyder, Myser
wurden frueh wenigstens zu Halbhellenen. Die eintretende Griechenherrschaft fand
in den Kuestenlandschaften nicht viel zu tun; Smyrna, das vor Jahrhunderten von
den Barbaren des Binnenlandes zerstoert worden war, erhob sich damals aus seinen
Truemmern, um rasch wieder einer der ersten Sterne des glaenzenden
kleinasiatischen Staedteringes zu werden; und wenn der Wiederaufbau von Ilion an
dem Grabhuegel Hektors mehr ein Werk der Pietaet als der Politik war, so war die
Anlage von Alexandreia an der Kueste der Troas von bleibender Bedeutung.
Pergamon im Tal des Ka‹kos bluehte auf als Residenz der Attaliden.
In dem grossen Werk der Hellenisierung des Binnenlandes dieser Provinz
wetteiferten, Alexanders Intentionen entsprechend, alle hellenischen
Regierungen, Lysimachos, die Seleukiden, die Attaliden. Die einzelnen
Gruendungen sind aus unserer Ueberlieferung noch mehr verschwunden als die
Kriegslaeufte der gleichen Epoche; wir sind hauptsaechlich angewiesen auf die
Namen und die Beinamen der Staedte; aber auch diese genuegen, um die allgemeinen
Umrisse dieser Jahrhunderte hindurch sich fortsetzenden und dennoch homogenen
und zielbewussten Taetigkeit zu erkennen. Eine Reihe binnenlaendischer
Ortschaften, Stratonikeia in Karien, Peltae, Blaundos, Dokimeion, Kadoi in
Phrygien, die Mysomakedonier im Bezirk von Ephesos, Thyateira, Hyrkania, Nakrasa
im Hermosgebiet, die Askylaken im Bezirk von Adramytion werden in Urkunden oder
sonstigen glaubwuerdigen Zeugnissen als Makedonierstaedte bezeichnet; und diese
Erwaehnungen sind so zufaelliger Art und die Ortschaften teilweise so
unbedeutend, dass die gleiche Bezeichnung sicher auf eine grosse Anzahl anderer
Niederlassungen in dieser Gegend sich erstreckt hat und wir schliessen duerfen
auf eine ausgedehnte, wahrscheinlich mit dem Schutz Vorderasiens gegen die
Galater und Pisidier zusammenhaengende Ansiedlung griechischer Soldaten in den
bezeichneten Gegenden. Wenn ferner die Muenzen der ansehnlichen phrygischen
Stadt Synnada mit ihrem Stadtnamen den der Ioner und der Dorer sowie den des
gemeinen Zeus (Ze?s pand/e/mos) verbinden, so muss einer der Alexandriden die
Griechen insgemein aufgefordert haben, hier sich niederzulassen; und auch dies
beschraenkte sich gewiss nicht auf diese einzelne Stadt. Die zahlreichen Staedte
hauptsaechlich des Binnenlandes, deren Namen auf die Koenigshaeuser der
Seleukiden oder der Attaliden zurueckgehen oder die sonst griechisch benannt
sind, sollen hier nicht aufgefuehrt werden; es befinden sich namentlich unter
den sicher von den Seleukiden gegruendeten oder reorganisierten Staedten mehrere
der in spaeterer Zeit bluehendsten und gesittetsten des Binnenlandes, zum
Beispiel im suedlichen Phrygien Laodikeia und vor allem Apameia, das alte
Kelaenae an der grossen Heerstrasse von der Westkueste Kleinasiens zum mittleren
Euphrat, schon in persischer Zeit das Entrepot fuer diesen Verkehr und unter
Augustus nach Ephesos die bedeutendste Stadt der Provinz Asia. Wenn auch nicht
jede Beilegung eines griechischen Namens mit Ansiedlung griechischer Kolonisten
verbunden gewesen sein wird, so werden wir doch einen betraechtlichen Teil
dieser Ortschaften den griechischen Pflanzstaedten beizaehlen duerfen. Aber auch
die staedtischen Ansiedlungen nichtgriechischen Ursprungs, die die Alexandriden
vorfanden, lenkten von selber in die Bahnen der Hellenisierung ein, wie denn die
Residenz des persischen Statthalters, Sardes, noch von Alexander selbst als
griechisches Gemeinwesen geordnet ward.
Diese staedtische Entwicklung war vollzogen, als die Roemer die Herrschaft
ueber Vorderasien antraten; sie selber haben sie nicht in intensiver Weise
gefoerdert. Dass eine grosse Anzahl der Stadtgemeinden in der oestlichen Haelfte
der Provinz ihre Jahre von dem der Stadt 670 (84) zaehlen, kommt daher, dass
damals nach Beendigung des Mithradatischen Krieges diese Bezirke durch Sulla
unter unmittelbar roemische Verwaltung kamen; Stadtrecht haben diese Ortschaften
nicht erst damals erhalten. Augustus hat die Stadt Parium am Hellespont und die
schon erwaehnte Alexandreia in Troas mit Veteranen seiner Armee besetzt und
beiden die Rechte der roemischen Buergergemeinden beigelegt; letztere ist
seitdem in dem griechischen Asien eine italische Insel gewesen wie Korinth in
Griechenland und Berylos in Syrien. Aber dies war nichts als Soldatenversorgung;
von eigentlicher Staedtegruendung in der roemischen Provinz Asien unter den
Kaisern ist wenig die Rede. Unter den nicht zahlreichen nach Kaisern benannten
Staedten daselbst ist vielleicht nur von Sebaste und Tiberiopolis, beide in
Phrygien, und von Hadrianoi an der bithynischen Grenze kein aelterer Stadtname
nachzuweisen. Hier, in der Berglandschaft zwischen dem Ida und dem Olymp, hauste
Kleon in der Triumviralzeit, ein gewisser Tilliboros unter Hadrian, beide halb
Raeuberhauptleute, halb Volksfuersten, von denen jener selbst in der Politik
eine Rolle gespielt hat; in dieser Freistatt der Verbrecher war die Gruendung
einer geordneten Stadtgemeinde durch Hadrian allerdings eine Wohltat. Sonst
blieb in dieser Provinz, mit ihren fuenfhundert Stadtgemeinden der
staedtereichsten des ganzen Staates, in dieser Hinsicht wohl nicht mehr viel zu
stiften uebrig, hoechstens etwa zu teilen, das heisst die faktisch zu einer
Stadtgemeinde sich entwickelnden Flecken aus dem frueheren Gemeindeverbande zu
loesen und selbstaendig zu machen, wie wir einen Fall der Art in Phrygien unter
Konstantin I. nachweisen koennen. Aber von der eigentlichen Hellenisierung waren
die abgelegenen Gebiete noch weit entfernt, als das roemische Regiment begann;
insbesondere in Phrygien behauptete sich die vielleicht der armenischen
gleichartige Landessprache. Wenn aus dem Fehlen griechischer Muenzen und
griechischer Inschriften nicht mit Sicherheit auf das Fehlen der Hellenisierung
geschlossen werden darf ^3, so weist doch die Tatsache, dass die phrygischen
Muenzen fast durchaus der roemischen Kaiserzeit, die phrygischen Inschriften der
grossen Mehrzahl nach der spaeteren Kaiserzeit angehoeren, darauf hin, dass in
die entlegenen und der Zivilisation schwer zugaenglichen Gegenden der Provinz
Asia die hellenische Gesittung soweit ueberhaupt, ueberwiegend erst unter den
Kaisern den Weg fand. Zu unmittelbarem Eingreifen der Reichsverwaltung bot
dieser im Stillen sich vollziehende Prozess wenig Gelegenheit und Spuren solchen
Eingreifens vermoegen wir nicht nachzuweisen. Freilich war Asia eine
senatorische Provinz, und dass dem Senatsregiment jede Initiative abging, mag
auch hier in Betracht kommen.
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^3 Die staedtische Muenzpraegung und die Inschriftsetzung stehen unter so
vielfachen Bedingungen, dass das Fehlen oder auch die Fuelle der einen wie der
andern nicht ohne weiteres zu Rueckschluessen auf die Abwesenheit oder die
Intensitaet einer bestimmten Zivilisationsphase berechtigen. Fuer Kleinasien
insbesondere ist zu beachten, dass es das gelobte Land der munizipalen Eitelkeit
ist und unsere Denkmaeler, auch die Muenzen, zum weitaus groessten Teil dadurch
hervorgerufen sind, dass die Regierung der roemischen Kaiser dieser freien Lauf
liess.
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Syrien und mehr noch Aegypten gehen auf in ihren Metropolen; die Provinz
Asien und Kleinasien ueberhaupt hat keine einzelne Stadt aufzuweisen gleich
Antiocheia und Alexandreia, sondern sein Gedeihen ruht auf den zahlreichen
Mittelstaedten. Die Einteilung der Staedte in drei Klassen, welche sich
unterscheiden im Stimmrecht auf dem Landtag, in der Repartition der von der
ganzen Provinz aufzubringenden Leistungen, selbst in der Zahl der anzustellenden
Stadtaerzte und staedtischen Lehrer ^4, ist vorzugsweise diesen Landschaften
eigen. Auch die staedtischen Rivalitaeten, die in Kleinasien so energisch und
zum Teil so kindisch, gelegentlich auch so gehaessig hervortreten, wie zum
Beispiel der Krieg zwischen Severus und Niger in Bithynien eigentlich ein Krieg
der beiden rivalisierenden Kapitalen Nikomedeia und Nikaea war, gehoeren zum
Wesen zwar der hellenischen Politien ueberhaupt, insbesondere aber der
kleinasiatischen. Des Wetteifers um die Kaisertempel werden wir weiterhin
gedenken; in aehnlicher Weise war die Rangfolge der staedtischen Deputationen
bei den gemeinschaftlichen Festen in Kleinasien eine Lebensfrage - Magnesia am
Maeander nennt sich auf den Muenzen die "siebente Stadt von Asia" - und vor
allem der erste Platz war ein so begehrter, dass die Regierung schliesslich sich
dazu verstand, mehrere erste Staedte zuzulassen. Aehnlich ging es mit der
Metropolenbezeichnung. Die eigentliche Metropole der Provinz war Pergamon, die
Residenz der Attaliden und der Sitz des Landtags. Aber Ephesos, die faktische
Hauptstadt der Provinz, wo der Statthalter verpflichtet war, sein Amt
anzutreten, und das auch dieses "Landungsrechts" auf seinen Muenzen sich
beruehmt, Smyrna, mit dem ephesischen Nachbar in steter Rivalitaet und dem
legitimen Erstenrecht der Ephesier zum Trotz auf den Muenzen sich nennend "die
erste an Groesse und Schoenheit", das uralte Sardeis, Kyzikos und andere mehr
strebten nach dem gleichen Ehrenrechte. Mit diesen ihren Quengeleien, wegen
deren regelmaessig der Senat und der Kaiser angegangen wurden, den "griechischen
Dummheiten", wie man in Rom zu sagen pflegte, waren die Kleinasiaten der
stehende Verdruss und das stehende Gespoett der vornehmen Roemer ^5.
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^4 "Die Verordnung", sagt der Jurist Modestinus, der sie referiert (dig.
27, 1, 6, 3), "interessiert alle Provinzen, obwohl sie an die Asiaten gerichtet
ist." Auch passt sie in der Tat nur da, wo es Staedteklassen gibt, und der
Jurist fuegt eine Anweisung hinzu, wie sie auf anders geordnete Provinzen
anzuwenden sei. Was der Biograph des Pius (c. 11) ueber die von Pius den
Rhetoren gewaehrten Auszeichnungen und Gehalte berichtet, hat mit dieser
Verfuegung nichts zu schaffen.
^5 Vortrefflich setzt Dion von Prusa in seinen Ansprachen an die Buerger
von Nikomedeia und von Tarsos auseinander, dass kein gebildeter Mann fuer sich
solche leere Bezeichnungen haben moechte und die Titelsucht fuer die Staedte
geradezu unbegreiflich sei; wie es das Zeichen der richtigen Kleinstaedterei
sei, sich solche Rangbescheinigungen ausstellen zu lassen; wie der schlechte
Statthalter durch diesen Staedtehader sich immer decke, da Nikaea und Nikomedeia
nie unter sich zusammenhielten. "Die Roemer gehen mit euch um wie mit Kindern,
denen man geringes Spielzeug schenkt; Misshandlungen nehmt ihr hin, um Namen zu
bekommen; sie nennen eure Stadt die erste, um sie als die letzte zu behandeln.
Den Roemern seid ihr damit zum Gelaechter geworden und sie nennen das
'griechische Dummheiten' (Ell/e/nika amart/e/mata)."
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Nicht auf der gleichen Hoehe wie das Attalidenreich befand sich Bithynien.
Die aeltere griechische Kolonisierung hatte sich hier lediglich auf die Kueste
beschraenkt. In der hellenistischen Epoche hatten anfangs die makedonischen
Herrscher, spaeter die voellig deren Wege wandelnde einheimische Dynastie neben
der im Ganzen wohl auf Umnennung hinauslaufenden Einrichtung der Kuestenorte
einigermassen auch das Binnenland erschlossen, namentlich durch die beiden
gluecklich gediehenen Anlagen von Nikaea (Isnik) und Prusa am Olymp (Brussa);
von der ersteren wird hervorgehoben, dass die ersten Ansiedler von guter
makedonischer und hellenischer Herkunft gewesen seien. Aber in der Intensitaet
der Hellenisierung stand das Reich des Nikomedes weit zurueck hinter dem des
Buergerfuersten von Pergamon; insonderheit das oestliche Binnenland kann vor
Augustus nur wenig besiedelt gewesen sein. Dies ward in der Kaiserzeit anders.
In augustischer Zeit baute ein gluecklicher Raeuberhauptmann, der sich zur
Ordnung bekehrte, an der galatischen Grenze die gaenzlich herabgekommene
Ortschaft Gordiu Kome unter dem Namen Iuliopolis wieder auf; in derselben Gegend
sind die Staedte Bithynion-Claudiopolis und Krateia-Flaviopolis wahrscheinlich
im Laufe des ersten Jahrhunderts zu griechischem Stadtrecht gelangt. Ueberhaupt
hat in Bithynien der Hellenismus unter der Kaiserzeit einen maechtigen
Aufschwung genommen, und der derbe thrakische Schlag der Eingeborenen gab ihm
eine gute Grundlage. Dass unter den in grosser Anzahl bekannten Schriftsteinen
dieser Provinz nicht mehr als vier der vorroemischen Zeit angehoeren, wird nicht
allein daraus erklaert werden koennen, dass die staedtische Ambition erst unter
den Kaisern grossgezogen worden ist. In der Literatur der Kaiserzeit gehoeren
eine Anzahl der besten und von der wuchernden Rhetorik am wenigsten erfassten
Schriftsteller, wie der Philosoph Dion von Prusa, die Historiker Memnon von
Herakleia, Arrhianos aus Nikomedeia, Cassius Dion von Nikaea, nach Bithynien.
Die oestliche Haelfte der Suedkueste des Schwarzen Meeres, die roemische
Provinz Pontus, hat zur Grundlage denjenigen Teil des Reiches Mithradats, den
Pompeius sofort nach dem Siege in unmittelbaren Besitz nahm. Die zahlreichen
kleinen Fuerstentuemer, welche im paphlagonischen Binnenland und oestlich davon
bis zur armenischen Grenze Pompeius gleichzeitig vergab, wurden nach kuerzerem
oder laengerem Bestand bei ihrer Einziehung teils derselben Provinz zugelegt,
teils zu Galatien oder Kappadokien geschlagen. Das ehemalige Reich des
Mithradates war sowohl von dem aelteren wie von dem juengeren Hellenismus bei
weitem weniger als die westlichen Landschaften beruehrt worden. Als die Roemer
dieses Gebiet mittelbar oder unmittelbar in Besitz nahmen, gab es griechisch
geordnete Staedte dort strenggenommen nicht; Amaseia, die alte Residenz der
pontischen Achaemeniden und immer ihre Grabstadt, war dies nicht; die beiden
alten griechischen Kuestenstaedte Amisos und das einst ueber das Schwarze Meer
gebietende Sinope waren koenigliche Residenzen geworden, und auch den wenigen
von Mithradates angelegten Ortschaften, zum Beispiel Eupatoria, wird schwerlich
griechische Politie gegeben worden sein. Hier aber war, wie schon frueher
ausgefuehrt ward, die roemische Eroberung zugleich die Hellenisierung; Pompeius
organisierte die Provinz in der Weise, dass er die elf Hauptortschaften
derselben zu Staedten machte und unter sie das Gebiet verteilte. Allerdings
aehnelten diese kuenstlich geschaffenen Staedte mit ihren ungeheuren Bezirken -
der von Sinope hatte an der Kueste eine Ausdehnung von sechzehn deutschen Meilen
und grenzte am Halys mit dem amisenischen - mehr den keltischen Gauen als den
eigentlich hellenischen und italischen Stadtgemeinden. Aber es wurden doch
damals Sinope und Amisos in ihre alte Stellung wieder eingesetzt und andere
Staedte im Binnenland, wie Pompeiopolis, Nikopolis, Megalopolis, das spaetere
Sebasteia, ins Leben gerufen. Sinope erhielt durch den Diktator Caesar das Recht
der roemischen Kolonie und ohne Zweifel auch italische Ansiedler. Wichtiger fuer
die roemische Verwaltung ward Trapezus, eine alte Kolonie von Sinope; die Stadt,
die im Jahre 63 zur Provinz Kappadokien geschlagen ward, war wie der Standort
der roemischen Pontusflotte so auch gewissermassen die Operationsbasis fuer das
Truppenkorps dieser Provinz, das einzige in ganz Kleinasien.
Das binnenlaendische Kappadokien war seit der Einrichtung der Provinzen
Pontus und Syrien in roemischer Gewalt; ueber die Einziehung desselben im Anfang
der Regierung des Tiberius, welche zunaechst veranlasst ward durch den Versuch
Armeniens, sich der roemischen Lehnsherrschaft zu entwinden, wird in dem
folgenden Abschnitt zu berichten sein. Der Hof und was unmittelbar damit
zusammenhing, hatte sich hellenisiert, etwa so, wie die deutschen Hoefe des 18.
Jahrhunderts sich dem franzoesischen Wesen zuwandten. Die Hauptstadt Caesarea,
das alte Mazaka, gleich dem phrygischen Apameia eine Zwischenstelle des grossen
Verkehrs zwischen den Haefen der Westkueste und den Euphratlaendern und in
roemischer Zeit wie noch heute eine der bluehendsten Handelsstaedte Kleinasiens,
war auf Pompeius' Veranlassung nach dem Mithradatischen Kriege nicht bloss
wieder aufgebaut, sondern wahrscheinlich damals auch mit Stadtrecht nach
griechischer Art ausgestattet worden. Kappadokien selbst war im Anfang der
Kaiserzeit schwerlich mehr griechisch als Brandenburg und Pommern unter
Friedrich dem Grossen franzoesisch. Als das Land roemisch ward, zerfiel es nach
den Angaben des gleichzeitigen Strabon nicht in Stadtbezirke, sondern in zehn
Aemter, von denen nur zwei Staedte hatten, die schon genannte Hauptstadt und
Tyana; und diese Ordnung ist hier im Grossen und Ganzen so wenig veraendert
worden wie in Aegypten, wenn auch einzelne Ortschaften spaeterhin griechisches
Stadtrecht empfingen, zum Beispiel Kaiser Marcus aus dem kappadokischen Dorf, in
dem seine Gemahlin gestorben war, die Stadt Faustinopolis machte. Griechisch
freilich sprachen die Kappadokier jetzt; aber die Studierenden aus Kappadokien
hatten auswaerts viel zu leiden wegen ihres groben Akzents und ihrer Fehler in
Aussprache und Betonung, und wenn sie attisch reden lernten, fanden die
Landsleute ihre Sprache affektiert ^6. Erst in der christlichen Zeit gaben die
Studiengenossen des Kaisers Julian, Gregorios von Nazianzos und Basilios von
Caesarea, dem kappadokischen Namen einen besseren Klang.
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^6 Pausanias aus Caesarea rueckt bei Philostratos (vit. soph. 2, 13) dem
Herodes Attikos seine Fehler vor: pacheia t/e/ gl/o/tt/e/ ka'i /o/s Kappadokais
x?n/e/thes, xygkro?/o/n men ta s?mph/o/na i/o/n stoichei/o/n, systell/o/n de ta
m/e/kynomena kai m/e/k?n/o/n ta brachea. Vita Apoll. 1, 7: /e/ gl/o/tta
Attik/o/s eichen, oyd' ap/e/chth/e/ t/e/n ph/o/n/e/n ypo to? ethnoys.
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Die lykischen Staedte in ihrem abgeschlossenen Berglande oeffneten ihre
Kueste der griechischen Ansiedlung nicht, aber schlossen sich darum doch nicht
gegen den hellenischen Einfluss ab. Lykien ist die einzige kleinasiatische
Landschaft, in welcher die fruehe Zivilisierung die Landessprache nicht
beseitigt hat, und welche, fast wie die Roemer, in griechisches Wesen einging,
ohne sich aeusserlich zu hellenisieren. Es bezeichnet ihre Stellung, dass die
lykische Konfoederation als solche dem attischen Seebund sich angeschlossen und
an die athenische Vormacht ihren Tribut entrichtet hat. Die Lykier haben nicht
bloss ihre Kunst nach hellenischen Mustern geuebt, sondern wohl auch ihre
politische Ordnung frueh in gleicher Weise geregelt. Die Umwandlung des einst
Rhodos untertaenigen, aber nach dem Dritten Makedonischen Krieg unabhaengig
gewordenen Staedtebundes in eine roemische Provinz, welche wegen des endlosen
Haders unter den Verbuendeten von Kaiser Claudius verfuegt ward, wird das
Vordringen des Hellenismus gefoerdert haben; im Verlauf der Kaiserzeit sind dann
die Lykier vollstaendig zu Griechen geworden.
Die pamphylischen Kuestenstaedte, wie Aspendos und Perge, griechische
Gruendungen der aeltesten Zeit, spaeter sich selbst ueberlassen und unter
guenstigen Verhaeltnissen gedeihlich entwickelt, hatten das aelteste Hellenentum
in einer Weise sei es konserviert, sei es aus sich heraus eigenartig gestaltet,
dass die Pamphylier nicht viel weniger als die benachbarten Lykier in Sprache
und Schrift als selbstaendige Nation gelten konnten. Als dann Asien den Hellenen
gewonnen ward, fanden sie allmaehlich den Rueckweg wie in die gemeine
griechische Zivilisation so auch in die allgemeine politische Ordnung. Die
Herren in dieser Gegend wie an der benachbarten kilikischen Kueste waren in
hellenistischer Zeit teils die Aegypter, deren Koenigshaus verschiedenen
Ortschaften in Pamphylien und Kilikien den Namen gegeben hat, teils die
Seleukiden, nach denen die bedeutendste Stadt Westkilikiens Seleukeia am
Kalykadnos heisst, teils die Pergamener, von deren Herrschaft Attaleia (Adalia)
in Pamphylien zeugt. Dagegen hatten die Voelkerschaften in den Gebirgen
Pisidiens, Isauriens und Westkilikiens bis auf den Beginn der Kaiserzeit ihre
Unabhaengigkeit der Sache nach behauptet. Hier ruhten die Fehden nie. Nicht
bloss zu Lande hatten die zivilisierten Regierungen stets mit den Pisidiern und
ihren Genossen zu schaffen, sondern es betrieben dieselben namentlich von dem
westlichen Kilikien aus, wo die Gebirge unmittelbar an das Meer treten, noch
eifriger als den Landraub das Gewerbe der Piraterie. Als bei dem Verfall der
aegyptischen Seemacht die Suedkueste Kleinasiens voellig zur Freistatt der
Seeraeuber ward, traten die Roemer ein und richteten die Provinz Kilikien,
welche die pamphylische Kueste mit umfasste oder doch umfassen sollte, der
Unterdrueckung des Seeraubs wegen ein. Aber was sie taten, zeigte mehr, was
haette geschehen sollen, als dass wirklich etwas erreicht ward; die Intervention
erfolgte zu spaet und zu unstetig. Wenn auch einmal ein Schlag gegen die
Korsaren gefuehrt ward und roemische Truppen selbst in die isaurischen Gebirge
eindrangen und tief im Binnenland die Piratenburgen brachen, zu rechter
dauernder Festsetzung in diesen von ihr widerwillig annektierten Distrikten kam
die roemische Republik nicht. Hier blieb dem Kaisertum noch alles zu tun uebrig.
Antonius, wie er den Orient uebernahm, beauftragte einen tuechtigen galatischen
Offizier, den Amyntas, mit der Unterwerfung der widerspenstigen pisidischen
Landschaft ^7, und als dieser sich bewaehrte ^8, machte er denselben zum Koenig
von Galatien, der militaerisch bestgeordneten und schlagfertigsten Landschaft
Kleinasiens, und erstreckte zugleich sein Regiment von da bis zur Suedkueste,
also auf Lykaonien, Pisidien, Isaurien, Pamphylien und Westkilikien, waehrend
die zivilisierte Osthaelfte Kilikiens bei Syrien blieb. Auch als Augustus nach
der Aktischen Schlacht die Herrschaft im Orient antrat, liess er den keltischen
Fuersten in seiner Stellung. Derselbe machte auch wesentliche Fortschritte
sowohl in der Unterdrueckung der schlimmen, in den Schlupfwinkeln des westlichen
Kilikiens hausenden Korsaren wie auch in der Ausrottung der Landraeuber, toetete
einen der schlimmsten dieser Raubherren, den Herrn von Derbe und Laranda im
suedlichen Lykaonien, Antipatros, baute in Isauria sich seine Residenz und
schlug die Pisidier nicht bloss hinaus aus dem angrenzenden phrygischen Gebiet,
sondern fiel in ihr eigenes Land ein und nahm im Herzen desselben Kremna. Aber
nach einigen Jahren (729 25) verlor er das Leben auf einem Zug gegen einen der
westkilikischen Staemme, die Homonadenser; nachdem er die meisten Ortschaften
genommen hatte und ihr Fuerst gefallen war, kam er um durch einen von dessen
Gattin gegen ihn gerichteten Anschlag. Nach dieser Katastrophe uebernahm
Augustus selbst das schwere Geschaeft der Pazifikation des inneren Kleinasiens.
Wenn er dabei, wie schon bemerkt ward, das kleine pamphylische Kuestenland einem
eigenen Statthalter zuwies und es von Galatien trennte, so ist dies offenbar
deswegen geschehen, weil das zwischen der Kueste und der galatisch-lykaonischen
Steppe liegende Gebirgsland so wenig botmaessig war, dass die Verwaltung des
Kuestengebiets nicht fueglich von Galatien aus gefuehrt werden konnte. Roemische
Truppen wurden nach Galatien nicht gelegt; doch wird das Aufgebot der
kriegerischen Galater mehr zu bedeuten gehabt haben als bei den meisten
Provinzialen. Auch hatten, da das westliche Kilikien damals unter Kappadokien
gelegt ward, die Truppen dieses Lehnsfuersten sich an der Arbeit zu beteiligen.
Die Zuechtigung zunaechst der Homonadenser fuehrte die syrische Armee aus; der
Statthalter Publius Sulpicius Quirinius rueckte einige Jahre spaeter in ihr
Gebiet, schnitt ihnen die Zufuhr ab und zwang sie, sich in Masse zu unterwerfen,
worauf sie in die umliegenden Ortschaften verteilt und ihr ehemaliges Gebiet
wuest gelegt wurde. Aehnliche Zuechtigungen erfuhren in den Jahren 36 und 52 die
Kliten, ein anderer, in dem westlichen Kilikien naeher an der Kueste sitzender
Stamm; da sie dem von Rom ihnen gesetzten Lehnsfuersten den Gehorsam
verweigerten und das Land wie die See brandschatzten, und da die sogenannten
Landesherren mit ihnen nicht fertig werden konnten, kamen beide Male die
Reichstruppen aus Syrien herbei, um sie zu unterwerfen. Diese Nachrichten haben
sich zufaellig erhalten; sicher sind zahlreiche aehnliche Vorgaenge verschollen.
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^7 Amyntas wurde noch im Jahre 715, bevor Antonius nach Asien zurueckging
ueber die Pisidier gesetzt (App. civ. 5, 75), ohne Zweifel weil diese wieder
einmal einen ihrer Raubzuege unternommen hatten. Daraus, dass er dort zuerst
herrschte, erklaert es sich auch, dass er sich in Isaura seine Residenz baute
(Strab. 12, 6, 3, p. 569). Galatien kam zunaechst an die Erben des Deiotarus
(Dio 48, 33). Erst im Jahre 718 erhielt Amyntas Galatien, Lykaonien und
Pamphylien (Dio 49, 32).
^8 Dass dies die Ursache war, weshalb diese Gegenden nicht unter roemische
Statthalter gelegt wurden, sagt Strabon (14, 5, 5 p. 671), der nach Zeit und Ort
diesen Verhaeltnissen nahestand, ausdruecklich: edokei pros apan to toio?to
(fuer die Unterdrueckung der Raeuber und der Piraten) basileyesthai mallon to?s
topoys /e/ thpo tois R/o/maiois /e/gemosin einai tois epi tas kriseis
pempomenois, oi m/e/t' aei pareinai emellon (wegen der Bereisung der conventus)
m/e/te meth' oplon (die allerdings dem spaeteren Legaten von Galatien fehlten).
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Aber auch im Wege der Besiedelung griff Augustus die Pazifikation dieser
Landschaft an. Die hellenistischen Regierungen hatten dieselbe sozusagen
isoliert, nicht bloss an der Kueste ueberall Fuss behalten oder gefasst, sondern
auch im Nordwesten eine Reihe von Staedten gegruendet, an der phrygischen Grenze
Apollonia angeblich von Alexander selbst angelegt, Seleukeia Siderus und
Antiocheia, beide aus der Seleukidenzeit, ferner in Lykaonien Laodikeia
Katakekaumene und die wohl auch in der gleichen Zeit entstandene Hauptstadt
dieser Landschaft Ikonion. Aber in dem eigentlichen Bergland findet sich keine
Spur hellenistischer Niederlassung; und noch weniger hat der roemische Senat
sich an diese schwierige Aufgabe gemacht. Augustus tat es; hier, und nur hier im
ganzen griechischen Osten, begegnet eine Reihe von Kolonien roemischer
Veteranen, offenbar bestimmt, dieses Gebiet der friedlichen Ansiedlung zu
erobern. Von den eben genannten aelteren Ansiedlungen wurde Antiocheia mit
Veteranen belegt und roemisch reorganisiert, neu angelegt in Lykaonien Parlais
und Lystra, in Pisidien selbst das schon genannte Kremna so wie weiter suedlich
Olbasa und Komama. Die spaeteren Regierungen setzten die begonnene Arbeit nicht
mit gleicher Energie fort; doch wurde unter Claudius das eiserne Seleukeia
Pisidiens zum claudischen gemacht, ferner im westkilikischen Binnenland
Claudiopolis und nicht weit davon, vielleicht gleichzeitig, Germanicopolis ins
Leben gerufen, auch Ikonion, in Augustus' Zeit ein kleiner Ort, zu bedeutender
Entwicklung gebracht. Die neu gegruendeten Staedte blieben freilich unbedeutend,
schraenkten aber doch den Spielraum der freien Gebirgsbewohner in namhafter
Weise ein, und der Landfriede muss endlich auch hier seinen Einzug gehalten
haben. Sowohl die Ebene und die Bergterrassen Pamphyliens wie die Bergstaedte
Pisidiens selbst, zum Beispiel Selge und Sagalassos, waren waehrend der
Kaiserzeit gut bevoelkert und das Gebiet sorgfaeltig angebaut; die Reste
maechtiger Wasserleitungen und auffallend grosser Theater, saemtlich Anlagen aus
der roemischen Kaiserzeit, zeigen zwar nur handwerksmaessige Technik, aber
Spuren eines reich entwickelten friedlichen Gedeihens. Ganz freilich ward die
Regierung des Raubwesens in diesen Landschaften niemals Herr, und wenn in der
frueheren Kaiserzeit die Heimsuchungen sich in maessigen Grenzen hielten, traten
die Banden hier in den Wirren des dritten Jahrhunderts abermals als
kriegfuehrende Macht auf. Sie gehen jetzt unter dem Namen der Isaurer und haben
ihren hauptsaechlichen Sitz in den Gebirgen Kilikiens, von wo aus sie Land und
Meer brandschatzen. Erwaehnt werden sie zuerst unter Severus Alexander. Dass sie
unter Gallienus ihren Raeuberhauptmann zum Kaiser ausgerufen haben, wird eine
Fabel sein; aber allerdings wurde unter Kaiser Probus ein solcher namens Lydios,
der lange Zeit Lykien und Pamphylien gepluendert hatte, in der roemischen
Kolonie Kremna, die er besetzt hatte, nach langer hartnaeckiger Belagerung durch
eine roemische Armee bezwungen. In spaeterer Zeit finden wir um ihr Gebiet einen
Militaerkordon gezogen und einen eigenen kommandierenden General fuer die
Isaurer bestellt. Ihre wilde Tapferkeit hat sogar denen von ihnen, welche bei
dem byzantinischen Hof Dienste nehmen mochten, eine Zeitlang eine Stellung
daselbst verschafft, wie die Makedonier sie am Hofe der Ptolemaeer besessen
hatten; ja einer aus ihrer Mitte, Zenon, ist als Kaiser von Byzanz gestorben ^9.
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^9 In der grossen unbenannten Ruinenstaette von Saradschik im oberen
Limyrostal im oestlichen Lykien (vgl. C. Ritter, Erdkunde. Bd. 19, Berlin 1859,
S. 1172) steht ein bedeutender tempelfoermiger Grabbau, sicher nicht aelter als
das 3. Jahrhundert n. Chr., an welchem in Relief zerstueckelte Menschenteile,
Koepfe, Arme, Beine als Embleme angebracht sind; man moechte meinen, als Wappen
eines zivilisierten Raeuberhauptmanns (Mitteilung von Benndorf).
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Die Landschaft Galatien endlich, in ferner Zeit die Hauptstaette der
orientalischen Herrschaft ueber Vorderasien und in den beruehmten Felsskulpturen
des heutigen Boghazkoei, einst der Koenigstadt Pteria, die Erinnerungen einer
fast verschollenen Herrlichkeit bewahrend, war im Lauf der Jahrhunderte in
Sprache und Sitte eine keltische Insel inmitten der Fluten der Ostvoelker
geworden und ist dies in der inneren Organisation auch in der Kaiserzeit
geblieben. Die drei keltischen Voelkerschaften, welche bei der grossen Wanderung
der Nation um die Zeit des Krieges zwischen Pyrrhos und den Roemern in das
innere Kleinasien gelangt waren und hier, wie im Mittelalter die Franken im
Orient, zu einem festgegliederten Soldatenstaat sich zusammengeschlossen und
nach laengerem Schweifen dies- und jenseits des Halys ihre definitiven Sitze
genommen hatten, hatten laengst die Zeiten hinter sich, wo sie von dort aus
Kleinasien brandschatzten und mit den Koenigen von Asia und Pergamon im Kampfe
lagen, falls sie nicht als Soeldner ihnen dienten; auch sie waren an der
Uebermacht der Roemer zerschellt und ihnen in Asien nicht minder botmaessig
geworden wie ihre Landsleute im Potal und an der Rhone und Seine. Aber trotz
ihres mehrhundertjaehrigen Verweilens in Kleinasien trennte immer noch eine
tiefe Kluft diese Okzidentalen von den Asiaten. Es war nicht bloss, dass sie
ihre Landessprache und ihre Volksart festhielten, dass immer noch die drei Gaue
jeder von seinen vier Erbfuersten regiert wurden und die von allen
gemeinschaftlich beschickte Bundesversammlung in dem heiligen Eichenhain als
hoechste Behoerde dem galatischen Lande vorstand, auch nicht, dass die
ungebaendigte Roheit wie die kriegerische Tuechtigkeit sie von den Nachbarn zum
Nachteil wie zum Vorteil unterschied; dergleichen Gegensaetze zwischen Kultur
und Barbarei gab es in Kleinasien auch sonst, und die oberflaechliche und
aeusserliche Hellenisierung, wie die Nachbarschaft, die Handelsbeziehungen, der
von den Einwanderern uebernommene phrygische Kultus, das Soeldnertum sie im
Gefolge hatten, wird in Galatien nicht viel spaeter eingetreten sein als zum
Beispiel in dem benachbarten Kappadokien. Der Gegensatz ist anderer Art: die
keltische und die hellenische Invasion haben in Kleinasien konkurriert, und zu
dem nationalen Gegensatz ist der Stachel der rivalisierenden Eroberung
hinzugetreten. Scharf trat dies zutage in der Mithradatischen Krise: dem
Mordbefehl des Mithradates gegen die Italiker ging zur Seite die Niedermetzelung
des gesamten galatischen Adels und dementsprechend haben in den Kriegen gegen
den orientalischen Befreier der Hellenen die Roemer keinen treueren
Bundesgenossen gehabt als die Galater Kleinasiens. Darum war der Erfolg der
Roemer auch der ihrige und gab der Sieg ihnen in den Angelegenheiten Kleinasiens
eine Zeitlang eine fuehrende Stellung. Das alte Vierfuerstentum wurde, es
scheint durch Pompeius, abgeschafft. Einer der neuen Gaufuersten, der in den
Mithradatischen Kriegen sich am meisten bewaehrt hatte, Deiotarus, brachte
ausser seinem eigenen Gebiete Klein-Armenien und andere Stuecke des ehemaligen
Mithradatischen Reiches an sich und ward auch den uebrigen galatischen Fuersten
ein unbequemer Nachbar und der maechtigste unter den kleinasiatischen Dynasten.
Nach dem Siege Caesars, dem er feindlich gegenuebergestanden hatte und den er
auch durch die gegen Pharnakes geleistete Hilfe nicht fuer sich zu gewinnen
vermochte, wurden ihm die mit oder ohne Einwilligung der roemischen Regierung
gewonnenen Besitzungen groesstenteils wieder entzogen; der Caesarianer
Mithradates von Pergamon, welcher von muetterlicher Seite dem galatischen
Koenigshaus entsprossen war, erhielt das meiste von dem, was Deiotarus verlor
und wurde ihm sogar in Galatien selbst an die Seite gestellt. Aber nachdem
dieser kurz darauf im Taurischen Chersones sein Ende gefunden hatte und auch
Caesar selbst nicht lange nachher ermordet worden war, setzte Deiotarus sich
ungeheissen wieder in den Besitz des Verlorenen, und da er der jedesmal im
Orient vorherrschenden roemischen Partei sich ebenso zu fuegen verstand, wie sie
rechtzeitig zu wechseln, starb er hochbejahrt im Jahre 714 (40) als Herr von
ganz Galatien. Seine Nachkommen wurden mit einer kleinen Herrschaft in
Paphlagonien abgefunden; sein Reich, noch erweitert gegen Sueden hin durch
Lykaonien und alles Land bis zur pamphylischen Kueste, kam, wie schon gesagt
ward, im Jahre 718 (36) durch Antonius an Amyntas, welcher schon in Deiotarus'
letzten Jahren als dessen Sekretaer und Feldherr das Regiment gefuehrt zu haben
scheint und als solcher vor der Schlacht von Philippi den Uebergang von den
republikanischen Feldherrn zu den Triumvirn bewirkt hatte. Seine weiteren
Schicksale sind schon erzaehlt. An Klugheit und Tapferkeit seinem Vorgaenger
ebenbuertig, diente er erst dem Antonius, dann dem Augustus als hauptsaechliches
Werkzeug fuer die Pazifikation des noch nicht untertaenigen kleinasiatischen
Gebiets, bis er hier im Jahre 729 (25) seinen Tod fand. Mit ihm endigte das
galatische Koenigtum und verwandelte sich dasselbe in die roemische Provinz
Galatien.
Gallograeker heissen die Bewohner desselben bei den Roemern schon in der
letzten Zeit der Republik; sie sind, fuegt Livius hinzu, ein Mischvolk, wie sie
heissen, und aus der Art geschlagen. Auch musste ein guter Teil derselben von
den aelteren phrygischen Bewohnern dieser Landschaften abstammen. Mehr noch
faellt ins Gewicht, dass die eifrige Goetterverehrung in Galatien und das
dortige Priestertum mit den sakralen Institutionen der europaeischen Kelten
nichts gemein hat; nicht bloss die Grosse Mutter, deren heiliges Symbol die
Roemer der hannibalischen Zeit von den Tolistobogern erbaten und empfingen, ist
phrygischer Art, sondern auch deren Priester gehoerten zum Teil wenigstens dem
galatischen Adel an. Dennoch war noch in der roemischen Provinz in Galatien die
innere Ordnung ueberwiegend die keltische. Dass noch unter Pius in Galatien die
dem hellenischen Recht fremde strenge vaeterliche Gewalt bestand, ist ein Beweis
dafuer aus dem Kreise des Privatrechts. Auch in den oeffentlichen Verhaeltnissen
gab es in dieser Landschaft immer noch nur die drei alten Gemeinden der
Tektosagen, der Tolistoboger, der Trokmer, die wohl ihren Namen die der drei
Hauptoerter Ankyra, Pessinus und Tauion beisetzen, aber wesentlich doch nichts
sind als die wohlbekannten gallischen Gaue, die des Hauptorts ja auch nicht
entbehren. Wenn bei den Kelten Asiens die Auffassung der Gemeinde als Stadt
frueher als bei den europaeischen das Uebergewicht gewinnt ^10 und der Name
Ankyra rascher den der Tektosagen verdraengt als in Europa der Name Burdigala
den der Bituriger, dort Ankyra sogar als Vorort der gesamten Landschaft sich die
"Mutterstadt" (m/e/tropolis) nennt, so zeigt dies allerdings, wie das ja auch
nicht anders sein konnte, die Einwirkung der griechischen Nachbarschaft und den
beginnenden Assimilationsprozess, dessen einzelne Phasen zu verfolgen die uns
gebliebene oberflaechliche Kunde nicht gestattet. Die keltischen Namen halten
sich bis in die Zeit des Tiberius, nachher erscheinen sie nur vereinzelt in den
vornehmen Haeusern. Dass die Roemer seit Einrichtung der Provinz wie in Gallien
nur die lateinische, so in Galatien neben dieser nur die griechische Sprache im
Geschaeftsverkehr zuliessen, versteht sich von selbst. Wie es frueher damit
gehalten ward, wissen wir nicht, da vorroemische Schriftmaeler in dieser
Landschaft ueberhaupt nicht begegnen. Als Umgangssprache hat die keltische sich
auch in Asien mit Zaehigkeit behauptet ^11; doch gewann allmaehlich das
Griechische die Oberhand. Im vierten Jahrhundert war Ankyra eines der
Hauptzentren der griechischen Bildung; "die kleinen Staedte in dem griechischen
Galatien", sagt der bei Vortraegen fuer das gebildete Publikum grau gewordene
Literat Themistios, "koennen sich ja freilich mit Antiocheia nicht messen; aber
die Leute eignen die Bildung sich eifriger an als die richtigen Hellenen, und wo
sich der Philosophenmantel zeigt, haengen sie an ihm wie das Eisen am Magnet."
Dennoch mag bis in eben diese Zeit, namentlich jenseits des Halys bei den
offenbar viel spaeter hellenisierten Trokmern ^12, sich in den niederen Kreisen
die Volkssprache gehalten haben. Es ist schon erwaehnt worden, dass nach dem
Zeugnis des vielgewanderten Kirchenvaters Hieronymus noch am Ende des 4.
Jahrhunderts der asiatische Galater die gleiche, wenn auch verdorbene Sprache
redete, welche damals in Trier gesprochen ward. Dass als Soldaten die Galater,
wenn sie auch mit den Okzidentalen keinen Vergleich aushielten, doch weit
brauchbarer waren als die griechischen Asiaten, dafuer zeugt sowohl die Legion,
welche Koenig Deiotarus aus seinen Untertanen nach roemischem Muster aufgestellt
hatte und die Augustus mit dem Reiche uebernahm und in die roemische Armee unter
dem bisherigen Namen einreihte, wie auch dass bei der orientalischen
Rekrutierung der Kaiserzeit die Galater ebenso vorzugsweise herangezogen wurden
wie im Okzident die Bataver ^13.
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^10 Das beruehmte Verzeichnis der der Gemeinde Ankyra gemachten Leistungen
aus Tiberius' Zeit (CIG 4039) bezeichnet die galatischen Gemeinden gewoehnlich
mit ethnos, zuweilen mit polis. Spaeter verschwindet jene Benennung; aber in der
vollen Titulatur, zum Beispiel der Inschrift CIG 4011 aus dem zweiten
Jahrhundert, fuehrt Ankyra immer noch den Volksnamen: /e/ m/e/tropolis t/e/s
Galatias Sebast/e/ Tekt/o/sag/o/n Agkyra.
^11 Nach Pausanias (10, 36, 1) heisst bei den Galatai yper PHrygias
ph/o/n/e/ t/e/ epich/o/ri/o/ spisin die Scharlachbeere ?s; und Lukian (Alex. 51)
berichtet von den Verlegenheiten des wahrsagenden Paphlagoniers, wenn ihm
Syristi /e/ Keltisti Fragen vorgelegt wurden und nicht gleich dieser Sprache
kundige Leute zur Hand waren.
^12 Wenn in dem Anm. 10 erwaehnten Verzeichnis aus Tiberius' Zeit die
Spenden nur selten drei Voelkern, meist zwei Voelkern oder zwei Staedten gegeben
werden, so sind, wie G. Perrot (Exploration archeologique de la Galane et de la
Bithynie. Paris 1862, S. 83) richtig bemerkt, die letzteren Ankyra und Pessinus
und steht bei den Spenden hinter ihnen Tauion der Trokmer zurueck. Vielleicht
gab es damals bei diesen noch keine Ortschaft, die als Stadt gelten konnte.
^13 Auch Cicero (Att. 6, S, 3) schreibt von seiner Armee in Kilikien:
exercitum infirmum habebam, auxilia sane bona, sed ea Galatarum, Pisidarum,
Lyciorum: haec enim sunt nostra robora.
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Den aussereuropaeischen Hellenen gehoeren ferner noch die beiden grossen
Eilande des oestlichen Mittelmeers Kreta und Kypros an sowie die zahlreichen des
Inselmeers zwischen Griechenland und Kleinasien; auch die kyrenaeische
Pentapolis an der gegenueberliegenden afrikanischen Kueste ist durch die
umliegende Wueste von dem Binnenlande so geschieden, dass sie jenen griechischen
Inseln einigermassen gleichgestellt werden kann. Indes der allgemeinen
geschichtlichen Auffassung fuegen diese Elemente der ungeheuren, unter dem
Szepter der Kaiser vereinigten Laendermasse wesentlich neue Zuege nicht hinzu.
Die kleineren Inseln, frueher und vollstaendiger hellenisiert als der Kontinent,
gehoeren ihrem Wesen nach mehr zum europaeischen Griechenland als zum
kleinasiatischen Kolonialgebiet; wie denn des hellenischen Musterstaats Rhodos
bei jenem schon mehrfach gedacht worden ist. In dieser Epoche werden die Inseln
hauptsaechlich genannt, insofern es in der Kaiserzeit ueblich ward, Maenner aus
den besseren Staenden zur Strafe nach denselben zu verbannen. Man waehlte, wo
der Fall besonders schwer war, die Klippen wie Gyaros und Donussa; aber auch
Andros, Kythnos, Amorgos, einst bluehende Zentren griechischer Kultur, waren
jetzt Strafplaetze, waehrend in Lesbos und Samos nicht selten vornehme Roemer
und selbst Glieder des kaiserlichen Hauses freiwillig laengeren Aufenthalt
nahmen. Kreta und Kypros, deren alter Hellenismus unter der persischen
Herrschaft oder auch in voelliger Isolierung die Fuehlung mit der Heimat
verloren hatte, ordneten sich, Kypros als Dependenz Aegyptens, die kretischen
Staedte autonom, in der hellenistischen und spaeter in der roemischen Epoche
nach den allgemeinen Formen der griechischen Politie. In den kyrenaeischen
Staedten ueberwog das System der Lagiden; wir finden in ihnen nicht bloss, wie
in den eigentlich griechischen, die hellenischen Buerger und Metoeken, sondern
es stehen neben beiden, wie in Alexandreia die Aegypter, die "Bauern", das
heisst die eingeborenen Afrikaner, und unter den Metoeken bilden, wie ebenfalls
in Alexandreia, die Juden eine zahlreiche und privilegierte Klasse.
Den Griechen insgemein hat auch das roemische Kaiserregiment niemals eine
Vertretung gewaehrt. Die augustische Amphiktyonie beschraenkte sich, wie wir
sahen, auf die Hellenen in Achaia, Epirus und Makedonien. Wenn die hadrianischen
Panhellenen in Athen sich als die Vertretung der saemtlichen Hellenen gerierten,
so haben sie doch in die uebrigen griechischen Provinzen nur insofern
uebergegriffen, als sie einzelnen Staedten in Asia sozusagen das Ehren-
Hellenentum dekretierten; und dass sie dies taten, zeigt erst recht, dass die
auswaertigen Griechengemeinden in jene Panhellenen keineswegs einbegriffen sind.
Wenn in Kleinasien von Vertretung oder Vertretern der Hellenen die Rede ist, so
ist damit in den vollstaendig hellenisch geordneten Provinzen Asia und Bithynia
der Landtag und der Landtagsvorsteher dieser Provinzen gemeint, insofern diese
aus den Deputierten der zu einer jeden derselben gehoerigen Staedte hervorgehen
und diese saemtlich griechische Politien sind ^14; oder es werden in der
nichtgriechischen Provinz Galatien die neben dem galatischen Landtag stehenden
Vertreter der in Galatien verweilenden Griechen als Griechenvorsteher bezeichnet
^15.
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^14 Beschluesse der epi t/e/s Asias Ell/e/nes CIA 3487, 3957; ein Lykier
geehrt ypo to? koino? t/o/n epi t/e/s Asias Ell/e/n/o/n kai ypo t/o/n en
Pamphylia pole/o/n O. Benndorf, Reisen in Lykien und Karien. Wien 1884. Bd. 1,
S. 122; Schreiben an die Hellenen in Asia CIG 3832, 3833; /o/ andres Ell/e/nes,
in der Anrede an den Landtag von Pergamon (Aristeid. or. p. 517). Ein arxas to?
koino? t/o/n en Bithynia Ell/e/n/o/n Perrot, Exploration, S. 32; Schreiben des
Kaisers Alexander an dasselbe (dig. 49, 1, 25). Dio 51, 20: tois xenois,
Ell/e/nas sphas epikalesas, eayt/o/ tina, tois men Asianois en Pergam/o/, tois
de Bithynois en Nikomedeia temenisai epetrepse.
^15 Ausser den Galatarchen (Marquardt, Staatsverwaltung. Bd. 1, S. 515)
begegnen uns in Galatien noch unter Hadrian Helladarchen (BCH 7, 1883, S. 18),
welche hier nur gefasst werden koennen wie die Hellenarchen in Tanais.
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Der staedtischen Konfoederation hatte die roemische Regierung in Kleinasien
keine Veranlassung, besondere Hindernisse entgegenzustellen. In roemischer wie
in vorroemischer Zeit haben neun Staedte der Troas gemeinschaftlich religioese
Verrichtungen vollzogen und gemeinschaftliche Feste gefeiert ^16. Die Landtage
der verschiedenen kleinasiatischen Provinzen, welche hier wie in dem gesamten
Reich als feste Einrichtung von Augustus ins Leben gerufen sein werden, sind von
denen der uebrigen Provinzen an sich nicht verschieden. Doch hat diese
Institution sich hier in eigenartiger Weise entwickelt oder vielmehr
denaturiert. Mit dem naechsten Zweck dieser Jahresversammlungen der staedtischen
Deputierten einer jeden Provinz ^17, die Wuensche derselben dem Statthalter oder
der Regierung zur Kenntnis zu bringen und ueberhaupt als Organ dieser Provinz zu
dienen, verband sich hier zuerst die jaehrliche Festfeier fuer den regierenden
Kaiser und das Kaisertum ueberhaupt: Augustus gestattete im Jahre 725 (29) den
Landtagen von Asia und Bithynien an ihren Versammlungsorten Pergamon und
Nikomedeia, ihm Tempel zu errichten und goettliche Ehre zu erweisen. Diese neue
Einrichtung dehnte sich bald auf das ganze Reich aus, und die Verschmelzung der
sakralen Institution mit der administrativen wurde ein leitender Gedanke der
provinzialen Organisation der Kaiserzeit. Aber in Priester- und Festpomp und
staedtischen Rivalitaeten hat diese Einrichtung doch nirgends sich so entwickelt
wie in der Provinz Asia und analog in den uebrigen kleinasiatischen Provinzen
und nirgends also neben und ueber die munizipale sich eine provinziale Ambition
mehr noch der Staedte als der Individuen gestellt, wie sie in Kleinasien das
gesamte oeffentliche Leben beherrscht. Der von Jahr zu Jahr in der Provinz
bestellte Hohepriester (archiere?s) des neuen Tempels ist nicht bloss der
vornehmste Wuerdentraeger der Provinz, sondern es wird auch in der ganzen
Provinz das Jahr nach ihm bezeichnet ^18. Das Fest- und Spielwesen nach dem
Muster der olympischen Feier, welches bei den Hellenen allen, wie wir sahen,
mehr und mehr um sich griff, knuepfte in Kleinasien ueberwiegend an die Feste
und Spiele des provinzialen Kaiserkultus an. Die Leitung derselben fiel dem
Landtagspraesidenten, in Asia dem Asiarchen, in Bithynien dem Bithyniarchen und
so weiter zu, und nicht minder trug er hauptsaechlich die Kosten des Jahrfestes,
obwohl ein Teil derselben, wie die uebrigen dieses so glaenzenden wie loyalen
Gottesdienstes, durch freiwillige Gaben und Stiftungen gedeckt oder auch auf die
einzelnen Staedte repartiert wurden. Daher waren diese Praesidenturen nur
reichen Leuten zugaenglich; die Wohlhabenheit der Stadt Tralleis wird dadurch
bezeichnet, dass an Asiarchen - der Titel blieb auch nach Ablauf des Amtsjahrs -
es nie daselbst fehle, die Geltung des Apostels Paulus in Ephesos durch seine
Verbindung mit verschiedenen dortigen Asiarchen. Trotz der Kosten war dies eine
viel umworbene Ehrenstellung, nicht wegen der daran geknuepften Privilegien, zum
Beispiel der Befreiung von der Vormundschaft, sondern wegen ihres aeusseren
Glanzes; der festliche Einzug in die Stadt, im Purpurgewand und den Kranz auf
dem Haupt, unter Vortritt der das Rauchfass schwingenden Prozessionsknaben, war
im Horizont der Kleinasiaten, was bei den Hellenen der Oelzweig von Olympia.
Mehrfach ruehmt sich dieser oder jener vornehme Asiate, nicht bloss selber
Asiarch gewesen zu sein, sondern auch von Asiarchen abzustammen. Wenn sich
dieser Kultus anfaenglich auf die Provinzialhauptstaedte beschraenkte, so
sprengte die munizipale Ambition, die namentlich in der Provinz Asia
unglaubliche Verhaeltnisse annahm, sehr bald diese Schranken. Hier wurde schon
im Jahre 23 dem damals regierenden Kaiser Tiberius sowie seiner Mutter und dem
Senat ein zweiter Tempel von der Provinz dekretiert und nach langem Hader der
Staedte durch Beschluss des Senats in Smyrna errichtet. Die anderen groesseren
Staedte folgten bei spaeteren Gelegenheiten nach ^19. Hatte bis dahin die
Provinz wie nur einen Tempel, so auch nur einen Vorsteher und einen Oberpriester
gehabt, so mussten jetzt nicht bloss so viele Oberpriester bestellt werden, als
es Provinzialtempel gab, sondern es wurden auch, da die Leitung des Tempelfestes
und die Ausrichtung der Spiele nicht dem Oberpriester, sondern dem
Landesvorsteher zustand und es den rivalisierenden Grossstaedten hauptsaechlich
um die Feste und Spiele zu tun war, saemtlichen Oberpriestern zugleich der Titel
und das Recht der Vorsteherschaft gegeben, so dass wenigstens in Asia die
Asiarchie und das Oberpriestertum der Provinzialtempel zusammenfielen ^20. Damit
traten der Landtag und die buergerlichen Geschaefte, von welchen die Institution
ihren Ausgang genommen hatte, in den Hintergrund; der Asiarch war bald nichts
mehr als der Ausrichter eines an die goettliche Verehrung der gewesenen und des
gegenwaertigen Kaisers angeknuepften Volksfestes, weshalb dann auch die Gemahlin
desselben, die Asiarchin, sich an der Feier beteiligen durfte und eifrig
beteiligte.
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^16 Das synedrion t/o/n ennea d/e/m/o/n (H. Schliemann, Troja. Leipzig
1883, S. 256) nennt sich anderswo Ilieis kai poleis ai koinono?sai t/e/s thysias
kai toi ag/o/nos kai t/e/s paneg?re/o/s (daselbst, S. 254). Ein anderes Dokument
desselben Bundes aus der Zeit des Antigonos bei J. G. Droysen, Geschichte des
Hellenismus. 2. Aufl. Gotha 1877. Bd. 2, S. 382ff. Ebenso werden andere koina zu
fassen sein, die auf einen engeren Kreis als die Provinz sich beziehen, wie das
alte der dreizehn ionischen Staedte, das der Lesbier (Marquardt,
Staatsverwaltung, Bd. 1, S. 516), das der Phrygier auf den Muenzen von Apameia.
Ihre magistratischen Praesidenten haben auch diese gehabt, wie denn kuerzlich
sich ein Lesbiarch gefunden hat (Marquardt, a. a.O.) und ebenso die moesischen
Hellenen unter einem Pontarchen standen. Doch ist es nicht unwahrscheinlich,
dass, wo der Archontat genannt wird, der Bund mehr ist als eine blosse
Festgenossenschaft; die Lesbier sowohl wie die moesischen Fuenfstaedte moegen
einen besonderen Landtag gehabt haben, dem diese Beamten vorstanden. Dagegen ist
das koinon to? Yrgaleoy pedioy (W. M. Ramsay, Cities and bishoprics of Phrygia.
Oxford 1895, S. 10), das neben mehreren d/e/moi steht, eine des Stadtrechts
entbehrende Quasi-Gemeinde.
^17 Am deutlichsten tritt die Zusammensetzung der kleinasiatischen Landtage
hervor in Strabons (14, 3, 3 p. 664) Bericht ueber die Lykiarchie und bei
Aristeides' (or. 26 p. 344) Erzaehlung seiner Wahl zu einem der asiatischen
Provinzialpriestertuemer.
^18 Beispiele fuer Asia: CIG 3487; fuer Lykien: Benndorf, Reisen, Bd. 1, S.
71. Die lykische Bundesversammlung aber bezeichnet die Jahre nicht nach dem
Archiereus, sondern nach dem Lykiarchen.
^19 Tac. ann. 4, 15 u. 55. Die Stadt, welche einen von dem Landtag der
Provinz (dem koinon t/e/s Asias usw.) gewidmeten Tempel besitzt, fahrt deswegen
das Ehrenpraedikat der den (Kaiser-) Tempel huetenden" (ne/o/koros); und wenn
eine deren mehrere aufzuweisen hat, wird die Zahl beigesetzt. Man kann an diesem
Institut deutlich erkennen, wie der Kaiserkultus seine volle Ausbildung in
Kleinasien erhalten hat. Der Sache nach ist das Neokorat allgemein, auf jede
Gottheit und jede Stadt anwendbar; titular, als Ehrenbeiname der Stadt, begegnet
es mit verschwindenden Ausnahmen allein in dem kleinasiatischen Kaiserkultus -
nur einige griechische Staedte der Nachbarprovinzen, wie Tripolis in Syrien,
Thessalonike in Makedonien haben darin mitgemacht.
^20 So wenig die urspruengliche Verschiedenheit der Landtagspraesidentur
und des provinzialen Oberpriestertums fuer den Kaiserkultus in Zweifel gezogen
werden kann, so tritt doch nicht bloss bei jener der in Hellas, von wo die
Organisation der koina ueberhaupt ausgeht, noch deutlich erkennbare
magistratische Charakter des Vorstehers in Kleinasien voellig zurueck, sondern
es scheint hier in der Tat da, wo das koinon mehrere sakrale Mittelpunkte hat,
der Asiarch/e/s und der archiere?s t/e/s Asias sich verschmolzen zu haben. Die
das buergerliche Amt scharf akzentuierende Titulatur strat/e/gos fuehrt der
Praesident des koinon in Kleinasien nie, auch arxas to? koino? (Anm. 14) oder
to? ethnoys (CIG 4380 k4 p. 1168) ist selten; die Komposita Asiarch/e/s,
Lykiarch/e/s, analog dem Elladarch/e/s von Achaia, sind schon zu Strabons Zeit
die gebraeuchliche Bezeichnung. Dass in den kleineren Provinzen, wie Galatien
und Lykien der Archon und der Archiereus der Provinz getrennt geblieben sind,
ist gewiss. Aber in Asien ist das Vorhandensein von Asiarchen fuer Ephesos und
Smyrna inschriftlich festgestellt (Marquardt, Staatsverwaltung, Bd. 1, S. 514),
waehrend es doch nach dem Wesen der Institution nur einen Asiarchen fuer die
ganze Provinz geben konnte. Auch ist hier die Agonothesie des Archiereus
beglaubigt (Galenus zum Hippokrates, usu. part. 18, 2 p. 567 Kuehn: par' /e/min
en Pergam/o/ t/o/n archiere/o/n tas kaloymenas monomachias epitelo?nt/o/n),
waehrend eben sie das Wesen des Asiarchats ist. Allem Anschein nach haben die
Rivalitaeten der Staedte hier dahin gefuehrt, dass, nachdem es mehrere von der
Provinz gewidmete Kaisertempel in verschiedenen Staedten gab, die Agonothesie
dem effektiven Landtagspraesidenten genommen und dafuer dem Oberpriester jedes
Tempels der titulare Asiarchat und die Agonothesie uebertragen ward. Dann
erklaert sich auf den Muenzen der dreizehn ionischen Staedte (Mionnet, Bd. 3,
61, 1) der Asiarch/e/s kai archiere?s ig' pole/o/n und kann auf ephesischen
Inschriften derselbe Ti. Iulius Reginus bald Asiarch/e/s b' na/o/n t/o/n en
Ephes/o/ (Wood, Inscriptions from the great theatre, n. 18), bald archiere?s b'
na/o/n t/o/n en Ephes/o/ (daselbst, n. 8, 14, aehnlich 9) genannt werden. Nur
auf diese Weise sind auch die Institutionen des vierten Jahrhunderts zu
begreifen. Hier erscheint in jeder Provinz ein Oberpriester, in Asia mit dem
Titel des Asiarchen, in Syrien mit dem des Syriarchen und so weiter. Wenn die
Verschmelzung des Archon und des Archiereus in der Provinz Asia schon frueher
begonnen hatte, so lag nichts naeher, als sie jetzt bei der Verkleinerung der
Provinzen aeberall in dieser Weise zu kombinieren.
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Auch eine praktische und in Kleinasien durch das hohe Ansehen dieser
Institution gesteigerte Bedeutung mag das provinziale Oberpriestertum fuer den
Kaiserkultus gehabt haben durch die damit verknuepfte religioese Oberaufsicht.
Nachdem der Landtag den Kaiserkultus einmal beschlossen und die Regierung
eingewilligt hatte, folgten selbstverstaendlich die staedtischen Vertretungen
nach; in Asia hatten bereits unter Augustus wenigstens alle Vororte der
Gerichtssprengel ihr Caesareum und ihr Kaiserfest ^21. Recht und Pflicht des
Oberpriesters war es, in seinem Sprengel die Ausfuehrung dieser provinzialen und
munizipalen Dekrete und die Uebung des Kultus zu ueberwachen; was dies zu
bedeuten hatte, erlaeutert die Tatsache, dass der freien Stadt Kyzikos in Asia
unter Tiberius die Autonomie unter anderem auch darum aberkannt ward, weil sie
den dekretierten Bau des Tempels des Gottes Augustus hatte liegenlassen -
vielleicht eben, weil sie als freie Stadt nicht unter dem Landtag stand.
Wahrscheinlich hat sogar diese Oberaufsicht, obwohl sie zunaechst dem
Kaiserkultus galt, sich auf die Religionsangelegenheiten ueberhaupt erstreckt
^22. Als dann der alte und der neue Glaube im Reiche um die Herrschaft zu ringen
begannen, ist deren Gegensatz wohl zunaechst durch das provinziale
Oberpriestertum zum Konflikt geworden. Diese aus den vornehmen Provinzialen von
dem Landtag der Provinz bestellten Priester waren durch ihre Traditionen wie
durch ihre Amtspflichten weit mehr als die Reichsbeamten berufen und geneigt,
auf Vernachlaessigung des anerkannten Gottesdienstes zu achten und, wo Abmahnung
nicht half, da sie selber eine Strafgewalt nicht hatten, die nach buergerlichem
Recht strafbare Handlung bei den Orts- oder den Reichsbehoerden zur Anzeige zu
bringen und den weltlichen Arm zu Hilfe zu rufen, vor allem den Christen
gegenueber die Forderungen des Kaiserkultus geltend zu machen. In der spaeteren
Zeit schreiben die altglaeubigen Regenten diesen Oberpriestern sogar
ausdruecklich vor, selbst und durch die ihnen unterstellten staedtischen
Priester die Kontraventionen gegen die bestehende Glaubensordnung zu ahnden und
weisen denselben genau die Rolle zu, welche unter den Kaisern des neuen Glaubens
der Metropolit und seine staedtischen Bischoefe einnehmen ^23. Wahrscheinlich
hat hier nicht die heidnische Ordnung die christlichen Institutionen kopiert,
sondern umgekehrt die siegende christliche Kirche ihr hierarchisches Ruestzeug
dem feindlichen Arsenal entnommen. Alles dies galt, wie bemerkt, fuer das ganze
Reich; aber die sehr praktischen Konsequenzen der provinzialen Regulierung des
Kaiserkultus, die religioese Aufsichtfuehrung und die Verfolgung der
Andersglaeubigen, sind vorzugsweise in Kleinasien gezogen worden.
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^21 CIG 3902b.
^22 Dion von Prusa (or. 35 p. 66 R.) nennt die Asiarchen und die analogen
Archonten (ihre Agonothesie bezeichnet er deutlich, und auf sie fuehren auch die
verdorbenen Worte to?s epon?moys t/o/n d?o /e/peir/o/n t/e/s esperas ol/e/s,
wofuer wohl zu schreiben ist t/e/s eteras ol/e/s) to?s apant/o/n archontas t/o/n
iere/o/n. Es fehlt bekanntlich bei der Bezeichnung der Provinzialpriester fast
stehend die ausdrueckliche Beziehung auf den Kaiserkult; wenn sie in ihren
Sprengeln die Rolle spielen sollten wie der Pontifex maximus in Rom, so hatte
das seinen guten Grund.
^23 Maximinus stellte zu diesem Zweck dem Oberpriester der einzelnen
Provinz militaerische Hilfe zur Verfuegung (Eus. hist. eccl. 8, 14, 9); und der
beruehmte Brief Julians (epist. 49; vgl. epist. 63) an den damaligen Galatarchen
gibt ein deutliches Bild der Obliegenheiten desselben. Er soll das ganze
Religionswesen der Provinz beaufsichtigen; dem Statthalter gegenueber seine
Selbstaendigkeit wahren, nicht bei ihm antichambrieren, ihm nicht gestatten mit
militaerischer Eskorte im Tempel aufzutreten, ihn nicht vor, sondern in dem
Tempel empfangen, innerhalb dessen er der Herr und der Statthalter Privatmann
ist; von den Unterstuetzungen, die die Regierung fuer die Provinz ausgeworfen
hat (30000 Scheffel Getreide und 60000 Sextarien Wein) den fuenften Teil an die
in die Klientel der heidnischen Priester tretenden Armen spenden, das Uebrige
sonst zu mildtaetigen Zwecken verwenden; in jeder Stadt der Provinz womoeglich
mit Beihilfe der Privaten Verpflegungshaeuser (xenodocheia) nicht bloss fuer
Heiden, sondern fuer jedermann ins Leben rufen und den Christen nicht ferner das
Monopol der guten Werke gestatten; die saemtlichen Priester der Provinz durch
Beispiel und Ermahnung ueberhaupt zum gottesfuerchtigen Wandel und zur
Vermeidung des Besuchs der Theater und der Schenken anhalten und insbesondere
zum fleissigen Besuch der Tempel mit ihrer Familie und ihrem Gesinde oder, wenn
sie nicht zu bessern sind, sie absetzen. Es ist ein Hirtenbrief in bester Form,
nur mit veraenderter Adresse und mit Zitaten aus Homer statt aus der Bibel. So
deutlich diese Anordnungen den Stempel des bereits zusammenbrechenden Heidentums
an sich tragen und so gewiss sie in dieser Ausdehnung der frueheren Epoche fremd
sind, so erscheint doch das Fundament, die allgemeine Oberaufsicht des
Oberpriesters der Provinz ueber das Kultwesen, keineswegs als eine neue
Einrichtung.
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Neben dem Kaiserkultus fand auch die eigentliche Gottesverehrung in
Kleinasien in bevorzugter Weise ihre Statt und namentlich alle ihre Auswuechse
eine Freistatt. Das Unwesen der Asyle und der Wunderkuren hatte ganz besonders
hier seinen Sitz. Unter Tiberius wurde die Beschraenkung der ersteren vom
roemischen Senat angeordnet; der Heilgott Asklepios tat nirgends mehr und
groessere Wunder als in seiner vielgeliebten Stadt Pergamon, die ihn geradezu
als Zeus Asklepios verehrte und ihre Bluete in der Kaiserzeit zum guten Teil ihm
verdankte. Die wirksamsten Wundertaeter der Kaiserzeit, der spaeter kanonisierte
Kappadokier Apollonios von Tyana, sowie der paphlagonische Drachenmann
Alexandros von Abonuteichos sind Kleinasiaten. Wenn das allgemeine Verbot der
Assoziationen, wie wir sehen werden, in Kleinasien mit besonderer Strenge
durchgefuehrt ward, so wird die Ursache wohl hauptsaechlich in den religioesen
Verhaeltnissen zu suchen sein, die den Missbrauch solcher Vereinigungen dort
besonders nahelegten.
Die oeffentliche Sicherheit ruhte im wesentlichen auf dem Lande selbst. In
der frueheren Kaiserzeit stand, abgesehen von dem das oestliche Kilikien
einschliessenden syrischen Kommando, in ganz Kleinasien nur ein Detachement von
5000 Mann Auxiliartruppen, die in der Provinz Galatien garnisonierten ^24, nebst
einer Flotte von 40 Schiffen; es war dies Kommando bestimmt, teils die unruhigen
Pisidier niederzuhalten, teils die nordoestliche Reichsgrenze zu decken und die
Kueste des Schwarzen Meeres bis zur Krim unter Aufsicht zu halten. Vespasian
brachte diese Truppe auf den Stand eines Armeekorps von zwei Legionen und legte
deren Staebe in die Provinz Kappadokien an den oberen Euphrat. Ausser diesen
fuer die Grenzhut bestimmten Mannschaften gab es damals namhafte Garnisonen in
Vorderasien nicht; in der kaiserlichen Provinz Lykien und Pamphylien zum
Beispiel stand eine einzige Kohorte von 500 Mann, in den senatorischen Provinzen
hoechstens einzelne aus der kaiserlichen Garde oder aus den benachbarten
Kaiserprovinzen zu speziellen Zwecken abkommandierte Soldaten ^25. Wenn dies
einerseits fuer den inneren Frieden dieser Provinzen auf das nachdruecklichste
zeugt und den ungeheuren Abstand der kleinasiatischen Buergerschaften von den
ewig unruhigen Hauptstaedten Syriens und Aegyptens deutlich vor Augen fuehrt, so
erklaert es andererseits die schon in anderer Verbindung hervorgehobene
Stabilitaet des Raeuberwesens in dem durchaus gebirgigen und im Innern zum Teil
oeden Lande, namentlich an der mysisch-bithynischen Grenze und in den
Bergtaelern Pisidiens und Isauriens. Eigentliche Buergerwehren gab es in
Kleinasien nicht. Trotz des Florierens der Turnanstalten fuer Knaben, Juenglinge
und Maenner blieben die Hellenen dieser Zeit in Asia so unkriegerisch wie in
Europa ^26. Man beschraenkte sich darauf, fuer die Aufrechterhaltung der
oeffentlichen Sicherheit staedtische Eirenarchen, Friedensmeister, zu kreieren
und ihnen eine Anzahl zum Teil berittener staedtischer Gendarmen zur Verfuegung
zu stellen, gedungene Mannschaften von geringem Ansehen, welche aber doch
brauchbar gewesen sein muessen, da Kaiser Marcus es nicht verschmaehte, bei dem
bitteren Mangel an gedienten Leuten waehrend des Markomannenkrieges diese
kleinasiatischen Stadtsoldaten in die Reichstruppen einzureihen ^27.
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^24 Diese Truppe kann nach der Stellung bei Josephus (bel. Iud. 2,16, 4)
zwischen den nicht mit Garnison belegten Provinzen Asia und Kappadokien nur auf
Galatien bezogen werden. Natuerlich gab sie auch die Detachements, welche in den
abhaengigen Gebieten am Kaukasus standen, damals -unter Nero- wie es scheint,
auch die auf dem Bosporus selbst stehenden, wobei freilich auch das moesische
Korps beteiligt war.
^25 Praetorianer stationaribus Ephesi: Eph. epigr. IV, n. 70. Ein Soldat in
statione Nicomedensi: Plin. ep. ad Trai. 74. Ein Legionarcenturio in Byzantium:
daselbst 77, 78.
^26 In dem kleinasiatischen Munizipalwesen kommt alles vor, nur nicht das
Waffenwesen. Der smyrnaeische strat/e/gos epi t/o/n opl/o/n ist natuerlich eine
Reminiszenz so gut wie der Kultus des Herakles oploph?lax (CIG 3162).
^27 Der Eirenarch von Smyrna sendet, um den Polykarpos zu verhaften, diese
Gendarmen aus: ex/e/lth/o/n diogmitai kai ippeis meta t/o/n syn/e/th/o/n aytois
opl/o/n, /o/s epi l/e/st/e/n trechontes (Acta mart., S. 39). Dass sie nicht die
eigentliche soldatische Ruestung hatten, wird auch sonst bemerkt (Amm. 27, 9, 6:
adbibitis semiermibus quibusdam - gegen die Isaurer - quos diogmitas appellaut).
Von ihrer Verwendung im Markomannenkrieg berichtet der Biograph des Marcus c.
26: armavit et diogmitas und die Inschrift von Aezani in Phrygien CIG 3031 a 8 =
Lebas-Waddington 992: parasch/o/n t/o/ kyr/o/ Kaisari s?mmachon di/o/gmeit/e/n
par' eayto?.
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Die Justizpflege sowohl der staedtischen Behoerden wie der Statthalter
liess auch in dieser Epoche vieles zu wuenschen uebrig; doch bezeichnet das
Eintreten der Kaiserherrschaft darin eine Wendung zum Besseren. Das Eingreifen
der Reichsgewalt hatte unter der Republik sich auf die strafrechtliche Kontrolle
der Reichsbeamten beschraenkt und diese besonders in spaeterer Zeit schwaechlich
und parteiisch geuebt oder vielmehr nicht geuebt. Jetzt wurden nicht bloss in
Rom die Zuegel schaerfer angezogen, indem die strenge Beaufsichtigung der
eigenen Beamten von dem einheitlichen Militaerregiment unzertrennlich war und
auch der Reichssenat zu schaerferer Ueberwachung der Amtspflege seiner Mandatare
veranlasst wurde, sondern es wurde jetzt moeglich, die Missgriffe der
Provinzialgerichte im Wege der neu eingefuehrten Appellation zu beseitigen oder
auch, wo unparteiisches Gericht in der Provinz nicht erwartet werden konnte, den
Prozess nach Rom vor das Kaisergericht zu ziehen ^28. Beides kam auch den
senatorischen Provinzen zugute und ist allem Anschein nach ueberwiegend als
Wohltat empfunden worden.
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^28 In Knidos (BCH 7, 1883, S. 62) hatten im Jahre 741/42 (13/12) einige,
wie es scheint, angesehene Buerger das Haus eines ihnen persoenlich Verfeindeten
drei Naechte hindurch gestuermt; bei der Abwehr hatte einer der Sklaven des
belagerten Hauses durch ein aus dem Fenster geworfenes Gefaess den einen der
Angreifer getoetet. Die Besitzer des belagerten Hauses wurden darauf des
Totschlags angeklagt, perhorreszierten aber, da sie die oeffentliche Meinung
gegen sich hatten, das staedtische Gericht und verlangten die Entscheidung durch
den Spruch des Kaisers Augustus. Dieser liess die Sache durch einen Kommissar
untersuchen und sprach die Angeklagten frei, wovon er die Behoerde in Knidos in
Kenntnis setzte mit der Bemerkung, dass sie die Angelegenheit nicht unparteiisch
behandelt haetten, und sie anwies, sich nach seinem Spruche zu verhalten. Das
ist allerdings, da Knidos eine freie Stadt war, ein Eingreifen in deren
souveraene Rechte, wie auch in Athen Appellation an den Kaiser und sogar an den
Prokonsul in hadrianischer Zeit statthaft war. Aber wer die Justizverhaeltnisse
einer Griechenstadt dieser Epoche und dieser Stellung erwaegt, wird nicht
zweifeln, dass durch derartiges Eingreifen wohl mancher ungerechte Spruch
veranlasst, aber viel haeufiger ein solcher verhindert ward.
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Wie bei den Hellenen Europas, so ist in Kleinasien die roemische Provinz
wesentlich ein Komplex staedtischer Gemeinden. Wie in Hellas werden auch hier
die ueberkommenen Formen der demokratischen Politie im allgemeinen festgehalten,
die Beamten zum Beispiel auch ferner von den Buergerschaften gewaehlt, ueberall
aber der bestimmende Einfluss in die Haende der Begueterten gelegt und dem
Belieben der Menge so wie dem ernstlichen politischen Ehrgeiz kein Spielraum
gestattet. Unter den Beschraenkungen der munizipalen Autonomie ist den
kleinasiatischen Staedten eigentuemlich, dass den schon erwaehnten Eirenarchen,
den staedtischen Polizeimeister, spaeterhin der Statthalter aus einer von dem
Rat der Stadt aufgestellten Liste von zehn Personen ernannte. Die
Regierungskuratel der staedtischen Finanzverwaltung, die kaiserliche Bestellung
eines nicht der Stadt selbst angehoerigen Vermoegenspflegers (curator rei
publicae, logist/e/s), dessen Konsens die staedtischen Behoerden bei wichtigeren
Vermoegenshandlungen einzuholen haben, ist niemals allgemein, sondern nach
Beduerfnis fuer diese oder jene Stadt angeordnet worden, in Kleinasien aber
entsprechend der Bedeutung seiner staedtischen Entwicklung besonders frueh, das
heisst seit dem Anfang des 2. Jahrhunderts, und besonders umfassend eingetreten.
Wenigstens im 3. Jahrhundert mussten auch hier wie anderswo sonstige wichtige
Beschluesse der Gemeindeverwaltung dem Statthalter zur Bestaetigung unterbreitet
werden. Uniformierung der Gemeindeverfassung hat die roemische Regierung
nirgends und am wenigsten in den hellenischen Landschaften durchgefuehrt; auch
in Kleinasien herrschte darin grosse Mannigfaltigkeit und vermutlich vielfach
das Belieben der einzelnen Buergerschaften, obwohl fuer die derselben Provinz
angehoerigen Gemeinden das eine jede Provinz organisierende Gesetz allgemeine
Normen vorschrieb. Was der Art von Institutionen als in Kleinasien verbreitet
und vorherrschend diesem Landesteil eigentuemlich angesehen werden kann, traegt
keinen politischen Charakter, sondern ist nur etwa fuer die sozialen
Verhaeltnisse bezeichnend, wie die ueber ganz Kleinasien verbreiteten Verbaende
teils der aelteren, teils der juengeren Buerger, die Gerusia und die Neoi,
Ressourcen fuer die beiden Altersklassen mit entsprechenden Turnplaetzen und
Festen ^29. Autonome Gemeinden gab es in Kleinasien von Haus aus bei weitem
weniger als in dem eigentlichen Hellas, und namentlich die bedeutendsten
kleinasiatischen Staedte haben diese zweifelhafte Auszeichnung niemals gehabt
oder doch frueh verloren, wie Kyzikos unter Tiberius, Samos durch Vespasian.
Kleinasien war eben altes Untertanengebiet und unter den persischen wie unter
den hellenischen Herrschern an monarchische Ordnung gewoehnt; weniger als in
Hellas fuehrte hier unnuetzes Erinnern und unklares Hoffen hinaus ueber den
beschraenkten munizipalen Horizont der Gegenwart, und nicht vieles der Art
stoerte den friedlichen Genuss des unter den bestehenden Verhaeltnissen
moeglichen Lebensglueckes.
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^29 Die in kleinasiatischen Inschriften oft erwaehnte Gerusia hat mit der
von Lysimachos in Ephesos getroffenen gleichnamigen politischen Einrichtung
(Strab. 14, 1, 21 p. 640; Wood, Ephesus. Inscriptions from the temple of Diana,
n. 19) nichts weiter gemein; den Charakter derselben in roemischer Zeit
bezeichnet teils Vitruvius (2, 8, 10): Croesi (damum) Sardiani civibus ad
requiescendum aetatis otio seniorum collegio gerusiam dedicaverunt, teils die in
der lykischen Stadt Sidyma kuerzlich gefundene Inschrift (Benndorf, Reisen, Bd.
1, S. 71), wonach Rat und Volk beschliessen, wie das Gesetz es fordert, eine
Gerusia einzurichten und in diese 50 Buleuten und 50 andere Buerger
einzuwaehlen, welche dann einen Gymnasiarchen der neuen Gerusia bestellen.
Dieser auch sonst begegnende Gymnasiarch sowie der Hymnode der Gerusia
(Menadier, Qua condicione Ephesii usi sint, p. 51) sind unter den uns bekannten
Aemtern dieser Koerperschaft die einzigen fuer ihre Beschaffenheit
charakteristischen. Analog, aber weniger angesehen, sind die Kollegien der neoi
die auch ihre eigenen Gymnasiarchen haben. Zu den beiden Aufsehern der
Turnplaetze fuer die erwachsenen Buerger machen den Gegensatz die Gymnasiarchen
der Epheben (Menadier, p. 91). Gemeinschaftliche Mahlzeiten und Feste (auf die
der Hymnode sich bezieht) fehlten natuerlich namentlich bei der Gerusia nicht.
Sie ist keine Armenversorgung, aber auch kein der munizipalen Aristokratie
reserviertes Kollegium charakteristisch fuer die Weise des buergerlichen
Verkehrs der Griechen, bei welchen der Turnplatz etwa ist, was in unseren
kleinen Staedten die Buergercasinos.
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Solchen Lebensglueckes gab es in Kleinasien unter dem roemischen
Kaiserregiment die Fuelle. "Keine Provinz von allen", sagt ein in Smyrna unter
den Antoninen lebender Schriftsteller, "hat so viele Staedte aufzuweisen wie die
unsrige und keine solche wie unsere groessten. Ihr kommen zugute die reizende
Gegend, die Gunst des Klimas, die mannigfaltigen Produkte, die Lage im
Mittelpunkt des Reiches, ein Kranz ringsum befriedeter Voelker, die gute
Ordnung, die Seltenheit der Verbrechen, die milde Behandlung der Sklaven, die
Ruecksicht und das Wohlwollen der Herrscher." Asia hiess, wie schon gesagt ward,
die Provinz der fuenfhundert Staedte, und wenn das wasserlose, zum Teil nur zur
Weide geeignete Binnenland Phrygiens, Lykaoniens, Galatiens, Kappadokiens auch
in jener Zeit nur duenn bevoelkert war, stand die uebrige Kueste hinter Asia
nicht weit zurueck. Die dauernde Bluete der kulturfaehigen Landschaften
Kleinasiens erstreckt sich nicht bloss auf die Staedte glaenzenden Namens, wie
Ephesos, Smyrna, Laodikeia, Apameia; wo immer ein von der Verwuestung der
anderthalb Jahrtausende, die uns von jener Zeit trennen, vergessener Winkel des
Landes sich der Forschung erschliesst, da ist das erste und das maechtigste
Gefuehl das Entsetzen, fast moechte man sagen die Scham ueber den Kontrast der
elenden und jammervollen Gegenwart mit dem Glueck und dem Glanz der vergangenen
Roemerzeit. Auf einer abgelegenen Bergspitze unweit der lykischen Kueste, da, wo
nach der griechischen Fabel die Chimaera hauste, lag das alte Kragos,
wahrscheinlich nur aus Balken und Lehmziegeln gebaut und darum spurlos
verschwunden bis auf die zyklopische Festungsmauer am Fuss des Huegels. Unter
der Kuppe breitet ein anmutiges fruchtbares Tal sich aus, mit frischer Alpenluft
und suedlicher Vegetation, umgeben von Wald- und wildreichen Bergen. Als unter
Kaiser Claudius Lykien Provinz ward, verlegte die roemische Regierung die
Bergstadt, das "gruene Kragos" des Horaz, in diese Ebene; auf dem Marktplatz der
neuen Stadt Sidyma stehen noch die Reste des viersaeuligen, dem Kaiser damals
gewidmeten Tempels und einer stattlichen Saeulenhalle, welche ein von dort
gebuertiger, als Arzt zu Vermoegen gelangter Buerger in seiner Vaterstadt baute.
Statuen der Kaiser und verdienter Mitbuerger schmueckten den Markt; es gab in
der Stadt einen Tempel ihrer Schutzgoetter, der Artetuis und des Apollon,
Baeder, Turnanstalten (gymnasia) fuer die aeltere wie fuer die juengere
Buergerschaft; von den Toren zogen sich an der Hauptstrasse, die steil am
Gebirge hinab nach dem Hafen Kalabatia fuehrte, zu beiden Seiten Reihen hin von
steinernen Grabmonumenten, stattlicher und kostbarer als die Pompeiis und
grossenteils noch aufrecht, waehrend die vermutlich wie die der Altstadt aus
vergaenglichem Material gebauten Haeuser verschwunden sind. Auf den Stand und
die Art der einstmaligen Bewohner gestattet einen Schluss ein kuerzlich dort
aufgefundener, wahrscheinlich unter Commodus gefasster Gemeindebeschluss ueber
die Konstituierung der Ressource fuer die aelteren Buerger; dieselbe wurde
zusammengesetzt aus hundert zur Haelfte dem Stadtrat, zur Haelfte der uebrigen
Buergerschaft entnommenen Mitgliedern, darunter nicht mehr als drei
Freigelassene und ein Bastardkind, alle uebrigen in rechter Ehe erzeugt und zum
Teil nachweislich alten und wohlhabenden Buergerhaeusern angehoerig. Einzelne
dieser Familien sind zum roemischen Buergerrecht gelangt, eine sogar in den
Reichssenat. Aber auch im Ausland blieb dieses senatorische Haus sowohl wie
verschiedene aus Sidyma gebuertige auswaerts und selbst am kaiserlichen Hof
beschaeftigte Aerzte der Heimat eingedenk, und mehrere derselben haben ihr Leben
daselbst beschlossen; einer dieser angesehenen Stadtbuerger hat in einem nicht
gerade vortrefflichen, aber sehr gelehrten und sehr patriotischen Elaborat die
Legenden der Stadt und die sie betreffenden Weissagungen zusammengefasst und
diese Memorabilien oeffentlich aufstellen lassen. Dies Kragos-Sidyma stimmte auf
dem Landtag der kleinen lykischen Provinz nicht unter den Staedten erster
Klasse, war ohne Theater, ohne Ehrentitel und ohne jene allgemeinen Feste, die
in der damaligen Welt die Grossstadt bezeichnen, auch nach der Auffassung der
Alten eine kleine Provinzialstadt und durchaus eine Schoepfung der roemischen
Kaiserzeit. Aber im ganzen Vilajet Aidin ist heute kein Binnenort, der fuer
zivilisierte Existenz auch nur entfernt diesem Bergstaedtchen, wie es war, an
die Seite gestellt werden koennte. Was in diesem abgeschiedenen Fleck noch heute
leben dig vor Augen steht, das ist in einer ungezaehlten Menge anderer Staedte
unter der verwuestenden Menschenhand bis auf geringe Reste oder auch spurlos
verschwunden. Einen gewissen Ueberblick dieser Fuelle gewaehrt die den Staedten
in Kupfer freigegebene Muenzpraegung der Kaiserzeit: keine Provinz kann in der
Zahl der Muenzstaetten und der Mannigfaltigkeit der Darstellungen sich auch nur
von weitem mit Asia messen.
Freilich fehlt diesem Aufgehen aller Interessen in der heimatlichen
Kleinstadt die Kehrseite so wenig in Kleinasien wie bei den europaeischen
Griechen. Was ueber deren Gemeindeverwaltung gesagt ist, gilt in der Hauptsache
auch hier. Der staedtischen Finanzwirtschaft, die sich ohne rechte Kontrolle
weiss, fehlt Stetigkeit und Sparsamkeit und oft selbst die Ehrlichkeit; bei den
Bauten werden bald die Kraefte der Stadt ueberschritten, bald auch das Noetigste
unterlassen; die kleineren Buerger gewoehnen sich an die Spenden der Stadtkasse
oder der vermoegenden Leute, an das freie Oel in den Baedern, an
Buergerschmaeuse und Volksbelustigungen aus fremder Tasche, die guten Haeuser an
die Klientel der Menge mit ihren demuetigen Huldigungen, ihren Bettelintrigen,
ihren Spaltungen; Rivalitaeten bestehen wie zwischen Stadt und Stadt, so in
jeder Stadt zwischen den einzelnen Kreisen und den einzelnen Haeusern; die
Bildung von Armenvereinen und von freiwilligen Feuerwehren, wie sie im Okzident
ueberall bestanden, wagt die Regierung in Kleinasien nicht einzufuehren, weil
das Faktionswesen hier sich jeder Assoziation sofort bemaechtigt. Der stille See
wird leicht zum Sumpf, und das Fehlen des grossen Wellenschlags der allgemeinen
Interessen ist auch in Kleinasien deutlich zu spueren.
Kleinasien, insbesondere Vorderasien, war eines der reichsten Gebiete des
grossen Roemerstaats. Wohl hatte das Missregiment der Republik, die dadurch
hervorgerufenen Katastrophen der mithradatischen Zeit, dann das Piratenunwesen,
endlich die vieljaehrigen Buergerkriege, welche finanziell wenige Provinzen so
schwer betroffen hatten wie diese, die Vermoegensverhaeltnisse der Gemeinden und
der Einzelnen daselbst so vollstaendig zerruettet, dass Augustus zu dem
aeussersten Mittel der Niederschlagung aller Schuldforderungen griff; auch
machten mit Ausnahme der Rhodier alle Asiaten von diesem gefaehrlichen
Heilmittel Gebrauch. Aber das wiedereintretende Friedensregiment glich vieles
aus. Nicht ueberall - die Inseln des Aegaeischen Meers zum Beispiel haben sich
nie seitdem wieder erholt -, aber in den meisten Orten waren, schon als Augustus
starb, die Wunden wie die Heilmittel vergessen, und in diesem Zustand blieb das
Land drei Jahrhunderte bis auf die Epoche der Gotenkriege. Die Summen, zu
welchen die Staedte Kleinasiens angesetzt waren und die sie selbst, allerdings
unter Kontrolle des Statthalters, zu repartieren und aufzubringen hatten,
bildeten eine der bedeutendsten Einnahmequellen der Reichskasse. Wie die
Steuerlast sich zu der Leistungsfaehigkeit der Besteuerten verhielt, vermoegen
wir nicht zu konstatieren; eigentliche dauernde Ueberbuerdung aber vertraegt
sich nicht mit den Zustaenden, in denen wir das Land bis gegen die Mitte des 3.
Jahrhunderts finden. Mehr vielleicht noch die Schlaffheit des Regiments als
absichtliche Schonung mag die fiskalische Beschraenkung des Verkehrs und die
nicht bloss fuer den Besteuerten unbequeme Anziehung der Steuerschraube in
Schranken gehalten haben. Bei grossen Kalamitaeten, namentlich bei den Erdbeben,
welche unter Tiberius zwoelf bluehende Staedte Asias, vor allem Sardes, unter
Pius eine Anzahl karischer und lykischer und die Inseln Kos und Rhodos
entsetzlich heimsuchten, trat die Privat- und vor allem die Reichshilfe mit
grossartiger Freigebigkeit ein und spendete den Kleinasiaten den vollen Segen
des Grossstaats, die Samtverbuergung aller fuer alle. Der Wegebau, den die
Roemer bei der ersten Einrichtung der Provinz Asia durch Manius Aquillius in
Angriff genommen hatten, ist in der Kaiserzeit in Kleinasien nur da ernstlich
gefoerdert worden, wo groessere Besatzungen standen, namentlich in Kappadokien
und dem benachbarten Galatien, seit Vespasian am mittleren Euphrat Legionslager
eingerichtet hatte ^30. In den uebrigen Provinzen ist dafuer nicht viel
geschehen, zum Teil ohne Zweifel in Folge der Schlaffheit des senatorischen
Regiments; wo immer hier Wege von Staatswegen gebaut wurden, geschah es auf
kaiserliche Anordnung ^31.
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^30 Die Meilensteine beginnen hier mit Vespasian (CIL III, 306) und sind
seitdem zahlreich namentlich von Domitian bis auf Hadrian.
^31 Am deutlichsten zeigen dies die in der Senatsprovinz Bithynien unter
Nero und Vespasian durch den kaiserlichen Prokurator ausgefuehrten Wegebauten
(CIL III, 346; Eph. epigr. V, n. 96). Aber auch bei den Wegebauten in den
senatorischen Provinzen Asia und Kypros wird der Senat nie genannt, und es wird
dafuer dasselbe angenommen werden duerfen. Im dritten Jahrhundert ist hier wie
ueberall der Bau auch der Reichsstrassen auf die Kommunen uebergegangen (Smyrna:
CIL III, 471; Thyateira: BCH 1, 1877, S. 101; Paphos: CIL III, 218).
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Diese Bluete Kleinasiens ist nicht das Werk einer Regierung von
ueberlegener Einsicht und energischer Tatkraft. Die politischen Einrichtungen,
die gewerblichen und kommerziellen Anregungen, die literarische und
kuenstlerische Initiative gehoeren in Kleinasien durchaus den alten Freistaedten
oder den Attaliden. Was die roemische Regierung dem Lande gegeben hat, war
wesentlich der dauernde Friedensstand und die Duldung des Wohlstandes im Innern,
die Abwesenheit derjenigen Regierungsweisheit, die jedes gesunde Paar Arme und
jedes ersparte Geldstueck betrachtet als ihren unmittelbaren Zwecken von Rechts
wegen verfallen - negative Tugenden keineswegs hervorragender Persoenlichkeiten,
aber oftmals dem gemeinen Gedeihen erspriesslicher als die Grosstaten der
selbstgesetzten Vormuender der Menschheit.
Der Wohlstand Kleinasiens beruhte in schoenem Gleichgewicht ebenso auf der
Bodenkultur wie auf der Industrie und dem Handel. Die Gunst der Natur ist
insbesondere den Kuestenlandschaften in reichstem Masse zuteil geworden, und
vielfach zeigt es sich, mit wie emsigem Fleiss auch unter schwierigeren
Verhaeltnis sen, zum Beispiel in dem felsigen Tal des Eurymedon in Pamphylien
von den Buergern von Selge, jedes irgend brauchbare Bodenstueck ausgenutzt ward.
Die Erzeugnisse der kleinasiatischen Industrie sind zu zahlreich und zu
mannigfaltig, um bei den einzelnen zu verweilen ^32; erwaehnt mag werden, dass
die ungeheuren Triften des Binnenlandes mit ihren Schaf- und Ziegenherden
Kleinasien zum Hauptland der Wollindustrie und der Weberei ueberhaupt gemacht
haben - es genuegt zu erinnern an die milesische und die galatische, das ist die
Angorawolle, die attalischen Goldstickereien, die nach nervischer, das heisst
flandrischer Art in den Fabriken des phrygischen Laodikeia gefertigten Tuche.
Dass in Ephesos fast ein Aufstand ausgebrochen waere, weil die Goldschmiede von
dem neuen Christenglauben Beschaedigung ihres Absatzes von Heiligenbildern
befuerchteten, ist bekannt. In Philadelpheia, einer bedeutenden Stadt Lydiens,
kennen wir von den sieben Quartieren die Namen zweier: es sind die der
Wollenweber und der Schuster. Wahrscheinlich tritt hier zu Tage, was bei den
uebrigen Staedten unter aelteren und vornehmeren Namen sich versteckt, dass die
bedeutenderen Staedte Asias durchgaengig nicht bloss eine Menge Handwerker,
sondern auch eine zahlreiche Fabrikbevoelkerung in sich schlossen. Der Geld- und
Handelsverkehr ruhte in Kleinasien hauptsaechlich auf der eigenen Produktion.
Der grosse auslaendische Import und Export Syriens und Aegyptens war hier in der
Hauptsache ausgeschlossen, wenn auch aus den oestlichen Laendern mancherlei
Artikel, zum Beispiel durch die galatischen Haendler eine betraechtliche Zahl
von Sklaven nach Kleinasien eingefuehrt wurden ^33. Aber wenn die roemischen
Kaufleute hier, wie es scheint, in jeder grossen und kleinen Stadt, selbst in
Orten wie Ilion und Assos in Mysien, Prymnessos und Traianopolis in Phrygien, in
solcher Zahl zu finden waren, dass ihre Vereine neben der Stadtbuergerschaft bei
oeffentlichen Akten sich zu beteiligen pflegen; wenn in Hierapolis im
phrygischen Binnenland ein Fabrikant (ergast/e/s) auf sein Grab schreiben liess,
dass er zweiundsiebzigmal in seinem Leben um Kap Malea nach Italien gefahren
sei, und ein roemischer Dichter den Kaufmann der Hauptstadt schildert, welcher
nach dem Hafen eilt, um den Geschaeftsfreund aus dem nicht weit von Hierapolis
entfernten Kibyra nicht in die Haende von Konkurrenten fallen zu lassen, so
oeffnet sich damit ein Einblick in ein reges gewerbliches und kaufmaennisches
Treiben nicht bloss in den Hoefen. Von dem stetigen Verkehr mit Italien zeugt
auch die Sprache; unter den in Kleinasien gangbar gewordenen lateinischen
Woertern ruehren nicht wenige aus solchem Verkehr her, wie denn in Ephesos sogar
die Gilde der Wollenweber sich lateinisch benennt ^34. Lehrer aller Art und
Aerzte kamen nach Italien und den uebrigen Laendern lateinischer Zunge
vorzugsweise von hier und gewannen nicht bloss oftmals bedeutendes Vermoegen,
sondern brachten dies auch in ihre Heimat zurueck; unter denen, welchen die
Staedte Kleinasiens Bauwerke oder Stiftungen verdanken, nehmen die reich
gewordenen Aerzte ^35 und Literaten einen hervorragenden Platz ein. Endlich die
Auswanderung der grossen Familien nach Italien hat Kleinasien weniger und
spaeter betroffen als den Okzident; aus Vienna und Narbo siedelte man leichter
nach der Hauptstadt des Reiches ueber als aus den griechischen Staedten, und
auch die Regierung war in frueherer Zeit nicht eben geneigt, die vornehmen
Munizipalen Kleinasiens an den Hof zu ziehen und sie in die roemische
Aristokratie einzufuehren.
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^32 Die Christen des Kuestenstaedtchens Korykos im Rauhen Kilikien
pflegten, gegen den allgemeinen Gebrauch, ihren Grabschriften regelmaessig den
Stand beizusetzen. Auf den dort von Langlois und neuerdings von Duchesne (BCH
7,1883, S. 230f.) aufgenommenen Grabschriften finden sich ein Schreiber
(notarios), ein Weinhaendler (oinemporos) zwei PHlhaendler (eleop/o/l/e/s) ein
Gemuesehaendler (lachanop/o/l/e/s), ein Fruchthaendler (op/o/rop/o/l/e/s), zwei
Kraemer (kap/e/los), fuenf Goldschmiede (ayrarios dreimal, chrysochoos zweimal),
wovon einer auch Presbyter ist, vier Kupferschmiede (chalkotypos einmal,
chalke?s dreimal), zwei Instrumentenmacher (armenoraphos), fuenf Toepfer
(kerame?s), von denen einer als Arbeitgeber (ergodot/e/s) bezeichnet wird, ein
anderer zugleich Presbyter ist ein Kleiderhaendler (imatiop/o/l/e/s) zwei
Leinwandhaendler (linop/o/l/e/s)drei Weber (othoniakos), ein Wollarbeiter
(ereoyrgos), zwei Schuster (kaligarios, kaltarios), ein Kuerschner (inioraphos,
wohl fuer /e/nioraphos, pellio), ein Schiffer (na?kl/e/ros), eine Hebamme
(iatrin/e/); ferner ein Gesamtgrab der hochansehnlichen Geldwechsler (s?sstema
t/o/n eygenestat/o/n trapezit/o/n). So sah es daselbst im 5. und 6. Jahrhundert
aus.
^33 Dieser fuer das 4. Jahrhundert bezeugte Verkehr (Amm. 22, 7 8;
Claudianus in Eutr. 1, 59) ist ohne Zweifel aelter. Anderer Art ist es, dass,
wie Philostratos (Vita Apoll. 8, 7, 12) angibt, die nicht griechischen Bewohner
von Phrygien ihre Kinder an die Sklavenhaendler verkauften.
^34 Synergasia t/o/n lanari/o/n (Wood, Ephesus. City, n. 4). Auch auf den
Inschriften von Korykos (Anm. 32) sind lateinische Handwerkerbenennungen
haeufig. Die Stufe heisst grados den phrygischen Inschriften CIG 3900, 39021.
^35 Einer von diesen ist Xenophon, des Herakleitos Sohn, von Kos, bekannt
aus Tacitus (ann. 12, 61. 67) und Plinius (nat. 29,1, 7) und einer Reihe von
Denkmaelern seiner Heimat (BCH 5, 1881, S. 468). Als Leibarzt (archiatros,
welcher Titel hier zuerst begegnet) des Kaisers Claudius gewann er solchen
Einfluss, dass er mit seiner aerztlichen Taetigkeit die einflussreiche Stellung
des kaiserlichen Kabinettssekretaer fuer die griechische Korrespondenz verband
(epi t/o/n Ell/e/nikan apokrimat/o/n vgl. Suidas unter Dion?sios Alexandreys)
und nicht bloss fuer seinen Bruder und Oheim das roemische Buergerrecht und
Offiziersteilen von Ritterrang und fuer sich ausser dem Ritterpferd und dem
Offiziersrang noch die Dekoration des Goldkranzes und des Speers bei dem
britannischen Triumph erwirkte, sondern auch fuer seine Heimat die
Steuerfreiheit. Sein Grabmal steht auf der Insel, und seine dankbaren Landsleute
setzten ihm und den Seinigen Statuen und schlugen zu seinem Gedaechtnis Muenzen
mit seinem Bildnis. Er ist es, der den todkranken Claudius durch weitere
Vergiftung umgebracht haben soll und demgemaess, als ihm wie seinem Nachfolger
gleich wert, auf seinen Denkmaelern nicht bloss wie ueblich "Kaiserfreund"
(philosebastos) heisst, sondern speziell Freund des Claudius (philokla?dios) und
des Nero (philoner/o/n, dies nach sicherer Restitution). Sein Bruder, dem er in
dieser Stellung folgte, bezog ein Gehalt von 500000 Sesterzen (100000 Mark),
versicherte aber dem Kaiser, dass er nur ihm zuliebe die Stellung angenommen
haette, da seine Stadtpraxis ihm 100000 Sesterzen mehr eingetragen habe. Trotz
der enormen Summen, die die Brueder ausser fuer Kos namentlich fuer Neapel
aufgewendet hatten, hinterliessen sie ein Vermoegen von 30 Mill. Sesterzen (6«
Mill. Mark).
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Wenn wir absehen von der wunderbaren Fruehbluete, in welcher das ionische
Epos und die aeolische Lyrik, die Anfaenge der Geschichtschreibung und der
Philosophie, der Plastik und der Malerei an diesen Gestaden keimten, so war in
der Wissenschaft wie in der Kunstuebung die grosse Zeit Kleinasiens die der
Attaliden, welche die Erinnerung jener noch groesseren Epoche treulich pflegte.
Wenn Smyrna seinem Buerger Homeros goettliche Verehrung erwies, auch Muenzen auf
ihn schlug und nach ihm nannte, so drueckt sich darin die Empfindung aus, die
ganz Ionien und ganz Kleinasien beherrschte, dass die goettliche Kunst
ueberhaupt in Hellas und im Besonderen in Ionien auf die Erde niedergestiegen
sei. Wie frueh und in welchem Umfang fuer den Elementarunterricht in diesen
Gegenden oeffentlich gesorgt worden ist, veranschaulicht ein denselben
betreffender Beschluss der Stadt Teos ^36 in Lydien. Danach soll, nachdem die
Kapitalschenkung eines reichen Buergers die Stadt dazu instand gesetzt hat, in
Zukunft neben dem Turninspektor (gymnasiarch/e/s) weiter das Ehrenamt eines
Schulinspektors (paidonomos) eingerichtet werden. Ferner sollen mit Besoldung
angestellt werden drei Schreiblehrer mit Gehalten, je nach den drei Klassen, von
600, 550 und 500 Drachmen, damit im Schreiben saemtliche freie Knaben und
Maedchen unterwiesen werden koennen; ebenfalls zwei Turnmeister mit je 500
Drachmen Gehalt, ein Musiklehrer mit Gehalt von 700 Drachmen, welcher die Knaben
der beiden letzten Schuljahre und die aus der Schule entlassenen Juenglinge im
Lautenschlagen und Zitherspielen unterweist, ein Fechtlehrer mit 300 und ein
Lehrer fuer Bogenschiessen und Speerwerfen mit 250 Drachmen Besoldung. Die
Schreib- und der Musiklehrer sollen jaehrlich im Rathaus ein oeffentliches
Examen der Schueler abhalten. Das ist das Kleinasien der Attalidenzeit; aber die
roemische Republik hat deren Arbeit nicht fortgesetzt. Sie liess ihre Siege
ueber die Galater nicht durch den Meissel verewigen, und die pergamenische
Bibliothek kam kurz vor der Aktfischen Schlacht nach Alexandreia; viele der
besten Keime sind in der Verwuestung der Mithradatischen und der Buergerkriege
zugrunde gegangen. Erst in der Kaiserzeit regenerierte sich mit dem Wohlstande
Kleinasiens wenigstens aeusserlich die Pflege der Kunst und vor allem der
Literatur. Einen eigentlichen Primat, wie ihn als Universitaetsstadt Athen
besass, im Kreise der wissenschaftlichen Forschung Alexandreia, fuer Schauspiel
und Ballett die leichtfertige Hauptstadt Syriens, kann keine der zahlreichen
Staedte Kleinasiens nach irgendeiner Richtung hin in Anspruch nehmen; aber die
allgemeine Bildung ist wahrscheinlich nirgends weiter verbreitet und
eingreifender gewesen. Den Lehrern und den Aerzten Befreiung von den mit Kosten
verbundenen staedtischen Aemtern und Auftraegen zu gewaehren, muss in Asia frueh
ueblich geworden sein; an diese Provinz ist der Erlass des Kaisers Pius
gerichtet, welcher, um der fuer die staedtischen Finanzen offenbar sehr
beschwerlichen Exemtion Schranken zu setzen, Maximalzahlen dafuer vorschreibt,
zum Beispiel den Staedten erster Klasse gestattet, bis zu zehn Aerzten, fuenf
Lehrmeistern der Rhetorik und fuenf der Grammatik diese Immunitaet zu gewaehren.
Dass in dem Literatentum der Kaiserzeit Kleinasien in erster Reihe steht, beruht
auf dem Rhetoren- oder, nach dem spaeterhin ueblichen Ausdruck, dem
Sophistenwesen der Epoche, das wir Neueren uns nicht leicht vergegenwaertigen.
An die Stelle der Schriftstellerei, die ziemlich aufgehoert hat, etwas zu
bedeuten, ist der oeffentliche Vortrag getreten, von der Art etwa unserer
heutigen Universitaets- und akademischen Reden, ewig sich neu erzeugend und nur
ausnahmsweise gelagert, einmal gehoert und beklatscht und dann auf immer
vergessen. Den Inhalt gibt haeufig die Gelegenheit, der Geburtstag des Kaisers,
die Ankunft des Statthalters, jedes oeffentliche oder private analoge Ereignis;
noch haeufiger wird ohne jede Veranlassung ins Blaue hinein ueber alles geredet,
was nicht praktisch und nicht lehrhaft ist. Politische Rede gibt es fuer diese
Zeit ueberhaupt nicht, nicht einmal im roemischen Senat. Die Gerichtsrede ist
den Griechen nicht mehr der Zielpunkt der Redekunst, sondern steht neben der
Rede um der Rede willen als vernachlaessigte und plebejische Schwester, zu der
sich ein Meister jener gelegentlich einmal herablaesst. Der Poesie, der
Philosophie, der Geschichte wird entnommen, was sich gemeinplaetzig behandeln
laesst, waehrend sie alle selbst ueberhaupt wenig und am wenigsten in Kleinasien
gepflegt und noch weniger geachtet neben der reinen Wortkunst und von ihr
durchseucht verkuemmern. Die grosse Vergangenheit der Nation betrachten diese
Redner sozusagen als ihr Sondergut; sie verehren und behandeln den Homer
einigermassen wie die Rabbiner die Buecher Moses, und auch in der Religion
befleissigen sie sich eifrigster Orthodoxie. Getragen werden diese Vortraege
durch alle erlaubten und unerlaubten Hilfsmittel des Theaters, die Kunst der
Gestikulation und der Modulation der Stimme, die Pracht des Rednerkostuems, die
Kunstgriffe des Virtuosentums, das Faktionswesen, die Konkurrenz, die Claque.
Dem grenzenlosen Selbstgefuehl dieser Wortkuenstler entspricht die lebhafte
Teilnahme des Publikums, welche derjenigen fuer die Rennpferde nur wenig
nachsteht, und der voellig nach Theaterart dieser Teilnahme gegebene Ausdruck;
und die Stetigkeit, womit dergleichen Exhibitionen in den groesseren Orten den
Gebildeten vorgefuehrt werden, fuegt sie, ebenfalls wie das Theater, ueberall in
die staedtischen Lebensgewohnheiten ein. Wenn vielleicht an den Eindruck,
welchen in unseren bewegtesten Grossstaedten die obligaten Reden ihrer gelehrten
Koerperschaften hervorrufen, sich dies untergegangene Phaenomen fuer unser
Verstaendnis einigermassen anknuepfen laesst, so fehlt doch in den heutigen
Verhaeltnissen ganz, was in der alten Welt weit die Hauptsache war: das
didaktische Moment und die Verknuepfung des zwecklosen oeffentlichen Vortrags
mit dem hoeheren Jugendunterricht. Wenn dieser heute, wie man sagt, den Knaben
der gebildeten Klasse zum Professor der Philologie erzieht, so erzog er ihn
damals zum Professor der Eloquenz, und zwar dieser Eloquenz. Denn die Schulung
lief mehr und mehr darauf hinaus, dem Knaben die Fertigkeit beizubringen,
ebensolche Vortraege, wie sie eben geschildert wurden, selber, womoeglich in
beiden Sprachen, zu halten, und wer mit Nutzen den Kursus absolviert hatte,
beklatschte in den analogen Leistungen die Erinnerung an die eigene Schulzeit.
Diese Produktion umspannt zwar den Orient wie den Okzident; aber Kleinasien
steht voran und gibt den Ton an. Als in der augustischen Zeit die Schulrhetorik
in dem lateinischen Jugendunterricht der Hauptstadt Fuss fasste, waren die
Haupttraeger neben Italienern und Spaniern zwei Kleinasiaten, Arellius Fuscus
und Cestius Pius. Ebendaselbst, wo die ernsthafte Gerichtsrede sich in der
besseren Kaiserzeit neben diesem Parasiten behauptete, weist ein geistvoller
Advokat der flavischen Zeit auf die ungeheure Kluft hin, welche den Niketes von
Smyrna und die andern in Ephesos und Mytilene beklatschten Redeschulmeister von
Aeschines und Demosthenes trennt. Bei weitem die meisten und namhaftesten der
gefeierten Rhetoren dieser Art sind von der Kueste Vorderasiens. Wie sehr fuer
die Finanzen der kleinasiatischen Staedte die Schulmeisterlieferung fuer das
ganze Reich ins Gewicht fiel, ist schon bemerkt worden. Im Laufe der Kaiserzeit
steigt die Zahl und die Geltung dieser Sophisten bestaendig, und mehr und mehr
gewinnen sie Boden auch im Okzident. Die Ursache davon liegt zum Teil wohl in
der veraenderten Haltung der Regierung, die im zweiten Jahrhundert, insbesondere
seit der nicht so sehr hellenisierenden als uebel kosmopolitisierenden
hadrianischen Epoche, sich weniger ablehnend gegen das griechische und das
orientalische Wesen verhielt als im ersten; hauptsaechlich aber in der immer
zunehmenden Verallgemeinerung der hoeheren Bildung und der rasch sich
vermehrenden Zahl der Anstalten fuer den hoeheren Jugendunterricht. Es gehoert
also die Sophistik allerdings besonders nach Kleinasien und besonders in das
Kleinasien des zweiten und dritten Jahrhunderts; nur darf in diesem
Literatenprimat keine spezielle Eigentuemlichkeit dieser Griechen und dieser
Epoche oder gar eine nationale Besonderheit gefunden werden. Die Sophistik sieht
sich ueberall gleich, in Smyrna und Athen wie in Rom und Karthago; die
Eloquenzmeister wurden verschickt wie die Lampenformen und das Fabrikat ueberall
in gleicher Weise, nach Verlangen griechisch oder lateinisch, hergestellt, die
Fabrikation dem Bedarf entsprechend gesteigert. Aber freilich lieferten
diejenigen griechischen Landschaften, die an Wohlstand und Bildung voranstanden,
diesen Exportartikel in bester Qualitaet und in groesster Quantitaet; von
Kleinasien gilt dies fuer die Zeiten Sullas und Ciceros nicht minder wie fuer
die Hadrians und der Antonine.
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^36 Die Urkunde steht bei Dittenberger, SIG n. 349. Attalos II. machte eine
aehnliche Stiftung in Delphi (BCH 5, 1881, S. 157).
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Indes ist auch hier nicht alles Schatten. Eben diese Landschaften besitzen
zwar nicht unter den professionellen Sophisten, aber doch unter den Literaten
anderer Richtung, die auch noch dort verhaeltnismaessig zahlreich sich finden,
die besten Vertreter des Hellenismus, welche diese Epoche ueberhaupt aufweist,
den Lehrer der Philosophie, Dion von Prusa, in Bithynien unter Vespasian und
Traian und den Mediziner Galenos aus Pergamon, kaiserlicher Leibarzt am Hofe des
Marcus und des Severus. Bei Galenos erfreut namentlich die feine Weise des Welt-
und des Hofmanns in Verbindung mit einer allgemeinen literarischen und
philosophischen Bildung, wie sie bei den Aerzten dieser Zeit ueberhaupt haeufig
hervortritt ^37. An Reinheit der Gesinnung und Klarheit ueber die Lage der Dinge
gibt der Bithyner Dion dem Gelehrten von Chaeroneia nichts nach, an
Gestaltungskraft, an Feinheit und Schlagfertigkeit der Rede, an ernstem Sinn bei
leichter Form, an praktischer Energie ist er ihm ueberlegen. Die besten seiner
Schriften, die Phantasien von dem idealen Hellenen vor der Erfindung der Stadt
und des Geldes, die Ansprache an die Rhodier, die einzigen uebriggebliebenen
Vertreter des echten Hellenismus, die Schilderung der Hellenen seiner Zeit in
der Verlassenheit von Olbia wie in der Ueppigkeit von Nikomedeia und von Tarsos,
die Mahnungen an den Einzelnen zu ernster Lebensfuehrung und an alle zu
eintraechtigem Zusammenhalten sind das beste Zeugnis dafuer, dass auch von dem
kleinasiatischen Hellenismus der Kaiserzeit das Wort des Dichters gilt:
untergehend sogar ist's immer dieselbige Sonne.
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^37 Ein Arzt aus Smyrna, Hermogenes, des Charidemos Sohn (CIG 3311),
schrieb nicht bloss 77 Baende medizinischen Inhalts, sondern daneben, wie sein
Grabstein berichtet, historische Schriften: ueber Smyrna, ueber Homers
Vaterland, ueber Homers Weisheit, ueber die Staedtegruendungen in Asia, in
Europa, auf den Inseln, Itinerarien von Asien und von Europa, ueber
Kriegslisten, chronologische Tabellen ueber die Geschichte Roms und Smyrnas. Ein
kaiserlicher Leibarzt Menekrates (CIG 6607), dessen Herkunft nicht angegeben
wird, begruendete, wie seine roemischen Verehrer ihm bescheinigen, die neue
logische und zugleich empirische Medizin (idias logik/e/s enargo?s iatrik/e/s
ktist/e/s) in seinen auf 156 Baende sich belaufenden Schriften.
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9. Kapitel
Die Euphratgrenze und die Parther
Der einzige Grossstaat, mit welchem das Roemische Reich grenzte, war das
Reich von Iran ^1, ruhend auf derjenigen Nationalitaet, die im Altertum wie
heutzutage am bekanntesten ist unter dem Namen der Perser, staatlich
zusammengefasst durch das altpersische Koenigsgeschlecht der Achaemeniden und
seinen ersten Grosskoenig Kyros, religioes geeinigt durch den Glauben des Ahura
Mazda und des Mithra. Keines der alten Kulturvoelker hat das Problem der
nationalen Einigung gleich frueh und gleich vollstaendig geloest. Suedlich
reichten die iranischen Staemme bis an den Indischen Ozean, noerdlich bis zum
Kaspischen Meer; nordoestlich war die innerasiatische Steppe der stete
Kampfplatz der sesshaften Perser und der nomadischen Staemme Turans. Oestlich
schieden maechtige Grenzgebirge sie von den Indern. Im westlichen Asien trafen
frueh drei grosse Nationen jede ihrerseits vordraengend auf einander: die von
Europa aus auf die kleinasiatische Kueste uebergreifenden Hellenen, die von
Arabien und Syrien aus in noerdlicher und nordoestlicher Richtung
vorschreitenden und das Euphrattal wesentlich ausfuellenden aramaeischen
Voelkerschaften, endlich die nicht bloss bis zum Tigris wohnenden, sondern
selbst nach Armenien und Kappadokien vorgedrungenen Staemme von Iran, waehrend
andersartige Urbewohner dieser weitgedehnten Landschaften unter diesen
Vormaechten erlagen und verschwanden. Ueber dieses weite Stammgebiet ging in der
Epoche der Achaemeniden, dem Hoehepunkt der Herrlichkeit Irans, die iranische
Herrschaft nach allen Seiten, insbesondere aber nach Westen weit hinaus.
Abgesehen von den Zeiten, wo Turan ueber Iran die Oberhand gewann und die
Seldschuken und Mongolen den Persern geboten, ist eigentliche Fremdherrschaft
ueber den Kern der iranischen Staemme nur zweimal gekommen, durch den grossen
Alexander und seine naechsten Nachfolger und durch die arabischen Kalifen, und
beide Male nur auf verhaeltnismaessig kurze Zeit; die oestlichen Landschaften,
in jenem Fall die Parther, in diesem die Bewohner des alten Baktrien warfen
nicht bloss bald das Joch des Auslaenders wieder ab, sondern verdraengten ihn
auch aus dem stammverwandten Westen.
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^1 Die Vorstellung, dass das Roemer- und das Partherreich zwei
nebeneinander stehende Grossstaaten sind und zwar die einzigen, die es gibt,
beherrscht den ganzen roemischen Orient, namentlich die Grenzprovinzen. Greifbar
tritt sie uns in der Johanneischen Apokalypse entgegen, in dem
Nebeneinanderstellen wie des Reiters auf dem weissen Ross mit dem Bogen und des
auf dem roten mit dem Schwert (6 2 3), so der Megistanen und der Chiliarchen (6,
15 vgl. 18, 23; 19, 18). Auch die Schlusskatastrophe ist gedacht als
Ueberwaeltigung der Roemer durch die den Kaiser Nero zurueckfuehrenden Parther
(c. 9,14;16,12) und Armageddon, was immer damit gemeint sein mag, als der
Sammelplatz der Orientalen zu dem Gesamtangriff auf den Okzident. Allerdings
deutet der im Roemischen Reich schreibende Verfasser diese wenig patriotischen
Hoffnungen mehr an, als er sie ausspricht.
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Das durch die Parther regenerierte Perserreich fanden die Roemer vor, als
sie in der letzten Zeit der Republik in Folge der Besetzung Syriens in
unmittelbare Beruehrung mit Iran traten. Wir haben dieses Staats schon mehrfach
frueherhin zu gedenken gehabt; hier ist der Ort, das Wenige zusammenzufassen,
was ueber die Eigentuemlichkeit des auch fuer die Geschicke des Nachbarstaats so
vielfach ausschlaggebenden Reiches sich erkennen laesst. Allerdings hat auf die
meisten Fragen, die der Geschichtsforscher hier zu stellen hat, die
Ueberlieferung keine Antwort. Die Okzidentalen geben ueber die inneren
Verhaeltnisse ihrer parthischen Nachbarn und Feinde nur gelegentliche, in der
Vereinzelung leicht irrefuehrende Notizen; und wenn die Orientalen es ueberhaupt
kaum verstanden haben, die geschichtliche Ueberlieferung zu fixieren und zu
bewahren, so gilt dies doppelt von der Arsakidenzeit, da diese den spaeteren
Iranern mit der vorhergehenden Fremdherrschaft der Seleukiden zusammen als
unberechtigte Usurpation zwischen der alt- und der neupersischen
Herrschaftsperiode, den Achaemeniden und den Sassaniden gegolten hat; dies halbe
Jahrtausend wird sozusagen aus der Geschichte Irans herauskorrigiert ^2 und ist
wie nicht vorhanden.
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^2 Dies gilt sogar einigermassen fuer die Chronologie. Die offizielle
Historiographie der Sassaniden reduziert den Zeitraum zwischen dem letzten
Dareios und dem ersten Sassaniden von 558 auf 266 Jahre (Tabari, Geschichte der
Perser und Araber. Hrsg. v. Th. Noeldeke. Leiden 1879, S. 1).
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Der Standpunkt, den die Hofhistoriographen der Sassanidendynastie damit
einnahmen, ist mehr der legitimistisch-dynastische des persischen Adels als
derjenige der iranischen Nationalitaet. Freilich bezeichnen die Schriftsteller
der ersten Kaiserzeit die Sprache der Parther, deren Heimat etwa dem heutigen
Chorasan entspricht, als mitten inne stehend zwischen der medischen und der
skythischen, das heisst als einen unreinen iranischen Dialekt; dem entsprechend
galten sie als Einwanderer aus dem Land der Skythen und in diesem Sinne wird ihr
Name auf fluechtige Leute gedeutet und der Gruender der Dynastie Arsakes zwar
von einigen fuer einen Baktrer, von andern dagegen fuer einen Skythen von der
Maeotis erklaert. Dass ihre Fuersten nicht in Seleukeia am Tigris ihre Residenz
nahmen, sondern in der unmittelbaren Naehe bei Ktesiphon ihr Winterlager
aufschlugen, wird darauf zurueckgefuehrt, dass sie die reiche Kaufstadt nicht
mit skythischen Truppen haetten belegen wollen. Vieles in der Weise und den
Ordnungen der Parther entfernt sich von der iranischen Sitte und erinnert an
nomadische Lebensgewohnheiten: zu Pferde handeln und essen sie, und nie geht der
freie Mann zu Fuss. Es laesst sich wohl nicht bezweifeln, dass die Parther,
deren Namen allein von allen Staemmen dieser Gegend die heiligen Buecher der
Perser nicht nennen, dem eigentlichen Iran fern stehen, in welchem die
Achaemeniden und die Magier zu Hause sind. Der Gegensatz dieses Iran gegen das
aus einem unzivilisierten und halb fremdartigen Distrikt herstammende
Herrschergeschlecht und dessen naechstes Gefolge, dieser Gegensatz, den die
roemischen Schriftsteller nicht ungern von den persischen Nachbarn uebernahmen,
hat allerdings die ganze Arsakidenherrschaft hindurch bestanden und gegaert, bis
er schliesslich ihren Sturz herbeifuehrte. Darum aber darf die Herrschaft der
Arsakiden noch nicht als Fremdherrschaft gefasst werden. Dem parthischen Stamm
und der parthischen Landschaft wurden keine Vorrechte eingeraeumt. Als Residenz
der Arsakiden wird zwar auch die parthische Stadt Hekatompylos genannt; aber
hauptsaechlich verweilten sie im Sommer in Ekbatana (Ramadan) oder auch in
Rhagae gleich den Achaemeniden, im Winter, wie bemerkt, in der Lagerstadt
Ktesiphon oder auch in Babylon an der aeussersten westlichen Grenze des Reiches.
Das Erbbegraebnis in der Partherstadt Nisaea blieb; aber spaeter diente dafuer
haeufiger Arbela in Assyrien. Die arme und ferne parthische Heimatlandschaft war
fuer die ueppige Hofhaltung und die wichtigen Beziehungen zu dem Westen,
besonders der spaeteren Arsakiden, in keiner Weise geeignet. Das Hauptland blieb
auch jetzt Medien, eben wie unter den Achaemeniden. Mochten immer die Arsakiden
skythischer Herkunft sein, mehr als auf das, was sie waren, kam darauf an, was
sie sein wollten; und sie selber betrachteten und gaben sich durchaus als die
Nachfolger des Kyros und des Dareios. Wie die sieben persischen Stammfuersten
den falschen Achaemeniden beseitigt und durch die Erhebung des Dareios die
legitime Herrschaft wiederhergestellt hatten, so mussten andere sieben die
makedonische Fremdherrschaft gestuerzt und den Koenig Arsakes auf den Thron
gesetzt haben. Mit dieser patriotischen Fiktion wird weiter zusammenhaengen,
dass dem ersten Arsakes statt der skythischen die baktrische Heimat beigelegt
ward. Die Tracht und die Etikette am Hof der Arsakiden war die des persischen;
nachdem Koenig Mithradates I. seine Herrschaft bis zum Indus und Tigris
ausgedehnt hatte, vertauschte die Dynastie den einfachen Koenigstitel mit dem
des Koenigs der Koenige, wie ihn die Achaemeniden gefuehrt hatten, und die
spitze skythische Kappe mit der hohen perlengeschmueckten Tiara; auf den Muenzen
fuehrt der Koenig den Bogen wie Dareios. Auch die mit den Arsakiden in das Land
gekommene, ohne Zweifel vielfach mit der alteinheimischen gemischte Aristokratie
nahm persische Sitte und Tracht, meistens auch persische Namen an; von dem
Partherheer, das mit Crassus stritt, heisst es, dass die Soldaten noch das
struppige Haar nach skythischer Weise trugen, der Feldherr aber nach medischer
Art mit in der Mitte gescheiteltem Haar und geschminktem Gesicht erschien.
Die staatliche Ordnung, wie sie durch den ersten Mithradates festgestellt
wurde, ist dementsprechend wesentlich diejenige der Achaemeniden. Das Geschlecht
des Begruenders der Dynastie ist mit allem Glanz und mit aller Weihe
angestammter und goettlich verordneter Herrschaft umkleidet: sein Name
uebertraegt sich von Rechts wegen auf jeden seiner Nachfolger, und es wird ihm
goettliche Ehre erwiesen; seine Nachfolger heissen darum auch Gottessoehne ^3
und ausserdem "Brueder des Sonnengottes und der Mondgoettin", wie noch heute der
Schah von Persien die Sonne im Titel fuehrt; das Blut eines Gliedes des
Koenigsgeschlechts auch nur durch Zufall zu vergiessen, ist ein Sakrilegium -
alles Ordnungen, die mit wenigen Abminderungen bei den roemischen Caesaren
wiederkehren und vielleicht zum Teil von diesen der aelteren Grossherrschaft
entlehnt sind.
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^3 Die Unterkoenige der Persis heissen in der Titulatur stehend "Zag
Alohin" (wenigstens sollen die aramaeischen Zeichen diesen vermutlich in der
Aussprache persisch ausgedrueckten Worten entsprechen), Gottes Sohn (Mordtmann,
Zeitschrift fuer Numismatik 4, 1877, S. 155 f.), und dem entspricht auf den
griechischen Muenzen der Grosskoenige die Titulatur theopat/o/r. Auch die
Bezeichnung "Gott" findet sich, wie bei den Seleukiden und den Sassaniden. Warum
den Arsakiden ein Doppeldiadem beigelegt wird (Herodian 6, 2, 1), ist nicht
aufgeklaert.
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Obwohl die koenigliche Wuerde also fest an das Geschlecht geknuepft ist,
besteht dennoch eine gewisse Koenigswahl. Da der neue Herrscher sowohl dem
Kollegium der "Verwandten des koeniglichen Hauses" wie dem Priesterrat
angehoeren muss, um den Thron besteigen zu koennen, so wird ein Akt
stattgefunden haben, wodurch vermutlich eben diese Kollegien selbst den neuen
Herrscher anerkannten ^4. Unter den "Verwandten" sind wohl nicht bloss die
Arsakiden selbst zu verstehen, sondern die "sieben Haeuser" der
Achaemenidenordnung, Fuerstengeschlechter, welchen nach dieser die
Ebenbuertigkeit und der freie Eintritt bei dem Grosskoenig zukommt und die auch
unter den Arsakiden aehnliche Privilegien gehabt haben werden ^5. Diese
Geschlechter waren zugleich Inhaber von erblichen Kronaemtern ^6; die Suren zum
Beispiel - der Name ist wie der Name Arsakes zugleich Personen- und
Amtbezeichnung -, das zweite Geschlecht nach dem Koenigshaus, setzten als
Kronmeister jedesmal dem neuen Arsakes die Tiara aufs Haupt. Aber wie die
Arsakiden selbst der parthischen Provinz angehoerten, so waren die Suren in
Sakastane (Sedjistan) zu Hause und vielleicht Saker, also Skythen; ebenso
stammten die Karen aus dem westlichen Medien, waehrend die hoechste Aristokratie
unter den Achaemeniden rein persisch war.
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^4 T/o/n Parthyai/o/n synedrion ph/e/sin (Poseid/o/nios) einai, sagt
Strabon (11, 9, 3 p. 515), ditton, to men syggen/o/n, to de soph/o/n kai
mag/o/n, ex /o/n amphoin to?s basileis kathistasthai (kathist/e/sin die
Handschrift). Iust. 42, 4,1: Mithridates rex Parthorum . . . propter
crudelitatem a senatu Parthico regno pellitur.
^5 In Aegypten, dessen Hofzeremoniell, wie wohl das der saemtlichen Staaten
der Diadochen auf das von Alexander angeordnete und insofern auf das des
Persischen Reiches zurueckgeht, scheint der gleiche Titel auch persoenlich
verliehen worden zu sein (Franz, CIG III S. 270). Dass bei den Arsakiden das
gleiche vorkam ist moeglich. Bei den griechisch redenden Untertanen des
Arsakidenstaats scheint die Benennung megistanes, in dem urspruenglichen
strengeren Gebrauch die Glieder der sieben Haeuser zu bezeichnen; es ist
beachtenswert, dass megistanes und satrapae zusammengestellt werden (Sen. epist.
21; Ios. ant. Iud. 11, 3, 2; 20, 2, 3). Dass bei Hoftrauer der Perserkoenig die
Megistanen nicht zur Tafel zieht (Suet. Gai. 5), legt die Vermutung nahe, dass
sie das Vorrecht hatten, mit ihm zu speisen. Auch der Titel t/o/n pr/o/t/o/n
phil/o/n findet sich bei den Arsakiden aehnlich wie am aegyptischen und am
pontischen Hofe (BCH 7, 1883, S. 349).
^6 Ein koeniglicher Mundschenk der zugleich Feldherr ist, wird genannt bei
Josephus (ant. Iud. 14, 13, 7 = bel. Iud. 1, 13, 1). Aehnliche Hofaemter kommen
in den Diadochenstaaten haeufig vor.
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Die Verwaltung liegt in den Haenden der Unterkoenige oder der Satrapen;
nach den roemischen Geographen der vespasianischen Zeit besteht der Staat der
Parther aus achtzehn "Koenigreichen". Einige dieser Satrapien sind
Sekundogenituren des Herrscherhauses; insbesondere scheinen die beiden
nordwestlichen Provinzen, das atropatenische Medien (Aserbeidschan) und, sofern
es in der Gewalt der Parther stand, Armenien, den dem zeitigen Herrscher
naechststehenden Prinzen zur Verwaltung uebertragen worden zu sein ^7. Im
uebrigen ragen unter den Satrapen hervor der Koenig der Landschaft Elymais oder
von Susa, dem eine besondere Macht- und Ausnahmestellung eingeraeumt war,
demnaechst derjenige der Persis, des Stammlandes der Achaemeniden. Die wenn
nicht ausschliessliche, so doch ueberwiegende und den Titel bedingende
Verwaltungsform war im Partherreich, anders als in dem der Caesaren, das
Lehnskoenigtum, so dass die Satrapen nach Erbrecht eintraten, aber der
grossherrlichen Bestaetigung unterlagen ^8. Allem Anschein nach hat sich dies
nach unten hin fortgesetzt, so dass kleinere Dynasten und Stammhaeupter zu dem
Unterkoenig in demselben Verhaeltnis standen, wie dieser zu dem Grosskoenig ^9.
Somit war das Grosskoenigtum der Parther aeusserst beschraenkt zu Gunsten der
hohen Aristokratie durch die ihm anhaftende Gliederung der erblichen
Landesverwaltung. Dazu passt recht wohl, dass die Masse der Bevoelkerung aus
halb oder ganz unfreien Leuten bestand ^10 und Freilassung nicht statthaft war.
In dem Heer, das gegen Antonius focht, sollen unter 50000 nur 400 Freie gewesen
sein. Der vornehmste unter den Vasallen des Orodes, welcher als Feldherr
desselben den Crassus schlug, zog ins Feld mit einem Harem von 200 Weibern und
einer von 1000 Lastkamelen getragenen Bagage; er selber stellte 10000 Reiter zum
Heer aus seinen Klienten und Sklaven. Ein stehendes Heer haben die Parther
niemals gehabt, sondern zu allen Zeiten blieb hier die Kriegfuehrung angewiesen
auf das Aufgebot der Lehnsfuersten und der ihnen untergeordneten Lehnstraeger
sowie der grossen Masse der Unfreien, ueber welche diese geboten.
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^7 Tac. ann. 15, 2 u. 31. Wenn nach der Vorrede des Agathangelos (p. 109
Langlois) zur Zeit der Arsakiden der aelteste und tuechtigste Prinz die
Landesherrschaft fuehrte, die drei ihm naechststehenden aber Koenige der
Armenier, der Inder und der Massageten waren, so liegt hier vielleicht dieselbe
Ordnung zu Grunde. Dass das parthisch-indische Reich, wenn es mit dem Hauptland
verbunden war, ebenfalls als Sekundogenitur galt, ist sehr wahrscheinlich.
^8 Diese meint wohl Justinus (41, 2, 2): proximus maiestati regum
praepositorum ordo est; ex hoc duces in bello, ex hoc in pace rectores habent.
Den einheimischen Namen bewahrt die Glosse bei Hesychios: bistax o basile?s para
Persais. Wenn bei Amm. 23, 6,14 die Vorsteher der persischen regiones vitaxae
(schr. vistaxae), id est magistri equitum et reges et satrapae heissen, so hat
er ungeschickt Persisches auf ganz Innerasien bezogen (vgl. Hermes 16, 1881, S.
613); uebrigens kann die Bezeichnung "Reiterfuehrer" fuer diese Unterkoenige
darauf gehen, dass sie, wie die roemischen Statthalter, die hoechste Zivil- und
die hoechste Militaergewalt in sich vereinigten und die Armee der Parther
ueberwiegend aus Reiterei bestand.
^9 Das lehrt die einem Gotarzes in der Inschrift von Kermanschahaen in
Kurdistan (CIG 4674) beigelegte Titulatur satrap/e/s t/o/n satrap/o/n. Dem
Arsakidenkoenig dieses Namens kann sie als solchem nicht beigelegt werden; wohl
aber mag, wie Olshausen (Monatsbericht der Berliner Akademie 1878, S. 179)
vermutet, damit diejenige Stellung bezeichnet werden, die ihm nach seinem
Verzicht auf das Grosskoenigtum (Tac. ann. 11, 9) zukam.
^10 Noch spaeter heisst eine Reitertruppe im parthischen Heer die "der
Freien" Ios. ant. Iud. 14, 13, 5 = bel. Iud. 1, 13, 3).
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Allerdings fehlte das staedtische Element in der politischen Ordnung des
Partherreichs nicht ganz. Zwar die aus der eigenen Entwicklung des Ostens
hervorgegangenen groesseren Ortschaften sind keine staedtischen Gemeinwesen, wie
denn selbst die parthische Residenz Ktesiphon im Gegensatz zu der benachbarten
griechischen Gruendung Seleukeia ein Flecken genannt wird; sie hatten keine
eigenen Vorsteher und keinen Gemeinderat, und die Verwaltung lag hier wie in den
Landbezirken ausschliesslich bei den koeniglichen Beamten. Aber von den
Gruendungen der griechischen Herrscher war ein freilich verhaeltnismaessig
geringer Teil unter parthische Herrschaft gekommen. In den ihrer Nationalitaet
nach aramaeischen Provinzen Mesopotamien und Babylonien hatte das griechische
Staedtewesen unter Alexander und seinen Nachfolgern festen Fuss gefasst.
Mesopotamien war mit griechischen Gemeinwesen bedeckt, und in Babylonien war die
Nachfolgerin des alten Babylon, die Vorlaeuferin Bagdads, eine Zeit lang die
Residenz der griechischen Koenige Asiens, Seleukeia am Tigris, durch ihre
guenstige Handelslage und ihre Fabriken emporgeblueht zu der ersten Kaufstadt
ausserhalb der roemischen Grenzen, angeblich von mehr als einer halben Million
Einwohner. Ihre freie hellenische Ordnung, auf der ohne Zweifel ihr Gedeihen vor
allem beruhte, wurde im eigenen Interesse auch von den parthischen Herrschern
nicht angetastet, und die Stadt bewahrte sich nicht bloss ihren Stadtrat von 300
erwaehlten Mitgliedern, sondern auch griechische Sprache und griechische Sitte
mitten im ungriechischen Osten. Freilich bildeten in diesen Staedten die
Hellenen nur das herrschende Element; neben ihnen lebten zahlreiche Syrer, und


 


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